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Text |
Quellenangaben |
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(2) Eintheilung des Zweifels in den
theologischen, philosophischen, hermeneutischen,
kritischen und philologischen.¶ |
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Der Zweifel bekommt eine neue Eintheilung,
wenn man solchen dem Objecte nach, darüber er zweifelt, in Betrachtung ziehet. Dieses Object
fasset in sich |
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- entweder
Dinge, die zur eigentlichen
Offenbahrung, als die Geheimnisse sind, gehören:
- oder, die von der
Vernunfft und
Erfahrung können
gefasset werden,
- oder die den
Vortrag, die
Lehrart, und die Bekräftigung derselben
betreffen.
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Geht der Zweifel mit den geoffenbarten
Sätzen um, so heist er der theologische; hat er es
mit den Dingen, welche natürlich gefasset werden
können, zu thun, so ist es der
philosophische, und
wenn er mit der
Methode, mit den
Beweisen, mit
der Einrichtung der
Erkenntniß- und
Überzeugungs-Mittel beschäfftiget ist, so kan man
solchen den hermeneutischen, critischen, auch
philologischen nennen. |
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Wenn also jemand an der
Gewißheit oder
Ungewißheit der Höllenfahrt Jesu zweifelte, so
gehöret dieses zum theologischen Zweifel. Dahin
rechnen wir den Religions-Zweifel. Der
philosophische Zweifel bearbeitete den la Mothe
le Vayer, Bayle, Huet und andere, die in der
philosophischen Geschichte vorkommen. Der
philologische Zweifel kan sich mit dem
theologischen oder philosophischen vereinigen.
Also kan jemand zweifeln; |
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- ob Moses der Verfertiger, der seinen
Nahmen
führenden
Bücher sey?
- Ob diese oder jene
Leseart der
Heiligen Schrifft authentisch sey?
- Ob
die Bücher, die
Worte, die
Meynung, die man dem
Plato, dem Aristoteles und andern
Weltweise
zueignet, oder nicht zueignet, ihm müssen
beygeleget oder abgesprochen werden?
- Ob die
Meynung von der ewigen Schöpffung einer
Welt
möglich oder unmöglich sey?¶
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Der philosophische Zweifel hat wiederum
seine
Arten, die sich nach den besondern
Theilen
der
Philosophie richten. Dahin gehöret |
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- der
moralische Zweifel, davon
Buddeus in
den Analectis Hist. Philosophicae …;
- der
historische, davon Bierling de Pyrrhonismo
historico;
Struv
de Pyrrhonismo historico, Schade de Pyrrhonismo historico, und
Perizonius de fide
historiae contra Pyrrhonismum historicum;
- der
politische, davon Machiavel;
- der physicalische,
davon Baco von Verulamio;
- der
metaphysische,
davon Cartesius,
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geschrieben haben.¶ |
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Hieher muß man ebenfalls den juristischen
und medicinischen Zweifel rechnen.¶ |
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Es würde zu weitläufftig seyn, wenn wir diese
Arten der Zweifel insgesammt mit Exempeln aus
der philosophischen Geschichte erläutern solten.
Der sich nur etwas mit der Geschichte der
Wissen- |
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{Sp. 1031|S. 529} |
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schafften bekannt gemacht hat, wird solche
leicht entdecken.¶ |
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(3) Eintheilung des Zweifels in den über die
Sachen selbst, die Beweisgründe, und den
Beweis selbst.¶ |
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Dieser Zweifel kan auch in der
Verhältniß
dessen, darüber er zweifelt, folgendermassen
eingetheilet werden. Man kan zweifeln |
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- über die
Sachen oder Objecte selbst,
- oder
über die Beweisgründe, die ihre
Wahrheit und
Gewißheit darlegen sollen;
- oder über den
Beweis
selbst, so wie er aus den Beweisgründen geführet
wird.
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Wer an den beyden letztern zweifelt, ziehet
deswegen noch nicht die Sachen selbst in Zweifel.
Man kan über die Beweisgründe zweifeln,
deswegen folgt nicht, man entziehet dem Beweis
oder den Sachen seinen Beyfall. Diejenigen,
welche gewisse
Männer, wegen des Zweifels über
die Beweise, die bishero die
Würcklichkeit
Gottes
oder andere Wahrheiten haben erhärten sollen,
darum der
Atheisterey oder anderer Fehler
angeklagt haben, hätten diese Eintheilung nicht
vergessen sollen. Es wäre nicht gut, wenn die
Wahrheiten ihre Stärcke aus manchem
Beweisgrunde oder geführten Beweise nehmen
solten. Die sind gewiß öffters sehr kümmerlich
eingerichtet. Wer damit zufrieden ist, dem kan
man seinen Glaubensgrund gönnen. Man muß
aber deswegen die, welche daran zweifeln, nicht
zugleich zu unglaubigen Zweiflern der Sachen,
der
Gründe, und des Beweises überhaupt
machen.¶ |
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(4) Eintheilung des Zweifels in den
allgemeinen und den besondern.¶ |
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Man kan den Zweifel seinem Umfange nach
betrachten. In dieser
Verhältniß kan man solchen
in den allgemeinen und besondern theilen. |
