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Zedler: Willens, (Freyheit des) [7] HIS-Data
5028-57-131-6-07
Titel: Willens, (Freyheit des) [7]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 57 Sp. 169
Jahr: 1748
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 57 S. 98
Vorheriger Artikel: Willens, (Freyheit des) [6]
Folgender Artikel: Willens, (Freyheit des) [8]
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Übersicht
III. Historische Abhandlung
  1) Von den alten heydnischen Lehrsätzen
  2) Von den Jüdischen Urteilen

  Text Quellenangaben
  III. Historische Abhandlung.  
  Die Historie dieser Lehre ist zwar etwas weitläufftig, aber von grossem Nutzen; Weil die Erkänntniß derselben in vielen andern Stücken ein grosses Licht geben kan. Wenn man aber die verschiedenen Meynungen der Philosophen von dieser Materie einsehen will, so muß man wissen, daß davon auf unterschiedene Art gehandelt worden ist: Indem einige überhaupt diese Freyheit berühret, und zwar entweder directe, oder indirecte, daraus ihre Gedancken, als Schlüsse von diesem Puncte, leicht zu folgern sind; Andere hin-  
  {Sp. 170}  
  gegen insonderheit von der Freyheit in Ansehung der guten Verrichtungen geurtheilet haben. Dabey man nicht nur bey den Philosophen stehen bleiben, sondern auch aus der Kirchen-Historie die merckwürdigsten Umstände berühren muß, so fern die philosophischen, oder vielmehr der heydnischen Weltweisen Lehren, zu allerhand Irrungen bey den Christlichen Lehren Anlaß gegeben haben  
     
