|
Text |
Quellenangaben |
|
Unterscheid der Vernunfft von der Erfahrung.
¶ |
|
|
Weil man nun von demjenigen, was man durch blosse
Erfahrung
erkennet, daß es
ist, nicht einsiehet, wie es mit andern
Wahrheiten zusammen han-
|
|
|
{Sp. 1398} |
|
|
get; so ist bey dieser
Erkänntniß gar keine Vernunfft, und wird dannenhero
die
Erfahrungen der Vernunfft entgegen gesetzet.
Wissenschafft aber kommet aus der
Vernunfft. Wir haben demnach zweyerley Wege, dadurch wir zur Erkenntnis der
Wahrheit gelangen, die Erfahrung und die Vernunfft.
Jene gründet sich in den
Sinnen; diese aber in dem
Verstande,
z.E. daß die Sonne
morgenfrühe wiederum aufgehet,
erkennen die meisten
Menschen aus der Erfahrung,
und sie können nicht
sagen, warum es geschiehet: Hingegen ein Sternkündiger, der
die
Ursachen der Himmlischen
Bewegungen und den Zusammenhang der
Erde mit dem
Himmel einsiehet, erkennet solches durch die Vernunfft, und kan es
demonstriren,
daß, warum, und zu welcher Zeit es geschehen
muß.
|
|
|
Wie nun also die Vernunfft und
Erfahrung (experientia) die zwey
Haupt-Wege zu aller
Erkänntnis der natürlichen Wahrheiten sind: Also machen sie
auch insbesondere die zwey Hauptpfeiler aus, worauf das Gebäude der Artzneykunst
muß gegründet seyn, wenn es bestehen soll. Der vernünfftige und hocherfahrne
Bagliv, weiß beyde wohl mit einander zu vergleichen, und jedem
seinen gehörigen Platz anzuweisen, indem er sich im ersten
Buche seiner
Prax. medic. p. 1 u.f. davon also vernehmen lässet:
|
|
Bagliv Anfang |
Gleich wie der
Artzt ein Diener und Dollmetscher der
Natur sey; als müsse er
sich mit allen seinen
Gedancken und Verrichtungen nach derselben richten;
widrigen Falles werde er sie niemahls zu seinem
Gehorsame finden, viel weniger
etwas fruchtbarliches ausrichten. Denn man dürffe sich nur gäntzlich einbilden,
daß der
Ursprung und die wahrhafften
Ursachen der Kranckheiten weit tiefer
verborgen lägen, als daß sie durch die Schärffe des
menschlichen Verstandes
könnten entdecket werden: Wenn unser Verstand sich allbereit stumpf gearbeitet
hätte, so lege uns die Natur öffters neue Wichtigkeiten zu betrachten vor.
|
|
|
Ein kluger Verstand, welcher mit vielen schönen Anmerckungen ausgerüstet
sey, werde am leichtesten hinter die sicherste Manier kommen, den menschlichen
Kranckheiten abzuhelffen; sonderlich, wenn die fleißige Lesung der
Bücher dazu
käme: Woferne aber bey derenselben Durchlesung nicht die größte Vorsichtigkeit
gebrauchet werde, sey zu besorgen, daß er durch selbige in neue Irrthümer
verfalle, da er sich doch, in Beförderung seiner gelehrten
Kunst, einen grossen
Vorschub daraus versprochen habe.
|
|
|
Es sey keines
Menschen, sondern der
Natur-Sprache, der sich
Hippocrates, der Ärtzte Anherr und Stiffter, bedienet; als welcher
seines gleichen in den alten Zeiten nicht gehabt, und auch in den künfftigen
nicht haben werde, woferne sich die Ärtzte nicht besännen, von ihren tiefen
Schlafe ermunterten, und mit geöffneten Augen
erkenneten, was für ein grosser
Unterscheid zwischen der historischen und männlichen Medicin der Griechen, und
der speculation und flatternden Artzneykunst der neuen Grillenfänger sich fände;
und daferne sie sich nicht entschlössen, inskünfftige nicht mehr so grosse
Stücke auf ihren erdichteten Einfälle zu halten, noch die Medicin in die engen
Schrancken ihrer Vernunfft einzusperren, sondern sie viel mehr wie-
|
|
|
{Sp. 1399|S. 713} |
|
|
der aus diesem engen Kerker in das offene und freye Feld der Natur zu
liefern.
|
|
|
Den Unterscheid, so zwischen der heutigen Theorie und der alten Einfalt zu
finden, hätten wir allein der Experimental-Philosophie zu dancken, welche in
diesem Jahrhunderte ihr Haupt empor gehoben; aber damit der
öffentliche Nutzen
durch den Privatfleiß noch mehr befördert werde, so sey noch übrig, daß unsere
heutige Ärtzte alle
Kräffte anspanneten, auf eben dergleichen Weise zu einer
vollkommenen
Wissenschafft in der Praxis zu gelangen, welches der gantzen
Medicin Hauptzweck sey. Also würden die eingewurtzelten und vorgefaßten
Meynungen unseres
Gemüthes, welche er
billig für den Brunnquell aller Fehler
ausgäbe, nicht nur ihren Abschied bekommen; sondern es würde auch dieses dadurch
erlanget werden, daß die edle Medicin ihre einfältigen Kinderschuhe ablegen, und
zu ihrem klugen und männlichen Alter gedeihen werde.
