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Zedler: Titul [Charakter] [3] HIS-Data
5028-44-473-1-03
Titel: Titul [Charakter] [3]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 44 Sp. 486
Jahr: 1745
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 44 S. 256
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Übersicht
Austeilung der Titel
Adlige mit bürgerlichen Titeln

Stichworte Text  
Austeilung der Titel Es ist mehr als zu bekannt, wie seltsam es bey Austheilung der Titel hergehe. Mancher muß einen Titel annehmen, der sich vor seine Umstände im geringsten nicht schickt, und zu einer Bedienung gebrauchen lassen, dazu er weder Lust noch Geschicklichkeit hat, und hingegen eine andere, ihm anständiger wäre, entbehren. Das Geld, die vornehmen Freundschafften, das äusserliche Ansehen, eine lasterhaffte Vertraulichkeit mit einem viel vermögenden Frauenzimmer, helffen manchen zu einem Titel und zu einer Charge, der sich dazu schickt, wie der Esel zum Lautenschlagen, öffters bleiben solche Leute in ihrer Ungeschicklichkeit und Unerfahrenheit vor wie nach, und ergötzen sich entweder, wenn sie blosse Titulares, mit dem Gelde und dem Staat, oder lassen sich doch unbekümmert, ob sie dem Amte mit ihrer oder mit Schande vorstehen, ob sie es selbst, oder durch andere verwalten lassen.  
  Bißweilen werden aber auch wohl einige Ehrgeitzige durch den Titel, der an und vor sich selbst keine Geschicklichkeit zuwege bringt, angetrieben, daß sie sich zu der Bedienung, davon sie die Benennung führen, nach und nach qualificirter machen, und manchen spöttischen Urtheilen der Leute, die sich sonst über sie aufhalten, desto eher entgehen. Vielmahls zwingt sie die Noth, daß sie sich eine grössere Geschicklichkeit zuwege bringen müssen, wenn ihnen andere die Qualitäten zutrauen, die zu dem Amte, davon sie den Titel führen, erfordert werden, und gleichwohl niemand weder um sich, noch unter sich haben, dem sie hierbey können zu Rathe ziehen, oder mit dem sie ihre Ungeschicklichkeit vermänteln können.  
  Solte nun ein junger Cavalier  
  {Sp. 487|S. 257}  
  oder sonst jemand in der Welt das Glück haben, daß ihm ein grosser Herr von freyen Stücken ohne darum anzuhalten, einen Character mit oder ohne Besoldung offeriren solte, so hat er vorhero folgendes dabey in Betrachtung zu ziehen.  
 
1) Ob ihm auch hierdurch in der That grössere Ehre zuwachse, als er vorher gehabt?
 
 
2) Ob er die Geschicklichkeit besitze, die zu Bekleidung dieses Characters erfordert wird?
 
 
3) Ob er soviel Einkünffte entweder selbst habe, wenn es ein blosser Titel wäre, oder da es eine Bedienung, oder die Besoldung dabey soviel austrage, als wohl erfordert wird, diesen Character mit Ehren zu behaupten, und
 
 
4) ob sich dieses Prädicat mit seinen übrigen Umständen wohl vereinigen lasse, und ihm eine wahre und beständige Zufriedenheit des Gemüths verschaffen könne?
 
