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Grund des Naturrechts |
Es ist der sogenannte
Grund des Natur-Rechts nichts anders |
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{Sp. 1217|S. 626} |
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als das allgemeine natürliche Gesetz; weil aber die
Gesetze als Mittel der
Göttlichen Absicht anzusehen, so haben andere vermeynet, man müsse in dem
Principio nicht sowol den Göttlichen
Endzweck, als vielmehr das allgemeine
Göttliche Mittel angeben. |
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gesellschaftlich leben |
Intendirte aber
GOtt die menschliche Glückseligkeit, und die Glückseligkeit
vieler gienge dem Wohlseyn einer einzelen
Person für, so müste die
Vernunfft ein
solches
Gesetz an die Hand geben, welches als ein Mittel zu dieser Absicht
diente, so nach dieser
Meynung: Man soll
gesellschafftlich leben, (socialiter
est vivendum,) heisen soll. |
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Es ist wohl kein
Principium, worüber mehr Streitigkeiten entstanden sind,
als eben dieses, die aus verschiedenen
Grund herkommen, nachdem selbige sich so
wohl, und zwar am meisten zu den Zeiten
Pufendorfs, als auch
nach dem ereignet haben. Im Anfang war man mit hefftigen
Affecten wieder
Pufendorfen eingenommen, und man dachte, es könte kein schlimmer und
schädlicher Principium, als dieses ausgedacht werden; wie sich aber der Lermen ein wenig geleget, und vernünfftige Leute untersuchten die
Sache ohne Paßion, so
erkannte man wohl durchgehend, daß der Satz wahr, nur haben ihn verschiedene vor
unzulänglich gehalten. |
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Kulpisius in Colleg. Grotian exerc. 1. §. 7. p.
11. erinnert, es hätten diese
Meynung schon |
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- Aristoteles in
seinen politischen Büchern,
- Cicero de officiis,
- und
von denen Kirchen-Lehrern
- Augustinus doct. christ. lib.
3. cap. 14.
- und Ambrosius de offic. lib. 1.
cap. 8.
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gehabt, die man auch den Stoicis beyleget, wie denn
Kuhnius eine
Disputation de stoicorum socialitate philosophica,
zu Straßburg 1700 gehalten. |
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Doch aus dem, was in den alten
Schrifften zerstreuet anzutreffen, läßt
sich nichts gewisses
sagen. Denn wenn sie gleich das gesellige Leben und das
vernünfftige Verhalten in einer
Gesellschafft angepriesen, so wird man doch
nicht ausdrücklich finden, daß sie die
Geselligkeit zum
Grund des natürlichen
Rechts geleget, an dessen systematische Einrichtung sie wohl wenig gedacht
haben. |
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Unter den neuern ist Grotius darauf gefallen, wiewol er
dessen in den besondern
Materien gar selten gedencket, worauf
Pufendorf
solches bisher untersuchet, und auf festern Fuß zu setzen, sich bemühet. Denn
obschon Grotius das natürliche Recht in der Natur des
Menschen
selbst, und in der allgemeinen friedlichen
Gesellschafft suchte, so wolte er es
doch mit denen Scholasticis und dem menschlichen
Ansehen nicht so fort auf
einmal verderben, sondern bedunge sich bald anfangs, daß er zuweilen auch der
Ubereinstimmung und Beyfalls der alten heydnischen
Philosophen in Herleitung der
Lehren des
Rechts sich bedienen wolte. |
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Diejenigen, welche das
Principium: Man solle Gesellschafftlich
leben, angenommen haben, sind |
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Pufendorf de officio hom. et
civis lib. 1. cap. 3. §. 9. und 13. und de jure nat. et gent.
lib. 2. cap. 3.
- Thomasius in jurisprud. divin.
- Ludovici in delineat. hist. jur. nat.
- Weber
in not. ad Pufend. und Dissertatione de lege naturali.
- Sibrandus in Dissertatione de princip. juris nat.
- Kulpisius in Collegio Grotiano.
{Sp. 1218}
Hochstetter in Colleg. Pufend.
