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Quellenangaben |
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Vorteil der Vernunft vor der Erfahrung.
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Die
Erkenntnis durch die Vernunfft hat überhaupt diesen
Vortheil vor der
Erfahrung, daß man jene mehr in seiner
Gewalt hat, und dazu gelangen kan, wenn
es uns gefället: Hingegen bey der Erfahrung erst warten muß, biß sie uns
vorkommet. Man kan aber nicht gleich eine
Gelegenheit haben, da sich dasjenige
ereignet, was man zu
erfahren verlanget.¶ |
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Nutzen der Vernunft.
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Aus diesem, was bißher
gesagt worden, erhält der
Nutzen der Vernunfft
sattsam; es kann aber derselbe auch erwiesen werden. Denn da |
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{Sp. 1409|S. 718} |
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die Vernunft eine Einsicht in den
Zusammenhang der
Wahrheiten ist; so
gelangen wir dadurch zu deutlicher
Erkenntnis der Wahrheiten und sind
geschickt
aus einigen erkannten Wahrheiten andere unbekannte zu schliessen, das ist, neue
Wahrheiten zu erfinden. Also können wir die Vernunft nicht schelten, wenn wir
verstehen, was sie ist.¶ |
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Feinde der Vernunft.
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Gleichwohl haben einige von denen Herren Theologen, die in die wahre
Weltweisheit nicht sogar tief eingedrungen, von der Vernunft allzu gefährliche
Gedancken. Sie meynen, sie sey in
Grund verdorben, sie tauge ganz und gar
nichts, sie träte öffters aus ihren
Schrancken, sie sey der
Heiligen Schrifft
zuwider, und könnte mit derselben nicht bestehen. Jedoch diese sind ungegründete
Urtheile. |
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Sie hat freylich von ihrer Vollkommenheit ein grosses verlohren, inzwischen
ist das Göttliche Ebenbild auch in diesem Stücke nicht so gantz ausgelöscht, daß
nicht die meisten
Menschen meistentheils
Wahrheiten zu begreiffen, zu erfinden,
und zu beurtheilen
geschickt seyn solten. Es ist die Vernunft annoch, wie wir
sie haben, ein edel
Gnaden-Geschencke
GOttes, welches, wie alle gute und
vollkommene Gaben von dem
Vater des Lichts von oben herab kommt. Die Vernunft
als Vernunft, da sie nicht mit falschen
Meynungen angesteckt, tritt niemahls aus
ihren Schrancken, sondern bemühet sich die Wahrheiten zu
erkennen und zu
beurtheilen, in so weit es ihr möglich ist; wo sie aber siehet, daß ihrer
Erkenntnis Grentz-Steine gesetzet sind, so gehet sie nicht weiter. Die Vernunft
kan mit der
Heiligen Schrift sehr wohl bestehen, indem sie einerley Urheber
haben, und also einander unmöglich zuwider seyn können.¶ |
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Warum einige auf die Vernunft schelten.
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Diejenigen aber, welche die Vernunft schelten, nehmen entweder das
Wort in
einem unrichtigen Verstande, und
verstehen dadurch bald einige Irrthümer, so man
in natürlicher
Erkenntnis heget; bald Unvernunft im menschlichem Wandel; bald
noch etwas anders; oder sie bilden sich ein, als wann die Vernunft den Glauben
zuwieder wäre und ihn hinderte. Bey ihrem
Begriffe von der Vernunft, und bey
ihrer
Meynung haben sie recht: allein es muß nicht auf die Vernunft gedeutet
werden, beschrieben worden, und wie es die tägliche
Gewohnheit zu
reden
mitbringet.¶ |
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Erkenntnis, so aus der Vernunft entstehet.
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Weil die Vernunft eine Einsicht in den
Zusammenhang der
Wahrheiten ist, die Wahrheit aber
erkannt wird, wenn man den
Grund
verstehet, warum dieses oder
jenes seyn kan; so zeiget uns die Vernunft, warum dieses oder jenes seyn kan.
