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Zedler: Zweifel [1] HIS-Data
5028-64-1015-11-01
Titel: Zweifel [1]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 64 Sp. 1015
Jahr: 1750
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 64 S. 521
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Übersicht
A) Philosophische Abhandlung
 
I. Betrachtung des Wortes Zweifel.
II. Haupt-Begriff des Zweifels und Zweiflers.
III. Eintheilungen des Zweifels und der Zweifler.
 
(1) Eintheilung des Zweifels in den Academischen, Pyrrhonischen, Aristotelischen, Cartesianischen, Verulamischen, und der neuen Pyrrhonisten.
 
(a) Der Academische Zweifel.
(b) Der Pyrrhonische Zweifel.
(c) Der Aristotelische Zweifel.
(d) Der Cartesianische Zweifel.
(e) Der Verulamische Zweifel.
(f) Der neuen Pyrrhonisten Zweifel.

  Text Quellenangaben
  Zweifel, Lat. Dubitatio, ist derjenige Zustand des menschlichen Verstandes, da derselbige ungewiß ist, zu welcher Seite er sich in dem Urtheil von einer Sache determiniren sollen. Eigentlich zu reden, zeiget der Zweifel nicht sowohl eine Würckung, als vielmehr einen Stand des menschlichen Verstandes an. Walchs Philosoph. Lexicon.  
  Derjenige Mensch also, dessen Verstand sich in einem solchen Zustand befindet, heisset daher ein Zweifler, Lat. Scepticus.  
  Wir wollen diese Materie von dem Zweifel und den Zweifler, in dreyen besondern Haupt- Abschnitten, Philosophisch, Theologisch und Juristisch abhandeln.  
     
  A) Philosophische Abhandlung.  
  I. Betrachtung des Wortes Zweifel.  
  Das Worte: Zweifel, scheinet nicht ein ursprüngliches, sondern ein hergeleitetes und zusammengesetztes Wort zu seyn, nehmlich von zwey und fehlen, das ist, in zweyen Dingen fehlen; oder zweyfach von einem Dinge urtheilen; oder, wie Stadenius in Vocibus Bibliorum … will: Zweifeln ist im Griechischen distazein von dis und staō, gleichsam auf einem Scheidewege stehen; und auf solche Weise ist auch das Deutsche Wort: Zweifeln, von zwey und fall, da man von einer Seite zur andern wancket und zweifelt, zusammengesetzet. Steinbachs vollständiges Deutsches Wörter-Buch.  
       
  II. Haupt-Begriff des Zweifels und Zweiflers.  
  Alles was wahr ist, läst sich dencken, denn da es objektivisch wahr ist, so kan es subjektivisch gefast werden. Das Falsche, weil es in sich widersprechend: folglich ein Unding ist, so kan es von keinem Subjecte gedacht werden, weil sich davon keine Vorstellung machen läst. Es ist an dem, daß man die Falschheit dencken kan, allein nur  
  {Sp. 1016}  
  durch den Gegensatz der Wahrheit, und den Gründen und Kennzeichen, welche den wahren Satz bestimmen, der uns die Unmöglichkeit des Falschen durch die Gegeneinanderhaltung, darleget. Daraus begreiffet man die unrichtige Verbindung oder Trennung der Begriffe und die Abweichung von den ächten Erkenntniß-Sätzen aller Wahrheiten, folglich die Falschheit.  
  Wer das Falsche, unter der Einbildung des Wahren, zu dencken vermeynet, der irret. Niemand muß sich vorstellen, als wenn die Irrenden glaubten, daß ihr Irrthum nicht Wahrheit sey. Die betrübte Erfahrung giebt uns den täglichen Beweis davon. Diese armen Seelen rühmen sich der richtigsten Gedancken, und sie glauben so gewiß ihren falschen Satz zu gedencken, als der, welcher in der würcklichen Einsicht des wahren stehet. Sie rühmen sich der Beweis-Gründe, des Beweises der Gewißheit und Überzeugung so wohl als der, welcher dieß alles in der That besitzet.  
  Der subjectivische Zweifel gehet einen andern Weg. Er nimmt an: daß ihm, so wie er itzo ist, die Verhältniß der Begriffe, die Grund-Sätze mit ihren Folgen, und die objektive Gewißheit und Wahrheit unbegreifflich sey. Auch dieses setzet er von der Falschheit und Ungewißheit. Dahero entziehet er seinen gäntzlichen Beyfall den Vorstellungen der Dinge. Und so wenig er etwas bejahet, so wenig verneinet er solches. Wer vorgiebt, daß er so wenig die Wahrheit als die Falschheit von etwas dencken könne, der zweifelt, Der Zweifel ist also nichts anders, als eine Zurückziehung der Bejahung und Verneinung.  
  Der Zweifler ist die Person welche bekennet: ich bin von etwas nicht subjectivisch gewiß; ich kan so wenig die Wahrheit als Falschheit von dem, welches einige gewiß als wahr oder falsch erkennen wollen, gedencken. Es ist nicht ausgemacht, ob die Dinge, die sich mir vorstellen, so würcklich ausser meiner Vorstellung sind. Ich finde Gründe, die mich bald zu der Bejahung, bald zur Verneinung antreiben, und auf beyden Seiten gleich starck arbeiten. Ich habe in mir keine Überzeugung von dem, was ausser mir seyn soll, und ich kan meinen Gedancken von etwas so wenig das Wort reden, als entziehen, und darum urtheile ich von nichts, sondern entziehe meinen Beyfall dem einen so wohl wie dem andern.  
  Solche Personen finden bey jedem Dinge eine gleiche Menge von Bewegungs-Gründen zur Bejahung und Verneinung. ihre Sprache ist bey Untersuchung der Dinge: Wir wissen es nicht; es ist ungewiß; wir können so wenig die Möglichkeit als Würcklichkeit der Dinge überzeugend fassen wir suchen die Wahrheit der Dinge zu ergründen; bis Dato haben wir sie nicht gefunden; die Gründe führen unsere Einsicht zur Aufhebung unseres Urtheils; es kan seyn; es kan auch nicht seyn; wir können uns so wenig zur Rechten als zur Lincken wenden, und darum keine Parthey ergreiffen: Kurtz alles ist uns ungewiß, unerkenntlich und unsern Seelen unbegreifflich.  
  Sextus EmpiricusLib. I, Pyrrhoniarum hypotyposium, hat uns die Ausdrücke der Zweifler unter den Griechen gesammlet. Sie sind: [zwei Zeilen griechischer Text]. Und la Mothe le Vayer unter dem  
  {Sp. 1017|S. 522}  
  Nahmen Horatius Tubero hat sie in dem Gespräche: de la Philosophie Sceptique p. 71. der Berlinischen Ausgabe 1744, alle sorgfältig zusammen getragen.  
  Wir reden hier blos von der innern Gestalt des Zweifels, und wie er in einem Subjecte arbeitet; nicht aber von der Absicht und den Beschaffenheiten derselben. Simonetti Sammlung vermischter Beyträge zum Dienst der Wahrheit, Vernunfft, Freyheit und Religion, Bd. I, p. 136. u.ff.  
       