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Der allgemeine erstrecket sich über alles. Dahin rechnet man mit Recht den
Pyrrhonischen. Dieser zweifelt objectivisch und subjectivisch. |
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Der besondere leidet seine
Einschränckungen, und hat auch seine
Allgemeinheit. Wenn man subjectivisch an allem
zweifelt, so ist dieß zwar etwas besonderes, aber
doch in Betracht des Zweiflers allgemein. Der
besondere Zweifel gräntzt sich nach den
Objecten, daran er zweifelt, ein. Dieß kan auf die
theologische,
philosophische und philologische
Untersuchung der Dinge gehen. Also ist des la
Mothe le Vayer Zweifel ein besonderer, weil er
sich nur besonders auf die philosophischen
Objecte beziehet. Wenn Bayle ein Zweifler ist, so
findet man seinen Zweifel in der Gegend der
Philosophie und Philologie beschäfftiget.¶ |
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(5) Eintheilung des Zweifels in den wahren
und verstellten.¶ |
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Siehet man auf die Art und Weise wie
gezweifelt wird, so entstehen daher verschiedene
Arten des Zweifels.¶ |
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Zuerst ist der Zweifel ein
wahrer und
verstellter. Ob alle Pyrrhonisten
wahrhafftig
gezweifelt haben, oder ob alle die, welche
theologische und Religions-Zweifel vortragen,
würcklich solche hegen, kan so leicht nicht
ausgemacht werden. Wir
glauben, daß viele nur
verstellt zweifeln, und darum zweifeln, weil sie
gerne zweifeln wollen. Der wahre Zweifel will
Gründe, Überlegung, Nachdencken, Belesenheit,
und welches vielleicht manchen wunderlich
düncken wird, ein aufrichtiges und |
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{Sp. 1032} |
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ehrliches Hertz haben. Es ist nicht genung zu
sagen: ich zweifle; man muß wissen, warum man
zweifelt. Man muß nicht eher zweifeln, als bis
einen die Gründe und Gegengründe ins Gedränge
bringen. Wenn dieses nicht ist, so ist der Zweifel
nur Einbildung,
Wahn und Verstellung. |
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Es giebt Leute, die eine verhärtetes und
sicheres Hertz haben. Der Unglaube martert ihre
Seele. Sie bekennen zwar mit dem Munde, aber
ihr Innerstes ist davon entfernt. Die äusserlichen
Umstände erfordern das Bekenntniß. ihre
Bedienungen und die
Obrigkeit des Landes
erheischen den
Vortrag dieser und jener Lehren.
Sie lehren oder bekennen sie auch mit den
Lippen; aber weil ihr Hertz davon entfernt ist so
machen sie darwider Zweifel. Dieser ist nur
verstellt. In der
That verneinen sie das, welches
sie unter der Wendung des Zweifels vortragen.
Dahero versäumen sie keine Gelegenheit, ihren
Unglauben, unter der Decke des Zweifels, das
Wort zu
reden. |
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Auch der, welcher einen andern in Ansehung
der
Gewißheit und Gründlichkeit seines
Erkenntnisses prüfen will, kan sich in die
Gestalt
eines Zweiflers kleiden, folglich den verstellten
Zweifel eine Zeitlang annehmen. So stellen wir
uns den la Mothe la Vayer und Bayle vor. |
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Einige zweifeln, weil sie gehöret haben, daß der Zweifel einen
scharffsinnigen und
gelehrten
Kopf vorstelle. Dieß wolten sie gerne seyn, daher
verkappen sie sich in die Gestalt des Zweiflers,
stellen sich darinne recht patzig und machen in
den
Gesellschafften wunderliche Luftspringe und
Streiche. Allein in der That ist es Verstellung und
Wahn.¶ |
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(6) Eintheilung des Zweifels in den
vernünfftigen und unvernünfftigen; oder in den
dogmatischen und sceptischen.¶ |
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Zum andern ist der Zweifel
vernünftig oder
gegründet, und unvernünftig oder ungegründet.
Man nennet sonst den vernünfftigen Zweifel den
dogmatischen, hingegen den unvernünfftigen den
sceptischen. Der Vernünftige weiß warum
gezweifelt wird; der Unvernünftige weiß davon
keine
Ursache anzugeben. Der letzte folget dem
Haufen der Zweifler ohne Überlegung blindlings
nach. |
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Wenn man auf viele genau, insonderheit in
Religions-Sachen Acht hat, so wissen sie nicht,
warum sie sich dem Zweifel übergeben. Also
zweifeln viele an der Unsterblichkeit der Seele,
weil sie gehöret haben, daß dieser oder jener
berühmte Mann daran zweifelt. Man kan solchen
Zweifel auch den Dummen nennen. |
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Das Vorurtheil des
Ansehens ist die Quelle
dieser seichten Aufführung. Es giebt Leute, die
ziehen gewisse
Wahrheiten der Lehre Jesu, so
wie sie die protestantische Kirche, oder die
Gemeine der Lutheraner, nach der
Schrifft
vorträgt, bloß darum in Zweifel, weil sie mit ihren
lüsternen Absichten, oder mit ihrer sehr kurtzen
Einsicht nicht übereinstimmen. Untersucht man
die
Gründe und Ursachen dieser Zweifel, so sind
sie so elend, das man über ihre Unvernunfft
erschrickt. Die Zweifler dieser
Art gestehen, daß
sie dieses und jenes nicht fassen können, und
daß es mit ihren Vorstellungen streite. Fragt man:
ob sie solches alles genau geprüft, oder
untersucht: so ist öffters die Antwort, daß sie
darzu so wenig
Zeit, als Ge- |
