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Zedler: Willens, (Freyheit des) [1] HIS-Data
5028-57-131-6-01
Titel: Willens, (Freyheit des) [1]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 57 Sp. 131
Jahr: 1748
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 57 S. 79
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  Text Quellenangaben
  Willens, (Freyheit des).  
  I Philosophische Abhandlung.  
  Es ist sowohl von den Philosophen, als Theologen, über diese Materie viel disputiret worden, und darüber manches Wort-Gezäncke entstanden: weil man sich vorher nicht verglichen hat, was durch diese Freyheit zu verstehen sey. Die Freyheit heisset entweder so viel, als eine Gleichgültigkeit, oder ein gleichgültiges Befinden gegen die Dinge, die einander entgegen stehen; (Indifferentia ad opposita) oder sie heißt ein ungezwungenes Wesen, da keine äusserliche Gewalt uns zu einer gewissen Verrichtung zwingen kan. Jenes ist die innerliche, dieses aber die äusserliche Freyheit.  
  Es sind also von der Freyheit zwey Haupt-Meynungen entstanden. Einige haben Sie bloß eine Abwesenheit der Hindernisse genennet, wie  
 
  • Hobbesius in seinem Leviathan, Cap. XIV,
  • Nicolaus Gürtler, Institut. Theol. ...
  • Becmann, in Lineis doctrin. mor. ...
  • Anton le Grand, in Institut. philos. ...
 