  III. Eintheilungen des Zweifels und der Zweifler.  
  Aus der Geschichte ist bekannt, daß man viele wackere Männer zu der Zahl der verhaßten Zweifler darum gezählet, damit man unter dieser Anklage andern ihren Nahmen verhaßt machen möchte. Es giebt Leute, die mit einer dogmatischen Zufriedenheit dieses und jenes als wahr ausruffen. Über diese Art von Menschen klagen alle Jahrhunderte. So bald als ein gegründetes Wissen nicht so gleich in gewissen Gewohnheits-Wahrheiten seinen Beyfall geben, oder durch Gegengründe wanckend machen will: so rechnet man solches zum verwerflichen Zweifel. Wir wissen nicht, ob diese Art der Verleumdung nur zu den finstern Zeiten der Scholasticker im Gebrauche gewesen. Uns kommt es so vor, daß man heut zu Tage darüber noch klagen müsse. Das Zweifeln ist in der Römischen Kirche sehr verhaßt. Und unter den Protestanten giebt es keine geringe Anzahl, die wider allen Zweifel, besonders in der Religion, eifern. Der Eifer wider die Zweifler hat ohnstreitig die Vielheit dieser Antipoden der Dogmatiker hervorgebracht. Dies wird sich bald zeigen.  
  Man findet hie und dort in den Schrifften gelehrter Männer die Eintheilung dieses zweifelnden Geschlechts. Buddeus, der uns eine Abhandlung von dem moralischen Zweifel in seinen Analectis Historiae Philosophiae …hinterlassen, berührt derselben Eintheilung. Auch handelt er in seinem Buche de Atheismo et Superstitione … von dieser Materie. Peter von Viliemandy in Scepticismo debellato, und Wilhelm Heinrich Beckher in Schediasmate de eo … (Königsberg 1724 in 4.) … theilen die Zweifler gleichfalls unter gewisse Benennungen ein. Dieses findet man auch in andern Schriften, die von dem Zweifel handeln, siehe
  • Struvens Bibliothec. Philosoph. ex edit. Kablii
  • Bruckers Histor. Philosoph.
  • und Jacob Wilhelm Feuerlins zwey Dissertationen, sowohl de dubitatione Cartesiana … (Jena 1711), als auch in quantum Cartesio Atheismus atque Scepticismus possint imputari? (Jena 1712).
  Der schon gelobte und berühmte Herr Christian Ernst Simonetti eröffnet seine Gedancken hierüber, in seiner Sammlung vermischter Beyträge zum Dienste der Wahrheit, u.s.w. Bd. I … in folgenden Worten: Die Zweifler machen vier Haupt-  
  {Sp. 1018}  
  Classen aus, welche man wiederum in Unter- Classen theilen kan. Einige zweifeln sowohl an der Gewißheit der objectivischen als subjectivischen Wahrheit einige geben die objectivische zu, und zweifeln nur an der subjectivischen. Einige geben in einer gewissen Verhältniß die gewisse objectivische und subjectivische Erkenntniß zu, und in einer andern leugnen sie dieselbe. Und die letzte Classe zweifelt nur zuerst, um die Wahrheit desto besser zu fassen. Diese letzten, wenn man richtig reden will, gehören eigentlich zu der rechten Gattung der Zweifler, wenn man sie als Pyrrhonisten erweget. Sie sind durch eine kleine Verleumdung dazu gekommen.  
  Der Zweifel hat nicht mehr als zwey Wege, die er betreten kan. Er kan auf sich selbst sehen, und wie in ihm die äusserlichen Dinge vorgestellet werden, oder er kan auf die Dinge, die ausser ihm sich darstellen, Acht haben. Der Zweifel theilet sich so ein, wie die Wahrheiten sind, daran er zweifelt. Die Wahrheit ist objectivisch und subjectivisch. Eben so verhält es sich mit dem Zweifel. Alle Dinge lassen sich in einer gewissen Verhältniß erwegen. Der Zweifel gleichfalls.  
  (1) Eintheilung des Zweifels in den Academischen, Pyrrhonischen, Aristotelischen, Cartesianischen, Verulamischen, und der neuen Pyrrhonisten.  
  Betrachtet man den Zweifel erstlich in gewissen Personen, die man als Stiffter gewisser Arten von Zweifler ansehen muß, so bekommt er davon die Benennung und Eintheilung.  
  (a) Der Academische Zweifel.  
  Arcesilaus, der Stiffter der sogenannten mittlern, und Carneades, der Urheber der sogenannten dritten Academie, bestimmen die Secte der Academischen Zweifler, und man kan eines jedes Zweifeln zu einer gewissen Art rechnen, siehe Bruckers Histor. Philosoph. unter dem Nahmen dieser beyden Männer.
  Der erste, nehmlich Arcesilaus, hielt dafür: Alles was man durch die Sinnen und mit dem Gemüthe fasse, sey ungewiß. Pomponius Mela … nennet ihn deswegen den berühmten Vorsteher der nichts bejahenden Academie (Nihil affirmantis Academiae clarissimum Antistitem). Cicero spricht von ihm also: [vier Zeilen lateinischer Text]. Man sehe auch Voßium de Philosoph. sectis … und Menagium ad Diogen. Laert.
  Der andere, nehmlich Carneades ließ zu, daß in den Dingen selbst etwas Gewisses und Wahres sey, aber er leugnete, daß der Mensch solches erkennen könnte. Auch darinn soll er von dem Arcesilaus im Zweifeln unterschieden seyn, daß, ob er gleich seinen Beyfall zurück behielt, er dennoch das Wahrscheinliche und Unwahrscheinliche zuließ, welches jener leugnete. Bayle in Dict. hist. crit. V. Carneades, lit. B. will diesen Unterscheid nicht gegründet finden; und Huet de la Foiblesse  
  {Sp. 1019|S. 523}  
  de l'esprit humain … zeiget, daß ihre Meynung übereinstimmend gewesen.  
     
