Stichworte |
Text |
Quellenangabe |
|
Obrigkeit (Gewalt der-) Obrigkeitliche Gewalt. Die
Freyheit
zu
befehlen, oder überhaupt etwas zu
thun,
nennen wir
Gewalt. Da nun die
Obrigkeit Freyheit hat zu befehlen, was die
Unterthanen
thun und lassen
sollen, und alles zu thun, was zur Beförderung der gemeinen
Wohlfarth und Sicherheit dienlich befunden wird, (siehe den
Artickel Obrigkeit); so hat sie auch Gewalt.
Und demnach sind die Unterthanen unter der Gewalt der Obrigkeit, und wird
solcher gestalt dadurch ihre natürliche Freyheit eingeschräncket. |
|
|
Es ist auch diese
Gewalt der
Grund des
Gehorsams, den man der Obrigkeit
schuldig ist. Man soll demnach der Obrigkeit unterthan seyn, die Gewalt über uns
hat, und eben deswegen weil sei Gewalt über uns hat. Die
Kinder sind
gleichergestalt unter der Gewalt ihrer
Eltern und demnach dienet die väterliche
Gewalt der Obrigkeit zu erläutern, auch sind Obrigkeiten in diesen Stücke Vätern
ähnlich und
Unterthanen
sind wie ihre Kinder. |
|
unumschränkte Gewalt |
Diese
Gewalt nun ist entweder gantz uneingeschräncket, oder aber auf gewisse
Weise eingeschräncket. Obrigkeit besitzet eine unumschränckte Gewalt,
wenn sie ohne jemandes Einwilligung bloß vor sich
befehlen darf, was ihr gut
deucht, und alles nach ihren Gefallen einrichten kan, ohne Einwilligung anderer.
Hingegen ist ihre Gewalt eingeschräncket, wenn sie etwas ohne Einwilligung
anderer nicht befehlen, noch thun darf. Man siehe aber leicht, daß sie viel oder
wenig eingeschräncket ist, nachdem die Einwilligung anderer in vielen oder
wenigen Stücken erfordert wird. |
|
|
Da nun bloß in der
Monarchie einer ohne besondere Einwilligung anderer thun
oder
befehlen kan, was er will, und in der Aristocratie dieses einigen frey
stehet, so ist bloß in der Monarchie oder Aristocratie eine unumschränckte
Gewalt. Vielleicht werden einige meynen, es könne ja auch in der Monarchie und
Aristocratie eine eingeschränckte Gewalt statt finden: Denn es könne wohl einer
gantz allein, oder auch etliche zusammen können allein herrschen, und doch in
gewissen Stücken gebunden seyn, daß sie nicht befehlen dürffen, was sie wollen. |
|
|
Allein diese nehmen die
Wörter:
Monarchie und Aristocratie, in einem
weitläufftigern
Verstande als diesen Wörtern zukommt. Nemlich ihnen ist eine
jede
Regierungs-Forme eine Monarchie, wo einer allein zu herrschen scheinet, und
eine Aristocratie, wo einige allein zu herschen scheinen. Hingegen da der Schein
von dem
Wesen allezeit zu unterscheiden ist; so heisset bloß eine Monarchie,
wenn einer würcklich allein herrschet, und eine Aristocratie, wenn einige
zusammen würcklich allein herrschen. |
|
|
Soll aber einer würcklich allein herrschen, so muß er ohne Einwilligung
anderer thun |
|
|
{Sp. 251|S. 139} |
|
|
können was er will. Denn in diesen Stücken, darein andere erst willigen
müssen, herrschet er nicht allein, sondern diejenigen, so darein willigen müssen
herrschen mit. Und solcher gestalt ist es keine Monarchie, sonder eine
vermischte
Regierungs Forme, z.E. aus einer
Monarchie und Aristocratie.