  gethan. Andere, und zwar die meisten, haben solche in der Gleichgültigkeit gesetzet, daß sich nehmlich der Wille gegen zwey einander entgegen stehende Dinge gleichgültig verhalte.  
  Was die erste Definition anbetrifft, daß diese Freyheit in einer Abwesenheit der äusserlichen Hindernisse bestehe, so gehöret zwar zu der Freyheit, daß uns kein Hinderniß in dem Wege stehe massen z.E. ein krancker Lehrer keine Freyheit hat, ob er lesen, spatzieren gehen will, oder nicht; Es ist aber dieser Begriff nicht hinlänglich. Denn zu geschweigen, wie schon D. Buddeus, in Institut. Theol. moral. ... erinnert, daß die unvernünfftigen Thiere keine Freyheit haben, ohnerachtet sie durch kein äusserliches Principium zu einer gewissen Art zu würcken determiniret werden; so muß ja der Grund der Freyheit nicht sowohl von aussen, als vielmehr von innen, in der Seelen selbst gesuchet werden.  
  Der andere Begriff von der Freyheit, in soferne man darunter ein Vermögen verstehet, aus zwey einander entgegen gesetzten Dingen eines sowohl, als das andere zu erwählen, ohne, daß ein Bewegungs Grund vorhanden sey, warum man eines für dem andern erwähle, können wir auch nicht billigen. Denn eine solche Wahl muß allezeit ihren Grund haben, und ist ohnmöglich, daß man ohne Bewegungs-Grund etwas wollen, oder nicht wollen könne; daher man auch billig bey den würcklichen Handlungen der Menschen den Grund, warum sie dieses gethan, oder unterlassen haben, zu wissen verlanget.  
  Es zeiget solches die Erfahrung, indem man kein eintziges Exempel einführen kan, da man etwas  
  {Sp. 132}  
  entweder gewolt, oder nicht gewolt hätte, und kein Bewegungs-Grund zugegen gewesen wäre; ohnerachtet diejenigen, die nicht scharffsinnig genug sind, ihn nicht allezeit wahrnehmen, zumahl, wenn er zuweilen so versteckt ist, daß er nur von einem scharffsinnigen hervor gesuchet werden kan. Ja, es lauffen wohl solche Bewegungs-Gründe mit unter, die auch die scharffsinnigsten nicht gewahr werden und empfinden; Z.E. warum man, wenn man zu einer Thür hinaus gehet, den rechten Fuß vor den lincken, oder den lincken vor den rechten gesetzet, es sey denn allemahl ein Sclave vorhanden, wie in dem Hause des Trimalcions bey dem Petronius, der uns zuruffte: Den rechten Fuß voran.  
  Man setze den Fall, es würden zwey Ducaten, von gleichem Schlag und Werthe, die wenigstens dem Ansehen nach einander gantz gleich wären, auf den Tisch geleget, und Titius solte einen darvon nehmen. Nachdem er sie genau geprüfet, und nicht den geringsten Unterschied wahrgenommen hat, so nimmt er einen, und da meynet man, es sey ohne Ursach, ohne Bewegungs-Grund, geschehen, daß er einen dem andern vorgezogen.  
  Allein, ist gleich in der Sache selbst kein Bewegungs-Grund da gewesen, so findet sich einer in ihrem Verhalten gegen denjenigen, der die Wahl anstellet. Er nimmt einen, und läßt den andern liegen, weil derjenige, den er genommen hat, ihm vielleicht näher zu der Hand war; und in solchem Fall, ist die Bequemlichkeit der Bewegungs-Grund: doch hätte ihm auch unvermerckt eine andere Ursach einfallen, und ihn bewegen können, den andern Ducaten zu nehmen. Denn alle beyde wird er sie gewiß nicht liegen lassen; er wird aber auch, er nehme nun welchen Ducaten er wolle, wenigstens unvermerckt, seine Bewegungs-Ursach zu solcher Wahl gehabt haben. Es schreibet derowegen Leibnitz in seiner Theodicee ... gar recht:  
  "Es giebt keine Indifferentiam aequilibrii, das ist, eine solche Indifferentz, da auf beyden Seiten alles vollkommen gleich sey, ohne, daß man zu einem geneigter sey, als zum andern. Es concurriren unendlich viel grosse und kleine, innerliche und äusserliche Bewegungen mit uns, die wir meistentheils nicht gewahr werden."  
  Indem wir nun aber die blosse Gleichgültigkeit verwerffen, so wollen wir damit keinesweges eine unvermeidliche Nothwendigkeit eingeführet wissen. Einige der heutigen berühmten Philosophen, welche dergleichen Nothwendigkeit behaupten, stellen die Sache also vor: Gleich wie in den Reyhen der Verknüpfung der cörperlichen Dinge dasjenige, was in dieser Welt das Mögliche zu der würcklichen Existentz bringet, die würckenden Ursachen wären; Also wären gleichergestalt dasjenige, was die Entschliessungen unserer Seelen entgegen gesetzet, sowohl möglich sey, als das, worzu die Seelen sich würcklich entschlössen.  
  Wie nun ferner, wenn wir in dieser gegenwärtigen Welt-Maschine diese gegenwärtige Verknüpfung der Dinge (nehmlich der würckenden Ursachen) setzen, alle cörperliche Begebenheiten in derselben  
  [Sp. 133|S. 80}  
  unausbleiblich gewiß, und also in so weit nothwendig erfolgen müssen, und ohnmöglich anders können: Also machten auch die Bewegungs-Gründe, wegen welcher unserer Seelen ihre Entschliessungen ergreiffen, und welcher also die an sich selbst nur möglichen Entschliessungen der Seelen würcklich machten, wenn sie nur zureichend wären, ebenfals eine Gewißheit, und zwar eine solche, daß ein Mensch, der etwas als besser erkennet, ohnmöglich das schlimmere ihm vorziehen könne, und es solchergestalt nothwendig geschehe, daß er das bessere erwähle, und zwar so nothwendig, als auf einer Waage das grössere Gewichte vor dem kleinern einen Ausschlag geben muß.  
  Wie es denn z.E. nicht möglich sey, daß ein Krancker in dieser Welt, der Artzney einnimmet, den Gebrauch derselben in dieser Welt auch solte unterlassen können, ob es gleich in einer andern Welt geschehen könnte; Oder, daß einer, der von seinem Sitze aufstehet, in dieser Welt an dessen statt auch sitzen bleiben könnte, ob es gleich in einer andern Welt geschehen könnte.  
  Und dieser Art der hypothetischen Nothwendigkeit sey die Nothwendigkeit der Sitten, (Necessitas moralis) welcher also, als die der physicalischen Nothwendigkeit entgegen gesetzte Species, unter dem generalen Begriffe der hypothetischen Nothwendigkeit mit begriffen werde. Beydes demnach, nemlich auf der einen Seite die Begierden der Seelen, und auf der andern die Bewegungen des Leibes, habe in dieser Welt seine Gewißheit, vermöge deren es komme, und nicht aussen bleibe: Und um dieser harmonirenden beyderseitigen Gewißheit willen, gehe es an, daß das Zufällige in dem Leibe und der Welt, mit dem freywilligen in der Seele, durch die vorher bestimmte Harmonie zusammen gestimmet werde. Nur müsse man sich beständig darbey erinnern, daß beyderley Gewißheit, oder Nothwendigkeit, als die auf beyden Seiten, nur hypothetisch sey, in sofern nemlich GOtt, diese, und keiner andere Welt, zu erschaffen erwählet hat, jener allgemeinen metaphysicalischen Zufälligkeit der Welt keinen Eintrag thue.  
  Hierbey ist nun ein doppelter Streit entstanden. Erstlich: Ob würcklich und in der That, in der natürlichen Folge der Begebenheiten dieser nun erschaffenen Welt aus einander, lauter hypothetische Nothwendigkeit, oder Gewißheit, wie in einer Maschine, und keine Zufälligkeit, zu befinden sey? Zum andern: Ob diese Meynung der Freyheit des menschlichen Willens und der Sitten-Lehre zuwider lauffe?  