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nebst einigen
andern. |
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Doch sind ihrer sehr viel, welche dasselbige nicht billigen wollen, und
entweder
Pufendorfen widerleget, oder doch andere
Principia
erwehlet, wie aus denen, was wir bisher angeführet, zu ersehen, welches wieder
auf unterschiedliche Art geschehen. |
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Erklärung dieses Prinzips |
Ehe wir aber die vornehmsten Einwürffe berühren, so müssen wir uns den
Verstand dieses
Principii recht bekannt machen. Es wird damit nicht
schlechterdings angezeiget, daß der
Mensch nur
verbunden sey, in der
Gesellschafft zu leben, indem Gesellschafft (Societas) und die
Geselligkeit (Socialitas) allerdings unterschieden, wenn gleich das
letztere das erstere voraus setzet; massen jenes die Gesellschafft selbst;
dieses aber die Geflissenheit ist, alles dasjenige zu thun, wodurch die
äusserliche Ruhe zu erhalten, und zu unterlassen was dieselbe stöhret, damit die
Menschen glücklich leben mögen, folglich soll die
Socialität nach der
Göttlichen
Intention ein Mittel zu der menschlichen Glückseligkeit seyn, so
versteht sichs,
daß man in einer solchen Gesellschafft leben müsse, die seinem
Willen gemäß, und
der Endzweck kan erhalten werden, womit der wider
Pufendorfen
gemachte Einwurff wegfällt, als hätte er mit seinem
Principio auch die Mörder
und See-Räuber unter einander, und andere gegen sie zur Socialität angewiesen. |
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Es müssen alle
vernünfftige Leute, die nur das geringste Nachdencken haben,
zugeben, daß dieses ein wahres
Principium des natürlichen Rechts. Denn der
Grund
davon liegt in der
menschlichen
Natur, bey der
wir sonderlich drey hieher gehörige Umstände antreffen, als |
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- das
Vermögen zu
reden, welches der
Mensch weder
in Ansehung
GOttes, noch sein selbst brauchet, weil GOtt vermöge seiner
Allwissenheit schon unsere
Gedancken und
Begierden ohne einer äusserlichen
Rede
wissen kan; und ein ieglicher selbst sich dessen, was in seiner
Seelen vorgehet,
bewust ist;
- denn der von Natur eingepflantzte Trieb zur Gesellschafft, weswegen
Aristoteles den Menschen recht ein Animal
politicum
genennet,
- und diejenige Beschaffenheit
unsers
Verstands, daß er zur
Erkänntniß
so vieler
Wahrheiten, davon wir die wenigsten in der Einsamkeit ausser der
Gesellschafft brauchen,
geschickt ist.
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Thut man
GOTT in Ansehung seiner Weisheit nichts vergebens, es beziehen sich
aber alle diese drey Umstände auf andere
Menschen, daß sie als Mittel anzusehen
sind, wodurch der Mensch zur
Gesellschafft soll angetrieben, und zur
Unterhaltung derselben
geschickt gemacht werden, so folget er daraus, daß GOtt
die Gesellschafft zur Glückseligkeit der Menschen intendiret, zumal solche ohne
Hülffe anderer Menschen nicht kan erlangt werden, es sey denn, daß GOTT Wunder
thun wolte, davon die
Vernunfft nichts weiß, ja vielmehr wahrscheinlich das
Gegentheil schlüsset. |
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Einwendungen |
Allein man hat wider das
Principium eingewendet, es sey nicht der erste
Grund-Satz, weil man die
Geselligkeit als eine Folgerung anzusehen, die man
darum nicht beleidigen müste, weil der
Natur hier durch
Schaden zugefüget würde.
Wäre man hievon nicht gewiß, sondern glaubte, daß man das |
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{Sp. 1219|S. 627} |
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Recht habe, seine
und des andern Natur zu zerstöhren, so falle auch die
Geselligkeit weg, zu geschweigen, daß keiner selbige zu beobachten
schlechterdings
verbunden, sondern nur soweit sie ehrbar,
vernünfftig und
zugelassen sey, indem auch sonst Räuber und Diebe zu ihrer
Gesellschafft und
Erhaltung derselben verbunden seyn würden; welche Geselligkeit nun, und wie weit
dieselbe zu erhalten sey, solches müsse man aus der gesunden Vernunfft und
gewissen Demonstrationen wissen. |
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Doch der Haupt-Einwurff beruhet darinnen, daß dieses
Principium nicht
adäquat sey, und begreiffe weniger, als es seyn solte, unter sich, massen die
Pflichten gegen
GOTT und gegen sich selbst nicht daraus flössen, welches auch
Pufendorff wohl sahe, und dahero in seinem
Werck de jure
nat. et gent. die Pflichten gegen GOTT bey Seite satzte, auch lib.
