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Zedler: Zweifel [2] HIS-Data
5028-64-1015-11-02
Titel: Zweifel [2]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 64 Sp. 1030
Jahr: 1750
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 64 S. 528
Vorheriger Artikel: Zweifel [1]
Folgender Artikel: Zweifel [3]
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen
  • : Absatz in der Vorlage vorhanden

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Übersicht
A) Philosophische Abhandlung (Forts.)
 
III. Eintheilungen des Zweifels und der Zweifler. (Forts.)
 
(2) Eintheilung des Zweifels in den theologischen, philosophischen, hermeneutischen, kritischen und philologischen.
(3) Eintheilung des Zweifels in den über die Sachen selbst, die Beweisgründe, und den Beweis selbst.
(4) Eintheilung des Zweifels in den allgemeinen und den besondern.
(5) Eintheilung des Zweifels in den wahren und verstellten.
(6) Eintheilung des Zweifels in den vernünfftigen und unvernünfftigen; oder in den dogmatischen und sceptischen.
(7) Eintheilung des Zweifels in den offenbahren und heimlichen.
(8) Eintheilung des Zweifels in den feinen und groben.
(9) Eintheilung des Zweifels in den hartnäckigten und nachgebenden.
(10) Eintheilung des Zweifels in den dogmatischen und empirischen.
IV. Unterscheid des dogmatischen und sceptischen Zweifels.
V. Ob der Zweifel eine Schwachheit des Verstandes sey?
VI. Unterscheid des Zweifels von andern Schwachheiten des Verstandes.
VII. Wie man sich in der Ausführung bey dem Zweifel aufzuführen habe?
VIII. Ob ein Zweifler dem Staate oder der Physick Eintrag thue?
IX. Wie der Zweifler zur Überzeugung zu führen.

  Text Quellenangaben
  (2) Eintheilung des Zweifels in den theologischen, philosophischen, hermeneutischen, kritischen und philologischen.  
  Der Zweifel bekommt eine neue Eintheilung, wenn man solchen dem Objecte nach, darüber er zweifelt, in Betrachtung ziehet. Dieses Object fasset in sich  
 
  • entweder Dinge, die zur eigentlichen Offenbahrung, als die Geheimnisse sind, gehören:
  • oder, die von der Vernunfft und Erfahrung können gefasset werden,
  • oder die den Vortrag, die Lehrart, und die Bekräftigung derselben betreffen.
 
  Geht der Zweifel mit den geoffenbarten Sätzen um, so heist er der theologische; hat er es mit den Dingen, welche natürlich gefasset werden können, zu thun, so ist es der philosophische, und wenn er mit der Methode, mit den Beweisen, mit der Einrichtung der Erkenntniß- und Überzeugungs-Mittel beschäfftiget ist, so kan man solchen den hermeneutischen, critischen, auch philologischen nennen.  
  Wenn also jemand an der Gewißheit oder Ungewißheit der Höllenfahrt Jesu zweifelte, so gehöret dieses zum theologischen Zweifel. Dahin rechnen wir den Religions-Zweifel. Der philosophische Zweifel bearbeitete den la Mothe le Vayer, Bayle, Huet und andere, die in der philosophischen Geschichte vorkommen. Der philologische Zweifel kan sich mit dem theologischen oder philosophischen vereinigen. Also kan jemand zweifeln;  
 
  • ob Moses der Verfertiger, der seinen Nahmen führenden Bücher sey?
  • Ob diese oder jene Leseart der Heiligen Schrifft authentisch sey?
  • Ob die Bücher, die Worte, die Meynung, die man dem Plato, dem Aristoteles und andern Weltweise zueignet, oder nicht zueignet, ihm müssen beygeleget oder abgesprochen werden?
  • Ob die Meynung von der ewigen Schöpffung einer Welt möglich oder unmöglich sey?
 
  Der philosophische Zweifel hat wiederum seine Arten, die sich nach den besondern Theilen der Philosophie richten. Dahin gehöret  
 
  • der moralische Zweifel, davon Buddeus in den Analectis Hist. Philosophicae …;
  • der historische, davon Bierling de Pyrrhonismo historico; Struv de Pyrrhonismo historico, Schade de Pyrrhonismo historico, und Perizonius de fide historiae contra Pyrrhonismum historicum;
  • der politische, davon Machiavel;
  • der physicalische, davon Baco von Verulamio;
  • der metaphysische, davon Cartesius,
 
  geschrieben haben.  
  Hieher muß man ebenfalls den juristischen und medicinischen Zweifel rechnen.  
  Es würde zu weitläufftig seyn, wenn wir diese Arten der Zweifel insgesammt mit Exempeln aus der philosophischen Geschichte erläutern solten. Der sich nur etwas mit der Geschichte der Wissen-  
  {Sp. 1031|S. 529}  
  schafften bekannt gemacht hat, wird solche leicht entdecken.  
     
  (3) Eintheilung des Zweifels in den über die Sachen selbst, die Beweisgründe, und den Beweis selbst.  
  Dieser Zweifel kan auch in der Verhältniß dessen, darüber er zweifelt, folgendermassen eingetheilet werden. Man kan zweifeln  
 
  • über die Sachen oder Objecte selbst,
  • oder über die Beweisgründe, die ihre Wahrheit und Gewißheit darlegen sollen;
  • oder über den Beweis selbst, so wie er aus den Beweisgründen geführet wird.
 
  Wer an den beyden letztern zweifelt, ziehet deswegen noch nicht die Sachen selbst in Zweifel. Man kan über die Beweisgründe zweifeln, deswegen folgt nicht, man entziehet dem Beweis oder den Sachen seinen Beyfall. Diejenigen, welche gewisse Männer, wegen des Zweifels über die Beweise, die bishero die Würcklichkeit Gottes oder andere Wahrheiten haben erhärten sollen, darum der Atheisterey oder anderer Fehler angeklagt haben, hätten diese Eintheilung nicht vergessen sollen. Es wäre nicht gut, wenn die Wahrheiten ihre Stärcke aus manchem Beweisgrunde oder geführten Beweise nehmen solten. Die sind gewiß öffters sehr kümmerlich eingerichtet. Wer damit zufrieden ist, dem kan man seinen Glaubensgrund gönnen. Man muß aber deswegen die, welche daran zweifeln, nicht zugleich zu unglaubigen Zweiflern der Sachen, der Gründe, und des Beweises überhaupt machen.  
     
  (4) Eintheilung des Zweifels in den allgemeinen und den besondern.  
  Man kan den Zweifel seinem Umfange nach betrachten. In dieser Verhältniß kan man solchen in den allgemeinen und besondern theilen.  
  Der allgemeine erstrecket sich über alles. Dahin rechnet man mit Recht den Pyrrhonischen. Dieser zweifelt objectivisch und subjectivisch.  
  Der besondere leidet seine Einschränckungen, und hat auch seine Allgemeinheit. Wenn man subjectivisch an allem zweifelt, so ist dieß zwar etwas besonderes, aber doch in Betracht des Zweiflers allgemein. Der besondere Zweifel gräntzt sich nach den Objecten, daran er zweifelt, ein. Dieß kan auf die theologische, philosophische und philologische Untersuchung der Dinge gehen. Also ist des la Mothe le Vayer Zweifel ein besonderer, weil er sich nur besonders auf die philosophischen Objecte beziehet. Wenn Bayle ein Zweifler ist, so findet man seinen Zweifel in der Gegend der Philosophie und Philologie beschäfftiget.  
     
