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Zedler: Thun, That [1] HIS-Data
5028-43-1933-3-01
Titel: Thun, That [1]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 43 Sp. 1933
Jahr: 1745
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 43 S. 980
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Hinweise:
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  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen, Bibel
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Übersicht
Erklärung
Arten
  Tun nach dem Gesetz
 
  Umstände der Übereinstimmung
  gute oder böse Taten
 
  Regel
  Schlüsse
  Affekte
  Vernunft-Schluss

Stichworte Text   Quellenangaben
Erklärung Thun, That, Handlung, Agere, Actio, ist eine Veränderung, davon der Grund in der Sache anzutreffen, die verändert wird.  
  Dieses Thun wird der Leidenschafft entgegen gesetzet, welche eine Veränderung ist, davon der Grund in einer andern Sache, als die verändert wird, anzutreffen.  
  Wir wollen von der ersten Art der Veränderungen, nehmlich des Thuns ein Exempel geben, um die gegebene Erklärung deutlicher zu machen. Z.E. indem ich jetzo schreibe, gehet bey mir eine Veränderung vor, denn man nimmt jetzo etwas bey mir gewahr, daß vorher nicht da war. Wenn ich aber begreiffen will, wie und warum dasjenige, was man jetzo wahrnimmt, nehmlich das Schreiben, geschiehet; so muß ich den Grund davon in mir suchen. Und deswegen nenne ich mein Schreiben ein Thun, das ist, ich sage, daß ich etwas thue, wenn ich schreibe.  
  Zuweilen kan eine Veränderung in eben dem Subjecte, so wohl ein Thun als eine Leidenschafft seyn, nachdem man sie auf verschiedene Art ansiehet. Z.E. Das Kochen des Wassers in einem Topffe mit Eyern am Feuer ist eine Leidenschafft in Ansehung des Feuers, und ein Thun in Ansehung der Härte der Eyer, die daher entstehet. Leibnitzens Monadol. §. 53.
  Den Cörpern wird das Thun im folgenden Falle beygeleget: Wenn ein Cörper A ruhet, das ist, an seinem Orte unverrückt liegen bleibet, und wird von einem andern B, der sich beweget, und an ihn stösset, in Bewegung gesetzet; so ist so wohl in A, als in B, etwas veränderliches wahrzunehmen. Denn A verursachet die Bewegung von B, und B. wird beweget. Da nun A den Grund seiner Veränderung in sich, B aber denselben in A hat; so saget man mit Recht: A thue etwas, hingegen B. leide.  
  Man muß aber bey dieser gegebenen Erklärung von Thun genau in Acht nehmen, und mercken, daß wir nach derselben bloß die endlichen Dinge oder Creaturen vor Augen haben. Derowegen darff man nicht schlechterdings dasjenige auf das unendliche Wesen oder GOTT ziehen, was dahin nicht gehöret. Und man thut auch in der That nicht Unrecht, wenn man solche Erklärungen giebt, die sich bloß für die Creaturen schicken, nicht aber allgemeine, daß man sie bey Gott zugleich anbringen kan, weil die Erklärung gemeiniglich, wenn sie allgemein seyn soll, dunckel und unverständlich wird.  
  Wenn man nur erst verstehet, was die Sachen bey der Creatur zu sagen haben, so kan man nach diesem auch gar leicht finden, wie weit man sie GOtt beylegen kan, woferne man nur den Unterscheid zwischen einem endlichen und unendlichen Wesen beständig vor Augen hat.  
  Wir wollen aber vorjetzo zeigen, was  
  {Sp. 1934}  