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{Sp. 1033|S. 530} |
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legenheit,
Kräfte und
Mittel hätten. Welche
Unvernunfft! wir können es uns nicht einbilden, ist
ihre
Sprache, daß dieses so seyn solte. |
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Wer sich die Mühe giebt, auf den Zweifel in
Ansehung der
Geister, der Höllenstrafen, des
Heiligen Abendmahls, der
Person Christi, und
anderer geoffenbarten und philosophischen
Wahrheiten, wie er unter Hohen und Niedrigen
arbeitet, Acht zu geben, der wird bald gewahr
werden, daß diese zweifelhaffte Seelen eine sehr
geringe Erkenntniß von diesen wichtigen
Wahrheiten besitzen. Unsere starcken Geister
bewohnen fast alle diese Gegend. Wenn der
vernünfftige Mann zweifelt, so weiß er einen jeden
von seinen Zweifel Rechenschafft zu geben. Eine
Reihe von
Schlüssen, die er so wohl vor, als wider
einen
Satz oder
Sache einsiehet, macht ihn
stutzig, sein
Urtheil zu fällen, u. er ziehet seinen
Beyfall nicht aus Übereilung,
Ansehen,
Einbildung
und Unwissenheit, sondern aus Nachsinnen und
dem Gleichgewichte der beyderseitigen Gründe
zurück. |
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|
Wer vernünfftig zweifelt, stehet eigentlich nur
im subjectivischen Zweifel. Er giebt zu, daß das
Object, darüber er itzo zweifelt, wahr seyn könne;
ob er es gleich davor noch nicht erkennt. Dieß
wäre ein gewaltiger Fehlsprung, wenn er von
seiner Unentschlüßigkeit etwas zu bejahen oder
zu verneinen, auf die Ungewißheit der Sache
selbst schliessen wolte. Aus Überlegung und
Erfahrung hat der vernünftige Zweifler die
Behutsamkeit erlernet; dahero zweifelt er
behutsam, gegründet, und nie ohne zureichende
Bestimmung zum zweifeln. Der vernünfftige
Zweifel ist der, welchen einige den Aristotelischen
nennen, und den wir oben bey dem Cartesio
wahrgenommen.¶ |
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(7) Eintheilung des Zweifels in den
offenbahren und heimlichen.¶ |
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Der Zweifel ist zum dritten entweder offenbar
oder heimlich. Der offenbare Zweifel bekennet
offenhertzig, daß er so wenig die
Wahrheit als
Falschheit dieses
Satzes und Objects dencken
könne. Der heimliche verbirgt sich unter der
Decke der Bejahung oder Verneinung. Er zweifelt,
ohne seine
Ursachen, die ihn dazu treiben,
bekannt zu machen. Er behält alles bey sich, ohne
es jemanden zu sagen. Ein
Gemüth, welches von
dem Zweifel heimlich geplaget wird, empfindet
öffters unangenehme Triebe, die ihn
ängstigen und
martern. Es zählet schlaflose
Nächte und unruhige
Tage. Der
Zustand eines solchen Hertzens gleicht
dem Schifflein, das von den Winden und Wellen
hin und her getrieben wird, und welches ohne
Ancker, Mast und Steuer, unter dem Toben eines
stürmenden Gewitters, und ohne Hülffe und
Beystand, auf ein Gerathewohl, fortgetrieben wird.
Es seuffzet nach dem Hafen; es suchet einen
Ort
der Sicherheit, und wünschet das Ufer zur
Anlandung: aber bishero ist Wünschen, Flehen
und Hoffen vergebens. Der Zustand einer solchen
Seele ist öffters verzweifelt.¶ |
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|
Der offenbare und heimliche Zweifel können
vernünfftig und unvernünfftig seyn, nachdem die
Beschaffenheiten sind, die solchen bestimmen.
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Der vernünfftig offenbare Zweifel entdeckt
seine |
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{Sp. 1034} |
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|
Gründe, welche ihn zu dieser Verfassung
führen. |
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Der unvernünfftig stille Zweifel weiß nicht,
warum er zweifelt, und macht solchen auch nicht
bekannt, sondern schleppt sich damit aus
Unwissenheit, Einbildung,
Furcht und andern
Quellen, daraus er seinen Fortgang schöpffet. Die
melancholischen Gemüther werden davon
geplaget, und die, welche von der Hypochondrie
beschweret sind, fühlen diesen elenden
Zustand. |
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|
Der vernünfftig stille Zweifel stehet ein, daß er
dieses und jenes unmöglich, als
wahr, oder falsch
annehmen könne: Aber gewisse Einrichtungen
binden seine Zunge und halten die Offenbarung
zurück. Die Furcht, dadurch von gewissen Leuten
angeschwärtzt zu werden, hält ihn zurück. Er
weiß, daß sich einige unter der harten Anklage der
Zweifler verbergen, und ihrer Unwissenheit, die
dem armen Zweifler nicht gnug thun kan, durch
die Verketzerung desselben das
Wort
reden, und
die Hülle verschaffen. Er träget diese Last der
Stille, und nähret darüber einen heimlichen
Kummer; oder er gehet darunter
gedultig fort, und
hoffet auf die
Stunden des Lichts und der
Aufklärung, welche er von der gütigen Providentz
und einer guten Gelegenheit erwartet. |
|
|
Der unvernünfftige offenbare Zweifel träget
seine
Gedancken frech, plump, unbedachtsam,
keck und allenthalben vor. Er scheuet sich nicht,
alles zu
sagen, was ihm einfällt, und bedenckt so
wenig seine als andrer Leute Umstände. Dieser
ärgert sehr offt zarte Hertzen, und verwirret die
noch unbearbeiteten
Gemüther, welche ihn
deswegen vor starck, öffters vor
gelehrt halten,
weil sie die
Geister zu prüfen nicht im
Stande sind.
