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Zedler: Wort [3] HIS-Data
5028-59-265-11-03
Titel: Wort [3]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 59 Sp. 282
Jahr: 1749
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 59 S. 154
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Übersicht
I. Philosophische Abhandlung. (Forts.)
  (b) Practische Betrachtung. (Forts.)
 
  2) Der Oratorische Gebrauch der Wörter.

  Text  
  2) Der Oratorische Gebrauch der Wörter.  
  Wir haben oben bey der practischen Betrachtung der Wörter, welche vornemlich auf den Gebrauch derselben gehet, eine doppelte Eintheilung gemacht, und diesen Gebrauch in den Philosophischen und Oratorischen unterschieden. Von dem erstern haben wir soviel beygebracht, als uns zu unserem Vorhaben nöthig geschienen: wir müssen also noch von dem letztern handeln.  
  Die Wörter sind von den Sprach-Lehrern in acht Arten unterschieden worden; nemlich in  
 
  • Nenn-Wörter, zu welchen auch die Bey-Wörter gehören,
  • in Für-Wörter,
  • Zeit-Wörter,
  • Mittel-Wörter,
  • Neben-Wörter,
  • Vor-Wörter,
  • Binde-Wörter und
  • Zwischen-Wörter.
 
  Im Deutschen pflegt so wie in einigen andern Sprachen, auch noch der Artickel hinzu zu kommen.  
  Von der Natur dieser Wörter überhaupt, und insbesondere von ihrem gutem und schlimmen Gebrauche; ingleichen von ihren Abänderungen und Verbindungs-Arten könnte hier, nach dem Beyspiele des berühmten P. Lami, vieles gesagt werden. Allein wir haben von einigen Stücken schon oben gehandelt, und ausser dem ist es unser Vorhaben nicht, eine Sprach-Kunst zu schreiben. Wir verweisen daher unsere Leser auf die Sprach-Lehrer Schotteln, Clajus, Bödickern, den Spaten, Steinbachen, Hentscheln, u.a.m. die darvon nach der Länge gehandelt haben. Wir werden aber hier noch auf eine andere Art von den Wörtern handeln.  
  Man kan dieselben in Absicht auf ihren Gebrauch noch auf vielfältige Art unterscheiden. Denn da giebt es  
 
  • verständliche und unverständliche,
  • ehrbare und schandbare,
  • ernsthaffte und poßirliche,
  • alte und neue,
  • fremde und einheimische,
  • edle und pöbelhaffte,
  • wohllautende und übelklingende Wörter.
 
  Alle diese ohne Wahl und Unterschied zu brauchen, das würde sehr übel gethan seyn. Ein Redner muß seine Beurtheilungs-Krafft zwar sonst überall, doch sonderlich auch hier allezeit zeigen. Man kan nemlich seine Absichten sowohl durch bequeme Wörter befördern, als durch ungeschickte hindern. Was an einem andern Orte sehr gut und brauchbar seyn würde, das ist hier offt sehr ungereimt. Was ihn Lob-Reden schön ist, das kan in dogmatischen Reden und Complimenten sehr übel angebracht seyn, und gantz verkehrt lauten. Wir müssen also die obgedachten Arten der Wörter etwas genauer ansehen und kennen lernen.  
  Was die verständlichen Wörter betrifft: so hat sich ein Redner derselben sonderlich zu befleißigen: weil er seine Absicht gar nicht erreichen kan, wofern er nicht verstanden wird. Es sind aber alle Wörter verständlich, die bey dem Volcke, wo man redet, durchgehends üblich sind, und die der Redner in der gewöhnlichen Bedeutung nimmt.  
  Hergegen unverständlich sind öffters  
 
1) die Provinzial-Wörter, die nur in gewissen Mund-Arten gelten, oder gar nur in gewissen Städten gebraucht werden.
 
 
2) Die gar zu al-
 
  {Sp. 283|S. 155}  
 
  ten Wörter, dergleichen in der Bibel noch einige vorkommen, als z.E. raunen, läcken, endelich, u.d.gl.
 