Gleichergestalt wenn einige zusammen allein herrschen sollen, so müssen sie ohne
Einwilligung anderer thun können, was sie wollen. Denn in denen Stücken, darein
andere ausser ihnen erst willigen müssen, herrschen sie abermal nicht allein,
sondern diejenigen herrschen mit, so darein willigen müssen. Und solchergestalt
ist es abermal keine Aristocratie, sondern eine vermischte Regierungs-Forme,
z.E. aus einer Aristocratie und Politie. So viel von der uneingeschränckten
Gewalt. |
|
eingeschränkte Gewalt |
Wo aber eine Obrigkeit eine eingeschränckte
Gewalt hat, da darff sie nicht
alles thun, was sie vor gut hält, ohne Einwilligung anderer, und zwar entweder
überhaupt, oder in einigen Stücken. Derowegen sind hier einige
Regeln nöthig,
darnach sie sich zu achten hat. Weil sie nun weiter keine Gewalt hat, als die
sie durch den Vertrag mit den
Unterthanen erhalten, und diesen zu halten
verbunden ist; so ist sie auch verbunden, sich nach derselben Regeln zu achten.
Und solchergestalt sind ihr die Regeln ein
Gesetze, und werden dannenhero auch
die Grund-Gesetze oder Fundamental-Gesetze
eines
Staates genennet. Es ist nun zwar die Obrigkeit von
Natur verbunden, die
Grund-Gesetze eines Staats zu halten, wie aus dem erhellet, was bereits
angeführet worden: allein, da die Obrigkeit so leicht, als die Unterthanen der
natürlichen
Verbindlichkeit nicht jederzeit Raum geben, und gleichwol nöthig,
ist, daß die Grund-Gesetze eines Staats nicht gebrochen werden, woferne die
Regierungs-Forme bestehen soll; so ist ausser der natürlichen
Verbindlichkeit,
noch eine andere nöthig, wo man dergleichen haben kan. |
|
Grundgesetze eines Staates |
Und demnach entstehet die Frage, ob es möglich sey die Obrigkeit zu
verbinden, die
Grund-Gesetze eines
Staates zu halten, oder nicht. Denn wenn es
möglich ist, so ist schon erwiesen, daß es auch nöthig sey, und folgends recht.
Weil man durch einen Eyd
Gott zum Zeugen anruffet, daß man gesonnen sey zu
halten, was man verspricht, und verlanget, daß er es rächen solle, woferne man
nicht halten werde, was man versprochen; so wird auch einer, der da glaubet, daß
ein Gott sey der alles wisse und sehe, auch ihn
bestraffen werde, wenn er
entweder nicht den Sinn hat zu halten, was er verspricht, oder doch ins
künfftige mit Wissen und
Willen seinem Versprechen zu wider handelt, sich den
Eyd abhalten lassen, seinem Versprechen zuwider handeln. |
|
Eid |
Und demnach ist der
Eyd ein
Mittel, wodurch man
Obrigkeiten verbinden kan, über
die Grund-Gesetze eines Staats zu halten. Derowegen, da es möglich ist, sie
auf solche Weise dazu zu verbinden; so muß man in einem Staate, wo Grund-Gesetze
vorhanden sind, dieselben von der Obrigkeit beschwören lassen, wenn sie ihre
Regierung antritt. |
|
Gottesfurcht |
Und hieraus siehet man, wie viel alsdenn daran gelegen, daß die
Obrigkeit
sich vor
Gott fürchtet. Da nun aber die
Furcht Gottes ohne seine Erkennt- |
|
|
{Sp. 252} |
|
|
nis nicht bestehen mag; so muß auch in diesem Falle die Obrigkeit Gott
erkennen, und ihn stets vor Augen haben. Und demnach lieget denen öffentlichen
Lehrern ob, die
