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Zedler: Wort [4] HIS-Data
5028-59-265-11-04
Titel: Wort [4]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 59 Sp. 289
Jahr: 1749
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 59 S. 158
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Übersicht
II. Physicalische Abhandlung.
  1. Von der Krafft der Worte überhaupt.
  2. Von gefrorenen und eingeschlossenen Worten

  Text   Quellenangaben
  II. Physicalische Abhandlung.  
  1. Von der Krafft der Worte überhaupt.  
  Dem ersten Ansehen nach wird es manchen Lesern ungereimt vorkommen, von den Worten, eine besondere Physicalische Abhandlung zu machen. Allein wir wollen uns kurtz erklären, daß wir dadurch nichts anders als den wichtigen Satz  
  {Sp. 290}  
  verstehen, und zugleich ausmachen wollen: Ob Worte in der Natur Würckungen hervor bringen können. Dieß ist der Grund der Überschrifft von dieser Abhandlung.  
  Nachdem man wahrgenommen, daß die Worte einer wohlgesetzten und gehaltenen Rede die Krafft hätten, die Menschen zu überreden, und mancherley Gemüths-Neigungen in ihnen zu erwecken: so schrieb man solches den Worten selbst zu, und gerieth auf die Gedancken, daß die Worte auch wohl andere wunderbare Würckungen haben könnten.  
  Die Pythagoräischen Weltweisen machten schon viel Wercks von den Beschwörungen und gewissen Gesängen, womit sie Kranckheiten heilen wolten. Bruckers Fragen aus der philosophischen Historie II Th. p. 183.
  Wiewohl schon Homer, der eine geraume Zeit vor dem Pythagoras gelebt hat, gedenckt, daß jemand durch ein Gedicht oder Gesang das Blut gestillet habe. Plinius in Historia Naturali Lib. XXVII. Cap. II.
  Überhaupt legten die Alten den Worten grosse Krafft bey. Plinius schreibt: Es hätten einige geglaubet, daß man durch Beschwörungen die Töpffe zerbrechen und die Schlangen zerreissen könne. Hiermit stimmt auch Virgil in der VIII Ecloge überein, wenn er sich vernehmen lässet:  
  Frigidus in Pratis cantando rumpitur anguis.  
  Jetztgedachter Plinius führet auch die Worte aus den Gesetzen der zwölf Tafeln an; Qui fruges excantasset: So jemand die Feld-Früchte beschrien, oder durch Beschwörungen verdorben. Hieraus siehet man, daß der Urheber dieser Gesetze sich eingebildet, es sey möglich, durch Worte oder Gesänge den Früchten Schaden zu thun. Beym Apulejus werden den Worten noch weit mehr wunderbare Würckungen beygelegt: nehmlich daß man durch ein zauberisches Gemurmel die Flüsse in ihrem Lauffe zurück halten, daß Meer binden, die Winde stillen, die Sonne aufhalten, die Feuchtigkeit des Mondes herab ziehen, die Sterne ausreißen, den Tag aufheben, die Nacht zurück halten könne, und was dergleichen wunderliche Träume mehr sind. Apulejus de aureo Asino.
  Dieser Heydnische Aberglaube herrschet noch heutiges Tages bey vielen, weil sich immerdar Leute gefunden, die ihn vertheidigt, sich und andere überredet haben, daß die Worte eine natürliche Krafft hätten, solche und dergleichen Dinge zu würcken. Plinius hätte sie schon eines bessern belehren können, wenn sie nicht dazu geneigt gewesen wären, von wunderbaren Dingen gern zu schwatzen, und sie lieber zu glauben, als zu untersuchen. Derselbe schreibt gleich im Anfange des angeführten Capitels:  
  Es ist eine wichtige, aber allezeit ungewisse Frage, ob die Worte, Gesänge oder Beschwörungen etwas vermögen? Wenn es wahr ist, so wird man solches den Menschen zuschreiben müssen. Allein kein kluger Mensch glaubt es. Der gemeine Mann nimmt zwar die Sache für bekannt an; obgleich die Erfahrung damit nicht übereinstimmt.  
  Was Homer als ein Poet erdichtet, nehmlich daß das Bluten durch einen Gesang gestillet worden, das glaubt man im Ernst, und will diese Kunst auch  
  {Sp. 291|S. 159}  
  verstehen. Johann Agricola will in Österreich einen Künstler angetroffen haben, von welchem er gelernet, einem jeden Blut-Fluß mit dem Worte Oipulu zu stillen. Weil es aber für Aberglauben hielt, wolte ers niemahls versuchen. Endlich traf er zu Naumburg einen Rittmeister an, bey welchem das häuffige Bluten durch keine Mittel konnte gestillet werden. Also bediente er sich des vorgedachten Magischen Kunststücks, wodurch der Blut-Fluß gar bald curiret ward. So gedenckt auch Peter Borell eines Obristen, der an einer unheilbaren Blutstürtzung kranck gelegen, sobald aber ein Freund ihm etliche unbekannte Worte in einer Rosine zu verschlucken gegeben, davon befreyet worden.  
  Nicht weniger will man auch mit Worten die Schlangen zwingen, und sie durch Beschwörungen auf einen Hauffen versammlen. In den Unterredungen vom Reiche der Geister im I Theil, p. 491 findet man davon ein paar besondere Exempel. Ein gewisser Mann brachte alle Schlangen aus der gantzen Gegend zusammen in ein Feuer, das in einem Magischen Kreise angezündet war: da aber eine von denselben, welche grösser war, als die andern, nicht hinein wolte: so ward er selbst durch wiederholte Beschwörungen genöthiget, sich mit ins Feuer zu werffen, und zu verbrennen. Zu Saltzburg fand sich einstmahls ein Beschwörer, welcher vor den Augen des gantzen Volcks alle Schlangen in eine Grube zusammen bannete und umbrachte. Endlich kam eine Schlange, welche die andern an Grösse weit übertraf: diese lief an seinem Leibe hinan, wickelte sich um ihn herum, wie ein Gürtel, und zog ihn mit sich in die Grube hinein, da sich denn der Beschwörer selbst hat entleiben müssen. Sind dieß nicht traurige Mordgeschichte, welche man auf den Märckten absingen könnte!  