  (b) Der Pyrrhonische Zweifel.  
  Pyrrho ist der Heerführer der vornehmsten Zweifler, die man Pyrrhonisten nennet. Diese Secte, die man auch die Scepticker heißt, haben auch die Nahmen: der Sucher, Forscher, Unschlüßigen, und der Unbestimmenden erhalten.  
  Pyrrho setzte das höchste Gut in der Gleichgültigkeit. Nach diesem angenommenen Satze muste er auf sein Lehr-Gebäude kommen, oder vielmehr des Arcesilaus seines annehmen, und nach seiner Absicht etwas anders einrichten. Denn wer alles vor gleichgültig halten will, der muß nothwendig dem einen vor dem andern keinen Beyfall widmen, folglich zweifeln. Und aus eben dieser Quelle muß man die Wort des Diogenes Laertius von dem Pyrrho erklären … [ein Satz Griechisch]; er setzte, nichts sey schön und heßlich, nichts gerecht und ungerecht. Man kan sich keinen bessern Begriff von den Lehren der Pyrrhonisten machen, als wenn man folgende Schrifft, die einige dem le Clerc zuschreiben, nachlieset: Les hipotiposes … 1725. in 12.  
  Einige haben zwischen den Academischen und Pyrrhonischen Zweiflern keinen Unterscheid finden wollen, den andere hingegen annehmen. So hat Ascanius Abderites nach des Diogenes Laertii Zeugnis B. IX. … unter beyderseits Lehren keinen Unterscheid finden wollen. Bayle giebt solchen zu, wie die Note A in dem angeführten Artickel darlegt, und Huet zeiget im angezogenen Buche … wie man solchen betrachten müsse.  
  Wenn man von den alten deutliche und bestimmte Erklärungen hätte, so könnte man diese Streitfrage richtiger aus einander setzen. Indessen ist es höchstwahrscheinlich, daß Pyrrho von dem Arcesilaus und Carneades in einigen Sätzen abgewichen, theils weil man den Pyrrho zum Urheber einer eigenen Secte gemachet; theils weil einige Schrifftsteller das Verschiedene ihrer Lehren vorgetragen, welches gewiß nicht geschehen wäre, wenn man in den ältesten Zeiten den Unterscheid unter beyden nicht würcklich eingesehen. Von ihrem Unterscheide schreibt Aulus Gellius …: [acht Zeilen lateinischer Text]. Sextus Empiricus giebt auch diesen Unterscheid an: Arcesilaus hielt die Zurückziehung des Beyfalls vor natürlich gut, hingegen die Bejahung ihrer natürlichen Beschaffenheit nach, vor böse; aber Pyrrho meynte, beydes schiene nur gut oder böse, siehe Voßium de Philosophorum sectis, und Jonsium de Scriptoribus Histor. Philosoph. …
  {Sp. 1020}  
  Die Haupt-Characters dieser Art Zweifler ist  
 
  • die Allgemeinheit, indem sie an allen zweifeln;
  • die Dauer, indem sie solche beständig fortsetzen, und sich keinen Grentz-Ort ihres Zweifels annehmen;
  • und endlich die Vereinigung des objectivischen und subjectivischen Zweifels, indem sie über beydes zweifeln.
 
  Siehe übrigens den Artickel: Philosophie, im XXIX Bande, p. 1853.  
     
  (c) Der Aristotelische Zweifel.  
  Man erwege auch den Zweifel, so, wie ihn Aristoteles gelehret hat. Dieser sagt in seinem VII Buche von den Categorien: von einem jeglichen Dinge zu zweifeln ist nützlich. Man beschreibet den Aristotelischen Zweifel: als eine Bemühung des Verstandes, einen Satz auf verschiedene Art zu erwegen, den Beweis und Gegenbeweis zu führen und so lange an des Satzes Richtigkeit zu zweifeln, bis er entweder wahrscheinlich, oder demonstrativ behauptet worden. Man sehe hievon die angezogene Schrift des Beckhers und die Catheder-Abhandlung des Herrn D. Feuerleins.  
  Uns wundert, daß man dieses erst dem Aristoteles beygeleget. Denn vom Anfang des vernünfftigen Geschöpffes, hat eine jede endliche Vernunfft also verfahren müssen. So lange als die Seele die Beweisgründe von gleicher Stärcke, sowohl vor den Satz als Gegensatz findet, muß sie nothwendig ihren Beyfall zurück halten, das ist zweifeln. Und da hat uns Aristoteles nichts Neues gesagt, wenn er seinen Zweifel auf die Art gedacht hat; denn es ist so richtig noch nicht, als einige meynen, daß er soll gedacht haben: Der ist ein Thor, der anders verfährt.  
  Wenn man alles prüfen soll, um das Beste zu behalten: so muß man nothwendig eins gegen das andre halten. Die Gründe, die vor und dawider sind, prüfen, und das Überwiegende dem Nichtwichtigen vorziehen. Unter diesem Untersuchungs-Geschäffte muß der Weise ein Sucher, Forscher und Zweifler seyn. So ehrwürdig Aristoteles einigen als ein Dogmaticus vorkommt, so bleibet er es doch nicht, wenn man seine Sätze näher beleuchtet, und dahero gehöret er würcklich unter die verdeckten irrigen Zweifler; wenigstens bahnen seine Lehr-Sätze, wie Buddeus l.c. … sehr wohl angemerckt, darzu den Weg.  
  Er sagt ausdrücklich: das, was eigentlich gut oder böse ist, kan nicht bestimmet werden, sondern wir durch das Gesetz, durch die Übereinstimmung der meisten, und nicht durch die natürliche Beschaffenheit der Dinge festgesetzt. Siehe des Aristoteles Lib. I. Ethic. ad Nicom.
  Man muß das, als das Beste und Wahre annehmen, welches nach der meisten Meynung davor gehalten wird; und das, als das Falsche, worinnen man uneins ist, und die Menschen nicht zusammen stimmen, fahren lassen. Diesen gefährlichen Gedancken sind sehr viele unter den alten und neuen Weltweisen gefolget; und durch sie ist der elende Beweis-Grund: communis opinio Doctorum entstanden. Der Aristotelische Zweifel ist nichts anders, als die Zurückziehung des Beyfalls und der Vereinigung, um die beste Meynung zu entdecken, und das, welches  
  {Sp. 1021|S. 524}  
  die äusserlichen Gesetze am wahrscheinlichsten als wahr, falsch, gut, oder nicht gut, bestimmen, anzunehmen. Man betriegt sich, wenn man sich überredet, Aristoteles habe den Zweifel zur Entdeckung der Gewißheit und würcklichen Wahrheit, als ein Hülfsmittel angesehen. Huetius l.c. … rechnet ihn deswegen zu den Zweiflern.  
     
