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Quellenangaben und Anmerkungen
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Annahme der Titel |
Mit Annehmung der Titulaturen gehet es fast wie mit den Moden, mancher haßt
eine Mode in seinem Hertzen, und findet keinen Gefallen an einer
Veränderung,
die grösten
Theils aus der Thorheit oder doch aus der Eitelkeit herfließt; er
wird aber von der grossen Menge, eitler und Veränderung
liebender Leute mit
Gewalt
hingerissen, daß er eine neue Weise, die den göttlichen und natürlichen Gesetzen
nicht zuwider, mitmachen und nachahmen
muß,
will er sich nicht bey der
Welt
verspotten lassen, und manche[1] verläumderische
Urtheile wider sich vernehmen. Also liebt mancher die Demuth u.
Sittsamkeit, und findet an dem äusserlichen Wortgepränge kein Vergnügen. |
[1] |
HIS-Data: korrigiert aus: mache |
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Da aber eine allgemeine und durchgängige
Gewohnheit
gewisse Titulaturen nach dem Unterscheid des
Standes
und der Bedienung eingeführet, so muß ein vernünfftiger Mensch auch diejenige
Ehre, die er andern ertheilet, annehmen, oder er unterwirfft sich sonst einer
allgemeinen Verachtung, und entziehet sich einen grossen Theil seiner
äusserlichen Glückseligkeit vor deren Erhaltung er besorgt seyn muß. Die von
höhern Stande würden diese grosse Sittsamkeit vor eine
Würckung einer
Niederträchtigkeit ansehen, welche ebenfalls ein Laster ist, wie aus der
Tugend-Lehre bekannt, sie dürfften ihm hernach vielleicht allzu viel Devotion
und
Gehorsam abfodern. Die mit ihm von gleichem Stande, würden unwillig auf ihn
werden, daß er dieses, welches seinen Umständen zukäme, nicht annehmen wolte,
sie würden es ihm vor eine Niederträchtigkeit auslegen, ihn deshalben vor einem
Sonderling ansehen, und sich seiner
Gesellschafft schämen, sie würden ihn
gehäßig werden, und glauben, daß ihnen hierdurch selber etwas entzogen werden
möchte, der Pöbel würde sich dieser Sittsamkeit und Demuth mißbrauchen. Wolte
einer gewisse gewöhnliche Titel nicht annehmen, so würden viele von den
Geringern glauben, als ob er selbst an seiner Ehre zweifelhafftig wäre, sie
würden ihm desto eher in einem und dem andern, den Gehorsam und die
Ehrerbietung, die sie ihm schuldig, entziehen, u.s.w. |
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Es ereignen sich gewisse Fälle, bey denen man noch viel mehr verbunden ist,
gewisse Ehren-Benennungen nicht allein von dem andern abzunehmen, sondern sie
ihnen auch wohl abzufordern. |
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1) |
Wenn es unser
Amt und
Beruff und der Respect unsrer
Herrschafft
erfordert, denn alsdenn sehen wir nicht sowohl auf unsre eigene
Ehre,
als vielmehr auf die Ehre unsrer Herrschaft, die sonst hierbey würde
gekräncket werden. |
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2) |
Wenn wir sehen, daß andern, die mit uns im
gleichen
Stande
oder gleichen Umständen sich befinden, ein besonder Präjuditz würde
zugezogen werden. |
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3) |
Wenn boßhafftige Leute geflissentlich diese oder
jene uns zukommende Titulatur, zu unserer Verkleinerung uns verweigern