  Man will ferner durch Worte die Geister beschwören, Haß oder Liebe zuwege zu bringen, die unvernünfftigen Thiere bannen, Feuersbrüste löschen, allerhand Kranckheiten heilen, und solche Dinge ausrichten, die durch natürliche Mittel nicht können bewerckstelliget werden. Wer ein Zeugniß verlangt, daß man durch Gesänge die Liebe erwecken könne, der beliebe nur die angeführte VIII Eckloge des Virgils zu lesen.  
  Einige wollen Leute gesehen haben, die mit gewissen Worten oder Beschwörungen wilde Thiere aufhalten und zwingen können, daß sie den Schuß des Pulvers erwarten müssen. Sobald die Ratten nur ihre Stimme höreten, müsten sie gantz bestürtzt und unbeweglich stehen bleiben, daß man nur die Hände ausstrecken und sie umbringen dürfte. Die Leute mögen sie wohl gesehen haben, die sich dessen gerühmt; es wäre aber besser, wenn sie die Sache selbst gesehen hätten, alsdenn könnte man ihnen Glauben beymessen.  
  Ein artiges Kunststück ist es, wenn vorgegeben wird, daß die Jäger, wenn sie eine Hyaenam oder Vielfraß auf der Spur hätten, allezeit schreyen: Ich sehe sie nicht, wodurch das Thier bewogen würde, getrost auf das Netze zu lauffen; sobald es aber darinne gefangen, rufften die Jäger: Ich sehe sie. Hierauf wolte das Thier davon lauffen, verwickelte sich aber nur  
  {Sp. 292}  
  mehr und mehr in den Netzen, und fiel also den Jägern in die Hände. Amphitheatr. Mag. Univ. Sect. X, p. 523.
  Bey dem Plinius findet man Hist. Natur. Lib. XXVIII. Cap. II, daß gewisse Worte wider Feuersbrunst an die Häuser geschrieben worden, da man den aus dem Festus erlernet, daß es die Worte, Arse Vorse, gewesen. Diesen ahmen die Juden nach, indem sie gewisse Worte oder Nahmen der Engel an die Giebel ihrer Häuser schreiben, um sie dadurch für Feuer-Schaden zu bewahren. Sie haben noch ein anderes Mittel zum Feuerlöschen, nehmlich das sogenannte Zeichen Aghela, welches sie auf den Boden eines Brodts schreiben, oder auf einen Zettel geschrieben in das Brodt backen, solches aufbehalten, und bey entstehender Feuersbrunst mit einem besondern Segenspruch zum Löschen ins Feuer werffen.  
  Der gelehrte Römer Cato giebt vor, wenn jemanden etwas verrenckt ist; so könne es durch folgendes Mittel wieder zurecht gebracht werden: Nimm ein grünes Schilf-Rohr, vier oder fünf Fuß lang, schneide es der Länge nach auf, und laß des zweene Personen also flach an die Hüften halten: hernach fange einer gegen den andern an zu singen: S.F. Motas, Vaeta, daries dandaries, Astataries, dissunapiter, bis sich das Rohr wieder krümmet und hohl wird: wirf etwas Eisen darauf, und wenn das Rohr wieder rund, und ein Theil das andere anrühret: so nehme es mit der rechten Hand, und schneide es mit der lincken von einander, binde es auf das verrenckte oder gebrochene Glied, so heilet es. Johann Baptista Porta Mag. Natur. Lib. XX. Cap. 8.
  Es sind noch andere, theils unverständliche, theils verständliche Worte wider ein und die andere Kranckheit im Gebrauch. Insonderheit glaubt man, daß Worte, welche vor- und rückwärts gelesen, gleichlautend sind, eine besondere Krafft haben. Als z.E. Sator, Arebo, tenet, obero, rotas. Daß man nicht truncken werde, soll man folgenden Vers:  
  Jupiter his alta sonuit clementius Ida,  
  öffters heimlich bey sich sprechen. Die Juden geben vor, das Nacht-Trincken sey gefährlich, und mache den Menschen blind. So aber jemand Durst hat, soll er das Hebräische Wort Schebriri, welches ein gebrochen Gesichte oder plötzliche Blindheit bedeutet, auf die Art, wie das Abracadabra geschrieben, am Halse tragen; so wird die Blindheit einen jeden Tag so abnehmen, als man die Buchstaben von oben an sich mindern siehet, bis das eine und das andere gantz vergehe. Peter Borell berichtet, daß ein Kopf, der voller Würmer gewesen, von einem Bauer, nachdem man viele Mittel vergeblich gebraucht, durch gewisse Worte, die er bey Abbrechung einiger Artichblätter gesprochen, geheilet worden.  
  Die abergläubischen Weiber und Gärtner treiben mit den Worten auch vielen Aberglauben. Jene, wenn sie ihren Lein-Saamen ausstreuen, bedienen sich zum Theil schändlicher Worte, damit der Flachs desto länger werde. Diese, wenn sie den Petersilien-Saamen säen, pflegen denselben zu verfluchen, damit er davon desto eher und stärcker aufwachsen soll.  
  {Sp. 293|S. 160}  
  Mehrere Exempel von der Krafft der Worte anzuführen wird hier nicht nöthig seyn: daher wir zur Untersuchung der Gedancken, die sich die Gelehrten davon gemacht haben, schreiten.  
  Die Heyden, welchen wir die ungemeine und ausserordentlichen Würckungen der Worte zu dancken haben, leiteten solche Würckungen von den Geistern her, die sie als Götter verehreten. Ihre Pfaffen machten viel Prahlens, wie sie durchs Gebet und Beschwörungen die Geister zwingen könnten, daß sie thun müsten, was sie von ihnen begehrten, und was sonst natürlicher Weise von keinem Menschen konnte verrichtet werden.  