  (d) Der Cartesianische Zweifel.  
  Aus der Geschichte der Weltweisheit ist bekannt, wie hefftig man über den Cartesianischen Zweifel gestritten. Er hat seine Ankläger und Vertheidiger. Die angezogene Beckhersche Schrift stellet uns solche in einem kurtzen Begriffe sehr wohl dar, in der Einleitung: de scriptoribus Vitae Doctrinaeque Cartesii. Der Herr D. Feuerlein bemühet sich, in den angeführten beyden Catheder-Abhandlungen, die eigentliche Beschaffenheit desselben zu bestimmen. Im §. 7. Diss. 1. heist es:[4 Zeilen lateinischer Text]. Siehe auch Diss. 2. §. 2. allwo er zeiget, wie die Cartesianische Verneinung zu betrachten, und daß Gaßendus solche mit recht, in seiner Dubit. 1. ad Med. 2. vorgerücket. Er, Feuerlein, untersuchet dessen Natur und meynt, daß der Cartesianische Zweifel, eigentlich eine Verneinung und kein Zweifel sey. Man kan sich diesen philosophischen Zweifel nicht deutlicher vorstellen, als wenn man Cartesium selbst reden läst. Er sagt:  
  Weil wir als Kinder gebohren sind, und wir mancherley Urtheile über die, in die Sinnen fallende Dinge, ehe wir den gantzen Gebrauch unserer Vernunfft besitzen, gemacht haben: so werden wir durch viele Vorurtheile von der Erkenntniß des Wahren abgezogen: von welchen, wie es scheint, wir nicht anders befreyet werden können, als wenn wir an allem dem, bey welchem wir den geringsten Anschein der Ungewißheit finden, uns in unserem Leben einmahl zu zweifeln befleißigen. Siehe Princip. Philosoph. Cartesii
  Die Worte sind: [7 Zeilen lateinischer Text]. An einem andern Orte spricht er: Ich werde endlich zu bekennen genöthiget, daß sich bey allem dem, welches ich ehedem wahr zu seyn geglaubet, der Zweifel anbringen lasse; und auf diese Gedancken bin ich nicht ohne Überlegung und durch flüchtige, sondern durch wichtige und nachgedachte Gründe gekommen. Dahero habe ich geurtheilet, daß wenn ich wolte etwas gewisses finden, ich demselben, sowie dem offenbahr falschen, meinen Beyfall genau entziehen müsse.  
  In seinen Medit. de prima Philosophia Med. 1. stehen diese Worte: [eine Zeile lateinischer Text]  
  {Sp. 1022}  
  [5 Zeilen lateinischer Text]. Hieraus erhellet, daß der Cartesianische Zweifel nichts anders sey, als: eine solche ernsthaffte Zurückziehung des Beyfalls, die der gleichet, welche man, bey dem offenbar falschen, beobachtet.  
  Der Cartesianische Zweifel bestehet also, wie die Beckhersche Schrift wohl beobachtet hat, nicht in einer Verneinung, sondern in einem würcklichen Zweifel, den aber Cartesius darum durch solche Ausdrücke: als verwerfen, ablegen, vor falsch halten, umstoßen u.d.g. bemercket hat, um dadurch die eigentliche Natur und Einrichtung dieses Zweifels, von dem Pyrrhonischen, und Aristotelischen, zu unterscheiden. Die Pyrrhonisten zweifelten, um beständig zu zweifeln ob etwas wahr oder falsch sey. Cartesius zweifelt, damit sein Zweifel die Wahrheit entdecken möge; und damit der Zweifler in solcher Arbeit desto gegründeter verfahre, so soll er sich vorstellen, als wenn das, worüber gezweifelt wird, falsch sey.  
  Der Aristotelische Zweifel suchet nur die Sache von beyden Seiten zu prüfen, um die wahrscheinlichste Meynung und den Beyfall der meisten, als die wahren anzunehmen. Cartesius erkannte diesen schlüpfrichten Weg sehr wohl, und darum suchte er seine Gedancken vom Zweifel, lieber etwas hart auszudrücken, damit man dadurch erkennen möchte, daß sein Zweifel nicht etwas spielendes, oder dem Haufen der Beypflichter und gelehrten Aussprüche Nacheilendes sey.  
  Wer den Cartesianischen Zweifel genau erweget, der wird folgende Beschaffenheiten dabey entdecken, die oben gelobter Herr Simonetti l.c. … in folgende kurtze Sätze gefasset:  
  Erstlich. Man muß aufrichtig, ernsthaftig und gründlich zweifeln, weil man bey dem Dinge, daß man vor wahr oder falsch gehalten, oder uns andre als wahr und falsch vorgetragen, Merckmahle des Gegentheils zu entdecken vermeynet.  
  Zweytens. Man muß darum zweifeln, damit man dadurch zur innern Empfindung des Wahren und Falschen komme, und man sich der Gewißheit und der eigentlichen Beschaffenheit seiner Vorstellungen von etwas, bewust werde.  
  Drittens. Man muß über ein jedes zweifeln, welches nur auf einige Art und Weise ungewiß gemacht werden kan.  
  Viertens. Man muß nur einmahl in seinem Leben über eine Sache zweifeln, weil man nicht eher die Untersuchung von der Gewißheit derselben, als bis man davon überzeuget worden, aufheben muß.  
  Fünftens. Das Zweifeln ist eine Handlung, die das Gemüth zur Gewißheit der Dinge leitet, und die Wahrheit derselben zu fassen zubereitet.  
  Sechstens. Das Zweifeln entdecket nicht an und vor sich die Gewißheit des Wahren und Falschen, darzu gehören die Gründe der menschlichen Erkenntniß.  
  Siebentens. Der Zweifel ist ein Mittel, die Vorurtheile abzulegen, welche die gewisse Erkenntniß aufhalten.  
  {Sp. 1023|S. 525}  
  Achtens. Der Zweifel führet zur Gemüthssicherheit und befestiget den Verstand wider Meynung, Wahn und Muthmassung.  
  Neuntens. Der Zweifel ist nur denen anzurathen, welche die Geschicklichkeit einen Beweis zu fassen, besitzen.  
  Zehntens. Der Zweifel muß sich nicht auf die Dinge, die in beständiger Übung im bürgerlichen, natürlichen, und sittlichen Leben sind, sondern vornehmlich auf die Betrachtung der metaphysischen Wahrheiten richten, und sich dahero nicht an die Würcklichkeit der Dinge, die aus ihren Gründen bereits bekannt sind, wagen.  
  Eilftens. Der Zweifel muß jederzeit von einem aufrichtigen Vorsatze, die Beweise vor die Wahrheit und wider die Falschheit anzunehmen, begleitet werden.  
  Zwölftens. Der Zweifel muß die Objecte, welche über die Krafft seiner Einsicht sind, nie zum Gegenstande seiner Untersuchungen machen.  
  Dreyzehntens. Der subjectivische Zweifel muß mit dem objectivischen nie vermischt werden, und darum muß er nicht von dem ersten auf den letzten schliessen.  
  In diesen Sätzen findet man die eigentliche Beschaffenheit des Cartesianischen Zweifels, den niemand tadeln wird, der ohne Vorurtheil die Sachen zu untersuchen gewohnt ist. Cartesius Zweifel, ist ein scharfes Untersuchen der Dinge in ihrer metaphysischen Wahrheit, Güte, Vollkommenheit und Gewißheit, so wie sie sich der endliche menschliche Verstand vorstellt, und vorstellen kan. Er überschreitet die Grentzen der endlichen Denckungskrafft nicht. Er dringet nicht mit dummdreisten Schritten in das Unendliche. Er will nicht die Höhe, Tiefe, Breite und Länge der Dinge, die über den menschlichen Verstand sind, ausmessen. Mit dem Übernatürlichen und Geheimnißvollen hat er nichts zu thun. Sein Gegenstand ist das, was der endliche Geist begreifen, und in seiner Gewißheit erkennen kan.  
  Wir begreifen nicht, wie man diesen Philosophen zu einem Atheisten desfalls hat machen wollen. Denn wenn er auch an Gottes Würcklichkeit gezweifelt hätte, welches er doch nicht gethan, so muß man bedencken, daß er darum subjectivisch gezweifelt, um objectivisch recht gewiß zu werden. Ist dieß was Böses? Heist dieß so gleich ein Ding leugnen, wenn man auf eine Zeitlang an dessen Seyn oder Nichtseyn zweifelt, um die Gründe, die es erhärten, desto schärfer zu prüfen?  
