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Zedler: Seele [8] HIS-Data
5028-36-1051-4-08
Titel: Seele [8]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 36 Sp. 1117
Jahr: 1743
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 36 S. 572
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Übersicht
Die Freyheit der Seele
  dogmatisch
 
  1. Haupt-Beweis
  2. Haupt-Beweis
  3. Haupt-Beweis
  4. Haupt-Beweis
  Gewissheit

Stichworte Text Anmerkung
  Die Freyheit der Seele  
  ist dasjenige Vermögen der Seele, durch eigenen Willkühr aus zwey gleich möglichen Dingen dasjenige zu wehlen, was ihr am meisten gefällt, z.E. ein Buch, welches wir im Buchladen sehen, entweder zu kauffen, oder den Kauff zu unterlassen, oder, welches gleichviel ist, sich selbst zu demjenigen determiniren, dazu sie weder ihrer Natur nach, noch von etwas von aussen determiniret ist. Diejenigen irren, welche die Freyheit erklären durch ein Vermögen, aus zweyen widersprechenden Dingen eines so wohl als das andere zu erwehlen, ohne daß ein Bewegungs-Grund vorhanden, warum man eines für dem andern erwehlet.  
  Siehe übrigens den Artickel: Freyheit, im VIII Bande, p. 1870 u.f.  
     