  Was die erste Frage anbetrifft, so ist in dieser Welt nicht lauter physicalische Nothwendigkeit, sondern auch eine physicalische Zufälligkeit, vermöge deren, auch in dieser nun erschaffenen Welt, nicht alle Dinge, oder Begebenheiten, so, wie sie sind, oder erfolgen, nothwendig erfolgen, sondern viele derselben, bey eben dieser Verknüpffung der Dinge, auch nicht, oder anders, erfolgen könnten; Und daß dergleichen Zufälligkeit allerdings in den willkührlichen Thaten der Menschen zu finden sey, wie auch in den Dingen, deren Existentz durch dieselben theils hervorgebracht, theils verhindert werden kan.  
  Denn ein jeder ist sich, durch die unleugbare innerliche Empfindung, bewust, daß, ob er gleich, durch die Bewegungs-Gründe angetrieben, allezeit dasjenige zu thun erwählet, was  
  [Sp. 134}  
  ihm am besten gefällt; Es ihm doch deswegen nicht unmöglich sey, an dessen statt das schlimmere zu erwählen, und zwar, welches wohl zu mercken ist, in dieser Welt, und in eben dieser Gemeinschafft seiner Seele mit diesem seinem Leibe, als durch welchen er das eine je sowohl, als das andere, zu Wercke richten, zu können, zum Exempel, aufzustehen, und sitzen zu bleiben, sich bewust ist, wenn auch gleich zu einem von beyden zulängliche Bewegungs-Gründe vorhanden sind: Denn diese verursachen nur, daß man das, worzu sie antreiben, würcklich thue, und nicht unterlasse; Nicht aber, daß es in dieser Welt, d.i. bey diesem Zusammenhange der Dinge, nicht möglich sey, es zu unterlassen.  
  Ob dannenhero gleich in der Verknüpffung der blos cörperlichen Dinge und Begebenheiten in dieser Welt, z.E. in den Bewegungen der himmlischen Cörper, die physicalische Nothwendigkeit allerdings einzuräumen ist; Indem alle blos cörperliche Begebenheiten durch natürlich würckende Ursachen hervorgebracht werden, welche durch eine Nothwendigkeit ihrer Natur würcken, und nicht anders können: So ist doch wider alle Erfahrung, daß dergleichen Nothwendigkeit auch in dem Zusammenhange unserer Begierden und Thaten mit ihren Bewegungs-Gründen zu finden sey; Indem auch die allerstärcksten Bewegungs-Gründe einem freywillig würckenden Wesen niemahls die natürliche Möglichkeit, das, was es in dieser Welt, und wegen dieser Bewegungs-Gründe thut, in eben dieser Welt, und ohngeachtet eben dieser Bewegungs-Gründe, auch zu unterlassen, benehmen können.  
  In einer andern Welt könnten ja wohl auch die natürlichen Ursachen, die in dieser Welt ihre Würckungen durch eine physicalische Nothwendigkeit hervorbringen, etwas anders würcken, als in dieser Welt: Und der fürnehmste Unterschied derer natürlich würckenden und willkührlich würckenden Ursachen, beruhet also darinnen, daß diese auch in dieser Welt, und bey einerley Umständen, würcken und nicht würcken können, jene aber nicht.  
  Wenn der berühmte Wolff in den Gedancken von GOtt, der Welt, und der Seele des Menschen ... den Willen, in Ansehung des Erfolgs seiner Entschliessungen, aus denen Bewegungs-Gründen, mit einer Wage, und die Bewegungs-Gründe mit den Bewegungs-Gründen vergleichet, so kan solches zwar als ein Gleichniß, das die Sache schön erläutert, paßiren. Denn, wie der Ausschlag auf der Wage unausbleiblich erfolgen muß, wo mehr Gewichte ist, also wird auch in den Willen die Entschliessung erfolgen, zu welcher die wichtigsten Bewegungs-Gründe vorhanden sind. Und gleichwie hingegen auf der Wage ohnmöglich ein Ausschlag erfolgen kan, wo die Gewichte in beyden Schaalen gleich sind, also kommt man auch so lange zu keinem Schlusse, so lange man in dem Zweiffel stehet, ob die Bewegungs-Gründe von einer Seite die andern überwiegen, oder nicht (in statu perfecti aequilibrii). Man hat aber nicht aus der Acht zu lassen, daß dieses ein blosses Gleichniß, und nicht über das so genannte Tertium comparationis auszudehnen ist.  
  Wir wollen ein Exempel geben: Man erhält davor, ein hungeriger Esel würde Hungers sterben müssen, wenn er zwischen zwo Wiesen stünde, deren die eine seinen Appetit fast eben so starck rei-  
  {Sp. 135|S. 81}  
  tzete, als die andere; Dieweil, gleichwie auf einer Waage unter zweyen gleichwiegenden Gewichten, keines das andere überwiegen könne, also in den Willen des Esels der Appetit, auf der einen Weise zu fressen, dem gleich starcken Appetite, auf der andern zu fressen, dergestalt die Waage halten würde, daß er zwischen beyden Wiesen unbeweglich stehen, und nicht von der Stelle würde gehen können. Wer wird denn aber wohl dem Esel zu einer so edlen Substantz machen, daß er ihm einen eigentlich so genannten Verstand und Willen, und nach dem ersten, eine reichliche Überlegung, welche Wiese wohl die beste sey, nach dem letztern aber, eine willkührliche Entschliessung, auf dieser, als der besten Wiese, zu fressen, beylege? Was bey der Waage durch eine mechanische Nothwendigkeit, und bey dem Esel durch einen eingeprägten Trieb der Natur, und sinnlichen Appetit, geschiehet, das kan ja von einem mit Verstand und Willen begabten Geschöpffe nicht auf eben dieselbe Weise behauptet werden. Denn alle Gleichnisse sind auch gewissermassen einander ungleich.  
  Die Einschränckung dieses an sich sonst schönen Gleichnisses, hat einen grossen Nutzen, die heut zu Tage hin und wieder bestrittene Freyheit des menschlichen Willens, als den Grund der Sitten Lehre, zu befestigen; Damit man nicht die mechanischen Bewegungs Regeln vor allgemeine Gesetze der Natur, nach welchen auch alle menschliche Thaten vollführet würden, halten, und diese letztern also einer physicalischen Nothwendigkeit, als welche nur in den natürlich würckenden Ursachen der Dinge zu finden ist, unterwerffen möge. Denn das würde der Natur eines freyen Wesens sowohl, als der innerliche Empfindung eines jeden in sich selbst, zuwider lauffen.  
  Nicht weniger ist ein jeder durch die innerliche Empfindung sich selbst bewust, daß seine Seele würcklich und in der That die äusserlichen willkührlichen Bewegungen und Thaten seines Leibes hervorbringe, und also, als die wahrhaffte physicalisch-würckende Ursach derselben, einen realen Einfluß in die Glieder des Leibes, durch welche sie solche Bewegungen und Thaten würcket, habe; Es mag nun damit, in Ansehung der Art und Weise, (als welche noch niemand hat ausforschen können) zu gehen, wie es immer wolle.  
  Dahingegen ist es wider die innerliche Empfindung eines jeden, daß seine Seele die durch den Cörper verrichteten willkührlichen Thaten nur dencken und wollen, nicht aber auch selber, als die physische Ursach derselben, durch ihren Cörper vollziehen, sondern etwa nur, als eine moralische Ursach, veranlassen solte, daß eine andere nähere würckende Ursach, nemlich GOtt, die würckliche Vollziehung, durch die vorher bestimmte Harmonie, vermittelst eines von ihr physicalisch gantz independenten Mechanismus, leisten möge.  
  Die Seele eines jeden, indem sie sich ihrer selbst bewust ist, muß ja wohl, durch innerliche Empfindung, wissen, was sie thut: Ob sie nur dencke und wolle, oder auch würcklich durch den Cörper vollziehe. Wenn sie auch gleich von der eigentlichen Art und Weise, wie solches Dencken, solches Wollen, solches Vollziehen, zugebe, nimmermehr einen klaren und deutlichen Begriff erlangen solte; Genug, daß sie die Existentz ihres würcklichen Vollziehens so gut, als ihres Den-  
  {Sp. 136}  