  Es haben auch einige Gelehrte wohl bemerckt, daß Cartesius nicht an Gottes Würcklichkeit an und vor sich, sondern nur an die Beweise und Gründe, welche die Existentz Gottes darlegen sollen, gezweifelt. Wenn man ihm vorwirfft, er habe doch seine Sätze nicht behutsam genung vorgetragen, und ein Pyrrhonist und Atheist könnte daraus zu seiner Beschönigung vieles anführen; ja, es könnten auch einige dadurch auf die atheistischen und sceptischen Wege verleitet werden: so dünckt uns, diesen Vorwurf zu retten, so müsten alle Lehrarten und Schriften aufgehoben werden, weil noch keine entstanden sind, welchen man dieses nicht vorwerfen könne. Sind sie gleich nicht alle die gelegentliche Ursache, doch  
  {Sp. 1024}  
  auf eine unschuldige Art, zum Unglauben geworden, so haben sie doch dem Aberglauben Vorschub gethan. Und zwischen beyden ist der Unart kein so grosser Unterscheid. Der Grund, den man also wider Cartesium anführet, beweiset nichts, weil er mehr, als er beweisen soll, beweiset.  
  Die übrigen Antworten, welche Cartesius rechtfertigen, übergehen wir darum, weil man solche sehr leicht entkräfften wird, sobald man nur die Quellen der Beschuldigungen entdecket, und bedenckt, wie es die Christen mit dem Worte Gottes machen. Simonetti Sammlung vermischter Beyträge zum Dienst der Wahrheit, u.s.w. Bd. I, p. 148 u.ff.  
  Indessen wollen wir doch die widrigen Urtheile, welche über den Cartesium sind gefället worden, kürtzlich berühren. Man kan sie füglich in drey Classen bringen:  
  Einige haben daher, daß er gemeynt, man müsse an alles, folglich auch an der Existentz Gottes zweiffeln, Gelegenheit genommen, ihn der Atheisterey zu beschuldigen, deren wir drey anführen wollen.  
  Der eine ist Gisbert Voetius, der ein geschworner Feind des Cartesius war, und sich äusserst bemühete, alle Leute zu bereden, man habe an dem Cartesius ein vollkommenes Muster eines Atheisten, wider welche Beschuldigung er eine weitläufftige Epistel aufgesetzet, und darinnen querelam apologeticam … vorgestellet, welche nach seinem Tode Samuel Maresius unter dem Titul: Magni Cartesii manes ab ipsomet defensi, herausgegeben.  
  Der andere ist Martin Schoockius, der Professor der Philosophie zu Gröningen war, und auf Anstifften des gedachten Voetius folgende Schrifft: Philosophia Cartesiana …, zum Vorschein brachte, darinnen er ihm nicht nur eine heimliche Atheisterey Schuld giebt; sondern auch zwischen ihm und dem Vaninus eine Vergleichung anstellen will. Hierauf hat Cartesius in einer Dissertatione … geantwortet, wie man denn auch berichtet, daß Schoockius nachdem er deswegen vor der Obrigkeit verklaget, zu dem Bekenntniß gezwungen worden, er habe dem Cartesianus zu nahe gethan.  
  Der dritte ist Rutger Loenius, ein Medicus, von welchem herausgekommen sind: Selecta philosophica prooemialia Cartesianorum ... Im Jahr 1724 kamen, wie oben schon gemeldet, zum Vorschein M. Wilhelm Heinrich Beckhers schediasma critico-philosophico-litterarium … Worinnen man sich des Cartesius angenommen, und ihn wider die Beschuldigung der Atheisterey vertheidiget. In dem folgenden Jahre 1725 schrieb zu Königsberg wider dieses Schediasma Johann Caspar Such-  
  {Sp. 1025|S. 526}  
  land Dissertationem metaphysicam sistentem Cartesium … darinnen er darzuthun sich bemühet, man habe Ursach, daß man den Cartesius unter die Atheisten zähle.  
  Andere haben ihn des Scepticismi verdächtig gemacht, vornehmlich aus eben der Ursache, weil er seine Philosophie von einem gäntzlichen und allgemeinen Zweifel angefangen, und auf diese Art in der That den Scepticis, die er zu bestreiten das Ansehen entweder haben wollen, oder es auch im Ernste mag gemeynet haben, die Waffen in die Hände gegeben, damit sie die Gewißheit aller Dinge desto besser umstossen könnten, wovon Parckerus de Deo et providentia disputat. … u. Huetius in censura philosophiae Cartesianae … zu lesen.
  Beyde sind in ihren Urtheilen allzu hart, indem man ihn weder der Atheisterey, noch das Scepticismi mit Grund beschuldigen kan, wie Herr Walch im Philosophischen Lexico, nicht unrecht urtheilet; jedoch aber setzet er auch hinzu:  
  „Diejenigen Gründe, womit ihm verschiedene zu entschuldigen gesuchet, als wenn er nicht im Ernste an der Existentz GOttes gezweifelt; sondern nur dergleichen vorgegeben habe, oder als wenn sein Zweifel nur in einer Zurückhaltung seines Urtheils und nicht in einer Verneinung bestanden; oder daß er nur eine kleine Zeit gedauret; oder daß er nicht so wohl an der Existentz GOttes; als an der Stärcke der Argumenten gezweifelt, können nicht alle gebilliget werden, gleichwohl scheint uns die Sache selbst hart zu seyn, wenn man ihn darum in die Rolle der Atheisten setzen wolte, weil er gemeynet, man müsse an alles zweifeln, ja weil er auch an der Existentz GOttes selbst gezweifelt, welches wir nicht leugnen können, weil solches klar aus Meditat, 1. erhellet. Denn Zweifel ist an sich selbst noch keine Verleugnung. Nun hat sich Cartesius zwar darinnen vergangen, daß er zweifeln und verneinen vor eines gehalten; dem ohngeachtet ist er in solchem Zweifel nicht beharret, und hat vielmehr die Wahrheit, daß ein GOtt sey, angenommen.  
  Eben das läst sich auch wegen des Scepticismi erinnern. Denn er ist nicht nach der Art der Scepticorum immer in Zweifel geblieben, sondern hat endlich ein gewisses Principium angenommen, und gewisse Kennzeichen, das Wahre von Falschen zu unterscheiden, gesetzet. Um deswegen treffen diejenigen unserer Meynung nach die Sache am besten, welche sagen, daß Cartesius wegen des Zweifels weder der Atheisterey noch des Scepticismi mit Recht könne beschuldiget werden; er habe aber seine Lehre davon unvernünfftig und gefährlich eingerichtet.  
  Es war allerdings was unvernünfftiges, daß er verlangte, man solte an alles zweiffeln, auch an solche Dinge, die unmittelbar in die Sinne fallen, welches zwar daher kam, daß er sich einbildete, als wenn die äusserliche Sinne betrieglich, und das war gleichfals was ungereimtes, denn lassen wir die Betrieglichkeit der Sinnen zu, daß man sich auf selbige nicht verlassen könnte, so muß daraus ein beständiger Zweifel, oder Scepticismus entspringen, nicht nur in Dingen, welche unmittelbar die äusserliche  
  {Sp. 1026}  
  Sinne rühren, sondern auch die mit dem Verstande begriffen werden, weil alle Ideen ursprünglich von der äusserlichen Empfindung herrühren. Gefährlich ist diese Lehre, weil sie bey den Atheisten und den Scepticis dienlich seyn kan, ob er gleich selbige nicht aus Vorsatz und böser Meynung zu solchem Ende aufgesetzet hat.„  
  Man lese Feuerleins Dissertat. de dubitatione Cartesiana …, Jenae 1711, welcher auch noch in dem folgenden Jahre eine andere geschrieben unter dem Titul: In quantum Cartesio atheismus atque scepticismus possint imputari, als einige gemeynt hatten, er hätte in der erstern dem Cartesius zuviel gethan. Es können von dieser Materie noch andere Scribenten gelesen werden, als  
 
