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Zedler: Seele [3] HIS-Data
5028-36-1051-4-03
Titel: Seele [3]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 36 Sp. 1066
Jahr: 1743
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 36 S. 546
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Übersicht
Beschaffenheit der Seele (Forts.)
  Historie dieser Lehre (Forts.)
 
  ältere Zeiten (Forts.)
 
  Heiden (Forts.)
 
  Griechen
 
  Plato
  Aristoteles
  Stoiker
  Kirchenlehrer
  Mittelalter
  Neuzeit
 
  Platoniker
  Aristoteliker

Stichworte Text   Quellenangaben
Griechen Bey den Griechischen Philosophen trifft man auch vielerlei Meynungen von dieser Sache an. Unter den Alten hat schon Aristoteles in dem ersten Buch seines Werckes de anima die Gedancken verschiedener Philosophen von der Seele untersuchet, und sonderlich in dem andern Capitel desselbigen angeführet,  
 
  • wie Democritus, die Pythagoräer und Anaxagoras dafür gehalten, die Natur der Seelen käme auf die Bewegung an;
  • nach der Meynung des Empedocles und des Plato aber auf die Erkenntniß, oder nach anderer auf beyde zugleich;
  • oder daß sie eine Sache sey, die sich bewege, welches Thales gelehret;
  • oder sie sey was luftiges, nach dem Diogenes,
  • anderer zu geschweigen,
davon man auch bey dem Plutarch de placitis philosophor. lib. 4. cap. 2. 3. Nachricht findet.
  Doch es wird nöthig seyn, die Sache etwas genauer und ordentlicher vorzutragen. Rechnet man den Pythagoras hierher, so berichtete Theodorus de curat. graecor. adfect. lib. 5. p. 516. daß er die Seele vor ein Stück des göttlichen Wesens gehalten; nun aber kommt es darauf an, wie er sich GOtt vorgestellet habe. Cicero de natura deorum lib. 1. cap. 11. giebt uns darinnen deutliche Nachricht, wenn er schreibet: Nam Pythagoras, qui censuit, animum esse per naturam rerum omnem intentum et commeantem, ex quo nostri animi carperentur, non vidit, distractione humanorum animorum discerni et lacerari deum.  
  Eine deutliche Stelle findet man auch bey dem Minucius Felix in Octavio cap. 19, welcher saget: Pythagorae deus est animus,  
  {Sp. 1067|S. 547}  
  per universam rerum naturam commeans et intentus: ex quo etiam animalium vita capiatur, und bey dem Lactantius institut. divin. lib. 1. cap. 5 heißt es: Pythagoras ita definivit, quid esset deus: animus, qui per universas mundi partes omnemque naturam commeans et diffusus, ex quo omnia, quae nascuntur, animalia vitam capiunt; Aus diesen siehet man so viel, das Pythagoras durch GOtt nichts anders, als die Seele der Welt, oder den Welt-Geist verstanden habe, da nun die Seele ein Stück des göttlichen Wesens sey, so war dieses so viel, daß die Seele ein Theil von dem Welt-Geist wäre.  
  Dieses läst sich einiger massen dadurch bekräfftigen, was man bey dem Diogenes Laertius lib. 8. segm. 28 findet. Denn er meldet, daß er die Seele genennet habe [zwey Wörter Griechisch], avulsionem aetheris, auf welche Weise Gassendus in physic. Sect. 3. membr. postr. libr. 3. cap. 1. tom. 2 opp. p. 239 die Sache also zusammen nimmt und erkläret: Pythagoras habe sich eingebildet, daß die Seele der Welt sich zwar über alle erstrecke; ihr vornehmster Sitz aber sey die Sonne, von deren Strahlen, die sie auf den Erdboden werffe, die besondere Seelen der Cörper entstünden, daß also nach seiner Meynung die Sonnen-Strahlen die Seelen ausmachten, die in einer ätherischen Substantz bestünden, womit auch Marsilius Ficinus de immortalitate animae lib. 18 cap. 8. pag. 397 überein stimmet.  