  ckens und Wollens, in sich empfindet.  
  Nun wird zwar diese Erfahrung deswegen geleugnet, weil niemand von der Würckung der Seele in den Leib einen klaren Begriff habe. Es wird uns vorgeworffen, als ob wir aus der Erfahrung mehr, als sie würcklich lehre, annähmen; Denn so viel lehre sie zwar, daß gewisse Ideen und Begierden der Seele, mit gewissen Bewegungen des Leibes, zugleich sind, nicht aber, daß eines des andern Ursache sey. Allein, es ist dieses eine Sache, die lediglich auf die eigene Empfindung eines jeden ankommt, und von welcher sich also nichts weiter disputiren lässet.  
  Doch hat D. Müller, in seiner Einleitung in die Physick ... gezeiget, daß vielmehr die Vertheidiger der gegenseitigen Meynung den uns vorgerückten Fehler gantz augenscheinlich selbst begehen, indem sie, als in der Erfahrung gegründet, annähmen, daß die Bewegungen des Leibes mit den Begierden der Seele zugleich sind, und mit einander übereinstimmen. Denn, da sie behaupten, daß der Leib die Seele auf keine Art afficiren könne, und hierdurch alle Kundschafft und Erfahrung, welche die Seele durch die äusserlichen Sinne von der cörperlichen Welt einziehen kan, aufheben: So können Sie ja eben diese von ihnen verworffene Kundschafft und Erfahrung ohnmöglich als einen Grund annehmen; Sondern müssen erst anders woher, als aus der Empfindung, oder Erfahrung der Seele, die durch die äusserlichen Sinne geschiehet, erweisen, daß eine cörperliche Welt, und in derselben ein menschlicher Cörper, und in diesem eine Harmonie seiner Bewegungen, die mit dem Wollen der Seele zugleich seyn sollen, existire.  
  Da solchergestalt erstlich, ein jeder, durch die sinnliche Erfahrung sich selbst bewust ist, daß alles, was er in dieser Welt, auch aus den kräfftigsten Bewegungs-Ursachen, will, und würcklich thut, oder vollziehet, er in eben dieser Welt, und dieser Bewegungs-Ursachen ohngeachtet, auch lassen könne: So folget, daß unsere Seelen nicht allein eine metaphysicalische Freyheit, (in soferne wir nemlich von dieser Welt abstrahiren) und ihre willkührlichen Entschliessungen nicht allein eine metaphysicalische Zufälligkeit haben, also nemlich, daß unsere Seelen das, was sie in dieser Welt thun, nur in einer andern Welt hätten lassen, und etwas anders thun können, in dieser aber nicht; Sondern, daß unsere Seelen auch würcklich eine natürliche, oder physicalische Freyheit in dieser Welt, und ihre Entschliessungen und Thaten eine physicalische Zufälligkeit, haben, vermöge deren sie auch in dieser Welt, und bey dieser Verknüpffung der Dinge, anders erfolgen könnten: Daß es dahero irrig sey, den Entschliessungen unserer Seelen eine in dieser Welt, und bey dieser Verknüpffung der Dinge, fest gesetzte moralische Nothwendigkeit, die mit einer eben dergleichen physicalischen Nothwendigkeit der cörperlichen Begebenheiten richtig zusammen passen, und unausbleiblich harmoniren müsse, beyzulegen. Und diese Zufälligkeit nennen wir die innerliche physicalische Zufälligkeit unserer willkührlichen Thaten:  
  Weil ferner die Erfahrung lehret, daß die Seele in ihren Cörper, und, vermittelst desselben, auch in andere Cörper, willkührlich würcke, und hierdurch die sonst nothwendig zu gewar-  
  {Sp. 137|S. 82}  
  tenden Würckungen anderer Cörper, und die Existentz der daher zu erwartenden Dinge, verschiedentlich hindern könne: So muß unstreitig daher auch eine Zufälligkeit dererjenigen Dinge entstehen, die von natürlich würckenden Grund-Ursachen ihren Ursprung haben, und also durch eine physicalische Nothwendigkeit, in dieser Welt existiren würden, wenn ihre Existentz durch die willkührlich würckenden Ursachen nicht gehindert werden könnte. Und diese Zufälligkeit nennen wir allhier die äusserliche.  
  Wer nun also in dieser Welt in dem Erfolg, weder unserer Entschliessungen und äusserlichen Thaten, aus ihren Bewegungs-Ursachen, noch der cörperlichen Dinge, aus ihren natürlich würckenden Ursachen, eine durchgängige Gewisheit, oder moralische und physicalische Nothwendigkeit, ist; Sondern jene alle, diese aber grossentheils, auch in dieser Welt, und bey dieser Verknüpffung der Dinge, nur zufällig sind: So scheinet das gantze Gebäude der vorherbestimmten Harmonie, als welches die gedachte beyderseitige Nothwendigkeit in dem Leibe und der Seelen, als zweyen, mit einander vollkommen und auf ein Haar harmonirenden, sich selbst bewegenden Dingen, (Automatis) schlechterdings voraus setzet, hinweg zu fallen; Inmassen der berühmte Wolff, § 885, selber sagt: Um dieser beyderseitigen Nothwendigkeit, oder Gewißheit willen, gehe es an, daß das Zufällige in dem Leibe und in der Welt, mit dem Freywilligen in der Seele, zusammen gestimmet werde.  
  Dem sey aber wie ihm wolle, so ist dabey diese andere Streitfrage hefftig getrieben worden, ob nicht bey dieser beyderseitigen hypothetischen Nothwendigkeit dieser Philosophen, und der darauf gegründeten vorherbestimmten Harmonie der Seelen und des Leibes, als zweyer mit einander übereinstimmenden sich selbst bewegenden Dinge, der Freyheit des menschlichen Willens, und folglich der Sittenlehre, zu nahe getreten werde? Unsers Erachtens, erhellet aus allen Umständen so viel, daß diese Philosophen, ob sie auch gleich Seele und Leib nicht anders, als zwey sich selbst bewegende Dinge, und folglich, in der Folge ihrer Begebenheiten (vermöge der mechanischen Principien) eine durchgängige Nothwendigkeit sich vorstellen; Dennoch eben die Absicht nicht gehabt, der Freyheit des menschlichen Willens, und folglich der Sittenlehre, einen Eintrag zu thun, wie ihnen einige solches Schuld geben: Indem man vielmehr augenscheinlich siehet, daß dieses fast ihre fürnehmste, und gewiß recht mühsame Arbeit gewesen, wie sie einen Grund finden mogten, die Freyheit und den Mechanismus, auf alle nur ersinnliche Art, in gutes Vernehmen mit einander zu bringen.  
  Denn da sie einmahl keine andere als mechanische Principia der Natur, annehmen wolten; So musten sie freylich alle physicalische Zufälligkeit der Dinge in der Welt leugnen: Weil allerdings in einer Maschine, z.E. in einer Uhr, alles, ihrer Structur und Zusammensetzung gemäß, nothwendig erfolgen muß. Jedoch, damit sie gleichwohl der Freyheit des menschlichen Willens, und der Sittenlehre, hierdurch nicht zu nahe treten mögten, meyneten sie genug zu seyn, wenn sie die metaphysicalische  
  {Sp. 138}  
  Zufälligkeit der gantzen Welt-Maschine, und insonderheit der äusserlichen menschlichen Thaten, in der Seele aber eine eben dergleichen metaphysicalische Freyheit, wider die Stoicker und den Spinoza gründlich behaupteten, vermöge welcher Freyheit, die Seele an sich selbst, und, wenn wir von der gegenwärtigen Welt abstrahiren, viel andere mögliche Dinge, als die sie in dieser Welt, bey dieser Verknüpffung der Dinge will, wollen könne, jedoch so, daß solches anderweitige Wollen eine weit andere Welt, und einen weit andern menschlichen Cörper, erfordere, den GOtt durch einen weit andern Mechanismus, als den gegenwärtigen, auf die Vollziehung solches Wollens hätte abrichten müssen.  