  1) Von den alten heydnischen Lehrsätzen  
  Machen wir den Anfang von den ältern Zeiten, so erinnert Jaqvelot in dem Examine theol. Baelii ... sehr wohl, man werde keinen Weltweisen antreffen, welcher die Freyheit des Menschen verworffen, ohnerachtet die meisten von ihnen solche Principien angenommen haben, die derselbigen schnurstracks entgegen sind.  
  Cicero de fato, cap. 17, schreibet: Ac mihi [9 Zeilen lateinischer Text] und zeigt damit an, daß einige geglaubet, es sey alles dem Schicksale dergestalt unterworffen, daß dasselbige die Krafft habe, alles nothwendig zu machen, da andere hingegen davor gehalten, die Bewegungen des Gemüths geschähen freywillig und ohne Schicksal.  
  Wie aber dieses eigentlich auf die natürliche und physische Krafft sich zu bewegen gehet; Also hat man auch zu untersuchen, was sie von der moralischen Freyheit, oder von der Freyheit, Gutes zu thun, gelehret haben, auf welche beyde wir bey dieser historischen Nachricht sehen wollen.  
  Den ersten Punct betreffend, ob die Seele, folglich auch der Wille, die Krafft habe, sich so wohl, als den Leib, zu bewegen, so theilen sich die alten Philosophen deswegen in zwey Theile. Einige legten dem Gemüthe eine freywillige Bewegung bey, wie denn Aristoteles de anima ... bezeuget, daß verschiedene dafür gehalten, es wäre die Seele die vornehmste bewegende Ursach. Plutarchus de placitis philosoph. ... berichtet, daß Thales zuerst diese Meynung angenommen, wenn er schreibt: Daß er der erste gewesen sey, der sich zu beweisen Mühe gegeben, wie die Seele allezeit in Bewegung sey, und sich selbst bewege. Dieses bekräfftigen auch Aristoteles, Cap. I, und Stobäus Eclog. physic. ...  
  Es führt zwar Diogenes Laertius ... unter seinen Sprüchen an, daß er gesagt habe, die Nothwendigkeit sey das stärckste, indem sie alles beherrsche; Es ist aber nicht zu verstehen, daß er ein unvermeidliches Schicksal, sondern vielmehr eine zufällige äusserliche Nothwendigkeit, die zuweilen unsere Freyheit hemmet, verstanden habe.  
  Nach des Plutarchus Zeugniß, in dem I Capitel, hat Pythagoras die Seele vor eine sich selbst bewegende Anzahl angesehen, worvon Marsilius Ficinus de immortalit. anim. ...  
  {Sp. 171|S. 99}  
  ausführlich handelt, und weisen will, wie sich dieser Weltweise die Seele als eine Zahl fürgestellet; Es ist aber alles sehr dunckel, und wir halten dafür, daß wir es heut zu Tage nicht wissen können, was er darunter verstanden habe. Nemesius de nat. hom. cap. 2, schreibet: Pythagoras [Ca. 5 Zeilen lateinischer Text].  
  Von dem Anaxagoras bezeuget Laertius ..., daß er gelehret habe, das Gemüth sey der Ursprung aller Bewegung.  
  Und nach dem Plutarchus de placit. philosoph. ... hat Plato die Seele durch ein vernünfftiges, und von sich selbst bewegtes Wesen, beschrieben; Welches auch aus seinen Schrifften, sonderlich dem Timäus, zu ersehen ist. Es schreibt zwar Proclus von ihm, ... er habe darinnen den Pythagoräern gefolget, daß er gelehret, es komme alles, was geschehe, von einer Ursache her, und habe alles von dem Schicksale und GOtt geleitet; Es scheinet aber, weil seine Beschreibung der Seelen allzudeutlich vorhanden ist, daß, wo er keine Ursach von den Würckungen angeben können, er GOtt und das Schicksal zu Hülffe genommen habe, ohne dadurch die natürlichen Ursachen auszuschliessen, vielweniger die Seele dem Schicksale zu unterwerffen.  
  Plutarchus de placit. phil. ... druckt die Sache am allerdeutlichsten aus, wenn er saget:  
  Plato mengt zwar die Krafft des Schicksals mit in das menschliche Leben, und die Würckungen der Seelen, doch behauptet er zugleich, daß auch wir selbst mit Ursach an solchen Bewegungen sind.  