  Wenn er dergleichen würcklich statuiret, so kan man ihn von einem solchen Irrthum, der mit dem Spinozismo verknüpft ist, nicht gäntzlich frey sprechen; nur gieng er darinnen ab, daß er GOtt und die Materie von einander unterschieden hat. Buddeus in thesibus de atheismo et superstitione lib. 1. §. 19.
  Die Beschaffenheit der Seelen hat Pythagoras durch die Zahl vorstellen wollen, und wie man aus dem Nemesius de natur. hom. cap. 2 pag. 574 siehet, gemeynet, sie wäre eine Zahl, die sich selber bewege, welches man unter seine andere dunckele Lehr-Sätze, die man nicht gleich errathen kan, zu rechnen hat. Von der Wanderung der Seelen aus einem Cörper in den andern, welche insonderheit Pythagoras behauptet, wird unten zu reden Gelegenheit vorkommen.  
  Es werden hier jetzo vielmehr die Haupt-Secten der Philosophen, welche in Griechenland berühmt gewesen, in Ansehung dessen, was sie von der Seele gelehret, zu betrachten seyn.  
Plato In der Schule des Plato lehrte man, die Seele sey ein Stück des göttlichen Wesens. Macrobius in Somn. Scipion. lib. 1. cap. 6 giebt uns darinnen ein grosses Licht, wenn er anführet, daß Plato drey Hypostases statuiret, und ihre Nahmen so ausdrucket, daß die erste wäre Deus summus, der höchste GOtt; die andere mens ex Deo nata, der Verstand, der aus GOtt gebohren, und der dritte mundi anima, quae animarum omnium fons sit, die Seele der Welt, welcher der Brunnquell aller andern Seelen wäre. In diesem Verstande kan man wohl sagen, daß nach des Plato Meynung die menschliche Seele als ein Theilgen des göttlichen Wesens anzusehen sey, welches auch seinen andern Principiis gemäß ist.
  • Jacob Thomasius Dissert. 21. ad exercitat. de Stoica mundi exustione pag. 249.
  • Michael Gottlieb
  {Sp. 1068}  
    Hansch de enthusiasmo Platonico.
  Doch siehet man auch aus dem Cicero Tusculan. quaest. lib. 1. cap. 10. daß er dem Menschen eine dreyfache Seele beygeleget, als animum logikon, dymikon und epithymētikon, dessen Worte also lauten: Plato triplicem finxit animam: cujus principatum, id est, rationem, in capite, sicut in arce posuit: et duas partes separare voluit iram et cupiditatem subter praecordia locavit, wiewohl er bisweilen nur einer zweyfachen Seele gedacht, davon die eine vernünftig, die andere aber wild und unbändig wegen ihrer Begierde und ihres Zorns sey, welches auch Cicero de divinat. lib. 1. cap. 29. bezeuget.  
  Von seinen Nachfolgern hat Plotinus unter seinen andern Büchern auch eines peri ousias psychēs, ingleichen peri psychēs athanasias verfertiget, darinnen er dem Plato folget, wie er denn ennead. 4. lib. 7. cap. 10. die Seele ausdrücklich vor was göttliches ausgiebet. Durch diese Meynung wurde der Grund zu dem Enthusiasmo und vielen andern Irrthümern geleget.  
Aristoteles Aristoteles hat drey Bücher von der Seele geschrieben, davon das erste die Gedancken anderer Philosophen von dem Wesen der Seelen erzehlet und untersuchet; das andere von der sinnlichen; und das dritte von der vernünftigen Seelen handelt. Wenn er auf die Haupt-Sache kommt: was die Seele sey? so saget er lib. 2. cap. 1. [zwey Zeilen griechischer Text]. Was das Wort entelechia bedeute, davon siehe diesen Artickel im VIII Bande, p. 1266 u.f. wo auch angemercket worden, daß wenn Aristoteles gesaget, die Seele sey prōtē entelecheia, er hat nichts anders habe andeuten wollen, als daß sie eine würckende Krafft sey, von welcher die Würckungen der belebten Cörper dependirten.  