  Als die Vestalische Jungfrau Tuccia ihre unverletzte Keuschheit beweisen wolte, richtete sie ihre Gebete oder Beschwörungen erst zu den Göttern, oder etwa zu ihrer Abgöttin Vesta, und trug darauf Wasser in einem Siebe. Das konnte ja nicht natürlich zu gehen: also glaubte man, daß es durch Hülffe eines Geistes geschehen.  
  Von den Egyptiern berichtet Celsus, wie sie gelehret, der menschliche Cörper würde nach der Zahl der himmlischen Zeichen durch eben so viel, nemlich 36 Geister, curiret, deren jeder ein gewisses Glied beherrsche, und beschütze, auch seinen besondern Nahmen hätte. Wenn man nun diese Geister anrieffe und beschwöre: so könnte dadurch das schadhaffte Glied wieder geheilet werden.  
  Fragt man, wie es mit diesen und dergleichen Dingen zugegangen, wovon bey den heydnischen Scribenten so viel Prahlens gemachet wird: so halten wir davor, daß theils die Erzehlungen nicht gar zu glaubwürdig sind, theils aber die Pfaffen dabey ihre gewöhnliche Betrügerey angebracht, und wo sie ja zuweilen mit ihren Beschwören etwas ausgerichtet, solches entweder dieser Betrügerey, oder einem ohngefehren Zufalle, oder wenn sie damit Patienten geheilet, derselben Gesundheit dem guten Vertrauen auf das ungewöhnliche Mittel zuzuschreiben sey. Anders kan man hiervon als ein Christ nicht urtheilen. Wolte man den Teuffel zu Hülffe nehmen: so ist kaum zu glauben, daß GOtt ohne dessen Zulassung dieser verdammte Geist nicht das geringste thun kan, ihm werde die Freyheit gegeben haben, solche wunderbahre Dinge zu thun, und dadurch die Heyden in seinem Dienste zu erhalten.  
  Die Klügsten unter den Heyden hegten von den Beschwörungen nicht so hohe Gedancken, als wir uns zuweilen davon machen, sondern hielten sie für Gedichte und Betrügereyen. Des Plinius Meynung haben wir schon oben vernommen. Der Herr von St. Andre führet auch ein paar Stellen aus dem Plato und Aristoteles an, welche dahin gehen, daß die Beschwörungen ein Gedichte der Poeten, und leichtgläubiger Weiber sind. Es ist indessen zu verwundern, daß es unter den Christen Leute gegeben, die sich das heydnische Wesen gefallen lassen, und von den Sternen, die sie für beseelt halten, die Krafft der Worte herleiten. Wir wollen davon den Agrippa vernehmen.  
  Wenn man, schreibt er, durch Gesänge oder Gebete die Krafft eines Sterns oder Geistes herbey ziehen will: so soll man fleißig erwegen, was ein jeder Stern für Kräffte und Würckungen habe: die muß man mit in die Gesänge bringen, sie loben, erheben, und groß machen, auch dasjenige rühmen, was der Stern zu bringen, und mit seinem Einflusse zu verrichten pflegt: hingegen  
  {Sp. 294}  
  muß man verachten, und geringe machen, was er pflegt zu verstöhren, und zu hindern: man muß mit Bitten und Beschwören um dasjenige anhalten, was man gern hätte; was man aber will verhindert und abgewandt wissen, das soll man verabscheuen, und wacker darauf schelten. Solchergestalt muß man ein zierliches und wohlgesetztes Carmen verfertigen. Die Magi wollen ferner, daß man die Sterne beschwören und anruffen müsse durch ihre Nahmen, durch ihre Wunderwercke, Lauf und Bahn in ihrem Kreise, durch ihr Licht, durch die Herrlichkeit ihres Reichs, Gnade und Klarheit, die sich in ihnen befindet, durch ihre grosse und wunderbahre Kräffte, und dergleichen mehr."  
  Diese Gedancken sind bloß heydnisch, weil man den Sternen im Heydenthume gewisse Geister zuordnete, und sie durch Beschwörungen, dieses oder jenes zu thun zwingen wolte. Könnte aber nicht der Teuffel dasjenige verrichtet haben, was die Heyden ihren Göttern zugeschrieben? In solcher Einbildung stehen viele, die daneben glauben, der Teuffel sey noch jetzt Urheber derjenigen Würckungen die man durch gewisse Worte hervorzubringen vermag, und zwar in Krafft eines Bündnisses, daß der Beschwerer mit dem Teuffel errichtet, dessen Zeichen die Worte wären. Was aber die Heyden betrifft: so finden wir nirgends, daß sie mit dem Teuffel ein Bündnis gemacht hätten. Sie verehreten zwar gewisse Geister, worunter sie auch einige für böse hielten: aber von einem Bündnisse mit diesen Geistern sind keine Spuren anzutreffen. Wenn sie Hülffe von ihnen verlangten: so suchte man sie durch Gebete, Beschwörungen, Opffer und dergleichen Ceremonien zu bewegen. Niemand aber berief sich jemahls auf ein Bündnis, wodurch die Geister wären verpflichtet gewesen, Hülffe und Beystand zu leisten. Also reimt sich der Einfall von dem teuffelischen Bündnisse nicht hieher.  
  Man vermuthet vielmehr, weil die Heyden die Beschwörungen als etwas Gottesdienstliches ansahen, daß die Pfaffen dabey ihre gewöhnliche Betrügerey angebracht, und den Leuten weiß gemacht, wie sie damit grosse Dinge ausrichten und die Götter zwingen könnten. Wenn auch zuweilen auf gewisse Worte und Beschwörungen eine Würckung erfolget ist: hat man sich aus Einfalt überreden können, daß solches von den Worten herkäme, da es sich doch nur durch einen ungefehren Zufall also begeben. Will man das pactum implicitum zu Hülffe nehmen: so mag man zusehen, daß man nichts ungereimtes behaupte. Der Haupt-Grund, warum man hier den Teuffel nicht mit einbringen darf, ist sein Unvermögen, weil er nicht im Stande ist Wunder zu thun, welches doch seyn müste, wenn er solche Dinge ausrichten könnte, die theils über die Kräffte der Natur gehen, theils wegen gewisser dabey vorkommender Umstände ihm zu bewerckstelligen nicht möglich sind.  