  Bey dem ersten Stück muß er überlegen, ob dieser Titel entweder überhaupt, oder doch in Ansehung seines Standes und seiner Lebens-Art, die er sich erwehlt, ungewöhnlich, seltzam und disrenomirlich, oder gewöhnlich und ihm renomirlich sey? Denn sonst würde er hierbey mehr geschimpfft, als geehret werden.  
  Bey dem andern, ob er die nöthige Fähigkeit entweder besitze, oder sie doch mit der Zeit erlangen möchte? Gleichwie kein Meister gebohren, und also kan auch ein junger Mensch bey Antritt seiner Charge nicht die Wissenschafft und Erfahrung haben, die sich ein anderer, der diesem oder jenem Amte einige Jahre vorgestanden, zuwege gebracht. Die Erfahrung nimmt mit den Jahren zu, es ist genung, wenn er bey sich befindet, daß er sich auf dasjenige, wozu er gebrauchet werden soll, ziemlich applicirt, die Fundamente davon sich bekannt gemacht, und zu den Verrichtungen, die diesem Prädicat eigenthümlich sind, Lust hat. Ausserdem aber würde er sich bey jedermann verächtlich machen. Es würde also einer, der sich Zeit seines Lebens auf die Studia geleget, sich um das Reiten nicht bekümmert, und gar keine Erkänntnis von Pferden besitzt, schlechte Ehre erlangen, wenn ihm die Bedienung eines Stallmeisters angetragen werden solte.  
  Bey dem dritten Stück, da er seinen Beutel zu rathe ziehet, muß er seine Gedancken nicht allein auf das Gegenwärtige sondern auch auf das Zukünfftige richten. Es ist nicht genung, daß er sich getrauet einige Jahre auszuhalten, und den Staat mitzumachen, sondern er muß auch den Überschlag machen, ob er ohne das seinige zu verzehren, und die Capitalien anzugreiffen, die Ausgaben seinem Herrn oder seinem Titel zu Ehren, beständig fortsetzen könne. Es ist eine elende Sache, wenn der Character das Vermögen verzehrt, da einer in seinen männlichen Jahren, wie ein grosser Herr lebt, hingegen auf das Alter, wie ein characterisirter und titulirter Bauer. Bey seinen Ausgaben darff er eben nicht auf die Reichsten und Wohlhabensten seine Augen wenden, sondern es ist genung, wenn er seine Sachen hiebey so anstellt, daß die Herrschafft und seine Vorgesetzten mit seiner Aufführung zufrieden, seines gleichen ihn ihres Umganges und Freundschafft würdig achten, und die Geringen ihm diejenige Ehre erzeigen, die sie dem andern nach seinem Stand und Character zu erweisen schuldig sind.  
  Bey dem vierdten Stück  
  {Sp. 488}  
  muß er alle und jede Umstände die mit den Character verknüpfft sind, und seine eigene Person, das ist, seinen innerlichen und äusserlichen Zustand angehen, auf das fleißigste und sorgfältigste untersuchen. Befindet er nun, daß alles dieses mit seinen Umständen so genau übereinkomme, daß ihm durch dieses oder jenes Prädicat ein höherer Grad der Gemüths Ruhe zuwachse, als er vorher gehabt, und ihm dieselbe, soviel er endlich nach seiner jetzigen Vermuthung beurtheilen kan, durch eine darauf folgende Reue nicht unterbrochen werden möchte, so kan er im Nahmen GOttes sich vor diese Gnade respective allerunterthänigst und unterthänigst bedancken, und die Bedienung oder den Character annehmen.  
  Nachdem sich nun die Fälle heutiges Tages so gar öffters nicht zu tragen, daß einem die Titel, ohne darum Ansuchung zu thun, von freyen Stücken solten angebothen werden, und doch aus einem Prädicat so groß Werck gemacht wird, so fragt sichs, ob nicht ein junger Cavalier wohl thut, wenn er selbst um einen Titel bey einem grossen Herrn anhält? Solte man einem Quacker die Entscheidung dieser Frage vorlegen, so würde er sie alsobald mit dem grösten Eyfer verneinen, sintemahl sie wieder alles Ceremonien- und Titular-Wesen auf das höchste erbittert sind, sie nennen die Titel Luciferische Ehre, verfluchte Ehren-Nahmen, Narren-Titel, Bestien-Character u.s.w. Sie haben hierinnen ihre Freyheit, und müssen andern Leuten auch ihre Freyheit lassen. Ihre Sätze finden, in der Klugheit zu leben, und in der Ceremoniel-Wissenschafft kein Gehör.  
  Überhaupt ist es schwer, einem hierinne eine Regel vorzuschreiben, sondern es beruhet dieses auf eines jeden Umständen. Dieser handelt sehr thörigt, daß er um einen Titel Ansuchung thut, und jener hingegen vernünfftig, sintemahl sich Fälle ereignen können, da einer auch in diesem Stück, wieder seinen Willen genöthiget wird, der Opinion anderer Leute, an denen ihm etwas gelegen, seiner eigenen vorzuziehen. Da ein vernünfftiger Mensch keine eintzige Handlung, ohne daß er durch einen zureichenden Grund hierzu veranlasset werden solte, vornehmen muß, also muß er auch allezeit eine wichtige Ursache haben, wenn er um ein blos Prädicat (von dem jetzund die Rede ist) anhalten soll. Er muß vorher wohl überlegen, ob die gantze Verbesserung seiner Glückseligkeit bloß darinne bestehet, daß er dieses Titels theilhafftig wird, und einen andern Nahmen bekommt, als er vorhin gehabt; oder ob auch andere Stücke der wahren Glückseligkeit, die er sonst nicht sobald, und nicht so bequem erhalten können, damit vergesellschafftet, oder daraus herfliessen; er muß nicht bloß auf die äusserliche Ceremonien und Ehren-Bezeugungen sehen, die ihm andere nunmehr erweisen müssen; denn dieses sind Tändeleyen, sondern auf die wahre Ehre, die ihm hieraus zuwächst, ob er auch durch dieses Prädicat in der That tüchtiger werde, als vorhin, das Böse zu hindern, und hingegen die Ehre GOttes, seine und seines Nächsten Vollkommenheit mehr zu befördern.  
