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Zedler: Unterhandlungen, (menschliche) HIS-Data
5028-49-2136-6
Titel: Unterhandlungen, (menschliche)
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 49 Sp. 2136
Jahr: 1746
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 49 S. 1083
Vorheriger Artikel: Unterhandlung … Vermittelung
Folgender Artikel: Unter-Hasel
Siehe auch:
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen

  Text Quellenangaben
  Unterhandlungen, (menschliche) werden diejenigen wircklichen Unterhaltungen der menschlichen Gesellschafft genennet, durch welche die Menschen den geselligen Beytrag zu ihren Absichten von einander zu erlangen bemühet sind, auch zu dem Ende ihre Gemüther unter einander zu gewinnen trachten.  
  Sie können füglich in zweyerley Gattungen eingetheilet werden; nehmlich theils in allgemeine Unterhandlungen, da die Menschen, ohne ein besonderes würckliches Geschäffte unter einander abzuhandeln, nur in Absicht auf die Stifftung oder Unterhaltung eines guten Vernehmens überhaupt, mit einander Umgang pflegen; welche Art der Unterhandlungen man insgemein die Conversation, oder den gemeinen Umgang der Menschen mit einander; und die Klugheit, sich wohl dabey aufzuführen, die Klugheit zu conversiren nennet; theils in besondere Unterhandlungen, in welche sie in besondern Geschäfften zu ihrem gemeinschafftlichen Interesse sich einzulassen vor nöthig und gut befinden.  
  Von der ersten Art ist unter dem Artickel Umgang gehandelt worden.  
  Die besondern Unterhandlungen hingegen werden diejenigen genennet die in gewissen Geschäfften angestellet werden, als in welchen ein Mensch den andern, dessen Beytritt er zu Erreichung seiner Absichten, in solchen Geschäfften von nöthen hat, auf seine Seite zu bringen sich bemühet. Die Mittel, diesen Zweck zu erlangen, sind theils allgemeine, nehmlich diejenigen, die die gemeinen Regeln der Klugheit mit Menschen umzugehen, an die Hand geben; theils besondere, die die Natur des Geschäffts, in welchem man mit andern in Unterhandlung zutreten nöthig und dienlich findet, insonderheit erfordert.  
  In einigen Geschäfften sind die ersteren wohl allein hinlänglich; nehmlich in solchen, in denen der andere, dessen Beytritt und Hülffe man suchet, kein Interesse hat, oder zu haben vermeinet, dem das Geschäfte, das man vorhat, und unsere Absicht in demselben, sonderlich entgegen seyn solte. Denn aus was Ursachen solte derjenige dessen Gunst man zu erwerben, und uns darinnen nur ein wenig fest zu setzen gewust, uns etwas versagen, das er ohne allen seinen Nachtheil leisten zu können vermeinet?  
  Hingegen in Geschäfften, die dem wahrhafften oder vermeinten Interesse des andern sogar gleichgültig nicht sind, will  
  {Sp. 2137|S. 1084}  
  die blosse Gewogenheit, die durch die gemeine Klugheit zu leben, und mit Menschen umzugehen, erworben und unterhalten wird, nicht zulangen; ob gleich so viel wahr ist, daß sie die Unterhandlungen, die in dergleichen Geschäfften aus einem weit specialern Grunde anzustellen sind, ziemlich erleichtern.  
  Da in Geschäfften, die dem wahrhafften oder vermeinten Interesse des andern so gar gleichgültig nicht sind, die blosse Gewogenheit desselben ein nicht leicht zulängliches Mittel seyn kan, ihn auf unsere Seite zu bringen; indem die Neigungen vernünfftiger Gewogenheit und Liebe gegen einen andern; der Sorge eines klugen vor seinen eigenen rechtmäßigen Nutzen nicht vordringen können noch sollen; zu geschweigen, daß die offt ungesellige Eigennützigkeit der meisten Menschen nicht allezeit zulässet, viel gutes von ihnen zu hoffen; so ist leicht zu erachten, daß in dergleichen Gesellschafften die Regeln der Klugheit eine gute und gründliche Einsicht, neben unserm eigenen Interesse, auch in das Interesse des andern, mit dem man in dergleichen Geschäfften in Unterhandlung zu treten wünschet, erfordern, um eine Verbindung unter beyderley Interesse hervorzubringen, oder, wenn schon eine an sich selbst vorhanden, dieselbe zum Grunde seiner Unterhandlung zu setzen.  
