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Zedler: Titul [Charakter] [1] HIS-Data
5028-44-473-1-01
Titel: Titul [Charakter] [1]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 44 Sp. 473
Jahr: 1745
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 44 S. 250
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Übersicht
Arten
Entwicklung

Stichworte Text  Quellenangaben
  Titul,  
 
  • Lat. Titulus oder Character,
  • Frantz. Titre, oder Qualité und Charactèré
  • Ital. Titolo,
 
  bedeutet ferner diejenigen Ehren-Bezeugungen, die wir nach Erforderung der Zeit, des Standes, des Amtes und der Würde, des Geschlechts und Alters, aus unterthäniger Schuldigkeit, geziemenden Respect, Höflichkeit, und mit einem Worte, aus wohl eingerichteter Sittsamkeit, in Bürgerlicher Gesellschafft, in Umgang mit Höhern, Gleichen und Geringern, in unvermeidlichen Biref-Wechsel, in mancherley Angelegenheiten, beyzulegen pflegen, damit alle Unordnung in einer wohl angestellten Republick vermieden, und die Personen unterschiedentlich nach ihrem Werth geschützet werden.  
  Es kürtzer zu sagen, so sind die Titel gewisse Wörter oder Nahmen, welche in einer Bürgerlicher Gesellschafft eingeführet sind, damit sie zum Unterscheid der Personen und zur Ordnung in der Republick dienen, indem man daraus erkenn soll, wie ein jeglicher zu schätzen sey.  
  {Sp. 474}  
Arten Man hat dreyerley Arten von Titeln, als: Stands- Ehren- und Amts-Titel.  
  Einige sind Stands-Titel, wie die von Adel ihre besondere Titel haben, dadurch sie sich von den Bürgerlichen unterscheiden; unter sich aber nach der Beschaffenheit ihres Stands darinnen unterschieden sind. Könige, Fürsten und Herren führen in ihren Titeln neben der Benennung ihres Standes, auch die Nahmen der Lande und Herrschafften, nicht nur die sie würcklich besitzen; sondern auch, dazu sie ein Anrecht haben, solches besser zu behaupten.  
  Andere sind Ehren-Titel, welche nur zur Hochachtung dienen sollen, als wenn der Kayser Advocatus Ecclesiae, Franckreich Christianissimus et Primogenitus Ecclesiae, Spanien, Catholicus, und Engelland Defensor fidei genennet wird; ingleichen wenn man einen Hochgelahrt, Hoch-Ehrwürdig nennet, und einem in Abstracto den Titel Excellentz, Durchlauchtigkeit, u.s.f. beyleget.  
  Noch andere sind Amts-Titel; wenn einer ein Superintendent, Professor, ein Rath u.s.w. heisset, welche nach den unterschiedenen Ämtern in einer Republick vielerley sind, nachdem man entweder eine Weltliche; oder Geistliche; oder Kriegs-Bedienung hat. Doch ist hierbey noch dieser Unterscheid. Einige führen den Titel nebst würcklicher Bedienung; etliche hingegen haben nur den blossen Titel, daher man unter andern die würcklichen Räthe von den Titulatur-Räthen zu unterscheiden pfleget.  
Entwicklung Was den Ursprung der Titel anlanget, so behaupten einige, daß die Titulatur mit der Herrschafft (Dominio) zugleich eingeführet worden. Denn nachdem sich die Menschen nach dem Fall vermehrten und die meisten von der Art waren, daß sie durch Verlassung der natürlichen Gesetze, die ihnen die gesunde Vernunfft eingab, anfiengen, Tugendsamen und wohlgesinneten Gemüther mit ihrer unbändigen Aufführung zu beleidigen, so brachten sie es dahin, daß diese auf Mittel bedacht waren, sich wider solche unbescheidene und ungerechte Anfälle in einem sichern Stand zu setzen; und weil sonderlich die bisherige allgemeine Freyheit an einer solchen Sicherheit hinderlich gewesen, so muste durch Abschaffung derselben nach und nach die Herrschaft eingeführet, und dadurch allem Unfug durch Zwang und Straffe gewehret werden.  