|
|
|
Es müßten die neuern den alten Ärtzten nicht entgegen gesetzet, sondern, so
viel möglich, stets mit einander vereiniget werden. Denn was sey
abgeschmackters, als sie in
Worten einander zuwieder machen, da sie doch mit
einander übereinstimmeten? Und was Wunder, daß die grosse Lust, neue Worte zu
schmieden, einen angehenden
Studenten, der seinen Lauf ziemlich glücklich
treibe, darinne hemme, durch zweydeutige Worte in Mißtrauen gesetzet, und ihm
die Augen geblendet würden, daher er offtmahls bei Heilung der Kranckheiten
nicht wisse, wo aus oder ein? Deswegen er offt strauchele, und nicht selten
unter dem Schein des Wahren oder
Wahrheit ähnlichem betrüge, oder betrogen
werde.
|
|
|
Was die Patienten betreffe, die bekümmerten sich nichts darum, ob man die
Würckungen der Kranckheiten und die
Principien des
menschlichen
Cörpers mit den
einfältigen
Nahmen der Alten belege; wenn man sich nur vollkommen auf die Cur
verstehe, und die
Worte mit den
Wercken, der Ausgang aber mit dem Versprechen
übereinstimmeten.
|
|
|
Nichts könne das
Gemüthe von der wahren
Erkenntniß der Kranckheiten mehr
abhalten, als die ungezäumte
Freyheit zu speculiren und zu
disputiren, welcher
die Ärtzte auch in der Praxis selbst ungemein nachhängen. Die Araber, und so
viel nach diesen von den Galenisten gelebet hätten, wären die lieblichen und
breiten Felder der
Natur, darauf sie ihre herrlichen
Köpffe in der größten
Freyheit hätten können berühmt machen, sporenstreichs vorbey gelauffen, und
hätten sich die dornichten Hecken der
verdrießlichen
Disputierkunst
erwählet.
Und weil sie sich lange damit veriret und herum geplaget, hätten sie ihr Gemüthe
niemahls zum neuen Erfindungen einrichten könne.
|
|
|
Die Medicin sey keine Geburt des
menschlichen Verstandes, sondern eine
Tochter der
Zeit, von welcher man
billig
sagen könne, was einst die Alten von
der Wahrsagerkunst geglaubet, daß sie ihren
Ursprung der lange geübten und
aufgezeichneten
Erfahrung zu dancken hätten.
|
|
|
Verlange jemand eine Beschreibung der Medicin, so könnte man
sagen, sie sey:
Ein
Vermögen
zu
erfahren und zu erklären, aus denjenigen Zufällen, so binnen
langer Zeit beobachtet, und davon der Ausgang
|
|
|
{Sp. 1400} |
|
|
nebst den unterschiedlichen
Arten der Kranckheiten genau bezeichnet worden;
und welches sich in der Cur nicht auf wahrscheinliche Muthmassungen gründe,
sondern dieselbe nebst den Artzneyen aus den Vorschrifften der unvergleichlichen
Kunst, so durch lange Zeit angemercket, und durch vielfältige Erfahrung
bestätiget worden, unverändert und unabläßig herhole.
|
|
|
Solte man nun zwischen der Medicin, so auf den Glantz und Pracht der
Muthmassungen erbauet sey, und zwischen der wahren Heilungskunst eine
Vergleichung anstellen, so würde diese vielleicht für ein verachtetes Lichtlein
angesehen werden. Aber man müsse wissen, daß nichts Fruchtbarliches noch
Lebendiges in jener zu holen sey. Sie komme ihm vor, wie ein Baum, der mit einem
wundernswürdigen Überfluß an Ästen und Blättern prange, der zwar wohl ins Auge
falle, aber sobald verwelcke, als ihn der Safft entzogen werde, Bagliv
wolle
sagen, so bald die Neuigkeit ihrer Anmuth
verliere, und anfange gemein und
alt zu werden.
|
|
|
Diese aber, so er jetzo geschrieben habe, weil sie nicht in erdichteten
Einfällen bestehe, auch keiner Prahlerey, noch eines eiteln sondern vielmehr
eines wahren und gegründeten Ruhmes begierig sey, welcher in Heilung der
Kranckheiten beruhe, auch nicht nur mit Blüten zu prangen, sondern
reiche und
angenehme Früchte zu tragen pflege, wachse von Tage zu Tage mehr und mehr, und
werde immer völliger.
|
|
|
Es sey eine kluge und bedachtsame
Meynung, daß zu der Artzneykunst im
eigentlichen und
wahrhafftigen
Verstande derjenige Theil unserer Disciplin nicht
gehöre, welcher von dem Speculiren Profeßion mache. Denn die
Kunst bestehe in
solchen
Regeln, worinne die
Sachen schon
völlig
untersuchet und
ergründet wären,
und welche mit unsern willkührlichen Meynungen gantz nicht über ein kämen: Sie
lege gewisse
Gründe und
Ursachen an den Tag, und lasse nicht zu, daß man im
Curiren des rechten Weges fehle.
