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Zedler: Winter [4] HIS-Data
5028-57-878-4-04
Titel: Winter [4]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 57 Sp. 911
Jahr: 1748
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 57 S. 469
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Stichworte Text Quellenangaben
Krankheiten durch Kälte Nun wollen wir die Kranckheiten selbst betrachten, welche von der Kälte verursachet werden. Was man von einer übermäßigen Hitze sagen kan, daß sie theils einige Beschwerden die keiner andern Ursache können zugeschrieben werden, würcklich hervorbringe, theils einige von andern Ursachen entstandene Zufälle mercklich verschlimmere, theils auch zu gewissen Kranckheiten eine Disposition errege, welche erst bey dazu kommenden andern Ursachen zum Aus-  
  {Sp. 911|S. 469}  
  bruche kommen, das lässet sich auch von der Kälte behaupten.  
  Aus den bisher beschriebenen Würckungen der Kälte aber erhellet von selbst, daß der Grund aller daher entspringenden Kranckheiten in Zusammenziehung der festen Theile, und Verdickung des Blutes bestehen müsse, und wollen wir die gemeinsten und vornehmsten davon kürtzlich anzeigen.  
  Die Kälte würcket oberwehnter massen zuförderst eine Zusammenziehung an der äusserlichen Peripherie unsers Cörpers, und vermindert daher, oder hemmet gar die Ausdünstung; mithin ist sie vermögend, sowohl die Kranckheiten, so von gehemmter Ausdünstung entstehen, hervorzubringen, als auch diejenigen, so durch Ausdünstung und Schweiß gehoben werden müssen, zu verschlimmern. Aus diesem Grunde erreget die Kälte  
 
1) Recidive von kalten Fiebern: denn es ist bekannt, daß, wenn ein kaltes Fieber noch so glücklich gehoben worden, und man sich alsdenn einer strengen Kälte aussetzet, oder auch in einer mäßigen so lange aufhält, man sein Fieber gar leicht wieder bekomme, und deswegen sind auch die kalten Fieber, welche sich im Herbste entspinnen, weit hartnäckiger und langwüriger, als diejenigen, so im Frühjahre anfangen.
 
 
2) Die Kälte giebt Gelegenheit zu Erzeugung vieler Unreinigkeiten, und wird daher mit Recht unter die Ursachen der Cacochymie und des Scharbocks oder Scorbuts gerechnet.
 
 
Denn durch die Ausdünstung werden die meisten Unreinigkeiten aus unserm Cörper geschafft, und wenn dieselben zurück bleiben, müssen sie nothwendig die übrigen guten und gesunden Säffte ebenfalls anstecken, verunreinigen und verderben. Wir haben zwar oben gesaget, daß der Urin bey der Kälte häuffiger abgehe, und dadurch die verminderte Ausdünstung gewisser massen ersetzet würde; allein das hat in der Länge keinen Bestand. Wenn man täglich etliche Stunden, oder auch fast den gantzen Tag sich in der Kälte befindet, und nur die Nacht durch eine hinlängliche Wärme geniesset, so werden zwar viele Feuchtigkeiten, die durch die währenden Aufenthalt in der Kälte zusammengezogene Haut nicht haben abgehen können, durch den verstärckten Abgang des Urins fortgeschaffet; es bleiben aber noch viele Unreinigkeiten zurücke, welche wenn man wieder in die Wärme kommt, durch die Ausdünstung vollends weggebracht werden, und auf solche Art hat es so leicht keine Noth, daß ein oder eine andere Art von Unreinigkeiten sich in Geblüte erzeugen solte.
 
 
Wenn man aber lange Zeit, viele Wochen, ja Monate hinter einander die Würckungen der Kälte fast beständig erleiden muß, so, daß man mehr Zeit in der Kälte zubringen muß, als man zu seiner Erwärmung und Beförderung des Schweisses oder Ausdünstung anwenden kan; so ist der obgleich verstärckte Abgang des Urins nicht hinlänglich, das Blut von allen Unreinigkeiten zu befreyen, um so viel weniger, da bey dergleichen anhaltenden Aufenthalte in der Kälte das Blut zugleich eine Art von Dickheit erlanget, bey welcher ohnedem die Absonderungen und Ausleerungen etwas beschwerlich von statten gehen.
 