  Diese Art der Freyheit nun, würde keinen Schaden leiden, wenn auch gleich alles, in der Seele so wohl, als in dem Leibe, in dieser Welt durch eine Nothwendigkeit der Natur erfolgete. Dem ohngeachtet aber, sind wir der Meynung, daß eine Sittenlehre, welche den menschlichen Willen nicht etwan in einem Stande, in welchem wir von dieser Welt abstrahiren, (als in welchem Stande unsere Seele würcklich nicht ist) sondern in dieser Welt, in eben dieser Verknüpffung der Dinge, durch Gesetze und Rathschläge regieren soll, nicht nur eine blos metaphysicalische Freyheit, sondern eine physicalische, oder naturalische Freyheit in dieser Welt, durch welche sie sich so wohl, als ihren Leib, zu dieser oder andern Thaten, auch nur in einer Welt, nehmlich in dieser gegenwärtigen frey determiniren könne, voraus setze.  
  Denn, wenn wir nicht leugnen wollen, daß GOtt durch sein Gesetz dem Menschen gewisse Entschliessungen und äusserliche Thaten, welche die Seele in dieser Welt, und durch diesen ihren Leib, zu Wercke richten solle, solche Entschliessungen und äusserliche Thaten, zu thun auferleget: So müssen wir einräumen, daß die Seele solche Entschliessungen und äusserliche Thaten, in dieser Welt, und durch diesen ihren Leib, so wohl zu thun, als zu unterlassen, fähig seyn, und also eine physicalische Freyheit in dieser Welt haben müsse.  
  Ferner, wenn der menschlichen Seele nicht etwa nur gewisse innerliche Entschliessungen, sondern auch gewisse äusserliche Thaten, in dieser Welt vorgeschrieben sind: So muß die Seele eine freye würckende Ursach nicht allein ihrer innerlichen Entschliessungen, sondern auch ihrer cörperlichen Thaten seyn; Und sie kan dieses nicht seyn, ohne einen realen und würcklichen Einfluß in solche cörperliche Thaten; Dieweil eine würckende Ursach eines Effects seyn, und doch in den Effect keinen realen Einfluß haben, sich selbst widerspricht.  
  Zudem, wenn die cörperlichen Thaten der Menschen, z.E. Mord, Ehebruch, nicht physicalisch von ihren Seelen in dem Cörper hervorgebracht werden, sondern lediglich von dem Mechanismus der Cörper der gegenwärtigen Welt-Maschine herstammen, dieser aber von GOtt: So muß ohnstreitig GOtt selbst, vermöge der von ihm vorher bestimmten Harmonie die vorher gesehenen mörderischen und ehebrecherischen Entschliessungen der Seelen zu der würcklichen Existentz in der cörperlichen Welt bringen, und also durch etwas weit mehrers, als durch die blosse Zulassung, zu den Sünden und Thorhei-  
  {Sp. 139|S. 83}  
  ten der Menschen in dieser Welt concurriren: Gott muß also die Welt grossentheils nicht nach seinem Wohlgefallen, und wie sie seinen Zwecken am gemässesten, und folglich am besten seyn könnte, sondern nach dem vorher gesehenen verkehrten Willen und Absicht in der menschlichen Seelen, eingerichtet und erschaffen haben.  
  Solchergestalt aber wird den menschlichen Seelen, an statt der ihnen abgesprochenen physicalischen Freyheit, in dieser Welt, und durch diese Glieder die GOtt nicht anders, als gut, erschaffen hatte, gut oder böse zu handeln, eine andere metaphysicalische beygeleget, nicht, der erschaffenen Natur sich willkührlich zu bedienen, sondern die noch zu erschaffende, unter vielen andern, durch ihren Willen zu determiniren; Die also, da sie nicht auf diese, sondern nur auf andere in der Idee mögliche Welten, die aber nimmermehr existiren werden, sich beziehet, einigermassen nach Chimären schmecket.  
  Da der Mensch ein zu dieser Welt gehöriges Geschöpffe ist; So sollte doch wohl, unsers Erachtens, zum wenigsten in so weit seine Freyheit dieser gegenwärtigen Welt subordiniret seyn, so, daß alles, was er, vermöge solcher Freyheit, kan, natürlich, d.i. in dieser Welt möglich sey. Allein nach jener Lehre, ist, bey aller Freyheit der Menschen, in dieser Welt, oder in dieser Verknüpffung der Dinge, nichts anders möglich, als was würcklich geschiehet.  
  Dargegen erstrecket sich die Freyheit des Willens, ausser dem, was in dieser Welt durch physicalische und moralische Nothwendigkeit geschiehet, auf die Möglichkeiten unendlich vieler anderer Welten, die unsere Seelen ebenfalls hätten wollen, und hierdurch das Werck der Schöpffung auf selbige determiniren können, auf diese Art ist also die menschliche Freyheit nicht der nun würcklich erschaffenen Natur, als eine unter derselben mit begriffene Fähigkeit, sondern vielmehr die Natur, ja ihre Schöpffung, der menschlichen Freyheit subordiniret.  
  Das Gute und Böse, zu deren einem sich der Mensch würcklich determiniret, ist nicht beydes in dieser Welt möglich: Sondern nur das eine von beyden, welches in dieser Welt würcklich geschiehet, ist in dieser Welt möglich, und also, weil es nur allein möglich ist, nothwendig; Das andere hingegen in einer andern Welt. Demnach wählet der Mensch, vermöge der Freyheit seines Willens, nicht unter mehrern natürlichen Möglichkeiten dieser Welt, was ihm am besten gefält, sondern unter vielen über natürlichen Möglichkeiten unterschiedene Welten diejenigen, die GOtt, dem menschlichen Willen gemäß, vermöge der vorher bestimmten Harmonie, in diese mechanische Verknüpffung der gegenwärtigen Welt Maschine gebracht hat.  
  Wie nun aus diesem allen sattsam erhellet, daß wohl keine Hoffnung übrig seyn dürffe, den durchgängigen Mechanismus der gantzen erschaffenen Welt mit der menschlichen Freyheit, und in einigen Stücken auch mit den festesten Lehren von GOtt, zusammen zu stimmen; So angelegen sich solches auch die grössesten Mechanici unserer Zeiten, die es durch die sinnreichesten Erfindungen versuchet, haben, seyn lassen; Also sind wir der Meynung, daß, je mehr und deutlicher, nach allen Folge-  
  {Sp. 140}  
  rungen, sich dieses Systema nach und nach entdecket hat, und vielleicht noch weiter entdecken dürffte; Desto mehr, nicht die menschliche Freyheit, nehmlich die wahrhafte physicalische in dieser Welt, (als deren Empfindung, da sich ein jeder derselben unmittelbar in sich selbst bewust ist, auch die allersinnreichesten Systemata nicht zu verlöschen vermögend seyn werden) sondern der eingebildete durchgängigen Mechanismus der Welt, darunter leiden werde.  
  Wie denn auch die Vernünfftigsten unter denjenigen selbst, die diesem Systema beygethan sind, würcklich nicht den Umsturtz der Freyheit des Willens, sondern die Zusammenstimmung derselben mit dem Mechanismus, zu der Absicht haben: Obwohl keine Hoffnung ist, daß diese Absicht, nehmlich zwey einander so widersprechende Dinge mit einander zu vergleichen, jemahls einen gar lange daurenden Fortgang haben werde.  
  Wollen wir uns bemühen, uns einen bessern und gründlichern Begriff von der Freyheit des Willens zu machen, so werden wir durch Betrachtung derjenigen Handlungen, die wir freye nennen, und der Beschaffenheit des Willens, nebst seinem Verhalten gegen den Verstand, darzu gelangen können. Bey einer Handlung hat man theils den vorhergegangenen Schluß in dem Willen, oder die Determination, welche allezeit von einem Bewegungs-Grunde dependiret, sie mag auf einen Endzweck, oder auf die darzu gehörigen Mittel gehen, theils die Handlung, zu erwegen, so fern äusserlich, durch gewisse Bewegungen des Leibes, der Schluß vollzogen und ausgeübet wird; Und da fragt es sich, worauf die Freyheit auf beyden Seiten ankomme?  