  Diese Definition ist so abstract und metaphysisch abgefasset, daß man damit auskommen kan, man mag die Seele ansehen, wofür man sie will: man mag sie für eine Substantz oder Accidens; vor cörperlich, oder uncörperlich halten. Auf solche Art lässt sich allen Cörpern, die ihre Organa haben, dergleichen Seelen beylegen; da man hingegen diese Erklärung von den so genannten Spiritibus completis, die mit keinen Leibern umgeben sind, nicht sagen kan, welches auch die Absicht des Aristoteles gewesen, in dem er in dem angeführten Ort de anima lib. 2. cap. 1. ausdrücklich saget: daß diejenigen die Wahrheit träffen, welche meynten, daß die Seele weder ohne einen Cörper; noch ein Cörper ohne die Seele sey, welches grundfalsch. Denn daß die Seele nicht nothwendig mit einem Leibe dürffe verknüpffet seyn, erhellet ja aus ihrer Unsterblichkeit.  
  Nach solcher Definition dürfte nun scheinen, als hätte Aristoteles den Menschen aller Vernunft beraubet, wenn die Seele weiter nichts, als eine bewegende Krafft seyn soll; aber eben deswegen hat er einen Unterscheid inter mentem et animam gemacht, und gesagt das der Mensch vernünftig sey, solches käme von dem mente her. Dieses alles hätte paßieren können, wenn er nur eine vernünftige Vorstellung von dem mente gemacht hätte, daß dabey seine Beschreibung von der anima hätte bestehen können. Allein, da er  
  {Sp. 1069|S. 548}  
  sagte, daß mens eine von der anima unterschiedene Substantz sey, welche unsterblich wäre, gleichwie die anima sterblich sey; ingleichen daß die anima bey dem Menschen selbst sey; mens hingegen von aussen in demselbigen würcke; und der intellectus agens sey, so hat er eben damit noch deutlicher angezeiget, daß er den Menschen keine andere Seele, als die in einer Bewegungs-Krafft bestünde, beygeleget, welche Materie von dem intellectu agente des Aristoteles in dem Artickel Verstand weiter untersuchet werden soll.  
  Unter seinen Nachfolgern hat Alexander Aphrodisiensis zwey Bücher peri psychēs geschrieben, worinnen er eben auf die Art, wie Aristoteles, von der Sache philosophiret. Ponticus Heraclides soll sich eingebildet haben, daß das Licht ein Geist oder eine Seele sey, wie Tertullian de anima p. 311. bezeuget, und Aristoxenus, weil er ein Musicus gewesen, soll die Seele als eine Harmonie vorgestellet haben. S. Cicero in quaest. Tuscul. lib. 1. c. 10.
  Von dem Dicäarch aber ist oben angemercket worden, daß er gesagt, die Seele sei ein leeres Wort.  
Stoiker Die Stoicker sahen die Seele auch als ein Stück des Göttlichen Wesens an. Seneca epist. 92. sagt: animus deos aequat: illo tendit originis suae memor. Nemo improbe eo conatur adscendere, unde descenderat: quid est autem, cur non existimes, in eo divini aliquid existere, qui pars est? totum hoc, quo continemur, et unum est et Deus: et socii ejus sumus et membra. Dergleichen Zeugnisse Justus Lipsius in physiolog. Stoic. lib. 3. Dissert. 8. noch mehrere zusammen gelesen hat.
  Darinnen waren sie mit den Platonickern einig, daß die menschliche Seele ein Theilgen des Göttlichen Wesens sey; doch war auch zwischen ihnen ein grosser Unterscheid, was nehmlich das Göttliche Wesen betrifft. Denn da Plato drey Hypostases, den obersten GOtt, den Verstand, und die Seele der Welt, statuirte so hielt er die Seelen vor Stücke der Seele der Welt. Nun behaupten die Stoicker auch eine Seele der Welt; sie hielten aber nicht nur den höchsten GOtt dafür; sondern verknüpften ihn auch durch ein nothwendiges und unauflösliches Band mit der Materie, worinnen sie von dem Aristoteles abgehen. Denn da Aristoteles GOtt nur für die formam assistentem der Welt hielt; so statuirten die Stoicker, er sei forma informans, die mit ihrem Wesen die gantze Welt durchdringe, und auf das innerste mit ihr vereiniget wäre.  