  Er muß sich vorher ebenfalls prüfen, ob er wohl so viel Geschicklichkeit besitze, daß er von andern Leuten dieses Titels nicht vor unwürdig geachtet, und dadurch mehr beschimpffet, als geehret werde. Es  
  {Sp. 489|S. 258}  
  ist zwar ein grosser Unterschied unter einer würcklichen Bedienung, und unter einen blossen Titel und Prädicat, und wird zu jedem wohl freylich mehr erfordert, als zu diesen. Da aber der Titel eine grosse Ähnlichkeit mit dem Amte selbst hat, und die Benennung den Schein von sich giebt, als ob sie mit der Bedienung einerley sey, zumahl bey denen, welchen unbekannt, ob einer im würcklichen Diensten stehe oder nicht; so muß auch ein Titulair, der sich bey vernünfftigen Leuten nicht lächerlich machen will, den Schein von sich geben, als ob er zu diesem oder jenem, davon er den Titel angenommen, nicht eben gantz und gar untüchtig sey.  
  Dieses, was von der Capacität gesagt, ist auch mit einiger Veränderung auf die Einkünffte zu appliciren. Ein Titulair hat freylich nicht nöthig, so viel Figur zu machen, als ein anderer, der in einem würcklichen Amte stehet, und die Besoldung bekommt, er muß sich aber doch auch so bezeigen, daß er seinem Prädicat gemäß lebet, und bey manchen Gelegenheiten, da es seines Herrn Ehre und Respect erfordert, dem würcklichen wenig oder nichts nachgeben, und also erweisen, daß er im Stande wäre, wenn er wollte, oder es nöthig wäre, denen andern, die in würcklichen Diensten stünden, sich bey seinen Ausgaben gleich aufzuführen.  
  Findet ein vernünfftiger junger Cavalier einen tüchtigen Grund, um ein Prädicat anzusuchen, oder er siehet, daß es mit seinen übrigen Umständen überein kommet, so hält er die Mode mit, und läst sich einen Titel geben, wo aber nicht, so lebt er ohne Prädicat ebenso geehret, so ruhig und vergnügt, und bisweilen noch glücklicher als manche Titulaire und würckliche Officianten. Weil ihm der Unterscheid unter der innerlichen und äusserlichen Ehren sehr genau bekannt, so weiß er, daß man auch ohne mancherley Ehren-Bezeugungen, die einem andere Leute, bisweilen wieder ihren Willen, erzeigen müssen, geehret leben könne.  
  Man siehet hin und wieder, auf dem Lande und in grossen Städten, unterschiedene rechtschaffene und kluge Männer, Adelichen und Bürgerlichen Standes, die ohne Titel und Character, bey Höhern, bey ihres gleichen, und bey Geringern, in grössern Ehren und Ansehen stehen, als andere betitulte. GOtt hat ihnen soviel Verstand und Erfahrung mitgetheilet, daß sie sich durch ihre Wissenschafften, oder doch sonst durch ihre Klugheit, vernünfftige Aufführung, öconomische Erkänntnis, u.s.w. besonders verdient gemacht, sie werden bey ihren Nachtbaren fast vor Wunder-Wercke angesehen, von denen sie sich in verwirrten Angelegenheiten guten Beyrath ausbitten, auch nicht selten von vielen characterisirten Leuten zu Rath gezogen, sie haben sich bey vielen nothwendig gemacht, die ihnen denn hernach gute Worte geben müssen, sie haben gelernet, sich mehr in sich, als unter den grösten Schwarm unartiger Leute zu vergnügen, sie befleißigen sich vornehmlich der wahren Ehre, und erlangen auch dadurch von andern viel äusserliche Ehren-Bezeugungen; sie haben entweder dabey ihr reichliches Auskommen, daß sie bey ihren äusserlichen viele von ihres gleichen übertreffen, und also auch bey dem Pöbel ein grösser Ansehen gewinnen, oder GOtt beschehret ihnen durch ihre Arbeit und Fleiß nothdürfftiges  
  {Sp. 490}  
  Auskommen, daß sie vor schmählicher Armuth gesichert sind, und bey ihrer guten Eintheilung ordentlich und ruhig leben.  
  Da nun einige meritirte und rechtschaffene Leute keine Prädicate und Titel verlangen, und dieselben auch wohl gar ausschlagen, so können diejenigen um desto eher gelassen seyn, die ihrer Bemühung, die sie daran wenden, ungeachtet denjenigen Character, um den sie Ansuchung thun, zu der Zeit, da sie ihn verlangen, nicht erhalten, sondern mögen inzwischen nur immer fortfahren, sich verdienter und qualificirter zu machen, so können sie an einem andern Ort, oder zu einer andern Zeit mit guten Grunde eines Prädicats erwartend seyn, und vielleicht mit mehr Realität als jetzund. Ein verweigertes kleines Glück an diesem Ort, hat schon manchmal zu einem grössern an einem andern den Weg gebahnet. Es wäre mancher unter Gelehrten und Hof-Leuten kein so vornehmer und angesehener Mann in der Welt geworden, wenn ihm nicht in den vorigen Zeiten ein schlechter Titel oder geringes Ehren-Ämtgen wäre abgeschlagen worden.  
  Gesetzt, daß sie auch gar keines Titels solten habhafft werden, welches man sich zwar bey denen, die Geschicklichkeit und gute Aufführung haben, und ihre Zeit erwarten können, fast nicht vorstellen kan, so können sie doch eben sowohl als die vorhin gedachten auch ohne Prädicat als geehrte Leute leben. Es haben sich viele durch ihren blossen Nahmen höher geschwungen, als andere durch die grösten Ehren Chargen, und denselben zu einem ansehnlichen Titel gemacht. Besitzen sie Verdienste, so haben sie auch mit guten Grund Ehren-Stellen zu hoffen. Fehlet es ihnen aber an Verdiensten, so gereicht ihnen auch alle äusserliche Titulatur mehr zur Beschimpffung, als zur wahren Beehrung.  
Adlige mit bürgerlichen Titeln Da der Adel heutiges Tages so überhäufft ist, daß die Bedienung, die man bisher den Edelleuten zugeeignet, fast nicht mehr hinlänglich seyn wollen, und alle diejenigen, die deren begierig oder benöthiget, zu versorgen, und mancher auch wegen seiner schlechten Einkünffte nicht in im Stande ist, einen Adelichen Staat zu führen, so wird einer und der andere gezwungen, sich auf etwas anders zu appliciren, und gewisse Ämter, Academische Würden oder Verrichtungen zu erwehlen, die bis anhero unter dem Adel nicht Mode gewesen, und man Bürgerliche zu nennen pfleget.  