  Wir wollen zum voraus ein gemeines Exempel geben. Es ist die Frage: Ob ich das Hauß kauffen soll, oder nicht? Folglich habe ich darinnen meine Freyheit, oder nicht. Ich habe von allen dabey vorkommenden Umständen eine Erkänntniß, wie das Hauß beschaffen, wie theuer es ist, und wie es mit meinem Beutel stehet. Befinde ich nun, daß mir dasselbige sehr dienlich und nützlich sey, ich mich auch in dem Stande befinde, die Zahlung zu thun, so sind dieses Bewegungs-Gründe in dem Willen, die ihn determiniren, und schlüßig machen, den Kauf vorzunehmen; Es fragt sich daher, wie weit dieser Schluß nothwendig, oder frey zu nennen sey, ingleichen, wenn nun der Schluß gefasset ist, man wolte das Hauß kauffen, ob die deswegen anzustellende äusserliche Handlung nothwendig vor sich gehen muß, oder unterbleiben kan?  
  Dieses giebt nun Anlaß, mit Unterschied zu erwegen, wie sich der Wille in seinen Würckungen, und die äusserlichen Handlungen, in Ansehung der Freyheit verhalten? Was den Willen betrifft, so ist zu untersuchen, ob derselbige in seinen Würckungen von einem andern Principio dependire, auch von demselbigen determiniret werde?  
  Es kan der Wille so wohl physisch, als moralisch, betrachtet werden. Physisch, in Ansehung seiner natürlichen Beschaffenheit in so fern er dasjenige Vermögen der Seele ist, welches allezeit dem Guten geneigt, und hingegen vor das Böse einen Abscheu hat, dependiret er allezeit von dem Verstande. Denn in dem Willen treffen wir die Neigungen,  
  {Sp. 141|S. 84}  
  und die besondern Begierden, als würckliche Handlungen an.  
  Die Neigungen sind entweder natürliche, bey der Erregung nur eine blosse Vorstellung nicht aber Determination des Verstandes, nöthig, an deren Stelle der natürliche Trieb selbst da ist; Oder durch den Fall der Menschen erregte, und auf alle Menschen, als erblich, fortgepflanzte, wie der Ehrgeitz, Geldgeitz, und die Wollust, die ihren ersten Ursprung auch von dem Verstande, und zwar dessen Determination haben, welches insonderheit bey den besondern Begierden und Handlungen des Willens geschehen muß. Denn er muß das Gute lieben und das Böse hassen, Ähnliches, nach dem richtigen Sprüchworte: Ignoti nulla cupido, das ist: Unerkannte Dinge begehrt man nicht, ohne vorhergegangener Erkänntniß nicht geschehen kan, es mag dieselbige wahr, gründlich und hinlänglich seyn, oder nicht; Genug, daß man etwas für gut, oder bös, ansiehet.  
  So haben wir auch schon oben erwiesen, daß kein Schluß in dem Willen ohne Bewegungs-Grund vorgehen mag. In dieser Absicht, pflegt man den Willen ein nothwendiges Vermögen, (Facultatem necessariam) zu nennen und ihm die Freyheit abzusprechen. Wir haben aber ebenfalls, wider den Mechanismus ausführlich dargethan, daß die Freyheit deswegen nicht gantz und gar aufgehoben werde. Denn ist gleich eine innerliche Nothwendigkeit da, daß er nach geschehener Erkänntniß allezeit das Gute lieben, und das Böse hassen muß; So ist doch keine äusserliche Notwendigkeit da, die den Willen, auf diese, oder jene Art zu würcken, zu diesem, oder jenem Obiecte, nöthigen könnte: Folglich muß man diese Freyheit des Willens selbst in einer Independentz von einer äusserlichen absoluten Nothwendigkeit suchen.  
  Es kommt auch noch hinzu: daß sich der Wille durch eigene Kraft zu einer Sache, die ihm gefället, neiget, und sich davon zurück ziehet, wenn sie ihm mißfallet. Doch muß man den Grund dieser Freyheit in dem Verstande, und dessen Bewegungs-Gründen, suchen, wodurch der Wille bald da, bald dorthin, gelencket werden kan, und so weit der Mensch dergleichen Vorstellungen in seiner Gewalt hat, so weit hat er auch seine würcklichen Begierden in seiner Gewalt.  
  Betrachtet man hier den Willen moralisch, und untersuchet seine Freyheit, so hat es den Verstand: Ob, nach der göttlichen Absicht, derselbige der Direction einer höhern Kraft unterworffen sey, oder nicht? Welches eine gantz andere Frage. Denn ein anders ist, daß er würcket, ein anders aber, ob die Würckungen vernünfftig, oder unvernünfftig sind. Er ist von Natur, und nach der göttlichen Absicht, der Direction, oder Regierung des Verstandes, dergestalt unterworffen, daß er weder was Gutes verlangen, noch was Böses verabscheuen soll; Es sey denn vorher von dem Verstande auf eine judicieuse Art als ein wahrhaftes Gut, oder als ein wahrhaftig Böses, erkannt worden, und ist daher nicht genug, daß es der Mensch dafür hält, sondern, ob es an sich selbst so beschaffen, wie man sich es einbildet.  
  Durch den Fall ist diese von GOtt ge-  
  {Sp. 142}  
  machte Ordnung, daß der Wille dem Verstande unterworfen seyn soll, verderbet worden. Denn an statt, daß sich der Wille nach dem Verstande richten solte, so muß der Verstand offt dem Willen nachgeben. Es hat der Wille dadurch, so zu reden, eine solche Gewalt erlangt, daß, wenn sich gleich die Vernunft den bösen Begierden entgegen setzet, und ein so genannter Streit der Vernunft und des sinnlichen Appetites entstehet, die Macht derselben viel zu schwach ist, als daß der Wille nachgeben müste.  
  Kommen wir auf die äusserlichen Verrichtungen selbst, so hat hier keine Nothwendigkeit statt, als muste man dasjenige, was man in seinem Willen innerlich beschlossen hat, äusserlich zu der Vollziehung bringen, und alles dasjenige thun, was einem gefällt, hingegen unterlassen, was einem mißfällt. Denn wenn gleich Bewegungs-Gründe vorhanden sind, warum eine Handlung beliebet wird, so können Sie doch in den zu der Ausführung derselben nöthigen Umständen keine Veränderung machen, noch eine Nothwendigkeit verursachen, sondern es bleibt alles, wie vorhin.  
  Es entsteht zwar eine Gewisheit, so bald man den Schluß gefasset aber keine Nothwendigkeit; Daher man auch aus der Erfahrung weiß, daß ein festgesetzter Schluß dennoch wieder geändert werden kan, wenn etwas darzwischen kommt. So können wir auch an einer Sache einen Gefallen haben, ohne die damit verknüpfte äusserliche Handlung vorzunehmen, oder zu unterlassen, welches sich auf das oben berührte Exempel von Kauffung eines Hauses also deuten lässet: Das Hauß, das mir zu kauffen, angeboten worden, gefällt mir, habe mich auch entschlossen solches zu kauffen, welches Wohlgefallen, welcher Schluß, besondere Actus des Willens sind, die in so fern zwar nothwendig, weil sie sich auf gewisse Bewegungs-Gründe stützen, aber auch in dieser Absicht, daß sich der Wille durch seine eigene Kraft lencket, und durch keine äusserliche Nothwendigkeit genöthiget und gezwungen werden kan, freywillig sind; Ja, in Ansehung, daß das jetzige Wohlgefallen und der jetzige Entschluß durch gegenseitige Vorstellungen geändert werden kan, sind sie vielmehr gewisse, als notwendige Würckungen zu nennen. Hat man gleich den Schluß, das Hauß zu kauffen, gefasset, so folget noch nicht, daß man hingehe, und den Kauf richtig mache, wozu einen nichts nöthigen kan, sondern es kommt alles auf eines eignen Willen an, mithin kommt diese Freyheit der Handlung darauf an, daß sie von eines Willen dependiret.  
  Sollen wir alles, was von der Freyheit des Menschen und des Willens zu sagen ist, kurtz, zusammen fassen, so kommt es auf folgende Stücke an:  
 
