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Quellenangaben  | 
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Philosophieren (Freyheit 
zu) Libertas philosophandi. | 
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Ein 
				Philosoph 
				muß in seinem 				
				Vortrage bloß 
lediglich darauf sehen, daß die Lehren, so er 
vorträgt, 
				
				wahr seyn, sie 
mögen im übrigen  
				alt oder 
neu, von 
				gelehrten oder gemeinen Pöbel bejahet 
worden seyn u.s.f. Wird nun einem Philosophen im 
				gemeinen Wesen dieses 
verstattet, so heißt 
diese Freyheit, die Freyheit zu philosophiren. | 
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Es ist also die Freyheit zu philosophiren 
nichts anders, als ein ungehinderter 
				Gebrauch des 
				Verstandes im Vortrag der 				
				
				Wahrheiten. | 
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Aus dieser gegebenen 
				Erklärung erhellet 
so fort, daß die Freyheit zu philosophiren von der 
Freydenckerey gar merckwürdig 
				unterschieden sey. 
Diese ist nichts anders als ein ungehinderter 
Mißbrauch des Verstandes im Vortrag alles 
dessen, was diejenigen Absichten befördert, die 
man sich vorgesetzet. Wir 				
			verstehen also durch 
den Mißbrauch des Verstandes nicht 
denjenigen und rechten Gebrauch des 
Verstandes, welcher nur von einer Schwäche 
desselben herrühret; sondern welcher von dem 
				
				Willen ursprünglich herstammet, da man 
vorsetzlich den zur
				Erkäntniß der Wahrheit uns 
von 
				
				Gott geschenckten Verstand dahin anwendet, 
daß man 
				Irrthümer, und sonst seltsame 
				Meynungen ersinnet oder fortpflanzt. | 
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Wie nun hieraus Sonnenklar ist, daß die 
Freydenkerey auf keine Weise zu billigen sey: so ist 
hingegen die Freyheit zu philosophiren nicht nur 
erlaubt, sondern auch einem ieden gemeinen 
Wesen höchst ersprießlich; indem dadurch die 
Irrthümer verbannet, und dafür die Wahrheiten fortgepflantzet; hierdurch aber einem 
ieden die Augen 
geöffnet werden, wie er Gott, der 
Obrigkeit, 
seinem Nächsten, ja sich selbst, den göttlichen 
Absichten gemäß,  
				dienen
				solle. | 
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Es erfordert aber die Freyheit zu 
philosophiren, daß man sich im 				
				Vortrag der 
Lehren nicht nach andern, sondern bloß lediglich 
nach sich selbst richte. Denn die Freyheit zu 
philosophiren ist ein Gebrauch des Verstandes im 
Vortrag der Wahrheiten, betet man aber einem 
andern dessen 
				Sätze nur nach, so gebrauchet 
man seinen Verstand nicht, noch weniger im 
Vortrag der Wahrheiten, indem man nicht 
überzeuget ist, ob auch des andern Lehren für 
Wahrheiten zu achten sind. | 
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Da nun auf solche Weise die Freyheit zu 
philosophiren erfordert, daß man im Vortrag der 
Wahrheit sich nicht nach andern, sondern nach 
sich selbst richten solle; und aber der Vortrag 
einer Wahrheit nicht eintzig und allein darinnen 
bestehet, daß man die Wahrheit 
				öffentlich 
bekenne, sondern auch über diß den andern 
davon überzeuget, und man niemals den andern 
von etwas überzeugen kan, davon man nicht 
selbst überzeuget ist, so flüsset 
				nothwendig ferner 
hieraus, daß man krafft der Freyheit zu 
philosophiren, im Vortrage | 
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		| 1) | 
		nichts vor wahr ausgeben solle, was man vor wahr 
		erkennet, und  | 
	 