  Nicht viel besser kommt man mit der Einbildung fort, wenn nemlich der Einbildung des Beschwörers die Krafft der Worte beygelegt wird. Hiervon macht man sich folgenden Begriff: Das menschliche Gemüth soll eine Krafft haben, daß es, wenn es sich erst vornimmt, und bey solchem Vorsatze steiff beharret, das vorhabende Werck in der  
  {Sp. 295|S. 161}  
  That ausführe. Man erfordert aber darzu, daß das Gemüth desjenigen, in welchen etwas gewürckt werden soll, durch Unglauben und Mißtrauen sich dem Beschwörer nicht widersetze, sonst würde alle Mühe und Arbeit vergebens seyn. Hieraus ist offenbahr, daß das Hauptwerck auf die Einbildung nicht des Beschwörers, sondern des Patienten ankomme. Man machet ohne Noth des Beschwörers Einbildung zur Haupt-Ursache, da es doch vielmehr des Patienten Einbildung ist, die die Cur befördert. Wenn es auch dem Beschwörer an einer starcken Einbildung mangeln solte, und er selbst zu seinen Worten ein schlechtes Vertrauen hätte: so würde dennoch etwas können ausgerichtet werden, wenn des andern Vertrauen darauf nur desto grösser wäre. Von andern, welche schlechterdings, und ohne Absicht auf die Gemüths-Beschaffenheit des Patienten, die Einbildung des Beschwörers zum Grunde der Würckungen der Worte machen, wollen wir jetzo Kürtze halber nichts gedencken.  
  Noch sind die Worte selbst übrig, zu welchen einige das Vertrauen haben, daß sie an und für sich zuweilen denen darauf folgenden Würckungen genugsam gewachsen sind. Man braucht theils unverständliche, und nichts bedeutende, theils aber verständliche Worte. Mit den unverständlichen will Joh. Bapt. van Helmout nichts zu schaffen haben: sondern erfordert dazu verständliche, heilige, bittende oder gebietende Worte, welche denn seiner Meynung nach das Blut stillen, die rote Ruhr und andere Kranckheiten heilen sollen. Obgleich der Herr von St. Andre die Würckungen der Worte und Caracteren für pur lautere Mährchen, und erdichtete Fratzen hält: so setzet er doch hinzu,  
  "daß wenn die Worte einige Würckung hätten, solches vielleicht von den Lebensgeistern, welche die Personen, so sie aussprechen, von sich spriehen, und von dem Eindrucke, welchen eben diese auf eine gewisse Art ausgesprochene Worte in der Lufft und um die Cörper, die sie berühret machen, herkommen könnte."  
  Was er von den Lebensgeistern sagt, ist eben so richtig nicht. Sie bringen zwar die Werckzeuge der Rede in Bewegung, aber es ist wunderlich, daß sie zugleich mit davon fliegen; oder wenn es ja geschiehet, ob sie so häuffig ausgespriehet werden, daß sie die ihnen beygelegten Würckungen solten können zu Stande bringen. Was er aber von der durch die Worte bewegte Lufft meldet, verdienet eine genauere Untersuchung. Davon erklärt er sich in seinen Briefen von der Zauberey pag. 36. folgendergestalt:  
  "Die Worte bewegen den Augenblick die Lufft, da sie ausgesprochen werden: die bewegte Lufft berühret das Gehör, aber auf unterschiedene Weise, nachdem die Aussprechung unterschiedlich geschiehet, und nachdem das Gehör auf diese oder jene Manier gerühret worden, danach entstehen auch in uns unterschiedene Empfindungen, die uns angenehm oder verdrießlich fallen, und uns zur Freude oder Traurigkeit bewegen."  
  Johann Webster gehet noch weiter, und sagt, die durch die Rede bewegte Lufft dringe sowohl in die poros der Haut ein, werde auch in die Ohren, Nase und Lunge gezogen, nachdem sie durch mancherley Aussprechun-  
  {Sp. 296}  
  gen der Worte verändert worden. Hernach wären die ausgesprochenen Worte von unterschiedlicher Beschaffenheit; nachdem die Lufft-Röhre, und übrigen Instrumente der Rede beschaffen, auch das Temperament heiß oder kalt sey: so würde der Stimme die Krafft eingedruckt, daß sie entweder subtil oder grob klinge. Es werde auch der Athem erhitzt, wenn unterschiedliche Sachen ausgesprochen würden, welche denn, wenn man sie allein, oder in einem Reime hersage, kalte Sachen erwärmten, worbey er denen Reimweise gesetzten Worten eine besondere Krafft beylegt.  
  Der Herr von St. Andre ist auch der Meynung, daß die durch Worte bewegte Lufft, welche das Organon des Gefühls berühren, zu Hervorbringung solcher Würckungen etwas beytragen könne, wenn anders etwas wahres dabey zu finden.  
  Insgemein berufft man sich auf die Redner, welche durch ihre Worte allerhand Affecten erregen; ingleichen auf die Vocal- und Instrumental-Musick, wodurch der Mensch bald frölich, bald traurig gemacht, bald zum Zorn angefrischet, oder bald wieder besänfftiget werden kan.  
  Nun zweiffelt zwar niemand daran, daß eine geschickte Rede Gemüther bewegen, und die Menschen überreden könne. Aber wie gehet es damit zu? Es kommt dabey nicht auf die Bewegung der Lufft an, die durch das Reden verursacht wird, sonst müste die allerungeschickteste Rede, wenn sie mit vielen Schreyen gehalten würde, gleiche Würckung thun, und die Menschen überreden, welches aber wider die Erfahrung ist, indem ein solcher Redner keinen Beyfall erlangt, sondern sich nur lächerlich macht. Die Lufft ist nur das Mittel, wodurch die Worte des Redners zu den Ohren der Zuhörer überbracht, und die Gedancken des Redners ihnen bekannt gemachet werden.  