2. cap. 3. §. 13. anzeigte, daß sein Principium nur zum
Grund bey den
Handlungen gegen andere
Menschen
liegen solte; nach dem man ihm aber schuld gab, er hielte von den Pflichten
gegen GOTT nicht viel, so satzte er sie in seinem
Buch de offic. hom et civ. hinzu, und gab für, sie flössen aus der
Geselligkeit, aber auch hier fehlt es an neuen Einwürffen nicht. |
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Denn man wendete ein: sollen die
Pflichten gegen GOTT aus der
Geselligkeit
fliessen, so müste folgen, daß dieselben in der Collision der
Socialität
nachzusetzen, weil sie nemlich alsdenn der
Grund von ihnen wären, weßwegen
solches zu thun, und zu unterlassen, wenn aber der Grund des
Gesetzes mit dem
Gesetz streite, so müsse das Gesetz weichen. |
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Es würde dergestalt ferner folgen, daß, wenn der
Fürst etwas beföhle, davon
GOTT das Gegentheil verlange, man den Göttlichen
Befehl übertreten, und hingegen
das Fürstliche Gebot weit vorziehen müste, wie nicht weniger, daß man ehe GOTT
und alles verleugnen solte, ehe man der
Geselligkeit
etwas zu nahe thäte. |
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In Ansehung der
Pflichten gegen sich wendet man ein, daß, wenn auch die
Socialität
der
Grund von diesen seyn solte, viele ungereimte Folgerungen daher
kämen, es könte sich der
Mensch um das
Leben bringen, im Fall er der
Republick
nichts mehr nutze; man dürffte sich bey einem gewaltsamen Anfall eines, der der
Republick nützlicher, nicht vertheidigen; im Fall der Mensch ausser der
Gesellschafft sich befände, so habe er keine
Pflichten gegen sich zu beobachten,
und wenn man vorgiebt, es könne der Mensch keine Pflichten gegen sich auf sich
haben, weil er sich nicht selbst könte
verbunden seyn, so antwortet man darauf,
es sey freylich der Mensch nicht sich selbst, sondern seinem Gesetzgeber
verbunden, in Ansehung dessen diese Verrichtungen gegen sich selbst Pflichten
wären. |
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Ja es stünde dahin, ob man auch von allen
Pflichten gegen andere aus diesem
Grund die hinlänglichen
Ursachen leiten könte, und selbige nicht bisweilen noch
gründlicher und deutlicher aus andern Umständen der
menschlichen
Natur her zu
führen, wovon mit mehrern Schwartzs disquist. 2.
probl. jur. nat. et gent. probl. 1. wo er |
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{Sp. 1220} |
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auch pag. 2. die hieher gehörigen
Scribenten anführet, zu lesen
ist. |
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abweichende Befürworter |
Es sind die berührten Einwürffe wegen der
Pflichten gegen
GOtt und gegen
sich selbst so beschaffen, daß sie nicht wol anders zu heben, als daß man unter
das natürliche Recht nur die Pflichten gegen andere fasset: die Pflichten aber
gegen GOTT und gegen sich selbst in andere Disciplinen verweiset, welches auch
viele neuere gethan, die in der That
Pufendorffs
Principium
angenommen, und nur in den
Worten von ihm abweichen, als |
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1) |
pacem externam ante omnia sectare, ubi haberi potest, ne prorsus
ad vitam cum aliis traducendam, virtutemque acquirendam inutilis fias,
das ist, man soll vor allen sich des äusserlichen
Friedens
angelegen seyn lassen, wenn man seiner teilhafftig werden kan, damit man
nicht gantz ungeschickt werde mit andern zu leben, und die Tugend zu
erlangen, welches das
Principium des Herrn Gundlings in
via ad verit. part. 3. cap. 2. §. 18. |
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2) |
omne illud, quod pacem externam humani generis necessario
impedit, illud evitandum, das ist, alles das ist zu vermeiden, was
den äusserlichen Frieden des menschlichen
Geschlechts nothwendig
verhindert, so der Grund-Satz des Herrn Gerhards in
delin. jur. nat. lib. 1. cap. 9. §. 19. ist. |
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3) |
quilibet ex voluntate Dei in societate humana alteri obligatur,
ad ea facienda, quae tranquilitatem et pacem inter homines necessario
conservant, et ad contraria vitanda, das ist, ein ieder ist nach
dem
Willen GOTTes in der
menschlichen
Gesellschafft gegen den andern
