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Zedler: Vollkommen … in den Heiligen Schrifften HIS-Data
5028-50-481-7
Titel: Vollkommen … in den Heiligen Schrifften
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 50 Sp. 481
Jahr: 1746
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 50 S. 256
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Siehe auch:
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen, Bibel
  • Transkribierter griechischer Text der Vorlage

  Text Quellenangaben
  Vollkommen, hat in den Heiligen Schrifften nicht einerley Bedeutung, nachdem es nehmlich entweder von GOtt und Göttlichen Dingen, oder von Menschen und irrdischen Dingen; gebrauchet wird.  
  Wenn es von GOtt gelesen wird, bedeutet es so viel, als gantz vollkommen, Matth. V, 48.
  Es wird aber auch die Vollkommenheit den Göttlichen Dingen zugeschrieben. So schreibet Jacob, indem I Capitel seiner Epistel, in dem 17 Verse: Alle gute Gaben, und alle vollkommene Gaben, kommen von oben herab. Spricht Jemand: Wie können die geistlichen Gaben vollkommen seyn, da doch in diesem Leben alles Stückwerck und unvollkommen ist? So ist die Antwort, daß der Gnaden-Stand ein vollkommener Stand ist, daß die Gnade allen Mangel ersetzet, daß die geistlichen Gaben an sich vollkommen sind, und ob sie gleich in diesem Leben nie vollkommen besessen werden, doch gleichwohl ihre Vollkommenheit erreichen, indem in dem Gnaden-Stande der Mensch stets wächset und zunimmet, und von Gnade zu Gnade, von Krafft  
  {Sp. 482}  
  zu Krafft, von Glauben zu Glauben gehet, und einen Sieg nach dem andern erhält. Er arbeitet heute und morgen, und an dem dritten Tage nimmt er ein Ende, das ist, alsdenn wird er vollkommen. Er vergisset, was dahinten ist, und strecket sich zu dem, das da fornen ist, und jaget nach dem vorgesteckten Ziel, nach dem Kleinod, welches vorhält die himmlische Beruffung GOttes, in Christo JEsu, Philipper III, 13, 14.
  Nun redet der Apostel nicht von einer und der andern guten Gabe, auch nicht von einer und der andern vollkommenen Gabe, sondern er redet so allgemein, daß er alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe nennet, und also keine eintzige gute Gabe, auch keine eintzige vollkommene Gabe, ausgeschlossen wissen will.  
  Gute Gaben sind:  
   
  die die Menschen in diesem natürlichen Leben besitzen.  
  Vollkommene Gaben sind  
   
  Welche die Auserwehlten hier dem Anfange nach empfangen, und dort vollkömmlich besitzen.  
  Jacob gedencket ferner in dem folgenden 25 Verse eines vollkommenen Gesetzes, und verstehet darunter nicht das Gesetz der Wercke, sondern das Gesetz des Glaubens, das Evangelium, das Wort, das Busse und Glauben, Busse und Vergebung der Sünden, prediget,
  • Römern III, 27.
  • Matthäi III, 2.
  • Marci I, 15.
  • Lucä XXIV, 47.
  • Apostel Geschicht II, 38.
  Dasselbe heisset aber ein Gesetz, weil es den Weg zu der Seligkeit zeiget; ja das Gesetz Christi, weil der Weg, den es weiset, Christus ist,
  • Eisaiä XLII, 4.
  • Johann XIV, 6.
  und weil es auch Christus selbst geprediget hat.  
  Es heisset auch das Gesetz, weil es Gebote und Verheissungen in sich begreiffet, und die Gewissen der Menschen zu dem Gehorsam verbindet. Es heisset aber das vollkommene Gesetz, nicht, als wenn das Gesetz Mosis unvollkommen, das Gesetz Christi, oder des Glaubens aber, vollkommen wäre; oder, als wenn unter dem neuen Testamente ein vollkommener Gesetz wäre, als unter dem Alten Testamente gewesen ist; denn Christus ist unter das Gesetz gethan, das GOTT durch Mosen gegeben hat, und hat die Gerechtigkeit desselben Gesetzes erfüllet, und zugleich erworben:
  • Galater IV, 4.
  • Römern VIII, 3, 4.
  Wer wolte nun das Gesetz und dessen Gerechtigkeit unvollkommen nennen? Das Gesetz Christi heisset hie vollkommen, weil das Gesetz Mosis durch das Fleisch geschwächet ist, und keinen Menschen gerecht machen kan; daneben in Gegenstellung der Gebote und Lehren der Menschen, weil dieses Gesetz allein den Weg zu der Seligkeit vollkömmlich zeiget, und die vollkommene Glaubens- und  
  {Sp. 483|S. 257}  
  Lebens-Regel in sich begreiffet, indem es die rechte Art unserer Versöhnung mit GOTT, und das eintzige Mittel, dieselbe zu erlangen, anweiset. Paulus nennet es GOttes vollkommenen Willen, Römer XII, 2,
  weil es alles, was gut, was wahr, was heilig und gerecht ist, begreiffet: Und saget, daß es den Menschen vollkommen, und zu allen guten Wercken geschickt machet, 2. Timoth. III, 17.
  Wenn das Wort Vollkommen von den Menschen in den Heil. Schrifften gebrauchet wird, als Matthäi V, 48. Philipper III, 15. So ist solches auf viererley Weise zu verstehen. Als:  
 