 
Auf solche Weise wird durch die Kälte ein unreines Blut hervorgebracht, welches theils zu hitzigen
 
  {Sp. 912}  
 
Kranckheiten und bösartigen Fiebern, theils zu allerhand Ausschlägen Gelegenheit giebet; und obgleich dergleichen beschwerliche und gefährliche Folgen bisweilen nicht zum Vorschein kommen, so lange man in der Kälte bleibet; so ereignen sie sich doch um so viel gewisser alsdenn, wenn man in eine warme Witterung kommt, da die Unreinigkeiten wieder zur Haut hingetrieben werden, welche, da sie zum Theil so grob sind, durch die Schweißlöcher ungehindert zu verrauchen, in der Haut sitzen bleiben, und Ausschläge hervorbringen.
 
 
Aus diesem Grunde bemercket man, daß die Feldzüge, so des Winters bey kaltem Wetter geschehen, vor andern Kranckheiten, mit hitzigen Fiebern und krätzigen Ausschlägen begleitet sind; und daß sich diese Beschwerden am häuffigsten einfinden, wenn man nach ausgestandener langwieriger Erkältung in Winterqvartiere kommt, und alsdenn der warmen Stuben genüsset, oder wenn man ein warmes Frühjahr erlebet. Und aus diesem Grunde ersiehet man auch die Ursache warum der wahre Scorbut eigentlich nur in kalten Ländern angetroffen wird? Nicht weniger, warum sich derselbe in Feldlägern ereignet, da man in kühler und feuchter Witterung sich unter Zeltern aufhalten muß?
 
 
3) Die Kälte ist vermittelst der dabey gehemmten Ausdünstung vermögend, Durchfälle und rothe Ruhren hervor zubringen; und es ist bekannt, daß erstere sich gar leicht einfinden, wenn man vornemlich den Unterleib oder die Füsse erkältet hat.
 
 
Dergleichen Zufälle werden von der Erkältung um so viel eher verursachet, wenn der Cörper dabey sehr warm gewesen, oder starck geschwitzet hat; daher sie aus diesem Grunde im Sommer, da es bey Tage heiß, des Nachts aber kühle ist, am häufigsten vorfallen.
 
 
4) Die Winterkälte giebt theils vermittelst der dabey gehemmten Ausdünstung des gantzen Cörpers, theils auch durch die Zusammenziehung der Schleimhaut, so die Nase, den Hals die Luftröhre und Lunge überziehet, zu flüßigen Zufällen und Flußfiebern Gelegenheit, und zwar hauptsächlich durch eine schleunige Abwechselung mit übermäßiger Wärme.
 
 
Denn solchergestalt bemercket man durch die allgemeine Erfahrung, daß im Winter bey beständig anhaltender Kälte dergleichen Beschwerden so leichte nicht vorfallen, ausser bey denen, die gewohnet sind, sich in gar zu heissen Stuben aufzuhalten, und daß vielmehr die Flüsse am stärcksten herumgehen, wenn entweder auf sehr gelindes Wetter auf einmahl eine strenge Kälte einfället, oder wenn ein kaltes Wetter auf einmahl abschläget.
 
 
Bey einem Cörper, der sich in einer natürlichen Wärme, und in einer derselben gemäßen unvermerckten Ausdünstung befindet, können zwar von der Erkältung ebenfalls Flüsse erreget werden; es geschicht aber nicht so leicht, als bey einem schwitzenden, und es gehöret eine stärckere und längere anhaltende Erkältung dazu. Denn die Gefässe der Haut sind alsdenn in keinem widernatürlichen Zustande, sie halten keine gröbern Feuchtigkeiten in sich, als ihnen zukommt, und wenn sie gleich von der Kälte eine Zusammenziehung erleiden, so kan doch von derselben keine Stockung so leicht erre-
 
  {Sp. 913|S. 470}  
 
get werden, indem die Gefässe die ihnen zukommenden dünnen, flüßigen Feuchtigkeiten führen, welche noch eher ihren Fortgang finden.
 
 
Hierzu kommt noch, daß bey einem Menschen, der geraume Zeit in übermäßiger Hitze gelebt, und dabey viel geschwitzet, die Säffte überhaupt ihrer flüßigen Theile ziemlich beraubet, mithin verdicket sind; daher sie bey dazu kommender Erkältung nicht allein gar bald in eine Stockung gerathen, sondern diese Stockung ist auch um so viel hartnäckiger; davon denn kommt, daß die auf solche Art entstandenen Flüsse bisweilen sehr schwer und langsam zu heben sind.
 