Erkänntniß Gottes und was daher rühret, in den öffentlichen
Versammlungen fleißig zu treiben, und Obrigkeiten sind
verbunden diesen
Versammlungen beyzuwohnen. Und weil die Christliche Religion versichert, daß
nach diesen
Leben ein anderes Leben ist, da ein jeder wird Rechenschafft geben
müssen von dem, was er in diesem Leben gethan hat, und darnach empfahen, was
seine
Thaten werth sind, auch die höchste Obrigkeit davon nicht ausgenommen
wird; so
erkennet man die Vortrefflichkeit der Christlichen Religion, und ist
sonderlich in diesem Falle dienlich, wenn auch Obrigkeiten für sie ein Eiffer
und Ernst beygebracht wird. Es erhellet zugleich hieraus überhaupt die
Nothwendigkeit der Religion in solchen
Reichen, wo die Obrigkeiten eine
unumschränckte
Gewalt hat. |
|
Hof-Prediger |
Weil nun aber der
Unterricht von der Religion und die Ermahnung sich
derselben gemäß zu bezeigen, von den öffentlichen Lehrern die Prediger, und in
so weit sie die hohe Landes-Obrigkeit, zu unterrichten und zu ermahnen gesetzet
sind, Hof-Prediger genennet werden, geschehen muß; so
erkennet man ferner
hieraus, wie nöthig es sey, daß Prediger und sonderlich Hof-Prediger in guten
Ansehen bey der hohen Landes-Obrigkeit sind, und sie dannenhero sich in allen so
aufzuführen haben, damit sie ihr Ansehen nicht selbst schwächen oder auf eine
Art und Weise verletzen. |
|
|
Sollte es aber auch gleich geschehen, daß eine
Obrigkeit sich nicht für
Gott
fürchten sollte, so wird doch dadurch der Eyd, damit sie die
Grund-Gesetze des
Staates beschworen hat, deswegen noch nicht krafftloß sondern er behält dennoch
eine Krafft zu verbinden. Nehmlich da aus der
Erfahrung bekannt ist, auch nach
diesem weiter ausgeführet werden soll, daß kein Staat ohne Bündniß mit andern
benachbarten bestehen kan, ja auch überhaupt einem Staate verträglich ist, wenn
er mit dem Benachbarten in guten Vernehmen stehet, und sie sich zu ihm nichts
Widriges versehen; so schadet sich die
Landes-Obrigkeit gar sehr wenn sie den
Eyd nicht hält, den sie bey Antretung ihrer
Regierung geschworen, und wieder die
Grund-Gesetze des Staates handelt. Denn Auswertige erkennen, daß ihr nicht zu
trauen ist, wenn sie gleich etwas versprochen, und werden daher sich nicht gerne
mit ihr in Bündnisse einlassen, noch auch auf die mit ihnen getroffenen
Bündnisse verlassen: vielweniger werden sie vermeynen, für ihnen sicher zu seyn.
Hieraus aber entspinnen sich nach und nach allerhand Feindseligkeiten zu
Schaden
dessen, der dergleichen Mißtrauen wider sich erreget. |
|
|
Zugeschweigen, daß selbst die
Unterthanen der Obrigkeit im Hertzen nicht gut
sind, ob sie es zwar äusserlich aus
Furcht nicht dürffen mercken lassen, und
daher leicht zu innerlicher Unruhe und Empörung wider die Landes-Obrigkeit zu
bringen sind, wenn sie nur einen Anführer bekommen; auch sich ohne vieles
Bedencken zu dem Feinde schlagen, wenn er ins
Land kommet. Wer diese gefährliche
Folgerung einsiehet, wird auch dadurch sich ab- |
|
|
{Sp. 253|S. 140} |
|
|
schrecken lassen, wenn er gleich für
GOtt sich nicht fürchten sollte. Allein
weil hierzu