  Cicero nimmt auch diese Meynung an. Denn nachdem er einst des Plato Beweisgründe, womit er die Bewegungs-Krafft der Seelen vertheidigen wollen, angeführet, so thut er Tuscul. quaest. ... hinzu, es empfinde demnach das Gemüth, daß es bewegt werde, und es empfinde zugleich, daß die Bewegung durch seine, und nicht durch fremde Krafft geschehe, wie dieses mit mehrern in den Deutschen Actis eruditor. ... in einer besondern Observation, davon Carl Franciscus Buddeus, ein Sohn des berühmten D. Buddeus, Autor ist, ausgeführet worden.
  Doch die Anzahl derjenigen ist nicht geringer, die in dem Gegentheil die Seele aller Bewegungs-Krafft beraubet, und sie in allen ihren Verrichtungen der Herrschafft eines Schicksals unterworffen haben. Hätten diese Welt-Weisen nach ihren Principiis raisonniret, so hätten die letztern die moralische Freyheit gäntzlich aufheben, und behaupten müssen, es stehe in keines Menschen Gewalt, Gutes, oder Böses zu thun, und könne er für nichts Rechenschafft geben.  
  Allein, wenn sie auf den Punct von der Freyheit des Menschen in den moralischen Verrichtungen kamen, so gedachten sie nicht an ihre Principia von der fatalen Nothwendigkeit, und ob sie gleich den Ursprung des Bösen von der Materie, und von einem besondern Principio, herführten, so behaupten sie in Worten doch diese Freyheit.  
  {Sp. 172}  
  Von den Stoickern ist bekannt, daß die Vertheidigung des unumgänglichen Schicksals, und einer fatalen Nothwendigkeit, einer von ihren vornehmsten Lehrsätzen gewesen sey. Zum Theil lehreten sie, daß die Himmlischen Gestirne, durch ihren Einfluß den Willen des Menschen zu gewissen Handlungen unwiderstreblich determinirten; Zum Theil aber, tribuirten sie diesen Zwang des menschlichen Willens dem Willen Gottes, als der höchsten Ursache; Wie man aus des Seneca Quaest. natural. ... und de beneficiis ... sehen kan.  
  Und gleichwohl konnten diese Weltweisen groß Wesen von der Macht und Freyheit des Menschen, Gutes zu thun, und tugendhafft zu leben, machen. Seneca sagt, Epist. 41, es sey närrisch, wenn man sich ein gutes und rechtschaffenes Gemüth ausbitten wolte, welches ein jeglicher von sich selbst erlangen könnte. Und Horatius bittet, auf Stoische Manier, sich zwar von den Göttern das Leben und Reichthum aus; Die Ausübung der Tugend aber wolte er selbst auf sich nehmen. Sed satis est, orare Jovem, qui donat et aufert, det vitam, det opes; aequum mihi animum ipse parabo, lauten seine eigenen Worte ...  
  Wie denn auch der gedachte Seneca Epist. 20, sich also vernehmen lässet:  
  Dahin laß alle deine Gedancken gehen, das schaffe, das wünsche, und die andern Wünsche überlasse GOtt, daß du mit dir selbst, und mit dem aus dir kommenden Guten, zu frieden seyst.  
  Dergleichen Aussprüche kommen auch bey dem M. Antoninus Philosophus de se ipso ad se ipsum, für, wobey Gatakerus, in Not. Lib. ... zu lesen ist.
  Das alles klingt nun gar prächtig; Riecht aber gar sehr nach dem Stoischen Hochmuthe, und wenn man philosophisch davon reden will, so kommt Alles sehr einfältig heraus, indem sie sich selbst widersprechen. Sie lehreten ein solches Schicksal, wodurch der Mensch aller Freyheit beraubet wurde; Und gleichwohl legten sie ihm solche in hohem Grade zu. Das war bey ihnen was gewöhnliches, daß sie Principia annahmen, und demselben schnurstracks entgegen philosophirten, welches schon Plutarchus, peri Stoikōn enantiomatōn, de Stoicorum repugnantiis ... gezeiget hat.  
  Cicero setzet, in dem oben angeführten Orte den Aristoteles auch unter diejenigen, welche der Lehre von dem Schicksal beygefallen wären; Und wenn gleich Voßius, in Fragm. de Manichaeis et Stoicis ..., erinnert, man fände in den Ethischen und andern Schrifften dieses Philosophen nichts davon, ja vielmehr das Gegentheil, daher sich entweder Cicero geirret, oder etwas davon in den sogenannten Exoterischen Büchern gestanden haben müßte, worinnen er der gemeinen Meynung nachzugehen pflege; So brauchen wir doch dieses nicht. Denn, wenn wir des Aristoteles Lehr-Sätze von der Bewegung, und von dem Wesen der Seelen, ansehen, so kommen sie sehr wohl mit dem Schicksale überein.  