 
Wenn ferner ein erhitzter und schwitzender Cörper eine nach Proportion für ihn zu kalte Lufft bey dem Einathmen durch den Mund und die Nase in sich ziehet; so erfolgen daraus gar bald kalte Flüsse oder flüßige Zufälle. Denn es entstehen dieselben ebenfalls von der schleunigen Zuschnürung der Röhren, welche den Schleim absondern, als wodurch eine Stockung der Säffte in denen Häutgen, so die Nase, den Mund, den Hals, die Lufftröhre, und inwendig die gantze Lunge überziehen, verursachet wird.
 
 
Nach der Verschiedenheit derer Örter, wo dergleichen Stockung ins besondere vorfällt, erfolgen verschiedene Arten und Benennungen der flüßigen Zufälle. Denn an der Nase heisset es der Schnupffen; im Munde und Halse die falsche oder weisse Bräune, welche bisweilen mit einer ziemlich starcken, und der wahren Bräune fast gleichkommenden Entzündung verknüpffet, und deswegen fast eben so gefährlich ist; in der Lufftröhre erfolget eine Heiserkeit; und an der Lunge ein Husten, wie denn auch an derselben eine würckliche Entzündung, mithin eine Peripnevmonie entstehen kan.
 
 
Man wundert sich bisweilen, wie dergleichen flüßige Beschwerden sich mitten im heissen Sommer ereignen können, da man gewohnet ist, dieselben vielmehr im Frühjahre und Herbste, da ein unbeständiges, feuchtes und kaltes Wetter vorfällt, zu erleiden. Gleichwohl lehret es die Erfahrung, daß dergleichen auch im heissesten Sommer sich zutragen kan, wenn der schwitzende Cörper nur einer geringen Erkältung ausgesetzet wird.
 
  Also haben wir gewiesen wie auf erstere Art, und insonderheit von Erkältung eines schwitzenden Cörpers Flüsse entstehen; wie sie aber auf letztere Art, wenn nemlich ein kaltes Wetter auf einmahl abschläget, erfolgen, kan man leicht begreiffen, wenn man sich vorstellet, daß bey anhaltender Winter-Kälte die Ausdünstungsöhren, insonderheit an den Schleimhäutgen etwas verengert sind, und die Absonderung der schleimigen Feuchtigkeiten in denenselben sparsamer geschiehet, und wie sie daher häuffiger durch andere Örter, insbesondere durch den Urin abgeführet werden.  
  Wenn nun der Cörper in solchem Zustande sich auf einmahl erhitzet, oder einer warmen Lufft geniesset; so werden die ohnedem gewisser massen verdeckten Säffte auf einmahl zu starck ausgebreitet, und dehnen die Gefässe aus, daher bekommt man Kopfschmertzen, wenn man aus der Kälte in eine sehr heisse Stuben kommt. Es geschicht ein stärkerer Zufluß der Feuchtigkeiten zu den äusserlichen Theilen, es wird mehr  
  {Sp. 914}  
  Schleim in den Drüsen der Schleimhäute abgesondert, und da derselbe wegen der annoch verengerten Ausdünstungs-Röhren nicht so häuffig abfliessen kan, bleibet er stocken, und daraus entstehen Flüsse.  
  Die Zusammenziehung, welche von der Kälte an der äusserlichen Peripherie unsers Cörpers verursachet wird, erfolget nicht allein an der Haut, sondern sie erstrecket sich auch bis auf die unter der Haut liegenden Musceln oder Membranen, ja sie dringet bey anhaltender Kälte noch tieffer; und gleichwie durch dieselbe an der äusserlichen Haut die Ausdünstung vermindert oder gar gehemmet wird, also ist sie vermögend, an den tieffer liegenden Theilen, die darinnen umlauffenden Säffte zu verdicken, und hartnäckige Stockungen dererselben zu verursachen. Aus diesem Grunde entstehen von der Kälte flüßige, schmertzhaffte und krampffhaffte Zufälle, und zwar aus obangeführten Ursachen, am leichtesten an denenjenigen Theilen, welche sehr warm, oder gar schwitzend gewesen. Solchergestalt ereignen sich von der Kälte,  
 
1) Rhevmatismi, oder so genannte hitzige Flüsse, wenn an einem oder andern Musceln, oder vielmehr an deren ihren Membranen eine widernatürliche Zusammenziehung zurück bleibet; wobey das behafftete Glied steiff und unbeweglich ist, und man die empfindlichsten Schmertzen erleiden muß, so offt man dasselbe bewegen will.
 