  der Begriff von dem Thun, den wir gegeben, vor Deutlichkeit bey den natürlichen Begebenheiten habe. Wir können dieses mit einem Exempel aus der Physick klar machen. Z.E. ich soll erklären, wie es möglich sey daß der Hahn durch sein Krähen die Veränderung des Wetters andeuten, könne. Weil das Krähen zu dem Thun des Hahns gehöret, so siehet man vermöge unserer Erklärung gleich, daß man davon einen Grund oder Raison in dem Hahne finden muß, das ist, wie mich die Erklärung von der Raison lehret, es muß in dem Hahn etwas zu finden seyn, daraus ich verstehe und einem andern verständlich erklären kan, wie es zugehet, daß alsdenn der Hahn krähet. Weil dieses Krähen eine Verknüpffung mit der instehenden Veränderung des Wetters hat, so muß die Raison von dem Krähen ihre Raison darinne haben, das ist, es muß in der instehenden Veränderung des Wetters etwas zu finden seyn, daraus man verstehen kan, wie dasjenige im Hahne zu wege gebracht wird, welches ihn zum Krähen verleitet.  
  Die gegebene Erklärung zeiget demnach, daß die Raison von dem Krähen des Hahnes eine Leidenschafft, die durch das Thun der angehenden Witterung verursachet wird. Und also lehret uns dieselbe ferner, daß man untersuchen muß wie die angehenden Witterung in den Hahn würckt, und was bey dem Hahn zu finden ist, damit die angehende Witterung in ihn würcken kan. Und dergleichen Exempel kommen in der Moral und Politick häuffig vor, in welchen diese Erklärung des Thuns ein grosses Licht giebt.  
  Des Spinoza Begriff von dem Thun ist dieser:  
  Wir sagen, schreibet er, in seiner Sitten-Lehre p. 200 §. 2. 4. Daß wir alsdenn etwas Thun, wenn etwas in uns oder ausser uns vorgehet, wovon wir die vollständige Ursache sind: Das ist, wenn aus unserer Natur etwas in uns oder ausser uns erfolget, was durch dieselbe klar u. deutlich kan verstanden werden, hingegen sagen wir, daß wir leyden, wenn etwas in uns vorgehet, oder aus unserer Natur etwas erfolget, wovon wir die Ursache nichts anders als nur zum Theil sind.  
Arten Allein wir können uns hierbey nicht länger aufhalten, sondern wollen vielmehr die verschiedenen Arten des Thuns und zwar vornehmlich bey den Menschen betrachten. Wir finden in der Erfahrung gegründet, daß sowohl einige Gedancken der Seele, als Bewegungen des Leibes von dem Willen der Seele herrühren; andere hingegen ihm nicht unterworffen sind. Da nun dasjenige was von unsern Willen herrühret, seinen Grund im Willen, und also in uns hat, ingleichen die Bewegungen des Leibes, die dem Willen unterworffen, ihren Grund in den Zustande des Leibes haben, so gehören sowohl die Gedancken der Seele, als die Bewegungen des Leibes, welche von den Willen herrühren, unter unserer Thun, da der Wille eine Freyheit hat, aus möglichen Dingen zu wehlen, was uns am meisten gefällt; so ist auch dieses Thun der Menschen frey und erhält daher den Nahmen freyer Handlungen.  
  Nehmlich die Bewegungen des Leibes, dadurch die Begierden der Seelen erfüllet werden, sind frey in Ansehung der Seele, hingegen da ausser dem Willen keine Freyheit anzutreffen, so  
  {Sp. 1935|S. 981}  
  ist auch bey dem Thun der Menschen, es mag in Gedancken der Seele, oder in Bewegungen des Leibes bestehen, keine Freyheit, wenn es dem Willen nicht unterworffen ist. Und daher ist es nothwendig, erhält auch daher den Nahmen einer nothwendigen Handlung.  
  Wenn man nun erwegt, daß der Mensch eine zwiefache Natur habe, eine Physicalische und Moralische, so wird man daraus leicht abnehmen können, daß auch sein Thun oder seine Handlungen zweyerley seyn müssen. Einige fliessen aus der Physicalischen Natur, oder aus dem belebten Cörper her, wenn der Mensch isset, trincket, sich von einem Orte zum andern beweget, wächset u.s.w. welche er mit den Bestien gemein hat, und weil sie von dem Lauffe der Natur abhangen, und nicht in unsern Willkühr stehen, so sind sie nothwendig, und können an sich dem Gesetze nicht unterworffen seyn.  
  Andere kommen von der Moralischen Natur des Menschen, so fern er eine vernünftige Seele hat, her, welche die eigentliche menschliche Handlungen sind, die an sich nicht nothwendig sondern freywillig geschehen, weil sie von einem vernünfftigen Wesen herkommen. Zu einem solchen Thun oder Handlung ist der Verstand nöthig, daß man erkennen kan, was vorzunehmen, und wie etwas auszurichten, und denn die Freyheit, damit sich der Mensch freywillig zu etwas entschliessen kan.  