  Die Unsterblichkeit der Seele:  
  Solche ist eine Art der Dauerung, welche der Seele zukommt, daß sie zwar einen Anfang hat; aber beständig in ihrer Subsistentz verharret, und zu existiren nicht aufhöret. Es wird von dieser wichtigen Materie eine dogmatische und historische Betrachtung angestellet werden können.  
dogmatisch Nach der dogmatischen Untersuchung hat man sich um die Existentz ihrer Unsterblichkeit zu bekümmern: Ob die menschliche Seele unsterblich sey? Nach  
  {Sp. 1118}  
  der heiligen Schrifft hat die Sache keinen Zweifel; siehet man aber auf die Erkenntniß, die man aus der Natur durch die Vernunfft hat, so ist dieses eben der Punct, den die Philosophen untersuchen.  
  Nimmt man die Unsterblichkeit in solchem Umfang, daß damit die Auferstehung der Todten, und der Genuß eines andern Lebens verknüpffet ist, so hat man diese Lehre allerdings als einen Glaubens-Artickel anzusehen; betrachtet man sie aber an sich selbst, ohne Absicht auf den Leib, so kan man sie allerdings aus dem Licht der Natur erkennen. Indem aber die Erkenntniß entweder gewiß, oder wahrscheinlich, so halten viele dafür, daß man nur wahrscheinlich erkennen könne, die menschliche Seele sey unsterblich. Es sind auch die gemeine Argumente zum Theil so beschaffen, daß sie zusammen nur eine grosse Wahrscheinlichkeit machen, welche nach einander angeführet werden sollen.  
1. Haupt-Beweis Das erste nimmt man von der Natur und den Würckungen der Seele her. Denn überhaupt schlüsset man von der Immaterialität der Seele auf ihre Unsterblichkeit, daß, wenn sie aus keiner Materie bestehe, so folge, daß sie unsterblich sey. Den Grund dieses Schlusses setzet man darinnen, daß, wenn in der Natur etwas sterbe, vergehe, verderbe, diese Veränderung allezeit in einer Trennung der Theilgen bestehe, daraus dasjenige zusammengesetzt gewesen, was diese Veränderung leide. Sey dieses richtig, so könne dasjenige, was nicht zusammengesetzet sey, nicht geschieden werden, was nicht geschieden werden könne, könne auch nicht vergehen, oder sterben; nun sey die Seele immateriell, und weil sie aus keinen Theilen bestehe, darein sie könne getheilt werden, so könne sie nicht vergehen, und müsse daher unsterblich seyn.  
  Eben so hat Cicero in Catone majore geschlossen, wenn er cap. 21. saget: Quum simplex animi natura esset, neque haberet in se quidquam admistum dispar sui atque dissimile, non posse eum dividi: quod si non possit, non posse interire, das ist meine Meinung gewesen, wie er vorher gesagt, weil die Natur der Seele einfach sey, das ist, nichts, was ihr ungleich und unähnlich ist, mit sich vermischet habe, so könne sie nicht zertheilt werden, so könne sie auch nicht untergehen. Dieses Argument ist sehr kräfftig, und wenn es recht gebraucht wird, macht solches eine Gewißheit, wie hernach mit mehrerm soll gewiesen werden.  
  Wenn aber Cicero in dem vorhergehenden und nachfolgenden der angeführten Stelle noch andere Gründe anführet, so machen sie nur zusammen eine Wahrscheinlichkeit aus. Er spricht: Quid multa? Sic mihi persuasi, sic sentio, quum tanta celeritas animorum sit, tanta memoria praeteritorum futurorumque prudentia, tot artes, tantae scientiae, tot inventa, non posse eam naturam, quae res eas contineat, esse mortalem, was soll ich viel sagen? so habe ich allezeit geglaubet, das ist allezeit meine Meinung gewesen, da die Gemüther so geschwind gedencken können, da das Gedächtniß alle vergangene Dinge wieder zurück ruffen, die Seele so glücklich künfftige Dinge vorher sehen kan, da so viele Künste, Erfindungen und Wissenschafften sind, es könne dieselbe Natur, welche alles dieses in sich  
  {Sp. 1119|S. 573}  
  fasset, nicht sterblich seyn. Diese Schluß-Rede, wie sie seinen Worten nach vor Augen lieget, ist so wichtig nicht. Denn er will von dem vortrefflichen Wesen der Seele auf ihrer Unsterblichkeit schlüssen, welches nicht angehet, weil die Vortrefflichkeit an sich in der Dauerung keinen Vorzug giebet, wie man denn weiß, daß das vortrefflichere oft weniger dauert, als das geringere. Ist aber seine Absicht dabey gewesen, daß er die Seele bey den angeführten Würckungen als einen Geist vorstellet, und von ihrem geistlichen und immateriellen Wesen auf ihre Unsterblichkeit schlüsset; so wäre der Schluß zwar besser; er käme aber auf eins mit dem, der vorher angeführet worden, hinaus.  
  Er fähret fort, und führet aus dem Xenophon folgenden Beweis des Cyrus an: Jam vero videtis, nihil esse morti tam simile, quam somnum. Atqui dormientium animi maxime declarant divinitatem suam. Multa enim, quum remissi et liberi sunt, futura prospiciunt. Ex quo intelligitur, quales futuri sint, quum se plane corporis vinculis relaxaverint: Jetzt aber seht ihr, wie dem Tode nichts so ähnlich sey, als der Schlaff: nun weisen aber die Seelen der Schlaffenden vortrefflich ihre Göttlichkeit. Denn wenn sie ruhig und frey sind, so sehen sie das künfftige vorher; daher kan man leicht dencken, wie vortrefflich sie seyn würden, wenn sie gantz von den Banden des Leibes befreyet werden.  