 
Am gemeinsten sind solche hitzige Flüsse am Halse, da derselbe steiff ist, und man den Kopff nicht rühren kan; an den Armen und Schultern; an dem Rücken, da man sich nicht bücken kan, und gemeiniglich Steinschmertzen anzugeben pfleget; und an den Hüfften, woraus eine Art von dem so beschwerlichen und hartnäckigen Hüfftweh erfolget: und bey allen diesen Zufällen ist kein zuverläßiger und kräfftiger Mittel, als wenn man die behaffteten Theile mit warmen Tüchern fleißig, doch vernünfftig reibet, als wodurch die Stockungen zertheilet, die Zusammenziehung nachlassend gemacht, mithin die freye Verrichtung des behaffteten Theils wieder hergestellet wird, um so vielmehr, wenn das Übel noch nicht eingewurtzelt ist.
 
 
2) Gichtschmerzen oder arthritische Zufälle, welche von den hitzigen Flüssen nicht weiter unterschieden sind, als daß diese eine Stockung der Säffte in den musculösen Theilen, und den eigenen Häuten der Musceln, jene aber in den Bändern und Flechsen der Gelencke zum Grunde haben.
 
 
Da nun an den meisten Gelencken nicht viel musculöse Theile befindlich sind; sondern dererselben Bänder fast unmittelbar unter der Haut liegen; so ist leicht zu begreiffen, daß die Gewalt der Kälte eben so wohl auf dieselbe dringen, und darinne schädliche Stockungen zu wege bringen könne, als an den öffters noch tieffer liegenden musculösen Theilen. Um so viel eher erfolgen dergleichen Gichtschmertzen vor der Kälte bey denen, die bereits eine Disposition dazu haben, und gewohnet sind, bisweilen Anstösse davon zu erleiden; wie denn daher die Gicht- und podagrischen Beschwerden mit Recht unter die Winter-Kranckheiten gerechnet werden. Ja, man bemercket ebenfalls, daß bey einigen hauptsächlich diejenigen Gelencke, die am wärmsten gehalten
 
  {Sp. 915|S. 471}  
 
werden, wenn sie schleunige oder anhaltende Erkältung leiden, am ersten mit schmertzhafften Empfindungen behafftet werden.
 
 
Wenn solchergestalt jemand klaget, er habe zwar seit geraumer Zeit einen Anstoß von der sogenannten lauffenden Gicht gehabt, da es ihm bald in diesem, bald in jenem Gelencke geschmertzet; allein den letzten Winter durch, da er sich angewöhnet, die neumodischen rauchen Handmüffe beständig zu tragen, habe er seine schmertzhafften Beschwerden beständig in den Händen empfunden: und dabey fraget: Obwohl die Handmüffe hätten eine Gelegenheiten geben können, daß sich die Schmertzen in die Hände fest gesetzet? so kan man es vernünfftiger Weise nicht anders, als mit Ja beantworten.
 
 
Wir wollen eben nicht die Handmüffe unter die würcklichen Ursachen des Chirogra rechnen; immittelst hoffen wir mit Grund der Wahrheit behaupten zu können, daß sie bey denen, die zu lauffenden gichtischen Zufällen geneigt sind, allerdings Gelegenheit geben, daß sich dieselben mehr nach den Händen ziehen. Wenn man uns einwendet, durch solche Müffe würden die Hände warm gehalten, und da die Wärme ein Präservativ gichtischer Kranckheiten ist, so müsten ja dadurch die Hände vielmehr davor bewahret werden: so antworten wir, daß solches nur statt findet, wo die Wärme beständig seyn kan. Da man aber die durch die Müffe öffters über die Gebühr erwärmten Hände vielmahls herausziehen und der blossen Lufft aussetzen, mithin den schleunigen Abwechselungen mehr als andere Theile unterwerffen muß; so wird man aus den offt angeführten Ursachen auch leicht einsehen können, warum die Hände in solchem Falle die schädlichen Würckungen der Winter-Kälte eher, als andere Theile erleiden müssen. Insbesondere sind
 
 
3) die membranösen Theile des Kopffs und Angesichtes bey strenger Kälte, und vornemlich bey schleuniger Erkältung, wegen der daher folgenden Stockungen der Säffte in denenselben, sehr schmertzhafften und hartnäckigen Kranckheiten unterworffen; um so vielmehr, da diese Membranen grösten theils unter der Haut liegen, und das Angesicht vor andern Theilen der unmittelbaren Berührung der Lufft ausgesetzet ist. Man pfleget dergleichen von Erkältung kommende schmertzhaffte Zufälle des Hauptes insgemein Flüsse zu nennen, und sie sind auch in der That, was die Haupt-Sache betrifft, eine Art von hitzigen Flüssen, oder Rhevmatismis. Sie äussern sich auf verschiedene Art, und zwar
 
 
 
a) durch Kopffschmertzen, welche entweder den gantzen Kopf, oder nur desselben eine Helffte einnehmen, und im letzten Falle Migraine genennet werden.
 