Und also kommet von ihr die
Erkenntnis des
Weltweisen: gleichwie die gemeine
Erkenntnis von der
Erfahrung kommet. Wie nun die Vernunft zur gründlichen
Erkenntnis der bereits erfundenen |
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{Sp. 1410} |
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Wahrheiten unentbehrlich ist: also ist sie auch sehr behülflich zu
Erfindung
neuer Wahrheiten, die uns oder andern biß dahin noch nicht bekannt gewesen. Denn
indem wir durch die
Sinne etwas
empfinden und mit Beyhülffe eines allgemeinen
Satzes eine Folgerung herausziehen: so ist dieser
Schluß sehr offt eine neue
Wahrheit, die wir vorher nicht gewust haben. |
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Wer nun eine Fertigkeit besitzet, dergestalt aus bekannten
Wahrheiten neue
herzuleiten, der besitzt die Erfindungs-Kunst. Es ist auch gewiß und ausgemacht,
daß alles, was die Vernunft klar, deutlich und untrüglich
erkennet, wahr sey,
und daß man folglich keine weitere
Ursache daran zu zweifeln habe. Der
Beweis
davon ist leichte. Denn da
GOtt die
Ursache aller Wahrheiten ist und uns nicht
betrügen kan; so muß nothwendig folgen, daß weil er uns die Vernunft gegeben,
alles dasjenige wahr sey, was dieselbe mit völliger Deutlichkeit einsiehet und
begreiffet.¶ |
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Wenn die Vernunft lauter ist.
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Wenn man den
Zusammenhang der Dinge dergestalt einsiehet daß man die
Wahrheiten miteinander
verknüpfen kan, ohne einige Sätze aus der
Erfahrung
anzunehmen; so ist die Vernunft lauter und rein,
davon in der reinen Mathematick (mathesi pura,) die von abgesonderten
Grössen handelt, Exempel vorkommen; hingegen wenn man Sätze aus der Erfahrung
mit zu Hülffe nimmt, so wird Vernunft und Erfahrung mit einander
vermischet, und wir sehen den
Zusammenhang der Wahrheiten mit einander
nicht vollig. Denn wenn wir zu dem Satze aus der Erfahrung kommen, bleiben wir
stehen und unserer Vernunft kan nicht weiter fort. Wir finden es in denen
Wissenschaften zur Gnüge, daß unsere Vernunft nicht immer lauter ist, sonderlich
in Erkenntnis der Natur und unser selbst. Es kommen davon auch Exempel in
denenjenigen mathematischen Wissenschafften vor, wo von
sinnlichen Dingen
gehandelt wird, als z.E. in der Mechanick, Optick, Astronomie u.s.w.¶ |
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Der Gegenstand oder das Object der Vernunft.
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Betrachten wir den Gegenstand oder das Object der Vernunft, so hat sie mit
Sachen zu thun, die nicht
unmittelbar in die
Sinne fallen, als die unsichtbaren
Kräfte und
Eigenschafften der
Dinge. Jedoch gründet sich die Vernunft in ihrer
Erkenntniss auf die
Empfindung der Sinnen, und die
Idee oder der Begrif, welchen
sie sich hieraus macht, ist nichts anders, als die Erklärung des Dinges, welches
hernach in Beurtheilung der übrigen
Wahrheiten zur Richtschnur dienet. |
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Hieraus entstehet nun folgender Grundsatz: Alles, was mit denen aus der
würcklichen
Empfindung erzeugten
Begriffen der Vernunfft übereinkommt das ist
wahr, und hingegen, was solchem klaren und deutlichen
Begriffe der Vernunft
zuwieder ist, das ist falsch. Z.E. Wenn mir jemand wolte weiß machen, daß die
Hitze der Sonnen das Eis verursache, würde ich solches nimmermehr glauben, weil
ich von der Hitze der Sonnen nur eine gantz andere
Idee for- |
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{Sp. 1411|S. 719} |
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mirt habe. Doch ist ebenfalls nicht zu leugnen, daß sich viele
Menschen
falsche Concepte von den
Sachen machen: und dieß sind eben die Vorurtheile oder
die Quellen, woraus alle Irrthümer entspringen, doch hieran ist mehrentheils der
verderbte
Wille der Menschen Schuld, welcher macht, daß sich der
Verstand
entweder übereilet, oder von menschlichen Ansehen einnehmen, oder sonst von
andern Umständen einen genungsamer Untersuchung der Wahrheit hindern lässet.