  (5) Eintheilung des Zweifels in den wahren und verstellten.  
  Siehet man auf die Art und Weise wie gezweifelt wird, so entstehen daher verschiedene Arten des Zweifels.  
  Zuerst ist der Zweifel ein wahrer und verstellter. Ob alle Pyrrhonisten wahrhafftig gezweifelt haben, oder ob alle die, welche theologische und Religions-Zweifel vortragen, würcklich solche hegen, kan so leicht nicht ausgemacht werden. Wir glauben, daß viele nur verstellt zweifeln, und darum zweifeln, weil sie gerne zweifeln wollen. Der wahre Zweifel will Gründe, Überlegung, Nachdencken, Belesenheit, und welches vielleicht manchen wunderlich düncken wird, ein aufrichtiges und  
  {Sp. 1032}  
  ehrliches Hertz haben. Es ist nicht genung zu sagen: ich zweifle; man muß wissen, warum man zweifelt. Man muß nicht eher zweifeln, als bis einen die Gründe und Gegengründe ins Gedränge bringen. Wenn dieses nicht ist, so ist der Zweifel nur Einbildung, Wahn und Verstellung.  
  Es giebt Leute, die eine verhärtetes und sicheres Hertz haben. Der Unglaube martert ihre Seele. Sie bekennen zwar mit dem Munde, aber ihr Innerstes ist davon entfernt. Die äusserlichen Umstände erfordern das Bekenntniß. ihre Bedienungen und die Obrigkeit des Landes erheischen den Vortrag dieser und jener Lehren. Sie lehren oder bekennen sie auch mit den Lippen; aber weil ihr Hertz davon entfernt ist so machen sie darwider Zweifel. Dieser ist nur verstellt. In der That verneinen sie das, welches sie unter der Wendung des Zweifels vortragen. Dahero versäumen sie keine Gelegenheit, ihren Unglauben, unter der Decke des Zweifels, das Wort zu reden.  
  Auch der, welcher einen andern in Ansehung der Gewißheit und Gründlichkeit seines Erkenntnisses prüfen will, kan sich in die Gestalt eines Zweiflers kleiden, folglich den verstellten Zweifel eine Zeitlang annehmen. So stellen wir uns den la Mothe la Vayer und Bayle vor.  
  Einige zweifeln, weil sie gehöret haben, daß der Zweifel einen scharffsinnigen und gelehrten Kopf vorstelle. Dieß wolten sie gerne seyn, daher verkappen sie sich in die Gestalt des Zweiflers, stellen sich darinne recht patzig und machen in den Gesellschafften wunderliche Luftspringe und Streiche. Allein in der That ist es Verstellung und Wahn.  
     
  (6) Eintheilung des Zweifels in den vernünfftigen und unvernünfftigen; oder in den dogmatischen und sceptischen.  
  Zum andern ist der Zweifel vernünftig oder gegründet, und unvernünftig oder ungegründet. Man nennet sonst den vernünfftigen Zweifel den dogmatischen, hingegen den unvernünfftigen den sceptischen. Der Vernünftige weiß warum gezweifelt wird; der Unvernünftige weiß davon keine Ursache anzugeben. Der letzte folget dem Haufen der Zweifler ohne Überlegung blindlings nach.  
  Wenn man auf viele genau, insonderheit in Religions-Sachen Acht hat, so wissen sie nicht, warum sie sich dem Zweifel übergeben. Also zweifeln viele an der Unsterblichkeit der Seele, weil sie gehöret haben, daß dieser oder jener berühmte Mann daran zweifelt. Man kan solchen Zweifel auch den Dummen nennen.  
  Das Vorurtheil des Ansehens ist die Quelle dieser seichten Aufführung. Es giebt Leute, die ziehen gewisse Wahrheiten der Lehre Jesu, so wie sie die protestantische Kirche, oder die Gemeine der Lutheraner, nach der Schrifft vorträgt, bloß darum in Zweifel, weil sie mit ihren lüsternen Absichten, oder mit ihrer sehr kurtzen Einsicht nicht übereinstimmen. Untersucht man die Gründe und Ursachen dieser Zweifel, so sind sie so elend, das man über ihre Unvernunfft erschrickt. Die Zweifler dieser Art gestehen, daß sie dieses und jenes nicht fassen können, und daß es mit ihren Vorstellungen streite. Fragt man: ob sie solches alles genau geprüft, oder untersucht: so ist öffters die Antwort, daß sie darzu so wenig Zeit, als Ge-  
  {Sp. 1033|S. 530}  
  legenheit, Kräfte und Mittel hätten. Welche Unvernunfft! wir können es uns nicht einbilden, ist ihre Sprache, daß dieses so seyn solte.  
  Wer sich die Mühe giebt, auf den Zweifel in Ansehung der Geister, der Höllenstrafen, des Heiligen Abendmahls, der Person Christi, und anderer geoffenbarten und philosophischen Wahrheiten, wie er unter Hohen und Niedrigen arbeitet, Acht zu geben, der wird bald gewahr werden, daß diese zweifelhaffte Seelen eine sehr geringe Erkenntniß von diesen wichtigen Wahrheiten besitzen. Unsere starcken Geister bewohnen fast alle diese Gegend. Wenn der vernünfftige Mann zweifelt, so weiß er einen jeden von seinen Zweifel Rechenschafft zu geben. Eine Reihe von Schlüssen, die er so wohl vor, als wider einen Satz oder Sache einsiehet, macht ihn stutzig, sein Urtheil zu fällen, u. er ziehet seinen Beyfall nicht aus Übereilung, Ansehen, Einbildung und Unwissenheit, sondern aus Nachsinnen und dem Gleichgewichte der beyderseitigen Gründe zurück.  
  Wer vernünfftig zweifelt, stehet eigentlich nur im subjectivischen Zweifel. Er giebt zu, daß das Object, darüber er itzo zweifelt, wahr seyn könne; ob er es gleich davor noch nicht erkennt. Dieß wäre ein gewaltiger Fehlsprung, wenn er von seiner Unentschlüßigkeit etwas zu bejahen oder zu verneinen, auf die Ungewißheit der Sache selbst schliessen wolte. Aus Überlegung und Erfahrung hat der vernünftige Zweifler die Behutsamkeit erlernet; dahero zweifelt er behutsam, gegründet, und nie ohne zureichende Bestimmung zum zweifeln. Der vernünfftige Zweifel ist der, welchen einige den Aristotelischen nennen, und den wir oben bey dem Cartesio wahrgenommen.  
     
  (7) Eintheilung des Zweifels in den offenbahren und heimlichen.  
  Der Zweifel ist zum dritten entweder offenbar oder heimlich. Der offenbare Zweifel bekennet offenhertzig, daß er so wenig die Wahrheit als Falschheit dieses Satzes und Objects dencken könne. Der heimliche verbirgt sich unter der Decke der Bejahung oder Verneinung. Er zweifelt, ohne seine Ursachen, die ihn dazu treiben, bekannt zu machen. Er behält alles bey sich, ohne es jemanden zu sagen. Ein Gemüth, welches von dem Zweifel heimlich geplaget wird, empfindet öffters unangenehme Triebe, die ihn ängstigen und martern. Es zählet schlaflose Nächte und unruhige Tage. Der Zustand eines solchen Hertzens gleicht dem Schifflein, das von den Winden und Wellen hin und her getrieben wird, und welches ohne Ancker, Mast und Steuer, unter dem Toben eines stürmenden Gewitters, und ohne Hülffe und Beystand, auf ein Gerathewohl, fortgetrieben wird. Es seuffzet nach dem Hafen; es suchet einen Ort der Sicherheit, und wünschet das Ufer zur Anlandung: aber bishero ist Wünschen, Flehen und Hoffen vergebens. Der Zustand einer solchen Seele ist öffters verzweifelt.  
  Der offenbare und heimliche Zweifel können vernünfftig und unvernünfftig seyn, nachdem die Beschaffenheiten sind, die solchen bestimmen.  
  Der vernünfftig offenbare Zweifel entdeckt seine  
  {Sp. 1034}  
  Gründe, welche ihn zu dieser Verfassung führen.  
  Der unvernünfftig stille Zweifel weiß nicht, warum er zweifelt, und macht solchen auch nicht bekannt, sondern schleppt sich damit aus Unwissenheit, Einbildung, Furcht und andern Quellen, daraus er seinen Fortgang schöpffet. Die melancholischen Gemüther werden davon geplaget, und die, welche von der Hypochondrie beschweret sind, fühlen diesen elenden Zustand.  
  Der vernünfftig stille Zweifel stehet ein, daß er dieses und jenes unmöglich, als wahr, oder falsch annehmen könne: Aber gewisse Einrichtungen binden seine Zunge und halten die Offenbarung zurück. Die Furcht, dadurch von gewissen Leuten angeschwärtzt zu werden, hält ihn zurück. Er weiß, daß sich einige unter der harten Anklage der Zweifler verbergen, und ihrer Unwissenheit, die dem armen Zweifler nicht gnug thun kan, durch die Verketzerung desselben das Wort reden, und die Hülle verschaffen. Er träget diese Last der Stille, und nähret darüber einen heimlichen Kummer; oder er gehet darunter gedultig fort, und hoffet auf die Stunden des Lichts und der Aufklärung, welche er von der gütigen Providentz und einer guten Gelegenheit erwartet.  
  Der unvernünfftige offenbare Zweifel träget seine Gedancken frech, plump, unbedachtsam, keck und allenthalben vor. Er scheuet sich nicht, alles zu sagen, was ihm einfällt, und bedenckt so wenig seine als andrer Leute Umstände. Dieser ärgert sehr offt zarte Hertzen, und verwirret die noch unbearbeiteten Gemüther, welche ihn deswegen vor starck, öffters vor gelehrt halten, weil sie die Geister zu prüfen nicht im Stande sind.  
  Diese Art ist die allerkümmerlichste unter den Zweiflern. Wer die Welt durchkrochen hat, findet deren eine grosse Zahl. Solche kleine Geister sind gemeiniglich aufgeblasen, und unerträglich. Sie schwatzen beständig von den wichtigsten Wahrheiten, und sobald sie den Mund in einer Gesellschafft öffnen, so übergeben sie sich. Ihrer Einbildung nach sind sie unüberwindlich, und das darum, weil sie öffters Männer, und darunter Geistliche, denn diese fallen sie zuerst an, um sie lächerlich und sich fürchterlich zu machen, gefunden, die sich ihren frechen Worten sogleich nicht haben widersetzen können, oder wollen, oder die aus Mangel der Einsicht, Zaghafftigkeit, Menschenfurcht, Gewinnsucht, und andern nichtswürdigen Ursachen, die dazu erforderlichen Beschaffenheiten nicht besessen haben, folglich gewichen, und ihnen den Kampf-Platz überlassen.  
     
