|
Text |
Quellenangaben |
|
III. Historische Abhandlung.
¶ |
|
|
Die
Historie dieser Lehre ist zwar etwas weitläufftig, aber von grossem
Nutzen; Weil die
Erkänntniß derselben in vielen andern Stücken ein grosses
Licht
geben kan. Wenn man aber die
verschiedenen
Meynungen der
Philosophen von dieser
Materie einsehen
will, so
muß man
wissen, daß davon auf
unterschiedene
Art
gehandelt worden ist: Indem einige überhaupt diese
Freyheit berühret, und zwar
entweder directe, oder indirecte, daraus ihre
Gedancken, als
Schlüsse von diesem
Puncte, leicht zu folgern sind; Andere hin- |
|
|
{Sp. 170} |
|
|
gegen insonderheit von der Freyheit in Ansehung der
guten
Verrichtungen
geurtheilet haben. Dabey man nicht nur bey den
Philosophen stehen bleiben,
sondern auch aus der Kirchen-Historie die merckwürdigsten
Umstände berühren muß,
so fern die
philosophischen, oder vielmehr der
heydnischen
Weltweisen
Lehren, zu allerhand Irrungen bey den Christlichen Lehren Anlaß gegeben haben¶ |
|
|
|
|
|
1) Von den alten heydnischen Lehrsätzen
¶ |
|
|
Machen wir den Anfang von den ältern Zeiten, so erinnert Jaqvelot in dem
Examine theol. Baelii ... sehr wohl, man werde keinen Weltweisen antreffen,
welcher die
Freyheit
des
Menschen verworffen, ohnerachtet die meisten von ihnen
solche
Principien angenommen haben, die derselbigen schnurstracks entgegen sind. |
|
|
Cicero de fato, cap. 17,
schreibet: Ac mihi
[9 Zeilen lateinischer Text] und zeigt damit an, daß einige geglaubet, es
sey alles dem Schicksale dergestalt unterworffen, daß dasselbige die
Krafft
habe, alles nothwendig zu machen, da andere hingegen davor gehalten, die
Bewegungen des Gemüths geschähen freywillig und ohne Schicksal. |
|
|
Wie aber dieses eigentlich auf die natürliche und physische Krafft sich zu
bewegen gehet; Also hat man auch zu untersuchen, was sie von der
moralischen
Freyheit, oder von der Freyheit, Gutes zu thun, gelehret haben, auf welche beyde
wir bey dieser historischen Nachricht sehen wollen. |
|
|
Den ersten Punct betreffend, ob die
Seele, folglich auch der
Wille, die
Krafft habe, sich so wohl, als den
Leib, zu bewegen, so theilen sich die alten
Philosophen deswegen in zwey Theile. Einige legten dem
Gemüthe eine freywillige
Bewegung bey, wie denn Aristoteles de anima ...
bezeuget, daß verschiedene dafür gehalten, es wäre die Seele die vornehmste
bewegende Ursach. Plutarchus de placitis philosoph.
... berichtet, daß Thales zuerst diese
Meynung angenommen, wenn
er
schreibt: „Daß er der erste gewesen sey, der sich
zu
beweisen Mühe gegeben, wie die Seele allezeit in Bewegung sey, und sich
selbst bewege.„ Dieses bekräfftigen auch
Aristoteles, Cap. I, und Stobäus Eclog.
physic. ... |
|
|
Es führt zwar Diogenes Laertius ... unter seinen Sprüchen
an, daß er
gesagt habe, die
Nothwendigkeit sey das stärckste, indem sie alles
beherrsche; Es ist aber nicht zu
verstehen, daß er ein unvermeidliches
Schicksal, sondern vielmehr eine zufällige äusserliche Nothwendigkeit, die
zuweilen unsere
Freyheit
hemmet, verstanden habe. |
|
|
Nach des Plutarchus Zeugniß, in dem I Capitel, hat
Pythagoras die
Seele vor eine sich selbst
bewegende Anzahl
angesehen, worvon Marsilius Ficinus de immortalit. anim.