Vernunfft erfordert wird, nicht aber jederzeit
Landes-Obrigkeiten in einem solchem Grade dieselbe besitzen, als dazu nöthig
ist, oder auch sich durch wiedrige
Affecten hinreissen lassen, wieder die
Grund-Gesetze zu handeln, und
der Vernunfft nicht Gehör zu geben; so kan man in demselben Falle, wo keine
innerliche Vorstellung etwas fruchten, keine andere
Verbindlichkeit als
äusserlichen Zwang gebrauchen: welches nicht anders als durch Einschränckung der
Macht geschehen kan. |
|
|
Weil ferner die
Grund-Gesetze eines
Staats dahin gehen, daß die
Landes-Obrigkeit nicht schlechterdings befehlen darff, noch thun, was ihr
gefället, so wird dadurch auch ihre
Gewalt eingeschräncket, und hat daher bloß
Recht zu thun und zu befehlen was ihnen gemäß ist. Es können aber diese Gesetze
entweder determiniren, was in diesen oder jenen Falle geschehen soll,
oder die Landes-Obrigkeit kan dadurch bloß an andere, (welche man die
Stände zu
nennen pfleget,) gewiesen werden, denenselben vorzutragen, was sie in diesem
oder jenem Falle vor nöthig befindet, und nach diesem zu vollführen, was sie für
gut befinden werden. Damit nun aber die Stände wissen, wenn sie zusammen kommen
sollen, auch zusammen kommen, wenn es geschehen soll; so muß die
Landes-Obrigkeit die Gewalt haben, einen
Land-Tag auszuschreiben. |
|
|
Es können über dieses die
Grund-Gesetze eines
Staates einige
Sachen gar
ausnehmen, darinnen die
Landes-Obrigkeit keine
Gewalt haben soll zu befehlen,
und, wenn darinnen was zu veranstalten ist, es den
Ständen vorbehalten, oder
auch anderen Personen, denen aus besonderen
Ursachen dieses zu besorgen
aufgetragen wird, als wenn man z.E. das Kirchen-Regiment, einer besonderen
geistlichen Obrigkeit übergiebet und von dem
weltlichen absonderet. Weil man
aber nicht vor die lange Weile die Gewalt der Obrigkeit einschräncken soll,
indem alles, was man im
gemeinen Wesen vornimmet, in der gemeinen Wohlfarth und
Sicherheit gegründet seyn muß, so muß solches bloß in solchen Fällen geschehen,
wo man vermuthet, daß sie ihre Gewalt leicht mißbrauchen könnte, das ist,
befehlen, was der gemeinen Wohlfarth und Sicherheit zuwider ist, und
absonderlich in denen Fällen, wo durch den Mißbrauch der Gewalt viel
Schade
geschiehet. |
|
Souveränität |
Eine gantz uneingeschränckte
Gewalt, wird die höchste Gewalt, oder
Souvraineté genennet und, wer diese besitzet, ein Souvrainer Herr,
oder ein Herr über den niemand als
GOtt zu gebieten hat. Derowegen da in der
Monarchie ein
Monarche eine unumschränckte Gewalt hat, so hat ein Monarche die
höchste Gewalt und ist Souvrain. Ingleichen weil in der Aristocratie
diejenigen, welche herrschen, gleichfalls eine unumschränckte Gewalt besitzen,
so haben auch sie die höchste Gewalt und sind Souvrain. |
|
|
Unterdessen da im
gemeinen Wesen doch nichts darff befohlen werden, als was
die gemeine Wohlfarth befördert, und die gemeine Sicherheit erhält, so bleibet
doch auch die höchste Gewalt von der
Natur, folgends von
GOtt eingeschräncket.
Und also haben alle Obrigkeiten auch die Allerhöchsten, das
ist, diejenigen, welche die höchste Gewalt haben, doch |
|
|
{Sp.