  Wie nun dergleichen Entschluß manchen Leuten, denen es an gehöriger Scharffsinnigkeit fehlt, ungewöhnlich und wunderseltsam vorkommt, auch dahero manchen besondern Urtheilen unterworffen wird; also wird nicht undienlich seyn, hier eine und die andere vernünfftige Betrachtung darüber anzustellen.  
  Vorerst setzet man dieses zur Regel, daß ein junger Cavalier, soviel als möglich, seine Handlungen so einrichte, damit er sich und seinen Zustand vollkommener mache, und hingegen alles unterlasse, was ihm entweder in der That und Wahrheit, oder doch nur dem Schein, und der irrigen Opinion der Welt nach, unvollkommner machet. Der Schein und die Einbildung der Menschen, ob sie schon keinen Grund hat, würckt hier eben soviel, als die Wahrheit. Da die Welt in ihrem Verstande gröstentheils verblendet, die Irr-  
  {Sp. 491|S. 259}  
  thümer hegt und vertheidigt, und sich davon nicht will abbringen lassen, so muß auch ein vernünfftiger Mensch bey seiner Aufführung diese Irrthümer zugleich mit vor Augen haben, damit er ihren, ob zwar irrigen Urtheilen entgehen möge, und hingegen der Opinion, und der einmahl eingeführten Mode Folge leiste.  
  Soll nun aber ein junger Cavalier diese unumstößliche Regel zu seiner Vorschrifft annehmen, so muß auch keiner, den GOtt mit soviel zeitlichen Gütern gesegnet, daß er seinen Adelichen Stand nach, sich gemäß aufführen, und cavalirement leben kan, dergleichen Lebens-Art, Bedienung oder Academische Würde annehmen, die von denen andern vor etwas ihnen unanständiges angesehen werden. Ein solcher Cavalier würde sich, theils von denen, die mit ihm gleichen Standes, theils auch von den Geringeren, ihn aus Neid und Jalousie verachten würden, mancherley Verspottung, Verdruß, leichtfertige Critiquen, Stachelreden und höhnische Geberden, daraus seiner innerlichen und äusserlichen Glückseligkeit mancherley Hindernisse erwachsen würden, über den Hals ziehen, denen er entgehen könnte. Es stehen ihm ja nach seinen Umständen, allerhand Wege vor, zumahl, wenn er mit seinem zeitlichen Vermögen, Fleiß, Geschicklichkeit auch gute Qualitäten verbindet, sich solche Beförderer zuwege zu bringen, durch welche er eine ansehnliche Adeliche Charge überkommen kan.  
  Treibet ihn sein natürlicher Zug zu einer gewissen, in eine höhere oder geringere Facultät lauffende Wissenschafft, so ist es ihm ja unverwehrt, dieselbe aus dem Grunde zu studiren, und die hierinnen erlangte Gelehrsamkeit durch öffentliche Specimina an den Tag zu legen, auch sich selbst und seinen Nächsten auf mancherley Weise damit Nutzen zu schaffen, ohne daß er ein öffentlicher Lehrer und Prediger wird, oder advociret, oder als ein Medicus in der Welt herum ziehet. Will er erweisen, daß er in der Gelehrsamkeit denen, welchen man Academische Würden zur öffentlichen Belohnung ihres Fleißes auszutheilen pfleget, gleich gekommen, so kan er sich ja eben sowohl, als wie sie, dem Examini rigoroso unterwerffen, ohne daß er nöthig hat, mit der angenommenen Doctor-Würde zu prahlen, und in der Adelichen Bedienung GOtt und dem Lande so gute, und wohl noch bessere Dienste leisten, als bey dem Bürgerlichen Employ.  
  Gleich wie sich aber die Menschen nicht in einerley Umständen befinden, also können auch nicht einerley Regeln allen zu einer Vorschrifft dienen, sondern die verschiedene Fälle bringen mancherley Ausnahmen bey den Regeln zuwege.  
  Diejenigen hingegen von Adel, welche sich in solchen Umständen befinden, daß sie bey ihrer Adelichen Lebens-Art ihre Glückseligkeit und Vollkommenheit überhaupt, entweder gar nicht oder noch nicht so bald bequem befördern können, als bey einer andern, handeln sehr vernünfftig, wenn sie sich auf etwas, so andere vor Bürgerliche achten appliciren. Der stärckere Grund der einen zu einer Handlung nöthiget, schmeisset den schwächeren allezeit übern Hauffen. Man ist niemahls schuldig, den Wahn der Leute zu folgen, wenn er uns an unserer Glückseeligkeit und Vollkommen-  
  {Sp. 492}  
  heit hinderlich ist. Es ist anständiger, eine Zeit lang bey einem Bürgerlichen Employ seine Geschicklichkeit zu erweisen, und sich dadurch auf eine geschwindere und renomirlichere Weise den Weg zu einer ansehnlichen Adelichen Charge zu bahnen, bey der einer Zeit seines Lebens Ehre und Versorgung hat, als viele und lange Jahre auf dem Expectanten-Bänckgen zu sitzen, und sich mit leeren Winde der Hoffnung, und beständiger Anmahnung zur Gedult abspeissen lassen. Es ist auch vernünfftiger bey einem sogenannten Bürgerlichen Ehren-Amte sein Leben mit Ehre und Ruhe zu beschliessen, GOtt, seinem Landes-Herrn, oder doch dem gemeinen Wesen zu dienen, als ein Cavalier de Fortune und wie ein inutile terrae pondus in der Welt zu leben. Es ist weiser eine Academische Würde anzunehmen, und sich durch Disputiren, Practiciren, Collegia halten, u.s.w. bey wahren Weltweisen Ruhm und Ehre zu erwerben, als mit der Adelichen Würde die Bürde der Verachtung und Unwissenheit zu vereinigen.  
  Bey Beurtheilung der bürgerlichen Verrichtungen, bürgerlichen Dignitäten und Ämter stecken greuliche Irrthümer, die aus Unwissenheit, aus einer thörichten Mode-Sucht und aus Hochmuth ihren Ursprung herleiten.  
 
