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Quellenangaben |
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Unterhandlungen, (menschliche) werden
diejenigen
wircklichen Unterhaltungen der
menschlichen
Gesellschafft
genennet, durch welche
die Menschen den
geselligen Beytrag zu ihren
Absichten von einander zu erlangen
bemühet sind,
auch zu dem Ende ihre
Gemüther unter einander zu
gewinnen trachten. |
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Sie können füglich in zweyerley Gattungen
eingetheilet werden; nehmlich theils in allgemeine
Unterhandlungen, da die Menschen, ohne ein
besonderes würckliches
Geschäffte unter einander
abzuhandeln, nur in Absicht auf die Stifftung oder
Unterhaltung eines
guten Vernehmens überhaupt,
mit einander Umgang pflegen; welche
Art der
Unterhandlungen man insgemein die Conversation,
oder den gemeinen Umgang der Menschen mit
einander; und die
Klugheit, sich wohl dabey
aufzuführen, die Klugheit zu conversiren nennet;
theils in besondere Unterhandlungen, in welche
sie in besondern Geschäfften zu ihrem
gemeinschafftlichen Interesse sich einzulassen vor
nöthig und gut befinden. |
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Von der ersten Art ist unter dem
Artickel
Umgang gehandelt worden. |
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Die besondern Unterhandlungen hingegen
werden diejenigen genennet die in
gewissen
Geschäfften angestellet werden, als in welchen ein
Mensch den andern, dessen Beytritt er zu
Erreichung seiner Absichten, in solchen
Geschäfften von nöthen hat, auf seine Seite zu
bringen sich bemühet. Die
Mittel, diesen
Zweck zu
erlangen, sind theils allgemeine, nehmlich
diejenigen, die die gemeinen
Regeln der Klugheit
mit Menschen umzugehen, an die Hand geben;
theils besondere, die die
Natur des Geschäffts, in
welchem man mit andern in Unterhandlung zutreten
nöthig und dienlich findet, insonderheit
erfordert. |
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In einigen Geschäfften sind die ersteren wohl
allein hinlänglich; nehmlich in solchen, in denen der
andere, dessen Beytritt und Hülffe man suchet, kein
Interesse hat, oder zu haben vermeinet, dem das
Geschäfte, das man vorhat, und unsere Absicht in
demselben, sonderlich entgegen seyn
solte. Denn
aus was
Ursachen solte derjenige dessen
Gunst
man zu erwerben, und uns darinnen nur ein wenig
fest zu setzen
gewust, uns etwas versagen, das er
ohne allen seinen Nachtheil leisten zu können
vermeinet? |
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Hingegen in Geschäfften, die dem wahrhafften
oder vermeinten Interesse des andern sogar
gleichgültig nicht sind, will |
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{Sp. 2137|S. 1084} |
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die blosse Gewogenheit, die durch die gemeine
Klugheit zu
leben, und mit Menschen umzugehen,
erworben und unterhalten wird, nicht zulangen; ob
gleich so viel
wahr ist, daß sie die Unterhandlungen,
die in dergleichen Geschäfften aus einem weit
specialern
Grunde anzustellen sind, ziemlich
erleichtern. |
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Da in Geschäfften, die dem wahrhafften oder
vermeinten Interesse des andern so gar gleichgültig
nicht sind, die blosse Gewogenheit desselben ein
nicht leicht zulängliches Mittel seyn kan, ihn auf
unsere Seite zu bringen; indem die
Neigungen
vernünfftiger Gewogenheit und
Liebe gegen einen
andern; der Sorge eines klugen vor seinen
eigenen
rechtmäßigen
Nutzen nicht vordringen können noch
sollen; zu geschweigen, daß die offt ungesellige
Eigennützigkeit der meisten Menschen nicht allezeit
zulässet, viel gutes von ihnen zu
hoffen; so ist leicht
zu erachten, daß in dergleichen Gesellschafften die
Regeln der Klugheit eine gute und
gründliche
Einsicht, neben unserm eigenen Interesse, auch in
das Interesse des andern, mit dem man in
dergleichen Geschäfften in Unterhandlung zu treten