  In diesen Worten soll ein gedoppelter Beweis liegen. Der eine ist, daß, wenn der Leib schlaffe, und sich in einem dem Tode ähnlichen Stande befände, die Seele gleichsam wache und würcke; der andere aber, daß die Seele im Schlaff eine Krafft, künfftige Dinge vorher zu empfinden, habe, davon keiner einen sonderlichen Nachdruck giebet. Denn jener gründet sich auf ein Gleichnis, daß der Schlaff dem Tode ähnlich sey; dieser aber auf eine dunckele Idee der Weissagungs-Krafft der Seele.  
  Es heißt weiter: Quum semper agitetur animus, nec principium motus habeat, quia se ipse moveat, ne finem quidem habiturum esse motus, quia nunquam se ipse sit relicturus: Weil die Seele allezeit in völliger Bewegung, auch keinen auswärtigen Grund ihrer Bewegung hat, indem sie sich selber beweget, so wird sie auch niemahls ein Ende ihrer Bewegung haben, indem sie sich selbst niemahls im Stiche lassen wird.  
  Dieser Beweis wäre gut und vortrefflich, wenn sich nur die Seele in ihrer Bewegungs-Krafft vor sich selber erhalte; da sie aber von GOtt darinnen erhalten wird, so kömmt die Sache auf den göttlichen Willen an, wie lange ihr GOtt diese Krafft verleihen wolle.  
  Fast auf gleichen Schlag hat Alcmäon geschlossen, dessen Meinung Aristoteles im ersten Buch de anima erzehlet: Alcmäon sagt, daß die Seele unsterblich sey deswegen, weil sie den unsterblichen Dingen gleich ist: es sey aber diese Gleichheit in ihr, weil sie immer bewegt wird; denn also würden auch alle göttliche Dinge unaufhörlich bewegt, Mond, Sonne, Sternen, und der gantze Himmel, nur daß die Meinung vieler Alten voraus gesetzet wird, als wenn der Himmel und himmlische Cörper unvergänglich wären, welches doch nicht zu erweisen ist.  
  Ja, wenn auch dieses wäre, so würde doch nicht zu schlüssen seyn, wenn  
  {Sp. 1120}  
  die Seele in der Bewegungs-Krafft den himmlischen Cörpern gleich ist, also muß sie auch die Unvergänglichkeit mit ihnen gemein haben. Denn man müste darthun, daß die Bewegung der Grund der Unvergänglichkeit sey. Dieses ist der erste Haupt-Beweis, den man von der Natur der Seele hernimmt.  
2. Haupt-Beweis Der andere beruhet auf dem innerlichen Zeugniß des Gewissens, da sich der Mensch seiner unvernünfftigen Thaten und seines bösen Lebens erinnerte; durch solche aber in eine innerliche Gemüths-Unruhe aus Furcht vor der Straffe nach diesem Leben gesetzt werde; woraus also zu schlüssen, daß die Seele nach dem Tode des Menschen noch übrig bleiben müsse.  
  Die Stärcke dieses Beweises setzet man darinnen, daß dieses Zeugniß und die daher entstehende Gemüths-Unruhe was allgemeines sey. Sie befände sich bey allen Menschen, wenn gleich nicht in einerley Beschaffenheit, welche an so unterschiedenen Orten und zu allen Zeiten dergleichen an sich wahrgenommen. Nun könte man hiervon keine andere Ursach angeben, als daß etwas in der Natur liegen müste, welches sie in einen solchen Stand setzte. Denn wolte man etwa einer Tradition, oder einer leeren Einbildung und Vorurtheil die Schuld beylegen, so wären dieses particulaire Ursachen, daraus keine allgemeine Würckung kommen könnte.  
  Bey diesem Argument findet man zweyerley anzumercken. Einmal kan man selbiges wider diejenigen, welche die Unsterblichkeit der Seele boshafftig leugnen, nicht brauchen. Denn sie können kühnlich sagen, sie hätten dergleichen Regungen in ihrem Gemüth nicht, und wenn sie dieses thun, so ist kein Weg mehr übrig, sie zu überzeugen. Denn der Beweis ist schon von der unmittelbaren Empfindung hergenommen; etwas aber über die Empfindung hinaus zu beweisen, gehet nicht an. Doch, wenn dieses Argument recht eingerichtet wird, wovon hernach noch wird gesagt werden, so kan es trefflich zur Überzeugung sein selbst, auch anderer, welche die Wahrheit nicht halsstarrig aufhalten, dienen.  
3. Haupt-Beweis Drittens, nimmt man einen Beweis von der göttlichen Gerechtigkeit, Krafft deren ein ander Leben seyn müste, welches andere Leben die genaueste Verknüpffung mit der Unsterblichkeit der Seele habe. Denn man schlüsset so: Ist ein ander Leben, so muß die Seele unsterblich seyn. Den Grund dieses Schlusses setzet man darinnen, weil der menschliche Leib zergehe, und aufgelöset werde, so müsse dieses andere Leben vor die Seele gehören, die deswegen unsterblich seyn müste.  
  Nun ist zu beweisen, daß ein ander Leben sey; welchen Beweis man von der göttlichen Gerechtigkeit hernimmt, und also einrichtet: Muß GOtt kraft seiner Gerechtigkeit das Gute belohnen, und das Böse straffen; solches geschicht aber nicht in dieser Welt, indem es den Gottlosen wohl; den Frommen aber übel gehet, so muß doch ein ander Leben seyn, in welchem er sich die Ausübung seiner Gerechtigkeit vorbehalten hat.  