  Dem ohngeachtet behauptet Aristoteles, diese Freyheit. So schreibet er, Ethic. ad Nicomach. ... zu Ende: Der menschliche Wille handle nach dem Befehle seiner Vernunfft; Und es stehe in des Menschen freyem Willen, so, oder  
  {Sp. 173|S. 100}  
  so zu thun. Wem ist aber wohl unbekannt, was in allen Aristotelischen Sitten-Lehren von der gedoppelten Freyheit des menschlichen Willens in Bestreitung der Affecten, von der Freyheit des Wiederspruchs und des Mannigfaltigen, (de libertate contradictionis et contrarietatis) vorgegeben und gelehret wird, daß durch diese Freyheit der Mensch von den unvernünfftigen Thieren hauptsächlich unterschieden werde; Daß sich in dieser Freyheit alle Imputation gründe, krafft welcher man einen Menschen vor den Urheber seines Thuns und Lassens halte, und ihn deswegen, nach Gelegenheit, lobe, oder straffe.  
  Nun mögen es die Aristotelicker besser, als Aristoteles selber, gemeynet haben, welchem es aber nicht so sehr, als den Stoickern, zu verargen, daß er sich wiedersprochen habe. Denn wenigstens ist nicht glaublich, daß er mit solchen Eyffer, wie die Stoicker, die Lehre von dem Schicksale angenommen, hat auch mit seiner Moral und der Tugend-Lehre ein gantz ander Absehen gehabt.  
  Die Pythagoräer, Platonicker und Stoicker, drungen auf die innerliche Verbesserung des Gemüths, und da war das Absehen an sich selbst gantz gut; Aristoteles aber wolte nur einen Staats-Mann, der sich in die Welt schicken könnte, zuschneiden. Daher lehrte er vielmehr eine Politick, als eine Ethick, und seine Tugenden bestunden nur in einer äusserlichen Einrichtung der Verrichtungen nach dem, was die bürgerlichen Gesetze und die Regeln des Wohlstandes mit sich brachte, dergleichen tugendhafftes Leben freylich in eines Menschen Gewalt stehet, und Aristoteles hatte bey dieser Meynung nicht nöthig, sich um den Ursprung des Bösen, und um die Freyheit des menschlichen Willens, groß zu bekümmern; Worvon Walch mit mehrerm in Exercitatione de atheismo Aristotelis, die in dem Parergis academicis stehet, gehandelt hat.
  Epicurus hat zwar das Ansehen, daß er mit dem fato nichts zu thun gehabt, und die Freyheit des Menschen behauptet. Denn der gieng darinnen von seinem Lehrmeister, dem Democritus, ab, daß er den Atomis, oder untheilbaren Cörpergen, ausser der perpendicularen Bewegung, dazu sie durch ihre natürliche Schwehre angetrieben würden, die Bewegung der Declination (Motum declinationis) beylegte, und zwar deswegen, wie Cicero berichtet, weil er sich befürchtete, daß man aus den natürlichen und nothwendigen Bewegungen eines jeden kleinen Theilgens schliessen könnte, daß wir gar keine Freyheit hätten, indem sich unser Gemüth in seinen Verrichtungen nach der Bewegung der untheilbaren Cörpergen richten müste.  
  Lucretius, der des Epicurs Lehren fürgetragen, sagt ... de rerum natur.  
  „Wenn immer die Bewegungen also an einander hangen, daß eine neue allezeit aus der vorhergehenden, nach einer unumgänglichen Ordnung, entspringen muß, und wenn nicht diejenigen Dinge, die sich zuerst bewegen, zuweilen auf die Seite ausweichen, und dadurch einen Grund legen, den Zwang des Schicksals zu unterbrechen; und zu verhindern, daß nicht unendlich eine bewegende Ursache aus der andern entstehe; So sehe ich nicht, wie es zugehe, daß auf diesem Erd-Kreis so viele Thiere mit einem freyen,  
  {Sp. 174}  
  und von dem Schicksal gantz entnommenen Willen, begabet sind, nach welchem wir uns bewegen können, wie einen jeden seine Begierden antreiben.„  
  Nachdem er nun seine Meynung mit dem Exempel der Pferde, wenn sie aus ihren Schrancken ausgelassen werden, erläutert, so beschliesset er mit folgenden Worten:  
  Ut videas, initium motus a corde creari,
Ex animique voluntate id procedere primum.
 