... |
|
|
{Sp. 171|S. 99} |
|
|
ausführlich handelt, und weisen will, wie sich dieser
Weltweise die Seele
als eine Zahl fürgestellet; Es ist aber alles sehr dunckel, und wir halten
dafür, daß wir es heut zu Tage nicht wissen können, was er darunter verstanden
habe. Nemesius de nat. hom. cap. 2,
schreibet:
Pythagoras [Ca. 5 Zeilen lateinischer Text]. |
|
|
Von dem Anaxagoras bezeuget Laertius ...,
daß er gelehret habe, das
Gemüth sey der
Ursprung aller
Bewegung. |
|
|
Und nach dem Plutarchus de placit. philosoph. ...
hat Plato die Seele durch ein
vernünfftiges, und von sich
selbst bewegtes Wesen, beschrieben; Welches auch aus seinen
Schrifften,
sonderlich dem Timäus, zu ersehen ist. Es
schreibt zwar
Proclus von ihm, ... er habe darinnen den Pythagoräern gefolget, daß er
gelehret, es komme alles, was geschehe, von einer
Ursache her, und habe alles
von dem Schicksale und
GOtt geleitet; Es scheinet aber, weil seine Beschreibung
der
Seelen allzudeutlich vorhanden ist, daß, wo er keine Ursach von den
Würckungen angeben können, er GOtt und das Schicksal zu Hülffe genommen habe,
ohne dadurch die
natürlichen Ursachen auszuschliessen, vielweniger die Seele dem
Schicksale zu unterwerffen. |
|
|
Plutarchus de placit. phil. ... druckt die
Sache
am allerdeutlichsten aus, wenn er
saget: |
|
|
„Plato
mengt zwar die Krafft des Schicksals mit in das menschliche
Leben, und die
Würckungen der
Seelen, doch behauptet er zugleich, daß auch wir selbst mit
Ursach an solchen Bewegungen sind.„ |
|
|
Cicero nimmt auch diese
Meynung an. Denn nachdem er einst
des Plato Beweisgründe, womit er die
Bewegungs-Krafft der
Seelen vertheidigen wollen, angeführet, so thut er Tuscul. quaest. ...
hinzu, es
empfinde demnach das
Gemüth, daß es bewegt werde, und es empfinde
zugleich, daß die
Bewegung
durch seine, und nicht durch fremde Krafft geschehe, |
wie dieses mit mehrern in den
Deutschen
Actis eruditor. ... in einer besondern Observation, davon
Carl Franciscus Buddeus, ein
Sohn des berühmten D.
Buddeus, Autor ist, ausgeführet worden. |
|
Doch die Anzahl derjenigen ist nicht geringer, die in dem Gegentheil die
Seele aller
Bewegungs-Krafft beraubet, und sie in allen ihren Verrichtungen der
Herrschafft eines Schicksals unterworffen haben. Hätten diese
Welt-Weisen nach
ihren
Principiis
raisonniret, so hätten die letztern die
moralische Freyheit
gäntzlich aufheben, und behaupten müssen, es stehe in keines
Menschen
Gewalt,
Gutes, oder
Böses zu thun, und könne er für nichts Rechenschafft geben. |
|
|
Allein, wenn sie auf den Punct von der
Freyheit
des
Menschen in den
moralischen Verrichtungen kamen, so gedachten sie nicht an ihre
Principia von
der fatalen Nothwendigkeit, und ob sie gleich den
Ursprung des
Bösen von der
Materie, und von einem besondern
Principio, herführten, so behaupten sie in
Worten doch diese Freyheit. |
|
|
{Sp. 172} |
|
|
Von den Stoickern ist bekannt, daß die Vertheidigung des unumgänglichen
Schicksals, und einer fatalen Nothwendigkeit, einer von ihren vornehmsten
Lehrsätzen gewesen sey. Zum Theil lehreten sie, daß die Himmlischen Gestirne,
durch ihren Einfluß den
Willen des Menschen zu gewissen Handlungen
unwiderstreblich determinirten; Zum Theil aber, tribuirten sie diesen Zwang des
menschlichen Willens dem
Willen Gottes, als der höchsten
Ursache; Wie man aus
des Seneca Quaest. natural. ... und de beneficiis
... sehen kan. |
|
|
Und gleichwohl konnten diese
Weltweisen groß Wesen von der
Macht und
Freyheit
des
Menschen, Gutes zu thun, und tugendhafft zu leben, machen.