|
|
|
Allein, was sey ungewissers, als die Sätze und Hypothesen, über welche wir
heutiges Tages so grosses Vergnügen bezeigten? Sey in selbigen wohl etwas
anders, als mehrentheils lauter Muthmasungen zu finden? durch welche wir in der
Vergleichung, auf mancherley
Gedancken, bisweilen auch gar auf widrige
Meynungen
geriethen. Warlich, die edle
Kunst, welche durch fleißiges, genaues und
scharffsinniges Aufzeichnen desjenigen, was in der
Natur bemercket worden,
gezeuget und gebohren sey, bestehe nicht in der Schärffe des
Verstandes, sondern
sie sey vielmehr eine
Weißheit zu nennen, welche durch die
Arbeit vieler
gelehrten Leute, so zu unterschiedenen Zeiten gelebet hätten, gesammlet worden,
und darinne vieler
Menschen Verstand und
Erfahrung gleichsam zu einer
Quintessenz gediehen wären.
|
|
|
Es sei weitläufftig und auch unnöthig hier anzuführen, wie viele und große
Fehler sich in die Medicin eingeschlichen, solange man den neuen Hypothesen mit
so eifrigen Fleiß obgelegen habe; sondern das wolle Bagliv nur kürtzlich
gedencken: Und zwar erstlich, so erwachse nicht nur ein grosser
Verdruß, sondern
auch ein
empfindlicher Schimpf daher, daß sich die treflichsten
Köpffe durch
diese gelehrte und scharffsinnige Mährlein
|
|
|
{Sp. 1401|S. 714} |
|
|
hätten einnehmen lassen, und sich auf schlechte und unächte
Künste geleget,
die Beschaffenheiten der Kranckheiten wahrzunehmen, und die
Eigenschafften und
Kräffte der Artzneyen mit Gefahr zu untersuchen. |
|
|
Für das andere aber, daß die
Studenten, wenn sie erst einmal ihren
Kopff und
Verstand mit den ersonnenen und falschen
Meynungen beflecket, durch stete Übung
und Gebrauch dererselben eine solche
Gewohnheit überkämen, daß sie keinen
Zweiffel trügen, selbige hernachmahls in der Praxis nicht nur wie vorhin für
wahrscheinlich zu halten, sondern als etwas Gewisses anzuwenden. Wir hätten bis
hierher überflüßig den tiefsinnigen physicalischen Hypothesen und den subtilen
Eintheilungen und Beschreibungen der Vernunfftlehre nachgehangen. |
|
|
Durch alle dergleichen
Dinge bekomme zwar unsre edle
Kunst eine ziemliche
Erleuterung, aber nicht ihr vollkommenes
Wesen; die
Natur sey ihre eigene
Meisterin, und erstrecke sich viel weiter und breiter, als daß man ihr gewisse
Grentzen und die engen
Schrancken des
menschlichen Verstandes setzen könne,
welche sie niemahls überschreiten solte. Die
leiblichen und
natürlichen Dinge
würden durch eine wundernswürdige, ewige und beständige Richtschnur beherrschet.
Derohalben sey es nöthig, woferne wir die
Menschen nicht betrügen, sondern ihnen
in der That helffen wolten, daß wir die Gesetze der Natur aufzeichneten,
denenselben nachdächten, und ihnen in genauer Beobachtung sorgfältig folgten und
dieneten. |
|
|
Er, Bagliv, habe dieses nicht
geschrieben, daß er einen
eitlen Ruhm verjagen wollen, sondern das habe ihn bewogen, daß er vielen seines
gleichen, so hin und wieder in der Irre giengen, den rechten Weg zeigen und
einiger masen unterstützen möchte. Er wisse auch gar wohl, daß viele diese seine
Arbeit, so wie sie auch sey, nicht allzugütig aufnehmen, andere ihn als einen,
der mit dem galenischen Unflathe noch beflecket sey, verspotten, und mit hellem
und vollem Halse rufen würden: Daß er wie eine Saue sich nach der Schwemme
wieder in den Koth wältze, und als ein Hund wieder fresse, was schon ausgespyen
worden; bey andern werde es heissen: er sey zu den Empiristen übergelauffen, und
mache Profeßion von der Quacksalberey. Und wo es ja nicht so hoch käme, so
würden sie ihn doch einer freventlichen Verwegenheit beschuldigen, daß er den
neuern Ärtzten, welche fast alle einerley
Sinnes und Hertzens wären, in das
Wort
gefallen sey. |
|
|
Aber die Liebe zur Wahrheit, so ihm von Jugend auf gleichsam angebohren, und
der Eyfer zu dem
allgemeinen Besten verursachten, daß er diese und dergleichen
Nachrede in den Wind schlage. Denn es wäre eine
Schande, wenn bey einem
christlichen
Philosophen der Alten ihr Sprüchwort von weniger Gültigkeit seyn
solte, als bey den weissen Heyden, da es heisse: Man muß nichts höher
halten, als dasjenige, was zu der Menschen Wohlfahrt dienet. |
|
|
Gewiß, diejenigen hegeten närrische
Gedancken, sie mögten gleich Empiristen
oder Rationalisten sein, welche sich einbildeten, daß die Vernunfft mit der
Erfahrung streite. Denn, wie könne man
sagen, daß alle Theile derselben
Disciplin, welche, wie kein kluger
Mensch läugnen könne, durch lange Übung |
|
|
{Sp. 1402} |
|
|
und Erfahrung zu wege gebracht werde, der Vernunft zuzuschreiben sey? Oder,