  Was ist es aber, das die Gemüther der Zuhörer in Bewegung setzt? Gewiß nicht die Worte an und vor sich, welche nur eine gewisse Bewegung der Lufft sind; sondern in so fern dieselben eine gewisse Bedeutung haben, und den Sinn des Redners kund machen. Man siehet also wohl, daß hier eine moralische und nicht physische Würckung vorgehe, wenn ein Redner Gemüths-Bewegungen erweckt. Er bringt in seiner Rede Bewegungs-Gründe bey, die nach ihrer Beschaffenheit den menschlichen Willen so und so lencken, welches etwas moralisches ist.  
  Hiervon ist aber nicht auf die physischen Würckungen ein Schluß zu machen. Alles, was die Musick würcket, ist eine angenehme Empfindung im Gehör: wie will man hieraus schliessen, daß Worte die theils nichts heissen, theils nicht die geringste Annehmlichkeit haben, solten so grosse Dinge thun? Wenn sie auch in den Ohren eines Patienten eben so anmuthig als die beste Musick klängen: so stehet doch dahin, ob diese angenehme Empfindung von so grosser Krafft wäre, daß sie schwere Kranckheiten heilen könne. Unser Gesicht belustiget sich vielfältig an diesen oder jenen Dingen: doch hat man nicht gehört, daß man den Empfindungen des Gesichts, wie angenehm sie auch immer seyn mögen, die Krafft, Kranckheiten zu heilen beygelegt hätte. Was haben  
  {Sp. 297|S. 162}  
  denn die Empfindungen des Gehörs hierinne für einen Vorzug.  
  Worte die in eine gewisse Ordnung gesetzt, oder darneben Reimweise verfasset sind, auch mit einem gewissen Thone ausgesprochen werden, kurtz die Verse sind ein Mittelding zwischen einer Rede und Vokal-Music, weil sie mit beyden etwas gemein haben. Da nun so wenig eine Rede, als die Musick dasjenige leisten kan, was man von ihnen hoffet: so werden die Verse zu dergleichen wunderbaren Würckungen eben so wenig geschickt seyn, welches keines weitern Beweises bedarf.  
  Was soll man aber zu den Erfindungen des Gefühls sagen? Vielleicht sind diese im Stande in dem menschlichen Cörper solche Veränderungen zu würcken, als die Genesung eines Krancken erfordert. Das scheint noch weniger glaublich. Die Empfindungen des Gefühls, wovon man solche Würckungen herleiten will, sind sehr schwach, so das man sie fast gar nicht mercket. Was empfinden wir durchs Gefühl, wenn jemand redet? Wie solten denn diese Empfindungen so grosse Krafft haben? Die Empfindungen des Gehörs sind weit stärcker, indem die durchs Reden oder durch eine Musick bewegte Lufft das Gehör sehr starck afficirt. Gleichwohl können sie keinen Menschen gesund machen: Darum werden es die Empfindungen des Gefühls noch weniger thun können, weil sie sehr schwach sind, oder durch Worte wohl gar keine verursachet werden.  
  Was Webster von Erhitzung des Athems vorgiebt, ist kaum der Mühe werth, darwider etwas zu erinnern. Wer verstehet nicht, daß wenn die Wärme des Athems etwas thun solte, der Redende das Maul nahe über den Schaden halten müste, damit die Wärme recht hinein käme, die sonst geschwind und im Augenblicke verrrauchen würde. Könnte es die Wärme thun: so brauchte man dazu keine Worte: es liessen sich ja die schadhafften Gliedmassen auf andere und bessere Weise erwärmen.  
  So viel mag genug seyn, zur Widerlegung der Meynung, daß die Worte an sich so wunderbare Würckungen thun solten.  
  Wir müssen endlich noch hören, was die geheime Weisen von Krafft der Worte schwatzen, Sie lehren, die Worte hätten mit den Dingen, die sie bedeuteten, eine genaue Verwandtschafft, sie wären Zeichen, und Gestalten der Dinge selbst, daher wenn sie ordentlich ausgesprochen würden, so läge darinne die Krafft des Wesens der Dinge verborgen, welche in der vernünfftigen Seele durch den allgemeinen Saamen der Geschöpfe erstliche empfangen, und hernach durch das ausgesprochene Wort gebohren werde. Die eigentlichen Nahmen der Geschöpffe wären Ausflüsse derselben, welche aller Orten gegenwärtig, und die Kräffte der Dinge dem Wesen nach in sich fassen, also daß diese in den Worten, gleich als in einem lebendigen Bildnisse vorgestellet werden. Denn gleichwie durch den Einfluß der Gestirne und deren Eigenschafften, nebst den übrigen Elementen, der grosse Schöpffer seine unterschiedenen Wercke hervorbringt; also haben auch die unterschiedenen Nahmen der Dinge von  
  {Sp. 298}  
  demselben ihrem Ursprung, welcher nach dem Zeugnisse des Psalmisten die Sterne zählet, und jedweden seine Benennung ertheilet; deswegen der Herr Christus selbst sagt: Eure Nahmen sind im Himmel angeschrieben.  