  Zu dem Ende ist hoch nöthig, von den eigentlichen Geschäfften und Gewerben anderer, und von den Verbindungen, in denen sie nach Beschaffenheit derselben unter einander stehen, so genaue Kundschafft, als nur immer möglich, einzuziehen. Aus welchem Grunde sodann diese Haupt-Regel aller klugen Unterhandlungen folget, daß man bey einem jeden Vorhaben von einiger Wichtigkeit reiflich zu beurtheilen habe, wer mit uns in Absicht auf das vorhabende Geschäffte ein gemeinsames, und wer hingegen ein entgegengesetztes, wahrhafftes oder falsches Interesse habe, oder haben könne; ingleichen wie weit die innerlichen und äusserlichen Kräffte eines jeden von beyden sich erstrecken, uns in unsern Vorhaben förderlich oder hinderlich zu seyn; damit man solchergestalt erkennen mögen, theils mit wem in Unterhandlung zu treten die Klugheit erfordere, theils auf was vor einen Grund des eigenen Interesse des andern solche Unterhandlung mit ihm zu bauen sey, als welchem von unserm auch billigen Interesse hin und wieder etwas nachzugeben, und hierinnen unserer Eigennützigkeit den Zügel wohl anzuhalten, offt die gröste Klugheit ist.  
  Ausser diesem Grunde einen gar kräfftigen und würcksamen Beytritt anderer zu unserem Interesse, oder doch viele Aufrichtigkeit und Beständigkeit desselben, zu hoffen und zu erwarten, ist Einfalt.  
  Hieraus nun fliessen folgende Grundregeln der Klugheit in Ansehung unserer besondern Unterhandlungen mit andern Menschen:  
  Niemand bilde sich ein, daß er viele Geschäffte in der menschlichen Gesellschafft, und viele Absichten, die er in Ansehung derselben auf seinen Nutzen hat, blos durch eigene Kräffte, und wohl gar mit Gewalt, werde durchtreiben können. Die meisten und wichtigsten gehen, in Ansehung des nur jetzt erwehnten geselligen Zusammenhanges des menschlichen Interesse nur alsdenn von statten, wenn sie von andern, die wir in unser Interesse, durch kluge Verknüpffung desselben mit dem ihrigen, zu ziehen  
  {Sp. 2138}  
  wissen, nicht verhindert, sondern unterstützet werden.  
  Niemand also verlasse sich so sehr auf seine gerechte Sache, daß er eben niemanden viele gute Worte deswegen zu geben Ursache zu haben glauben solte; er bilde sich auch nicht ein, vor allen feindlichen Hinderungen sicher zu seyn, weil er sich doch nicht entsinnen könne, jemanden etwas zuwieder gethan zu haben.  
  Sobald ein Mensch etwas unternimmt, so ist, in Betrachtung der verderbten Eigenliebe, die fürnehmste Sorge anderer, deren Interesse mit seinem Thun und Lassen in einiger Verbindung stehet, nicht wie gerecht und vernunfftmäßig, sondern wie vortheilhafftig oder nachtheilig es ihnen in ihren Absichten seyn mögte; man mag ihnen nun etwas zuwieder gethan haben, oder nicht; ja man mag ihnen auch so viele Gunsten vorhero erwiesen haben, als man wolle. Wer demnach vor dem Widerstande des andern sicher seyn, und vielmehr dessen nöthigen Beytritt zu Beförderung seiner Absichten erlangen will der traue ihm nicht alzuleicht zu, daß er viel aus Liebe und Treuhertzigkeit, oder aus blosser Betrachtung der Billigkeit, zu seinem Vortheil thun oder lassen werde.  
  Die Menschen sind, ein jeder nach der Art seines herrschenden Affects, ihrer eiteln Selbst Liebe ergeben. Was demnach ein jeder thut, das thut er zu Beförderung seines eigenen Nutzens. Kan man ihn also überzeugen, daß er durch den gesuchten Beytritt zu einem vorhabenden Geschäffte sein Interesse, das er nach der Beschaffenheit seiner Gemüths-Art etwa darinnen finden könnte, sonderbahr befördern werde; so wird aus diesem Grunde alles, was nur möglich, von ihm zu erlangen seyn; wiedrigenfalls wenig oder nichts; Es wäre denn, daß man der Tugend des andern vollkommen versichert wäre; welches aber etwas sehr seltenes ist; zu geschweigen, daß die Tugend auch nicht leicht in diesem Leben so vollkommen wird, daß sie nicht immer von der Eitelkeit in schwere Versuchung geführet werden solte; da denn der Klugheit gemäß ist, auch in Unterhandlungen mit tugendhafften Leuten, ob sie gleich in billigen und gerechten Dingen weit leichter von statten gehen, als mit solchen, die ihren Affecten anhangen, dennoch zu guter Vorsorge immer mit auf obgedachte Versuchungen zu dencken, und dem zufolge die Grundregeln der zu gewinnenden verderbten Eigenliebe nicht alzuweit bey Seite zu setzen.  