Seneca
sagt, Epist. 41, es sey närrisch, wenn man sich ein
gutes und rechtschaffenes
Gemüth ausbitten wolte, welches ein jeglicher von sich
selbst erlangen könnte. Und Horatius bittet, auf Stoische
Manier, sich zwar von den
Göttern das
Leben und
Reichthum aus; Die Ausübung der
Tugend aber wolte er selbst auf sich nehmen. Sed satis est, orare
Jovem, qui donat et aufert, det vitam, det opes;
aequum mihi animum ipse parabo, lauten seine eigenen
Worte ... |
|
|
Wie denn auch der gedachte Seneca Epist. 20, sich
also vernehmen lässet: |
|
|
„Dahin laß alle deine
Gedancken gehen, das schaffe, das wünsche, und die andern Wünsche überlasse
GOtt, daß du mit dir selbst, und mit dem aus dir kommenden Guten, zu frieden
seyst.„ |
|
|
Dergleichen Aussprüche kommen auch bey dem M. Antoninus Philosophus
de se ipso ad se ipsum, für, |
wobey Gatakerus,
in Not. Lib. ... zu lesen ist. |
|
Das alles klingt nun gar prächtig; Riecht aber gar sehr nach dem Stoischen
Hochmuthe, und wenn man
philosophisch davon
reden will, so kommt Alles sehr
einfältig heraus, indem sie sich selbst widersprechen. Sie lehreten ein solches
Schicksal, wodurch der
Mensch aller
Freyheit beraubet wurde; Und gleichwohl
legten sie ihm solche in hohem Grade zu. Das war bey ihnen was gewöhnliches, daß
sie
Principia annahmen, und demselben schnurstracks entgegen philosophirten,
welches schon Plutarchus, peri Stoikōn enantiomatōn,
de Stoicorum repugnantiis ... gezeiget hat. |
|
|
Cicero setzet, in dem oben angeführten Orte den
Aristoteles auch unter diejenigen, welche der Lehre von dem Schicksal
beygefallen wären; Und wenn gleich Voßius, in Fragm. de
Manichaeis et Stoicis ..., erinnert, man fände in den
Ethischen und andern
Schrifften dieses
Philosophen nichts davon, ja vielmehr das Gegentheil, daher
sich entweder Cicero geirret, oder etwas davon in den
sogenannten Exoterischen Büchern gestanden haben müßte, worinnen er der gemeinen
Meynung nachzugehen pflege; So brauchen wir doch dieses nicht. Denn, wenn wir
des Aristoteles Lehr-Sätze von der
Bewegung, und von dem
Wesen
der
Seelen, ansehen, so kommen sie sehr wohl mit dem Schicksale überein. |
|
|
Dem ohngeachtet behauptet Aristoteles, diese
Freyheit. So
schreibet er,
Ethic. ad Nicomach. ... zu Ende: Der
menschliche Wille
handle nach dem
Befehle seiner
Vernunfft; Und es stehe in des
Menschen
freyem Willen, so, oder |
|
|
{Sp. 173|S. 100} |
|
|
so zu thun. Wem ist aber wohl unbekannt, was in allen Aristotelischen
Sitten-Lehren von der gedoppelten Freyheit des
menschlichen Willens in
Bestreitung der
Affecten, von der Freyheit des Wiederspruchs und des
Mannigfaltigen, (de libertate contradictionis et contrarietatis)
vorgegeben und gelehret wird, daß durch diese Freyheit der Mensch von den
unvernünfftigen Thieren hauptsächlich unterschieden werde; Daß sich in dieser
Freyheit alle Imputation gründe, krafft welcher man einen Menschen vor den
Urheber seines
Thuns und Lassens halte, und ihn deswegen, nach Gelegenheit,
lobe, oder straffe. |
|
|
Nun mögen es die Aristotelicker besser, als Aristoteles
selber, gemeynet haben, welchem es aber nicht so sehr, als den Stoickern, zu
verargen, daß er sich wiedersprochen habe. Denn wenigstens ist nicht glaublich,
daß er mit solchen Eyffer, wie die Stoicker, die Lehre von dem Schicksale
angenommen, hat auch mit seiner
Moral und der
Tugend-Lehre ein gantz ander
Absehen gehabt. |
|
|
Die Pythagoräer, Platonicker und Stoicker, drungen auf die innerliche
Verbesserung des
Gemüths, und da war das Absehen an sich selbst gantz gut;