verpflichtet, das zu thun, was die Ruhe und den
Frieden unter den
Menschen nothwendig erhält, und das Gegentheil zu vermeiden. Dieses ist
der Grund-Satz des Herrn Böhmers in introd. in jus
publ. univers. §. 37. |
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4) |
Man soll alles dasjenige, was zur Erhaltung friedlicher
Gesellschafft unter den Menschen nothwendig erfordert wird, thun; und
hingegen alles, was selbige verunruhiget oder gar aufhebet, lassen; des
Herrn Gentzkens in der Anleitung glückselig zu leben,
cap. 2.§ 2. |
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5) |
quicquid ad tranquillitatem generis humani necessarium est,
illud jure naturae praecipitur, und quicquid hanc unionem
dissolvit, illud jure naturae prohibetur, das ist, was nur zur Ruhe
des
menschlichen
Geschlechts nöthig ist, das ist nach dem Rechte der
Natur geboten, und was diese Einigkeit aufhebet, das ist nach dem Rechte
der Natur verboten; dieser ist der Grund-Satz des Herrn Georg
Bayers in delineat. jur. divin. cap. 9. §. 22. u.ff. |
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6) |
omne, quod pacem externam societatis humanae necessario et
directe turbat atque impedit, illud est vitandum, das ist, alles,
was den äusserlichen
Frieden der
menschlichen
Gesellschafft nothwendig
und directe stöhret und hindert, das ist zu vermeiden; so ein
Satz des Herrn Schwartzens in disquis. 1.
prob. jur. nat. et gent. |
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wohin man auch
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7) |
den Grund-Satz des Herrn Thomasii: was du willst,
dass die Leute nicht thun sollen, das thue ihnen auch nicht, rechnen
kan, wiewol der Schwartz in der angeführten
Schrifft
pag. 13. verschiedenes dagegen erinnert. |
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Pufendorffs Prinzip |
Alle diese
Principia lauffen
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{Sp. 1221|S. 628} |
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auf das Pufendorffische: Man soll gesellschafftlich leben, hinaus, und man hat
nur, weil das
Wort: Gesellschafftlich (socialiter)
etwas dunckel seyn dürffte, die
Sache deutlicher ausdrücken wollen; in der
Abhandlung aber selbst der besondern
Materien gehen sie einiger massen von ihm
ab.
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Denn sie suchen daher die
Pflichten gegen
GOTT und gegen sich selbst nicht
Folgerungs-weise zu leiten, sondern nehmen das natürliche Recht in engerm
Verstande, daß dahin nur die nothwendigen Pflichten gegen andere gehören, die
Pflichten aber gegen GOTT verweisen sie in die Theologie; gegen sich selbst in
die Ethick, und des Wohlstandes, wenn man andern Gefälligkeit erweiset, in die
Politick.
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Wenn die Sache bloß auf die
Ordnung ankommt, wo man von dieser oder iener
Materie am
bequemsten handeln kan, ohne daß in den Wahrheiten selbst etwas
geändert wird, und man die
Pflichten gegen GOTT und gegen sich für eigentliche
Pflichten, die aus dem natürlichen Gesetz entspringen, gelten lässet, so ist an
diesem Unterscheid nicht viel gelegen, und die
Sache kommt auf eins hinaus.
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Noch einen anderen Weg hat hierinnen Rüdiger in Instit.
erud. pag. 447. edit. 3. indem er zwar
Socialität zum
Grund
setzet, daraus aber zweyerley
Pflichten der
Nothwendigkeit und
Bequemlichkeit
folgert, auch die Lehre von der Tugend zu dem natürlichen Recht rechnet. Die
Pflichten gegen sich nennet er Pflichten gegen andere, welche gegen sie
indirecte beobachtet würden, und die Pflichten gegen
GOTT siehet er für ein
Stück der Theologie an.
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Liebe gegen den Nächsten |
Es gehören auch diejenigen hieher, welche die
Liebe gegen den Nächsten zum
Grund
setzen. Richard Cumberland war dem Hobbesio
entgegen, und weil dieser das natürliche Recht aus der
Furcht gegen einander und
iedermans Krieg wieder iemanden herleiten wolte, so ergrieff er in
Disquisit. philos. de legibus not. cap. 1. §. 4. den Gegen-Satz, und
sagte,
die Liebe und Wohlgewogenheit gegen einander sey der Grund-Satz des natürlichen
Rechts.