  Es brauchet dahero das rechte Gelencke aller wichtigen Unterhandlungen, sowohl in Staats- als gemeinen Geschäfften, auf dem Zusammenhange des Interesse derer, die mit einander in Unterhandlung sind. Und das sicherste Mittel also wieder die ungesellige Eigennützigkeit derer, die uns in unsern Absichten förderlich seyn könnten und solten, und doch offt nicht wollen, ist wie kurtz vorher gedacht, die Klugheit, die Ungeselligkeit nur unserer eigenen Selbst-Liebe zu verbessern, und nebst unserm eigenen Nutzen, den man suchet, auch auf das Interesse des andern, dessen Beytritt man wünschet, mit Ernst zu dencken, auch, da es nöthig demselben von unserm eigenen wohl etwas ansehnliches nachzugeben.  
  Es thut auch nichts zur Sache, ob solches Interesse ein wahrhafftes und gründliches sey oder nicht; wenn es nur der andere nach Beschaffenheit  
  {Sp. 2139|S. 1085}  
  seiner Gemüths-Art vor ein Interesse hält. Denn warum solte es nicht erlaubet seyn auch der unordentlichen Selbst-Liebe, und der daraus entspringenden eitelen Affecten der Menschen, zu Beförderung rechtmäßiger Absichten sich zu bedienen, wenn nicht so viel Tugend in ihnen zu finden ist, ihre gesellige Hülffe von ihnen zu erlangen.  
  Scheint auch anfänglich kein sonderbares Interesse vorhanden zu seyn, das der andere, dessen Beytritt man zu seinen Geschäfften bedarf, in selbigen solte haben können; so gehören gute Erfindungen darzu, die Sachen also zu karten, daß dergleichen Interesse hervorgebracht, und er dadurch auch wohl wider seine ersten Meynungen mit in den Handel gezogen werden möge.  
  Aus eben diesem Grunde der nöthigen Verbesserung unserer Selbstliebe, und geselligen Mäßigung unserer Eigennützigkeit, fliesset auch die nöthige Behutsamkeit, die da erfordert wird, wenn andere arglistige Menschen an uns setzen, und durch ein gezeigtes Schein-Interesse uns in ihre offt gefährliche und weit aussehende Händel ziehen wollen. Denn die bishero abgehandelte Regel der Klugheit, unser Interesse mit dem Interesse derer die uns in dem unserigen dienen sollen, zu verbinden, kan, wie alle andere an sich selbst reine und unschuldige Mittel der Klugheit, auch von bösen und eiteln Menschen zu ihren verkehrten Absichten gemißbrauchet werden: da also derjenige, der seine Eigennützigkeit wohl im Zügel hält, und nicht auf einen jeden vorgestellten Vortheil sofort alzu hitzig ist, sich so leicht nicht wird fangen lassen.  
  In allen Unterhandlungen sowohl, als in würcklicher Erfüllung dessen, was abgeredet worden, erfodern die wahren Regeln einer ächten und gründlichen Klugheit, bey aller Sorge vor sein rechtmäßiges Interesse, und bey aller Fürsichtigkeit nicht hintergangen zu werden, auch hingegen mit dem andern ordentlicher Weise allezeit aufrichtig und redlich zu handeln, in Ansehung der Vortheile von seiner Seiten, auf deren Grund man die Unterhandlung mit ihm gebauet hatte. Hierdurch wird das gute Vertrauen, welches die Seele aller Unterhandlungen ist, hervorgebracht und befestiget. Und nicht allein diejenigen, die davon die würcklichen Proben erfahren, sondern auch andere, lassen sich sodann, zu unserm grossen Nutzen, ferner in allerhänd Geschäfften gern, und mit vieler Zuversicht, mit uns ein; gleichwie hingegen die Fintenmacher und Betrüger gar bald allenthalben als solche bekannt werden, so, daß im kurtzen jedermann, mit ihnen sich einzulassen, sich hütet.  