  Man findet auch, daß die Stoicker den Menschen bisweilen drey Theile beylegen, und einen Unterscheid unter der Seele und dem Gemüth machen, in dem unter andern M. Antoninus lib. 12. §. 3. sagt: [ein Satz Griechisch]. es sind drey Stücke, daraus du bestehest, der Leib, die Seele und das Gemüthe; man kan aber nicht sagen, wie sie eigentlich die Seele und das Gemüth von einander unterschieden haben. Es ist auch nichts seltsames, daß die Stoische Philosophie von einer Sache Dinge, die einander widersprechen, lehret, und man hat dabey selber nicht gewusst, wie sie zusammenhängen sollen.  
  Epicur, und die andern, als Leucippus, Democritus, lassen nichts, als die Materie und einen leeren Raum zu, und deswe-  
  {Sp. 1070}  
  gen musten sie eine materielle Seele statuiren. Wie sie dafür hielten, daß alles aus den Atomis entstanden sey; also meynten sie auch, daß die Seele aus solchen kleinsten und subtilesten Theilgen bestehe.  
Fazit: Griechen So sah es in den vier Haupt-Schulen in Griechenland mit dem Wesen der Seele aus, dabey man nichts, als gefährliche, irrige und ungereimte Lehr-Sätze antrifft, welche Gelegenheit zu vielen andern Irrthümern gegeben. Denn man bedencke, wenn man die Seele vor ein Stück des Göttlichen Wesens halten will, was vor ungereimte Folgerungen daher kommen müssen. Es muß folgen, daß das Göttliche Wesen in so viel Theile getheilet werde, welches was unvernünftiges ist, und das Göttliche Wesen gantz aufhebet. Wäre unsere Seele ein Stück des Göttlichen Wesens, so müste sie Göttliche Eigenschafften an sich haben.  
  Der Ursprung dieser Lehre ist folgender. Man statuirte zwey gleich ewige Principien, GOtt und die Materie, weil man sich einbildete, daß aus nichts nichts werden könte. Indem man nun den Ursprung nicht aus der Materie herführen wolte, besonders, weil man die Materie vor den Sitz des Bösen hielt, so musten sie nach dem einmahl angenommenen Principio sagen, daß die Seele aus dem Wesen GOttes geflossen wäre.  
Kirchenlehrer Kommt man drittens auf die Kirchen Lehrer, so hat Tertullian ein besonderes Buch de anima geschrieben, worinnen er zwar vorgiebt, daß die Heyden nichts gründliches davon gelehret, gleichwohl aber berufft er sich nicht nur auf ihre Gründe; sondern hat auch die Meynung, daß die Seele cörperlich sey, behauptet.  
  Des Augustins Meynung von der Seele hat Michael Angelus Fardella in folgendem Werck: Animae humanae natura ab Augustino detecta in libris de animae quantitate, decimo de trinitate et de animae immortalitate, Venedig 1698 zusammen getragen.  
  Lactantius de opificio dei cap. 8 nennet die Seele ein Göttliches Feuer, welches auch viele dafür gehalten; ja manche haben sich auch der Heydnischen Redens-Arten bedienet, daß die Seele ein Stück, ein Theil des Göttlichen Wesens sey, als wenn Prudentius cathemerin. hymn. 10. saget: deus, ignae fons animarum, welches sie aber nicht in dem Heydnischen Verstand gethan, daher man es zwar nicht billigen noch nachthun; die Kirchen-Lehrer aber entschuldigen muß.  
Mittelalter Bey den mittlern Zeiten hat man sich nicht lange aufzuhalten, indem man da auf die Scholastische Philosophie kommt, in welcher man wie in andern Stücken, also auch hierinnen wenig von gründlichen und nützlichen Gedancken antrifft. Sie brachten überhaupt in der Geister-Lehre viel unnützes Zeug vor, und wenn sie auf die Seele kommen, so halten sie sich an den Aristoteles und dessen Erklärung, wiewohl sie in der Haupt-Sache, wenn er von der anima unterschieden hat mentem, von ihm abweichen, und scheinet, daß sie ihn selbst nicht verstanden, was er damit hat haben wollen.  
dreifache Seele Viele statuirten die bekannte dreyfache Seele, als die animam vegetativam, sensitivam und rationalem.  