1) Auf das Wesen der Freyheit, welche nichts anders ist, als ein Vermögen der Seelen, Kraft dessen der Wille bald da, bald dorthin, gelencket und zu etwas determiniret werden kan.
 
 
2) Auf ihren Grund, der nicht in dem Willen, sondern in dem Verstande und dessen Vorstellungen zu suchen ist, durch welche der
 
  {Sp. 143|S. 85}  
 
  Wille bald auf diese bald auf jene Seite, bewogen werden kan.
Siehe D. Samuel Christian Teubers Responsum ad qvestionem: an voluntas absoluto dominio imperet intellectui? Halberstadt, 1711, in 4.
 
3) Auf die Äusserung derselbigen, die allezeit in dem Willen durch eine Determination geschiehet, daß der selbige entweder zu diesem, oder jenem, gelencket und determiniret wird.
 
 
4) Auf den Gegenstand welchem die Freyheit des Willens beherrschet.
 
 
  Solcher ist die Bewegungs-Krafft der äusserlichen Gliedmassen, und also auch die Rede des Menschen; Welche Herrschaft aber ihre Grentzen hat. Über die innerliche Sinnlichkeit hingegen, hat der Wille wenig, oder nichts zu befehlen: Ausser, daß er sie durch ihre Bewegungs-Kraft auf etwas lencken, oder wovon abwenden kan. Desgleichen hat der Wille über die Verdauungs Kraft, über die Zeugungs-Kraft, über den Lauff des Geblüts, und dergleichen, ebenfalls keine Herrschaft.
 
 
5) Auf die verschiedenen Arten diese Freyheit. Es ist dieselben
 
 
 
α) Exercitii, oder Contradictionis, da man etwas thun, oder unterlassen kan.
 
 
 
β) Speciei, oder Contrarietatis, da man dieses, oder etwas anders, thun kan;
 
 
 
γ) Modi, da man etwas auf diese, oder jene Weise, verrichten kan.
 