  Weil auch dem ersten Menschen alle natürliche Wissenschafften von GOtt eingegossen waren, daß er das Wesen einer jeden Sache aus dem Grunde erkannte: so hat er ohne Zweiffel alle Dinge nach ihrer innerlichen Beschaffenheit benennen können. Diese Nahmen, die Adam den Thieren gab, hielten allerdings wunderbare Geheimnisse der darunter verstandenen Sachen in sich. Und daher findet sich ein gedoppelter Einfluß bey solchen Worten, wovon der eine von der Übereinstimmung des obern Firmaments, der andere von der Benennung des nach dem Ebenbilde GOttes erschaffenen Menschen herrühret. Wenn aber alle beyde in einem Worte zusammen kommen: so ist auch in demselben eine gedoppelte Krafft vorhanden, nemlich die natürliche, und diejenige welche von dem freyen Willen des Menschen herrühret, so offt ein solches Wort zu gewisser Zeit, am gehörigen Orte, mit aufrichtiger Meynung und Absicht mit Ehrerbietigkeit und erforderten Ceremonien ausgesprochen wird.  
  Von allen diesen kan man sich keinen rechten Begriff machen, so unverständlich ist alles. Was soll dieses heissen: Die Nahmen sind Ausflüsse der Dinge; Die Worte haben eine Übereinstimmung mit dem Firmamente; Die Krafft des Wesens der Dinge liegt in dem Nahmen verborgen; Die Worte sind ein lebendiges Bild der Dinge u.s.w. Wie dunckel ist dieses geredt! Sind die Worte Ausflüsse der Sterne, oder gar des Wesens der Dinge, wie kommen Sie denn in den Mund desjenigen, der sie ausspricht?  
  Was wir in der Schrifft von Adam lesen, der den Thieren Nahmen gegeben, gehöret nicht hieher. Denn es ist noch nicht ausgemacht: ob die den Thieren aufgelegten Benennungen, nicht bloß willkührlich gewesen. Gesetzt aber, Adam hätte einen und dem andern Thiere Nahmen gegeben, die dessen Natur und Eigenschafften einiger massen ausdrückten, als z.E. wenn er die Biene Debhorah genannt, von dem beständigen Gesumme, daß sie machet; Dem Fische aber den Nahmen Dag gegeben, weil er sich häuffig zu vermehren pflegt: so ist dennoch nicht abzusehen, wie die Nahmen eines Dinges, wenn sie einigermassen dessen Natur und Beschaffenheit ausdrücken, das Wesen und die Gestalt der Dinge selbst seyn, und wenn sie ausgesprochen werden, so grosse Würckungen thun solten.  
  Betrachtet man die Worte nach ihrer eigentlichen Beschaffenheit, so sind sie sie bloß ein Schall, und modificirte Bewegung der Lufft, welche Bewegung gewiß von so grosser Würckung nicht seyn kan. Es stehet auch hier die Erfahrung im Wege. Denn wenn die Worte an und vor sich etwas ausrichten könnten; so würden sie bey allen ihre Würckung thun. Dieses findet sich aber nicht; sondern nur bey ei-  
  {Sp. 299|S. 163}  
  nigen und zwar den wenigsten würcken sie etwas: bey den meisten aber gar nichts.  
  Es ist also zu vermuthen, daß solche Würckungen von andern Ursachen als von den Worten an sich herrühren. Soll es dabey auf die Bewegung der Lufft ankommen: so widerspricht man sich selbst, indem man den geschriebenen Worten gleiche Krafft beylegt. Ist das letztere wahr, und die geschriebenen Worte würcken eben so gut als die ausgesprochenen: so muß es dabey nicht auf die Worte selbst, als eine Bewegung der Lufft ankommen, welche sich bey den geschriebenen nicht mehr findet. Man bedencke auch, daß die Worte nicht etwas fortdaurendes sind; sondern so bald sie ausgesprochen worden, wiederum verschwinden; so ist daraus offenbar, wie es mit ihrer physicalischen Würckung nicht viel zu bedeuten habe.  
  Siehet man aber die Worte an, als Zeichen, wodurch der Mensch seine Gedancken an den Tag legt: so bringen sie zu wege, daß ein anderer unsere Meynung verstehet, auch davon wohl gerühret wird. Allein dieses ist eine moralische Würckung, wovon sich auf die physische nicht schliessen läst. Es ist also alles ohne Grund, was man von Curen, die durch Worte geschehen wären, und vorgenommen werden könnten, vorzubringen pfleget; viel weniger können dergleichen Mittel von einem rechtschaffenen Christen gebraucht werden. Diejenigen welche sich auf einige Gelehrten, welche den Worten einige grosse Krafft beylegen, und auf die Platonischen Philosophen, auf Juden und Cabalisten beruffen, sind nicht im Stande ihre Meynung zu behaupten.  
  Sonderlich hat dieses Ficinus in seinem Buche de Vita Coelit. gelehrt: wiewohl Mirandulanus das Gegentheil zu erweisen gesucht hat. Ein gleiches ist auch von den Jüden und Cabalisten bekannt, die so unverschämt sind, und vorgeben, daß die Propheten, Elias, Elisa, Esaias, Daniel, Samuel etc. eintzig und allein so viele und so grosse Wunderwercke, durch die heiligen Hebräischen Nahmen verrichtet hätten. Ja es beruffen sich einige gar auf den Spruch Pauli, wenn er Coloss. III, 17, sagt: Alles was ihr thut mit Worten oder mit Wercken, das thut alles in den Nahmen JEsu. Allein diese Paulinische Stelle kömmt ihrer Meynung gar nicht zu statten; weil in derselben keine solche abergläubische Curen angerathen werden, und diejenigen können sich der schweren Sünde nicht entledigen, welche Wort-Curen thun; Wenn sie auch gleich biblische und heilige Worte gebrauchen. Dieses ist ein schändlicher Mißbrauch, indem uns die Bibel darzu nicht gegeben ist.  
  An und vor sich können also die Worte zu Vertreibung der Kranckheiten nichts beytragen; sie mögen verständlich oder unverständlich, heilig oder profan seyn. In verbis, schreibet Gabriel Fontanus Medicin. Antihermet. Sect. III, Cap. V, p. 179. nullam esse vim sanandi morbos, welchem Delrio Lib. I, Quaest. 3. beypflichtet: Nulla vocabula vim habent naturalem, vulnera vel morbos sanandi vel noxia alia depellandi. Und Quintus Serenus Sam-  
  {Sp. 300}  
  monicus, welcher sonst den Worten grosse Krafft beylegt, hat endlich aus Überzeugung seine Meynung ändern, und schreiben müssen:  
  Multa praeterea verborum monstra silebo:
Nam febrem vario depelli carmine posse,
Vana superstitio credit.