  Dieser Beweis ist einer der vornehmsten, indem er dahin gehet, daß GOtt wolle, die Seele soll unsterblich seyn, welches der wichtigste Punct in dieser Sache ist. Er beweiset auch sehr kräftig, wenn er recht und ordentlich eingerichtet wird, wie hernach soll gezeiget werden.  
4. Haupt-Beweis Viertens führet man als einen Beweis an  
  {Sp. 1121|S. 574}  
  die allen Menschen angebohrne Neigung zur Unsterblichkeit, da diejenigen insonderheit, welche tugendhaft und vernünftig lebten, nichts mehr, als die Unsterblichkeit ihrer Seele wünschten. Dieses Argument braucht auch Cicero im Catone majore cap. 23. Sed nescio, quomodo animus erigens se posteritatem semper ita prospiciebat, quasi cum excessisset e vita, tum denique victurus esset, quod quidem ni ita se haberet, ut animi immortales essent, haud optimi cujusque animus maxime ad immortalitatis gloriam niteretur: Aber ich weiß nicht, wie zu aller Zeit meine Seele sich so erhöhet, und ihr die Nachwelt so vorgestellet, als ob sie alsdenn erst, wenn sie aus diesem Leben würde entwichen seyn, recht leben solte: und wenn die Seelen nicht unsterblich wären, so würden nicht aller wackern Leute Seelen sich so um die Ehre der Unsterblichkeit bemühen.  
  Wenn bey diesem Beweis zwey Umstände vorher ausgemacht wären, so hätte er eine grosse Stärcke bey sich. Der eine ist, daß dieses Verlangen nach der Unsterblichkeit was allgemeines, und daher bey allen Menschen anzutreffen sey. Denn ist es nur ein gemachter und durch die Gedancken erregter, folglich kein natürlicher Trieb, so kan man daraus nichts beweisen; wenn er sich aber nur bey einigen findet, so ist er nicht natürlich.  
  Der andere Umstand ist, daß wenn auch dieser Trieb natürlich, so müste er natürlich von GOtt und nicht von dem Fall und von der Verderbniß seyn, in dem er letzteren Fall eine Frucht oder Würckung des Ehrgeitzes wäre.  
Gewissheit Dieses sind die gewöhnlichen Argumente, die man braucht, wenn man durch die Vernunft die Unsterblichkeit der Seele erweisen will. In dieser wichtigen Materie ist wohl nicht genug, eine Wahrscheinlichkeit zu zeigen, daß die menschliche Seele unsterblich sey. Denn ob man wohl in vielen Dingen mit wahrscheinlichen Gründen zufrieden seyn muß; so sucht man doch eine Gewißheit, wo man dieselbe haben kan. Es kommen aber dabey zwey Stücke zu erweisen vor.  
  Das eine ist, daß die Seele ihrer Natur nach nicht könne untergehen; das andere aber, daß GOtt die Seele beständig wolle erhalten haben. Es ist gar viel daran gelegen, daß man diese beyde Wahrheiten wohl von einander unterscheide. Denn bleibt man nur bey der ersten, und beweiset, die Seele habe ein solches Wesen, das sie vor sich nicht könne untergehen, so giebt man dem Menschen keine völlige Versicherung, daß seine Seele unsterblich sey, und man erhält den Nutzen nicht, denn die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele eigentlich geben soll.  
  Zeigt man einem gleich auf das gründlichste, wie was Einfaches nicht könne zertheilet und zerrüttet werden; so wird er dennoch einwenden, es folge weiter nichts daraus, als daß die Seele vor sich, wenn sonst kein ander Wesen sie zerrüttet, nicht könne untergehen; da aber GOtt auch ein geistliches Wesen zernichten könnte, so sey man ja nicht versichert, ob er dieses nicht thun wolle, und damit muß man auf die andere Wahrheit kommen, daß GOtt die menschliche Seele wolle erhalten haben. Will er dieses, so liegt auch nichts daran, ob die Seele ihrer Natur nach sterblich, oder unsterblich sey, daß also in dieser Sache das meiste darauf ankommt, ob die Seele nach dem Willen  
  {Sp.1122}  
  GOttes unsterblich seyn soll.  
  Jenes, daß sie ihrer Natur nach an sich selbst nicht vergehen könne, ist aus dem oben angeführten Argument klärlich zu ersehen. Denn ist dieses richtig, daß die Seele eine Substantz ist, die aus keiner Materie bestehet, so folgt unwidersprechlich, daß sie nicht kan zertrennet und getheilet werden. So lange dieses nicht geschicht, kan auch kein Sterben, oder Tod erfolgen; sondern die Seele bleibt beständig in ihrer Subsistentz beharren, und würcket als ein Geist ohne Aufhören so lange, bis sie GOtt zerrüttet. Doch dieses will GOtt nicht thun, welches nun insonderheit zu erweisen, daß die Seele dem Willen GOttes nach unsterblich sey.  
  Diesen Punct hatte Rüdiger in der Anweisung zu der Zufriedenheit der menschlichen Seele Cap. 3. gründlich ausgeführet. Er setzt den Beweis darinnen: Es sey eine Seligkeit vor die Menschen vorhanden, und weil selbige in diesem Leben gar nicht zu finden, so müsse selbige erst nach dem Tode von den Menschen empfunden werden. Indem aber die Asche des Menschen, so nach dem Tode übrig bleibe, nichts empfinden könne, und gleichwohl der gantze Leib zu Asche werde, so sey es nicht der Leib, der solche Seligkeit empfinde, sondern vielmehr die Seele, ausser der sonst der Mensch nichts habe, weswegen sie nicht mit dem Leibe sterben, sondern unsterblich seyn müste.  
  Dieser Schluß von der Unsterblichkeit der Seele setzet drey Sätze voraus, welche bewiesen werden müssen:  
 