  Indem aber dieses Thun in der Freyheit des Menschen bestehet, so kan dasselbe nach gewissen Regeln eingerichtet und denselben unterworffen werden, woraus die verschiedenen Arten der Handlungen entstehen. Denn man richtet sich entweder nach den Regeln des Gesetzes, oder der Klugheit.  
  In Ansehung des Gesetzes pfleget man sie zu theilen, in nothwendige und zuläßige, jene wiederum in gute und böse, dahin auch die gerechten und ungerechten, die ehrbaren und unehrbaren gehören.  
  Nach den Regeln der Klugheit sind sie entweder thörichte oder kluge, denen einige auch die höflichen und unhöflichen beyzufügen pflegen.  
  Dieses ist die Eintheilung in Ansehung der Richtschnur, deren Stücke wir nunmehro insbesondere kurtz durchgehen wollen.  
Tun nach dem Gesetz Erstlich müssen wir das Thun und die Handlungen der Menschen nach dem Gesetze betrachten, so fern sie entweder nothwendig oder zuläßig sind.  
  Die nothwendigen nennet man diejenigen, welche das Gesetze ausdrücklich bestimmet und vorschreibet, z.E. man muß seine Schulden bezahlen, weil uns dieses das Gesetz befielet. Sie sind nothwendig, wegen der Verbindlichkeit, die aus dem Gesetze entstehet, wodurch die Freyheit dessen, dem das Gesetz gegeben ist, eingeschränckt wird, daher man sie auch Pflichten nennet.  
  Sie heissen auch moralische Handlungen, weil sie durch das Gesetz eine Moralische Eigenschafft bekommen, daß sie entweder gut oder böse sind, in dem alle Moralität aus dem Gesetze kommt, daß wenn dieses nicht wäre, so wäre alles Thun nur als Physicalisch anzusehen, das weder gut noch böse wäre.  
  Solche Handlungen sind nun entweder gut oder böse. Die Güte der Handlungen setzet man in der Gleichförmigkeit oder Übereinstimmung mit dem Gesetz. Denn wenn alle Moralität, wie wir unter dem gehörigen Artickel im XXI Bande, p. 1482 u.ff. gewiesen, von  
  {Sp. 1936}  
  dem Gesetze herkommt, so können wir keinen andern Grund angeben, warum eine Handlung gut oder böse seyn soll.  
  Dieses sehen wir aus der Schrifft am deutlichsten, indem sie die Sünde einer Abweichung von dem Gesetze nennet, 1 Joh. III, 4.
  woraus denn folgt, daß ein jedes Werck, so mit dem Gesetze übereinkommt, vor gut müsse angesehen werden. Man erinnert aber dabey, es müsse nach dem wahren und eigentlichen Sinn des Gesetzes, eine völlige Übereinstimmung seyn, daß eine Handlung nicht nur in dem äusserlichen, sondern auch in dem innerlichen, in den Neigungen, Affecten und Gedancken dem Gesetz gleichförmig sey. Dieses ist bey den göttlichen Gesetzen nöthig, bey den menschlichen aber, da man nur auf die Erhaltung der äusserlichen Ruhe siehet, suchet man nur eine äusserliche Übereinstimmung. Daher ist eine gute Handlung anders vor GOtt, und anders vor der Welt anzusehen.  
  Es begreifft diese Übereinstimmung selbst zwey Theile. Das eine ist das materiale, welches dasjenige, so das Gesetz entweder durch ein Gebot oder Verbot vorschreibet, daß wenn man sich danach richtet, und unterläßt, was verboten, und thut was geboten, so ist dieses der materielle Theil solcher Übereinstimmung.  
  Das andere ist das formale, welches sich auf gewisse Umstände beziehet, denen das Thun des Menschen auch gemäß seyn muß, welches der formale Theil der Übereinstimmung ist.  
Umstände der Übereinstimmung Man pflegt solche Umstände nach dem bekannten Vers anzumercken: quis, quid, ubi, quibus auxiliis, cur, quomodo, quando, welche Gelegenheit geben können, daß die Moralität des Thuns und der menschl. Handlungen entweder gar geändert, oder vergrössert wird, wie wir dieses von einem jeden zeigen wollen.  
 