 
  Die Jüden werffen zwar ein, daß die Christen selbst den Worten eine grosse Krafft beylegten. Sie sagen: Ihr sprecht Worte über das Wasser; so muß es Tauffe seyn, die alte Sünde waschen, und neugebohrne Menschen machen. Ferner: ihr macht Brod und Wein mit Worten zu Leib und Blut. Ihr legt die Hand dem Sünder aufs Haupt, und sprecht ihn von Sünden loß etc. Allein wir wollen Luthern Tom. VIII, Jenens. p. 128. hierüber vernehmen, woraus wir sehen werden, daß die Juden die Christliche Lehre hier gar nicht verstehen, und also nicht reden solten.  
  Kürtzlich zu überlauffen, schreibt er, sagen wir Christen also: das Wasser nichts denn Wasser ist, Wort nichts, denn ledige blosse Buchstaben sind, thun und helffen über ihre Natur nichts, vielweniger würcken sie göttliche Werck in uns; Denn Wasser und Buchstaben machen keine Tauffe etc. Aber weil GOtt gebothen, und befohlen hat, daß wir sollen unsere Hand und Zungen hinzu thun, und das Wasser über den Taufling giessen mit Worten oder Buchstaben, die er befohlen hat, darzu verheissen, und uns versichert aufs allergewisseste, daß er selbst mit seiner göttlichen Gnade und Krafft dabey seyn will und solches Wort selbst thun.  
  Hie greiffestu, daß wir Christen dem Wasser und Buchstaben keine göttliche Krafft geben, auch nicht sagen, daß unser Thun sey: sondern bekennen, daß es GOttes allein sey, und bleibe, der solches will, solcher Weise, die ihm gefallen, nemlich durch Wasser und Wort, oder Buchstaben erzeigen, und an uns beweisen. Das heissen nicht ledige Buchstaben, oder blos Wasser das die Kuh sauft, sondern darinne GOtt sich verbindet, daß er an uns, und durch uns, als sein Werckzeug seine Gnade und Krafft wolle üben.  
  Hieraus siehet man offenbar, daß es ein abergläubisches Wesen sey, wenn unverständige Menschen durch Worte Kranckheiten oder andere Unglücksfälle vertreiben, wollen, oder gewisse Zettul, worauf gewisse Worte geschrieben, wider diese und jene Kranckheit an den Halß hängen, und tragen, da sie doch zu Hebung der Kranckheit natürlicher Weise nichts beytragen können. Daher schreibet Midorerus: solche Buchstaben, barbarische unverständliche Wörter und Zeichen sind des Teufels Grammatick und Donat, darinne er seine Schüler auf seiner Academie informiret. Und Paracelsus, ein grosser Liebhaber und Verteidiger solcher Torheiten, schreibt, wie Alsatius a Cruce Centur. III, de Quaesit. per epist. fol. 268. berichtet: syrupos et apozemata esse medicinam hominum, verba et characteres daemonum.  
  Wir wollen uns hierbey nicht länger aufhalten; sondern noch etwas  
  {Sp. 301|S. 164}  
  2. Von gefrorenen und eingeschlossenen Worten  
  beyfügen, welche Materie so wenig Gründliches und so viel Ungereimtes bey sich führt, als die vorige. Es machen sich einige von den Worten die verkehrten Gedancken, daß sie durch die Kälte vor der Zerstörung und gäntzlichen Verschwindung könnten bewahrt, oder auch in ein gewisses Behältnis eingeschlossen, und zu seiner Zeit wieder hervor gesucht werden. Von dem erstern führet Michael Piccart eine artige Geschichte aus dem Balthasar del Cortegiano in der Philosophia Altdorph. Disput. XVI, Coroll. 4 an:  
  Es wären an dem Nieper-Flusse einige Moscowitische und Pohlnische Kaufleute zusammen gekommen, und indem sie zu beyden Seiten des Flusses gestanden, mit einander geredet, hätten aber einander nicht verstehen können, weil ihre Worte wegen der sehr strengen Kälte alsobald eingefroren. Nachdem es aber wieder aufgethauet, hätte sich ein Gemurmel und Schall der Worte hören lassen.  
  Daß dieses eine ungemeine Fabel sey, braucht keines Beweises, weil jeder weiß, daß die Worte eine gewisse Bewegung der Lufft sind, und da die Lufft nicht frieren kan, auch die Worte nicht frieren können. Wir leben durch die Lufft, indem wir sie einziehen, und wieder ausathmen. Solte sie frieren: so müsten Menschen und Vieh in den kalten Ländern zur Winters-Zeit sterben, weil keine flüßige Lufft vorhanden seyn würde, die sie einziehen können. Über dieses ist es eine thörichte Sache, daß sich diese wunderbare Geschichte um Nieper-Fluß soll begeben haben, da doch die nördlichsten Gegenden dieses Flusses ungefähr mit der Marck Brandenburg einerley Polus-Höhe haben, und es deswegen daselbst nicht kälter seyn kan, als hier. Man muß sich indessen wundern, warum den Kaufleuten nicht gar das Maul zugefroren, welches noch eher möglich gewesen wäre, als daß die Worte eingefroren, und das Maul offen blieben. Vielleicht ist der Fluß so breit gewesen, daß einer des andern Worte nicht hat verstehen können. Da hat es nun die Kälte gethan. Und weil die Worte eingefroren waren, haben sie ja wohl wieder aufthauen müssen: Daher hat man erdichtet, es hätte sich nachher ein Gemurmel, und Schall dieser Worte hören lassen.  