 
3) Fremde Wörter, die aus der Griechischen, Lateinischen, Italienischen oder Frantzösischen Sprache entlehnt werden, und die nicht ein jeder Deutscher verstehet.
 
 
4) Die neugemachten Wörter, die zuweilen sehr seltsam klingen und nicht ohne Erklärung verstanden werden können.
 
 
5) Die Kunst-Wörter aus allerley Künsten und Wissenschafften, die nicht ein jeder weiß.
 
  Aller dieser Wörter muß sich ein Redner enthalten, wenn er verstanden werden will. Er muß sich stellen, als wenn er nichts anders, als die gemeine Sprache seiner Mitbürger wüste; und weder in den alten Sprachen, noch in ausländischen Mund-Arten, noch in den Wissenschafften geübt wäre. Er muß sich auch nicht mercken lassen, was er für ein Landsmann ist, und sich zu dem Ende vor allen Provintzial-Wörtern hüten. Was man in gantz Deutschland verstehet, das ist allererst recht gutes Deutsch.  
  Endlich muß er sich auch vor allen zweydeutigen Worten in acht nehmen. Denn jede doppelsinnige Redens-Art kan eine Undeutlichkeit verursachen. Es geschiehet ohne dieß wohl, daß einem, wieder alles Vermuthen, zuweilen ein Wort oder Ausdruck unrecht verstanden wird: wie vielmehr wird man sich hüten müssen, daß es einem nicht durch seine Schuld widerfahre.  
  Doch unter den verständlichen Wörtern ist noch ein grosser Unterscheid zu machen. Einige davon sind in ehrbaren Gesprächen, und bey wohlgesitteten Leuten gebräuchlich, andere aber gehen nur bey schändlichen Unterredungen und bey lasterhafften Leuten im Schwange. Bloß jene, nicht aber diese darf ein Redner brauchen. Er muß durch seine Sprache zeigen, daß er gute Sitten liebe. Man nennet daher gewisse Theile des Leibes, ingleichen gewisse Verrichtungen entweder gar nicht, oder doch allezeit durch gewisse Umschweiffe, die das schändliche derselben bemänteln.  
  Auch darinne pflegt ein grosser Unterscheid zu seyn, von was für Stande die Leute sind, die sich gewisser Wörter und Redens-Arten bedienen. Personen von gutem Herkommen und von edler Auferziehung pflegen gantz anders zu sprechen, als gemeine Leute. Ein Redner hat daher Ursache, sich allezeit zur Zahl der Vornehmen zu halten, und sich nur der unter ihnen gebräuchlichen Wörter zu bedienen. Denn wolte er nach Art des untersten Pöbels sprechen: so würde er sich bey den Edlen verächtlich machen, und selbst des Volcks Gunst nicht einmahl erwerben.  
  Alte Wörter in seinen Reden zu gebrauchen, wenn sie nicht mehr gewöhnlich sind, das ist eben so wenig rathsam, als gantz neugebackene zu sammlen. So nachdrücklich manche veraltete Redens-Art zu ihrer Zeit geklungen haben mag: so rauh und dunckel kömmt sie uns heutiges Tages vor; wie wir dieses in den alten Kirchen-Liedern wahrnehmen. Es ist in diesem Falle mit unserer Sprache gantz anders als vormahls mit der Griechischen. In derselben blieben die allerältesten Wörter, deren sich Homer bedienet hatte, noch immer gewöhnlich, und alles, was neu erdacht wurde, das war gleich willkommen, wenn es nur verständlich war.  
  {Sp. 284}  
  Bey uns aber will keins von beyden eckeln Ohren recht anstehen. Man tadelt alles, was gar zu altfränckisch, und was gar zu neu ist: Daher muß ein Redner das rechte Mittel halten. Nun kommen zwar freylich auch bey uns allmählig gar viele Wörter auf, die man vor hundert und zweyhundert Jahren nicht gekannt hat. Allein sie müssen erst sehr bekannt seyn, ehe sie ein Redner brauchen darf. Doch wenn er sich ja genöthiget sähe, dergleichen anzuwenden: so müste er gleichsam um Vergebung bitten, daß er es thäte; wie Cicero es mit dem Worte Beatitudo und Beatitas gemachet hat, welche zu seiner Zeit noch neu waren.  
  Gleichwohl ist es niemanden zu rathen, mit den Geburten der fruchtbringenden Gesellschafft aufgezogen zu kommen, oder z.E. mit dem Pegnitz-Schäfer Floridan, aus seiner seeligentseelten Margaris; einen Lustwandelweg, einen Schmertzens-Thau und Hertzregen, das Tireliren, die geflügelten Luft-Harffen, die Engel-Lerchen, das Fluthen-Glas, oder das Pracht-Gelümpe, die Dantz- und Schwantz-Docken, einen Zeitblick, die Banck-Schwestern, die Ehr-Namen, und das heilige GOttes-Buch etc. in seinen Schrifften anzubringen.  
  Was die einheimischen und fremden Wörter anlanget: so ist es einem Redner gleichfalls nicht anständig, seine Reden und Schrifften mit vielen von andern Völckern entlehnten Ausdrückungen zu putzen. Weder Demosthenes, noch Cicero haben dieses vormahls gethan: und dennoch ist dieß ein Fehler, der schon von vielen Sprachverständigen an unsern gemeinen Scribenten und weltlichen Rednern, sonderlich bey Hofe getadelt worden. Es ist ein ungegründetes Vorgeben, daß unsere Mutter-Sprache gar zu arm sey, und nothwendig von ihren Nachbarn Wörter erborgen müsse, und es ist eine thörichte Liebe zu fremden Sprachen gewesen, die unsern Landes-Leuten das Vorurtheil in den Kopf gebracht hat: auch das Deutsche klinge schöner, wenn Italienische, Frantzösische, oder doch Lateinische Wörter mit untermenget wären.  
  Noch ein Unterscheid kan unter den Wörtern in der Absicht gemacht werden, daß sie entweder ernsthafft oder poßirlich sind. Von diesen schicken sich die ersten am besten für einen Redner. Ein Mann der von wichtigen Dingen redet, der schertzet nicht gerne. Gleichwohl kan man es einem Redner überhaupt nicht verbiethen, zuweilen einen lustigen Einfall zu haben, und heraus zu sagen. Es thut solches offt eine bessere Würckung, als der bündigste Beweiß. Denn  
  -          -                    Ridiculum acri
Fortius, et magnas melius plerumque secat res.
 