  (8) Eintheilung des Zweifels in den feinen und groben.  
  Die vierte Classe des Zweifels fasset den feinen und groben unter sich. Die Erfahrung und Überlegung bestätigen diese Eintheilung. Man erkennet zugleich, daß dieser Unterscheid auf den Vortrag der Zweifel sich gründe.  
  Der feine Zweifel hat etwas von der Verstellung an sich. Er nimmt das Bild eines dogmatischen Lehrers an, doch so, daß er bey aller Gelegenheit, den Zweifler wider seine Sätze, reden läst. Er untergräbt das Lehrgebäude durch seine Einwendungen nach und nach, und macht es unvermerckt ungewiß und  
  {Sp. 1035|S. 531}  
  wanckend. Wer seine verborgene Angriffe nicht versteht, wird unter der witzigen Einbildung des Vortrags berückt. Die heimlich gelegten Fallstricke und gemachten Fallbrücken siehet der nicht, der nur das Äusserliche der Wortstellungen betrachtet. Der scharfdenckende Bayle ist ein Meister in dieser Art. Er läst andere vor sich das Wort des Zweiflers führen.  
  Diese Art ist nicht allezeit verwerfflich, sondern zu billigen, wenn man nehmlich mit Leuten zu thun hat, die sich mit gewissen Sätzen brüsten, und denen man auf keine andere Art beykommen kan. Warum soll man nicht, seinen Endzweck zu erhalten, einen Umweg nehmen, den man nicht erreichen würde, wenn man gerade zu gehen wolte? Die Klugheit billiget dergleichen Verfahren, und erwehlet es, als ein weises Mittel zum Dienst der Wahrheit und Gewißheit. Dieses letztere macht den feinen Zweifel angenehm und ersprießlich. Ist die Beybringung der Wahrheit und Gewißheit nicht die Absicht, so muß man solchen nicht gebrauchen. Wer auf die Art das dunckele Reich der Vorurtheile, Meynungen und albernen Gewohnheiten und Sitten zu erleuchten, bemüht ist, verrichtet eine lobenswürdige That. Diese vernünfftige Einrichtung erweckt auf eine sinnreiche Art, die sittlich träumenden und schlafenden Menschen.  
  Der grobe Zweifel wehlet den gegenseitigen Weg. Er träget seine Gedancken hart, rauh, unverständlich, abgeschmackt und pöbelmäßig vor. Er fällt mit der Thür ins Haus. Seine Sprache ist dem vernünfftigen Zuhörer verdrießlich und unangenehm. Er macht sich nur da Anhänger, wo man gerne zweifeln will.  
  Der grobe Zweifel ist sehr offt mit dem unvernünfftigen offenbaren vereiniget. Er ist auch der, welcher mit Ungestüm zweifelt, weil er das Scharfsinnige und Reitzende nicht verstehet, und nicht weiß, wie der vernünfftige Zweifel sprechen muß. Er redet amtsmäßig, und bildet sich ein, sein Ausspruch sey die Aussage eines Orackels; weil er unter den Sterblichen etwas wegen seiner Abstammung, Dienstes und Reichthums voraus hat. Oft gründet er sich auf eine flüchtige und scheinbare Belesenheit der Monaths-Schrifften, Memoires, und andre Bücher, die ihm den Stoff zum Zweifel gelieffert haben. Er berufft sich auf die Stärcke anderer Zweifel, und giebt ihre Gründe vor unüberwindlich an, bey dem die Krafft, ihre Schein-Stärcke zu entkräfften, fehlet. In Religions-Sachen mischt er sich beständig, und wo er ernsthafft, behutsam, bescheiden, und wenigstens um andrer willen ehrerbietig seine Zweifel eröffnen solte, da verletzt er alle diese Beschaffenheiten auf eine unhöfliche Art.  
  Gemeiniglich wird der grobe Zweifel von der Spötterey und dem Hohngelächter begleitet. Ein solcher lacht die aus, die das vor wahr oder falsch halten, woran er zweifelt. Er greifft die allerwichtigsten Dinge an, und dringet in das Heiligthum der Wissenschafften mit trabenden Schritten, ohne sich zu bekümmern, wie man gestaltet seyn müsse, wenn man diese reine Schwellen betreten wolle. Der Zustand des groben Zweifels ist fürchterlich, und streitet mit dem Edelmuthe und der forschenden Wahrheits-Liebe schnurstracks. Diese wollen gesittete, vernünfftige, stille und ohne Geräusch nachspürende Gemüther ha-  
  {Sp. 1036}  
  ben. Keinesweges solche, welche mit einem unbändigen und übertriebenen Gepolter und widerlichen Feldgeschrei die Wahrheit, oder auch die Falschheit der Dinge anfallen und ungewiß machen wollen.  
     
  (9) Eintheilung des Zweifels in den hartnäckigten und nachgebenden.  
  Die fünffte Eintheilung des Zweifels enthält den hartnäckigten und nachgebenden Zweifel.  
  Der hartnäckigte ist der, der mit Vorsatz zweifelt, und sich aus seinem Zweifel nicht helffen will; der darum zweifelt, weil es ihm so gefällt, und der sich dem ohne alle Ursache, der ihn daraus führen will, widersetzet. Ein jeder erkennet so gleich, daß dieser allezeit unvernünfftig ist.  
  Der nachgebende Zweifel will sich unterrichten lassen. Er zweifelt, um desto gewisser in der Erkenntniß der Dinge zu werden. Er prüfet, forschet, suchet und ist bemühsam nach der Hand die ihm den Faden darreichet, der ihn aus seinem Zweifels-Garten führen kan. Dieser ist beständig vernünfftig, und läst sich durch die Beweis- und Bewegungs-Gründe, welche ihn zum Nachgeben eingeladen, lencken.  
  So wie uns die Überbleibsel der alten Nachrichten von den Sceptickern erzehlen, so gehörten die zu der Zahl der hartnäckigten Zweifler. Der Aristotelische und Cartesianische Zweifler sind von der Art der nachgebenden. Die Verulamische gleichfalls. Und alle vernünfftige Zweifler unter den neuern muß man dahin rechnen.  
     