  Weil nun hierdurch die allgemeine Gleichheit der Menschen aufgehoben wurde, musten einige Herren, andere Bürger, und wieder andere Knechte seyn. Damit nun ein jeder in seinem Stande unterschieden bliebe, und die Republick durch keine Unordnung wieder in Gefahr ihrer Sicherheit käme, musten die Niedern die Obern ehren, und ihnen allen Gehorsam und Respect erweisen, wodurch es denn geschehen, daß gewisse Titel und Ehren-Nahmen vor die Höhern nach und nach eingeführet worden. Und solchem nach kan man mit andern auch sagen, daß die Titel und Ehren-Stellen in den ältesten Zeiten ihren ersten und rechten Ursprung aus der Tugend hergehohlet haben.  
  Die sich in dem Kriegs-Actionen wieder die Feinde signalisiret, wurden Mannhaffte genennet, die sich in dem Geistlichen Stande vor andern einer besondern Devotion befliessen, ach-  
  {Sp. 475|S. 251}  
  tete man vor Würdige und Andächtige, und legte ihnen dahero diese Titulatur bey, die sich sonsten durch ihr löbliches Beginnen Verdienste zuwege gebracht, hieß man die Edlen u.s.w. und also zeigten die Titel damahls allezeit die Verdienste an, und die Leute waren dasjenige in der That, was man sie nennte.  
  Diese Benennungen gefielen den andern, weil sie sahen, daß sie mit mancherley Prärogativen vergesellschafftet waren, da sie aber sich nicht durch eigne Tugenden den Weg hiezu bahnen konnten, so sahen sie, wie sie sonst dieser Titel theilhafftig wurden. Sie bemüheten sich, es bey grossen Herren dahin zu bringen, daß man sie doch auch für solche verdiente Leute ansehen möchte, die Söhne bathen sich auch aus, daß man sie eben so, wie ihre Väter beehrte. Hierbey fanden sich Schmeichler, die sich um ihres Eigennutzes Willen nach den Ehrgeitz solcher Leute richteten, und ihnen dergleichen Ehren-Benennungen gaben, und so wurden nach und nach die Wörter, mit denen man sonst die Verdienste tugendhaffter Leute beehret hatte, zu blossen Nahmen und Titeln.  
  Die Zeiten haben bey dem Titel-Wesen einen sehr grossen Unterscheid eingeführet. Wer in der alten Teutschen Historie nur ein wenig bekannt, der weiß, daß vor diesen die Benennung, Schalck: Kerl, Hachen, Rendt, und dergleichen, den starcken tapffern Helden und jungen Edelleuten zugeschrieben worden. Siehe Joh. Matthesii 43 Sündfluths-Predigt.
  Man komme aber jetzund aufgezogen, und nenne einen jetzigen von Adel einen Rendt, und einen starcken rüstigen Kriegs-Mann, einen Hachen oder Hengst, wie jener König der Sachsen und Britonen hieß, so wird er ihn gewiß auf das Duell-Mandat verklagen.  
  Manche Titel wurden ehedessen Hof- und Staats-Leuten beygelegt, mit denen jetzund kaum die Gelehrten wollen zufrieden seyn, wovon Baudisii Dissertatio de Titulis quibusdam olim aulicis, nunc vero academicis, nachzulesen.
  Die Titel sind nicht allein von ein paar Jahrhunderten, sondern auch nur von ein 50 Jahren her gewaltig gestiegen, vor zwey bis dreyhundert Jahren waren die Chur-Fürstlichen und Fürstlichen Prinzeßinnen mit dem Titel der Fräulein zufrieden, und bey unsrer Zeit fangen manche von den Adelichen ledigen Frauenzimmer an das Maul zu rümpffen, wenn man sie Fräulein schlechtweg nennt, und nicht das Ehren-Bey-Wort gnädig hinzu fügt, oder sie gar gerne ihren Ehrgeitz zu sättigen, und den Kützel ihrer Ohren zu vergnügen, mit Ihro Gnaden, Gnädig Fräulein, betituliret.  