1) daß eine Seligkeit vor die Menschen vorhanden.
 
 
  Dieses wird daher bewiesen, weil GOtt allen Menschen einen Trieb zur höchsten Glückseligkeit eingepflantzet. Denn hat er dieses gethan, so muß auch die höchste Glückseligkeit, als das Object solchen Triebes, vorhanden seyn, weil GOtt nichts vergeblich thut; gleichwol aber würde ein solcher Trieb vergeblich seyn, wenn er kein würckliches Object hätte. Nun kommt es darauf an, ob GOtt allen Menschen einen Trieb zur höchsten Glückseligkeit eingepflantzet? Um solches darzuthun, so hat Rüdiger in dem angezogenen Ort §. 23 u.ff. die Sache in fünf Sätze gebracht, und einen jeden bewiesen.
 
 
  Der eine ist, daß die Seele einen würcklichen Trieb zur höchsten Glückseligkeit habe, welches zwar ein jeder durch eigene Empfindung fühlen könte; man sähe aber dieses auch daraus, daß die Menschen mit dem, was sie in dieser Welt hätten, nicht zufrieden wären. Unvernünftige wolten entweder immer was anders haben, als die Wollüstigen; oder etwas mehrers, als sie gegenwärtig hätten, wie die Ehr- und Geldgeitzigen. So blieben auch vernünftige und christliche Menschen bey dem, was sie in der Tugend und in GOtt in dieser Welt finden, nicht stehen; sondern trachteten immer nach grösserer Vollkommenheit. Und weil solche Bestrebungen sich bey allen Menschen finde, so müste der Trieb auch allgemein seyn.
 