  • Valentin Alberti de Cartesianismo
  • Mastricht in gangraena novitatum Cartesianarum
  • Paschius de inventis novantiquis
  • Seligmann in exercitat. Academicis
  • Buddeus in thesibus de atheismo et superstitione
  • Villemandy in scepticismo debellato
  • Walch in Histor. Logic. … und in Parerg. Acad. …
 
  nebst einigen Dissertationen, als  
 
  • des Bahrius de Cartesio serio dubitante zu Greyffswald 1693
  • und des Mascovius de problemate ....
Siehe auch Bruckers Kurtze Frage aus der Philosophischen Histor. VII Th. ...  
       
  (e) Der Verulamische Zweifel.  
  Der berühmte Cantzler von Engelland, Baco von Verulamio, hat zu einer neuen Eintheilung des Zweifels den Nahmen gegeben. Dieser grosse Mann suchte dem Wachsthum der Künste und Wissenschafften eine neue Krafft zu geben, und insonderheit war er bedacht, die Natur-Lehre auf gewisse Gründe zu befestigen. In seinem Organo novo rieth er den Naturforschern den Zweifel an. Er wolte, sie solten die Schätze der Natur, mit einem von Vorurtheilen, die er Götzen nennet, befreyeten Geiste untersuchen, und dahero an denen bißhero angenommenen Hypothesen zweifeln, den gemachten Erfahrungen nicht trauen, sondern alles nochmahls untersuchen und prüfen. Der Verulamische Zweifel gehet demnach  
 
  • auf die Physick,
  • Erfahrung anderer in natürlichen Entdeckungen,
  • sinnliche und einzelne Vorstellungen der Naturbegebenheiten,
  • und will; man soll seinen Beyfall den Sinnen entziehen und nicht ohne genaue Nachspürung der Natur-Wege so gleich Ja oder Nein, zu fremden, auch eigenen Entdeckungen sagen.
 
  Joh. Clauberg de Dubit. Cart. … hat den Unterscheid des Verulamischen und Cartesianischen Zweifels untersuchet, der seinen Haupt-Unterscheid darinn hat, daß Cartesius den Zweifel in der Metaphysick, Baco aber in der Physick, zur Erreichung der gewissen Erkenntniß erfordert hat.  
     
