Stichworte |
Text |
Quellenangaben |
1.2 Vertrag |
Doch wir kommen zu dem andern Stück des ersten
Theils von der Einrichtung
und Beschaf- |
|
|
{Sp. 661|S. 344} |
|
|
fenheit einer Republic. Es bestehet selbige in einer
Gesellschafft der
Obrigkeit und
Unterthanen, welche durch einen Vertrag sich mit einander
vereiniget haben, die gemeine Wohlfahrt zu befördern, so daß der
Regent die
Gewalt bekömmt, alles zu veranstalten, was zu diesem
Zweck
nöthig; die
Unterthanen hingegen sich
verpflichten, willig seinen
Befehlen zu gehorchen. |
|
|
Man hat also drey Umstände dabey in Erwegung zu zühen, die
Personen, woraus
die Republic bestehet, die Einrichtung selbst, und die Absicht, die man dabey
hat. Die Personen sind die
Obrigkeit, und die
Unterthanen, welche sich
vermittelst eines Vertrags vereiniget, und dadurch beyderseits gewisse
Rechte
und
Pflichten zu wege gebracht. Denn das Recht der Obrigkeit ist die höchste
Gewalt, alles in der Republic zu thun, was deren Erhaltung, folglich die gemeine
Wohlfahrt erfordert; ihre
Pflicht aber, alle Mühe anzuwenden, daß der
Endzweck
möge erhalten werden. Die Unterthanen haben das Recht, Glieder dieser
Gesellschafft zu seyn, mithin alles Schutzes und Sicherheit zu genüssen;
gleichwie sie hingegen ihrer Pflicht nach den Befehlen der Obrigkeit gehorchen
müssen. |
|
|
Die Verfassung und die Einrichtung selbst dependirt von dem getroffenen
Vergleich, welcher ordentlich klare Masse geben muß, wie weit die Rechte und
Pflichten so wohl des einen als des andern Theils sich erstrecken, und in
welcher
Ordnung sie auszuüben sind. Man hat entweder ausdrückliche
Verordnungen
gemacht, wie dieses oder jenes soll gehalten werden; oder es ist etwas nach und
nach eingeführet worden, welches durch die
That selbst von beyden Theilen gut
geheissen worden. Zu solcher Einrichtung gehöret auch, wenn die
Regierung und
Sorge vor die gemeine Wohlfahrt entweder einem; oder den vornehmsten aufgetragen
wird; oder bey dem
Volck selber bleibet, woraus die verschiedene
Regiments-Formen entstehen. |
|
|
Der Endzweck ist überhaupt die gemeine Wohlfahrt, daß man
bequem und ruhig,
oder sicher leben möge. Die
Bequemlichkeit geht auf die Erhaltung; die Ruhe auf
die Beschützung wider die Bosheit anderer so wohl in, als ausser der Republic.
Will man einen Unterscheid machen unter einer Republic, so fern sie noch
aufzurichten, und so fern sie schon befestiget, so können zwar besondere
Absichten statt finden, die aber unter der allgemeinen stehen. |
|
2. Praxis |
Die practische Betrachtung zeiget, was nach den
Regeln der Gerechtigkeit von
der Obrigkeit und von den
Unterthanen zu beobachten; nach den Regeln der
Klugheit aber, wie eine Republic wohl zu regieren. |
|
|
Die Pflicht der Obrigkeit ist, daß sie in allen Stücken auf der Republic und
aller Glieder derselben Bestes siehet, und sich also ihrer
Gewalt, die sie hat,
zur Glückseligkeit der Unterthanen bedienet. |
|
|
Die Unterthanen haben entweder gemeine, oder besondere
Pflichten auf sich.
Jene sind, daß sie der Obrigkeit gebührenden Respect erweisen, und ihr willig
gehorchen, folglich ruhig und friedlich leben. Die besondern sind nach den
unterschiedenen
Ständen,
darinnen jemand stehen kan, indem in einer Republic
vielerley Stände,
Gesellschafften,
Collegien, und Zünffte seyn können,
unterschiedlich. Bey |
|
|
{Sp. 662} |
|
|
der
Klugheit hat man vorher zu
erkennen, worinnen überhaupt das Wohl und Weh
einer Republic bestehe. |
|
|
Von der Glückseligkeit und von dem Wohlseyn einer Republic, muß man nicht
auf eine gemeine, sinnliche und nach den
Affecten eingerichtete Art urtheilen.