wünschet, erfordern, um eine Verbindung unter
beyderley Interesse hervorzubringen, oder, wenn
schon eine an sich selbst vorhanden, dieselbe zum
Grunde seiner Unterhandlung zu setzen. |
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Zu dem Ende ist hoch nöthig, von den
eigentlichen Geschäfften und Gewerben anderer,
und von den Verbindungen, in denen sie nach
Beschaffenheit derselben unter einander stehen, so
genaue Kundschafft, als nur immer
möglich,
einzuziehen. Aus welchem Grunde sodann diese
Haupt-Regel aller klugen Unterhandlungen folget,
daß man bey einem jeden Vorhaben von einiger
Wichtigkeit reiflich zu
beurtheilen
habe, wer mit
uns in Absicht auf das vorhabende Geschäffte ein
gemeinsames, und wer hingegen ein
entgegengesetztes, wahrhafftes oder
falsches
Interesse habe, oder haben könne; ingleichen wie
weit die innerlichen und äusserlichen
Kräffte eines
jeden von beyden sich erstrecken, uns in unsern
Vorhaben förderlich oder hinderlich zu seyn; damit
man solchergestalt
erkennen
mögen, theils mit wem
in Unterhandlung zu treten die Klugheit erfordere,
theils auf was vor einen Grund des eigenen
Interesse des andern solche Unterhandlung mit ihm
zu
bauen sey, als welchem von unserm auch
billigen Interesse hin und wieder etwas
nachzugeben, und hierinnen unserer
Eigennützigkeit den Zügel wohl anzuhalten, offt die
gröste Klugheit ist. |
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Ausser diesem Grunde einen gar kräfftigen und
würcksamen Beytritt anderer zu unserem Interesse,
oder doch viele Aufrichtigkeit und Beständigkeit
desselben, zu hoffen und zu erwarten, ist
Einfalt. |
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Hieraus nun fliessen folgende Grundregeln der
Klugheit in Ansehung unserer besondern
Unterhandlungen mit andern Menschen: |
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Niemand bilde sich ein, daß er viele Geschäffte
in der menschlichen Gesellschafft, und viele
Absichten, die er in Ansehung derselben auf seinen
Nutzen hat, blos durch eigene Kräffte, und wohl gar
mit
Gewalt, werde durchtreiben können. Die
meisten und wichtigsten gehen, in Ansehung des
nur jetzt erwehnten
geselligen Zusammenhanges
des menschlichen Interesse nur alsdenn von
statten, wenn sie von andern, die wir in unser
Interesse, durch kluge Verknüpffung desselben mit
dem ihrigen, zu ziehen |
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{Sp. 2138} |
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wissen, nicht verhindert, sondern unterstützet
werden. |
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Niemand also verlasse sich so sehr auf seine
gerechte Sache, daß er eben niemanden viele gute
Worte deswegen zu geben Ursache zu haben
glauben solte; er bilde sich auch nicht ein, vor allen
feindlichen Hinderungen sicher zu seyn, weil er sich
doch nicht entsinnen könne, jemanden etwas
zuwieder
gethan zu haben. |
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Sobald ein Mensch etwas unternimmt, so ist, in
Betrachtung der verderbten
Eigenliebe, die
fürnehmste Sorge anderer, deren Interesse mit
seinem
Thun und Lassen in einiger Verbindung
stehet, nicht wie gerecht und vernunfftmäßig,
sondern wie
vortheilhafftig oder
nachtheilig es ihnen
in ihren Absichten seyn mögte; man mag ihnen nun
etwas zuwieder gethan haben, oder nicht; ja man
mag ihnen auch so viele Gunsten vorhero erwiesen
haben, als man
wolle. Wer demnach vor dem
Widerstande des andern sicher seyn, und vielmehr
dessen nöthigen Beytritt zu Beförderung seiner
Absichten erlangen will der traue ihm nicht
alzuleicht zu, daß er viel aus Liebe und
Treuhertzigkeit, oder aus blosser Betrachtung der
Billigkeit, zu seinem Vortheil thun oder lassen
werde. |
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Die Menschen sind, ein jeder nach der Art
seines herrschenden
Affects, ihrer eiteln Selbst
Liebe ergeben. Was demnach ein jeder thut, das
thut er zu Beförderung seines eigenen Nutzens.