wollen, oder sie dieselbe uns zwar mittheilen, aber nicht zu unsrer
Beehrung, sondern aus einem falschen u. hämischen
Gemüthe, uns Fallen zu stellen, und zu versuchen, ob wir
dieselbe wohl annehmen würden, weil sie in den
Gedancken
stehen, als ob sie uns nicht zukommen, son- |
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{Sp. 481|S. 254} |
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dern vor uns zu viel sey. Sie sehen bisweilen
eines und das andere wahre Gute an uns mit verkleinerlichen Augen an,
und da sie uns dieser oder jener
Prärogativ
vor unwürdig erklären, so verlangen sie, wir sollen uns dessen auch
unwürdig
erkennen. |
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4) |
Wenn wir manches Gute, welches wir sonst zur
Beförderung der
Ehre
GOttes, unsrer eignen und unsers Nächsten wahre
Glückseligkeit, unserm
Stande,
Art und Verrichtungen nach, auszuführen vermögend wären, entweder gantz
und gar stöhren, oder doch hindern und aufhalten würden. |
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Wo sich nun in diesem angeführten und andere gleiche oder ähnliche Fälle zu
tragen, muß man die einem gebührende
Ehre
annehmen, und sie auch retten, soviel als möglich. Ausser dem aber, muß man in
Annehmung und Abforderung der Titulaturen nicht allzu scharff noch begierig
seyn, insonderheit wenn man wahrnimmt, daß weder unsrer wahren Ehre, noch der
Glückseligkeit des Dritten, hier durch einige Abbruch geschiehet, und uns der
andere nicht aus Bosheit und zu unserer Verachtung, sondern aus Einfalt und
Unwissenheit, oder doch sonst auf eine unschuldige Weise etwas entziehet. Der
Herr Benjamin Neukirch schreibet in seiner Anweisung zu
teutschen Briefen p. 19. sehr wohl: Wie man es so genau nicht nehmen
muß, wenn einem ein anderer zu viel giebt, also muß man auch zufrieden seyn,
wenn man in etlichen
Dingen
zu wenig empfängt.
Königen
und Potentaten ist es nicht zu verargen, daß sie steif über ihre Titel halten,
denn sie behaupten dadurch ihre
Vorzüge und
Rechte,
aber andere haben es nicht nöthig, zumahl wenn es der Schreibende aus keiner
bösen
Meynung gethan. |
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Bey gewissen Umständen muß ein
vernünfftiger
Mensch nicht allein seiner
Begierde, in Annehmung der Titulaturen, die engsten
Schrancken setzen, sondern ihr auch wohl gantz und gar widerstehen. Und es ist
bey folgenden Fällen wohl hauptsächlich nöthig die Demuth auszuüben. |
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An diesem Orte erscheinet man vor dem Angesichte
GOttes, nicht als ein Cavalier und Hochwohlgebohrner
Herr,
nicht als eine Excellentz und grosser General, sondern als ein
bußfertiger und um
Gnade flehender Sünder, der sich vor GOtt zu
demüthigen hohe
Ursach
hat. |
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II. |
In
Gegenwart der Höhern, die sonst durch die
grosse Titulatur, die wir zu eben der Zeit von den Geringern annehmen,
auf gewissem Maasse fast verunehret würden. |
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Es ist hier nicht die Rede von dem Titel des
Prädicats und der
Bedienung,
in der man stehet, die einem der Höhere selbst mittheilet, sondern von
einer andern Ehren-Benennung, als Ihro
Gnaden,
Gnädiger Herr, u.s.w.