  Die anima vegetativa, die wachsthümliche Seele, dirigirte die Fortpflantzung, die Nahrung, das Wachsen, das Zunehmen bey denjeni-  
  {Sp.1071|S. 549}  
  gen Sachen, bey denen dergleichen angetroffen werden, und diese habe der Mensch mit den unvernünftigen Thieren und den Gewächsen gemein.  
  Die anima sensitiva, oder die sinnliche Seele, verrichte die Empfindungen, stelle sich nicht nur die sinnlichen Dinge vor; sondern habe auch eine sinnliche Begierde, welche die Menschen und die Bestien mit einander gemein hätten.  
  Die anima rationalis, oder die vernünftige Seele, gäbe den Menschen allein die Vernunft, oder das Vermögen, vernünftig zu seyn.  
  Bey dem Aristoteles findet man die Seele nicht so in dreyen Arten abgetheilet, wie Rüdiger in der physica divina lib. 1. cap. 4. lect. 1. §. 10. angemercket hat.
  So ist diese Lehre an sich sehr verworren, und man findet bey denen, die solche annehmen, nicht einerley Erklärung. Denn siehet man diese drey Seelen, als drey besondere Substantzen an, so bekommt der Mensch auf solche Art vier Theile, daraus er bestehen muß, als aus dem Leibe, aus der wachsthümlichen, sinnlichen und vernünftigen Seele.  
  Nun aber fragt sichs: ob diese drey Seelen alle geistliche Substantzen sind? Sollen sie dieses seyn, so mag man eine Definition von einem Geist überhaupt machen, und sehen, wie man in der Application zurecht komme. Denn wenn sie Arten eines Geistes sind, so muß ihnen allen die Natur eines Geistes überhaupt zukommen. Man kan sich keinen Geist ohne dem Vermögen zu gedencken, vorstellen; das Vermögen zu gedencken aber ist allezeit mit der Empfindungs-Kraft verknüpffet, indem man sich sonst seiner Gedancken nicht könte bewust seyn, woraus leicht zu schliessen, was bey diesen Principien bey dieser Lehre vor Verwirrung entstehen muß. Es muß folgen, daß die wachsthümliche Seele als ein Geist gedencken kan, und indem sie gedencket, muß sie auch empfinden, folglich ist sie zugleich eine sinnliche Seele. Gedencket ohne diß die vernünftige Seele, und muß auch empfinden, so hat sie zugleich eine Empfindungs-Krafft bey sich, und da wäre sie auch zugleich eine empfindende Seele, daher sie dieser nicht kan entgegen gesetzet werden, wie es gleichwol bey dieser Abtheilung geschiehet.  
  Will man sagen, sie wären nur Accidentien; oder vielmehr gewisse Kräfte einer eintzigen Substantz, welches zwar die eigentliche Meynung der meisten, die eine dreyfache Seele lehren, nicht ist, so muß auch vorher ausgemacht werden, welches das Subject von diesen Kräften sey. Ohne Zweifel muß es die Seele seyn, von welcher das Wachsen, das Empfinden, das vernünftig seyn, dependiret; wobey aber weiter zu untersuchen, ob alles dieses von der Seele dependiret und ob der Kräfte nicht einige zu wenig, oder zu viel angeführet sind.  
Neuzeit Doch es wird nicht nöthig seyn, sich hierbey lange aufzuhalten, vielmehr kommen die neuern Zeiten zu betrachten vor, wo ein mehrers anzuführen ist.  
Platoniker Man kan die neuern bey ihren unterschiedenen Meynungen vom Wesen der Seele überhaupt in zwey Classen eintheilen. Einige haben der Alten ihre Principien und Lehr-Sätze wieder aufgewärmet, welche zweyerley sind. Denn einige sind auf die Platonische Wege gekommen, und haben die Seele als ein Stück des Göttlichen Wesens, als einen Ausfluß aus  
  {Sp. 1072}  
  demselbigen angesehen, wohin die Fanaticker gehören, welche überhaupt einen Ausfluß aller Dinge aus dem Wesen GOttes statuiren.  