  Der erste Umstand ist quis, da man sehen muß, wer etwas gethan?
 
 
  Denn wenn ein Vater sein Kind wegen Boßheit schlägt, so ist das was guts, wolte aber der Sohn den Vater schlagen, so wäre dieses etwas Böses, oder wenn sich ein gemeiner Mann betrinckt, so ist dieses eine Sünde, wenn aber ein Fürst oder ein Priester dergleichen thun wolte, so wäre die Sünde noch grösser. Denn wie eine solche Person besonders verbunden ist, andern mit seinem Exempel vorzugehen; also schadet sie mit ihrem bösen Exempel mehr, als ein anderer, auf dem man nicht so sehr siehet.
 
 
2) Ist der Umstand, quid, was man thut, oder welches das Object der Handlung sey? wobey drey Puncte anzumercken.
 
 
  Denn das Object kan entweder veranlassen, daß die That gut sey, oder böse wird, z.E. wenn ein Mensch von seinem eigenen Gelde etwas verthut, so ist dieses eben nicht unrecht, wenn man solches nur wohl anwendet; wolte aber ein Vormund fremde Gelder angreiffen, und dabey übel haushalten, so würde dieses Unrecht seyn.
 
 
  Vors andere können aus dem Unterscheide des Objects auch verschiedene Grade in der Moralität bey der Menschen Thun entstehen; z.E. wenn jemand mit einer ledigen Weibsperson Hurerey treibt, so ist es eine Sünde, thut man dieses mit einer verehlichten Person, so ist es ein Ehebruch, und eine viel grössere Sünde, und wenn einer dergleichen mit einer Blutsverwandtin vornimmt, so heist es eine Blutschande und die Sünde ist noch grösser.
 
 
  Drittens kan auch bisweilen die Quantität des Objects die Sittlichkeit des menschl. Thuns ändern, z.E. daß ein Mensch isset
 
  {Sp. 1937|S. 982}  
 
  und trinckt, ist an sich nicht unrecht, wolte er aber der Sache hierinne zu viel thun, daß er frässe und söffe, oder der Sache zu wenig, daß man aus Geitz sich nicht satt essen und trincken wolte, so würde die Handlung, die an sich gut, in beyden Fällen böse werden;
 
 
3) folgt der Umstand ubi, wo etwas geschiehet?
 
 
  Welches bey der Menschen Thun und dessen Moralität auch grosse Veränderungen nach sich ziehen kan. Z.E. Zeitungen lesen ist, an sich betrachtet, keine unrechte That, wolte man aber dieses in der Kirche thun, so würde durch diesen Umstand des Orts die Handlung böse, oder schlägt man einen auf der Strasse, so wäre dieses Unrecht; geschähe es aber in der Kirche so würde die That dadurch noch schlimmer;
 
 
4) quibus auxiliis, was man vor Instrumente zu einer That gebraucht?
 
 
  Denn wenn sich ein Prediger betrincken wolte, so wäre solches eine schwere Sünde, noch schwerer aber würde sie werden, wenn er darzu einen Kelch aus der Kirche genommen hätte; oder schlägt man einen mit seiner Faust, so kan dieses unrecht seyn; nimmt man aber darzu einen Stock, und dergleichen so wird die That schlimmer;
 
 
5) ist der Umstand cur, warum wir etwas thun?
 
 
  Welches einer der vornehmsten ist, der die Absicht einer That betrifft, die vernünfftig seyn muß, und insonderheit auf die Ehre GOttes muß gerichtet werden. Wir befördern die Ehre GOttes, indem wir nicht nur alles, was wir thun, aus Liebe zu ihm unternehmen, sondern auch durch unsere guten Thaten andern Gelegenheit geben, daß sie die Vollkommenheiten GOttes besser erkennen, und zu seiner Verehrung ermuntert werden;
 
 
6) ist der Umstand quomodo, wie etwas geschiehet?
 
 
  Denn man kan was thun, welches an sich gut ist, man kan aber in der Art anstossen, und die That dadurch böse machen, z.E. giebt man einem wegen seiner Fehler einen Verweiß, so kan dieses etwas guts seyn; wolte man sich aber dabey Schimpff-Wörter bedienen, so machte man durch die Art die That böse;
 
 
7) der Umstand quando, wenn was geschiehet?
 
 
  Kan eine gute That böse machen, z.E. daß ein Kauffmann seinen Handel und Wandel nachgehet, ist gantz gut; Wenn er aber dieses deß Sonntags thun wolte, so thäte er Unrecht daran: Oder wenn sich einer in der Woche voll säufft, so ist diese That sündlich; thut er dieses auf den Sonntag; so ist die Sünde noch schwerer; wolte man dieses an einem solennen Buß-Tage thun, so würde dieselbe noch weit grösser.
 