kommt einem die Titulatur vollends gar nicht zu, so ist es noch
thörichter; Es läst also sehr abgeschmackt, wenn sich ein Schul-Monarche
im Beyseyn eines grossen Staats-Ministers vor seinen Schülern, Ihro
Excellentz nennen läst. |
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III. |
Im
Umgange mit denen Höhern, da sie uns nach der
Gnade, die sie in den übrigen Fällen vor uns haben, oder der
Ungnade,
mit der sie uns ansehen, bey der Titulatur besonders distinguiren. |
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Wir
verstehen aber hierunter solche |
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{Sp. 482} |
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Höhere, die in Ansehung unserer Umstände, in
denen wir uns befinden, bey unserer Glück- oder Unglückseligkeit etwas
besonders zu würcken vermögend sind. |
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IV. |
In der mündlichen und schrifftlichen
Conversation, die wir nicht
Amts- und
Beruffs wegen, sondern als Freunde und Privat-Personen, mit unsern
wahren, und vertrauten Freunden pflegen, sie mögen nun entweder dem
Stande, oder Character, oder auch beyden zugleich nach, etwas geringer
sein, als wir. |
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Einen wahren Freund, dessen Treue und
Liebe wir
durch alle Proben viele Jahre versichert gewesen, und dessen er sich
durch lasterhafft Bezeugen nicht
unwürdig gemacht, müssen wir beständig
davor
erkennen, ob er uns schon, der äusserlichen Glückseligkeit nach,
nicht gleich gekommen. Dieses stehet nicht allezeit in unserer
Gewalt,
sondern in einer höhern Hand. Mit einem wahren guten Freund muß es
heissen: Einmal gut Freund, allezeit gut Freund; Bey diesem müssen wir
die Titulaturen und Ceremonien bey Seite setzen. Er wird zwar freygebig
seyn, uns alle äusserliche Ehren-Bezeugungen mitzutheilen, wir müssen
aber sehr sparsam seyn, selbige von ihm anzunehmen. |
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V. |
Bey denen, die uns bey unsern unglückseligen
Zustand,
darin wir gerathen, Hülffe und Beystand leisten, sie mögen nun höher,
oder unsers gleichen, oder wohl gar geringere seyn. |
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Ist es mit uns soweit gekommen, so müssen wir nur
dencken, daß hier die Leidens-Zeit sey. Da müssen wir unsere Titulaturen
und andere äusserliche Ehren-Bezeigungen, die sonst unsern
Stand
und
Bedienung
gemäß, anderer Leute Gunst und Discretion überlassen, so lange bis uns
GOtt wieder in bessere Umstände gesetzt. Hochmuth ist zwar
überhaupt ein
schändlicher Gefehrde der
Armuth, sie ist aber noch
unerträglicher, wenn man sie gegen diejenigen ausüben will, deren Gnade,
Gunst oder Freundschafft wir doch benöthiget, und nicht entbehren
können. |
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VI. |
Auf dem Sterbe-Bette, wenn wir an der Pforte der
Ewigkeit stehen, die allen Unterschied der auf dem
Erd-Creysse eingeführten Titulaturen den letzten Grentz-Stein setzt,
solten wir
billig auch diesen Tand der Eitelkeit unter unsere Füsse
treten, und viel mehr auf den, in der heiligen Tauffe erlangten und im
Himmel angeschriebenen Christen
Nahmen,
unsere höchst erfreuliche Blicke werffen. |
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Betrug |
Man findet hin und wieder thörichte Leute in der Welt, die sich vor dasjenige
ausgeben, so sie doch nicht sind, sie legen sich diejenigen Gradus, Prädicata
und andere Titulaturen bey, die sie doch nimmermehr erhalten, und auch öffters
nicht erhalten werden, sie geben sich an fremden
Orten
und bey unbekannten Leuten vor Doctores, Licentiaten, Edelleute,
Baronen,
Grafen,
Hof- und Kriegs-Officianten, und vor alles aus, was sie wollen. Sie vergnügen
sich eine Zeit lang, so lange als sie
Geld
und Geschicklichkeit haben, ihre falsche
Person zu
spielen, oder ihre Erdichtung unbekannt bleibet, mit dem Winde ihrer
Einbildung.
Wird aber ihre wahre
Gestalt
vor der
Welt
öffentlich kund und aufgedeckt, so ist auch nachgehends ihre
Schande um desto
grösser, als erstlich ihre vermeynte
Ehre war.