  Wo man keine wahrscheinliche Hofnung siehet, die Wiedrigkeit seines Interesse mit dem Interesse des andern, von dessen Seite man gleichwohl zu seinen Absichten entweder Sicherheit oder Hülffe wohl vonnöthen hätte, aus dem Wege zu räumen, und eine Gemeinschafftligkeit der beyderseitigen Absichten hervorbringen zu können; da ist zweyerley wohl zu erwegen; erstlich, ob man wohl dem solchenfals zu besorgenden Widerstande des andern und seines Anhanges entweder allein, oder mit Zuziehung anderer, mit denen man hingegen ein gemeinschaftliches Interesse hat, mögte gewachsen seyn können; zum  
  {Sp. 2140}  
  andern, wenn dieses ist, ob vielleicht sodann aus der daher entstehenden Eifersucht und Feindschafft weit grösserer Schaden anderweit zu besorgen sey.  
  Wenn das erstere ist, und das letztere nicht, so hat man wohl nicht Ursache von einem an sich selbst vernünfftigen Unternehmen so leicht sich abschrecken zu lassen; immassen ein Mensch, der je und allewege vor der Eifersucht der übelgesinneten erzittern wolte, nach gar keinem sonderbaren Gute in der Welt streben müste. Wenn aber das erstere zwar ist, aber auch das andere; so erfodert die Klugheit, auch von einem an sich selbst vernünfftigen Unternehmen lieber abzustehen, als der Gefahr eines Übels, das den Nutzen, der etwa aus dem Unternehmen zu hoffen, alzuweit übertreffen mögte, sich bloß zu stellen.  
  Und noch weit mehr erfodern die Regeln der Klugheit eine behutsame Enthaltung auch der gerechtesten Unternehmungen, wenn der erste Punct, ob nehmlich ein Unternehmen ungeachtet des Unwillens des andern dennoch von statten gehen mögte, ziemlich ungewiß ist. Denn da die Widrigkeit des Interesse, und die daher entstehende Eifersucht, allezeit verdrießliche Würckungen nach sich ziehet, welche jedoch in dem Falle wenn man wider seinen Gegenpart obsieget sich noch sohin verschmertzen lassen; so werden gewiß solche Würckungen äusserst schädlich und verdrießlich seyn, wenn man auch in der gerechtesten Sache, wider einen mächtigern und glücklichern Gegenpart sich auflehnet, und nebst den bittern Folgerungen der Feindschafft noch darzu den unglücklichen Verlauf der Unternehmung selbst sich solte gefallen lassen müssen.  
  Im übrigen trägt zu allen Unterhandlungen ein grosses Gewicht bey die Klugheit, sich in die Gemüther in Ansehung ihrer mancherley Vorurtheile und Zuneigungen zu schicken, welches geschiehet, wenn man in dasjenige, was man von dem andern suchet, die Absichten seines herrschenden Affects geschicklich einzuflechten weiß. Dieses heisset, dem Menschen bey seiner Schwäche, d.i. an demjenigen Orte fassen, an welchem er sich am leichtesten lencken, und am kräfftigsten bewegen lässet. Gracian 26. 77. Maxim.
  Man muß dahero bey allem, was man den andern vorgetragen will, vorher überlegen, was er nach seiner Gemüths-Art wahrscheinlich davon dencken, und was vor Bewegungen es in seinem Gemüthe hervorbringen mögte; man muß den Geschmack, die Vorurtheile und Zuneigungen des andern den Grund der ihm zu machenden Vorstellungen seyn lassen, ja solche Neigungen, Vorurtheile, und Empfindungen selbst völlig an sich zu nehmen wissen.  
  Dahero folget, daß zu klugen Unterhandlungen ein Mensch erfodert werde, der seiner eigenen Affecten vollkommen mächtig sey, wenn er anderer, und ihrer Affecten, mächtig seyn will. Ein Mensch, der nur nach seinem eigenen Geschmack und Begierden reden und handeln will, ist zu keiner wichtigen Unterhandlung geschickt: Er wird also wenig grosse Dinge in der Welt ausrichten, so grosse Fähigkeit er auch sonst haben mag. Ein mehreres davon siehe in des Herrn D. Müllers Einleitung in die Philosophische Wissenschafften, II Th. ...  
     

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Stand: 7. April 2013 © Hans-Walter Pries