 
  Der andere Satz ist, daß die Begierde zur höchsten Glückseligkeit ursprünglich ein Trieb, und nicht durch eine Gedancke erreget sey. Denn käme sie von einer Gedancke, so müste eine Empfindung der höchsten Glückseligkeit geschehen seyn, welche allezeit vor der Gedancke hergehe; solte man sie aber empfinden, so müste sie würcklich vorhanden seyn; weil nun aber das nicht wäre, so könte man sie nicht empfinden, folglich
 
  {Sp. 1123|S. 575}  
 
  auch keine Gedancken davon haben. Man sähe dieses noch aus andern Umständen. Denn diese Begierde befände sich bey allen Menschen in gleichem Grad der Heftigkeit; da hingegen diejenigen Begierden, welche aus den Vorstellungen, oder Gedancken entstünden, die Gemüther ungleich bewegten, daß sie bald scharff, weil schwach wären. Ja diejenigen, welche wenig dächten, als dumme Leute und Kinder, empfänden eben so einen starcken Trieb dieser Glückseligkeit, als kluge und erwachsene.
 
 
  Der dritte Satz ist, daß dieser Trieb natürlich sey, und mit allen Menschen gebohren werde. Dieses beweiset er aus dem Weinen der Kinder über einen vergangenen Schmertz, wenn sie etwa böse Worte, oder Gebehrden, oder einen Schlag bekommen, und jämmerlich zu weinen fortfahren. Dieses zeige einen Schmertz in der Seele an; da nun ein Kind sehr viele Annehmlichkeit genüsse, und vielmehr, als wenn es erwachsen sey, und dennoch wegen einer eintzigen Verdrüßlichkeit so lange nachweine, so könne dieses Nachweinen nichts anders bedeuten, als eine Betrübniß darüber, daß wir nicht lauter Annehmlichkeit genössen. Auf solche Weise wolten auch die neugebohrnen Kinder lauter Annehmlichkeit genüssen, das ist, eine vollkommene Glückseligkeit haben, folglich werde der Trieb dazu uns angebohren.
 
 
  Der vierte Satz ist, daß solcher Trieb von GOtt eingepflantzet sey. Denn es sey gewiß, daß alle natürliche, allgemeine Triebe, wenn sie weder der göttlichen Liebe, noch der vernünftigen Liebe anderer Menschen, und seiner selbst zuwider, von GOtt herkommen; da nun dieser Trieb aber von diesen, so müste man ja sagen, daß er von GOtt gegeben.
 
 
  Der letzte und fünfte Satz heisset, daß solcher Trieb dem Menschen allein zukomme, welches daher erwiesen wird, weil man bey den Thieren weder Freudigkeit noch Betrübniß, als Würckungen dieses Triebs, anträfe.
 
 
  Nachdem er dieses voraus gesetzet, so schlüsset er, weil GOtt diese Begierde nicht vergeblich eingepflantzet, so müsse ihr Object, das ist, die höchste Glückseligkeit vorhanden seyn, welches der erste Haupt-Satz in dieser Demonstration ist.
 
 
2) [1] Der 2te ist, daß in dieser Welt solche höchste Glückseligkeit nicht anzutreffen, welches er vorher in einem besondern Capitel erwiesen, und gezeiget, wie das Gute und Böse allezeit mit einander vermischet, voraus den folget, daß nach diesem Leben noch ein ander Leben, in welchem die vollkommenste Glückseligkeit statt finde:
[1] HIS-Data: Zählung ergänzt
 
3) zum Genuß dieser Glückseligkeit kan nicht der Leib; sondern die Seele gehören. Denn man weiß aus der Erfahrung, daß der Leib verweset, und die Seele hat auch solche bey sich. Dieses ist der nächste Satz, der den Schluß von der Unsterblichkeit der Seele an die Hand giebt. Denn soll sie zu der höchsten Glückseligkeit gelangen, so muß sie unsterblich seyn.
 
     

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Stand: 7. April 2013 © Hans-Walter Pries