  Es ist aber ungereimt und abgeschmackt, in der abweichenden Bewegung die Freyheit zu suchen, welche eine Eigenschafft eines Geistes, und insonderheit des Willens, nicht aber eines Cörpers, oder der Atomorum ist. So wurden auch bey den Epicuräern alle Verrichtungen vor indifferent angesehen, und man bekümmerte sich um das moralische Übel nicht.  
  Die andern, welche der Seelen eine freywillige Krafft sich zu bewegen beylegten, konnten noch eher die Freyheit des Willens behaupten, wiewohl sie in der Lehre von den Ursprunge des Bösen eine solche Meynung annahmen, daß dasselbige von der Materie herrührte; Dabey sie nicht wohl ausgekommen wären, wenn man die Sache hätte genau nehmen, und einen Satz gegen den andern halten wollen. Doch, auf solchen Zusammenhang sehen sie eben nicht, und es fällt einem schwer, wenn man aus ihren noch aufgezeichneten Lehren ein systematisches Gebäude aufrichten will.  
  Pythagoras hielte die Seele vor eine sich bewegende Zahl; er und seine Anhänger recommendirten den Ihrigen die Sorge für ein gutes Gewissen, welches man täglich prüfen, und dahin sehen müste, daß dasselbige nicht beflecket werde, wovon
  • Huetius in Quaestion. Alnetanis ...
  • Menage in Not. ad Laert. ...
  • Scheffer de constitut. philos. Ital. ...,
die Zeugnisse zusammen gelesen haben;
  Welche Gewissens-Sorge sie gewiß nicht auf sich genommen haben würden, wenn sie nicht durch die Erfahrung an sich und andern überzeugt gewesen wären, wie sie, als schuldige, das Gewissen anklage, überzeuge, und verdamme.  
  Paulus sagt, Röm. II, 15. von den Heyden, daß sich ihre Gedancken untereinander verklagten; Dem ohngeachtet suchten sie die Schuld von sich abzulehnen, wenn sie zwey Principia statuirten, daß von dem einen das Gute, von dem andern aber das Böse herrühre, welche Materie Johann Christoph Wolff in Hamburg, de Manichaeismo ante Manichaeos weitläufftig ausgeführet hat.
  Es scheinet zwar, daß in diesem Stück Pythagoras der Christlichen Lehre ziemlich nahe gekommen sey, daß, wenn er gleich die Seele eine sich selbst bewegende Krafft genennet, er solches vielmehr von der physischen, als moralischen Krafft, verstanden und gemeynet, die Seele bewege sich selbst, und werde nicht von einem andern, ausser ihr sich befindenden Principio, bewegt; Daß sie sich aber moraliter zu dem Guten determinire, stehe nicht bey ihr. Denn er lehrte, niemand könne sich aus eigener Krafft reinigen, sondern bedürffe göttliche Hülffe darzu, welche er daher durch ernstliches Gebet erlangen müsse. Siehe Scheffern de nat. et constitut. phil. Italic. ...
  Und bey dem Hierocles in Aurea carmina Pythag.  
  {Sp. 175|S. 101}  
  p. 173. heisset es:  
  „Man muß nicht meynen, daß man selbst, ohne GOttes Hülffe, was Gutes verrichten könne, noch auch bey dem blossen Gebet es bewenden lassen, sondern zugleich auch zum Wercke selbst schreiten.„  
  Die Pythagoräische Philosophie verglich den freyen Willen mit der Hand, welche der Mensch, um etwas anzunehmen, ausstrecken, das Gute selbst aber sich nicht geben könnte, sondern durch das Gebet von GOtt erlangen müste. Es berichtet zwar Laertius ... daß Pythagoras keinen vor sich zu beten erlaubet; Fügt aber gleich hinzu, weil er nicht wisse, was ihm gut sey: Womit er anzeigt, er habe nur auf diejenigen gesehen, die von ihm noch nicht gelernet, was ihnen heylsam sey.  
  So lange wir diese Lehren nach den Worten ansehen, so klingen sie äusserlich sehr fein; Kommt man aber etwas tieffer hinein, und siehet den Grund an, woraus sie geflossen sind, so werden sie sich in einer andern Gestalt darstellen. Es machte sich Pythagoras einen irrigen Concept von der höchsten Glückseligkeit, als bestünde sie in einer solchen Gleichheit und Vereinigung mit GOtt, da die Seele als ein Wesen wieder hinein fliessen müste; Von dem Ursprunge des Bösen, als käme dasselbige von der Materie, dessen bösen Affecten die Seele zuwiderstehen nicht vermögend sey; Von der Tugend und von der Reinigung, daß sich die Seele von dem Cörper absondern müsse; und so weiter. Woraus leicht zu schliessen ist, wieweit seine Lehre von der Christlichen unterschieden ist.  
  Eben diesen Grund hatte auch die Platonische Moral, da Plato nicht weniger, wie wir oben gezeiget haben, der Seelen eine freywillige Krafft sich zu bewegen beylegte, und in Menone die Tugend als ein Geschencke Gottes angesehen, dazu weder die Natur, noch die Übung, was beytrüge, daß man ebenfalls sagen könnte, er habe zwar eine physische, aber keine moralische Freyheit, das Gute zu erlangen, und das Böse zu fliehen, zugelassen. Gleichwohl lesen wir bey dem Alcinous de doctrina Platonis ..., daß er gelehret, wie der Mensch bloß darum sündige, weil er, durch den Trieb der zornigen und begierigen Seele, das Böse für gut ansähe, und so sündigte er allezeit wider seinen Willen; Wenn er aber gutes thue, so thue er es aus freyem Willen.  
  Nun hängen zwar des Plato Lehren nicht allezeit wohl zusammen, und steht auch dahin, ob Alcinous des Plato Meynung so accurat getroffen, der ohnedem die Platonischen Philosophie nach dem Aristotelischen Fusse vorgetragen hat; Man könnte aber doch sagen, daß Plato mit dieser Freyheit auf denjenigen Zustand der Seelen gezielet, so fern sie ausser der Gemeinschafft des Leibes sich befindet, oder betrachtet wird,  
  Epictetus, ein Römischer Philosoph, hegete den Lehrsatz; Voluntatis latro nullus est. D.i. Es ist niemand der uns unsern Willen rauben könnte. (Epicteti Apophthegmata ...)
  Dieser Satz gründet sich auf einen gemeinen Irrthum der heidnischen Philosophie, welchen die Erfahrung aber augenscheinlich widerleget. Denn wer ist, dessen Wille nicht von andern, durch Hoffnung und Furcht geändert, bezwungen, oder geraubet wer-  
  {Sp. 176}  
  den kan? Siehe Gundlings Tractat, de metu; Oder vielmehr Thomasens Fundamenta Juris ...
  So viel haben wir von den heydnischen Philosophen anführen wollen.  
     