  Jacob Böhme sagt ausdrücklich, daß alles aus dem Göttlichen Wesen sey, wenn er in aurora p. 3. schreibet: So man die Sonne und Sternen recht betrachten will, mit ihren Wesen, Wirckungen und Qualitäten, so findet man recht darinnen das Göttliche Wesen, als daß der Sternen Kräfte sind die Natur; ingleichen p. 11. so man nennet Himmel und Erden, Sternen und Elementen und alles, was darinnen ist, und alles, was über alle Himmel ist, so nennet man hiemit den gantzen GOtt, der sich in diesem oben erzehlten Wesen in seiner Kraft, die von ihm ausgehet, also natürlich gemacht hat; und p. 300. sagt er: Wenn nun dieses geschiehet, so bist du wie der gantze GOtt, der da selber Himmel, Erden, Sterne und Elementa ist.  
  Aus diesem kan man verstehen, wenn in der Böhmischen Theologie von GOtt gesagt wird, er sey alles, was dieses bedeute, welches nach Böhmens Sinn nicht so anzunehmen, als wenn er der Schöpfer aller Dinge sey; sondern es steckt viel mehr der Spinozismus darhinter. Nach solchem Principio konnten diese Leute nicht anders, als daß sie den Ursprung der Seelen aus dem Göttlichen Wesen leiteten. Man lese, was Colberg in dem Platonisch-Hermetischen Christenthum part. 2. cap. 3. p. 150 angemercket, welcher auch p. 158. derjenigen Ketzer gedencket, wie sich dieses ebenfalls eingebildet haben, und zugleich die Gründe anführet, womit Augustin beweisen will, daß diese Meynung dem allgemeinen Catholischen Glauben zuwider sey:  
 
  • erstlich, weil auf solche Weise eine Gleichheit zwischen GOtt und dem Menschen gesetzet werde:
  • hernach, weil dem Sohn GOttes und heiligen Geist groß Unrecht geschehe. Denn der Sohn ist allein aus dem Wesen des himmlischen Vaters gezeuget; der Heilige Geist allein wesentlich aus dem Vater und Sohn ausgegangen:
  • Drittens, weil, wenn die Seele aus dem Wesen GOttes komme, der Mensch auch Göttliche Eigenschafften haben müsse, welches ein wichtiges Argument, so auch die Vernunfft erkennet und schon oben berühret worden:
  • Viertens weil es vergeblich gewesen wäre, daß der Satan den Menschen verführet, sintemal der Mensch dennoch, ob er schon von dem verbotenen Baum gekostet, würde GOtt gleich geblieben seyn;
  • fünftens, weil daraus folgen würde, daß das Göttliche Wesen vielen Jammer, Widerwärtigkeit, unter andern den Menschen zustossenden Trübsalen unterworffen sey.
 
  Von den neuesten aus dieser Classe kan Peter Poiret angeführet werden. Denn wie er einer von den Fanatickern ist, also hat er auch die Meynung angenommen, daß die Seele ein Stück des Göttlichen Wesens sey, welches er sowohl mit Gründen, als mit Sprüchen H. Schrifft bestätigen will. Er meynt, die Seele habe solche Eigenschafften an sich, daraus man ihre Göttliche Natur schliessen könte; wenn aber etwas ein Göttliches Wesen an sich habe, so könte solches nicht aus nichts seyn erschaffen worden, sondern müsse seinen Ursprung von GOtt selbst haben.  
  In der oeconomia divina lib. 1. cap. 10. §. 2. p. 134 heist es also:  
  {Sp. 1073|S. 550}  
  [12 Zeilen lateinischer Text]. In diesen Worten macht Poiret den Schluß, wenn unsere Seele göttliche Wirckungen und Eigenschafften an sich habe, sie auch ein göttliches Wesen habe, und daher aus GOtt selbst kommen sey. Der Schluß an sich ist richtig, daß, wenn die Seele göttliche Wirckungen thut, und göttliche Eigenschafften an sich habe, sie auch ein göttliches Wesen haben müsse. Das Principium aber, daß er zum Grund geleget, ist falsch. Er setzet etwas als ausgemacht voraus, daß er doch nicht bewiesen, auch nicht beweisen kan. Denn sollten die Wirckungen unserer Seelen göttlich seyn, so müsten sie auch die vollkommensten seyn, daß bey denselbigen keine Schwachheit anzutreffen, welches wieder die Erfahrung u. eigene Empfindung ist.  