|
|
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Diese
Art ist die allerkümmerlichste unter den
Zweiflern. Wer die
Welt durchkrochen hat, findet
deren eine grosse Zahl. Solche kleine Geister sind
gemeiniglich aufgeblasen, und unerträglich. Sie
schwatzen beständig von den wichtigsten
Wahrheiten, und sobald sie den Mund in einer
Gesellschafft öffnen, so übergeben sie sich. Ihrer
Einbildung nach sind sie unüberwindlich, und das
darum, weil sie öffters
Männer, und darunter
Geistliche, denn diese fallen sie zuerst an, um sie
lächerlich und sich fürchterlich zu machen,
gefunden, die sich ihren frechen
Worten sogleich
nicht haben widersetzen können, oder wollen,
oder die aus Mangel der Einsicht, Zaghafftigkeit,
Menschenfurcht, Gewinnsucht, und andern
nichtswürdigen
Ursachen, die dazu erforderlichen
Beschaffenheiten nicht besessen haben, folglich
gewichen, und ihnen den Kampf-Platz
überlassen.¶ |
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(8) Eintheilung des Zweifels in den feinen und
groben.¶ |
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Die vierte Classe des Zweifels fasset den
feinen und groben unter sich. Die
Erfahrung und
Überlegung bestätigen diese Eintheilung. Man
erkennet zugleich, daß dieser Unterscheid auf den
Vortrag der Zweifel sich gründe. |
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|
Der feine Zweifel hat etwas von der
Verstellung an sich. Er nimmt das Bild eines
dogmatischen Lehrers an, doch so, daß er bey
aller Gelegenheit, den Zweifler wider seine
Sätze,
reden läst. Er untergräbt das Lehrgebäude durch
seine Einwendungen nach und nach, und macht
es unvermerckt ungewiß und |
|
|
{Sp. 1035|S. 531} |
|
|
wanckend. Wer seine verborgene Angriffe
nicht versteht, wird unter der witzigen
Einbildung
des Vortrags berückt. Die heimlich gelegten
Fallstricke und gemachten Fallbrücken siehet der
nicht, der nur das Äusserliche der Wortstellungen
betrachtet. Der scharfdenckende Bayle ist ein
Meister in dieser Art. Er läst andere vor sich das
Wort des Zweiflers führen. |
|
|
Diese
Art ist nicht allezeit verwerfflich,
sondern zu billigen, wenn man nehmlich mit
Leuten zu thun hat, die sich mit gewissen
Sätzen
brüsten, und denen man auf keine andere Art
beykommen kan. Warum soll man nicht, seinen
Endzweck zu erhalten, einen Umweg nehmen,
den man nicht erreichen würde, wenn man gerade
zu gehen wolte? Die
Klugheit billiget dergleichen
Verfahren, und erwehlet es, als ein weises
Mittel
zum Dienst der
Wahrheit und
Gewißheit. Dieses
letztere macht den feinen Zweifel
angenehm und
ersprießlich. Ist die Beybringung der Wahrheit und
Gewißheit nicht die Absicht, so muß man solchen
nicht gebrauchen. Wer auf die Art das dunckele
Reich der Vorurtheile,
Meynungen und albernen
Gewohnheiten und
Sitten zu erleuchten, bemüht
ist, verrichtet eine lobenswürdige
That. Diese
vernünfftige Einrichtung erweckt auf eine
sinnreiche Art, die sittlich träumenden und
schlafenden Menschen. |
|
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Der grobe Zweifel wehlet den gegenseitigen
Weg. Er träget seine Gedancken hart, rauh,
unverständlich, abgeschmackt und pöbelmäßig
vor. Er fällt mit der Thür ins
Haus. Seine
Sprache
ist dem vernünfftigen Zuhörer
verdrießlich und
unangenehm. Er macht sich nur da Anhänger,
wo man gerne zweifeln will. |
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|
Der grobe Zweifel ist sehr offt mit dem
unvernünfftigen offenbaren vereiniget. Er ist auch
der, welcher mit Ungestüm zweifelt, weil er das
Scharfsinnige und Reitzende nicht verstehet, und
nicht weiß, wie der vernünfftige Zweifel sprechen
muß. Er redet
amtsmäßig, und bildet sich ein, sein
Ausspruch sey die Aussage eines Orackels; weil
er unter den Sterblichen etwas wegen seiner
Abstammung, Dienstes und
Reichthums voraus
hat. Oft gründet er sich auf eine flüchtige und
scheinbare Belesenheit der Monaths-Schrifften,
Memoires, und andre
Bücher, die ihm den Stoff
zum Zweifel gelieffert haben. Er berufft sich auf
die Stärcke anderer Zweifel, und giebt ihre Gründe
vor unüberwindlich an, bey dem die
Krafft, ihre
Schein-Stärcke zu entkräfften, fehlet. In Religions-Sachen mischt er sich beständig, und wo er
ernsthafft, behutsam, bescheiden, und wenigstens
um andrer willen ehrerbietig seine Zweifel eröffnen
solte, da verletzt er alle diese Beschaffenheiten
auf eine unhöfliche Art. |
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|
Gemeiniglich wird der grobe Zweifel von der
Spötterey und dem Hohngelächter begleitet. Ein
solcher lacht die aus, die das vor wahr oder falsch
halten, woran er zweifelt. Er greifft die
allerwichtigsten Dinge an, und dringet in das
Heiligthum der
Wissenschafften mit trabenden
Schritten, ohne sich zu bekümmern, wie man
gestaltet seyn müsse, wenn man diese reine
Schwellen betreten wolle. Der Zustand des groben
Zweifels ist fürchterlich, und streitet mit dem
Edelmuthe und der forschenden Wahrheits-Liebe
schnurstracks. Diese wollen gesittete,
vernünfftige, stille und ohne Geräusch
nachspürende
Gemüther ha- |
|
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{Sp. 1036} |
|
|
ben. Keinesweges solche, welche mit einem
unbändigen und übertriebenen Gepolter und
widerlichen Feldgeschrei die
Wahrheit, oder auch
die Falschheit der
Dinge anfallen und ungewiß
machen wollen.¶ |
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(9) Eintheilung des Zweifels in den
hartnäckigten und nachgebenden.¶ |
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Die fünffte Eintheilung des Zweifels enthält
den hartnäckigten und nachgebenden
Zweifel. |
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Der hartnäckigte ist der, der mit Vorsatz
zweifelt, und sich aus seinem Zweifel nicht helffen
will; der darum zweifelt, weil es ihm so gefällt, und
der sich dem ohne alle
Ursache, der ihn daraus
führen will, widersetzet. Ein jeder erkennet so
gleich, daß dieser allezeit unvernünfftig ist. |
|
|
Der nachgebende Zweifel will sich
unterrichten lassen. Er zweifelt, um desto
gewisser in der
Erkenntniß der Dinge zu werden.