Viele suchen die Glückseligkeit eines
Staats in der Erweiterung, wenn ein
Fürst
grosse Conqueten mache, und sein
Land erweitere, welches aber ein gar unsicherer
Grund ist. Je mehr ein Land wächset, je mehr wird es seinen eigenen
Kräfften
überlassen, und erweckt sich durch sein Wachsthum Neid und Feinde. Dem Lande und
den Inwohnern selbst wird damit nicht geholffen, sondern man giebt vielmahls
Gelegenheit, daß das Land, welches vorhero in Ruhe und Sicherheit gestanden, in
Gefahr gesetzet wird. Bekommt der Fürst gleich mehr Einkünffte, und kan einen
grössern Staat führen; so genüssen doch davon die Unterthanen nichts, und der
Fürst hätte doch seinem
Stand gemäß leben und seine Printzen erzühen können,
wenn auch dieser Zuwachs nicht geschehen wäre. |
|
|
Andere setzen die Glückseligkeit eines Staats in dem
Reichthum, und meynen,
wenn der
Fürst viel
Geld habe, so sey die Republic glücklich, welches ebenfalls
ein falscher Wahn. Denn das Geld an sich macht niemand glücklich; sondern es
kommt auf den Gebrauch desselbigen an. Hat der Fürst die grösten
Schatz-Kammern
mit Geld angefüllet, so ist dieses dem
Land vielmehr
schädlich, als daß es
nützlich seyn sollte, wenn das Geld ruhet. Haben die
Unterthanen viel Geld, so
kommts darauf an, wer es eigentlich hat, und wie man damit umgehet. Man findet
in der Historie, daß die Römische Monarchie nicht ehe zu wancken angefangen, als
biß nach Rom ein grosser Reichthum kommen, welcher zur Uppigkeit und zum Pracht
Anlaß gab, wobey Conrings
Disputation de vero fine et scopo
reipublicae zu lesen. |
|
|
Wenn man sich einbildet, daß die Republic alsdenn glückselig wäre, wenn die
Fürsten und Unterthanen vollkommen fromm lebten, so ist dieses eine Schwachheit.
Denn da lebte man in dem Paradies und nicht ein einer Republic. Eben das
Verderben und die Bosheit der Leute hat zu den bürgerlichen Gesellschafften
Anlaß gegeben, wie schon oben erinnert worden. |
|
|
Man hat unter allerhand Erdichtungen vorstellen wollen, wie eine Republic
einzurichten, welche bisweilen so gerathen, daß dergleichen Republicken niemahls
möglich. Von den
Scribenten solcher erdichteten Republiquen handeln
Pasthius in diatrib. de fictis rebus publicis, und
Fabricius in bibliographia antiquar. … |
|
|
Von der Platonischen Republic (Republica
platonica, civitate platonica) nicht zu gedencken, indem bekannt genug
ist, daß Plato seine
Gedancken von der besten Republic
dergestalt abgefasset habe, daß man sich keine mögliche Republic einbilden kan,
darinnen alles sollte gehoffet werden; so hat man unter den neuern Thomä
Mori Vtopiam. Thomä Campanellä civitatem
solis, die Historie der Severamben und anderer zu geschweigen. |
|
|
Die wahre Glückseligkeit einer Republic bestehet darinnen, wenn darinnen
alles so beschaffen, daß die Un- |
|
|
{Sp. 663|S. 345} |
|
|
terthanen
bequem und ruhig leben können, mithin der
Endzweck einer solchen
Gesellschafft erhalten wird. Eine solche Glückseligkeit dependiert nicht von
einer
Ursach. Denn sie beruhet auf den
Zustand des
Regenten und der
Unterthanen;
auf die Einrichtung selbst und Verfassung der
bürgerl. Gesetze, und auf die
Beschaffenheit des Landes selbst, daß wenn hier alles wohl zu dem Endzweck
zusammen stimmt, so entsteht daher die Glückseligkeit. Aus diesem läst sich im
Gegentheil leicht schlüssen, worauf das Weh und der unglückliche Zustand eines
Staats ankomme. Es stehet schlecht mit einer Republick, wenn die Unterthanen ihr
Auskommen nicht haben können; oder in Unruhe und wenigstens in
Furcht leben
müssen. |
|
|