  2) Von den Jüdischen Urtheilen.  
  Die Meynungen der Jüdischen Weltweisen von dem freyen Willen, werden aus folgenden Sätzen zu ersehen seyn:  
 
(1) „GOtt weiß alles, was Böses geschiehet, aber es ist unmöglich, daß etwas Böses von ihm herkommen kan. Und daher ist nicht seine vorhersehende Allwissenheit, sondern des Menschen freyer Wille, Ursache des sittlichen Bösen.„
Siehe R. Joseph Albo Fundamenta fidei ...
 
(2) „Es ist derowegen ungereimt, zwey Principia statuiren, ein gutes, und ein böses.„
Siehe eben denselben, am angeführten Orte ...
 
(3) „Eben so ungereimt ist auch das unvermeidliche nöthigende Schicksal, weil dadurch alle Freyheit des Menschen, und alles Zufällige, aufgehoben wird, auch weder Mittel, noch Wege zum Guten, oder wider das Böse wären, ja, GOtt den Menschen nicht straffen könnte.„
Siehe
  • Maimonidis Moreh Neoochim ...
  • R. Sangari, in Cofri ...
 
  Der erstere bemercket dabey, daß die Secte Asariä unter den Ismaeliten statuiret habe, nichts geschehe zufälliger Weise, sondern nach einem gewissen Willen, Absicht und Anordnung.
 