  Nur muß es nicht auf eine so niederträchtige Art geschehen, daß alles Lustige auf poßirliche Worte ankomme. Auch die Zweydeutigkeiten sind in gar zu übeln Rufe, als daß man sie einem Redner erlauben könnte. Gemeine Lustigmacher mögen den Pöbel damit vergnügen: Leute von bessern Geschmacke schämen sich derselben. Hatte gleich Cicero einmahl dergleichen Spielwerck (Jus vertinum) in seinen Vetrinischen Anklagen gemachet: so hat ers auch leiden müssen, daß es ihm in dem alten Gespräche von Rednern hundert  
  {Sp. 285|S. 156}  
  und zwantzig Jahre hernach als ein Fehler angerechnet worden.  
  Es fehlt noch der Unterscheid zwischen dem wohlklingenden und übelklingenden oder unangenehmen Wörtern, den ein Redner zu beobachten hat. Und ein jeder begreifft leicht, daß er Ursache habe, es mit jenen zu halten. Nun ist es zwar gewiß, daß der Wohlklang sich mehr in den Zusammenhange gantzer Sätze und Perioden, als in einzelnen Worten sich beobachten läßt. Allein dem ohngeachtet klingen gantze Wörter und Redens-Arten an sich schon gut oder übel. Ohne Zweifel kömmt dieses theils von den Begriffen, die darunter liegen, oder von denen Neben-Ideen, die damit gemeiniglich verknüpft sind, oder von der blossen Vermischung der lauten und stummen Buchstaben her. Der eigentliche Wohlklang den die Ohren empfinden können, kömmt auf die Vermischung solcher Buchstaben an, die entweder rauh oder angenehm klingen.  
  Darinne sind nun sonderlich unsere deutschen Wörter in üblen Rufe, indem man dafür hält, daß sie der stummen Buchstaben zu viel hätten. Allein dieses ist im Absehen auf die Frantzösische und Englische Sprache so wahr nicht, als in Absehen auf die Italiänische. Wenn wir nur die unnützen Verdoppelungen gewisser Buchstaben in der Recht-Schreibung weglassen, die man nicht ausspricht, und sonst keine Laut-Buchstaben verschlucket: so werden unsere Wörter an sich selbst so gar rauh nicht klingen. So sind nun die Wörter ordentlicher Weise beschaffen, deren sich ein Redner bedienen muß.  
  Noch zweyerley Gattungen von Worten sind übrig zu betrachten, und zwar erstlich die synonimischen Redens-Arten. Es fragt sich nemlich, ob auch ein Redner die gleichgültigen Ausdrückungen brauchen solle, und ob darinne ein besonderer Reichthum seiner Sprache bestehe, daß er einerley Begriff auf vielerley Art zu verstehen geben kan? Nun ist es zwar überhaupt gewiß, daß es kaum zwo vollkommen gleichviel bedeutende Wörter in einer Sprache giebt. Man versuche es in Exempeln, so wird man finden, daß immer das eine Wort mehr oder weniger andeutet, etwas edlers, oder etwas niedrigers zur Neben-Bedeutung hat, als das andere.  