  Unsere Groß-Väter von Adelichem Stande begnügten sich, wenn sie von den Geringern Ihro Gestrengten genennt wurden, und viele von unsern jetzigen Cavaliern würden denjenigen vor einen Phantasten halten, der sie unter dieser Benennung beehren wolte.  
  Unsere Adeliche Mütter und Groß-Mütter hiessen vor ein 50 bis 60 Jahren noch Jungfern, und jetzund will sich fast eines gemeinen Kramers-Tochter dieses Titels schämen, und das Wort Mademoiselle lieber hören.  
  Es sind auch wohl einige Titulaturen an einigen Orten, von einigen Jahren her, so viel man erachten  
  {Sp. 476}  
  kan, auf einen höhern Grad getrieben worden. Also war es zu Eingang dieses Jahrhunderts noch ziemlich fremde und unbekannt, daß man die hohen Staats-Minister mit dem Bey-Wort Ihro Hohe Excellentz beehrte, oder ihre Gemahlinnen, Excellentz titulirte, welches zu unsern Zeiten Mode worden.  
  Von den Zeiten an, da man angefangen, bey den Titeln mehr auf die Geburth, als auf die Tugend, mehr auf blosse Dienste, als Verdienste, mehr auf den Stand als Verstand, mehr auf Geld und äusserliches Ansehen, als auf Löbl. Handlungen zu sehen, ist die Titel-Sucht in allen Ständen gewaltig gestiegen, und durch ihre Veranlassung sind zugleich mancherley Laster eingeführet worden, insonderheit die Pracht, die Unmäßigkeit im Essen und Trincken, und die Verschwendung. Die höhern Titul erfordern grössere Ausgabe, bey der Kleidung, bey der Equipage, in Ansehung der Wohnung, der Bedienten, u.s.w. Die Titel haben zu und hingegen das Geld hat abgenommen; daher auch ein gewisser Autor nicht ohne Grund auf folgende Art gereimet:  
  Da man schrieb dem Erbaren und Frommen,
Da war noch etwas in der Welt zu bekommen,
Da man schrieb dem Gestrengen und Vesten,
Da war auch noch etwas zum Besten,
Nun man aber schreibt dem Hoch- Wohl- und Edelgebohrnen,
Ist Gut und Geld auf einmahl verlohren.
 
  Und ein alter Bauer sagte einstens: Daß damahls gute Zeiten in der Welt gewesen, da die Gnädigen Herren, Ihro Gestrengten, die Careten, Wägen, und die Maitressen, Huren genennet worden.  
  Der Grund der Titel-Sucht beruhet auf einer falschen Einbildung, als ob die vom höhern Stande, grössern Rang, oder ansehnlichen Prädicat sich in einem höhern Grade der Glückseligkeit befänden, denn die andern. Um deswillen wollen die Bauern dem Bürgerlichen, die Bürgerlichen Personen dem Adel, der Adel den Höchsten Standes-Personen gleich geachtet seyn. Sie formiren aber hierbey auf zweyerley Weise unrichtige Schlüsse, einmahl, da sie dasjenige denen Titeln zuschreiben, welches doch im geringsten nicht von ihnen gewürcket wird, sondern ohne sie bestehet, und kräfftig ist; und zum andern, da sie den äusserlichen Schein der Glückseligkeit, der um einige Titel und hohe Ehren-Stellen gläntzet, vor ein wahres Gut erkennen. Wenn sie mit ihren Gedancken in das innerliche Wesen solten eindringen, so würden sie erkennen, daß die Ehren-Würden nicht allein vor langer Zeit bereits Bürden genennet worden, sondern daß auch mancher Titel demjenigen, der ihn führet, und führen muß, mehr zur Last, als zur Zufriedenheit gereiche.  