Er prüfet, forschet, suchet und ist bemühsam nach
der Hand die ihm den Faden darreichet, der ihn
aus seinem Zweifels-Garten führen kan. Dieser ist
beständig
vernünfftig, und läst sich durch die
Beweis- und
Bewegungs-Gründe, welche ihn zum
Nachgeben eingeladen, lencken. |
|
|
So wie uns die Überbleibsel der alten
Nachrichten von den Sceptickern erzehlen, so
gehörten die zu der Zahl der hartnäckigten
Zweifler. Der Aristotelische und Cartesianische
Zweifler sind von der
Art der nachgebenden. Die
Verulamische gleichfalls. Und alle vernünfftige
Zweifler unter den neuern muß man dahin
rechnen.¶ |
|
|
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|
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(10) Eintheilung des Zweifels in den
dogmatischen und empirischen.¶ |
|
|
Zum sechsten kan der Zweifel in einen
dogmatischen und empirischen getheilet werden.
Der dogmatische will durch die Überlegung sein
Verhalten rechtfertigen. Der empirische beruffet
sich auf die
Erfahrung, und meynt in dem
verschiedenen Verhalten der Erdeinwohner
seinen Schutz-Brief zu finden. La Mothe le Vayer hat beyde in seinen
Schrifften angebracht. |
Simonetti Sammlung
vermischter Beyträge zum Dienste der Wahrheit,
Vernunfft, Freyheit und Religion, Band I, p. 139.
u.ff. |
|
|
Siehe auch den
Artickel:
Scepticismus, im
XXXIV
Bande,
p. 585. u.ff.¶ |
|
|
|
|
|
IV. Unterscheid des dogmatischen und
sceptischen Zweifels.¶ |
|
|
Die mehrgedachte
Regel des
Cartesius, daß
man in alles und jedes, das einem
Wahr zu seyn
bedüncke, ehe man es
Würcklich vor wahr halte,
zuvor einigen Zweifel setzen müsse, verleitet zu
nichts weniger als zur Scepticisterey, wenn wir sie
also einschräncken, daß man allen
Satzen, die
nur nicht
unmittelbare Wahrheiten sind, zweifeln,
das ist, sein
Urtheil von ihrer Wahrheit oder
Falschheit so lange ausgesetzt seyn lassen solle,
bis man sie als Conclusionen aus ihren
Gründen
untersuchet habe, und hierdurch von ihrer
Wahrheit oder Falschheit sich gründlich
überzeuget befinde. |
|
|
An unmittelbaren Wahrheiten aber, die da
selbst die ersten Gründen sind, zweifeln, das ist,
sie nicht eher einräumen wollen, als bis man sie a
priori erweisen könne, ist etwas, das sich selbst
wider- |
|
|
{Sp. 1037|S. 532} |
|
|
spricht; und kan also der
Vernunfft nicht
gemäß seyn. Denn da die unmittelbaren
Wahrheiten die ersten oder obersten sind, und
also keine andere vor oder über sich haben, aus
denen sie demonstriret werden könnten; so
müssen unstreitig diese Wahrheiten über allen
Zweifel erhaben seyn; insoferne wir nur ihrer
Unmittelbarkeit wahrhafftig überzeuget sind. Denn
ob sie würcklich
unmittelbar sind, kan allerdings in
Zweifel gezogen, und, ehe man sie davor gelten
lässet, untersuchet werden, damit man nicht
Sätze
vor unmittelbare Wahrheiten annehmen möge, die
es nicht sind. |
|
|
Im übrigen wird diese
Würckung des
Verstandes, durch welche wir bey mittelbaren
Propositionen unsern Beyfall so lange zurücke
halten, biß wir die Gründe derselben reiflich
erwogen, und also einen zugänglichen Grund
unsers Beyfalls mögen gefunden haben, der
dogmatische Zweifel (dubitatio dogmatica)
genennet; welche dem sceptischen Zweifel (dubitationi scepticae) entgegen gesetzet ist, die
mit Verwerffung der ersten Gründe
menschlicher
Erkenntniß auf gar keinen Beyfall gerichtet ist.
Dahero fehlete so viel, daß der dogmatische
Zweifel der
Gewißheit der
Wissenschafften
nachtheilig seyn solte; daß er vielmehr ein
unentbehrliches Mittel ist, uns deren zu
überzeugen. Der sceptische Zweifel hingegen wird
nicht vor ein Mittel, sondern vor einen
Zweck, auf
welchem der Verstand beruhen solle,
ausgegeben, und zielet also auf die Aufhebung
aller Gewißheit. |
|
|
Dannenhero, wer die
Regel, daß man an
allem zweifeln müste, auch auf die unmittelbahre
Wahrheiten ausdehnet, und also keine erstern
Gründe, die durch sich selber, das ist, ohne
Beweis
wahr sind, zulassen will, dessen Zweifel
kan nicht anders als sceptisch seyn: indem er
immerfort Beweiß, und wiederum Beweiß dieses
Beweises, ohne Ende suchen, und also nimmer
mehr etwas finden kan, worauf er fussen könnte,
wie Aristoteles Metaphys. …
sagt: [4 Zeilen
lateinischer Text]. |
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Wer hingegen andern Theils auch bey
mittelbaren Propositionen keinen Zweifel, keine
Untersuchung, keinen Widerspruch, wenn man sie
nicht sattsam gegründet finden solte, dulten will,
der wird auf das andere extremum fallen, und, an
statt daß ein Scepticus alle Gewisheit verleugnet,
hingegen die ungewissesten Dinge und
offenbahresten Irrthümer als
ungezweifelte
Gewißheiten der
Welt aufdringen wollen, mithin
denen Vorurtheilen Thür und Thor öffnen. |
Müllers Philosophie, Th.