daß man sein Absehen auf die blose Erfahrung haben müsse, hingegen die Vernunfft
auszuschliessen sey: Wenn durch den
Nahmen der Vernunfft nur nicht dasjenige
Vermögen
des
Gemüthes verstanden werde, welches man eine Erdenckung und
Erfindung der verborgensten Geheimnisse der
Natur nenne, und mehr zur Physic
gehöre: Sondern vielmehr dieselbe Allgemeine Beherrscherin und Königin
Vernunfft, wodurch ein Artzt die Folgerungen sähe, die
Principien der
Kranckheiten und derselben
Ursachen muthmase, ihr Zunehmen und Ausgang
vorhersage, und aus den gegenwärtigen
Dingen die künfftigen begreiffe, und
selbigen vorbaue. |
|
|
Er rufe den allgewaltigen
GOtt an, daß dieser solche hefftige Streitigkeiten
unter den Ärtzten zur Wohlfahrt des menschlichen
Geschlechtes und der
Christenheit zum Besten wolle beylegen, damit die Medicin, welche so viele
Jahrhundert her erbärmlichen Sturm ausgestanden, endlich in den Hafen der
stillen Ruhe und Einigkeit einlauffen, und daselbst behalten werden möge |
|
|
Die Medizin sey durch die
Nothwendigkeit erfunden, und durch die
Erfahrung
in ihren
Stand gebracht worden. Anfänglich wäre sie zwar sehr schlecht und
einfältig gewesen, mit der Zeit aber, da täglich neue Anmerckungen dazu
gekommen, welche sich gleichsam einander selbst die Bahn gebrochen, sonderlich
da alles durch das Licht der Vernunfft
regieret worden, sey sie
reicher und
gelehrter erschienen. |
|
|
Das alte Sprüchwort: Die Steine müssen sich nach der Schnur, nicht
aber die Schnur nach den Steinen richten, schicke sich überaus wohl auf
die Ärtzte, welche alle ihre Vernunfftsschlüsse, als Steine, wodurch die Medizin
solle gebauet werden, nach der Schnur der Geschöpffe richten solten. Denn weil
die Schnur derer
Dinge, so unsere Beobachtung
verdieneten, von
GOtt
unveränderlich in der
Welt gezogen, und nicht eines Nagels breit weichen könne,
um sich nach unsern falschen
Meynungen zu richten; als erfordere die
Nothwendigkeit, daß die Vernunfftsschlüsse des
menschlichen Verstandes gebogen,
und nach der Schnur gerichtet würden. Die zwey vornehmsten
Gründe der Medicin
wären, die Vernunfft und Beobachtung oder Anmerckung: Diese aber sey die Schnur,
nach welcher sich die Vernunfftsschlüsse, der Ärtzte richten müßten. |
|
|
Eine jede Kranckheit habe ihre gewisse und eigene
Natur, aber keine
erdichteten
Eigenschafften: Nicht weniger habe sie ihren eigenen Anfang,
Zunehmen,
Stand, oder höchsten Grad und Abnehmen. Und gleich wie sie dieses
alles ohne einige Beyhülffe der Vernunfft für sich verrichtete; also diene es
auch zu nichts, daß wir zu ihrer
Erforschung die subtile und geheime
Disputierkunst
anwendeten; sondern wir müsten öffters und fleißig dasjenige
beobachten, was einem jeden Patienten begegne, und solches müsse mit gehöriger
Scharffsinnigkeit geschehen, so der Manier der Natur gemäß sey, und derselben
auf dem Fusse nachfolge. |
|
|
Es geschehe offt, daß der Ausgang der Kranckheiten nicht also ausschlage,
wie sich wohl die Ärtzte davon eingebildet hätten ohngeachtet sie sich in der
Prognosis und Cur auf die |
|
|
{Sp. 1403|S. 715} |
|
|
Vernunfft und
Erfahrung gegründet: Und das rühre nicht her aus Mangel und
Unvollkommenheit der medicinischen
Regeln, sondern aus dem vielfachen
Zusammenlauffe sowohl innerlicher, als äusserlicher
Ursache; oder vielmehr aus
Nachläßigkeit und Irrthümern des Patienten, der Umstehenden und des Artztes,
welche sowohl die Artzneyen, als was sonst zur Cur gehöre, nicht gehörig
einrichteten und bestimmten. Viele schrieben der Vernunfft gar zu viel zu, der
Erfahrung aber gar nichts; andere thäten das Gegentheil: Und diese begingen
beiderseits gleiche Fehler. Daher finde sich unter den Ärtzten so viel Gezäncke,
und so viele verschiedene
Meynungen zwischen der Theorie und Praxis. |
|
|
Uns sey die Textur und Beschaffenheit sowohl der festen als fliessenden
Theile des lebendigen
Cörpers, welcher unvergleichlich klein, subtil, und nicht
nur von unseren
Sinnen, sondern auch von der Schärffe des
menschlichen Verstandes gantz und gar entfernet sey, durchaus unbewußt, und werde uns auch
ewig unbewußt bleiben. Eben so wohl sey die
Erfahrung öffters betrüglich, wenn
sie nicht von der Vernunfft geführet würde. Derowegen würde sie beyderseits zu
vielen Irrtümern
Ursache geben, wo sie sich nicht einander die Hand drücken. Ob
uns nun gleich gäntzlich verborgen, worinne der Fehler eines jeden Theiles und
die Natur einer jeden Kranckheit bestehe; so bemerckten wir doch, daß sie alle