  Wie gut wäre es doch, wenn man bedächte, das gröste Glück, welches man wünschen möchte, wäre dieses, daß man so viel hätte, womit man den von GOTT einen gegebenen Stand ehrlich bekleiden könnte, ohne die Augen auf  
  {Sp. 477|S. 252}  
  einen höhern zu richten, als welcher vor einen andern bestimmet ist. Man solte sich genügen lassen, in demjenigen Stand zu seyn, welcher einem von GOtt gegeben, und glauben, daß sich alle die andern vor uns nicht schicken würden. Man solte allemahl zwischen seinem Ehrgeitz, und einem höhern Stande einen Vorhang vorziehen, damit uns derselbe nicht verblendete. Siehe de la Serre vergnügter Mensch p. 118.
  Ob sich schon die unmäßige Begierde nach grössern Titeln bey allerhand Fällen äussert so erweiset sie sich doch nirgends mehr, als wenn die Benennung des Standes, oder der Bedienung, vor vielen Leuten abgelesen, oder sonst vermeldet und kund werden soll. Es erfahren dieses insonderheit die Herren Geistlichen bey Haltung der Leichen-Predigten, bey denen Aufgeboten, und bey andern öffentlichen Abkündigungen, da sie bisweilen die Titulaturen nicht so prächtig einrichten können, als die andern verlangen, oder sie ihnen die Vorschrifften hier zu ertheilen. Es wäre besser, wenn manche Priester, aus Eigennutz der thörichten Begierde der Menschen, auf der Cantzel nicht so schmeichelten, als wohl zu geschehen pfleget. Es entstehet hieraus manche Unordnung.  
  Wunderseltsam läßt es, wenn sie die Titel auch bis auf die Seeligkeit erstrecken, und die Seeligkeit, nach Proportion des Standes, der Ehren-Stelle, auch wohl bisweilen der Einkünffte, die der Verstorbene hinterlassen, der Discretion, die sie von den Erben vor die Leichen-Predigt, der Vermuthung nach, zu hoffen haben, u. der Hochachtung, die sie vor den Verstorbenen gehabt, austheilen wollen. Einige von dem höchsten Stande nennen sie Höchstseelig, andere Hochseelig, noch andere Wohlseelig; der gemeine Mann aber muß bloß mit Seelig vorlieb nehmen; Manche wollen sie in Christmildesten Andencken erhalten, andere in Gottseeligen, noch andere im seeligen Andencken, u.s.w.  
  Man muß sich in der That wundern, daß die grossen Herren in Deutschland, dem seltsamen Beginnen, und der thörigten Ehr-Begierde der Menschen, in Ansehung der Titulaturen in den Policey-Ordnungen nicht bald Anfangs fleißiger Ziel und Maaß gesetzt, als wohl hätte geschehen können und sollen. Es hätte durch ein gehörig Einsehen, mancher Jalousie, mancher Mißgunst und Unordnung, die hieraus erwachsen, können vorgebogen werden. Es ist aber zu vermuthen, daß in den künfftigen Zeiten vieles thörichte Wesen bey den Titeln, durch Landesherrliche Mandate wird abgeschafft, und bestrafft werden wie denn hierbey von einiger Zeit her hin und wieder einige Excesse bereits abgestellet worden.  
  Also liessen Ihro Königl. Majestät in Pohlen und Churfürstl. Durchl. zu Sachsen im Jahr 1710 im Monat May, zu Dreßden, die höchstlöbliche Verordnung ergehen, des Inhalts: Daß in Dero Landen, bishero sich nicht allein die Kirchen-Patronen, sondern auch die eingepfarrten Gerichts-Herren, nebst denen Ihrigen, unterstanden, sich so wohl in den allgemeinen Kirchen-Gebet, als auch in andern Vorbitten und Dancksagungen grosse und unzuläßige Titel beylegen zu lassen, und solche nach ihren Gefallen anzuordnen. Alldieweil sich aber nicht geziemen wolte, in dem Gebet, als welches in wahrer Demuth des Hertzens geschehen solte, mit grossen  
  {Sp. 478}  
  Titeln zu prangen; Sr. Königl. Majestät auch selbst, nebst Dero Königl. Hause, weder in dem allgemeinen, noch andern Gebeten, Dero völligen Titel hersagen liessen; Als hätten sie vor nöthig angesehen, alle unnöthige und umschweiffende Titel, als Hochgebohren, Hoch-Wohl gebohren, Gnädiger Herr, Gnädige Frau in denen Kirchen-Gebeten gäntzlich abzuschaffen.  