Aristoteles aber wolte nur einen Staats-Mann, der sich in die
Welt schicken könnte, zuschneiden. Daher lehrte er vielmehr eine
Politick, als
eine Ethick, und seine Tugenden bestunden nur in einer äusserlichen Einrichtung
der Verrichtungen nach dem, was die bürgerlichen
Gesetze und die
Regeln des
Wohlstandes mit sich brachte, dergleichen tugendhafftes
Leben
freylich in eines
Menschen
Gewalt stehet, und Aristoteles hatte bey dieser
Meynung
nicht nöthig, sich um den Ursprung des
Bösen, und um die Freyheit des
menschlichen Willens, groß zu bekümmern; |
Worvon
Walch mit mehrerm in
Exercitatione de atheismo Aristotelis, die in dem Parergis academicis
stehet, gehandelt hat. |
|
Epicurus hat zwar das Ansehen, daß er mit dem fato
nichts zu thun gehabt, und die
Freyheit
des
Menschen behauptet. Denn der gieng
darinnen von seinem Lehrmeister, dem Democritus, ab, daß er den
Atomis, oder untheilbaren Cörpergen, ausser der perpendicularen
Bewegung, dazu
sie durch ihre natürliche Schwehre angetrieben würden, die Bewegung der
Declination (Motum declinationis) beylegte, und zwar deswegen, wie
Cicero berichtet, weil er sich
befürchtete, daß man aus den
natürlichen und nothwendigen Bewegungen eines jeden kleinen Theilgens schliessen
könnte, daß wir gar keine Freyheit hätten, indem sich unser
Gemüth in seinen
Verrichtungen nach der Bewegung der untheilbaren Cörpergen richten müste. |
|
|
Lucretius, der des Epicurs Lehren
fürgetragen,
sagt ... de rerum natur. |
|
|
„Wenn immer die Bewegungen also an einander hangen, daß eine
neue allezeit aus der vorhergehenden, nach einer unumgänglichen Ordnung, entspringen muß, und wenn nicht diejenigen
Dinge, die
sich zuerst bewegen, zuweilen auf die Seite ausweichen, und dadurch einen
Grund
legen, den Zwang des Schicksals zu unterbrechen; und zu verhindern, daß nicht
unendlich eine
bewegende Ursache aus der andern entstehe; So sehe ich nicht, wie
es zugehe, daß auf diesem Erd-Kreis so viele Thiere mit einem freyen, |
|
|
{Sp. 174} |
|
|
und von dem Schicksal gantz entnommenen Willen, begabet sind, nach welchem
wir uns bewegen können, wie einen jeden seine
Begierden antreiben.„ |
|
|
Nachdem er nun seine
Meynung mit dem Exempel der Pferde, wenn sie aus ihren
Schrancken ausgelassen werden, erläutert, so beschliesset er mit folgenden
Worten: |
|
|
Ut videas, initium motus a corde creari,
Ex animique voluntate id procedere primum. |
|
|
Es ist aber ungereimt und abgeschmackt, in der abweichenden
Bewegung die
Freyheit
zu suchen, welche eine
Eigenschafft eines
Geistes, und insonderheit des
Willens, nicht aber eines
Cörpers,
oder der Atomorum ist. So wurden auch bey den Epicuräern alle Verrichtungen vor
indifferent angesehen, und man bekümmerte sich um das
moralische
Übel nicht. |
|
|
Die andern, welche der
Seelen eine freywillige
Krafft sich zu bewegen beylegten, konnten noch eher die Freyheit des Willens
behaupten, wiewohl sie in der Lehre von den Ursprunge des
Bösen eine solche
Meynung annahmen, daß dasselbige von der
Materie herrührte; Dabey sie nicht wohl
ausgekommen wären, wenn man die
Sache hätte genau nehmen, und einen Satz gegen
den andern halten wollen. Doch, auf solchen Zusammenhang sehen sie eben nicht,
und es fällt einem schwer, wenn man aus ihren noch aufgezeichneten Lehren ein
systematisches Gebäude aufrichten will. |
|
|
Pythagoras hielte die
Seele vor eine sich
bewegende
Zahl; er und seine Anhänger recommendirten den Ihrigen die Sorge für ein gutes
Gewissen, welches man täglich prüfen, und dahin sehen müste, daß dasselbige
nicht beflecket werde, |
wovon
- Huetius in Quaestion.