254} |
|
|
noch GOtt über sich, nachdem sie sich richten müssen. Derowegen, obgleich
kein
Mensch sie zur
Rede setzen kan, was sie thun und ihr
Wille gelten muß, so
dürffen sie doch nicht schlechterdings thun was sie gelüstet, sondern sie haben
sowohl als diejenigen, welche eine eingeschränckte
Gewalt besitzen, allezeit auf
die gemeine Wohlfarth und Sicherheit zu sehen, wo sie nicht Tyrannen werden
wollen. Ihr Wille ist nicht die
Regel ihrer Handlungen, sondern er hat eine
Regel, darnach er determiniret werden muß, wenn es recht
hergehen soll. |
|
|
Weil man im
gemeinen Wesen die
Unterthanen mit
Straffen verbindet, dasjenige
zu thun, was man
befiehlet, so muß auch die
Obrigkeit, welche
Gewalt hat zu
befehlen, auch Gewalt haben Straffen zu setzen, und da in einigen Fällen auch
selbst
Lebens-Straffen gesetzet werden müssen, so hat die Obrigkeit, welche
Gewalt hat, dergleichen Straffen zu setzen auch zugleich Gewalt über
Leben und
Todt der Unterthanen. Unterdessen siehet man, daß diese Gewalt nicht weiter
gehet, als in so weit es die gemeine Wohlfarth und Sicherheit erfordert, einem
wegen seines Verbrechen am
Leben zu straffen. Keinesweges aber hat die
Obrigkeit, wenn sie auch gleich die höchste Gewalt hat, Gewalt, einen nach ihren
Gefallen umbringen zu lassen, aus was für Absichten es auch immer geschehen mag. |
|
|
Aus dieser Einschränckung der
Gewalt, sowohl als der
Macht (von welcher im
XIX Bande p. 90 der
Artickel:
Macht der Obrigkeit, nachzusehen)
erwächset der hohen Landes-Obrigkeit kein
Nachtheil und kan es ihr
Ansehen
keinesweges verringern. Denn wenn sie
vernünfftig ist, schräncket sie ihre Macht
und Gewalt selbst auf eine solche Weise ein, daß dadurch nicht
nachtheiliges für
die gemeine Wohlfarth und Sicherheit erfolgen kan, und also ist ihr diese
Verfassung in keinen Stück zuwider. |
|
Gott höchster Monarch |
GOTT der höchste
Monarche, der die allerhöchste
Macht und
Gewalt hat,
handelt nicht bloß nach seiner Allmacht, sondern auch nach seiner Weißheit, und
die Weißheit setzet seiner Allmacht freywillig
Schrancken, daß er nicht thun
will, was er nicht für gut befindet, ob er es gleich thun könnte. Wie nun ihm
dieses nicht zum Nachtheile, sondern vielmehr zu seinem grossen Ruhme gereichet,
daß er nicht thut was er kan, sondern was seiner Weißheit gemäß ist; also kan
auch dies keiner hohen Obrigkeit zum Nachtheil gereichen, daß ihre Macht und
Gewalt durch die Weißheit eingeschräncket wird, damit die gemeine Wohlfarth, die
sie eintzig und allein für Augen hat, am wenigsten Gefahr lauffet. |
|
Mitverantwortung der Stände |
Vielmehr ist dieses ein Mittel, ihr
Ansehen bey den
Unterthanen zu erhalten,
indem sie in widrigen Fällen, da sie nicht können geschonet werden, die Schuld
nicht auf sich haben, sondern vielmehr auf denen ruhen lassen, die mit
einwilligen müssen. Z.E. wenn ausserordentliche
Auflagen gemacht werden, sind
insgemein die Unterthanen sehr
empfindlich darüber. Thut es die
Landes-Obrigkeit
allein vor sich, so meinet jedermann, es geschehe ihm zu viel. Hingegen wenn es
auch die Stände gut befunden; so halten es zugleich die Unterthanen insgesammt
für gut, oder, woferne sie es als eine Be- |
|
|
{Sp. 255|S. 141} |
|
|
schwerde ansehen, werffen sie die Schuld mehr auf die Stände, als auf dem
Landes-Herrn, wo die Stände etwas zu
sprechen haben, und nicht bloß zum Scheine
gefraget werden. |
|
Ansehen |
Bey Auswärtigen dependiret das
Ansehen der
Landes-Obrigkeit
nicht davon, ob
ihre Macht und
Gewalt uneingeschräncket ist, oder nicht; sondern vielmehr von
der Grösse der Macht. Wer viel
Geld und Gold zusammen bringen kan, wenn es die
Noth erfordert, der hat das gröste
Ansehen. Nemlich bey Auswärtigen stehen der
Landes-Herr und das
Land zusammen für eines, und ist demnach gleich viel ob
jener alle Macht und Gewalt allein hat, oder ob davon etwas dem Lande zugehöre.