ihre
Ordnung in dem Ab- und Zunehmen, oder ihre richtigen und ordentlichen
Zeitwechsel hätten. |
|
|
Daß es also damit beschaffen sey, werde offenbarlich zu sehen seyn, wenn man
dem Lauffe der Natur ihren
Willen lasse, und selbige durch keine ungereimte Cur
gestöhret noch gehindert werde. Woferne sich das Gegentheil begäbe, sey solches
der Manier zu curiren, nicht aber der Natur beyzumessen. Denn zwey Patienten, so
beyde an einerley Kranckheit, z.E. an dem Seitenstech-Fieber kranck lägen, aber
von unterschiedenen Ärtzten nach verschiedener Manier geheilet würden, würden
gleicher
Gestalt unterschiedene Zufälle auszustehen haben: Solchergestalt, so
ferne in der Manier ein Fehler vorgehe, werde nicht die Kranckheit, sondern der
Artzt vieler Zufälle Urheber seyn. |
|
|
Wenn man Hippocratis Aphorismos, Prognostica und
dergleichen, mit den Anmerckungen seiner Nachkömmlinge in Vergleichung zöge, so
werde hell und klar am Tage liegen, daß die Kranckheiten eben dieselbe Natur und
Beschaffenheit annoch hätten, welche sie in den vorigen Jahrhunderten gehabt,
und das dererselben Zeitwechsel (Periodi) in eben derselben
Ordnung
anträten und fortgiengen. |
|
|
Aus diesem allen könne mit
Recht geschlossen werden, daß die Medicin nicht
eben so ungewiß, auch nicht auf so schlechtem wanckendem
Grunde erbauet sey, wie
man ins gemein dafür halte, sondern daß sie ihr
Wort aus gewissen und durch
langen Gebrauche bewährten und bestätigten
Regeln führe. Denn die Anmerckungen,
als, das Haupt der
Kunst,
hätten den
menschlichen
Leib zu untersuchen, dessen
Bewegungen, sie möchten natürlich seyn, oder von Kranckheiten herrühren, hätten
ihren festen
Ursprung und ihre ordentlichen und beständigen Zeitwechsel. Dahero
es |
|
|
{Sp. 1404} |
|
|
auch kaum fehlen könne, daß die Lehren der Medicin, so dergleichen
Anmerckungen und Beobachtungen zum
Grunde hätten, nicht solten gewiß und
beständig seyn. |
|
|
Weil nun Hippocrates dieses sehr wohl verstanden, habe er
alle Kräffte angespannet, seine Anmerckungen recht und fleißig anzustellen,
durch deren
Vortheil und Beyhülfe er
erkannt habe, daß die Kranckheiten einige
beständige und unabtrennliche
Leidenschafften mit sich führeten, aber auch
einige, so sich nur dann und wann dabey einfänden, und welche sie mit anderen
Kranckheiten gemein hätten. Die beständigen kämen von der unabtrennlichen und
beständigen
Natur der Kranckheit her; diejenigen aber, so sich nur dann und wann
dabey einfänden, rühreten her von der unterschiedenen
Art der Cur, oder von den
vielfältigen und mancherley
Ursachen, welche dabey zusammen kämen. |
|
|
Hiervon habe er die ersten als
Regeln der
Kunst in Aphorismos und kurtze
Lehren verfasset; die übrigen aber, ob er sich schon nicht an statt der Regeln
habe wollen gehalten wissen, so habe er sie doch auch nicht in den Wind schlagen
wollen, sondern sie dem Willkühr eines braven
Mannes, das ist, eines
verständigen und scharffsinnigen Artztes Urtheil überlassen. |
|
|
Dergleichen beständige
Leidenschafften, welche man die ohnfehlbaren
Kennzeichen der Kranckheiten nennen könne, wären bisweilen gar leicht zu
entdecken, und fielen uns gleichsam von sich selbst in die Augen. Bisweilen aber
wären selbige verborgen, und könne man davon mit grosser Mühe kaum eine
glaubwürdige
Ursache vorbringen. Sie möchten nun seyn, wie sie wolten, so müßten
sie von dem Artzte nicht geringe geschätzet, sondern mit eben der Einfalt, wie
sie vorkämen, treulich aufgezeichnet werden. |
|
|
Denn gleichwie auch die allergeringsten Umstände heilbarer Anzeigungen
gäben, oder zeigen könnten, wie in Heilung der Kranckheiten zu verfahren; also
müßten auch die allergeringsten
Bewegungen, wenn sie auch fast ganz verborgen
wären, erforschet und beschrieben werden. Auf solche Art würden wir nicht nur
die vollkommene Historie der Kranckheiten erhalten, sondern, woran noch mehr
gelegen, die Manier zu curiren in Händen haben. Es würde zu lange werden, wenn
man alle dunckle Bewegungen anführen solte, so bey Heilung der Kranckheiten
angemercket würden. |
|
|
Damit aber dieser Lehrsatz einigermasen erläutert werde, wolle
Bagliv nur etlicher weniger gedencken. Von dieser Art sey die Lehre von
den critischen Tagen, darinne die
Natur den Unflath auswerffe, wie solches zur
bestimmten Zeit in den Fiebern zu geschehen pflege. Daß die hitzigen
Kranckheiten an ungleichen Tagen ein glückliches Ende nähmen, an ungleichen
Tagen mehren theils den
Tod mit sich führeten; da im Gegentheil die langwierigen