Alnetanis ...
- Menage in Not. ad Laert. ...
- Scheffer de constitut. philos. Ital. ...,
die Zeugnisse zusammen gelesen haben; |
|
Welche Gewissens-Sorge sie gewiß nicht
auf sich genommen haben würden, wenn sie nicht durch die
Erfahrung an sich und
andern überzeugt gewesen wären, wie sie, als schuldige, das Gewissen anklage,
überzeuge, und verdamme. |
|
|
Paulus
sagt, Röm. II, 15. von den Heyden, daß sich
ihre
Gedancken untereinander verklagten; Dem ohngeachtet suchten sie die Schuld
von sich abzulehnen, wenn sie zwey
Principia statuirten, daß von dem einen das Gute, von dem
andern aber das
Böse
herrühre, |
welche
Materie Johann
Christoph Wolff in Hamburg, de Manichaeismo ante Manichaeos
weitläufftig ausgeführet hat. |
|
Es scheinet zwar, daß in diesem Stück Pythagoras der
Christlichen Lehre ziemlich nahe gekommen sey, daß, wenn er gleich die
Seele
eine sich selbst
bewegende Krafft genennet, er solches vielmehr von der
physischen, als
moralischen Krafft, verstanden und gemeynet, die Seele bewege
sich selbst, und werde nicht von einem andern, ausser ihr sich befindenden
Principio, bewegt; Daß sie sich aber moraliter zu dem Guten determinire, stehe
nicht bey ihr. Denn er lehrte, niemand könne sich aus eigener Krafft reinigen,
sondern bedürffe göttliche Hülffe darzu, welche er daher durch ernstliches Gebet
erlangen müsse. |
Siehe Scheffern de nat. et constitut. phil. Italic. ...
|
|
Und bey dem Hierocles in Aurea carmina Pythag. |
|
|
{Sp. 175|S. 101} |
|
|
p. 173. heisset es: |
|
|
„Man muß nicht meynen, daß man selbst, ohne GOttes Hülffe, was
Gutes verrichten könne, noch auch bey dem blossen Gebet es bewenden lassen,
sondern zugleich auch zum Wercke selbst schreiten.„ |
|
|
Die Pythagoräische Philosophie verglich den
freyen Willen mit der Hand,
welche der Mensch, um etwas anzunehmen, ausstrecken, das Gute selbst aber sich
nicht geben könnte, sondern durch das Gebet von
GOtt erlangen müste. Es
berichtet zwar Laertius ... daß Pythagoras
keinen vor sich zu beten erlaubet; Fügt aber gleich hinzu, weil er nicht wisse,
was ihm gut sey: Womit er anzeigt, er habe nur auf diejenigen gesehen, die von
ihm noch nicht gelernet, was ihnen heylsam sey. |
|
|
So lange wir diese Lehren nach den
Worten ansehen, so klingen sie äusserlich
sehr fein; Kommt man aber etwas tieffer hinein, und siehet den
Grund an, woraus
sie geflossen sind, so werden sie sich in einer andern
Gestalt darstellen. Es
machte sich Pythagoras einen irrigen Concept von der höchsten
Glückseligkeit, als bestünde sie in einer solchen Gleichheit und Vereinigung mit
GOtt, da die
Seele als ein Wesen wieder hinein fliessen müste; Von dem Ursprunge
des
Bösen, als käme dasselbige von der
Materie, dessen
bösen
Affecten die Seele
zuwiderstehen nicht vermögend sey; Von der Tugend und von der Reinigung, daß
sich die Seele von dem