  Z.E. Hand, Faust, Arm, Schulter bedeuten nicht einerley. Kopf, Haupt, Scheitel und Nacken, sind auch sehr unterschieden, und können nicht überall ohne Unterscheid gebraucht werden. Fuß, Fersen, Schenckel, Bein und Knie sind gleichfalls mit einander verwandt, aber darum nicht einerley. Leib, Cörper, Rumpf, Rücken und Bauch, sind ebenfalls sehr unterschieden. Folglich ist es nicht gleichviel, welches Wort ein Redner braucht. Allein gesetzt; es gäbe Gelegenheiten, wo man gewisse Wörter für gleichgültig ansehen könnte: so wäre es doch nicht rathsam, sie alle zugleich zu brauchen. Z.E. ersuchen, bitten, anflehen, und seufzen, scheinen zwar fast einerley zu seyn: allein wie würde es klingen, wenn man sie zugleich brauchen wolte? Die Urtheils Krafft muß einem Redner lehren, wo sich dieses oder jenes am besten hinschickt. Liessen sich aber  
  {Sp. 286}  
  ja zwey Wörter zugleich brauchen, die dem Grade nach mehr oder weniger bedeuten: so müste man allezeit das schwächste voran, das stärckste aber hinter her setzen. Z.E. ich bitte und flehe dich an, das zu thun; Ich versichere dich, und betheure es hoch; Ich ermahne und beschwöre dich bey allem, was Dir lieb ist, deine Lebens-Art zu ändern etc.  
  Die andere Art sind die Beywörter die man so wohl den Nenn-Wörtern, als den Zeit-Wörtern beyzufügen pflegt, ihre Bedeutungen zu bestimmen. Z.E. ein Mensch, ein vernünftiger, ordentlicher, sterblicher Mensch; leben, vernünftig, klüglich, armselig, tugendhafft leben. Nun fragt es sich, ob man dergleichen Beywörter in der guten Schreib-Art sehr nöthig habe. Viele bilden sich ein, dadurch sey eben der Ausdruck eines Redners von der gemeinen Sprache unterschieden, daß jener mit häufigen Beywörtern prange, dieser aber dadurch entblößt sey. Daher beschweren sie alle ihre Nenn-Wörter, und Zeit-Wörter mit unzähligen solchen Zusätzen, und erweitern dadurch ihre Perioden nicht wenig. Wenn es einem Redner nur um ein weitläuftiges Geschwätz ohne Nachdruck, und einem Scribenten nur um viele Bogen voller Nichts zu thun wäre: so möchte dieses gelten. Allein es verhält sich gantz anders damit.  
  Die Beywörter bedeuten die Eigenschafften und zufälligen Beschaffenheiten der Dinge. Wenn es nun dem Redner um diese oder jene Eigenschafft oder Beschaffenheit der Dinge ausdrücklich zu thun wäre: so muß er freylich, das dazu erforderliche Beywort nicht vergessen. Ein Redner muß die Beywörter nicht zum Überflusse, sondern aus Noth brauchen, weil es sein Satz also erfodert. Und dieses ist also die Richtschnur der Stilisten: man brauche Beywörter, wenn die Absicht der gantzen Rede sie erfodert; und man lasse sie weg, wenn man sie nicht vermissen würde.  
  Überhaupt kömmt auf die geschickte Wahl der Wörter sehr vieles an, wenn man sich schön und deutlich ausdrücken will. Es wäre hiervon eine grosse Abhandlung zu machen, wenn man dieses bey allen Schreib-Arten zeigen wolte; wir wollen uns aber mehr einschräncken, und insbesondere nur zeigen, wie viel auf die Wahl der Worte bey der erhabenen Schreib-Art ankomme. Hierzu giebt uns der berühmte Dionysius Longin in seinem Buche vom Erhabenen Anlaß, in welchem er in einem besondern Capitel von der Wahl der Wörter handelt. Nur ist zu bedauren, daß von dieser Abhandlung, wie von andern sehr viel verlohren gegangen. Inzwischen theilen wir übersetzt mit, was von diesem alten Griechischem Kunstrichter übrig geblieben ist.  