	
		| 2) | 
		keinen
				Beweiß 
		vor hinreichend halten solle,  | 
	 
 
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{Sp. 2127|S. 1081} | 
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als den, bey welchem man nicht das geringste auszusetzen 
findet. | 
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Wer philosophiret, der kan keinen 
Satz behaupten, 
so | 
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entgegen stehet; welches man mit leichter 
Mühe 
darthun 
könnte, wofern nicht solches Herr 
Wolff in seinem discursu præliminari de 
philosophia, den er seiner philosophiæ rationali vorgesetzet, bereits 
gründlich erwiesen hätte. | 
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Und dahero hat die 
Freyheit zu 
philosophiren, in so ferne man solche an und vor 
sich betrachtet, keine 
Schrancken 
von nöthen; dieweil aber doch der 
Mensch 
im 
Gebrauch 
seines 
Verstandes öffters wider 
Willen auf Neben-Wege gerathen kan, so werden dieser 
Freyheit in Ansehung derer, so sich solcher bedienen, 
gewisse 
Schrancken bestimmet, damit sie so gleich 
erkennen, ob sie auch der Freyheit zu philosophiren sich 
recht bedienet haben oder nicht. Diese Schrancken bestehen darinnen, daß 
kein Philosoph | 
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damit auf diese Art die Gottesfurcht, als die Stütze aller 
Länder, 
befördert; die 
Tugenden 
ausgebreitet, und der 
Unterthan nicht irre gemachet und zum 
Ungehorsam, oder wohl gar zur 
Empörung 
verleitet werde. | 
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Wir machen aus alle dem, was bißher 
gesaget worden ist, nunmehr folgenden 
Schluß: Wer im 
Vortrag der 
Wahrheiten | 
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- 1) nichts vor wahr ausgiebet, als was er vor wahr erkennet, 
 
  - 2) 
    keinen Beweiß 
    vor hinreichend hält, als den, bey welchem er nicht das geringste mehr 
    auszusetzen gefunden, und 
 
  - 3) die Schrancken 
    der Freyheit zu philosophiren genau beobachtet, das ist, nichts lehret, 
    welches der 
    Religion, der 
    
    Moralität und dem 
    Staate zuwider läufft;
 
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der bedienet sich der Freyheit zu philosophiren gehöriger massen; 
einfolglich kan ein solcher keinesweges unter die Frey-Geister gerechnet 
werden. | 
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Wir haben oben die Schrancken der Freyheit zu philosophiren, folgender 
gestalt bestimmet: wer philosophiret, der kan keinen Satz behaupten, 
so | 
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- 1) den Haupt-Sätzen der Religion, 
 