Kranckheiten sich so wohl in gleichen Tagen, als gleichen Monaten endigten, wie
die Alten angemercket hätten. |
|
|
Zu dieser Art gehöreten auch die verborgenen Verwechselungen, so die
Kranckheiten unter einander hätten, daß sie mehr an eine, als andere Theile ihre
unreine
Materie setzten; ingleichen die geheime Übereinstimmung, so die Theile
unter einander hätten. Zwischen den Schienbeinen und der Brust, zwischen der
Schaam und der Brust |
|
|
{Sp. 1405|S. 716} |
|
|
würden solche Übereinstimmungen gemercket. Alte Geschwüre Fontanelle, und
andere Kranckheiten der Schienbeine, wenn sie frühzeitig und unbedachtsam
geheilet würden, zögen Brustkranckheiten nach sich, wie die tägliche
Erfahrung
bezeuge. In Brustkranckheiten thäten die harntreibenden Mittel und Fußbäder
grossen
Nutzen; die purgirenden hingegen wären durchgehends
schädlich. |
|
|
Man habe gesehen, daß alle, so Seitenstechfieber gehabt, gesund worden
wären, wenn sie im innern Ohre Schmertzen empfunden, und die Eyterung darauf
erfolgt sey. Die Wechselfieber, welche kein Digestiv, kein Laxans, noch andere
Fieberartzneyen hätten curiren können, würden offtmahls durch das Blutlassen aus
der Salvatellader glücklich gehoben. Wenn sich ein hefftiger Schmertz an den
Hoden finde, so nehme der trockene Husten ein Ende, |
Hippocrates … |
|
Wenn von dem Husten ein Hoden schwölle, so erinnere man sich abermahl dabey,
daß zwischen der Brust, den Brüsten, Geburts-Gliedern und der Stimme eine genaue
Gemeinschafft sey, |
Hippocrates … |
|
Wenn die Hoden entzündet wären, und der Husten dazu komme, so
verliere sich
die Entzündung und so auch im Gegentheile. |
Hippocrates am angeführten Orte. |
|
Auf die Zertheilung des Wasserbruchs folge die Wassersucht der Brust, |
Meara Obs. Medic. |
|
Wenn sich in den Lungen-Kranckheiten Niesen einfinde, es geschähe solches
vor oder nach denenselben, sey es ein
böses
Zeichen, |
Hippocrates … |
|
Etliche gewisse Zeitwechsel der Kranckheiten, und zu gewissen Stunden
erneuerte Anfälle, hätten auch etwas Geheimes bey sich, wie man bey etlichen
Schmertzen, in Fiebern und vielen andern Kranckheiten beobachtete. |
|
|
Wenn die neueren Artzte dieses und anderes dergleichen mehr vernähmen, so
trieben sie damit ihren Spott, und wenn sie es selbst beobachteten, schlügen sie
es mit dem höchsten
Schaden der Patienten in den Wind. Viele
Dinge, so über
unsern
Verstand wären, müsse man nicht verächtlich halten, sondern ein Weiser
würde dahin bedacht seyn, indem er dererselben rechte
Eigenschafften durch seine
Vernunfftsschlüsse nicht erreichen könne, daß er die
Würckungen, so sich
äußerlich hervor thäten, fleißig anmercke, und davon
Regeln mache, nach welchen
man sich in der Praxis richten könne. |
|
|
Denn das sey die
Gewohnheit
des
menschlichen
Gemüthes, wenn es die
Hoffnung
fallen lasse, oder nicht genung gewachsen sey, schwere
Dinge zu entdecken, und
davon einen wahrscheinlichen
Grund zu leben, so fange es an, sich selbst zu
verzehren, und mit unnützen und überflüßigen Dingen gleichsam aufzureiben. Oder
wie Franc. Baco … sage: Nachdem die Menschen einmal die
Hofnung, hinter die
Wahrheit zu kommen, hätten fallen lassen, so gehe alles gar
kaltsinnig von statten, und daher rühre es, daß sie sich viel mehr zu dem
lustigen
Disputiren und Übersehung etlicher Dinge wendeten, als daß sie sich
in ernstlicher Untersuchung aufhalten solten. |
|
|
Derohalben, weil die Vernunfft in solchen wichtigen
Dingen blind sey, müsten
die Beobachtungen aufgezeichnet werden, wie sie vorkämen, und dem Leser fein
natürlich ohne häßliche Schmincke der Specula- |
|
|
{Sp. 1406} |
|
|
tionen vorgetragen werden, wie Aesculap schon zu seiner
Zeit deutlich und nicht ohne Anmuth solte geschrieben haben. Aus dem, was
bishero angeführet, werde es sich finden, daß die Medicin ihren
Ursprung, und
was sie gewisses und gründliches begreiffe, vornehmlich von der
Erfahrung
hergeholet habe. |
|
|
Was die besondere Cur einer jeden Kranckheit betreffe, sey Bagliv
der
Meynung, daß solche selten glücklich ausschlagen werde, woferne nicht den
Anmerckungen die Vernunfft an die Seite gesetzet würde: Denn es fänden sich
tausenderley
Ursachen der Kranckheiten, unterschiedliche Temperamente, Alter,
Geschlecht und Lebens-Arten der Patienten, verschiedene Landesstriche oder
Gegenden von verschiedener
Natur, mancherley
Veränderungen der Jahreszeiten, und
andere allezeit dabey sich einmischende
Dinge. Ja, endlich unzählich andere
Sachen, welche zu Zeugung und Hegung der Kranckheiten etwas beitrügen.