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Eben dahin gehen die
Gedancken des Herrn Müllers über
Gracians Orac. Max. 54. pag. 405. Cent. 1.
daß die Liebe gegen den Nächsten, als uns selbst, das
Principium des natürlichen
Gesetzes sey. Denn da vermöge der generalesten
Grund-Regeln der natürlichen
Sitten-Lehre wir
GOTT zu gehorchen, das ist, unsern
Willen mit seinem durch die
Vernunfft
erkannten
Willen zu conformiren schuldig; so folge, daß auch die
Liebe, die wir unserm Nächsten schuldig, dem
Willen GOTTes gemäß seyn müsse.
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Nun
erkenne die Vernunfft aus dem
Wesen der besondern Vorsehung
GOTTes, die er
durchgehends vor das gantze menschliche
Geschlecht habe, daß er alle
Menschen
gleich durch, und meinen Nächsten sowol, als mich liebe, und in der
Gesellschafft erhalten wissen wolle. Also, da unser Wille und unsere Liebe, wenn
sie
vernünfftig seyn soll, den Willen GOTTES zur Richtschnur haben
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{Sp. 1222} |
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müsse, so sey der Vernunfft und natürlichen
Billigkeit gemäß, daß wir unsern
Nächsten lieben als uns selbst, und also einen solchen Grad mutueller Zuneigung
gegen einander hegen, daß einer des andern Wohlergehen, als sein eigenes sich
anbefohlen seyn lasse. |
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Eben dieses sey auch leicht folgender
Gestalt zu erweisen: Diejenige Liebe, die
ich meinem Nächsten zu erweisen schuldig sey, die sey er auch mir zu erweisen
verpflichtet, und also eine iede Schuldigkeit, die ich ihm, in
Krafft meiner
Liebe gegen ihn, erweisen solle, die müsse er hinwiederum in Regard seiner Liebe
gegen mich auch prätendiren
zu können, berechtiget seyn. |
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Dahero dependirten auf einer Seiten die
Pflichten, die ich meinem Nächsten
erweisen solle, und auf der andern Seiten die Befugniß oder das
Recht, solche
Pflichten von mir zu fordern, auf einerley
Grund, nemlich auf der mutuellen
Liebe der Menschen gegen einander. Es hat schon Benedictus Winckler,
welcher noch vor dem Grotio de principiis justi
geschrieben, gelehret, was die wahre und aufrichtige Liebe gegen
GOTT und
den Menschen
befiehlet, das ist Rechtens der Natur, und Hugo de Roy
de eo quod justum est lib. 1. tit. 3. §. 5.
sagt
gleichfalls, es gründe sich das Gesetz der Natur darauf, daß man GOTT liebe, und
seinen Nächsten als sich selbst, wiewol diese zugleich die Pflichten gegen GOTT
und gegen sich selbst zum natürlichen Recht rechnen. |
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Drei Prinzipien |
So haben auch verschiedene dafür gehalten, man gäbe sich vergebene Mühe, wenn
man ein einiges
Principium suchen wolte, und da man dreyerley
Pflichten im
natürlichen Recht hätte, so müste man auch nach diesem dreyfachen Objecto drey
Principia setzen, wie der Herr Doctor Buddeus in Element.
philos. pract. part. 2. cap. 4. Sect. 1 welcher diese
drey
Grund-Regeln:
ehre
GOTT, lebe mäßig und gesellschafftlich (DEUM cole,
temperanter vive, socialiter vive) hat. |
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Im Jahr 1697 wurde unter ihm eine Disputation de primo juris naturae
principio gehalten, darinnen man die ordentliche
Liebe seiner eigenen
Glückseligkeit zum
Grunde dieses Rechts machte. Auf gleiche Art nehmen
Pagenstecher in Syllog. dissertation. diss. 1. pag.
30. und Becman polit. parall. cap. 2. §. 11. die Liebe
gegen GOTT, gegen sich selbst und gegen andere, als
Principia an. |
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Einwendungen dagegen |
Es haben einige diesen Einwurff dagegen gemacht: Diese drey Principia sind
entweder einander entgegen gesetzet, und also
muß eins davon
falsch seyn, oder
subordiniret, und muß daher ein ersteres da seyn, das die andern unter sich
begreifft. Wie nun das erstere falsch, daß diese drey
Regeln einander entgegen
gesetzt seyn solten, also haben einige in Ansehung des letztern vermeynet, sie
stünden unter dem allgemeinen
moralischen Grund-Satz: man müsse
GOtt gehorchen,
oder damit man dem natürlichen Recht näher komme: man müsse der
menschlichen
Natur gemäß leben. |
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