1) Ist es irrig, daß die Feder nicht eben so gut seyn solte, als der Degen und die Musquete.
 
 
  Denen Printzen, Grafen und Edelleuten, und wenn es auch die Söhne der grösten Minister seyn solten, wird es vor einer Ehre geachtet, wenn sie im Kriege von unten auf, und von der Musquete an avanciren, und hingegen bey der Feder in Collegiis, wollen sie gleich Obersten und Capitains, das ist, grosse Räthe werden, da doch mancher nicht capabel ist, einen Copisten abzugeben. Hätte einer oder der andere von unten auf gedienet, so könnte er mit bestem Grunde die Subalternen corrigiren, und dürffte nicht von ihnen lernen.
 
 
  Die Geringeren folgen in den andern Stücken so gerne den Meynungen der grossen Herren, und nehmen dieselben zu ihrer Richtschnur an, und gleichwohl wollen sich viele von Adel hierinne nicht nach ihnen confirmiren. Kayser, Könige, Churfürsten, Fürsten machen hiebey nicht den Unterscheid, den solche Leute zu machen pflegen, sie belohnen öffters die Tugend und Verdienste ohne Unterscheid des Standes, sie betrachten die geringern bürgerlichen Ämter, welche die von civilen Stande mit Ehren bekleidet, als Stuffen, die sie auf die höchsten Stuffen der grösten Adelichen Chargen erheben. Viel bürgerliche Verrichtungen legen den Grund-Stein zu Adelichen, Bürgerlichen und Gräflichen Dignitäten.
 