Kan man ihn also überzeugen, daß er durch den
gesuchten Beytritt zu einem vorhabenden
Geschäffte sein Interesse, das er nach der
Beschaffenheit seiner
Gemüths-Art etwa darinnen
finden könnte, sonderbahr befördern werde; so wird
aus diesem Grunde alles, was nur möglich, von ihm
zu erlangen seyn; wiedrigenfalls wenig oder nichts;
Es wäre denn, daß man der
Tugend des andern
vollkommen versichert wäre; welches aber etwas
sehr seltenes ist; zu geschweigen, daß die Tugend
auch nicht leicht in diesem Leben so vollkommen
wird, daß sie nicht immer von der Eitelkeit in
schwere Versuchung geführet werden solte; da
denn der Klugheit gemäß ist, auch in
Unterhandlungen mit tugendhafften Leuten, ob sie
gleich in billigen und gerechten Dingen weit leichter
von statten gehen, als mit solchen, die ihren
Affecten anhangen, dennoch zu guter Vorsorge
immer mit auf obgedachte Versuchungen zu
dencken, und dem zufolge die Grundregeln der zu
gewinnenden verderbten Eigenliebe nicht alzuweit
bey Seite zu setzen. |
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Es brauchet dahero das rechte Gelencke aller
wichtigen Unterhandlungen, sowohl in Staats- als
gemeinen Geschäfften, auf dem Zusammenhange
des Interesse derer, die mit einander in
Unterhandlung sind. Und das sicherste Mittel also
wieder die ungesellige Eigennützigkeit derer, die
uns in unsern Absichten förderlich seyn könnten
und solten, und doch offt nicht wollen, ist wie kurtz
vorher gedacht, die Klugheit, die Ungeselligkeit nur
unserer eigenen Selbst-Liebe zu verbessern, und
nebst unserm eigenen Nutzen, den man suchet,
auch auf das Interesse des andern, dessen Beytritt
man wünschet, mit Ernst zu dencken, auch, da es
nöthig demselben von unserm eigenen wohl etwas
ansehnliches nachzugeben. |
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Es thut auch nichts zur Sache, ob solches
Interesse ein wahrhafftes und gründliches sey oder
nicht; wenn es nur der andere nach
Beschaffenheit |
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{Sp. 2139|S. 1085} |
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seiner Gemüths-Art vor ein Interesse hält. Denn
warum solte es nicht erlaubet seyn auch der
unordentlichen Selbst-Liebe, und der daraus
entspringenden eitelen Affecten der Menschen, zu
Beförderung rechtmäßiger Absichten sich zu
bedienen, wenn nicht so viel Tugend in ihnen zu
finden ist, ihre gesellige Hülffe von ihnen zu
erlangen. |
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Scheint auch anfänglich kein sonderbares
Interesse vorhanden zu seyn, das der andere,
dessen Beytritt man zu seinen Geschäfften bedarf,
in selbigen solte haben können; so gehören gute
Erfindungen darzu, die Sachen also zu karten, daß
dergleichen Interesse hervorgebracht, und er
dadurch auch wohl wider seine ersten
Meynungen
mit in den Handel gezogen werden möge. |
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Aus eben diesem Grunde der nöthigen
Verbesserung unserer Selbstliebe, und geselligen
Mäßigung unserer Eigennützigkeit, fliesset auch die
nöthige Behutsamkeit, die da erfordert wird, wenn
andere arglistige Menschen an uns setzen, und
durch ein gezeigtes Schein-Interesse uns in ihre offt
gefährliche und weit aussehende Händel ziehen
wollen. Denn die bishero abgehandelte Regel der
Klugheit, unser Interesse mit dem Interesse derer
die uns in dem unserigen
dienen sollen, zu
verbinden, kan, wie alle andere an sich selbst reine
und unschuldige Mittel der Klugheit, auch von
bösen
und eiteln Menschen zu ihren verkehrten Absichten
gemißbrauchet werden: da also derjenige, der seine
Eigennützigkeit wohl im Zügel hält, und nicht auf
einen jeden
vorgestellten Vortheil sofort alzu hitzig
ist, sich so leicht nicht wird fangen lassen. |
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In allen Unterhandlungen sowohl, als in
würcklicher Erfüllung dessen, was abgeredet
worden, erfodern die wahren Regeln einer ächten
und gründlichen Klugheit, bey aller Sorge vor sein
rechtmäßiges Interesse, und bey aller Fürsichtigkeit
nicht hintergangen zu werden, auch hingegen mit
dem andern
ordentlicher Weise allezeit aufrichtig
und redlich zu handeln, in Ansehung der Vortheile
von seiner Seiten, auf deren Grund man die
Unterhandlung mit ihm gebauet hatte. Hierdurch
wird das gute Vertrauen, welches die
Seele aller
Unterhandlungen ist, hervorgebracht und befestiget.