1) Anfangs-Weise, (inchoative) indem sie aufrichtig, ohne falsch, und ohne Heucheley, recht glauben und gottselig leben, welches sonst der Heil. Geist auch ohne Wandel seyn nennet:
  • 1 Johann IV, 18.
  • 5 Buch Moses XVIII, 13.
 
Indem sie ferner in allen Haupt-Stücken der Lehre wohl unterrichtet und gegründet sind,
  • 1 Corinthier II, 6. Cap. XIV, 20.
  • Epheser IV, 13.
  • Ebräer V, 14.
 
2) Zurechnung-Weise, (imputative) durch den Glauben an CHristum, der für uns dem Gesetze GOttes einen vollkommenen Gehorsam geleistet hat,
Matthäi V, 17.
 
Und uns von seiner Fülle Gnade um Gnade nehmen lässet,
Johann I, 16.
 
3) Wunsch-Weise, (affective) indem sie nach der Vollkommenheit streben, und dahero an dem Gesetz, nach dem inwendigen Menschen, Lust haben,
Röm. VII, 22,
 
und mit der Heiligung in der Furcht GOttes fortfahren,
2 Corinthier VII. 1.
 
Sie suchen GOTT aufrichtig, nicht allein nach etlichen, sondern nach allen seinen Geboten, zu dienen;
  • Matthäi V, 48. Cap. XIX, 21.
  • Colosser I, 28. Cap. IV. 12.
  • 2 Timothäi III, 16.
 
Wiewohl die Menschen in diesem Leben nicht nach allen Stücken vollkommen sind:
 
 
Weder an der Erkänntniß und Wissenschafft;
1 Corinthier XIII, 9- 12,
 
noch an der Gottseligkeit, oder Vollbringung, und Haltung, der Gebote GOttes, wie dieselbe von dem Gesetz erfordert wird;
  • Römer VII, 15, 16.
  • Galater V, 17.
  • Philipper III, 12.
  • Jacobi III, 2.
  • 1 Johann I, 8.
 
Von dieser Art der Vollkommenheit redet Paulus, wenn er Ebräer V, 14 schreibet: Vollkommenen gehöret starcke Speise. Das Wort Teleios, welches sich in der Grund-Sprache befindet, bedeutet sonsten eine solche Sache, welcher auch in dem geringsten nichts fehlet, oder, an der alles zu finden ist, was sie billig haben soll. Wie etwan der ein vollkommener Mann genennet wird, der alle nothwendigen Eigenschafften des Alters, der Statur, der Glieder, und so weiter, welche zu einem Manne erfordert werden, an sich hat; wie also Paulus von der geistlichen Vollkommenheit, Epheser IV, 13 redet, wenn er saget, daß wir ein vollkommener Mann werden, nach der Masse des vollkommenen Alters Christi.
 
 
Also heissen auch in Heiliger Schrifft diejenigen Vollkommene, die in der Natur, in Erkänntniß Göttlicher Geschöpffe, in den Elementen, und was darin-
 
  {Sp. 484}  
 
nen zu finden ist, ingleichen in der Stern-Kunst, erfahren sind, und des Himmels-Lauff wohl erkundiget haben, die die Wunder, so in der Natur geschehen sind, wissen,
Job. XXXVII, 16.
 
Es wird demnach das Wort Vollkommen dem Unvollkommenen entgegen gesetzet, welches unzeitig, und noch nicht zu seinem rechten völligen Stande gebracht ist, wie etwan eine unzeitige Geburt unvollkommen genennet wird, weil sie noch nicht alle Gliedmasen hat, oder, da noch die Nägel, und andere nothwendige Bildung mangelt; wie solcher unzeitigen Geburt, Hiob III, 16. Psalm CVIII, 9. 1 Corinthier XV, 8 gedacht wird.
 
 
So werden auch die Trauben, die, ehe sie reiff werden, von dem Wein- Stocke abgerissen werden, unvollkommen genennet,
Hiob XV, 13.
 
Anderer unvollkommener Dinge zu geschweigen.
 