I …
Siehe auch Pensees philosophiques, Haag 1746
in 12, und dabey die Deutschen
Acta Eruditorum,
Th. 100 …. |
|
|
Übrigens ist wohl zu mercken, daß man unter
der Erlernung und der Prüfung der
Wissenschafften einen Unterscheid zu machen
habe. Bey der Prüfung derselben hat der
Satz
statt: Daß man an allen Sätzen, so nicht
unmittelbahre Wahrheiten sind, zweifeln solle;
nicht aber bey der Erlernung. Denn woran will der
zweifeln, der noch nichts weiß, und erst zu lernen
anfangen will. Es haben solches die
Herren
Verfasser der Deutschen Actorum Eruditorum,
Th. 143 … sehr wohl bey der |
|
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{Sp. 1038} |
|
|
Recension der Theologiae Naturalis des Hrn.
Jacob Thomsons (Königsberg 1728 in Fol.)
erinnert, und an den Hrn. Thomson ausgesetzet,
daß er, da er doch nur den Anfängern zu dienen
Vorhabens, fordere: Man müsse an allen Dingen
zweifeln.¶ |
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Weil also bey einem Zweifel eine
Untersuchung des Satzes folgen muß; so haben
dahero viele angenommen: daß zweifeln nichts
anders heisse als untersuchen, ob ein Satz wahr
oder falsch sey, als Christian Thomasius in der
Ausübung der Vernunfft-Lehre ... |
Siehe Ahlwardts Gedancken
von den Kräfften des menschlichen Verstandes
...¶ |
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V. Ob der Zweifel eine Schwachheit des
Verstandes sey?¶ |
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Wenn wir diese Frage entscheiden sollen, so
müssen wir voraus setzen, daß hier nicht die
Rede von einem solchen Zweifel sey, da man mit
Vorsatz, und nur auf eine
Zeit,
auch in der Absicht an etwas zweifelt, damit man desto ungehinderter und ohne
allen Vorurtheil einen
Satz oder
dessen
Beweis prüfen könne: denn ein solches
zeitliches Zurückehalten des Bejahens und
Verneinens ist vor kein
würckliches Zweifeln zu
halten; sondern durch den Zweifel verstehen wir
denjenigen
Zustand eines
Menschens, da
derselbe in der
That ungewiß ist, zu welcher Seite
er sich in dem
Urtheil von einer
Sache
determiniren soll. |
|
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Aus dieser angenommenen Erklärung des
Zweifels ist leicht zu
erkennen, daß man ihn als
eine Schwachheit des
Verstandes anzusehen
habe. Denn daß man zweifelt, und also weder
etwas bejahen noch verneinen will oder kan, zeigt
an, daß man das Verhältniß der beyden
Ideen
gegen einander, woraus das Urtheil bestehet,
nicht erkenne, und also aller Zweifel eine
Unwissenheit zum
Grunde habe. Es haben zwar
einige denselbigen vor was
gutes und löbliches
ausgeben wollen, weil er den Menschen
Gelegenheit gebe, eine Sache genauer und
gründlicher zu untersuchen; sie stossen aber in
solchem ihrem Urtheile hierinnen an, daß sie
dasjenige, was einer Sache wesentlich zukomme,
von demjenigen, dazu sie zufälliger Weise dienen
kan, nicht unterscheiden. |
|
|
Der Zweifel ist und bleibet seiner
Natur und
seinem
Wesen nach eine Kranckheit und
Schwachheit des menschlichen Verstandes; wenn
er aber Gelegenheit giebt, daß man eine Sache
selbst genauer und gründlicher untersuchet,
solches geschicht nur zufälliger Weise, dadurch er
so wenig vor was gutes kan angesehen werden;
so wenig jemand die Kranckheit des menschlichen
Leibes unter die
Güter zählen wird, wenn sie
gleich bey manchem Gelegenheit gegeben, daß
er sich wahrhafftig zu
GOtt bekehret. |
Walchs Philosoph.
Lexicon.¶ |
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VI. Unterscheid des Zweifels von andern
Schwachheiten des Verstandes.¶ |
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Es giebt noch andere Schwachheiten des
Verstandes, die man von dieser unterscheiden
muß. Die Unwissenheit ist der
Grund des
Zweifels, man kan aber nicht
sagen, daß
Unwissenheit u. Zweifel einerley wären. Denn der
Zweifel hat allezeit bey einem gewissen
Urtheile
statt, und müssen wenigstens zwey Haupt
Ideen
da seyn, da man nehmlich ungewiß, ob etwas
einer
Sache könne beygelegt werden, |
|
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{Sp. 1039|S. 533} |
|
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oder nicht; die Unwissenheit hingegen geht
nur auf die blosse
Begriffe und Vorstellungen der
Dinge.¶ |
|
|
Ein solcher Unterscheid finde sich auch unter
dem Irrthum und Zweifel. Bey einem Irrthum
determiniret man sich in dem Urtheile zu was
gewissen, daß man entweder bejahet oder
verneinet, nur geschicht dieses nicht nach der
Wahrheit; bey den Zweifel aber steht man
gleichsam in der Mitte zwischen dem Bejahen und
Verneinen, wie wir schon vorher erinnert, ob es
wohl seyn kan, daß man sich bald zu dieser, bald
zu jener Seite mehr lencket. |
Walchs Philosoph.