Und nicht allein diejenigen, die davon die
würcklichen Proben erfahren, sondern auch andere,
lassen sich sodann, zu unserm grossen Nutzen,
ferner in allerhänd Geschäfften gern, und mit vieler
Zuversicht, mit uns ein; gleichwie hingegen die
Fintenmacher und Betrüger gar bald allenthalben
als solche bekannt werden, so, daß im kurtzen
jedermann, mit ihnen sich einzulassen, sich
hütet. |
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Wo man keine
wahrscheinliche Hofnung siehet,
die Wiedrigkeit seines Interesse mit dem Interesse
des andern, von dessen Seite man gleichwohl zu
seinen Absichten entweder Sicherheit oder Hülffe
wohl vonnöthen hätte, aus dem Wege zu räumen,
und eine Gemeinschafftligkeit der beyderseitigen
Absichten hervorbringen zu können; da ist
zweyerley wohl zu
erwegen; erstlich, ob man wohl
dem solchenfals zu besorgenden Widerstande des
andern und seines Anhanges entweder allein, oder
mit Zuziehung anderer, mit denen man hingegen ein
gemeinschaftliches Interesse hat, mögte
gewachsen seyn können; zum |
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{Sp. 2140} |
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andern, wenn dieses ist, ob vielleicht sodann
aus der daher entstehenden Eifersucht und
Feindschafft weit grösserer
Schaden anderweit zu
besorgen sey. |
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Wenn das erstere ist, und das letztere nicht, so
hat man wohl nicht Ursache von einem an sich
selbst
vernünfftigen Unternehmen so leicht sich
abschrecken zu lassen; immassen ein Mensch, der
je und allewege vor der Eifersucht der
übelgesinneten erzittern wolte, nach gar keinem
sonderbaren
Gute in der
Welt streben
müste. Wenn
aber das erstere zwar ist, aber auch das andere; so
erfodert die Klugheit, auch von einem an sich selbst
vernünfftigen Unternehmen lieber abzustehen, als
der Gefahr eines
Übels, das den Nutzen, der etwa
aus dem Unternehmen zu hoffen, alzuweit
übertreffen mögte, sich bloß zu stellen. |
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Und noch weit mehr erfodern die Regeln der
Klugheit eine behutsame Enthaltung auch der
gerechtesten Unternehmungen, wenn der erste
Punct, ob nehmlich ein Unternehmen ungeachtet
des
Unwillens des andern dennoch von statten
gehen mögte, ziemlich
ungewiß ist. Denn da die
Widrigkeit des Interesse, und die daher entstehende
Eifersucht, allezeit verdrießliche
Würckungen nach
sich ziehet, welche jedoch in dem Falle wenn man
wider seinen Gegenpart obsieget sich noch sohin
verschmertzen lassen; so werden
gewiß solche
Würckungen äusserst schädlich und
verdrießlich
seyn, wenn man auch in der gerechtesten Sache,
wider einen
mächtigern und
glücklichern Gegenpart
sich auflehnet, und nebst den bittern Folgerungen
der Feindschafft noch darzu den
unglücklichen
Verlauf der Unternehmung selbst sich solte gefallen
lassen müssen. |
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Im übrigen trägt zu allen Unterhandlungen ein
grosses Gewicht bey die Klugheit, sich in die
Gemüther in Ansehung ihrer mancherley Vorurtheile
und Zuneigungen zu schicken, welches geschiehet,
wenn man in dasjenige, was man von dem andern
suchet, die Absichten seines herrschenden
Affects
geschicklich einzuflechten weiß. Dieses heisset,
dem Menschen bey seiner Schwäche, d.i. an
demjenigen
Orte fassen, an welchem er sich am
leichtesten lencken, und am kräfftigsten
bewegen
lässet. |
Gracian 26. 77.
Maxim. |
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Man muß dahero bey allem, was man den
andern
vorgetragen
will, vorher überlegen, was er
nach seiner Gemüths-Art wahrscheinlich davon
dencken, und was vor Bewegungen es in seinem
Gemüthe hervorbringen mögte; man muß den
Geschmack, die Vorurtheile und Zuneigungen des
andern den Grund der ihm zu machenden
Vorstellungen seyn lassen, ja solche
Neigungen,
Vorurtheile, und
Empfindungen selbst
völlig an sich
zu nehmen wissen. |
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Dahero folget, daß zu klugen Unterhandlungen
ein Mensch erfodert werde, der seiner
eigenen
Affecten
vollkommen
mächtig sey, wenn er anderer,
und ihrer Affecten, mächtig seyn will. Ein Mensch,
der nur nach seinem eigenen Geschmack und
Begierden
reden und
handeln will, ist zu keiner
wichtigen Unterhandlung geschickt: Er wird also
wenig grosse
Dinge in der Welt ausrichten, so
grosse Fähigkeit er auch sonst haben mag. |
Ein mehreres davon siehe in
des Herrn
D.
Müllers Einleitung in die
Philosophische Wissenschafften, II Th. ... |
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