 
 
  Es sind dergleichen Kopffschmertzen bey einigen nicht allein von so ungemeiner Hefftigkeit, daß sie so wohl mit fieberhafften Zufällen begleitet sind, als die Ruhe gäntzlich verhindern, und den Patienten sogar rasend zu machen vermögend sind, zumahl, wo sie einen Cörper befallen, bey dem die lymphatischen Säffte an sich schon zähe oder unrein sind; sondern auch öffters sehr hartnäckig, ohnerachtet der gebrauchten besten Hülffsmittel von langer Dauer; daher Friedrich Hofmann in einer vor vielen Jahren gehaltenen Disserta-
 
  {Sp. 916}  
 
 
  tion, Aëris intemperarie multorum morborum caussa, … diese Art von Hemicraniis, oder halben Kopfweh, mit Recht inexpugnabiles, fast unüberwindliche Kopffschmertzen nennet.
 
 
 
b) Durch Zahnschmertzen, welche in diesem Falle nicht allein an den Zähnen bleiben, sondern den gantzen Backen, und die halbe Seite einnehmen.
 
 
 
  Wie mancher unschuldiger Zahn, den man gemeiniglich, zumahl, wenn er etwas angegangen, oder hohl ist, für die Ursache solcher Schmertzen anzugeben pfleget, wird deswegen nicht herausgerissen? Und gleichwohl hilfft es nichts, sondern der Schmertz bleibet, wie er gewesen, und, wenn er sich ja etwas verändert, so bestehet es darinne, daß er sich von einem Orte zum andern ziehet. Warum? weil dessen Ursache nicht in dem hohlen Zahne sticket, sondern in den höchst empfindlichen Membranen, so die Zähne und die übrigen Theile des Backen überziehen.
 
 
 
c) Durch schmertzhaffte Zufälle der Ohren, welche bald in einem hartnäckigen Sausen und Brausen, bald in dem sogenannten Ohrenzwange bestehen, und in einer durch die Kälte verursachten Stockung in den Membranen des äusserlichen Gehörganges ihren Grund haben.
 
 
 
d) Wenn bey anhaltender Kälte die äusserlichen Theile des Angesichtes und Kopffs zu starck zusammen gezogen werden, und zu lange zusammen gezogen bleiben; so muß sich das Blut in den innerlichen Theilen des Hauptes, oder in den Gefässen des Gehirns, und derer dasselbe umgebenden Membranen häuffiger ansammlen.
 
 
 
  Das Blut wird hauptsächlich durch die Schlafpulsadern nach dem Kopffe geführet, dergestalt, daß es durch diese innere Pulsadern, in die innerlichen Theile desselben, durch die äussern aber in die sämtlichen äusserlichen gelanget. Wenn nun die äusserlichen Theile zusammen gezogen sind, und also das in die äusserlichen Schlafpulsadern schiessende Blut mehr Widerstand findet; so fliesset es desto häuffiger in die innern, und sammlet sich stärcker im Gehirne an. Von solcher Anhäufung des Blutes im Gehirne aber entstehen Kopffschmertzen, Schwindel, Schlafsuchten, und Schlagflüsse, um so viel eher, je schleuniger und stärcker die Zusammenziehung an den äusserlichen Theilen geschicht; und siehet man daher, daß Hippocrates diese Zufälle mit allem Rechte unter die Winter-Kranckheiten rechnet.
 
 
4) Auch die innerlichen Theile der Brust und des Unterleibes können von der äusserlichen Kälte Zusammenziehungen und daher folgende Stockungen der Säffte erleiden.
 
 
Auf solche Art kan eine convulsivische Engbrüstigkeit von Erkältung entstehen, wenn die äusserlichen musculösen Theile der Brust zu einer widernatürlichen Zusammenziehung angereitzet werden; und wenn sich in den Musceln, so zwischen den Ribben liegen, oder in der unmittelbar unter den Ribben liegenden Brustmembran eine Stockung des Blutes ereignet; so kan daraus schmertzhafftes Seitenstechen, so wohl das wahre, als falsche erfolgen, welches deswegen auch mit zu den Winter-Kranckheiten gezählet wird.
 