  (10) Eintheilung des Zweifels in den dogmatischen und empirischen.  
  Zum sechsten kan der Zweifel in einen dogmatischen und empirischen getheilet werden. Der dogmatische will durch die Überlegung sein Verhalten rechtfertigen. Der empirische beruffet sich auf die Erfahrung, und meynt in dem verschiedenen Verhalten der Erdeinwohner seinen Schutz-Brief zu finden. La Mothe le Vayer hat beyde in seinen Schrifften angebracht. Simonetti Sammlung vermischter Beyträge zum Dienste der Wahrheit, Vernunfft, Freyheit und Religion, Band I, p. 139. u.ff.  
  Siehe auch den Artickel: Scepticismus, im XXXIV Bande, p. 585. u.ff.  
     
  IV. Unterscheid des dogmatischen und sceptischen Zweifels.  
  Die mehrgedachte Regel des Cartesius, daß man in alles und jedes, das einem Wahr zu seyn bedüncke, ehe man es Würcklich vor wahr halte, zuvor einigen Zweifel setzen müsse, verleitet zu nichts weniger als zur Scepticisterey, wenn wir sie also einschräncken, daß man allen Satzen, die nur nicht unmittelbare Wahrheiten sind, zweifeln, das ist, sein Urtheil von ihrer Wahrheit oder Falschheit so lange ausgesetzt seyn lassen solle, bis man sie als Conclusionen aus ihren Gründen untersuchet habe, und hierdurch von ihrer Wahrheit oder Falschheit sich gründlich überzeuget befinde.  
  An unmittelbaren Wahrheiten aber, die da selbst die ersten Gründen sind, zweifeln, das ist, sie nicht eher einräumen wollen, als bis man sie a priori erweisen könne, ist etwas, das sich selbst wider-  
  {Sp. 1037|S. 532}  
  spricht; und kan also der Vernunfft nicht gemäß seyn. Denn da die unmittelbaren Wahrheiten die ersten oder obersten sind, und also keine andere vor oder über sich haben, aus denen sie demonstriret werden könnten; so müssen unstreitig diese Wahrheiten über allen Zweifel erhaben seyn; insoferne wir nur ihrer Unmittelbarkeit wahrhafftig überzeuget sind. Denn ob sie würcklich unmittelbar sind, kan allerdings in Zweifel gezogen, und, ehe man sie davor gelten lässet, untersuchet werden, damit man nicht Sätze vor unmittelbare Wahrheiten annehmen möge, die es nicht sind.  
  Im übrigen wird diese Würckung des Verstandes, durch welche wir bey mittelbaren Propositionen unsern Beyfall so lange zurücke halten, biß wir die Gründe derselben reiflich erwogen, und also einen zugänglichen Grund unsers Beyfalls mögen gefunden haben, der dogmatische Zweifel (dubitatio dogmatica) genennet; welche dem sceptischen Zweifel (dubitationi scepticae) entgegen gesetzet ist, die mit Verwerffung der ersten Gründe menschlicher Erkenntniß auf gar keinen Beyfall gerichtet ist. Dahero fehlete so viel, daß der dogmatische Zweifel der Gewißheit der Wissenschafften nachtheilig seyn solte; daß er vielmehr ein unentbehrliches Mittel ist, uns deren zu überzeugen. Der sceptische Zweifel hingegen wird nicht vor ein Mittel, sondern vor einen Zweck, auf welchem der Verstand beruhen solle, ausgegeben, und zielet also auf die Aufhebung aller Gewißheit.  
  Dannenhero, wer die Regel, daß man an allem zweifeln müste, auch auf die unmittelbahre Wahrheiten ausdehnet, und also keine erstern Gründe, die durch sich selber, das ist, ohne Beweis wahr sind, zulassen will, dessen Zweifel kan nicht anders als sceptisch seyn: indem er immerfort Beweiß, und wiederum Beweiß dieses Beweises, ohne Ende suchen, und also nimmer mehr etwas finden kan, worauf er fussen könnte, wie Aristoteles Metaphys. … sagt: [4 Zeilen lateinischer Text].  
  Wer hingegen andern Theils auch bey mittelbaren Propositionen keinen Zweifel, keine Untersuchung, keinen Widerspruch, wenn man sie nicht sattsam gegründet finden solte, dulten will, der wird auf das andere extremum fallen, und, an statt daß ein Scepticus alle Gewisheit verleugnet, hingegen die ungewissesten Dinge und offenbahresten Irrthümer als ungezweifelte Gewißheiten der Welt aufdringen wollen, mithin denen Vorurtheilen Thür und Thor öffnen. Müllers Philosophie, Th. I … Siehe auch Pensees philosophiques, Haag 1746 in 12, und dabey die Deutschen Acta Eruditorum, Th. 100 ….  
  Übrigens ist wohl zu mercken, daß man unter der Erlernung und der Prüfung der Wissenschafften einen Unterscheid zu machen habe. Bey der Prüfung derselben hat der Satz statt: Daß man an allen Sätzen, so nicht unmittelbahre Wahrheiten sind, zweifeln solle; nicht aber bey der Erlernung. Denn woran will der zweifeln, der noch nichts weiß, und erst zu lernen anfangen will. Es haben solches die Herren Verfasser der Deutschen Actorum Eruditorum, Th. 143 … sehr wohl bey der  
  {Sp. 1038}  
  Recension der Theologiae Naturalis des Hrn. Jacob Thomsons (Königsberg 1728 in Fol.) erinnert, und an den Hrn. Thomson ausgesetzet, daß er, da er doch nur den Anfängern zu dienen Vorhabens, fordere: Man müsse an allen Dingen zweifeln.  
  Weil also bey einem Zweifel eine Untersuchung des Satzes folgen muß; so haben dahero viele angenommen: daß zweifeln nichts anders heisse als untersuchen, ob ein Satz wahr oder falsch sey, als Christian Thomasius in der Ausübung der Vernunfft-Lehre ... Siehe Ahlwardts Gedancken von den Kräfften des menschlichen Verstandes ...  
       
  V. Ob der Zweifel eine Schwachheit des Verstandes sey?  
  Wenn wir diese Frage entscheiden sollen, so müssen wir voraus setzen, daß hier nicht die Rede von einem solchen Zweifel sey, da man mit Vorsatz, und nur auf eine Zeit, auch in der Absicht an etwas zweifelt, damit man desto ungehinderter und ohne allen Vorurtheil einen Satz oder dessen Beweis prüfen könne: denn ein solches zeitliches Zurückehalten des Bejahens und Verneinens ist vor kein würckliches Zweifeln zu halten; sondern durch den Zweifel verstehen wir denjenigen Zustand eines Menschens, da derselbe in der That ungewiß ist, zu welcher Seite er sich in dem Urtheil von einer Sache determiniren soll.  
  Aus dieser angenommenen Erklärung des Zweifels ist leicht zu erkennen, daß man ihn als eine Schwachheit des Verstandes anzusehen habe. Denn daß man zweifelt, und also weder etwas bejahen noch verneinen will oder kan, zeigt an, daß man das Verhältniß der beyden Ideen gegen einander, woraus das Urtheil bestehet, nicht erkenne, und also aller Zweifel eine Unwissenheit zum Grunde habe. Es haben zwar einige denselbigen vor was gutes und löbliches ausgeben wollen, weil er den Menschen Gelegenheit gebe, eine Sache genauer und gründlicher zu untersuchen; sie stossen aber in solchem ihrem Urtheile hierinnen an, daß sie dasjenige, was einer Sache wesentlich zukomme, von demjenigen, dazu sie zufälliger Weise dienen kan, nicht unterscheiden.  
  Der Zweifel ist und bleibet seiner Natur und seinem Wesen nach eine Kranckheit und Schwachheit des menschlichen Verstandes; wenn er aber Gelegenheit giebt, daß man eine Sache selbst genauer und gründlicher untersuchet, solches geschicht nur zufälliger Weise, dadurch er so wenig vor was gutes kan angesehen werden; so wenig jemand die Kranckheit des menschlichen Leibes unter die Güter zählen wird, wenn sie gleich bey manchem Gelegenheit gegeben, daß er sich wahrhafftig zu GOtt bekehret. Walchs Philosoph. Lexicon.  
       
