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Zedler: Ungerechtigkeit HIS-Data
5028-49-1450-14
Titel: Ungerechtigkeit
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 49 Sp. 1450
Jahr: 1746
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 49 S. 740
Vorheriger Artikel: Ungerecht Gut
Folgender Artikel: Ungerechtes Tuch
Siehe auch:
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen, Bibel
  • Transkribierter griechischer Text der Vorlage

  Text Quellenangaben
  Ungerechtigkeit, wird in doppeltem Verstande genommen, einmahl vor diejenige Beschaffenheit des menschlichen Willens, da man keine Liebe gegen seinen Nächsten hat, und die ihm zu leistende Pflichten verabsäumet; es mögen nun solches entweder die Pflichten der Nothwendigkeit, oder Bequemlichkeit seyn, und die Beleidigung mag directe, oder indirecte geschehen, wenn man dieses Wort in weitern Verstande nimmt.  
  Diese Ungerechtigkeit wird in der Sittenlehre als ein Haupt-Laster angesehen, woraus die andern Laster, die zur Beleidigung und Schaden des Nächsten abzielen, entspringen. Hernach ist die Ungerechtigkeit eine Eigenschafft der Verrichtungen, soferne selbige dem Gesetze zuwider und das Recht eines andern kräncken, davon in der natürlichen Rechtsgelehrsamkeit gehandelt wird.  
  Das Recht eines andern ist entweder ein vollkommenes, daß wenn man darwider handelt, so ist das die Ungerechtigkeit im engern und  
  {Sp. 1451|S. 741}  
  eigentlichen Verstande; oder ein unvollkommenes. Siehe
  • Grotius de jure beli et pacis
  • Pufendorf de offic. hom. et civis
  • Hochstetter in colleg. Pufend.
  • Proclei Grundsätze …
  • Wernher in elem. Jur. nat.
  • Walchs Philosophisches Lexicon.
  Die Bewegungs-Gründe von der Ungerechtigkeit abzustehen, und sich der Gerechtigkeit zu befleißigen, darf man nicht weit suchen. Man kan nehmlich leicht begreiffen, daß ein Laster von so weiten Umfange sehr schädlich, schändlich und abscheulich; hergegen eine Tugend von so grosser Weitläuftigkeit auch überaus nützlich, rühmlich und vortreflich seyn müsse.  
  Die tägliche Erfahrung lehret es nehmlich, daß es den Ungerechten gemeiniglich so wenig gelinge, reich und glücklich zu werden, so begierig sie darnach sind. Denn weil sie niemanden das Seine geben oder leisten wollen, so wird ihnen ein jeder gehäßig der einmahl mit ihnen zu thun gehabt hat. Weil sie betrüglich und gewaltsam mit andern verfahren, um ihren Vortheil zu befördern, so fürchtet sich auch jedermann vor ihnen. Ja sie gerathen an Leute, die sich offt kein Bedencken machen, sie wiederum zu übervortheilen, und also ihre Unbilligkeit mit gleicher Müntze zu bezahlen.  
  Wie nun dergestalt ein Ungerechter ein Abscheu aller seiner Mit-Bürger wird; so ist im Gegentheil ein Gerechter und Liebhaber der Billigkeit allenthalben beliebt.  
  Die Mittel einen Ungerechten gerecht zu machen, sind hauptsächlich, ihm die Natur der wahren Tugend und des Lasters überhaupt zu erklären; und ihm begreiflich zu machen, daß jene allein glücklich, dieses aber unglücklich mache; Hernach weil doch die meiste Ungerechtigkeit aus Geitz und Ehrgeitz entstehet, so muß man diese beyde Laster zu dämpfen suchen.  
  Endlich, wenn der Ungerechte etwa denckt, die Feindschafft anderer Leute, denen er zu viel gethan, könne ihm nicht schaden, wenn er nur viel Geld, Macht und Ansehen hätte; so muß man ihm zeigen, daß offt die allerschlechtesten Leute den allerreichesten und mächtigsten schaden; oder ihnen doch einen empfindlichen Verdruß nach dem andern erwecken könnten. Denn weil doch die Grossen nicht, ohne die Dienste der geringern, leben können, so haben diese allemahl Mittel in Händen, sich an jenen zu rächen. Gottscheds Gründe der Welt- Weisßheit, Pract. Th. …
  In der H. Schrifft, wird das Griechische Wort anomia gebrauchet, und bedeutet defectionem a lege, eine Abweichung vom Gesetze, 1 Joh. III, 4.
  Man hält vor unnöthig, alle Bedeutungen des Griechischen Wortes anzuführen, in dem es nur unnöthige Weitläuftigkeit machen würde; gnung wird es seyn, daß man weiß, daß dieses Wort, Boßheit, Frevel, Laster, Missethat, Muthwillen, Schalckheit, Thorheit, Übelthat, und dergleichen bedeutet.  
  Die Hebräische Bibel braucht das Wort chata: peccavit, aberravit, welches denn auch Schuld, Sünde und Boßheit bedeutet.  
  Die Griechen haben sonst das Wort adikian, so eigentlich Ungerechtigkeit heisset, aber anomia gehet weiter, und begreifft mehr in sich; wie denn die Erklärung der Gelehrten es ausweisen kan. Adami Delic. Epist. …
  Von dieser Ungerechtigkeit nun wird in Heil. Schrifft gesaget, daß sie nichts sey  
   