 
Was den Unterleib betrifft; so lehret die Erfahrung, daß die in demselben enthaltenen, zumahl die membranösen und nervichten Theile
 
  {Sp. 917|S. 472}  
 
von äusserlicher Erkältung ebenfals in krampfichte Zufälle versetzet, um so vielmehr aber dieselben rege gemacht werden können, wenn schon eine Disposition dazu vorhanden, zumahl bey Personen, die sehr mager sind, und ihren Unterleib entweder gar zu warm halten, oder nicht hinlänglich bedecken. Das Fett, welches so wohl unter der Haut lieget, und zwischen den Musceln des Unterleibes enthalten ist, als auch sich innerhalb dem Netze befindet, hat unter andern auch den Nutzen, daß es die innerlichen Theile und Eingeweide in gehöriger Wärme erhält; und haben diejenigen, so mit vielem Fette versehen sind, an demselben ein natürliches Brusttuch, vermittelst dessen sie so leicht nicht frieret, als andere magere Personen.
 
 
Bey diesen ist insonderheit der Magen, nebst den Gedärmen, den schädlichen Würckungen der Erkältung gar sehr unterworffen, welche sich am Magen durch einen sehr beschwerlichen und schmertzhafften Magenkrampff, an den Gedärmen aber durch empfindliche Colickschmertzen äussern, und wenn ausser der Erkältung keine andere Neben-Ursache dazu kommt, durch die Wärme, und besonders durch die so bekannten Wärmsteine, geschwinde und glücklich gehoben werden.
 
 
Man erzehlet daher auch von denen, die bey Gelegenheit einer Verwundung im Unterleibe, oder einer Operation des Bruchs das Unglück gehabt, eine Portion vom Netze zu verlieren, daß, wenn sie auch ihre völlige Gesundheit wieder erhielten, sie dennoch gar leicht von der geringsten Erkältung eine kältende und peinliche Empfindung an ihrem Magen und Gedärmen verspüreten, und man giebt ihnen deswegen den Rath, beständig vor dem Bauche ein Kissen zu tragen. Welchergestalt diejenigen, so sich ohne Noth angewöhnet haben, warme Küssen vor sich zu haben, oder etliche Brusttücher und Peltze über einander zu tragen, bey der geringsten Entblössung in einer öffters gantz leidlichen, und nur etwas kühlen Lufft vor andern Beschwerden an ihren Gedärmen und Magen auszustehen haben, wird aus obiger Abhandlung leicht zu begreiffen seyn.
 
 
Und daß endlich die, so den Staat mitzumachen, ihren Unterleib mit dem blosen Oberhemde und offenen Westgen bedecket haben, von der Kälte mehr Zufälle am Magen und den Gedärmen erleiden müssen, als andere, die auf hinlängliche Art bekleidet sind, verstehet sich von selbst, es müste denn die wilde Jugend und eingewurtzelte Gewohnheit eine Ausnahme machen.
 
 
Nicht allein aber der Magen und die Gedärme sind es, welche von den im Unterleibe befindlichen Theilen durch die Kälte können verletzet werden; sondern es betrifft solches auch insbesondere die Nieren und die Mutter.
 
 
An den Nieren und den dazu gehörigen membranösen und sehr empfindlichen Harngängen kan bey Erkältung des Rückens sowohl ein falsches, als steinichtes Nierenweh erreget werden. Vom erstern ist bekannt, daß selbiges nichts anders, als ein rhevmatischer Rückenschmertz ist, und hauptsächlich in den die Nieren umgebenden musculösen und membranösen Theilen seinen Sitz hat; wiewohl auch öffters durch Mitleidenschafft den Nieren und Harngängen selbst eine krampfichte Zusammenziehung zugleich beygebracht wird, daher dieser Zufall öffters für würckliche Steinschmertzen angesehen, und mit treibenden Mitteln zur Ungebühr angegriffen wird. Das stei-
 
  {Sp. 918}  
 
nichte Nierenweh stellet würcklich Steinschmertzen vor, und daß diese durch äusserliche Erkältung rege gemacht werden, lehret die tägliche Erfahrung.
 
 
Wie die Kälte zu der Mutter dringen könne, brauchet keiner Erklärung: und daß daher krampfhaffte Muttercolicken und Mutterbeschwerden erreget werden können, ist auch den sorgfältigen Haußmüttern zur Gnüge bekannt.
 