Solche Kranckheiten haben ebenfalls ihre verschiedene Ursachen. Denn sie
stecken entweder in den
Menschen, oder in dem Staat selbsten. Die Kranckheiten
auf Seiten der Menschen sind, wenn entweder die Regenten nichts nutzen, daß sie
zu Regierung untüchtig, sich derselbigen nicht annehmen, auf allerhand Abwege
gerathen; oder wenn die Unterthanen unruhige Köpffe sind, den Gesetzen nicht
gehorchen, und sich der Regierung widersetzen. |
|
|
Mängel des Staats sind, wo die Gesetze oder die
Ordnungen einer Republick
nicht nach des
Volcks oder Landes
Art eingerichtet sind; oder wo sie den
Unterthanen zu einem Aufruhr Anlaß geben; oder wo sie dieselben zu den
Verrichtungen untüchtig machen, welche zur Erhaltung der Republick nöthig sind;
oder wenn die Grund-Sätze also eingerichtet sind, daß dadurch die öffentlichen
Geschäffte nicht anders, denn langsam und schwerlich ausgerichtet werden können. |
|
|
Mit dieser allgemeinen
Erkänntniß muß man, wenn man den Staat klüglich
regieren will, die besondere Erkänntniß des Staats selbst, nach dessen
natürlichen und
moralischen Beschaffenheit
verknüpffen. Zu der natürlichen
Beschaffenheit gehören die
Menschen, das ist, die Innwohner und des Landes
natürlicher
Zustand. |
|
|
Bey den Innwohnern hat man zu sehen |
|
|
a) |
auf ihre Anzahl. Es wird in der
Klugheit zu leben und zu herrschen, so Rüdiger
heraus gegeben, Cap. 7. §. 4. sehr wohl angemercket, daß ein mit Innwohnern
angefülltes Land besser dran sey, als ein davon entblößtes, so wohl zu Kriegs-
als
Friedens-Zeiten. Denn im Kriege könne man aus vielen Unterthanen viele
Soldaten auslesen, und im Friede befänden sich bey vielen
Unterthanen nothwendig
viele
arme, das ist,
arbeitsame und mit neuen
Erfindungen beschäfftigte Leute,
da hingegen einen Reichen nichts veranlasse, andern Leuten zu dienen. |
|
|
|
|
Es gäben auch die
Armen mehr Steuern, als die Reichen. Denn wenn ein
Capitalist kein Narr sey, so müsse er nicht mehr verthun, als seine Interessen.
Nun nehme man an, er habe 20000 Thaler, so verträte er davon ein tausend, und
erhalte eine
Frau, sechs
Kinder, vier
Bedienten und also zusammen zwölff
Personen. Setze man aber, diese 20000 Thaler wären unter zwanzig
Arme
ausgetheilet, und ein jeder soll nur ein
Weib und zwey Kinder haben, so lebten
von 20000 Thlr. 80 Personen, und wenn ein jeder jährlich mit seiner Familie nur
150 Thaler verzehrte; so genösse das Publicum jährlich 3000 Thaler. Also |
|
|
|
{Sp. 664} |
|
|
|
wenn 20000 Thaler bey einem Reichen sässen, so genösse die Republic von
ihm, wenn man den zehenden Pfennig, welches sehr viel sey, setze, ein hundert
Thaler, wenn sie aber bey zwanzig
Armen wären, so bekäme sie 300 Thaler. Dieses
hat an sich seine Richtigkeit; wenn es aber zur Application kommt, hat man alle
Umstände vorsichtig zu überlegen. |
|
|
|
|
Denn es ist nicht gnug, daß man das Land vermehrt; sondern man muß auch
sehen, ob es so viel Innwohner ernähren kann. Eskönnen der Unterthanen bisweilen
zu viel seyn, wenn sie nicht alle zu leben finden; bisweilen auch zu wenig, wenn
noch mehrere ihren Unterhalt haben könnten; oder auch die Unterthanen zu schwach
sind, sich den auswärtigen Feinden gnugsam zu widersetzen. |
|
|
|
|
Die scharffen
Gesetze,
Verordnungen und die vielen Auflagen verhindern
bisweilen, daß sich keine Fremde in einem Lande niederlassen. Man hat bisweilen
falsche Staats-Raisons, nach denen man die Unterthanen aus dem Lande jaget, wie
man in Franckreich mit den Hugenotten gethan hat; oder die Menge der Unterthanen
verringert, wenn man in einem Lande Hurerey und Pracht im Schwange geben lässet.