  VI. Unterscheid des Zweifels von andern Schwachheiten des Verstandes.  
  Es giebt noch andere Schwachheiten des Verstandes, die man von dieser unterscheiden muß. Die Unwissenheit ist der Grund des Zweifels, man kan aber nicht sagen, daß Unwissenheit u. Zweifel einerley wären. Denn der Zweifel hat allezeit bey einem gewissen Urtheile statt, und müssen wenigstens zwey Haupt Ideen da seyn, da man nehmlich ungewiß, ob etwas einer Sache könne beygelegt werden,  
  {Sp. 1039|S. 533}  
  oder nicht; die Unwissenheit hingegen geht nur auf die blosse Begriffe und Vorstellungen der Dinge.  
  Ein solcher Unterscheid finde sich auch unter dem Irrthum und Zweifel. Bey einem Irrthum determiniret man sich in dem Urtheile zu was gewissen, daß man entweder bejahet oder verneinet, nur geschicht dieses nicht nach der Wahrheit; bey den Zweifel aber steht man gleichsam in der Mitte zwischen dem Bejahen und Verneinen, wie wir schon vorher erinnert, ob es wohl seyn kan, daß man sich bald zu dieser, bald zu jener Seite mehr lencket. Walchs Philosoph. Lexicon.  
       
  VII. Wie man sich in der Ausführung bey dem Zweifel aufzuführen habe?  
  In der Ausübung muß man sich bey dem Zweifel vernünfftig aufführen. Es wird derselbige billig in der Logick als ein Mittel vorgeschlagen, wodurch zur genauern Untersuchung einer Sache durch eigenes Nachdencken Gelegenheit gegeben wird, folglich zur Ablegung der Vorurtheile sonderlich derjenigen, die entweder auf ein menschliches Ansehen, oder auf eine Übereilung gegründet, dienet. Die Art, wie man vernünfftig, und also mit Nutzen zweifeln soll, kommt darauf an:  
  1) Habe man allezeit den Unterscheid zwischen dem Zweifel über die Beweisgründe oder dem Beweis einer Sache, und dem Zweifel über die Sache selbsten (inter dubitationem argumentorum und dubitationem rei ipsius) vor Augen, dergestalt, daß man nicht ehe an einer Sache selbst zweifelt, bis man vorher alle Beweisgründe untersucht, und befunden, daß sie nicht hinlänglich sind, daher z.E. gantz unvernünfftig wäre, wenn ich zweifeln wolte, ob ausser unserer Erden auch die andern Planeten bewohnt wären: oder ob es Hexen und Gespenster gäbe, da ich doch die Gründe, die man dafür anführet, im geringsten nicht untersuchet. Wider diese höchst nöthige Regel wird vielfältig, auch unter den Gelehrten angestossen, daß man eine Meynung, sobald man sie höret, entweder gleich verwirfft, oder doch einen Zweifel darüber heget, ehe man die Beweisgründe vernommen und untersuchet:  
  2) Findet man Ursach an der Sache selber zu zweifeln, weil man bey angestellter Prüfung die Gründe vor unzulänglich befunden, so muß man solchen Zweifel nicht beständig in seinem Gemüthe behalten, sondern sich dadurch antreiben lassen, auf bessere Gründe, als man bishero vorgebracht, zu dencken, damit man dadurch aus dem Stande des Zweifels zu einem Urtheil gebracht werde, daß man entweder bejahe oder verneine:  
  3) Hat man an solchen Sachen, die auf die unmittelbare Empfindung ankommen, gar nicht zu zweifeln, indem die Sinnen, wo sie sich in ihrem ordentlichen Zustande befinden, und recht gebraucht werden, unbetrieglich sind, daß man sich darauf verlassen kan. Es wäre daher was wunderliches, wenn man zweifeln wolte, ob Menschen auf der Erden wären, in dem man dieses unmittelbar empfindet; zweifelte aber jemand, ob auch die andern Planeten vom Menschen bewohnt wären, so hätte man dazu eher Ursache, weil hier keine solche unmittelbahre Empfindung statt hat.
  • Walchs Philosoph. Lexi-
  {Sp. 1040}  
   
  con.
   
  • Syrbii Anweisung zur Weisheit …
  • Zimmermanns Vernunfft-Lehre ...
  Beyer in den ursprünglichen Quellen des Indifferentismi (Leipzig 1727 in 8) … führet folgende artige Regel vom Zweifel an:  
  „Eine gute Sache ist es zu zweifeln, eine bessere aber gewiß zu seyn: Das Gemüth, das niemahls zweifelt, lernet nichts; Das Gemüth, daß allezeit zweifelt, nimmt niemahls zu im Lernen: Unser Zweifel soll uns allein darzu dienen, daß wir dadurch angereitzet werden, die Wahrheit zu suchen; unsere Gewißheit aber die befestiget uns in der Wahrheit, die wir gefunden haben.„  
     
  VIII. Ob ein Zweifler dem Staate oder der Physick Eintrag thue?  
  Es fraget sich, ob der Zweifel dem Staate oder der Physick gar keinen Eintrag thue? Wir wollen setzen, ein Fürst habe lauter Zweifler zu Unterthanen. Was wird daraus entstehen? Der Herr befiehlt etwas: Der Unterthan zweifelt, ob der Befehl von ihm ist. Man zeiget ihm das Siegel: er zweifelt, ob es nicht nachgemacht ist. Man zeiget ihm seine Unterschrifft: auch diese könnte von fremder Hand nachgemacht seyn. Man drohet ihm Strafen an, wenn er nicht gehorcht; er zweifelt aber auch, ob er gestrafft werden könne, weil er nicht weis, ob er einen Cörper hat. Ja, wenn er selbst die Straffe schon fühlet, so wird er zweifeln, ob er sichs nicht nur so einbildet.  
  Wie viel Mühe wird also nicht ein Landes-Herr haben, wenn er pyrrhonische Unterthanen, das ist Zweifler, hat? Wer wird ihm gehorchen? Wie viele Gefängnisse wird er bauen, wie viel Hencker wird er bestellen müssen? Ja, was wird er ausrichten, wenn auch Richter und Hencker selbst Zweifler seyn, und bey sich anstehen werden, ob sie seine Befehle ausführen sollen. Kurtz, alle Gesetze, alle Straffen verlieren ihre Krafft, und das gantze Band der Bürgerlichen Gesellschafft wird aufgelöset.  
  Sagt man dagegen, soweit wären die Scepticker niemahls gegangen: sie hätten niemahls geleugnet, daß man die Pflichten des menschlichen Lebens ausüben müsse; So ist zu antworten, daß sie keine ernstliche Zweifler gewesen, sondern nur zur Lust und Disputirens halber, einen seltsamen Satze zu behaupten unternommen haben. Denn was ein Mensch ernstlich glaubt, das muß man mehr aus seinen Thaten und Handlungen, als aus seinen Worten sehen. Pyrrho mag dahero zweifeln, wie er will, ob ein Mensch zur Erhaltung seines Lebens Speise und Tranck nöthig habe; man lasse ihn nur 24 Stunden hungern, und ihm hernach Speise vorsetzen: Hier wird sichs bald zeigen, ob er an seinem Hunger zweifelt oder nicht.  
  Was die Natur-Lehre anlanget, so sind unterschiedene, und unter ihnen auch Herr Bayle hierinne gar zu freygebig, indem sie sagen: Die heutigen Naturkündiger wären fast lauter Scepticker. Man giebet dieses zu, wenn von gewissen schweren Materien die Frage ist: Aber sind sie es durchgehends? Zweifelt z.E. wohl ein eintziger, woher die Sonn- und Mond-Finsternissen entstehen? Woher das Gleichgewicht einer Waagschale komme? Warum das Wasser Berg-ab, und nicht Berg-auf lauffe? Ob das Feuer brenne oder verzehre? Ob die  
  {Sp. 1041|S. 534}  
  Hitze oder Kälte das Wasser in Eis verkehre? u.s.w. Es würde thöricht seyn, dieses den Natur-Lehrern Schuld zu geben. Wäre aber in der That jemand hierinnen zweifelhafft, und solte er etwa als ein Artzt einem Krancken rathen: So könnte er irgend aus Gleichgültigkeit gegen zwo einander entgegengesetzte Meynungen, den Patienten, an statt eines Bettes in den Schnee zu legen, verordnen, oder ihm, an statt eines glüenden Weines, geschmoltzen Bley eingeben; ja gar ihm einen Fuß abzusägen, ihm den Kopff selbst ablösen. Das würden die Früchte eines solchen Naturkündigers seyn, der würcklich sein non liquet glaubte, nicht aber nur zum Scheine davon zanckete.  
  Freylich aber ist hier wohl der beste Trost, daß das menschliche Geschlechte zu einer solchen Thorheit nicht durchgehends fähig ist; indem auch die vorgegebenen Zweifler selbst ihre Meynungen in der That selbst umstossen, und also zeigen, wie thöricht es sey, an allem zu zweifeln. Es hat also auch für die Religion keine Noth. So dogmatisch, als man in andern Dingen zu seyn pflegt, wird man auch gegen sie schon seyn können; da sie auf Gründe gebauet ist, die so gewiß sind, als alles, worauf Pyrrho und andere Zweifler ihr tägliches Thun und Lassen eingerichtet haben, welcher erstere doch so schwer von etwas zu überzeugen war. Gottsched in seiner Deutschen Übersetzung des Baylischen Wörter- Buchs, III Theil ...  
       