  Wenn man die Liebe zur Veränderung und Abwechselung, und die grosse Begierde der Menschen, nach höhern Dingen, nach grössern Titeln und neuen Benennungen, in etwas genauere Betrachtung ziehet, und einen Blick zugleich in die künfftigen Zeiten thut, so weiß man fast nicht, was man vor ein Urtheil fällen soll, wohin es mit den Titulaturen endlich noch kommen werde. Solten die Menschen, nach der bisherigen Weise, auf den Wegen, da sich die Geringern in allen Ständen die Titulaturen der Höhern von Zeit zu Zeit angemaßt, beständig fortgehen, und es solte ihnen kein Grentz-Stein gesetzt werden, so dürffte es in einem oder ein paar Jahrhunderten noch Mode werden, daß sich die von Adel werden Ihro Durchlauchtigkeit nennen lassen, und die Fürstlichen Personen hingegen werden wiederum mit gantz neuen Titeln prangen. Haben die Geringern, von ein paar hundert Jahren her, den Höhern ihre Titel weggenommen, was ist im Wege, daß sie nicht in denen künfftigen Zeiten, nach ihren Begierden eben so procediren solten? Es ist nicht zu vermuthen, daß die Welt künfftighin so Tugendhafft wird werden, daß sie ihren Ehrgeitzigen Begierden den Zügel völlig anlegen solte.  
  Einige meynen, die Menschen würden aus Noth getrieben werden, bey ihren jetzigen Titeln stille zu stehen, inmassen das Titel-Wesen jetzund auf seiner höchsten Spitze, und die deutsche Sprache so erschöpfft wäre, daß fast nichts neues mehr könnte ausgedacht noch hinzu gesetzt werden, man müste denn auf eine lächerliche und thörichte Weise, auf gantz neue und wunderliche Wörter fallen; Da aber hierbey alles auf die Opinion der Leute, und die Approbation der Höhern ankommt, die nach ihrem Urtheil und durch ihren Willen etwas vor wohlanständiger erklären können, und wenn es auch noch so wunderlich seyn solte, so ist noch Gelegenheit genung vorhanden, in den künfftigen Zeiten bey dem Titel-Wesen beständige Veränderungen vorzunehmen.  
  Die Ehrgeitzigen können ja immer noch aus andern Sprachen aus der Englischen, Italienischen, und Gott weiß, wo sonst her, wie es mit dem Worte Excellentz geschehen, neue Wörter herholen, und denselben gewisse Bedeutungen zuschreiben; sie könnten auch auf gantz neue, und jetzt ungewöhnliche Wörter der deutschen Sprache fallen, und ihnen eine gewisse Krafft beylegen. Wer weiß, ob die Nachkommen nicht einmahl darauf gerathen, und hohlen die ältesten Titulaturen aus den ersten Zeiten wieder her? Vielleicht gefällt es dem künfftigen Adel in hundert Jahren besser, wenn sie Hochachtbare und Ehrenveste gescholten werden, als Hoch- und Wohlgebohrne.  
  Die Welt wird ja ohne dem alles überdrüßig und belustiget sich an dem Fremden, es mag nun entweder gantz neu oder von andern Orten und Zeiten hergekommen seyn. Am allerwahrscheinlichsten ist, daß endlich der Kayser und die hohen Stände in Deutschland, der tho-  
  {Sp. 479|S. 253}  
  richten Titel-Sucht ihrer Unterthanen, völlig werden überdrüßig werden, alles ungereimte Wesen, so bis anhero dabey vorgegangen, bey den schärfsten Straffen verbieten, und ihnen mit vereinigten Kräfften einen Riegel vorschieben.  