  (f) Der neuen Pyrrhonisten Zweifel.  
  Die neuen Pyrrhonisten oder Zweifler sind von den alten in vielen Stücken unterschieden. Sie  
  {Sp. 1027|S. 527}  
  bemühen sich, die Ungewißheit der menschlichen Erkenntniß zu behaupten. Sie leugnen nicht die objectivische, sondern die subjectivische Gewißheit. Sie sagen: Der Mensch hat keine solche aufgeklärte und gewisse Erkenntniß der Wahrheit, dadurch er nicht nur, die Wahrheit erkennet, sondern auch, daß er sie gewiß erkannt habe, in einer wahren Überzeugung stehen könnte. Alles hat nur einen Schein des Wahren. Der Weise suchet das Wahrscheinliche zu wehlen. Sie meynen zwischen den Wahrheiten der Vernunfft und der Offenbarung entdecke sich ein Widerspruch. Sie bauen auf die unterdrückte Vernunfft, des geoffenbarten Glaubens, Wahrheit, Gewißheit und Nothwendigkeit. Sie geben den Einwürfen der alten Pyrrhonisten einen neuen Anstrich der Stärcke. Sie bemühen sich die bishero gebrauchten Beweis-Gründe aus der Vernunfft, zu schwächen und wanckend zu machen. Sie wollen den Socratischen Satz: Dieß eine weiß ich, daß ich nichts wisse, geltend machen.  
  Man kan dieses aus dem 2 B. des Huets Schrifft de la foiblesse de l'Esprit am besten erkennen. Will man von diesen Männern mehr Nachricht haben, so darf man nur den Peter de Villemandy in Scepticismo debellato … nachlesen. Allein dieser zählet viele dahin, welche dahin nicht gehören. Wir wollen nur einige, die ohne Widerrede, als Häupter der neuen Pyrrhonisten zu bemercken sind, anzeigen.  
  Franciscus Sanchez, der Medicin Professor zu Toulouse, hat in seinen philosophischen Schrifften dem Zweifel das Wort geredet. Seine Zweifel, die er den Schlüssen der Weltweisen entgegen setzt, verrathen seine Seele. Seine Gedancken enthalten viel Gutes. Des Sanchez vornehmste hieher gehörige Schrifft handelt: de multum nobili et prima universali scientia, quod nihil sciatur. Lugd. 1581. Hartnaccius hat solches Buch 1665 mit der Widerlegung von neuem ans Licht gestellt. Indessen findet man in seinen übrigen Philosophischen Schrifften sehr viele Stellen, welche seine Meynung offenbaren. Ausser der angeführten, sind noch drey Tractätgen, die dazu gehören, als De Divinatione per somnum …, die zusammen in Duodez in Rotterdam gedruckt worden. Seine Schrifften zusammen genommen machen einen Quart-Band aus, der 1636 zu Toulouse an das Licht getreten.  
  Michael von Montagne, der sich durch seine Belesenheit, erwecklichen Vortrag, sinnreiche Gedancken und dreiste Ausschweiffungen in das Reich der philosophischen Wahrheiten, einen grossen Nahmen erworben, verräth seine Neigung zum zweifeln, in seinen Versuchen, die unter dem Titel Essais an das Licht getreten, sehr offt. Die beste Ausgabe seiner Essais ist 1725 in 3 T. in 4. zum Vorschein gekommen. Dieser Mann wird von einigen gelobet, von andern getadelt, und als ein weltgesinnter Mensch dargestelt. Th. Popeblount hat die Urtheile über diesen Mann gesammlet in censura celebr. Auctor. … und Teißier in seiner Eloges des Savans gleichfalls. Malebranche de la recherche de la verité  
  {Sp. 1028}  
  … gehet etwas zu hart mit ihm um. Er beschuldiget ihn unter andern, einer grossen Neigung zum Zweifel. Hier vergißt sich Malebranche, indem er noch hefftiger von der Zweifels-Kranckheit, als Montagne, geplaget wird.  
  Man muß, wenn man ohne Vorurtheil dieses Mannes Schrifften betrachtet, sagen, daß er öffters das Reine mit dem Schmutzigen, und das Ehrbare mit dem Unanständigen vorgetragen hat. Allein seiner Offenhertzigkeit kan man diesen Fehler darum vergeben, weil sie sehr viel Gutes zugleich gesaget hat, und durch die Anstrengung einer blühenden und witzigen Einbildungs- u. Gedächtniß-Krafft, oder alles genau zu bemercken, hingerissen ward. Bayle urtheilet von ihm sehr wohl, Eclaircissemens … Dict. Histor. et Crit. Sans suivre aucun Systeme aucune methode, aucun ordre, il entassoit tout et fausiloit ce qui lui etoit presenté par sa memoire. Des Buddeus Gedancken sind in einigen Ausdrücken zwar hart, aber in den meisten richtig. Sie lauten also: [8 Zeilen lateinischer Text]. De Atheismo et Superst. …
  Frantz de la Mothe le Vayer ist ohne alle Widerrede einer der fürchterlichsten Pyrrhonisten. Das Feine seines Geistes; die Weitläufftigkeit seiner Belesenheit; die witzige Einkleidung seines Vortrags; die glückliche Erfindung, seinen Gedancken ein angenehmes Feuer zu geben; das Spielende, Sinnreiche und das scharffsinnige Aufsuchen der artigsten Materien, geben ihm ein angenehmes Ansehn, welches ihn unsern Augen sehr würdig darstelt. Er schreibt offenhertzig, frey, scharff und nachdrücklich. Bayle in Dict. Histor. et Critiq. v. Vayer. hat über seinen Vortrag, in Absicht gewisser unanständiger Dinge, sehr wohl geurtheilet.  