  IX. Wie der Zweifler zur Überzeugung zu führen.  
  Wer einige Einsicht in die höchsten Gründe der Vernunfft, und in denen darmit verknüpfften Sätzen hat; zugleich weiß, wie nachdrücklich die Erfahrung der äusserlichen Dinge auf unsern Geist würcket: Der muß sich billig wundern, daß es Leute giebt, und gegeben hat, welche die Wahrheit und Gewißheit der möglichen und würcklichen Dinge vor ein Spiel verführlicher Vorstellungen ansehen. Indessen wird dieses niemand leugnen, der die Geschichte der Weltweisen, und was wir aus solchen bishero angeführet haben, untersuchet hat.  
  Die Pyrrhonisten und sceptischen Weltweisen haben zu allen Zeiten einen fürchterlichen Angriff wieder die gewisse Erkenntniß der Dinge gewaget. Und gewiß, wer ihre Gedancken, wie sie die witzige und schmeichelnde Feder des Bayl in Dictionnaire Historique et Critique T. III. Art. Pyrrhon. und anderer annehmlich gemacht, nachdenckend liesset, der wird, wenn er in Zergliederung der Sätze, und Untersuchung des Wahren, Wahrscheinlichen und scheinbar Wichtigen nicht geübet ist, von dessen Vortrag so umzingelt werden, daß er sich schwerlich ohne Beyhülffe, in Beantwortung und Auflösung der Einwürffe, wird finden können.  
  Es ist wahr, wenn man den Knoten zerreissen will, so kan man mit diesen Einwendungen bald fertig werden. Aber dieß heist nicht durch die Macht der Wahrheit siegen, sondern durch Gewalt schrecken und sich den Sieg einbilden. Solche erfolterte Siege verlanget die Wahrheit nicht. Sie kämpft mit überzeugenden Gründen, und sucht die Gemüther durch sanfftmütige, obgleich geschärffte Wörter, sich unterthänig zu machen. Der Verstand ver-  
  {Sp. 1042}  
  langet die deutliche Erkenntniß, und die Vernunfft-Gründe und Schlüsse, die wegen ihrer genauen Verbindung, der Seele die Wahrheit nothwendig, gewiß, reitzend und annehmungswürdig machen.  
  Der Irrende giebt seinen Beyfall solchen Vorstellungen, Sätzen und Schlüssen, denen er denselben entziehen solte. Es ist unmöglich, diesen Verirrten auf den rechten Weg zu bringen, wenn man ihm nicht zuerst den Irrweg entdecket, hernach den rechten zeiget und die Mittel, beyde mit einander zu verwechseln, anzeiget. Dieses alles kan nicht geschehen, wenn man den irrenden Geist nicht so bearbeitet, wie es die Natur der Wahrheit, die wesentliche Beschaffenheit der Überzeugung, und die innere Einrichtung des Geistes selbst erfordert. So lange man auf diese Gründe nicht bauet, bis dahin ist die Arbeit, den Irrthum umzureissen, und durch die Überzeugung der Wahrheit die Seelen zu gewinnen, vergebens.  
  Es giebt Leute, die überreden sich, ihr Überzeugungs-Amt bey den Irrenden sehr wohl angebracht zu haben, wenn sie ihm den Wahrheits-Satz vorsagen, und den Grund, daraus die Wahrheit ihre Befestigung, daß sie Wahrheit sey, entlehnet, darlegen und ins Gedächtniß bringen. Wenn der Irrende alsdann nicht nachgiebt, seinen Fehler erkennet, bereuet, und mit gefalteten Händen den Wahrheits-Prediger erhebet, und durch sein Bekenntniß, wie er ihn aus der Finsterniß zum Lichte geführet habe, gestehet: So klagen sie über Eigensinn, Hartnäckigkeit, Verstockung, vorsetzlicher Widerstrebung; und muthwilliger Verleugnung.  
  Öfters nehmen sie gar ihre Zuflucht zu der göttlichen Rache, und wollen uns weiß machen, ein solcher armer Mensch stehe unter dem Gerichte der Verwerffung. Sie irren sich aber. Wenn sie zuvor den Geist des Irrenden zur Annehmung der Wahrheit eingerichtet, und alsdann nach und nach den Weg der Überzeugung, so wie es die zunehmende Fähigkeit, Geschicklichkeit und Krafft des irrenden Menschen, die Natur und Sprache der Überzeugung, die dahin führenden Mittel, und die Wahrheit in ihren verbundenen Sätzen haben will, betreten, gewehlet und gebraucht hätten: So würden sie so wenig die Gottheit in ihren Gerichten, als das felsigte Hertz des Irrenden, als Ursachen, warum er der Wahrheit nicht Platz giebet, gebrauchen.  
  Hier setzen wir zum Voraus, daß der Satz, davon man überführet werden soll, würcklich eine Wahrheit in sich fasse, folglich daß darinn die objectivische Wahrheit liege, die eine subjectivische in dem Irrenden werden soll. Denn wenn das nicht ist, so muß man sich zu den verwirrten zählen, die sich durch den Trieb der Narrheit Schlösser bauen, und Königreiche vorstellen, und unter andern die darinn liegenden Wohnungen und Ländereyen austheilen.  
  Wir gestehen gern, daß es Leute giebt, welche durch die Vorurtheile geblendet, und durch blinde Leiter geführet, der Wahrheit kein Gehör geben wollen, und sich ihr muthwillig widersetzen. Auf diese unvernünfftige Geschöpfe gehen unsere Gedancken nicht. Wir reden von solchen, welche der Bekehrer davor ausschreit, weil sie seiner unzureichenden Einleitung  
  {Sp. 1043|S. 535}  
  nicht folgen wollen.  
  Die Wahrheit, in so fern sie überhaupt erwogen wird, ist: Die wesentliche Beschaffenheit, dadurch etwas so und nicht anders möglich ist, und folglich nicht anders würcklich werden kan. Alles, was wahr ist, läst sich auf eine doppelte Art dencken. Entweder als möglich oder würcklich. Dieß sind die beyden Classen der Dinge, die sich dencken lassen. Wenn aber die Dinge, ehe und bevor sie gedacht werden, nicht möglich vorhanden wären, so könnten sie nimmermehr zu einer Vorstellung kommen. Dieß ist die Ursache, warum alle Wahrheiten ihren Bestehungs-Grund in dem unendlichen Verstand Gottes haben, und so wie GOtt ewig ist, ihrem Wesen nach, alle ewig sind. Wenn kein GOtt wäre, so wäre auch keine Wahrheit; weil keine Quelle ihrer Bestehung und Bestimmung zur Möglichkeit und Würcklichkeit da wäre. Dahero folget: Wer einen GOtt zugiebet, muß das unumschränckte Reich der Wahrheiten annehmen.  
  In so fern die Wahrheit, so wie sie ist, und wie sie kann erkannt werden, erwogen wird, heist sie die objecitivische Wahrheit. Diese bezieht sich so wohl auf den unendlichen als endlichen Verstand. Das Erkenntliche ist das Object des Verstandes, der nichts anders ist: Als die deutliche Anwendung der denckenden Krafft des Geistes auf ein Etwas oder Object.  
  Der unendliche Verstand unterscheidet sich von dem endlichen nicht im Dencken an und vor sich, sondern nur im unumschränkten Dencken. Wo man ohne Schrancken denckt, da denckt man alles Mögliche und Würckliche. Hier leidet keine Ausnahme statt; denn so bald man nur ein eintziges ausnimmt, so macht dieses eine Einschränckung und Endlichkeit. Folglich hebt es den unendlichen Verstand auf. Das unendliche Dencken erfordert den allerreinsten Verstand, der die Dinge in der allervollkommensten Deutlichkeit begreifft. Das eingeschränckte Wesen kan niemahls so rein und tief dencken, da0 ihm nicht tausend Höhen und Tieffen, die Eingräntzung seiner denckenden Krafft bekannt machen solten, und dabey er nicht still und gebeugt stehen muß.  
  In so fern der Verstand die Wahrheit würcklich denckt, und zwischen der Vorstellung und den Objecten in dem denckenden Verstande eine Übereinstimmung ist, so daß das würckliche Bild, oder der würckliche Gedancke mit dem möglichen und würcklichen Dinge harmoniret, so heist diese Wahrheit subjectivisch. Hieraus folget, daß der unendliche Verstand, alle objectivische Wahrheiten, subjectivisch besitze, und daß folglich in GOtt kein Wechsel noch Veränderung des allerreinsten Erkenntnißlichtes statt habe; sondern daß alles, was objectivisch war, in GOtt eine subjectivische Wahrheit sey.  
  Aus diesem erhellet ferner, daß hundert Million tausend, das ist, eine unbestimmliche Anzahl von objectivischen Wahrheiten, in dem endlichen Verstande, nie subjectivische Wahrheiten sind, noch werden können, und daß es ein rasendes und thörigtes Beginnen eines eingeschränckten Geistes sey, der darum an etwas zweifelt, weil es ihm nicht eine subjectivische Wahrheit ist.  
  Weil in einem eingeschränckten Wesen alles nach und nach entstehet, so können  
  {Sp. 1044}  
  auch nur nach und nach, die objectivischen Wahrheiten, subjectivisch werden. Und weil dieß nur unter gewissen Bedingungen, in einer eingerichteten Ordnung, und bey sich ereignenden Umständen geschehen kan, so muß ein jeder gestehen, daß es, ohne die Einrichtung der Bedingungen, Ordnung und Umstände, unmöglich sey, die Wahrheiten zu erkennen, und zu gedencken. Dieß ist die Ursache, warum der eine die Wahrheit faßt, und der andre nicht.  
  Man muß sich dahero wundern, daß es Leute giebt, welche sich wundern, daß sie diese und jene Wahrheit nicht einsehen können, da sie doch nicht die Beschaffenheiten, die zu der Erkenntniß der verschiedenen Arten subjectivischer Wahrheiten erfordert werden, besitzen. Wie unbillig sind nicht die Klagen, die man über die Glaubens-Wahrheiten führet, die sich beschweren, daß dieselben nicht deutlich und begreiflich könnten gedacht werden. Darüber kan sich der endliche Geist nicht eher beklagen, als bis er dargeleget hat, daß er die darzu erforderlichen Bedingungen besitze, sich der Fürsichts-Ordnung, die sie verlangen, unterworfen, und in die Umstände, welche nothwendig dazu gehören, getreten sey. Verlanget er ihre Einsicht ohne diese Einrichtung, so verräth er seine Unwissenheit in den Dingen, die zur Erkenntniß einer subjectivischen Wahrheit nothwendig erfordert werden.  
  Es ist ferner aus dem Abgehandelten sonnenklar, wie matt und seicht die urtheilen, welche über die Dummheit und Thorheit der armen Seelen, die dem Irrthume anhangen, spotten, und schnell richten. Und wir werden hoffentlich den Beyfall der Denckenden erhalten, wenn wir daraus die Wenigkeit derer, welche die Wahrheit wissen und sie subjectivisch besitzen, folgeren. Diese irrenden Seelen haben die Einrichtung nicht, welche darzu erfordert wird, die objectivische Wahrheit, subjectivisch zu fassen. Hieraus erhellet die Richtigkeit folgender Grund-Sätze:  
 