Allein es kan auch dieses gantz wohl verhüthet werden, wenn man die behörige
Vorsichtigkeit braucht.¶ |
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Wenn die Vernunft verderbet?
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Und hierinnen bestehet eben die verderbte Vernunft, wenn
sie von Vorurtheilen benebelt, das wahre vor falsch und ein Schein-Gut für ein
wahres Gut hält. Es ist nehmlich die Vernunft entweder gesund (Ratio
sana oder recta) oder verderbt. Denn wenn das
Gemüthe diejenigen
Wahrheiten, so von Ewigkeit an wahr gewesen, und in alle
Ewigkeit auch wahr bleiben werden,
erkennet; so ist es die gesunde
Vernunft; kommen aber Vorurtheile und
Leidenschafften darzu, wird sie
verderbt genennet. |
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Ob nun aber wohl das Verderben der Vernunft nicht von
GOtt ist; so ist die
Vernunft doch, die nun leider! verderbet ist, von GOtt. Wenn ein Pallast von
einem berühmten Baumeister aufgeführet, darnach aber durch eine Feuers-Brunst
beschädiget wird, daß nur ein paar Stock-Wercke übrig bleiben: so ist der
Pallast nun zwar verdorben, man kan aber doch, wenn man gefraget wird, wer ihn
aufgeführet? nicht anders antworten, als daß es von dem oder dem Baumeister
geschehen. Es
schreibet sich also der Ruin des Pallastes zwar von dem Baumeister
nicht her; jedoch aber muß der Pallast selbst ihm nicht entrissen werden. |
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So ist nun das Verderben der Vernunft auch nicht von
GOtt; aber die
Vernunft, die nun verdorben ist, ein Geschencke GOttes. Wir haben
Ursache, uns
des Überbleibsels wenigstens zu bedienen, da wir ihre höhere Vollkommenheit
nicht mehr haben. |
Stiebritzens Erläuterung der Wolffischen
vernünftigen Gedancken von Gott, der Welt etc. II. Theil …¶
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Subject der Vernunft.
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Daß in
GOtt, den Engeln und den
Menschen die Vernunft anzutreffen sey,
bedarff keines grossen
Beweises; wohl aber müssen wir fragen, ob auch
die Thiere Vernunft haben? Da die Thiere gar wenige
Veränderungen in
ihrer Stimme haben, dadurch sie einiges, was ihren
Zustand betrifft, anzeigen;
hingegen man bey ihnen keine förmliche Thone verspühret, dadurch sie die
Sachen
anzudeuten pflegten, die sie sich vorstellen; so kan man daraus abnehmen, weil
nehmlich die
Seele und der
Leib in einer beständigen Harmonie sind, daß sie ihre
Empfindungen und
Einbildungen nicht viel überdencken und keine grosse
Aufmerksamkeit darauf haben, folgends es ihnen an der Deutlichkeit fehlet, die
zur Vernunft erfordert wird. Deswegen kan man auch ihnen keine Vernunft zu
schreiben.¶ |
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Zu diesem nur beygebrachten
Beweise, daß die Thiere keine Vernunft haben,
ist zwar angenom- |
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{Sp. 1412} |
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men worden, daß zwischen
Leib und
Seele eine beständige Harmonie sey, und
man daher aus demjenigen, was im Leibe vorgehet, schliessen kan, was sich in der
Seele ereignet: allein dessen ungeachtet kan der
Beweiß auch in einem jeden
andern Systemate noch bestehen. Denn daß zwischen Leib und Seele in ihren
Veränderungen eine Harmonie sey, ist eine
Sache, die Niemand in Zweiffel ziehen
kan, weil uns die
Erfahrung lehret, daß die
Empfindungen der Seele mit
Veränderungen in den Gliedmassen der
Sinnen und im Gehirne, hingegen aber
gewisse
Bewegungen der Gliedmassen des Leibes mit dem
Willen der Seele zusammen
stimmen. |
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Diese Ubereinstimmung oder Harmonie hält man in einem jeden Systemate für
gewiß; nur ist die Frage, auf was für Art und Weise sie bestehen kan? In den
gegenwärtigen
Beweise fragen wir nicht nach der Art und Weise, wie sie bestehen
kan? sondern nur, ob sie vorhanden seyn? Und demnach bleibet dieser
Beweiß bey
einem jeden Systemate stehen. |
Wolffs Metaph. … und Anmerck. … |
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Siehe auch den
Artickel: Thier, im XLIII Bande,
p. 1333 u.ff. besonders p. 1347 u.ff. ingleichen den Artickel:
Vernunfft-ähnliches.¶ |
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Es ist die Frage aufgeworffen worden:¶ |
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Ob die Vernunft so ein edles Geschencke des Himmels
sey, daß wir dadurch vor allen andern Geschöpffen, die dieselbe entbehren
müssen, die allerglückseeligsten zu preisen. seyn?