  Weil in den Schrifften schreibt er, was die Gedancken und Redens-Arten betrifft, gemeiniglich eins durch das andere erkläret wird: so wollen wir dasjenige gleichfalls betrachten, was von diesem Theile, nemlich von der Ausdrückung noch zu sagen seyn möchte. Zwar daß die Wahl eigentlicher und prächtiger Wörter den Zuhörer wunderbarlich reitze und bewege, ja daß alle Redner und Poeten hierauf am meisten sinnen, weil dieß Wählen in den Schrifften, wie in den schönsten Mahle-  
  {Sp. 287|S. 157}  
  reyen, das Erhabene, die Zierde, dem Glantz, das Ansehen, den Nachdruck, die Stärcke, und was sonst dem ähnlich siehet, zugleich hervor bringt, und daß endlich gedachte Wahl unter den Vorstellungen gleichsam eine redende Stelle mit einmische; solches alles achte ich für unnöthig verständigen Leuten zu erklären. Denn schöne Worte sind in der That das Licht unserer Gedancken. Dem ohngeachtet läßt sich ihre Pracht nicht allenthalben gebrauchen. Wenn man geringe Sachen in hohe und herrliche Redens-Arten einhüllen wolte: so würde es nicht anders aussehen, als wenn man einem lallenden Kinde einen Helden-Rock anzöge. Doch in der Poesie. …  
  Dieses ist es was, Longin von der Wahl der Wörter gelehrt hat. Es fehlen aber am Ende, nach dem Parisischen Manuscripte, wie Boivin versichert, vier gantze Blätter. Aus den letztern Wortern aber erhellet, daß Longin in dem verlohrnen werde gezeigt haben, wie man andere Wörter in der Poesie, andere zur Geschichts-Beschreibung, und andere zu den übrigen Wissenschaften wählen müsse.  
  Inzwischen können über diese Stelle Longins allerhand Anmerckungen gemacht werden, welche unserer gegenwärtigen Abhandlung gemäß sind. Ein Verfasser, welcher das Erhabene zu erlangen trachtet, muß vor allen Dingen nothwendig erhaben dencken: allein er hat nicht weniger nöthig diejenigen Wörter sorgfältig auszusuchen, mit welchen er seine Meynung vortragen will. Das schönste Gesicht verlieret durch einen schlecht gewählten Putz viel von seiner natürlichen Anmuth, eben so, wie es durch eine gar zu sehr gesuchte Künsteley mehr verstellet, als gezieret wird. Das natürliche hingegen, was am rechten Orte stehet, und was mit der gantzen Einrichtung zusammen trifft, solches ergötzet, und gefällt.  
  Man kann also nicht behaupten, daß zum Erhabenen besondere oder eigene Wörter gehöreten, sondern alle Redens-Arten, wenn sie nur nichts liederliches bey sich führen, können zur Ausdrückung unserer Einfälle mit Nutzen und Vortheil gebraucht werden. Vor andern aber tragen die hohen Wörter zur Majestät unserer Gedancken vieles bey: wie man am folgenden siehet, da Amthor von Carln dem Zwölften sagt:  
  Wahr ists, dein nie besiegter Muth
War fähig, eine Welt zu wagen,
Und selbst mit der Natur zu schlagen,
Mit Mangel, Kälte, Gluth und Fluth.
Was sonst Unmöglichkeit geschienen,
Kont deiner unerschrocknen Brust,
Die bauen oder brechen must,
Allein zu mehrern Antrieb dienen.
Du bleibst nach deinem eignen Rath
Stets König, Feldherr und Soldat.
 