  {Sp. 1452}  
  Röm. III, 5. 6. Cap. IX, 14.
 
  • auch nicht bey Christo,
Joh. VII, 18.
 
  • Matth. VII, 23. XIII, 41. XXIV, 12.
  • Apost. Gesch. VIII, 23.
  • Röm. I, 28. 29. VI, 19.
  die angezogene Stelle Matth. XXIV, 12, wo es heisset: Und dieweil die Ungerechtigkeit wird überhand nehmen, wird die Liebe in vielen erkalten.  
  Es hatte der Herr hat seinen Jüngern noch viel andere Zeichen gegeben, v. 5. 6. 7.
  aber keines scheinet so seltsam und nachdrücklich zu seyn, als eben dieses, daß die Ungerechtigkeit auch mitten in der Christlichen Kirche würde überhand nehmen, und die Liebe erkalten.  
  Es ist freylich etwas ungemeines, daß unter denen, die den Nahmen von Christo, der die Liebe selbsten ist, 1 Joh. IV, 17.
  ja die er mit dem Bande seiner Liebe verknüpffet, und denen er selbst ein so mercklich Exempel feuriger und inbrünstiger Liebe gegeben, diese fast gantz erloschen, und auch darüber allerhand Ungerechtigkeit, anomia, alles, was wider die Gebote GOttes lauffet, sonderlich aber gegen die andere Tafel des Gesetzes, die von der Liebe des Nächsten handelt, würde Hauffenweise einschleichen.  
  Nehmlich es würde da überhand nehmen Geitz, Eigennutz, Haß, Neid, Mißgunst, Untreue, Falschheit, Unbilligkeit und Boßheit, so, daß man von einem rechtschaffenen Christenthume nichts mehr würde wissen und hören. Und das würde herrühren aus Mangel der Liebe, die würde erkalten; psychēsetai, es würden, so zu reden, alle Glieder an dem geistlichen Leibe Christi gleichsam gestorben und erfroren seyn: Keiner würde dem andern seinen Mund mehr leihen, vor ihm zu reden; keiner die Hand mehr ausstrecken, seinem Nächsten auszuhelffen; keiner nicht eines Fusses breit dem andern zu Gefallen gehen, sondern es würde da alles erkaltet, erfroren und zugeeiset seyn, gleichwie im Winter, da man keine Blumen spüret; so würden auch zu der Zeit alle Blumen der Tugenden und der wahren Gottesfurcht aufhören, und an statt dessen das Eiß der Kaltsinnigkeit in der Liebe sich spüren lassen; Schlemm. Cr. Anf. und Trost- Schule …
  Übrigens finden wir in der H. Schrifft an verschiedenen Orten Ermahnungen, daß wir sie ablegen sollen, als
  • 1 Cor. XIII, 6.
  • 2 Cor. VI, 14.
  • 2 Tim. II, 19.
  • Ebr. I, 9.
  Sie wird aber den Gläubigen um Christi Willen vergeben,
  • Röm. IV, 7.
  • Tit. II, 14.
  • Ebr. VIII, 12. Cap. X, 17.
  • 1 Joh. I, 9.
  Vom Geheimniß der Ungerechtigkeit stehet 2 Thess. II, 7. 10. 12. der Antichrist wird der Ungerechte oder Boßhafftige genennet, v. 8.
  Lohn der Ungerechtigkeit,
  • Matth. XIII, 42.
  • Röm. I, 18. Cap. II, 8.
  • 2 Petr. II, 13. 15.
  Siehe übrigens auch den Artickel: Unrecht.  
     

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Stand: 29. März 2013 © Hans-Walter Pries