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Nachdem Lucilius Balbus, ein Stoischer
Weltweiser beym Cicerone weitläufftig
erklärt, daß
Götter wären, und daß die
Welt von ihnen
regieret werde,
ingleichen, daß sie denen
Menschen beystünden; so zog Cotta, ein
Academicus,
nach den Lehr-Sätzen seiner
Schule solches alles in Zweiffel: und da Lucilius
unter andern
gesagt; die Vernunfft sey denen Menschen als eine göttliche
Wohlthat ertheilet worden, welche die Bestien nicht bekommen hätten; so wendet
Cotta alle
Gemüths-Kräfte an, zu erweisen, daß hierdurch denen Menschen mehr
Schade als
Vortheil erwachsen sey. |
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Wir wollen hier nicht anführen oder wiederlegen, was er nicht ohne Schein
vorträgt zu behaupten, daß die Vernunft vor keine göttliche Wohlthat zu halten
sey, und daß die
Götter hierdurch das Glücke der
Menschen nicht beförderten. Die
Sache ist einer genauen Untersuchung werth, und gehöret zu dem bekannten und
schweren Streit von dem
Ursprunge und der Zulassung des
Bösen. Man kan diese
Streitfrage mit
Recht ein Creutz und einen Irr-Garten der
Weltweisen nennen. |
Cicero de nat. Deor. … |
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Ausser dem was Cotta anführet, zu erweisen, daß denen
Menschen keine
Kraft
zu dencken hätte sollen mitgetheilet werden, hätte er noch dieses beybringen
können: Der Grundsatz der Stoischen Weltweisen ist bekannt: daß man der
Natur
gemäß leben muß. Diese
Regel wird von den unvernünftigen Thieren unstreitig
besser, als v. den vernünftigen Menschen ins
Werck gerichtet. Welches Tier thut
etwas wieder den Trieb seiner Natur? frisset oder säufet mehr als die Natur
erfordert? oder erwählet
schädliche Nahrungs-Mittel? oder überschreitet die Maaß
in Vermischung |
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{Sp. 1413|S. 720} |
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mit andern? Aber der
Mensch, das
vernünftige, ja das allervernünftigste
Thier, das ich so
reden mag, sündiget auf tausenderley Art; und wird solcher
Gestalt weit unter die Thiere heruntergesetzt. Obschon die Thiere alles aus
einer
Nothwendigkeit der Natur und mechanisch thun; so ist es doch besser
mechanisch der Erhaltung und dem
Endzwecke des Schöpffers gemäß, das ist,
weißlich handeln, als mit Vernunfft unsinnig seyn, wieder sein eigen Eingeweide
wüten, und die weisesten Endzwecke des Schöpffers zernichten. |
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Will jemand dieses einen Mißbrauch der Vernunfft nennen; so sind wir nicht
darwieder; wäre es aber nicht besser, man hätte etwas, das man also zu seinem
Verderben mißbrauchen kan, gar nicht und wäre mit determinirten
Kräften, welche
keinen Mißbrauch zuliessen, versehen? Wer hält es nicht vor einer
Glückseeligkeit, von mancherley Vorstellungen des Unglücks frey seyn, über kein
vergangenes Elend klagen, über kein gegenwärtiges betrübt werden und vor keinen
zukünfftigen erschrecken noch
ängstlich
hoffen? Ist es unter die Vortheile und
Vorzüge zu rechnen, daß man um eines guten Wandels willen, Belohnungen erwarten
kan; so ist es doch gewißlich keine Glückseeligkeit, daß ein
Mensch wegen seines
Verbrechens
Strafe und Marter zu leiden fähig ist, und sie
rechtmäßig erdulten
soll. Wäre es nicht besser, wenn er gar keine Straffe leiden könte? |