  Es giebt gewisse Wörter, welche mancherley Begriffe, die der gemeine Mann einzeln hat, zugleich ausdrücken: Diese geben der Vorstellung einen besondern Nachdruck; sie hinterlassen den Hörenden vieles zu überlegen, worzu man die Beywörter, und verblümten Redens-Arten mit rechnen kann, in derselben Gebrauch muß der Ver-  
  {Sp. 288}  
  fasser seine Geschicklichkeit am ersten sehen lassen.  
  Unterdessen leiden nicht alle Stellen dergleichen Wörter. Das Erhabene wird so gut durch eine mittlere als hohe Schreib-Art ausgedrückt. Lohenstein soll uns hierinne ein Exempel geben, da er in seinem Trauer-Spiele Cleopatra von dem Römischen August spricht.  
     =       =        Rom mag die Welt besiegen,
Er sieget über Rom.
 
  Die Ausdrückung ist ordentlich, kein Beywort, keine verblümte Redens-Art hält den Leser auf, das Erhabene dieses Gedanckens deutlich zu finden.  
  Man kan endlich so gar durch ein schlechtes und gemeines Wort seinen Einfällen eine besondere Zierde oder Pracht verleihen, wie aus folgenden erhellet, da der Poet sagt:  
  Verschaffe, daß ich Nachdrucksvoll,
Das wunderbahre möge finden,
Was in der Ode herrschen soll.
Laß mich der Alten Kunst ergründen,
Doch ihres Fabel-Tands altheydnischen Verlag.
Der sich nicht stets für uns will schicken,
Hier nicht in alle Zeilen flicken.
 