Dergestalt veränderten und verwirreten sie bisweilen die gewisse und beständige
Natur der Kranckheiten und der Zufälle, daß es schwer falle, hinter die
Wahrheit
zu kommen, woferne dieses alles nicht durch scharffsinnige Überlegung erläutert
werde. |
|
|
Sey nun dasjenige, was Bagliv kurz vorher geschrieben habe,
wahr oder nur der
Wahrheit ähnlich; so sey noch übrig, daß er die
Ursachen
erforsche, welche im Wege gewesen, daß die medicinische Praxis durch Obliegung
dergleichen Anmerckungen nicht vermehret und zur Vollkommenheit gebracht worden.
Die Verspottung der alten Ärtzte, die falschen Götzen der Ärtzte oder die
vorgefassten
Meynungen, die falschen Gleichnisse, die unrichtige Lesung der
Bücher
und verkehrte Auslegung dererselben, die eingerissene
böse
Gewohnheit,
Systemata zuschreiben; die Unterlassung von den Kranckheiten aphoristisch oder
in kurtzen Lehr-Sätzen zu
reden, oder dieselben mit ihren Zufällen und Artzneyen
oder andern Mitteln in gewisse
Regeln zu fassen, halte Bogliv
für die vornehmsten Hindernisse, wodurch der Ärtzte Anmerckungen, und diesen zu
Folge das Aufnehmen der Praxis wären zurück gesetzet worden. |
|
|
Es könnten auch über allbereits angeführte, noch viel andere
Dinge, und
vornehmlich der verkehrte
Unterricht bey Erlangung der
Wissenschafften,
beygebracht werden: Denn wenn wir unser
Gemüthe, so von vorgefasten
Meynungen
annoch frey sey, den
Lehrern erst unterwürffen; diese aber ihren Unterricht ohne
deutlichen und ordentlichen Vortrag verrichteten, dabey in vielen Irrthümern
stäcken, oder keines gehörigen scharffen und klugen
Verstandes wären; so hänge
alles, was uns von ihnen eingeflösset werde, dergestalt feste in unserm Gemüthe,
daß es hernach durchaus nicht könne ausgelöschet werden; es sey denn, daß wir
durch die besten Lehrmeister, oder durch die
Erfahrung selbst auf den rechten
Weg geleitet würden, und alles dasjenige wieder ausschwitzten, welches die
ersten und vornehmsten Quellen unserer Fehler wären. |
|
|
Unser angebohrnes Temperament bringe uns entweder offt in Irrthümer, oder
mache, daß wir von den
Sachen falsch urtheilten. Ausser, daß Galen
sage, daß sich die Sitten des
Gemüthes nach dem Temperament des
Leibes |
|
|
{Sp. 1407|S. 717} |
|
|
richteten, lehre uns auch die tägliche
Erfahrung, daß es in der That also
sey. Viele, sonst kluge und gelehrte
Männer hätten sich von einigen
Meynungen
fesseln lassen, deren Falschheit auch der Einfältigste vollkommen begreiffen
könne, welche sie aus angebohrner
Gemüths-Neigung nicht nur für gewiß hielten,
sondern sich auch durch die klarsten
Beweiß-Gründe nicht davon abwenden liessen. |
|
|
Und solches legten etliche Ärtzte bey dem Recept
schreiben durchaus deutlich
an den Tag. Solcher gestalt scheue sich offt ein Artzt, der von
Natur
furchtsam
oder melancholisch, oder, wie man sage, der eines feuchten und kalten
Temperamentes sey, vor den geistigen Artzneyen, flüchtigen, oder sonst feurigen
Sachen. Er fange aller Kranckheiten Cur mit feuchtenden, kühlenden und sonst
andern Mitteln an, so von keiner
Würckung wären. Hingegen der ein warmes
Temperament habe, ein Gallreicher, der von Natur ungedultig, unbändig u.s.w.