Sie
empfinden nicht allein, mitten unter dem süßen Genuß ih- |
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{Sp. 483|S. 255} |
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rer Ehre eine stetswährende
Furcht und Unruhe, daß einige Bekannte ihnen, über
Vermuthen, die falsche Masque, die sie um sich genommen, ihnen abreissen
möchten, sondern haben auch noch, ohne die
Schande, nicht selten eine harte und
empfindliche
Straffe
zu erwarten, welche nach dem Unterscheid des Verbrechens, und der Titulaturen,
die sie sich zugeeignet, unterschieden zu seyn pflegt. |
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Kayser Leopold schrieb im Jahr 1674 an Dero Fiscal am Kayserlichen
Cammer-Gericht zu Speyer: Er wäre in Erfahrung kommen, wie sich viele von den
Ritter-Gliedern, Vasallen und Landsassen im Heiligen Römischen Reiche, eine
Zeitlang her unterstanden, einander gantz neue, ihnen nicht zustehende höhere
Titel und Prädicate zuzulegen, ohne daß sie oder ihre Vor-Eltern, die
vorwendente
Standes-Erhöhung von ihnen, oder seinen Vorfahren am Heiligen
Römischen Reiche, durch ordentliche Conzeßion erlangt; Andere aber, welche zwar
mit Dero Bewilligung zu solcher Standes-Erhöhung, und andern dergleichen
Privilegien, auf ihr unterthänigstes Anhalten, von ihm begnadiget worden,
nachgehends aber selbst solcher Würde Importantz gleichsam nicht geachtet, auch
sie nicht ausfertigen, und gebührlich erheben lassen, und sie dennoch der
Ehren-Titul und Prärogation sich gantz strafbarlich angemaßt; Als ward befohlen,
das man obhabenden Amts wegen, nicht allein auf einen und den andern, die sich
einer und andern Titulatur und Prädicats, ohne solche erlangt zu haben,
anmaßten, fleißig inquiriren, und gegen dieselben verfahren solte, sondern auch
jedem ausschreibenden Creyß-Fürsten die Erinnerung thun, daß sie nicht weniger
ihres Orts in dem Creysse gemessene Verordnung vorkehren sollen, damit hinführo
niemand, wer der auch sey, auf dessen oder eines andern Anbringen, ein Titul
oder Prädicat von neuen nicht, er könne es denn mit denen hier zu erforderten
Original-Urkunden und Documenten in probandi forma belegen, attribuiret
und zugeschrieben werden, und die hierüber betreten würden, solten mit
gebührender Straffe angesehen werden. |
S.
Lünigs III Theil der Deutschen
Reichs-Cantzley p. 140. |
Täuschung |
Andere machen es zwar nicht zu grob, wie die ersten, daß sie sich selbst gewisse
Titulaturen, Gradus und Prädicate zueigneten, oder vorher etwas anders ausgeben,
sie lassen sich aber doch die äusserlichen Ehren-Bezeugungen, die ihnen andere
entweder aus Einfalt und Unwissenheit, oder aus Schmeicheley und Eigennutz, oder
auch wohl aus Tücke und Falschheit beylegen, gefallen; Weil diese Titulaturen,
die ihnen selten vorkommen, ihre Ohren kützeln, so widersprechen sie denjenigen
nicht, die sie also beehren. |
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Doch diese guten Leute, die dergleichen ihnen nicht zukommende
Ehre eine
Zeitlang annehmen, stehen sich ebenfalls gar schlecht vor, und gewinnen dabey
sehr wenig. Sind den andern, die sie auf die Art beehrt, ihre wahren Umstände
recht bekannt, so spotten sie ihnen in ihren Hertzen, daß sie so thöricht sind,
und dasjenige, was ihnen nicht zukommet, annehmen. Es dencket mancher von
solcher von solchen losen Vögeln, der ei- |
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{Sp. 484} |
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nen andern auf eine ungewöhnliche Weise tituliret, wie jener Mahler zu Torgau.