Lexicon.¶ |
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VII. Wie man sich in der Ausführung bey dem
Zweifel aufzuführen habe?¶ |
|
|
In der Ausübung muß man sich bey dem
Zweifel
vernünfftig aufführen. Es wird derselbige
billig in der Logick als ein
Mittel vorgeschlagen,
wodurch zur genauern Untersuchung einer
Sache
durch eigenes Nachdencken Gelegenheit
gegeben wird, folglich zur Ablegung der
Vorurtheile sonderlich derjenigen, die entweder
auf ein
menschliches Ansehen, oder auf eine
Übereilung gegründet, dienet. Die Art, wie man
vernünfftig, und also mit
Nutzen zweifeln soll,
kommt darauf an:¶ |
|
|
1) Habe man allezeit den Unterscheid
zwischen dem Zweifel über die Beweisgründe
oder dem
Beweis einer Sache, und dem Zweifel
über die Sache selbsten (inter dubitationem
argumentorum und dubitationem rei ipsius) vor
Augen, dergestalt, daß man nicht ehe an einer
Sache selbst zweifelt, bis man vorher alle
Beweisgründe untersucht, und befunden, daß sie
nicht hinlänglich sind, daher z.E. gantz
unvernünfftig wäre, wenn ich zweifeln wolte, ob
ausser unserer
Erden auch die andern Planeten
bewohnt wären: oder ob es Hexen und
Gespenster gäbe, da ich doch die
Gründe, die
man dafür anführet, im geringsten nicht
untersuchet. Wider diese höchst nöthige
Regel
wird vielfältig, auch unter den
Gelehrten
angestossen, daß man eine
Meynung, sobald
man sie höret, entweder gleich verwirfft, oder doch
einen Zweifel darüber heget, ehe man die
Beweisgründe vernommen und untersuchet:¶ |
|
|
2) Findet man
Ursach an der Sache selber zu
zweifeln, weil man bey angestellter Prüfung die
Gründe vor unzulänglich befunden, so muß man
solchen Zweifel nicht beständig in seinem
Gemüthe behalten, sondern sich dadurch
antreiben lassen, auf bessere Gründe, als man
bishero vorgebracht, zu dencken, damit man
dadurch aus dem
Stande des Zweifels zu einem
Urtheil gebracht werde, daß man entweder bejahe oder verneine:¶ |
|
|
3) Hat man an solchen Sachen, die auf die
unmittelbare
Empfindung ankommen, gar nicht
zu zweifeln, indem die
Sinnen, wo sie sich in
ihrem ordentlichen Zustande befinden, und recht
gebraucht werden, unbetrieglich sind, daß man
sich darauf verlassen kan. Es wäre daher was
wunderliches, wenn man zweifeln wolte, ob
Menschen auf der Erden wären, in dem man
dieses unmittelbar empfindet; zweifelte aber
jemand, ob auch die andern Planeten vom
Menschen bewohnt wären, so hätte man dazu
eher Ursache, weil hier keine solche unmittelbahre
Empfindung statt hat. |
|
|
{Sp. 1040} |
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- Syrbii Anweisung zur Weisheit …
- Zimmermanns Vernunfft-Lehre ...¶
|
|
Beyer in den ursprünglichen Quellen des
Indifferentismi (Leipzig 1727 in 8) … führet
folgende artige Regel vom Zweifel an: |
|
|
„Eine gute Sache ist es zu zweifeln, eine
bessere aber gewiß zu seyn: Das Gemüth, das
niemahls zweifelt, lernet nichts; Das Gemüth, daß
allezeit zweifelt, nimmt niemahls zu im Lernen:
Unser Zweifel soll uns allein darzu dienen, daß wir
dadurch angereitzet werden, die Wahrheit zu
suchen; unsere Gewißheit aber die befestiget uns
in der Wahrheit, die wir gefunden haben.„¶ |
|
|
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|
|
VIII. Ob ein Zweifler dem Staate oder der
Physick Eintrag thue?¶ |
|
|
Es fraget sich, ob der Zweifel dem
Staate
oder der Physick gar keinen Eintrag thue? Wir
wollen setzen, ein
Fürst habe lauter Zweifler zu
Unterthanen. Was wird daraus entstehen? Der
Herr
befiehlt etwas: Der Unterthan zweifelt, ob der
Befehl von ihm ist. Man zeiget ihm das Siegel: er
zweifelt, ob es nicht nachgemacht ist. Man zeiget
ihm seine Unterschrifft: auch diese könnte von
fremder Hand nachgemacht seyn. Man drohet ihm
Strafen an, wenn er nicht gehorcht; er zweifelt
aber auch, ob er gestrafft werden könne, weil er
nicht weis, ob er einen
Cörper hat. Ja, wenn er
selbst die Straffe schon fühlet, so wird er zweifeln,
ob er sichs nicht nur so einbildet. |
|
|
Wie viel Mühe wird also nicht ein
Landes-Herr
haben, wenn er pyrrhonische Unterthanen, das ist
Zweifler, hat? Wer wird ihm gehorchen? Wie viele
Gefängnisse wird er
bauen, wie viel Hencker wird
er bestellen müssen? Ja, was wird er ausrichten,
wenn auch
Richter und Hencker selbst Zweifler
seyn, und bey sich anstehen werden, ob sie seine
Befehle ausführen sollen. Kurtz, alle
Gesetze, alle
Straffen verlieren ihre
Krafft, und das gantze Band
der Bürgerlichen Gesellschafft wird
aufgelöset. |
|
|
Sagt man dagegen, soweit wären die
Scepticker niemahls gegangen: sie hätten
niemahls geleugnet, daß man die
Pflichten des
menschlichen
Lebens ausüben müsse; So ist zu
antworten, daß sie keine ernstliche Zweifler
gewesen, sondern nur zur
Lust und
Disputirens
halber, einen seltsamen
Satze zu behaupten
unternommen haben. Denn was ein Mensch
ernstlich glaubt, das muß man mehr aus seinen
Thaten und
Handlungen, als aus seinen
Worten
sehen. Pyrrho mag dahero zweifeln, wie er will, ob
ein Mensch zur Erhaltung seines Lebens Speise
und Tranck nöthig habe; man lasse ihn nur 24
Stunden hungern, und ihm hernach Speise
vorsetzen: Hier wird sichs bald zeigen, ob er an
seinem Hunger zweifelt oder nicht.¶ |
|
|
Was die Natur-Lehre anlanget, so sind
unterschiedene, und unter ihnen auch Herr Bayle
hierinne gar zu freygebig, indem sie sagen: Die
heutigen Naturkündiger wären fast lauter
Scepticker. Man giebet dieses zu, wenn von
gewissen schweren
Materien die Frage ist: Aber
sind sie es durchgehends? Zweifelt z.E. wohl ein
eintziger, woher die Sonn- und Mond-Finsternissen entstehen? Woher das
Gleichgewicht einer Waagschale komme? Warum
das Wasser Berg-ab, und nicht Berg-auf lauffe?