  Alle diese Umstände sind in dem Gesetze selbst gegründet, indem sie aber zur Beschaffenheit einer Handlung gehören, so rechnet man sie zu den formalen Theil der Übereinstimmung mit dem Gesetz bey einer guten That. Aus diesen kan man also leicht abnehmen, was eine böse That sey, wenn sie nehmlich von dem Gesetz abweichet, oder wenn sie unsern innern und äussern Zustand unvollkommener macht.  
gute oder böse Taten Wenn man demnach das Thun der Menschen beurtheilen will, ob es gut oder böse sey, so muß man nachforschen was es veränderliches, so wohl in unserm innerlichen Zustande des Leibes und der Seele, als in dem äusserlichen nach sich ziehet, und dabey Acht haben, ob der veränderte Zustand mit dem Wesen und der Natur des Menschen, das ist so wohl des Leibes als der  
  {Sp. 1938}  
  Seele, und dem vorhergehenden Zustande zusammen stimmet, oder ob er ihm zuwieder ist. Weil das Freye Thun der Menschen durch ihren Erfolg, das ist, dasjenige, was dadurch veränderliches in dem innern und äussern Zustande der Menschen, erfolget gut oder böse werden; was aber aus dem Thun erfolgt, nothwendig daraus kommen muß, und nicht aussen bleiben kan: so ist dasselbe vor und an sich selbst gut oder böse, und darff nicht erst durch GOttes Willen dazu gemacht werden.  
  Es ist aber die Erkänntniß des Guten ein Bewegungs-Grund des Willens, und wer die freyen Handlungen der Menschen, die vor und an sich gut sind, deutlich begreiffet, der erkennet, daß sie gut sind, und daher ist das Gute, welches wir an ihnen wahrnehmen, ein Bewegungs-Grund, daß wir sie wollen. Da nun nicht möglich ist, daß etwas zugleich ein Bewegungs-Grund des Wollens und nicht Wollens seyn kan; so gehet es auch nicht an, daß man eine an sich gute That nicht wollen solte, wenn man sie deutlich begreiffet. Daher ist jede gute That und Handlung so beschaffen, daß sie nur kan gewolt, aber nicht zugleich nicht gewolt werden, wenn man sie deutlich begreifft. Wollen wir aber dieselbe nicht, so ist keine andere Ursache, als daß wir sie nicht erkennen; wenn wir aber gar einen Abscheu davor haben, so müssen wir sie uns anders vorstellen, als sie ist.  
  Gleichergestalt ist die Erkänntnis des Bösen ein Bewegungs-Grund des Nichtwollens, oder des Abscheues vor einem Dinge. Wer die freye Handlungen des Menschen, die an und vor sich böse sind, deutlich begreiffet, der erkennet, daß sie böse sind; und daher ist das Böse, was wir an ihnen wahrnehmen, ein Bewegungs-Grund, daß wir sie nicht wollen. Da nun nicht möglich ist, daß etwas zugleich ein Bewegungs-Grund zum Wollen und Nicht wollen seyn kan, so gehet es auch nicht an, daß man eine an sich böse That wollen solte, wenn man sie deutlich begreifft.  
  Es verbindet uns aber die Natur daß unser gantzes Thun, und alle Handlungen gut seyn sollen, die bösen aber unterlassen werden mögen. Denn da dasjenige was aus den Thaten der Menschen erfolget, und sie entweder gut oder böse macht, von dem Wesen und der Natur herkommt; das gute und schlimme aber, daß wir in den Thaten antreffen, die Bewegungs-Gründe des Wollens und Nichtwollens sind, so hat mit den vor sich guten und bösen Thaten der Menschen die Natur die Bewegungs-Gründe verknüpfft. Und solcher Gestalt verbindet uns die Natur der Dinge, das Gute zu thun, und das Böse zu unterlassen.  
  Es bleibt also ausgemacht: Die Natur verbinde uns, die an sich gute Thaten zu vollbringen, und die an sich bösen zu unterlassen. Derowegen da die guten Thaten unsern innerlichen und äusserlichen Zustand vollkommener machen, die bösen aber ihn unvollkommener machen; so verbindet uns die Natur dasjenige zu thun, was uns, und unsern Zustand vollkommener macht, hingegen zu unterlassen, was unsern innerlichen und äusserlichen Zustand in eine  
  {Sp. 1939|S. 983}  
Regel Unvollkommenheit setzet. Und also haben wir eine Regel, darnach wir unser Thun, welches wir in unserer Gewalt haben, einrichten sollen, nehmlich diese: Thue was dich und deinen Zustand vollkommener machet: Unterlaß, was ihn unvollkommener macht.  
  Wie man erkennet, ob eine That unsern Zustand vollkommener mache oder unvollkommener, wird man aus dem, was wir bereits vorgebracht haben, deutlich erkennen. Nehmlich man giebt  
 