  Was er insonderheit von dem lumine divino anführet, das gründet sich auf das Haupt-Principium der Quacker, daß allen Menschen von Natur ein innerliches Licht eingepflantzet sey, welches eine von der Vernunft unterschiedene Substantz wäre, so insonderheit der Autor des Buchs ratio et fides collatae, so Poiret 1708 zu Amsterdam heraus gegeben, zu behaupten suchet. In ebendiesem Capitel, welches de natura animae handelt, fährt er §. 19. p. 144 fort, und saget: illud, quod [15 Zeilen lateinischer Text].  
  Der Beweis, der in diesen Worten lieget, bestehet darin, daß GOtt in den Seelen der Menschen wohne; weil er sich nun in nichts, als was seinem Wesen gleich sey, aufhalten könte, so müste ja die Seele ein gleiches Wesen mit ihm haben. Man findet dabey zweyerley zu bemercken.  
  Denn einmahl ist das Principium ebenfalls unrichtig, daß GOTT in nichts, als was einerley Wesen mit ihm hat, wohne. Von solcher Einwohnung kan Poiret aus keinem andern Grund, als aus der Heiligen Schrifft reden. Aus derselbigen aber weiß man, wie er allein in den Hertzen der Gläubigen wohne, nach welcher Wahrheit Poiret nur hat schliessen können, wenn das Principium richtig, daß allein die Seelen  
  {Sp. 1074}  
  der Gläubigen ein göttliches Wesen an sich hätten; daraus aber folgte weiter, daß in der Bekehrung eine wesentliche Veränderung vorgehe, welches der andere Punct, der hier zu mercken ist. GOtt wohnet in den Hertzen der Gläubigen, weil ihre Seele nun ein geistliches Wesen an sich haben, und durch die Bekehrung das Ebenbild GOttes in ihnen erneuert worden.  
  Von den Sprüchen heiliger Schrifft dringt er sonderlich auf die oben angeführte Worte Mosis, GOtt habe dem Menschen einen lebendigen Odem eingeblasen, 1 B. Mos. II, 7. und daher hätte er die Seelen nicht nur durch einen Befehl, noch durch eine Formation, oder Schöpfung; sondern durch die Einblasung herfür gebracht, daher schreibt er in dem angezogenen Buch lib. 1. cap. 11. §. 3. p. 154: Quae duo [10 Zeilen lateinischer Text].  
  Wenn man aber nun wissen will, wie es zu verstehen, daß GOtt durch das Einblasen die Seele herfürgebracht, und sie ein Stück des göttlichen Wesens seyn könne, so saget er cap. 10. §. 24. p. 148. Nonnulli mirantur [22 Zeilen lateinischer Text]. In diesen Worten erinnert er sehr wohl, daß GOtt keine Ausdehnung beyzulegen; man siehet aber nicht, wie man dieses vermeiden will, wenn man fürgiebt, die Seele sey ein Stück des göttlichen Wesens, und von GOtt, ohne ihm eine Ausdehnung beyzulegen.  
  Hingegen ist dabey bedencklich, daß er von der Seele sagt, sie sey eine cogitatio vivens et volens, und anzeigt, als hielte er sie vor keine Substantz; sondern nur vor einen modum, und indem er alles auf den göttlichen Willen bey der Hervorbringung der Seelen ankommen lässet, so kan man dieses nicht anders annehmen, als daß auf göttlichen Befehl die Seele  
  {Sp. 1075|S. 551}  
  ihre Wircklichkeit erlanget. Soll darinnen die Einblasung bestehen, so hat ja GOtt auf eben diese Art die andern Geschöpffe hervor gebracht, und man kan nicht sehen, wie die Schöpffung und die Einblasung von einander unterschieden sind, welche er doch nicht vor eins will gehalten haben.  