Denn wie sich durch den Pracht die
Manns-Personen abhalten lassen, daß sie nicht
heyrathen, weil sie dencken, sie könnten keine Familie
Standes-mäßig erhalten;
also stärckt die im Schwang gehende Hurerey sie in dieser Boßheit, u. sie lassen
sich hierdurch ebenfalls von dem
Ehestand abhalten. |
|
|
|
|
Im Gegentheil wird die Anzahl derer Innwohner vermehret entweder durch
Erzeugung derer Kinder, oder durch Niederlassung der Fremden im Lande, welches
beydes muß befördert werden, wenn man das Land Volckreich machen will; |
|
|
|
b) |
auf ihre
Leibes- und Gemüths-Beschaffenheit. Denn wenn in einem Lande
gesunde und starcke Innwohner sind, so schicken sie sich zu Kriegs- und
Friedens-Zeiten besser vor die Republic. Denn im Krieg sind sie dauerhaffter,
und wenn Friede im Lande ist, können sie ihr Amt und Profeßion wohl abwarten und
was verdienen. Die
Völcker haben ihre besondere
Gemüths-Arten, wie in dem
Artickel von dem
Naturell der Völcker gewiesen, welche ein
Regent auch kennen muß, damit er weiß, wie er sich nach der
Klugheit dem
Staat
zum Besten in die Unterthanen schicken soll. |
|
|
|
Nebst der
Erkänntniß der Innwohner lernt er auch das
Land selbst,
welches bewohnet ist, kennen, so nach der natürlichen und moralischen
Beschaffenheit geschehen kann. Zu dem natürlichen
Zustand eines Landes gehöret, daß man weiß, was das
Erdreich hervor bringe, worinnen es noch könne verbessert werden, wie es um
die Bergwercke,
Ackerbau, Viehzucht, Holtzung, Bierbrauen, Weinwachs,
Fischereyen u.d.g. aussiehet; zu dem moralischen aber kan man die
Regiments-Form, die in einem Lande ist, die
Künste und
Wissenschafften, die darinnen floriren, und die
Beschaffenheit der moralischen Staaten rechnen. Von den Nachbarn muß man ihren
Willen und ihr
Vermögen wissen, damit man sich bey Zeiten in Defension-Stand setze. |
|
|
Doch eine solche
Erkänntniß, die an sich theoretisch ist, nutzt allein
nichts, sondern es muß auch der
vernünfftige Gebrauch derjenigen Mittel hinzu
kommen, welche zur
Regierung eines
Staats nö- |
|
|
{Sp. 665|S. 346} |
|
|
thig sind. Es gehöret dahin die
Klugheit
Gesetze zu geben und
Gericht zu
halten; zu
straffen und zu belohnen; die
Ämter wohl zu besetzen, den
Schatz zu
vermehren; einem Staat wieder aufzuhelffen, die Religion zu dirigiren, Krieg zu
führen,
Friede zu schlüssen, Gesandten zu schicken, Bündnisse zu machen, u.s.w.
Kurtz: so viel Stücke der
Majestät sind, die einem
Regenten zukommen; so viel
besondere Mittel muß die Staats-Klugheit zeigen, wie ein jedes öffentlich
Geschäfft in der Republic klüglich zu tractiren. |
|
Siehe auch und Literatur |
Die Ausführung dieser
Materien ist am gehörigen Ort in den besondern
Artickeln geschehen, und die
Scribenten, die davon gehandelt, werden in dem
Artickel von der Staats-Klugheit angeführet. |
Von Conring
sind verschiedene
Disputationes vorhanden, welche diese
Materie von der Republic
erläutern, als
- de republica in communi, Helmst. 1653;
- de rebus
publicis in genere, 1651;
- de politica, sive republica in specie sic
dicta, 1652;
- de mutationibus rerum publicarum, 1635;
- und noch eine
andere de morbis et mutationibus rerum publicarum, 1640.
|
|
|
|