  Johann Baptista Porta ist bey Gelegenheit des Sprachrohrs auf den Einfall gerathen, daß er die Worte in Röhren einschliessen, und also in die Länge aufbehalten wolte. Hier ist die Stelle aus seiner Magia naturali Lib. XVI, Cap. 12:  
  Darüber hatte ich mir vorgenommen, die Worte in der Lufft, ehe sie gehöret werden, mit bleyernen Röhren aufzufangen, und so lange verschlossen fortzuschicken, daß endlich, wenn man das Loch aufmachte, die Worte heraus fahren müsten. Denn wir sehen, daß der Schall eine Zeit braucht, bis er fortkommt; und wenn er durch eine Röhre gehet, daß er mitten könne verhalten werden. Und weil es etwa darinne was ungelegen fallen möchte, daß die Röhre sehr lang seyn müste: so könnte man die Röhren in die Runde Circkelweise krümmen, und also die Länge ersparen, und nur wenig Platz damit ein-  
  {Sp. 302}  
  nehmen.  
  Der ehrliche Mann hat nicht bedacht, daß die Worte eine Bewegung der Lufft seyn, die nicht lange dauret, sondern geschwinde zu Ende gehet. Wenn er nun gleich die Lufft, wodurch die Worte fortgebracht werden, eingeschlossen hätte: so würde doch diejenige Bewegung, welche ihr durch das Reden gegeben worden, bald aufgehöret haben, folglich die Worte verschwunden seyn, eben wie sie in freyer Lufft verschwinden und aufhören. Die Worte sind eine Schreib-Art des Schalles, folglich eine zitternde Bewegung der Lufft, welche immer mehr und mehr abnimmt, und endlich gar aufhören muß. Dieses kan man daraus schliessen, weil der Schall nur auf eine gewisse Weite empfunden wird.  
  Wie kan man sich vorstellen, daß die Worte eine geraume Zeit solten können erhalten werden? Denn entweder die Bewegung der Lufft, welche die Worte zu dem Gehör bringt, höret alsdenn auf, oder nicht. Höret sie auf: so möchten wir wissen, wodurch bey der Eröffnung der Röhre eben dieselbe Bewegung wieder hervorgebracht werde. Höret sie nicht auf: so müsten sich die Worte in der verschlossenen Röhre beständig hören lassen, und vielfältig wiederholet werden. Dies möchte einigen Schein haben, wenn man sich die Sache wie ein Echo vorstellt, da nemlich die Worte von einem Ende der Röhre zu dem andern wieder zurück schalleten, und also bis zur Eröffnung der Röhre erhalten würden. Man muß aber bedencken, daß nicht alle und jede Örter einen Wiederschall zurück geben; sondern nur die, welche von besonderer Beschaffenheit und Einrichtung sind. Daher steht es dahin, ob man die Enden der Röhren so einrichten könne, daß von dar die Worte so zurück prallen, wie sie eingefallen sind. Allem Ansehen nach ist es wegen Enge der Röhren nicht möglich.  
  Von den Worten muß die zuerst ausgesprochene Sylbe allemahl eher an das Ende der Röhre kommen, als die andere. Wenn man nun auch nur ein zweysilbiges Wort in der Röhre aufbehalten wolte: so würde die erste Sylbe schon wieder zurück kehren, wenn die andere erst ankommt, da würden sie in einem so engen Raume einander nicht ausweichen können, sondern die determinirte Bewegung der Lufft, worinne die Worte bestehen, alsobald in Unordnung gerathen. Zu geschweigen wie diese Bewegung der Lufft, bey dem Hin- und Wiederfahren, ohnedem in Unordnung gerathen müste, und nicht eben dieselbe bleiben könnte. Was ist es nöthig, dieses weiter auszuführen, da sich das Loch der Röhre, worinne man die Worte gesprochen, nicht einmahl so geschwinde wird zustopfen lassen, als die Worte werden aufgehöret haben, und bereits verschwunden seyn.  
  Mit diesen eingeschlossenen Worten kommt sehr wohl überein, was die Poeten von Worten erdichtet, welche in die Erde geredet, mit dem Schilfe aufgewachsen, und sich hernach deutlich hätten hören lassen. Als die beyden heydnischen Götter, Pan und Apollo, in einen Wettstreit geriethen, wer unter ihnen beyden mit seinem Instrumente die beste Musick machen könte: so erwehlten sie den Midas, König in Phrygien, zum  
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  Schiedsmann. Dieser gab den Hirten-Gott Pan vor den Gott der Musen gewonnen, welches dem Apollo dergestalt verdroß, daß er dem Midas ein Paar lange Esels-Ohren an den Kopf wachsen ließ. Diese langen Ohren wusste Midas meisterlich zu verbergen; und es wuste niemand darum, als seyn Leib-Balbier, der durffte nichts sagen, und konnte es gleichwohl nicht verschweigen. Daher gieng er auf das Feld, machte eine Grube, und ruffte die Worte hinein; Midas hat Esels-Ohren, worauf er das Loch wieder zumachte. An diesem Orte wuchs hernach Schilf hervor, in welchem obgedachte Worte gleichsam eingepflantzt, und wenn der Wind das Rohr bewegte, konnte man deutlich darinne die Worte vernehmen: Midas hat Esels-Ohren.  
  Mit solchen ungereimten Meynungen ist in den alten Zeiten die Welt gantz erfüllt gewesen, und die Zeiten unserer Väter sind in diesem Stücke nicht viel anders beschaffen gewesen. Es wäre auch noch erträglich, wenn diese und andere thörichten Erzehlungen nur unter dem Pöbel wären stehen geblieben: Allein die Gelehrten haben sich sogar damit befleckt, und was noch erstaunender ist, so hat man die vortreffliche Natur-Lehre mit dergleichen abgeschmackten Meynungen unbrauchbar gemacht. Wie groß der Vorzug unserer Zeiten hierinne sey, ist leicht zu erkennen, in welchem dergleichen Fabeln gar keinen Werth mehr haben.  
     

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Stand: 8. April 2013 © Hans-Walter Pries