 
Die Hypochondrie äussert sich unter andern durch krampfhaffte Zufälle des Unterleibes, und diese können durch Erkältung auf das hefftigste zuwege gebracht werden, daher sich, nach der Anmerckung der berühmtesten Schrifftsteller, hypochrondrische Personen des Sommers, und in warmen Ländern allezeit besser und leidlicher befinden, als des Winters und in kalten Gegenden. Indem durch die Kälte die Theile des äusserlichen Leibes zusammen gezogen, und die Säffte häuffiger zu den inwendigen Theilen getrieben werden; so giebet sie zugleich Gelegenheit zur Entzündung eines dicken Blutes, und erreget, befördert und verschlimmert diejenigen Kranckheiten, so von dicken Blute ihren Ursprung haben.
 
 
Aus diesem Grunde wird die Kälte mit Recht unter die Ursachen der fleischichten Hertzgewächse gerechnet; und aus eben diesem Grunde haben diejenigen, so etwan schon schwache Eingeweide haben, bey anhaltender Kälte am meisten zu befürchten, daß sich Stockungen, Anhäuffungen, ja ein gäntzlicher Stillstand des Geblütes in denenselben entspinnen. Man siehet hieraus, warum das Aderlassen in kalten Ländern eben so nöthig sey, als in den wärmern; und warum die Curen der Kranckheiten, so von dicken Blute und verstopfften Eingeweiden herrühren, im Sommer gemeiniglich besser von statten gehen, als im Winter.
 
  Vermöge der angezeigten Würckungen hindert und hemmet die Kälte ferner die Ausleerungen, oder Excretionen, welche durch äusserliche Theile geschehen müssen; und da diese Ausleerungen öffters ein Mittel sind, durch welches viele zum Theil schwere Kranckheiten sowohl abgewendet, als auch, wenn sie würcklich gegenwärtig sind, gehoben werden; so folget von selbst, daß die Kälte durch Zurückhaltung solcher Excretionen die davon abhangenden Kranckheiten herbey locke und befördere. Auf solche Art ist die Kälte schädlich:  
 
1) Bey Kranckheiten, welche durch den Schweiß oder Ausschläge an der Haut gehoben werden müssen.
 
 
Wem ist solchergestalt unbekannt, was bey hitzigen Fiebern von Zurücktreibung der Schweisse, welche doch gemeiniglich eine Erkältung zum Grunde hat, für gefährliche Folgen herrühren? Um so vielmehr aber bey denen Fiebern, die sich durch Ausschläge, als Flecke, Friesel, Pocken, oder Masern endigen müssen? Alle andere Ausschläge, böse Köpffe und die Krätze leiden keine Kälte; sie werden dadurch an ihrem hinlänglichen Ausbruche gehindert, ja gar zum grösten Nachtheil der Gesundheit zurück getrieben: deswegen man auch den mit dergleichen Kranckheiten behaffteten Patienten des Winters anrathet, daß sie sich vor der äusserlichen kalten Lufft etwas hüten müssen, zumahl, wenn sie Artzneymittel dagegen brauchen.
 
 
2) Bey Blutflüssen, als welche durch die Kälte sowohl zurück gehalten werden, daß sie sich zu gewöhnlicher Zeit nicht einstellen können, als auch, wenn sie würcklich im Flusse sind, durch schleunige Erkältung plötzlich gestopffet werden.
 
  {Sp. 919|S. 473}  
 
Letzteres wird man insonderheit an Frauenspersonen bey der Monatszeit, und noch mehr an Kindbetterinnen bey der Geburts-Reinigung gewahr, als welche beyde Abflüsse durch Erkältung der behaffteten Theile, und der daher folgenden Zuschnürung der Gefässe, so das Blut durchlassen, auf einmahl gehemmet werden können, und was daraus für üble Folgen zu erwarten sind? ist mehr als zu wohl bekannt.
 
 
Diejenigen, so gewohnet sind, bey einer sich angesammleten Vollblütigkeit ihr überflüßiges Blut entweder in der Jugend durch Nasenbluten, oder bey zunehmenden Jahren, durch die goldene Ader los zu werden, bemercken des Winters, zumahl wenn sie sich der Kälte sehr viel aussetzen müssen, hierinnen eine merckliche Veränderung. Denn, wenn die Zeit kommt, daß das Blut durchbrechen soll, so geschicht solches sehr selten auf eine so leichte Art, als im Sommer, sondern es ereignen sich gemeiniglich, statt des Blutflusses, allerhand krampffartige und schmertzhaffte Beschwerden an denen Örtern, durch welche der Blutfluss erfolgen soll.
 