  Endlich kommts bey dem Poiret darauf hinaus, daß er gestehet, er wisse nicht, wie er sich den Ausfluß der Seelen aus dem Wesen GOttes vorstellen sollte, indem er §. 25. sagt: At si quis inquirat penitius, quaenam fuerit haec emanatio animae ex Deo suo egredientis et nascentis? Id mihi peculiaris intelligere non licet, neque video, an ab ulla creatura in hac certe vita id intelligi possit? Man lese, was bereits wider ihn erinnert haben
  • Jäger in examino theologiae novae, inprimis Poiretianae controvers. 13. p. 239. u.ff.
  • Joachim Lange in zwey Dissertationen de ortu animae humanae a Deo, non per esentialem emanationem; sed per creationem,
  • und Buddeus in institut. theol. dogm. lib. 2. cap. 2 §. 16. p. 485.
  In eben dieser Oeconomia divina lib. 1. c. 15 p. 207. cap. 20. p. 286. cap. 23. u.ff. p. 325. und in seinen andern Schrifften theilet er alle Kräfte der Seele in zwey Classen. Einige wären Facultates divinae, wodurch die Seele den Genuß GOttes so wohl wircklich, als idealiter zu haben fähig sey; andere inferiores, die nur auf die Geschöpfe GOttes giengen. Von jenen bestimmet er keine gewisse Anzahl. Denn bisweilen erzehlet er derselbigen drey, als das desiderium infinitum, intelligentiam, welche er auch den intellectum passivum nennet, und die acquiescentiam, wozu er bisweilen die vierte, oder die libertatem setzt, wie er denn auch wohl ihrer sieben nennet, als das desiderium tenebrosum; agitationem inquietam; sensum vividum ac discruciatum; impetum cum ardere; intelligentiam; adquiescentiam, und die subsistentiam animae perfectam.  
  Ausser diesen Kräften leget er noch in der Seele ein gewisses Centrum zum Grund, wo sich GOTT selbst aufhalte. Zu den Facultatibus inferioribus rechnet er die rationem, imaginationem, und die Facultates sensibiles, wobey diejenigen Anmerckungen verdienen gelesen zu werden, welche Syrbius in philosophia prima p. 140. u.ff. dawider gemacht hat.
Aristoteliker Andere haben die Aristotelische, auch zum Theil die Scholastische Fußtapfen bey ihrer Lehre von der Seele aufgesuchet. Denn nachdem man in Italien anfieng, die ächte Aristotelische Philosophie wieder hervor zu suchen, so haben auch die Gelehrten in Deutschland dergleichen gethan, folglich die Lehre von der Seele nach dem Aristotelischen Fuß eingerichtet. Man hat dabey insgemein die Lehre von der dreyfachen Seele behalten, ob man sie wohl nach der gewöhnlichen Gestalt bey dem Aristoteles nicht antrifft, wie bereits erinnert worden. Es wird genug seyn, nur einige von dieser Gattung zu nennen.  
  Zeisold hat mit grossem Eifer behauptet, es wären bey einem jeden Menschen drey besondere Seelen, die wachsthümliche, sinnliche und vernünftige. De anima Sect. I. art. 3. p. 130. und anthropol. disp. 4 §. 23. kündiget er denen den göttlichen Zorn an, welche diese Wahrheit nicht erkennen und anneh-  
  {Sp. 1076}  
  men wolten.  
  Christoph Scheibler hat einen besondern Tractat de anima verfertiget, der zu Giessen 1654 heraus gekommen, und in drey Büchern abgetheilet ist, davon das erste von der wachsthümlichen, das andere von der sinnlichen, und das dritte von der vernünftigen Seele handelt.  
  Philipp Melanchthon hat in seinem Buch de Anima, welches das erstemal zu Wittenberg 1540 gedruckt, und nachgehends öfters wieder aufgeleget worden, des Aristoteles Lehre verbessern, und deutlicher machen wollen.  
  Nebst andern, war der Professor Caspar Poßner zu Jena ein ächter Aristotelicus, welcher auch in verschiedenen Dissertationen die Aristotelische Lehre von der Seele erkläret, indem er 1671 heraus gegeben miscellanea de anima, und 1688, disputationem physicam de animae adcessu in generatione hominis, quando hic fiat, welche weitläuftig, und mit grossem Fleiß gemacht ist.  
     

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Stand: 5. April 2013 © Hans-Walter Pries