 
(4) „Es wird also der freye Willen des Menschen durch die göttliche Rathschlüsse nicht aufgehoben, sondern es hat der Mensch in allem seinen freyen Willen, nach dessen Beschaffenheit GOtt die Mittel ordnet, disponirt und einrichtet.„ Das ist ein Haupt-Artickel der Jüdischen Gottes-Lehre, auf welchen sich das gantze Gebäude des Pharisäischen von ihnen angenommenen Gottesdienstes gründet.
Man besehe hievon aus den alten, die Capitula patrum ... Aus den neuern, den Menasse Ben Israel de termino vitae ...
 
  Zwar müssen sie eingestehen, daß die göttlichen Rathschlüsse eben so wesentlich seyn als GOtt selbst: Allein sie vereinigen sie mit dem freyen Willen des Menschen auf solche Art, daß der Mensch nicht thut, was GOtt will, sondern GOtt schliesset was der Mensch will. Ohne diese Pelagianische Lehre, die wir auch unter so vielen heydnischen Secten angetroffen haben, und ohne welchen der von dem menschlichen Hertzen und Verstande erfundene eigenmächtige Gottesdienst nicht bestehen kan, würde die Jüdische Lehre von der Erfüllung des Mosaischen Gesetzes, von der eigenen Genugthuung, und andern dergleichen, nicht haben bestehen können.
 
 
(5) „Es sind demnach die Rathschlüsse GOttes nicht alle unbedingt, sondern auch viele bedingt, welche von des Menschen freyen Willen, ob er sich dazu entschliessen mag, oder nicht, abhangen.„
 
 
(6) „Es bestehen also GOttes Allwissenheit und Rathschlüsse mit dem freyen Willen neben einander, ob wir gleich nicht alle Schwierigkeiten dabey heben können.„
 
  {Sp. 177|S. 102}  
 
7. „Es hat die Sünde des ersten Menschen denen Nachkommen den freyen Willen nicht benommen, und daher ist auch dem Menschen von Mutter-Leibe an angebohrne böse Lust keine Sünde, weil der Mensch den freyen Willen hat, gutes, oder böses zu thun.„
Siehe den
  • Maimonides, an dem angeführten Orte ...
  • R. Menasse Ben Israel, de termino vitae ...
 
  Auf diesem Satze beruhet der gantze alte und neue Pharisaismus;
 
 
8. „Daß also der Mensch Gutes thun kan, oder thut, das beruhet auf seinem freyen Willen, und dessen Kräfften, u. folglich kan er sich auch selbst zur Seligkeit helffen.„ Gleich wie der Pharisäischen Theologie der Jüden an diesem Sätze viel gelegen ist, also bemühen Sie sich auch mit philosophischen Gründen denselbigen zu erweisen.
 
 
  Dahin gehöret des R. Menasse Ben Israel in Concil. in Exod. ... angebrachtes Urtheil: Bey dem Menschen, und dessen Verrichtungen der Seele, verhalte es sich gantz anders, als bey andern Creaturen. Derselben einige thäten ihre Verrichtungen ohne Verstand, wie ein Stein, der, seiner Natur und deren Eigenschafft nach zu Boden fällt. Andere hätten zwar eine Wissenschafft desjenigen, was sie thun, sie sey aber natürlich, unvermeidlich, und zu dem determiniret, was sie thun. Z.E. Ein Schaaf wisse den Wolf natürlicher Weise zu fliehen, weil es der Trieb seiner Natur also erfordere. Hingegen die Verrichtungen des Menschen kämen von dessen Urtheil her, durch welches er bestimmet werde, etwas zu wollen, oder nicht zu wollen. Da nun des Menschen Verrichtungen zufällig wären, dessen Urtheil aber nicht just auf einen einigen Gegenstand bestimmet sey, so müsse eine freye Wahl und Willkühr geben. Will man erwegen, wieweit dieses Philosophiren Grund habe, so kan man dabey Basnage Hist. des Juifs ... nachlesen. Hier dient es uns nur zu einem Exempel dessen, was die Jüden von dem freyen Willen philosophiren.
 
     

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Stand: 30. März 2013 © Hans-Walter Pries