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Diejenigen welche viel Vernunfft von der
Natur besitzen, oder durch grosse
Mühe erlangt haben: sind den allergrösten Beschwerlichkeiten unterworffen. Sie
werden insgemein von einer unendlichen
Begierde zu wissen getrieben und finden
doch nicht, worinnen sie sich endlich beruhigen können. Je weiter sie in der
Erkenntniß kommen, jemehr werden sie gewahr, was ihnen noch an gründlicher
Wissenschafft fehle. Ist es aber nicht besser gar nichts wissen, als mit
unendlichen Begierden zu wissen
geängstiget werden? |
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Niemand meyne als wenn man hier der Vernunfft das
Wort
reden wolte.
Dergleichen Beschwerlichkeiten, die wir erzehlt haben, treffen diejenigen,
welche die Vernunfft nicht gerecht gebrauchen. Man siehet hieraus, daß die
vortreflichste und nützlichste
Sache, wenn sie nicht recht gebraucht wird, sehr
schädlich seyn kan. Dergleichen wiederfährt denen
Kindern, wenn sie mit
scharffen Messern und Degen nicht umzugehen wissen. Es ist demnach allerdings
besser gar keine Vernunfft haben als dieselbe haben; da auf beyden Theilen die
Glückseeligkeit könte erlangt werden, und bey dem einen Theile doch der
Mißbrauch stattfinden könte. Wenn einer mit einem Beile eben das, was er mit
einem Scheer-Messer zuthun vermag, ausrichten kan; so handelt er übel, wenn er
ein Scheer-Messer scharff macht und gebrauchet, da er durch dieses Werckzeug
viel leichter als durch jenes kan verwundet werden. |
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Es sey aber ferne, daß wir die unzehlichen Vollkommenheiten, deren bloß
derjenige, welcher Vernunfft hat, fähig ist, leugnen oder in Zweifel ziehen
solten. Die Vernunfft ist also denen
Menschen nach
Göttlicher Vorsicht
mitgetheilet worden, es ist auch viel besser, dieselbe zu haben, als derselben
beraubt zu seyn, ob sie gleich kan gemißbrauchet werden. Warum hat aber
GOtt
nicht eine solche Vernunfft
verliehen, die |
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{Sp. 1414} |
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nicht könte gemißbrauchet werden? Diese Streit-Frage gehöret, wie oben
angezeiget worden, zu dem Ursprung des
Bösen, und wir lassen dieselbe vor jetzo
unberührt, weil sie in den
Artickel: Ursprung des Bösen, wird
abgehandelt werden. |
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Doch können wir nicht umhin, eine Stelle aus des
Herr Leibnitzens
Theodicäa §. 20. hiervon anzuführen: Die Quelle des
Bösen,
spricht er, muß in
der Idealischen
Natur der Creaturen gesuchet werden so ferne nehmlich diese
Natur in den ewigen
Wahrheiten, die in dem
Verstande GOttes sind, und von seinem
Willen keines weges dependiren, enthalten gewesen. Denn man muß bedencken, daß
in der Creatur noch vor der Sünde eine ursprüngliche Unvollkommenheit ist, weil
ihr
Wesen gewisse Schrancken hat; daher es kommt, daß sie nicht alles wissen und
also irren, und andere Fehler begehen kan. |
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Wie es aber an und vor sich denen, die eine Vernunfft bekommen haben, besser
ist, seyn als gar nicht seyn, auch solcher gestalt besser ist, Vernunfft
gebrauchen, als ein Vieh seyn; so müssen wir eben dieses gleichfalls in Ansehung
derjenigen, welchen einige
Krafft der Vernunfft verliehen worden, bekräfftigen.