 
Vollkommen wird also eigentlich dasjenige genennet, dem absolut und schlechterdings nichts mangelt. Allein in solchem Verstande brauchet Paulus in obgedachten Worten das Wort Vollkommen nicht, sintemahl in dieser Schwachheit und Gebrechlichkeit es kein Mensch dahin bringen kan, daß er zu der absoluten Vollkommenheit in seinem Christenthume gelangen könnte. Sondern, wie unser Wissen Stückwerck ist, und wir die vollkommene Erkänntniß unsers GOttes erst in dem Himmel erwarten; also bleibet auch unsere Heiligkeit und Frömmigkeit ein Lehr-Werck, so, daß das Wachsen unsers Christenthums mehr in fleißigem Wollen und Üben, als in gäntzlichem Vollenden und Vollbringen, bestehet;
  • 1 Corinthier XIII, 9, 10, 12.
  • Syrach.XVIII, 6.
  • Philipp III, 12.
 
Paulus redet demnach von den Vollkommenen Vergleichungs-Weise, und in gewisser Masse, (comparate et secundum quid) in so ferne dieselben den Kindern und Einfältigen entgegen gesetzet werden, da es auch unter den vollkommenen selber unterschiedliche Stuffen (Gradus) giebet, da es immer einer höher und weiter, als der andere, gebracht hat, und da auch die Vollkommenen noch viel zu lernen haben.
 
 
4) Werden wir auch in dem ewigen Leben würcklich, (effective) vollkommen seyn,
Esaiä LX, 21.
 
Hievon redet der Meister des Buchs der Weisheit, wenn er Cap. IV, 13, schreibet: Vollkommen ist er bald worden. In dem vorhergehenden führet der Verfasser dieses Buches wichtige Bewegungs-Gründe an, warum GOtt der Herr die Frommen sobald sterben lasse, und bewähret, daß es nicht so ohngefähr und zufälliger Weise oder blos nur darum, weil es GOTT also gefalle, noch weniger aber zu dem Schaden der Sterbenden geschehe; Sondern theils, (ob quietis consecutionem) damit sie zu der Ruhe kommen mögten; Der Gerechte, spricht er, ob er gleich zu zeitlich stirbt, so ist er doch in der Ruhe: Theils, (ob peccatorum declinationem) damit sie der Sünde und aller Untugend bey Zeiten entzogen würden;
V. 11. 12.
 
Er wird hingerückt, daß die Boßheit seinen Verstand nicht verkehre, noch fal-
 
  {Sp. 485|S. 258}  
 
sche Lehre seine Seele betrüge. Denn die bösen Exempel verführen und verderben einem das Gute, und die reitzende Lust verkehret unschuldige Hertzen.
 
 
Darauf fähret er allhier fort, und weiset, daß es GOTT auch thue (ob perfectionis supplementum) damit er bald vollkommen werden mögte. In dem Griechischen stehet das Wort [ein Wort Griechisch], welches, ob es war auch bisweilen soviel heisset, als verzehret werden, untergehen, sterben und begraben werden, wie es etwan in solchem Verstande der HErr Christus gebrauchet, wenn er saget: Am dritten Tage werde ich ein Ende nehmen, das ist, am dritten Tage werde ich gecreutziget werden und sterben,
Luc. XIII, 32;
 
Auf welchen Schlag auch Vatablus es verstanden und ausgeleget hat, als heisset es: Er ist bald vollkommen worden, so viel, als: Er ist bald gestorben; So hat es doch allhier die Bedeutung der Vollkommenheit, und ist von Luthern gar wohl durch das Wort: Vollkommen werden, verdeutschet worden. Es wird aber allhie nicht die Vollkommenheit eines zeitlichen Lebens verstanden, sintemahl in diesem bösen Leben ein unvollkommenes Wesen, und keine Vollkommenheit zu suchen ist,
Philipp. III, 12;
 
Sondern es wird die Vollkommenheit des zukünfftigen und ewigen Lebens angezeiget, darinnen die selig verstorbenen recht vollkommen seyn, und unter die Zahl der vollkommenen Gerechten werden gesetzet werden, welche der Seelen nach sich allbereit in der himmlischen Vollkommenheit befinden,
Ebr. XII, 23.
 
Denn denen Frommen und Gläubigen ist der Tod gleichsam die Thür, durch welche sie zu der Vollkommenheit, zu der Vollendung ihres Christenthums, wie auch zu dem bessern Wohlstande ihrer Seelen eingehen und gelangen.
 
  Das Wort Vollkommen wird auch sonst in den Heil. Schrifften auf dreyerley Weise angenommen; Als  
 
α) für aufrichtig und wahrhafftig, wenn man es dem Falschen entgegen setzet;
1 Johann. II, 5; IV, 12. 17. 18.
 
β) Für geheiliget,
Ebr. VII. 18. 19.
 
γ) Für gantz,
1 Petri I, 13.
  Der Wille GOttes ist vollkommen, Röm. XII, 2.
  Das Band der Vollkommenheit ist die Liebe,
  • Coloss. III, 14;
  • Ebr. VI, 1.
  Bibl. Real-Lex. I Th. …
  Siehe auch Vollkommenheit der Gläubigen.  
     

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Stand: 31. März 2013 © Hans-Walter Pries