  - 2) der Moralität und 
 
  - 3) dem 
    Staate
 
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entgegen stehe. Da man nun aber hierinne niemals einig ist, ob dieser 
oder jener Satz den Haupt-Sätzen der Religion, der Moralität und dem Staat 
entgegen stehe; so ist die 
Frage: Ob nicht 
gewisse allgemeine Kennzeichen und 
Regeln 
könnten ausfündig gemachet werden, nach denen man bestimmen könne, ob ein 
Satz der Religion, der Moralität und dem Staate zuwider lauffe oder 
nicht? | 
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Wir machen mit dem wichtigsten Stücke den 
Anfang, das ist, 
von der Religion. Eine jede Religion hat ihre Glaubens-Bücher, welche 
denen, so selbiger Religion zugethan seyn, zur Richtschnur ihres 
Glaubens dienen 
müssen. Wenn also ein 
Philosoph einer 
gewissen 
Religion seine Sätze so ein- | 
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{Sp. 2128} | 
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richtet, daß sie weder 
mittelbar 
noch 
unmittelbar einer oder der andern Lehre widersprechen, die 
in seinem Glaubens-Buche enthalten ist, und den Glauben betrifft; so sind 
seine Sätze mit der Religion einstimmig. | 
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Er 
thut 
auch wohl, daß, wenn von einem 
Satze nur mit 
einigen 
Grund 
gedacht werden könne, als hätte er einen Schein eines Widerspruches mit 
einer Glaubens-Lehre; er so dann, um der Schwachen willen, die Glaubens-
Lehre gleich dabey anführe, und die 
Ubereinstimmung eines Satzes mit derselbigen 
zeige. Hieraus flüsset ferner: | 
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„Daß ein Philosoph sein Glaubens-Buch wohl inne, und beym 
Philosophieren beständig vor Augen haben müsse.„ | 
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Dieses ist eine allgemeine Regel. Allein, obwohl nur eine wahre 
Religion ist, so sind doch überhaupt 
verschiedene Religionen. Es entstehen demnach aus 
dieser allgemeinen Regel in Ansehung der Anwendung auf die mannigfältigen 
Religionen, viele besondere Regeln. Da wir 
GOtt 
nicht genug dancken können, daß er uns in der wahren Religion hat 
gebohren und 
erzogen werden lassen; so 
wollen wir die allgemeine Regel auf unsere Religion um so 
viel lieber anwenden. Die erste besondere Regel wird seyn: | 
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„Ein Philosoph soll, wenn er einen Satz gefunden hat, selbigen so fort 
gegen die heilige Schrifft halten, nach dieser jenen aufs schärffste 
prüfen, und wenn er findet, daß zwischen beyden ein wahrer Widerspruch sey, 
das Kind mit dem Bade wegschütten.„ | 
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Bey angestellter genauer Prüfung kan es nicht anders kommen, als daß er 
zugleich entdecket, ob auch nur ein Schein-Widerspruch, oder einiger Grund 
zu selbigem vorhanden sey. Dieses giebet die andere Regel an die Hand: | 
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„Wenn ein Philosoph mercket, daß sein Satz mit der heiligen Schrifft zu 
streiten scheine, oder daß iemand gar leicht an einen Widerspruch gedencken 
könne; muß er in einer Anmerckung den Spruch aus der Bibel nennen, und 
beydes den Schein-Widerspruch, als auch den Ungrund desselben 
eröffnen.„ | 
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Da auch die Regeln der Auslegungs-Kunst noch nicht auf das höchste 
gebracht sind, und selbst unsere 
Gottesgelehrten in Auslegung des wahren 
Verstandes einiger Biblischen Sprüche nicht einig sind; so 
giebt sich von sich selbst die dritte Regel: | 
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„Wenn ein Philosoph erkennet, daß selbst über den wahren Verstand des 
Spruches ein Zweiffel sey erreget worden; muß das seine erste Bemühung 
seyn, wie er nach den Regeln einer gesunden Auslegungs-Kunst den wahren 
Verstand bestimmen möchte, und hernach in einer Anmerckung andeuten, wie er 
darbey verfahren habe, daß er den Verstand gefunden habe. | 
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Dieses ist noch nicht genug. Wir 
wissen, daß die 
Kräffte 
unserer Seelen schwach sind, wir 
erfahren es, daß wenn wir vermeynen, den sichersten Weg 
gegangen zu seyn, wir dennoch geirret haben. Wir sind daher 
verbunden, unseren 
Gedancken mehr als einen Lauff-Zaum anzulegen, damit sie 
desto gewisse Tritte thun. | 
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Als unsere erste Glaubens-Bekenner die Symbolischen Bücher unseres 
Glaubens aufsetzeten, haben sich so mannigfaltige als deutliche Merckmahle 
geäussert, daß 
GOtt 
selbst bey diesem 
Wercke 
mit | 
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{Sp. 2129|S. 1082} | 
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ein 
Spiel gewesen 
sey, daß er die Gedancken der Glaubensbekenner, und die Feder derer, welche 
das Glaubens-Bekänntniß zu Papier gebracht haben, dahin 
regieret, daß alles seinem 
Willen gemäß seyn 
möchte. So 
machen wir denn endlich die vierdte und letzte Regel: | 
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„Ein Philosoph soll, indem er den wahren Verstand eines uns 
zweiffelhaften Biblischen Spruches nach den Regeln der Auslegungs-Kunst 
suchet, sich die symbolischen Glaubens-Bücher zum Leitfaden dienen lassen, 
auch in seinen Schriften die Ubereinstimmung seiner Auslegung mit den 
gedachten Büchern darthun. | 
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Beobachtet nun ein 
Lutherischer 
Philosoph alle diese angegebenen Regeln, so sind wir 
versichert, und können ihm das Wort geben, daß man ihn nicht beschuldigen 
werde, seine Philosophischen Sätze lieffen wider die Religion. Wir 
müssen aber 
auch bekennen, daß, einen 
gantzen 
Philosophischen Lehr-Begriff nach dieser Vorschrift zu 
schreiben, eine Centner-schwere Last sey, die manchen eher 
in das Grab drücken wird, ehe er damit zu Stande kommt. | 
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Von der 
Moralität haben wir nicht 
nöthig viel 
Regeln zu geben, wenn man nur erst festgesetzet hat, ob die Sittlichkeit 
innerlich oder äusserlich sey? (num moralitas sit intrinseca s. objectiva, 
an extrinseca s. subjectiva?) | 
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Von dem 
Staate kan man die gantze Sache gantz kurtz in folgende 
Regel fassen: Ein Philosoph soll sich um seiner 
hohen Landes-
Obrigkeit, um seine vorgesetzte 
Unter-
Obrigkeiten, und um beyder 
Umstände, 
Gesetze, und 
Verordnungen bekümmern; nachher seine 
Sätze 
untersuchen, ob sie entweder die 
obrigkeitlichen Personen kräncken, oder ihre Gesetze und 
Verordnungen verletzen. Im übrigen muß er mit den Gesetzen und Verordnungen 
verfahren, wie mit der 
heiligen Schrifft, und in Auslegung derselben die von den 
Obrigkeiten 
gegebenen Erläuterungen zu 
Rathe 
zühen. | 
Carl Günther 
Ludovici im 
Entwurffe der Historie der Wolffischen Philosophie I Th. §. 110. u. ff. II 
Th. §. 351. u. ff. | 
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