Es stimmet auch die
Erfahrung mit überein. Wer darauf acht hat, wird es finden,
und ist keinesweges nöthig, daß man Exempel anführe. |
|
Notwendigkeit der Einschränkung |
Damit aber dasjenige, was von der Einschränckung der
Macht und
Gewalt der
hohen Obrigkeit beygebracht, nicht unrecht ausgeleget werde; so ist folgendes zu
erinnern nöthig. Es ist hier bloß erwiesen worden, auf wie vielerley Art und
Weise sich die Macht und Gewalt einer
hohen Landes-Obrigkeit einschräncken
lässet, und aus was
Ursachen solches geschehe; keinesweges aber wird behauptet,
daß solches überall geschehen müsse. Denn es ist ja zur Gnüge klar, daß solches
in der Monarchie und Aristocratie nicht angehe. Und die
Erfahrung stimmet auch
mit überein, daß dergleichen Mittel, die hier vorgeschlagen, würcklich beliebet
werden, ob man nicht zwar nicht alles beyeinander in einem
Staate, sondern
einige hier, die anderen dort antreffen. Gleichwie man nun aber in dieser
allgemeinen Betrachtung keine Absicht auf einen gewissen
Staat hat, sondern bloß
überhaupt zu beschreiben hat, was zur
vernünfftigen Beurtheilung aller Staaten
erfordert wird; so hat man auch in diesem Stück solches nicht übergehen können. |
|
|
Ungeachtet aber in einem
gemeinen Wesen die
Macht und
Gewalt der
hohen Obrigkeit eingeschräncket wird; so ist doch diese Macht und Gewalt in Ansehung
des gantzen
gemeinen Wesens unumschräncket. Denn was in einem gemeinen Wesen von
der hohen Obrigkeit, mit Einwilligung derer, welche vermöge der
Regierungs-Form
darein zu willigen haben, und mit ihr zusammen das gantze gemeine Wesen
vorstellen, beschlossen wird, darwider hat niemand auf
Erden
Recht etwas zu
sagen und niemand hat Recht zu verhindern, daß es nicht geschehe, wenn er es
nicht als eine Beleidigung seiner anzusehen hat. |
|
|
Nemlich jedes
gemeines Wesen hat seine
Macht und
Gewalt vor sich, und kein
auswärtiger hat etwas darein zu sagen, wenn ihm nicht durch dessen Gebrauch zu
nahe getreten wird. Denn ein gantzes gemeines Wesen wird wie eine
Person
angesehen, und viele verhalten sich gegen einander wie verschiedene einzelne
Personen. Gleichwie nun ein jeder
Mensch eine unumschränckte Gewalt und Macht
hat, sein Bestes zu befördern, und ihm niemand sich zu widersetzen
Recht hat,
als wenn er seine Macht, ihm zu schaden mißbrauchen will: eben so hat ein jedes
gemeines Wesen seine Macht und Gewalt, das
gemeine Beste zu befördern, gantz
unumschränckt, und kan |
|
|
{Sp. 256} |
|
|
niemand anders mit Recht sich dagen auflegen, so lange er nicht
Schaden
abzuwenden
verbunden ist. |
Wolff von dem Gesellschafftlichen Leben der Menschen § 443
u.ff. |
|
|
|