1) acht, was eine That veränderliches nach sich zieht, entweder in unserer Seele und in unsern Leib, das ist, in unserm innerlichen und äusserlichen Zustande. Danach untersucht man
 
 
2) ob der Zustand, der auf die That erfolgt, mit dem Wesen und der Natur des Menschen, wie auch dem vorhergehenden Zustande überein stimme, oder ihm zuwieder laufe, ingleichen ob nach geschehener Veränderung etwas in dem neuen Zustande anzutreffen, das dem übrigen zuwieder läufft, was zugleich mit angetroffen wird.
 
  Denn, wenn durch unsere Thaten eine völlige Zusammenstimmung erhalten wird, so machen sie uns und unsern Zustand vollkommener: Hingegen, wenn dadurch diese Zusammenstimmung gestöret wird, so machen sie uns und unsern Zustand unvollkommener.  
  Es ist aber wohl zu mercken, daß sich diese Regel auf unser gantzes Thun, mit welchen Freyheit verbunden ist, erstrecke, und also kein Gedancke in der Seele, noch eine Bewegung im Leibe davon ausgenommen ist, welche wir in unserer Gewalt haben. Ob aber gleich die gegebene Regel allgemein ist, so muß man sich doch keinesweges einbilden, als wenn man von allen freyen Handlungen der Menschen, daraus unmittelbar urtheilen könnte, ob sie gut oder böse sind. Über dieses ist bekannt, daß man aus einem eintzigen Satze nicht schliessen kan, sondern erst aus zweyen der dritte heraus gebracht wird. Dannenhero ist ausser der Regel noch ein anderer Satz von der Beschaffenheit der Handlung nöthig, ehe man sagen kan, ob sie gut oder böse ist. Nehmlich unsere Erkänntnis von den freyen Handlungen der Menschen kommt endlich auf diese beyden Schlüsse an:  
Schlüsse
1. Was unsern oder anderer ihren Zustand vollkommener macht, das sollen wir thun.
 
 
  Diese Handlung machet unsern oder andern ihren Zustand vollkommener.
 
 
  Also sollen wir sie thun.
 
 
2. Welche Handlung unserer oder anderer ihren Zustand unvollkommener machet, die sollen wir unterlassen.
 
 
  Diese Handlung macht unsern oder anderer ihren Zustand unvollkommener.
 
 
  Also sollen wir sie unterlassen.
 