 
  Wenn manche doch in diesem Stück auf die sonst von ihnen so hoch geschätzte Ahnen ein wenig zurücke sehen wolten. Vor ein paar hundert Jahren schätzten sichs die Ober Großälter-Väter vor eine Ehre, wenn sie das Amt eines Predigers, eines Amtmanns, eines Bürgermeisters, u.s.w. verwalten konnten, oder geschickt waren, eine Academische Würde anzunehmen, und ihre Ur-Enckel achten sich dergleichen vor eine Schande, und beschimpffen also hierinne ihre Vorfahren, von denen sie doch allen ihren Glantz herleiten wollen. Fast alle
 
  {Sp. 493|S. 260}  
 
  Ausländer sind hierinnen kluger als wir Teutschen. Die Edelleute in Franckreich, Italien, Engelland, und in den Nordischen Königreichen achten sich im geringsten nicht vor disrenomirlich, einige Academische Würden oder Bedienungen anzunehmen, oder sich sonst einigen Verrichtungen zu unterziehen, die ein grosser Theil unseres Adels in Teutschland vor bürgerlich und ihnen unanständig ansehen will. Es haben demnach einige von unseren deutschen Edelleuten, sonderlich vom Eingang dieses Jahrhunderts an, sehr wohl gethan, daß sie durch alle die Vorurtheile, die andere bisher bestrickt hielten, glücklich durchgebrochen, und zu Beförderung ihrer Ehre und Zufriedenheit, auf dergleichen Wegen sichere Vorgänger gewesen, denen andere, die sich mit ihnen in gleichen Umständen befinden, nachfolgen können.
 
     

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Stand: 3. April 2013 © Hans-Walter Pries