Dieser war lange in Italien gewesen, wo man mit Illustrissime und Ihro
Gnaden auch gegen gemeine Leute gar freygebig ist. Er nennte jedermann Ihro
Gnaden, wer zu Leipzig in Rothhaupts Hofe in seyn Gewölbe kam. Als ihm nun
deswegen Erinnerung geschehen, so sagte er, ich will den wohl Ihro
Durchlauchtigkeit nennen, der es verantworten will. |
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Titelkauf |
Die grossen Titulaturen müssen bisweilen gar theuer bezahlet werden, und wenn
entweder derjenige, der einen vorhero so beehret, nach eingezogener gewissern
Nachricht, den grossen Titel mit einem kleinern wieder verwechselt, oder ein
andrer Bekannte darzu kommt, so lieget denn die eingebildete
Ehre
wieder in den Brunnen. |
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Ausnahmen |
Ob nun wohl die
Regel
in Richtigkeit bleibet, daß man sich, mit seinem Glück, als auch mit seinem
Stande,
mit seinem Titel und mit allen seinen Umständen begnügen soll, so ereignen sich
doch bisweilen in der That einige Fälle, da ein
vernünfftiger
Mensch eine Zeitlang von einigen Leuten mit gutem
Grunde die Benennung eines
gewissen Gradus oder Prädicats annehmen kan, ob er ihn gleich nicht überkommen,
oder die Ausfertigung dieser oder jenen Titulatur zur völligen Richtigkeit und
Consistentz gediehen. Die Fälle, bey denen sich die Ausnahme von dieser Regel
zuträgt, können mancherley seyn, theils, da man seinem
Amte oder seinem Beruff
nicht so wohl vorstehen würde, wenn man sich nicht hierinne nach dem irrigen
Wahn der Leute richten wolte, theils, da einer einem gewissen Amte oder
Bedienung viele Jahre mit
Ehren vorgestanden, warum man entweder die Titulatur
annehmen wollen, oder warum die Ausfertigung des Prädicats einem schwer gemacht
worden, theils auch wenn es mit Vorbewust und Conniventz der Oberen und
Vorgesetzten geschiehet, und die Zeit sehr nahe ist, da man einer gewissen
Charge oder doch eines gewissen Prädicats theilhafftig werden soll. |
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Also kan man es einem Practico in der Artzney-Kunst nicht verdencken, wenn er
von den Bauern
oder dem gemeinen
Volck
das Ehren-Wort Doctor annimmt, ob er schon diese
Würde
nicht erlanget. Wolte er sich ihnen wiedersetzen, und anführen, daß er es nicht
wäre, so würde seine gantze
Wissenschafft, und wenn sie noch so
fundamental wäre, bey
ihnen verdächtig werden, sie würden kein Vertrauen in ihn setzen, und glauben,
daß er nicht verstünde, weil er sich nicht als Doctor aufführen könnte und
wolte. Wolte auch gleich mancher, um den Leuten diesen irrigen Wahn zu benehmen,
noch so viel Mühe anwenden, so würde er doch bey den wenigsten etwas ausrichten,
und die Einkünffte wollen es doch nicht bey einem jeden erlauben, daß er diese
Würde nach seinem Cermoniel habhaft werden kan. |
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Ferner kan ein Obrist-Leutnant, der einige Jahre nach einander ein gantzes
Regiment, in Abwesenheit oder bey Kranckheit eines Obristen mit Ruhm
commandiret, von seinen Subalternen, oder |
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{Sp. 485|S. 256} |
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auch von andern, die ihm seiner Meriten wegen freywillig also benennen, den
Obristen-Titel annehmen, ob er ihm schon noch nicht in forma beygeleget
worden. |
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Da ihrer viele in der
Welt,
sowohl auf
Universitäten, als an Höfen, bey den Armeen und auf den Rath-Häusern
dasjenige genennet werden, welches sie ihrer Ungeschicklichkeit und
Unerfahrenheit wegen doch nicht seyn können, so dürffen auch einige bey manchen
Umständen den
Nahmen
annehmen, von demjenigen, was sie in der That würcklich sind, ob sie schon des
Titels entbehren müssen. |
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Titel-Prahler |
Ein
vernünfftiger
Mensch
wird alle Torheiten, in welche sich die Titel-Prahler zu stürzen pflegen, auf
das sorgfältigste vermeiden. Er wird zwar seyn
Amt und seine
Bedienung
demjenigen, der sich danach erkundiget, mit Bescheidenheit entdecken, es
niemahls aber auf eine so affectirte Weise bewerckstelligen, daß der Fremde doch
ja alsbald, ehe er noch darum fragt, oder es verlangt, den grösten Titel