  Die Opinion der Welt und die Mode der gegenwärtigen Zeit giebt in Erklärung der Titulaturen und Benennungen die beste Entscheidung. Die Geschicht-Schreiber und Publicisten mögen aus der ältesten Historie herleiten, wie sie wollen, daß einige Ehren-Wörter in der deutschen und lateinischen Sprache vor Zeiten eine vortreffliche Bedeutung gehabt, und den grösten Herren beygeleget worden. Werden sie nicht durch den jetzigen Gebrauch der Welt autorisiret, so kommen sie doch in kein Ansehen.  
  So sind auch manche Regeln der Rechts-Lehrer, dadurch sie nach ihren Sinn eines und das andere bey den Titulaturen ausmachen wollen, meistentheils von gar schlechter Krafft. Ob schon einige in ihren Schrifften behaupten, daß das Ehren-Wort Jungfer bloß den Doctor Töchtern, und denen, die mit ihnen in gleichen Rang und Würden stünden, zukäme, und daß hingegen theils die Töchter der Kauffleute, und der andern blosse Kauffmanns-Mägdgen solten genennet werden, so werden sie dem ungeacht doch wohl in dem Posseß des Jungfräulichen Tituls bleiben; Es ist auch davor zu halten, daß das Frauenzimmer von geringem Stande um desto eher diese Benennung behalten kan, weil manchen, die zwar bürgerlichen Standes, aber höherer Condition, dieser Titel gar spöttisch und verächtlich vorkommt, immassen sie davor lieber Demoiselle wollen genennet seyn.  
  Hierbey ist zu erinnern, was der Autor der Europäischen Fama, in dem XX Theile p. 795. anführet: Er meldet, daß man im Jahr 1703 in Franckreich, von alle dem Frauenzimmer, welche sich mit Unrecht Madame nennen liessen, eine gewisse Accise abgefordert; Es wäre aber nachgehends bald wieder geändert worden, denn man hätte dem König erwiesen, daß in Franckreich wenig Frauenzimmer über 14 Jahr anzutreffen, welche sich mit Unrecht Madame nennen. Ihro Majestät würden also viel besser fahren, wenn sie den Befehl änderten, und auf den unrechten Gebrauch des Wortes Demoiselle etwas gewisses legten, weil man sowohl in Franckreich als andern Ländern wahrgenommen, daß dieser Titel trefflich gemißbrauchet, und mancher Mensch dadurch betrogen würde.  
  Nachdem man heutiges Tages bey den Benennungen, die man dem andern zu seinen Ehren beylegen will, nicht mehr auf die Verdienste, wie vor diesen, sondern grösten Theils auf sein eigen Interesse siehet, wie man den andern etwa zu Beförderung seiner Absichten gebrauchen kan, und einem jeden eine ziemliche unumschränckte Freyheit hierinne zustehet, so trifft wohl bey der gantzen Welt ein, was Guevarra in seiner Beschreibung des Hof- und Land-Lebens p. 76. nur von dem Hofe sagt: Es will ein jedweder nur ein Wiedertäuffer seyn, in Mittheilung und Veränderung der Nahmen. Einen Hoffärtigen nennet man Edel und Vest, einen Verschwender Achtbar und Fürnehm, einen Verzagten, einen strengen Herrn, einen Unbarmhertzigen und Gestrengen, einen gnädigen Herrn, einen Heuchler, Fürsichtig, einen Ertzbösewicht, Hochweise, einen Zungendrescher, Hochge-  
  {Sp.480}  
  lahrt, einen Ehebrecher, einen Menschen, der sich beliebt zu machen weiß, einen Hannß in allen Gassen einen Emsigen, einen Schwätzer beredt, einen Geitzhals, häußlich und sparsam, und einen stillen Menschen heißt man einen Narren.  
     

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Stand: 5. April 2013 © Hans-Walter Pries