 
Die Ursache ist leicht einzusehen: Denn da zu dem glücklichen Durchbruche solcher freywilligen Blutflüsse erfordert wird, daß das Blut eine hinlängliche Flüßigkeit habe, und mit genugsamen Nachdrucke in die äussersten Gefässe getrieben werde; durch die Kälte aber das Blut gewissermassen verdicket, zu den innerlichen Theilen häufiger getrieben, und gehindert wird, in die Gefässe der auswendigen Peripherie zu gelangen: wie kan bey solchen Umständen ein Blutfluß erfolgen?
 
 
Es müssen nothwendig bey angehäuffter Vollblütigkeit sich vielmehr Stockungen an den mehr innern Theilen ereignen; und wenn durch erhitzende Mittel der Durchbruch soll erzwungen werden, ohne daß man eine äusserliche Wärme dabey in Acht nimmt, so geschicht solcher eher durch einen innerlichen Theil; daher bey ausbleibender goldenen Ader und gehemmter Monatszeit des Winters sich gar leicht Blutbrechen und Blutharnen zuzutragen pflegen; und wer die goldene Ader oder die Monatszeit in einem kalten Lande verlohren, viele Beschwerden daran ausstehet, und selbige nicht wieder bekommen kan, der wird seines Wunsches am ersten theilhafftig werden, wenn er das Land ändert, und sich in ein wärmeres begiebet; besonders
 
 
3) bey dem Podagra.
 
 
Es ist ja jedermann bekannt, daß dieser fürchterliche Feind durch Erkältung des behaffteten Gliedes gar bald vertrieben werden könne, doch so, daß er sich gemeiniglich an einem innerlichen Theile feste setzet, und alsdenn mehrere Gefahr nach sich ziehet; welches man ein zurückgetretenes Podagra zu nennen pfleget.Ohnerachtet aber dieses eine so bekannte, und durch die allgemeine Erfahrung bestätigte Wahrheit ist; so finden sich doch immer Leute, welche das Waschen der Füsse mit kaltem Wasser, für das gewisseste Mittel wider das Podagra ausgeben.
 
 
Wir wollen uns in die Widerlegung dieses schon zu Hippocratis Zeiten bekannt gewesenen Mittels vorjetzo eben nicht einlassen, immittelst nur so viel erinnern, daß wir auch zu unsern Zeiten viele Exempel aufweisen können, denen es nach dem Waschen der Füsse mit kaltem Wasser eben so ergangen,
wie Pascol in seinem Tractate de Homine … von dieser Manier meldet, und wie Musgraw im Tractate de Arthritide
  {Sp. 920}  
 
mit einem Exempel bestätiget.
 
Ersterer schreibet: [7 Zeilen lateinischer Text]. Das ist: So viel ich Krancke gesehen, die an ihren gichtischen Zufällen mit dieser Manier (nemlich durch das Waschen mit kaltem Wasser) sind tractiret worden; soviel sind entweder mit Schlagflüssen, oder einem Seitenstechen, oder Engbrüstigkeit, oder Brustwassersucht, oder Colick befallen, und bald darauf vollends ums Leben gebracht worden. Und da ich also durch anderer Leute Unglück bin klug worden; so werde ich mich vor solche Mittel sehr hüten, wenn ich einmahl solte mit der Gicht behafftet werden, u.s.w.
 
 
Letzterer führet folgendes Exempel an: Es habe ein Patiente bey seinem Podagra mitten im Winter die Füsse in kaltes Wasser gesetzet, und da er hierdurch dasselbe schleunig vertrieben, habe er am Kopffe und der Brust sofort einige Beschwerden empfunden, dergestalt, daß er anfänglich starck gehustet und grosse Engbrüstigkeit erlitten, bald darauf aber die Sinne und den Verstand verlohren, und zu gröster Bewunderung aller Umstehenden seinen Geist aufgegeben.
Bes. Hofmanns Medicin. systemat.
  Wir könnten noch mehrere Exempel anführen, und hiernächst von dem Schaden des kalten Geträncks, zumahl desjenigen, so mit Eiß recht angefrischt wird, und zu den vornehmen Moden gehöret, handeln; Allein, wir wollen letztere Abhandlung, um vorjetzo mehrere Weitläufftigkeit zu vermeiden, allhier weglassen.  
     

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Stand: 30. März 2013 © Hans-Walter Pries