Cörper absondern müsse; und so weiter. Woraus leicht zu
schliessen ist, wieweit seine Lehre von der Christlichen unterschieden ist. |
|
|
Eben diesen
Grund hatte auch die Platonische
Moral, da Plato
nicht weniger, wie wir oben gezeiget haben, der
Seelen eine freywillige
Krafft
sich zu bewegen beylegte, und in Menone die
Tugend als ein Geschencke
Gottes angesehen, dazu weder die
Natur, noch die
Übung, was beytrüge, daß man ebenfalls
sagen könnte, er habe zwar eine
physische, aber keine moralische Freyheit, das Gute zu erlangen, und das
Böse zu
fliehen, zugelassen. Gleichwohl lesen wir bey dem Alcinous
de doctrina Platonis ..., daß er gelehret, wie der Mensch bloß darum
sündige, weil er, durch den Trieb der
zornigen und begierigen Seele, das Böse
für gut ansähe, und so sündigte er allezeit wider seinen Willen; Wenn er aber
gutes thue, so thue er es aus freyem Willen. |
|
|
Nun hängen zwar des Plato Lehren nicht allezeit wohl
zusammen, und steht auch dahin, ob Alcinous des Plato
Meynung so accurat getroffen, der ohnedem die Platonischen Philosophie nach dem
Aristotelischen Fusse vorgetragen hat; Man könnte aber doch
sagen, daß
Plato mit dieser
Freyheit
auf denjenigen
Zustand der Seelen gezielet,
so fern sie ausser der Gemeinschafft des
Leibes sich befindet, oder betrachtet
wird, |
|
|
Epictetus, ein Römischer Philosoph, hegete den Lehrsatz;
Voluntatis latro nullus est. D.i. Es ist niemand der uns unsern
Willen
rauben könnte. |
(Epicteti Apophthegmata
...) |
|
Dieser Satz gründet sich auf einen gemeinen Irrthum der heidnischen
Philosophie, welchen die
Erfahrung aber augenscheinlich widerleget. Denn wer
ist, dessen Wille nicht von andern, durch
Hoffnung und
Furcht geändert,
bezwungen, oder geraubet wer- |
|
|
{Sp. 176} |
|
|
den kan? |
Siehe Gundlings Tractat, de metu;
Oder vielmehr Thomasens Fundamenta Juris ... |
|
So viel haben wir von den heydnischen
Philosophen anführen wollen.¶ |
|
|
|
|
|
2) Von den Jüdischen Urtheilen.
¶ |
|
|
Die
Meynungen der Jüdischen
Weltweisen von dem
freyen Willen, werden aus
folgenden Sätzen zu ersehen seyn: |
|
|
(1) |
„GOtt weiß alles, was Böses geschiehet, aber es
ist unmöglich, daß etwas Böses von ihm herkommen kan. Und daher ist
nicht seine vorhersehende Allwissenheit, sondern des Menschen freyer
Wille,
Ursache des sittlichen Bösen.„¶ |
|
Siehe R. Joseph Albo Fundamenta fidei
...
|
|
(2) |
„Es ist derowegen ungereimt, zwey
Principia
statuiren, ein gutes, und ein böses.„¶ |
|
Siehe eben denselben, am angeführten Orte ...
|
|
(3) |
„Eben so ungereimt ist auch das unvermeidliche
nöthigende Schicksal, weil dadurch alle Freyheit des Menschen, und alles
Zufällige, aufgehoben wird, auch weder Mittel, noch Wege zum Guten, oder
wider das
Böse wären, ja, GOtt den Menschen nicht straffen könnte.„¶ |
|
Siehe
- Maimonidis Moreh Neoochim ...