sey, verachtete alle kühlende und leichte Mittel, und verschreibe nichts lieber,
als flüchtige, geistige, alkalische, aromatische, Eisen, Feuer, Blasenziehende,
hefftige Purgantzen und dergleichen, so von grosser
Würckung und
Kräfften wären. |
|
|
Und gleichwie sie, nach vorher gemeldeter natürlichen Neigung mehr zu diesen
als anderer
Art Artzneyen Belieben trügen; als gefielen ihnen auch diese
Gesetze
und Lehren der Medicin vor andern, und eben nach dieser Neigung urtheilten und
schlössen sie bisweilen von den
Wissenschafften. So ferne sie sich deswegen
nicht befleißigten, dieser Neigung mit genauer Achtsamkeit zu begegnen, und die
innerliche
Bewegung ihres Temperaments durch die kluge Vernunfft zu regieren,
würden sie vorgedachten und andern Fehlern häßlich unterworffen seyn. |
|
|
Es sey nicht eine von den geringsten
Ursachen, welche nicht weniger
schädliche Irrthümer, als die unendliche Zahl der andern, eingeführet hätten,
daß man den unnützen Gedichten seines eigenen Gehirns mehr Glauben beygemessen,
als den Lehren der
Natur und den fleißigen Anmerckungen. Sonderlich, wenn man
erwäge, daß die Natur ihre eigene
Freyheit habe, und sich nicht nach unsern
Köpffen richte, sondern ihre
Bewegung so verborgen mache, daß sie auf keine
andere Weise leichter könne erforschet werden, als durch die Beobachtung und die
Vernunfft, so sich an die
Erfahrung halte; hingegen da die
Menschen durch einen
Gemüthstrieb und gleichsam nach ihrem freien Willkühr von derselben urtheileten,
so dürffe man sich nachgehends nicht wundern, wenn sie davon so wohl allerhand
falsche Vernunfft-Schlüsse herleiteten, als auch die Curen der Kranckheiten,
welche sich auf diese
Schlüsse gründeten, nicht nach Wunsch aussschlugen. |
|
|
Gleichwohl müsse man sich wundern, daß sie die
Ursachen der Irrthümer, so
daher entsprössen, so leichtsinnig der Unbeständigkeit, wie sie
redeten, und
Ungewißheit der
Kunst, nicht aber ihrer verkehrten Art zu schliessen und zu
dencken beymäsen. Und gewiß, dieser Ursachen halben sey es heutiges Tages dahin
gekommen, daß viele die Medicin für ungewiß ausschryen, etliche die Lehren der
Prognosis verspotteten; andere die Artzeneyen, sie möchten schwach oder |
|
|
{Sp. 1408} |
|
|
starck seyn, ins Gelach hinein verschrieben, und Zeit währender gantzen
Kranckheit weder auf den Auswurff, noch die Kochung einige Acht hätten; daß
viele den Alten nichts, den Neuern aber allzu viel zutraueten, viele keinen von
beyden Glauben zustelleten; daß sie ihre eigene Niedrigkeit und Einfalt, der
Einfältigkeit der
Natur nicht unterwürffen, sondern, krafft ihrer hochmüthigen
Theorie, von den
Würckungen der Natur urtheileten. |
|
Bagliv Ende |
Und indem sie es ihr aus Schertz und Possen nachthun wolten, so sey es kein
Wunder, wenn sie solchergestalt die Irrthümer von Heilung der Kranckheiten nicht
ablegten, sondern hegten und pflegten, zwar veränderten, aber nicht aus dem Wege
räumten. Diese und andere Hindernisse könnten in grosser Menge angemercket
werden, wodurch die medicinische Praxis bisher ins Stecken gerathen wäre. Soweit
Bagliv. |
|
|
Wir führen noch zum Beschluß an, was Bohn, in seiner
Chirurg. rational. … von der Vernunfft
saget, daß sie nehmlich zur
Untersuchung der Kranckheiten müsse angewendet werden. Diejenigen Kranckheiten
und derselben nothwendige Umstände, welche uns nicht in die
Sinne fallen,
schreibet er, müsten wir vermöge der Vernunfft und eines guten
Schlusses auf unterschiedene Art errathen. |
|
|
Also sey eine Wunde gar leichtlich aus der Beschaffenheit und
Gewalt des
Instrumentes, wo sie angebracht worden, zu beurtheilen. Ferner könne man auch
die verborgenen Spaltbrüche des Hirnschädels
erkennen, wenn man dem Patienten
ein Ende von einer Schnur oder Bindfaden zwischen die Zähne nehmen und feste
halten lasse, das andere Ende aber selbst in die Hand nehme, daran feste ziehe
und schüttele: Denn wenn dadurch dem Patienten Schmertz erwecket werde, so sey
es ein Zeichen eines gegenwärtigen Spaltbruchs; Ingleichen, wenn man ihn in
etwas hartes, als einen Nagel oder Nuß beissen lasse, und er
empfinde durch den
Biß einen Schmertz, oder mercke ein Geräusche oder Knirschen, so sey nicht mehr
an dem Bruch des Hirnschedels zu zweiffeln, welches man auch mit Auflegung
gewisser Pflaster abnehmen könne; gleicher gestalt, wenn sich der Patient
unruhig befände, und sich von einer Seite auf die andere wältzete, so schliesse
man nicht unrecht, daß die Kranckheit in einem Brust-Geschwüre bestehe. Und
endlich gebe der Schmertz, nebst andern Umständen, die
Ursachen der Kranckheiten
gar leichtlich zu beurtheilen.¶ |
|
|
|
|