1. Der Irrende irret darum, weil er die subjectivische Wahrheit, die er sich zu haben einbildet, nicht hat.
 
 
2. Der Irrende kan nicht eher seinen Irrthum verlassen, als bis er deutlich eingesehen, daß er einmahl die subjectivische Wahrheit nicht habe, weil er sich von der objectivischen eine falsche Vorstellung gemacht; und dann, daß er nicht anders als unter gewissen Bedingungen, in einer der Wahrheit gemäßen Ordnung, und unter gewissen Umständen, zu der richtigen Erkenntniß des Objects kommen könne.
 
 
3. Der Irrende muß, wenn er seinem Irrthume gründlich entgehen will, dahin trachten, daß er, durch die würckliche Einrichtung seines Verstandes, zu den Bedingungen, und der Ordnung gelange, dadurch die objectivische Wahrheit in ihm subjectivisch wird.
 
 
4. Niemand kan dem Irrenden auf den Wahrheits-Weg helfen, der nicht dessen Irrthum in sich, und in seinem Ursprunge; dessen Fähigkeiten etwas zu fassen; die Bedingungen, die Ordnung, die Umstände, die zur Erhaltung
 
  {Sp. 1045|S. 536}  
 
der subjektivischen Wahrheit gehören; die Mittel, welche dieß alles würcklich machen, und die Wahrheit selbst mit ihren Gründen zureichend erkennet, und alles nach der Natur der Überzeugung gebrauchet.
 
 
5. Ehe man den Irrenden auf die Wahrheit selbst führet, muß ihm sein Irrthum in seiner Häßlichkeit und Schädlichkeit dargestellet werden. Man muß dessen Blösse aufdecken, und seinen unlautern Einfluß in das Reich der Wahrheit und Gottseligkeit eindringend darlegen. Der Krancke muß wissen und empfinden, daß er kranck sey, sonst hat er keine wahre Sehnsucht nach der Hülfe und Gesundheit.
 