- R. Sangari, in Cofri ...
|
|
|
Der erstere bemercket dabey, daß die Secte
Asariä unter den Ismaeliten statuiret habe, nichts
geschehe zufälliger Weise, sondern nach einem gewissen Willen, Absicht
und Anordnung. |
|
|
|
(4) |
„Es wird also der freye Willen des Menschen durch
die göttliche Rathschlüsse nicht aufgehoben, sondern es hat der Mensch
in allem seinen freyen Willen, nach dessen Beschaffenheit GOtt die
Mittel ordnet, disponirt und einrichtet.„ Das ist ein Haupt-Artickel der
Jüdischen Gottes-Lehre, auf welchen sich das gantze Gebäude des
Pharisäischen von ihnen angenommenen Gottesdienstes gründet. |
|
Man besehe hievon aus den alten, die Capitula patrum
... Aus den neuern, den Menasse Ben Israel de termino vitae
... |
|
|
Zwar müssen sie eingestehen, daß die göttlichen
Rathschlüsse eben so wesentlich seyn als
GOtt selbst: Allein sie
vereinigen sie mit dem freyen Willen des
Menschen auf solche Art, daß
der Mensch nicht thut, was GOtt will, sondern GOtt schliesset was der
Mensch will. Ohne diese Pelagianische Lehre, die wir auch unter so
vielen heydnischen Secten angetroffen haben, und ohne welchen der von
dem menschlichen Hertzen und
Verstande erfundene eigenmächtige
Gottesdienst nicht bestehen kan, würde die Jüdische Lehre von der
Erfüllung des Mosaischen Gesetzes, von der eigenen Genugthuung, und
andern dergleichen, nicht haben bestehen können.¶ |
|
|
|
(5) |
„Es sind demnach die Rathschlüsse GOttes nicht
alle unbedingt, sondern auch viele bedingt, welche von des Menschen
freyen Willen, ob er sich dazu entschliessen mag, oder nicht, abhangen.„¶ |
|
|
|
(6) |
„Es bestehen also GOttes Allwissenheit und
Rathschlüsse mit dem freyen Willen neben einander, ob wir gleich nicht
alle Schwierigkeiten dabey heben können.„¶ |
|
|
|
{Sp. 177|S. 102} |
|
|
7. |
„Es hat die Sünde des ersten Menschen denen
Nachkommen den freyen Willen nicht benommen, und daher ist auch dem
Menschen von Mutter-Leibe an angebohrne böse Lust keine Sünde, weil der
Mensch den freyen Willen hat, gutes, oder böses zu thun.„ |
|
Siehe den
- Maimonides, an dem angeführten Orte
...
- R. Menasse Ben Israel, de termino vitae ...
|
|
|
Auf diesem Satze beruhet der gantze alte und neue
Pharisaismus;¶ |
|
|
|
8. |
„Daß also der Mensch Gutes thun kan, oder thut,
das beruhet auf seinem freyen Willen, und dessen Kräfften, u. folglich
kan er sich auch selbst zur Seligkeit helffen.„ Gleich wie der
Pharisäischen Theologie der Jüden an diesem Sätze viel gelegen ist, also
bemühen Sie sich auch mit
philosophischen
Gründen denselbigen zu
erweisen. |
|
|
|
|
Dahin gehöret des R. Menasse Ben Israel
in Concil. in Exod. ... angebrachtes
Urtheil: Bey dem
Menschen, und dessen Verrichtungen der
Seele, verhalte es sich gantz
anders, als bey andern Creaturen. Derselben einige thäten ihre
Verrichtungen ohne
Verstand, wie ein Stein, der, seiner
Natur und deren
Eigenschafft nach zu Boden fällt. Andere hätten zwar eine
Wissenschafft
desjenigen, was sie thun, sie sey aber natürlich, unvermeidlich, und zu
dem determiniret, was sie thun. Z.E. Ein Schaaf wisse den Wolf
natürlicher Weise zu fliehen, weil es der Trieb seiner
Natur also
erfordere. Hingegen die Verrichtungen des Menschen kämen von dessen
Urtheil her, durch welches er bestimmet werde, etwas zu
wollen, oder
nicht zu wollen. Da nun des Menschen Verrichtungen zufällig wären,
dessen Urtheil aber nicht just auf einen einigen Gegenstand bestimmet
sey, so müsse eine freye Wahl und Willkühr geben. Will man erwegen,
wieweit dieses Philosophiren
Grund habe, so kan man dabey
Basnage Hist. des Juifs ... nachlesen. Hier dient es
uns nur zu einem Exempel dessen, was die Jüden von dem freyen Willen
philosophiren. |
|
|
|
|
|