  Die Schrifft, wodurch er unter andern seine sceptische Neigung an den Tag geleget, ist das fünffache Gespräche, daß er unter dem angenommenen Nahmen Oratius Tubero ans Licht gestelt hat. Herr Prof. Kahle hat eine neue Ausgabe dieser Gespräche besorget, und solche mit einer Widerlegung der sceptischen Philosophie begleitet. Sie führen den Titel: Cincq Dialogues faits â l'imitation des Anciens par Oratius Tubero, etc. a Berlin 1744. 8. In den beyden ersten, wendet er alle seine Krafft dahin an, um das Ungewisse der Dinge zu behaupten.  
  Wir übergehen den Hobbes und Malebranche, die gewiß ihre Beyträge dem Zweifel geliefert haben. Des Huet und des scharffsinnigen Bayle wollen und müssen wir mit wenigen gedencken. Wir wollen den letzten zu erst erwegen.  
  Dieser vortreffliche Mann, nehmlich Peter Bayle, hat ohne Widerrede, wenn man seine Worte, so wie sie da liegen, erweget, den strengen Zweiflern das Wort geredet. Allein auf die Art ist er auch ein Manichäer, ein Atheist, ein Materialist und auch ein  
  {Sp. 1029|S. 528}  
  Christ, weil er deren Gründe und Sätze gleichfalls vorträgt. Wer ein Pyrrhonist in philosophischem Verstande seyn soll, der kan unmöglich zugleich ein Manichäer, Materialist, Epicuräer, Atheist und dergleichen seyn. Weil diese alle gewisse Sätze als wahr, ausgemacht und gewiß annehmen, und dahero so wohl die objectivische als subjectivische Gewißheit, zulassen, folglich dessen Gegensatz, welchen die Zweifler behaupten, nicht zulassen; so muß und kan der Pyrrhonist dahin unmöglich gerechnet werden.  
  Da nun aber Bayle zu der Zahl der neuen Zweifler von sehr vielen gerechnet wird; so muß folgen, daß er kein Manichäer, Atheist, Epicuräer, und Materialist seyn kan. Wir reden hier bedingungsweise, und behaupten nur, daß die Irrthümer nicht alle zugleich in einem Subjecte seyn können, folglich in diesem Manne nicht gewesen sind, wie die Beschuldigungen angeben, Was braucht man den Bayle nach gewissen gemachten Folgen zu beurtheilen? Man darf nur seine desfalls gemachten Entschuldigungen lesen. Sie stehen p. 616 u.s.f. seines Wörterbuchs von 1730.  
  Hernach, so folget nicht: wer da gestehet, daß die gemachten Einwürffe der Manichäer von der Vernunfft nicht können aufgelöset werden: wer sie nicht auflöset und sie in ihrer Stärcke vorträget, der ist ein Manichäer und redet ihnen das Wort. Eben so ist es mit den Pyrrhonistischen Sätzen beschaffen. Muß ein Criticus kein aufrichtiger Mann seyn. Soll der die Irrthümer nicht mit ihren Gründen vortragen, der sie dem andern bekannt machen will? Wie wird man sie kennen lernen; und wie wird man die Waffen zu ihrer Bekämpfung suchen und männlich gebrauchen, wenn man sie uns verhüllt, verstümmelt und nicht so wie sie sind, darleget.  
  Wenn nun der, welcher sie uns nach seiner Einsicht redlich bekannt macht, ihre Scheinkette nicht lösen kan; ja! durch neue Sätze, die ihm sehr wichtig scheinen, bestärcket, und darum seine Unruhe als ein Criticus, Philosoph und Geschichtschreiber offenbaret, folget daher, der Mann gehöret zu der boßhafftigen Zahl derer, welche solche Abwege hartnäckig betreten? Wer so folgert, muß uns zugestehen, daß ein Feldherr, der seinem Monarchen, die Stärcke seiner Feinde vorstellt, vergrössert, und alles hervorsucht, dadurch ihm der Feind unüberwindlich vorkommt, ja dem Monarchen sagt, daß ihm die Stärcke der Feinde so groß scheine, daß dessen Armee sie nicht überwinden, schlagen und zur Gefangenschafft bringen könne oder werde, zu dem Feinde gehöre, und heimlich ihre Parthey ergriffen habe. Nimmermehr wird man wider diesen General also schliessen können. Es kan seyn, daß er mit den Feinden einen verborgenen Anschlag gemacht, daß er zu der Zahl der heimlichen Feinde des Monarchen gehöre, und daß er die Stärcke des Feindes aus Arglistigkeit vergrössere: aber dieß folget nicht schlechterdings aus seinem Vortrage und Rath, sondern muß aus andern Umständen erwiesen werden. Und wer es daraus erzwingen will, der handelt wider alle Billigkeit und Menschenliebe. Dieß Bild erläutert sehr das Verfahren des Bayls und seiner Ankläger.  
  Des Bischoffs Huets Buch von der Schwachheit des menschlichen Verstandes, ist unserer Ein-  
  {Sp. 1030}  
  sicht nach weit gefährlicher, als alles, was Bayle geschrieben hat. Indem er der Religion eine Brustwehr zu bauen scheinet, so untergräbt er sie auf die feinste Art. Siehe Schlossers Scepticismum fidei eversorem contra Huetium, Wittenberg 1725.
  Warum gehet man mit diesem so säuberlich oben, da man jenen auf alle Weise fürchterlich abmahlet?
  • Simonetti Sammlung vermischter Beyträge, I Band, …
  • Bruckers Histor. Critic. Philosoph. IV Band, Th. I.
     

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HIS-Data 5028-64-1015-11-01: Zedler: Zweifel [1] HIS-Data Home
Stand: 8. April 2013 © Hans-Walter Pries