  Hieraus läßt es sich leicht begreifen, warum so wenige ihren Irrthum verlassen, und wie schwer es sey, einen Irrenden von seinem Abwege auf den rechten Weg zu führen. Und hieraus erhellet zugleich, was der zu beobachten hat, der das Verführte suchen, zurückrufen und von der Finsterniß zum Lichte führen will. Diese gantze Einrichtung heist mit einem Worte: Das vernünfftige Überzeugungs- und Bekehrungs- Geschäffte. Wichtige und schwere Arbeit!  
  So bald man sich einen gegründeten und ausführlichen Begriff von der Überzeugung objektiv macht, so bald lernt man deutlich einsehen, was dazu erfordert wird, das irrende Subject, in den Stand der Überzeugung, zu setzen. Die vernünfftige Überzeugung ist nichts anders: als die richtige Erkenntniß von etwas, durch den Beweis. Der Beweis ist die Seele der Überzeugung.  
  Soll die Überzeugung in einem Subjecte lebendig werden, so muß es sich einer doppelten Veränderung bewußt seyn. Die erste gehet auf die Unrichtigkeit des falschen, die andre auf die Richtigkeit des wahren Satzes. Dahin arbeitet der Beweis. Wenn er aus den Gründen der ächten Erkenntniß seinen Satz, durch den Vernunfft-Schluß, ableitet, so würcket er auf den Verstand, auf eine doppelte Art.  
  Er stellt zuerst die wahre Verhältniß der Begriffe dar, und zeiget, daß das Prädicat, wegen der wesentlichen und natürlichen Beschaffenheit und des Zustandes des Subjects, in der und in keiner andern Verhältniß, mit dem Subjecte stehen könne, folglich so und nicht anders müsse verbunden oder getrennet werden.  
  Er entdeckt ferner, daß alle Verbindung und Trennung des Subjects und Prädicats in einem Satze, alsdenn falsch sey, wenn solche wider die wesentliche und natürliche Beschaffenheit, und gegenwärtige Einrichtung des Subjects, gemacht wird. Hieraus entstehen zwey Grundregeln der Überzeugung.  
  Die erste:  
  Wenn der Verstand zureichend erkennet, daß in einem Satze das Prädicat mit dem Subjecte also verbunden oder getrennet worden, wie es das Wesen, die Natur und der Zustand des Subjects, darinn es sich itzo befindet, haben will, so ist sich das denckende Wesen einer gewissen Erkenntniß der objectivischen Wahrheit, bewußt, folglich davon sub-  
  {Sp. 1046}  
  jectivisch überzeuget, und dencket seine überzeugte Wahrheit, in der richtigen Übereinstimmung des Objects ausser ihm und des Begriffs in ihm.  
  Die andre:  
  Wenn der Verstand zureichend erkennet, daß in einem Satze das Prädicat mit dem Subjecte wider dessen Wesen, Natur und Zustand verbunden oder getrennet worden, so ist sich das denckende Wesen einer gewissen Erkenntniß von der objectivischen Unwahrheit bewußt, folglich davon subjektivisch überzeuget, und dencket seine überzeugte Unwahrheit in der nicht richtigen Übereinstimmung des Objects ausser ihm und des Begriffs in ihm.  
  Diese beyden Grundregeln, bestimmen die eigentliche Beschaffenheit der Überzeugung. Keine muß von der andern getrennt werden. Und nun kan man sich einen sehr deutlichen Begriff von der lebendigen Erfahrung und Empfindung der Wahrheit und Falschheit machen. Wenn unsere Seele sich der Unmöglichkeit des Gegentheils von dem Erkannten bewußt ist, so muß sie nothwendig dessen Gegensatz als Wahrheit, durch einen angenehmen Zwang annehmen, und das Gegentheil als Unwahrheit verwerffen. Sie muß sich das Object als gewiß möglich und Würcklich vorstellen, weil sie den Zusammenhang, warum es so und nicht anders ist und seyn kan, erkennet.  
  Da nun dieses alles in der Seele selbst vorgehet, und sie sich genöthiget siehet, das Object so und nicht anders, in sich, zu dencken, so muß sie es innerlich empfinden und erfahren; Denn die innerliche Empfindung und Erfahrung ist nichts anders: als der Zustand eines geistlichen Wesens, darinnen es sich eines gewissen Dinges, als würcklich und gegenwärtig in sich selbst so vorstellt, daß es sich dessen Gegensatz, so wenig würcklich, als ihm gegenwärtig vorstellen, kan.  
  Nunmehro kan man sehr deutlich einsehen, wie man es mit sich selbst, oder mit einem andern, anzufangen habe, wenn man von der Falschheit zur Wahrheit, durch die würckliche Überzeugung, kommen wolle. Wir wollen dieses in kurtze Sätze fassen, die aus dem, was itzo gesagt, ihr Licht und Stärcke nehmen.  
  Man muß eine stille und gründliche Prüfung mit dem, der überzeuget werden soll, vornehmen, um zu erfahren:  
 
1) Ob er die Geistes-Stärcke besitze, die das verbundene Dencken der Wahrheit mit ihren Grundsätzen erfodert;
2) Ob er einen redlichen Trieb, die Wahrheit würcksam zu wissen, offenbare, und hierdurch die Überzeugung seinen Beyfall beugsam geben werde;
3) Ob er den irrigen Satz in sich würcklich vor wahr halte, folglich aus unrichtig erkannten Gründen ableite, oder nur aus Dummheit und ohne Überlegung, bloß darum, weil, man ihm solchen wahr zu seyn vorgesaget hat, vor wahr angenommen hat;
4) Ob er den falschen Satz bishero darum vertheidiget, weil er dabey weltliche und schmeichelnde Vortheile geniesset, folglich nur um des Gewinns halber, solchen als wahr äusserlich bekennet, und darum nicht wissen will, daß er falsch sey, damit
 
  {Sp. 1047|S. 537}  
 
  er den Besitz und Genuß seiner Vortheile behalten möge.
 
  Man muß das Überzeugungs-Geschäffte stuffenweise vornehmen. Dieses gehet so wohl auf die Person, die man überführen will, als auf die Sache, davon man überzeuget werden soll. Das völlige Licht einer Wahrheit läst sich nur von eingeschränckten Geistern nach und nach fassen, sowie die Begriffe, die darzu erfordert werden, in dem Verstande mehr und mehr Fähigkeit und Krafft durch ihr Wachsthum dazu, mittheilen.  
  Man muß, ehe man zur Überzeugung schreitet, die Begriffe und Ideen, welche in dem Objecte, oder der Wahrheit, davon man überzeuget werden soll, liegen, deutlich machen, und ihre eigentliche Bedeutung bestimmen.  
  Man muß niemahls dem, der da überzeuget werden soll, nach sich, der da überzeugen will, beurtheilen: folglich von sich, bey dem Überzeugungs-Geschäffte, gäntzlich abstrahiren, und nur auf die zu überzeugende Person, auf die Wahrheit und ihren Gegensatze, und auf die Gültigkeit des Überzeugungs-Geschäftes sein Augenmerk richten.  
  Man muß dem Irrenden die völlige Erlaubniß geben, alle seine Einwendungen und Gegensätze mit ihren vermeynten Gründen offenhertzig und ohne Zurückhaltung eines Umstandes, zu sagen, wenn sie auch noch so hart und verwegen scheinen. Geschicht dieses nicht, so können die beyden Grund-Regeln der Überzeugung nimmer mehr in ihrer Stärcke arbeiten.  
  Man muß alle Neben- und Incident-Sätze sorgfältig von dem Hauptsatze, der die Wahrheit oder Falschheit in sich faßt, absondern, weil durch deren Vermischung, das Object, nie eigentlich, sondern verhüllt erkannt wird, folglich kan das Object, dessen würckliche und wahre Beschaffenheit nie empfinden, und davon überzeuget werden.  
  Man muß mit einer geduldigen Stille und liebreichen Herunterlassung den Irrenden so lange bearbeiten, bis er zur innerlichen Empfindung der Wahrheit und Falschheit kommt, solche durch ein freymüthiges Bekänntniß offenbaret, ohne äusserliche Verheissung, Schreck und Drohungs-Mittel bekennet, und durch den selbst geführten Beweiß, die Gewißheit und Grösse der Überzeugung mercklich machte. Dieses ist allein das Mittel, dadurch uns die Krafft unserer angebrachten Überzeugung, bekannt wird, und daraus wir und andere ohne Furcht des Gegensatzes, die wahrhafftige und gewisse subjectivische Wahrheit einsehen. Das blosse Hersagen und auswendig gelernte Antworten zeiget nur, daß die Worte, darinn die Wahrheit lieget, aber nicht die Wahrheit selbst, überzeugt gefaßt worden.  
  Auf die Art muß man mit allen Irrenden und Gefallenen umgehen. Nach unserer Überzeugung muß man mit einem Zweifler auf gleiche Art verfahren, weil er zu den Gefallenen mit Recht zu zählen ist. Der Zweifler ist zwar an und vor sich noch kein Irrender. Allein viele Arten Zweifler gehören ohne alle Widerrede unter die volckreiche und zu beklagende Gesellschafft der Irrenden. Simonetti Sammlung vermischter
  {Sp. 1048}  
    Beyträge zum Dienste der Wahrheit, Vernunfft, Freyheit und Religion, I Band, p. 123. u.ff.
     

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Stand: 4. April 2013 © Hans-Walter Pries