  Ohngeachtet das Wort flicken zu den gemeinen gehöret: so stehet es doch hier so wohl angebracht, daß ein jedes andere, gegen demselben, schlecht seyn würde.  
  Jede Sprache besitzet ihre besondere Redens-Arten, die man im gemeinen Umgange täglich gebraucht, und die sich in keiner andern Sprache wörtlich übersetzen lassen. Diese muß man bey gewissen Umständen, der Deutlichkeit halber, allemahl vor die besten halten, wiewohl bey derselben Wahl eine grosse Kenntniß der Sprache nothwendig erfordert wird. Unter wenig andern von den deutschen Scribenten besitzt diese Vollkommenheit der berühmte Richey fast im höchsten Grade. Daher kommt es auch, daß die schlechtesten Wörter und die gewöhnlchsten Redens-Arten unter seinen Händen ein gantz anderes, und überaus prächtiges Ansehen gewinnen. Die Sprache folget ihm, wo er hin will, und man wird schwerlich einen biegsamen Geist finden. Die Exempel hiervon sind in seinen Schrifften so häuffig, daß es unnöthig wäre, einige davon anzuführen.  
  Wer übrigens wissen will, ob der Verfasser zur Ausdrückung seiner Gedancken, die Wörter gehörig ausgesucht habe, der darf nur statt derselben, andere hinsetzen, und genau Achtung geben, durch welche Redens-Arten die Vorstellung grösser oder geringer gemachet werde. Denn wofern man noch ein Wort zu finden vermag, das sich in dieser oder jener Stelle besser, als das gebrauchte schickt: so kann man die Ausdrückung unmöglich vollkommen nennen. Wir sehen, daß die Alten vor andern hierinne sorgfältig gewesen; ja man tadelt deswegen insbesondere den Epicur, weil er sich wenig um den Gebrauch seiner Wörter bekümmerte. Homer hingegen, Demosthenes, Virgil, Cicero, und andere solche Helden des Alterthums, sind sowohl durch ihre Gedancken, als durch ihre Schreib-Art unsterblich worden.  
  Es ist noch ein anderes Mittel übrig, das Erhabene hervor zu bringen. Dieses  
  {Sp. 289|S. 158}  
  bestehet in einer geschickten Zusammensetzung nicht nur der Wörter allein, sondern auch aller Theile der gantzen Rede, und begreifft nach Longins Ausspruche das vorige Mittel mit in sich. Denn wofern man seine Zierrathen nicht gehörigen Orts anbringe, wofern man seine ausgesuchten Worte nicht gebührend zusammen fügt: so machet man die Gedancken matt, anstatt sie zu erheben.  
  Was kan aber die Wortfügung zum Erhabenen beytragen? unendlich vieles, theils durch die Bedeutung der Wörter selbst, theils durch den Klang, welcher von Natur in den Sylben lieget. Wer weiß nicht, daß die Thon-Kunst unendliche Bewegungen, nach Belieben, in unsern Seelen zu erregen vermag? Darum nahm Pythagoras von Samos allemahl vorher seine Harffe zur Hand, wenn er an seine Arbeit gehen wolte, bloß, damit sein Geist aufgebracht würde. Ein geschickter Verfasser bemühet sich demnach, die Wörter also zuordnen, auf daß die Fügung und derselben Klang mit dem Inhalte selbst genau übereinstimme. Denn der Verstand kan unmöglich ergötzet werden, wenn das Ohr leidet. Es ist dieses eben keine leichte Sache, die Lebhafftigkeit der Einbildungs-Krafft, die Begierde, einen wichtigen Gedancken heraus zu sagen, die tägliche Gewohnheit, da wir verschiedene übel klingende Redens-Arten gebrauchen; die Ungeduld, und andere Dinge mehr, verhindern uns öffters, daß wir den Wohllaut in unsern Ausdrückungen nicht so genau beobachten.  
  Es giebt unterdessen etliche grosse Geister, die von der Natur mit einem so zärtlichen Gehöre begabt worden, daß sie entweder selten des Wohlklanges verfehlen, oder doch alsobald den Übellaut zu finden wissen, und solchen verbessern. Bey diesem kan man das Ohr billig einen Richter nennen, den man in seiner Empfindung von Wohl-und Übellaut sicher trauen darff. Doch die übrigen, welche erwehnte Gabe von Natur nicht besitzen, müssen sich durch Lesung der besten Schrifften, und durch die von den Kunstverständigen vorgetragenen Regeln, ein gutes Gehör zu erwerben suchen. Die Alten richteten hierauf insbesondere ihr Augenmerck. Wir sehen solches an ihren Schrifften, vornehmlich aber in denjenigen Büchern, welche schlechterdings von Sylbenmasse, und von dem Wohlklange der Rede handeln; wie denn einige vom Longin noch übrig gebliebene Stücke dieses beweisen. Inzwischen ist auch nicht zu läugnen, daß ehedem die Sophisten gar zu sehr hierinne künstelten, und auf die Zierrathen und den Klang ihrer Rede weit mehr als auf den Nachdruck der Gedancken sahen.  
  Doch nicht nur auf die Wortfügung, sondern auch auf die Zusammensetzung aller Theile der Rede muß man sehen, von welchem letztern aber hier zu handeln der Ort nicht ist.  
     

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Stand: 4. April 2013 © Hans-Walter Pries