erfahren möge. Zur Erläuterung dieses Satzes, will man aus M. Heegens
Dissertation von der Titelsucht der Gelehrten, folgendes Histörgen an führen: |
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Er meldet, das einstens ein Bürgermeister eines kleinen Städtgens, der sich
soviel als Marcus Tullius Cicero eingebildet, auf der Reise, um seinen Durst zu
stillen, in einer Schencke eingesprochen; so bald ihm die
Bauern in
der Schencke erblickt, hätten sie ihm nun, der
Gewohnheit
nach, eine Ehre
anzuthun, zugeruffen: Monsieur wollen sie sich nicht einmahl schencken
lassen. Es wäre dem Herrn Bürgermeister sehr
empfindlich gewesen, daß sie ihm
nicht nach seinem Character genennet, und er hätte sehr gesorgt, um eine Tour zu
finden, wie er ihnen dieses hinterbringen möchte. Er hätte endlich angefangen,
ob sie das Bier hier braueten? Die Bauern hätten gesagt, ja. Darauf denn der
Bürgermeister repliciret, sie brauten zwar ihr noch ziemlich gut Bier, das
hiesige Bier aber käme doch demjenigen noch lange nicht bey, welches sie vor
vierzehen Tagen bey dem Convivio solenni gehabt, als er in dem Städtgen
N.N. zum Bürgermeister creiret, constituiret und inauguriret worden. Darauf denn
die Bauern gewust, daß dieser
Herr
ein Bürgermeister gewesen. Unser Kleinstädtischer Bürgermeister hat in diesem
Stück wahrhafftig noch viele seines gleichen, so wohl unter den
Edelleuten,
als unter den Bürgerlichen
Stande. |
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Unter die Titel-Prahlereyen gehöret, wenn einige ohne
Ursache
ihren Titel allenthalben hinklecken, als wie jener Substitute, der auf seinen
reparirten Sau-Koben setzen lassen; daß ihn N.N. Compastor hujus loci anno
N.N. zierlich wieder aufgerichtet, und ihm gegenwärtige
Gestalt
gegeben; ingleichen, wenn sie an fremden
Orten
auf die Anfrage der Thor-Schreiber ihren gantzen Titel hersagen, in solchen in
die Thor-Zettel mit
Gewalt
einschreiben lassen, da doch der Wohlstand und die
Gewohnheit
nicht mehr erfordert, als daß sie unter den vielen Titulaturen nur den
vornehmsten aussuchen. |
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Noch toller aber ists, wenn sie gar von unsern Herre
GOTT grosse Titulaturen verlangen. Wer allerhand
Schulfüchsereyen und Tändeleyen, die unter den Gelehrten in Ansehung der
Titulaturen vorgehen, lesen will, der wird einige in dem
Artickel:
Ti- |
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{Sp. 486} |
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tul-Sucht, und in den daselbst angeführten
Schrifften
finden. |
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Gehen nun unter den Gelehrten, die andere an der
Gelehrsamkeit
und
Weltweisheit
übertreffen wollen und sollen, hierinnen so grosse Torheiten vor, so kan man
leicht glauben, daß die Thorheit unter denen so genannten Ungelehrten noch weit
stärcker seyn müsse. Abgeschmackt ists, wenn einige auf fremde Leute unwillig
werden, daß sie ihnen ihr gehöriges Prädicat nicht alsobald beylegen, da doch
diesen Fremden keine Notification davon zugefüget worden. Sie verlangen auf eine
thörichte Weise eine gewisse
Art einer Allwissenheit von ihnen, die ihnen nicht
möglich. |
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Es ist auch wieder den Wohlstand, wenn einige die unterschiedene Prädicate und
Characteres zugleich führen, an fremden
Örtern
sich bald nach diesen bald wiederum nach jenen Titel nennen und anmelden lassen.
Es scheinet dieses aus einer Unbedachtsamkeit, Ehrgeitz und etwann
Leichtsinnigkeit herzufliessen, und giebet Gelegenheit zu manchen Critiquen,
deren einer sonst könnte überhoben seyn, doch gestehet man auch dieses gantz
gerne, daß bisweilen Umstände vorhanden seyn können, da einer nach besondern
Staats-Ursachen, nachdem er unterschiedenen
Bedienungen
zugleich vorstehet, und nach deren Unterscheid etwas zu handeln hat, oder
nachdem bey dieser oder jener
Fürstlichen
Person, bey diesem oder jenem
Minister, dieses oder jenes Prädicat in Ansehung gewisser Umstände oder
Historien, angenehmer oder verhaßter ist, u.s.w. auf eine vernünfftige Weise
bald diesen bald wiederum einen andern Titel erwehlen kan. |
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