  Welches nun diejenigen Handlungen sind, dadurch wir und unser Zustand entweder vollkommener oder unvollkommener gemacht wird, davon können wir hier wegen der Weitläufftigkeit, womit diese Abhandlung unternommen werden muß, und wegen der häuffigen Bücher welche von den Thun und Laßen der Menschen handeln, nicht ausführen.  
  Hier ist  
  {Sp. 1940}  
  genug, daß wenn der innere und äussere Zustand mit dem natürlichen beständig zusammen stimmen soll, die freyen Handlungen durch eben die Absichten zu determiniren sind, wodurch die natürlichen, so aus dem Wesen des Leibes und der Seele nothwendig erfolgen, determiniret werden.  
Affekte Übrigens hat es mit den Thaten der Menschen, wenn wir daraus die Maximen erforschen wollen, nach welchem der Mensch das Gute und Böse beurtheilet, fast eine gleiche Bewandnis als mit den Affecten. Denn wie der Affect nichts anders, als eine hefftige sinnliche Begierde ist; so muß er, wie eine jede andere dergleichen Begierde, aus undeutlichen Vorstellungen des Guten entstehen, gleich wie ein freyer Wille, dadurch wir uns zu unsern Handlungen determiniren, aus deutlichen Vorstellungen herkommet. Nehmlich wenn der Mensch eine That vollbracht, so ist gewiß, daß er sich dieselbe als gut vorgestellet: Wenn er sie aber unterlassen, da er sie hätte vollbringen sollen, so ist gewiß, daß er sich dieselbe als böse vorgestellet. Derowegen erkennet man aus seinem Verfahren, ob er sich eine Handlung als gut oder böse vorgestellet. Die Umstände, unter welchen er die That vollbracht, oder unterlassen, zeigen, wie er ihre Beschaffenheit eingesehen.  
Vernunft-Schluss Wenn man also deutlich erklären soll, was in der Seele vorgehet, so ist hier ein völliger Vernunfft-Schluß anzutreffen, da der Hintersatz das Urtheil von der That ist, daß sie gut oder böse sey; der Untersatz derjenige, welcher die Beschaffenheit der Sache vorstellet; und endlich der Obersatz eine allgemeine Maxime, darnach er das Gute oder Böse zu beurtheilen pflegt.  
  Wenn man demnach Achtung giebt, was der Mensch thut oder unterlässet, so weiß man, ob er die Handlung unter den gegebenen Umständen für gut oder böse gehalten, das ist der Hintersatz des gedachten Schlußes. Giebt man nun auf die That selbst Achtung, so wird man inne, wie sich andere ihre Beschaffenheit vorgestellet, und folglich weiß man auch den Untersatz desselben Schlußes. Es ist aber bekannt, daß wenn man von einem Schluße den Unter- und Hintersatz hat, man auch den Obersatz finden könne. Die gantze Arbeit kommt demnach darauf an, daß wir zu einem verstümmelten Schlusse, den gehörigen Obersatz finden.  
  Es ist aber der verstümmelte Schluß dieser: Diese Handlung ist von der Beschaffenheit, derowegen ist sie gut (oder böse). Der Obersatz der darzu gefunden wird, ist dieser: Einer Handlung von der Beschaffenheit ist gut (oder böse). Und hierdurch zeiget sich die Maxime, nach welcher der Mensch urtheilet, ob etwas gut oder böse sey: Welche wir zu wissen verlangten. Wenn man dahero auf der Menschen Thun und Lassen, wie auch auf ihre Affecten fleißig Achtung giebt, und alles dabey mit möglichster Sorgfalt überleget, so kan man andere dadurch kennen lernen: Welches wir ebenfalls bey uns selbst zu beobachten haben, wenn wir zur Erkänntniß unser selbst gelangen wollen.  
  Dem ohngeachtet aber, ob wir gleich in vorkommenden Fällen geschickt sind, von den Handlungen zu urtheilen ob sie gut oder böse sind und ob wir auch gleich einen Vorsatz im Guten fassen, so kan der Mensch doch seinem Vorsatz zuwieder handeln, weil er sich bey  
  {Sp. 1941|S. 984}  
  gegebener Gelegenheit nicht darauf besinnet. Ein jeder begreifft, daß, wenn wir unsern Vorsatz vollbringen sollen, wir uns darauf besinnen müssen, was wir uns vorgenommen. Derowegen wenn der Mensch sich überhaupt vorgesetzet nichts zu thun, als was entweder die Vollkommenheit seines innerlichen oder äusserlichen Zustandes befördert, und nichts zu unterlassen, als was derselben nachtheilig ist: So wird erfodert, woferne er diesen Vorsatz vollführen soll, daß er sich in einem jeden vorkommenden Falle angewöhne zu bedencken, was eine jede That, welche zu vollbringen, sich Gelegenheit ereignet, zu dieser seiner Absicht beytragen kan.  
  Wenn man nun ferner untersucht, wie man sich angewöhnen könne zu bedencken, was eine vorfallende Handlung mit der letzten Absicht unsers Lebens, das ist mit der Vollkommenheit unsers innerlichen und äusserlichen Zustandes, für eine Verknüpffung habe, so ist nöthig, daß wir dergleichen Untersuchung fleißig anstellen. Denn, was wir öffters thun, das werden wir gewohnt; und damit wir diese Untersuchung nicht leicht aussetzen mögen, so ist rathsam, daß man eine solche Zeit dazu erwehle, da man nicht allein von andern Verrichtungen am wenigsten gehindert wird, sondern sich auch dieses Vorhabens am bequemsten erinnern kan.  
     

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Stand: 24. Februar 2013 © Hans-Walter Pries