  Es könnte sich ein Zweiffel in den Gemüthern unserer Leser erregen: Ob es denn gut sey, daß GOTT einige Creaturen mit einem freyen Willen begabet hat, vermittelst dessen sie mögten sündigen können? Wir antworten aber, daß sie, vermöge eben dieses freyen Willens, und der ihm vorgesetzten Vernunft, das Sündigen auch unterlassen können und sollen. Denn da rechtschaffene Leute, so gar auch nach aller eingerissenen Verderbniß, die natürliche Neigung zu dem Bösen hin und wieder überwinden, und Gutes thun: Um wie viel leichter und natürlicher muß es nicht, ehe eine so grosse Verderbniß unter den Menschen eingerissen, gewesen seyn, durch die Vernunft den Willen zu dem Guten zu leiten in einem Stande, da noch keine würckliche Neigung zu dem Bösen zu überwinden gewesen ist?  
  Spricht man, daß doch Gott ohnstreitig vorher gewust, daß die Menschen den freyen Willen mißbrauchen und sündigen würden; Und daß also die Welt vielleicht besser gewesen seyn würde, wenn GOtt denen Menschen den freyen Willen, und mit demselben auch so gar die Möglichkeit, Böses zu thun, entzogen hätte: So ist leicht zu antworten, daß hingegen auf solche Art auch die Möglichkeit, freywillig Gutes zu thun, als die alleredelste Gabe des Menschen, weggefallen seyn würde.  
  GOtt würde solchergestalt eine Welt ohne vernünftige Creaturen, das ist, eine zwar schöne, doch blosse Maschine, erschaffen haben, in welcher keine Erkänntniß seiner, und seiner Weisheit, anzutreffen seyn würde: Indem solche Erkänntniß keinen Zweck (als welcher nothwendig, nebst der Vernunft, die Fähigkeit eines willkührlichen Verfahrens voraussetzet) haben würde. Also würde GOtt ein Übel vermieden haben, welches nicht einmahl ein würckliches Ubel, (Ens actu) sondern nur ein mögliches Übel, (Ens potentia) war: welches von denen die es angienge, vermieden  
  {Sp. 144}  
  werden konnte und sollte: Und welches, wenn es auch nicht vermieden würde, GOTT dennoch zu dem Besten wenden konnte, und nun würcklich wendet. Dagegen würde GOttes Geschöpffe den Verlust eines unendlich grössern Gutes erlitten haben, nehmlich den Verlust der vernünftigen Creaturen, folglich den Verlust der Erkänntniß GOttes, der Tugend der Glückseligkeit und Seligkeit je einiger Creatur. Denn es kan kein anderer Zweck der Vernunft seyn, als die Leitung eines freyen Willens zu der Tugend, und also GOtt zu gefallen.  
  Wo also kein freyer Wille ist, da hat keine Vernunft statt; Wo keine Vernunft ist, da ist keine Fähigkeit GOtt zu erkennen; Wo demnach weder ein freyer Wille, noch eine Erkänntniß GOttes und seines Willens ist, da kan weder Tugend, noch Glückseligkeit, noch Seligkeit seyn. Dahero würden, ohne die Freyheit des Willens, die Menschen nicht vernünfftig, das ist, nicht Menschen, sondern zwar schöne und keiner Sünde fähige Thiere, aber doch blosse Thiere seyn.  
  Eine solche Welt aber würde dem letzten Willen GOttes ohnstreitig zu wider, und also an sich selbst, und in dem Grunde böse seyn: Indem zu dem letzten Willen GOttes, in Ansehung der Natur, in so weit wir ihn zu erkennen vermögen, zum wenigsten dieses gehöret, daß in seinen Geschöpffen eine Erkänntniß seiner existire; Daß die Geschöpffe, von denen er erkennet seyn will, seinem Willen in Ansehung der erkannten letzten und absoluten Güte, desselben freywillig und ungezwungen sich gemäß verhalten, (denn gezwungen, und durch eine physicalische Nothwendigkeit, folglich ohne Erkänntniß, thun es auch Maschinen und Bestien) und indem sie ihr durch an dem Willen GOttes Theil nehmen, eben dadurch auch der absoluten letzten und ewigen Güte desselben, zu dem seligen Genuß, (denn hierinnen bestehet das Wesen der Seligkeit) theilhaftig werden sollen. Demnach fehlet so viel, daß die mit einem vernünftigen freyen Willen begabten Geschöpffe nicht gut seyn solten, daß vielmehr die Welt nicht gut seyn würde, wenn sie nur ein Systema blosser, theils lebloser, theils mit einem blos thierischen Leben begabter Maschinen ohne vernünftige und mit freyem Willen begabte Geschöpffe, wäre.  
  Endlich, wenn man auch den freyen Willen der vernünftigen Geschöpfe nach seinem eingerissenen Mißbrauche betrachtet, so ist zwar nicht zu leugnen, daß solcher Mißbrauch ein würckliches moralisches Übel sey. Allein, da solcher Mißbrauch in einer Unterlassung der gehörigen Determination, oder Richtung, die der Wille von der Vernunft erlangen solte, bestehet, und also nicht ein von GOtt hervorgebrachtes positives Ding, sondern vielmehr eine Abwesenheit, oder Mangel, eines von GOTT intendirten positiven Dinges, (Ens negativum) ist: So kan solches Übel diesem Satze, daß die Freyheit des Willens, gleich wie alle Dinge, gut sey, keinen Eintrag thun; Indem solchergestalt das Übel nicht so wohl ein Ding, als vielmehr eine schädliche Abwesenheit eines Dinges ist, und  
  {Sp. 145|S. 86}  
  daher diejenigen nicht übel urtheilen, welche sagen, daß die Sünde nicht so wohl in einer so genannten Entitate, als vielmehr in Nonentitate, entitati admixta, bestehe.  
  Wendet man ein, daß solches Übel doch zum wenigsten nicht Ens pure negativum, und zwar Mixtum, sey; Indem die Unterlassung der gehörigen Richtung der Vernunfft eine positive That, welche gerichtet werden solle, voraus setze; So ist zu erwegen, daß, wenn man also dieses beydes, das in einem solchen Übel beysammen ist, nehmlich die würckliche That, und die Unterlassung der gehörigen Richtung derselben, nicht mit einander verwirret, sondern in Gedancken von einander absondert, die positive That, die man begehet, (Actio materialis, seu physica) an und vor sich selbst gut, nicht aber böse sey; Und nur durch die unterlassene rechte Richtung, die von der Vernunfft zu erwarten war, folglich durch die Privation oder Abwesenheit eines Dinges, böse werde.  
  Z.E. wenn ein Mensch Hurerey, Mord, Diebstahl, begehet, der Soldat auf seinen Posten schläffet, und so weiter, so ist das, was in diesen Thaten positives, und also ein würckliches Ding ist, an sich selbst, das ist, ohne Betrachtung der erforderten, oder unterlassenen, Richtung gut. Denn wer wolte sagen, daß beyschlaffen, schlagen oder stechen, etwas nehmen, schlaffen, nicht an sich selbst, oder physicalisch, gute Dinge wären?  
  Allein alle diese physicalischen an sich selbst guten Dinge werden zu Übeln, durch die unterlassene Richtung der Vernunfft, und also durch die Privation, oder der Mangel eines darbey erforderten Dinges. Z.E. Der Beyschlaff wird zur Hurerey, und also zu einem Übel, durch den Mangel der Richtung derselben auf eine ehrliche Ehefrau, zu dem Zwecke, Kinder zu zeugen und zu erziehen, und so weiter.  
  Dahero auch die Sünde in der Heil. Schrifft sehr wohl als eine Privation beschrieben wird: Hē hamartia esin hē anomia. Die Sünde ist nichts anderes, als die Ungesetzlichkeit. Weil aber dem ohngeachtet, durch den Mangel der rechten Richtung des menschlichen Willens, in den Reyhen der Zwecke der Dinge ohnstreitig grosse Unordnung entstehen muß, welche in der sich selbst gelassenen Natur, und ohne göttliche Fürsehung, zuletzt dem Willen GOttes, als dem letzten Zwecke alle Dinge, zuwieder lauffen möchte: So lässet GOtt, wenn er, wie wir sehen, auch das Böse zulässet, es doch nur in so weit zu, in sofern aus dem physicalischen Guten, das in den menschlichen Thaten verborgen liegt, (in soferne man nehmlich dasjenige, was in ihnen etwas positives, und also ein würckliches Ding, folglich physicalisch gut ist; betrachtet) die Erfüllung des göttlichen Willens, entweder von Natur, oder durch besondere Regierung, oder Richtung, der göttlichen Fürsehung, dennoch erfolgen kan: Da denn also dem, was durch die Mängel der Menschen, und also durch die Privation, und zufälliger Weise, böse worden ist, dennoch an dem Ende seine bestimmte Güte, oder Absicht auf den göttlichen Willen, wieder erstattet wird.
  • Müllers Einl. in die philosophischen Wissenschafften, Th. II ...
  • Kämmerichs Acad. der Wissenschafften Eröffn. ...
  • D. Johann Christian Stocks Dissertationum philo-
  {Sp. 146}  
   
  sophicarum de partibus hominis essentialibus, prima, de anima rationali, Jena, 1732
   
  • Gründliche Auszüge aus Disputat. ...
     

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HIS-Data 5028-57-131-6-01: Zedler: Willens, (Freyheit des) [1] HIS-Data Home
Stand: 7. April 2013 © Hans-Walter Pries