Ob gleich leider viele sind, welche ihre Vernunfft so brauchen, daß unzählige
Verwirrungen und solche
Beängstigungen der
Seele entstehen, daß sie ihren Todt
zu befördern suchen; so haben sie doch solches sich selbst zuzuschreiben, daß
sie sich der Glückseeligkeit, des Vergnügens und der
Gemüths-Ruhe, so der rechte
Gebrauch der Vernunfft zuwege bringet, berauben, und nicht ohne Thorheit meynen,
als wenn die
Gemüths-Kranckheiten am besten mit den Degen oder Strick geheilet
würden. |
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Die unendliche
Begierde zu wissen, die dem
Menschen angebohren, ist bey dem
rechten Gebrauche der Vernunfft nicht vor ein Übel, oder doch nicht vor ein
solches Übel anzusehen, daß es deswegen besser seyn solte, ohne allen Gebrauch
der Vernunfft zu leben. Durch diese Begierde wird der Mensch angetrieben, die
unzählichen
Beweise der
Göttlichen Weißheit,
Macht und Vorsehung allenthalben zu
suchen und ein inniges Vergnügen daraus zu schöpffen. Es gereicht nicht zu
unserer Kränckung, sondern zu GOttes Ehre, wenn man
erkennet, daß alles so
weißlich und vorsichtig gemacht worden, daß man nicht alles zu
erforschen und zu
bewundern vermögend ist und noch immer zu lernen findet. |
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Wobey man den sichern
Schluß machen kan, daß der allmächtige
GOtt in der
That mehr habe machen können, als wir mit aller unserer Denckungs-Krafft zu
erreichen fähig sind. Kommen wir in unser
Erkenntniß nicht gar wenig fort; so
dürffen wir unserer
Weißheit wegen nicht stoltz und aufgeblasen seyn. Denn je
mehr einer
erkennt, desto deutlicher nimmt er wahr, wie er fast nichts wisse.
Wer in der Untersuchung natürlicher
Dinge beschäfftiget ist, der kan seinen
Hunger stillen, wenn er in dem unerschöpflichen Meere dererselben auch kaum den
1000 mahl tausenden Theil davon erkennet, und hat so wenig
Ursache sich zu
betrüben als einer, der an einen Fluß sich satt trincket, und denselben nicht
austrincken kan. |
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Es kommt also auf den rechten Gebrauch in der Vernunfft an. Wo lernen wir
anders solchen als in demjenigen Theile der menschlichen
Gelehrsamkeit, welcher
die Welt- |
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{Sp. 1415|S. 721} |
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Weißheit genennet wird? Diese macht, daß wir lernen der Vernunfft gemäß
leben, daß uns die Vernunfft nicht zu einem Betrüger, Peiniger und Hencker,
sondern zu einem Lichte und
Lebens-Troste wird. Die
Philosophie macht endlich,
daß es besser ist, Vernunfft zu haben, als ein Thier zu seyn. Was ist die
Philosophie anders als die Vernunfft, so wohl geübet, durch ihre
Grund-Regeln in
Ordnung gebracht und zum
Nutzen des menschlichen Lebens
geschickt gemacht
worden? O vitae, philosophia, dux! o virtutis indagatrix expultrixque
vitiorum! |
- Cicero Tusculan. Quaest. L. V.
- Hollmanns Dissert. Brutamne esse an ratione uti praestet,
Göttingen 1734.
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Es ist also ausgemacht, daß die Vernunfft die gröste Gabe und das edelste
Geschenck des Himmels ist, wenn sie anders nicht gemißbrauchet wird.¶ |
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