Ob das Feuer brenne oder verzehre? Ob die |
|
|
{Sp. 1041|S. 534} |
|
|
Hitze oder Kälte das Wasser in Eis verkehre?
u.s.w. Es würde thöricht seyn, dieses den Natur-Lehrern Schuld zu geben. Wäre aber in der That
jemand hierinnen zweifelhafft, und solte er etwa
als ein Artzt einem Krancken rathen: So könnte er
irgend aus Gleichgültigkeit gegen zwo einander
entgegengesetzte
Meynungen, den Patienten, an
statt eines Bettes in den Schnee zu legen,
verordnen, oder ihm, an statt eines glüenden
Weines, geschmoltzen Bley eingeben; ja gar ihm
einen Fuß abzusägen, ihm den
Kopff selbst
ablösen. Das würden die Früchte eines solchen
Naturkündigers seyn, der würcklich sein non liquet
glaubte, nicht aber nur zum Scheine davon
zanckete. |
|
|
Freylich aber ist hier wohl der beste Trost, daß das
menschliche
Geschlechte zu einer
solchen Thorheit nicht durchgehends fähig ist;
indem auch die vorgegebenen Zweifler selbst ihre
Meynungen in der That selbst umstossen, und
also zeigen, wie thöricht es sey, an allem zu
zweifeln. Es hat also auch für die Religion keine
Noth. So dogmatisch, als man in andern Dingen
zu seyn pflegt, wird man auch gegen sie schon
seyn können; da sie auf Gründe gebauet ist, die
so gewiß sind, als alles, worauf Pyrrho und andere
Zweifler ihr tägliches
Thun und Lassen
eingerichtet haben, welcher erstere doch so
schwer von etwas zu überzeugen war. |
Gottsched in seiner
Deutschen Übersetzung des Baylischen Wörter-
Buchs, III Theil ...¶ |
|
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|
IX. Wie der Zweifler zur Überzeugung zu
führen.¶ |
|
|
Wer einige Einsicht in die höchsten
Gründe
der
Vernunfft, und in denen darmit
verknüpfften
Sätzen hat; zugleich weiß, wie nachdrücklich die
Erfahrung der äusserlichen
Dinge auf unsern
Geist würcket: Der muß sich
billig wundern, daß
es Leute giebt, und gegeben hat, welche die
Wahrheit und
Gewißheit der
möglichen und
würcklichen Dinge vor ein Spiel verführlicher
Vorstellungen ansehen. Indessen wird dieses
niemand leugnen, der die Geschichte der
Weltweisen, und was wir aus solchen bishero
angeführet haben, untersuchet hat. |
|
|
Die Pyrrhonisten und sceptischen Weltweisen
haben zu allen
Zeiten einen fürchterlichen Angriff
wieder die gewisse
Erkenntniß der Dinge
gewaget. Und gewiß, wer ihre
Gedancken, wie sie
die witzige und schmeichelnde Feder des
Bayl in
Dictionnaire Historique et Critique T. III. Art.
Pyrrhon. und anderer
annehmlich gemacht,
nachdenckend liesset, der wird, wenn er in
Zergliederung der Sätze, und Untersuchung des
Wahren, Wahrscheinlichen und scheinbar
Wichtigen nicht geübet ist, von dessen
Vortrag so
umzingelt werden, daß er sich schwerlich ohne
Beyhülffe, in Beantwortung und Auflösung der
Einwürffe, wird finden können. |
|
|
Es ist wahr, wenn man den Knoten zerreissen
will, so kan man mit diesen Einwendungen bald
fertig werden. Aber dieß heist nicht durch die
Macht der
Wahrheit siegen, sondern durch
Gewalt
schrecken und sich den Sieg einbilden. Solche
erfolterte Siege verlanget die Wahrheit nicht. Sie
kämpft mit überzeugenden Gründen, und sucht
die
Gemüther durch sanfftmütige, obgleich
geschärffte
Wörter, sich unterthänig zu machen.
Der
Verstand ver- |
|
|
{Sp. 1042} |
|
|
langet die deutliche Erkenntniß, und die
Vernunfft-Gründe und Schlüsse, die wegen ihrer
genauen Verbindung, der
Seele die Wahrheit
nothwendig, gewiß, reitzend und
annehmungswürdig machen. |
|
|
Der Irrende giebt seinen Beyfall solchen
Vorstellungen, Sätzen und Schlüssen, denen er
denselben entziehen solte. Es ist unmöglich,
diesen Verirrten auf den rechten Weg zu bringen,
wenn man ihm nicht zuerst den Irrweg entdecket,
hernach den rechten zeiget und die
Mittel, beyde
mit einander zu verwechseln, anzeiget. Dieses
alles kan nicht geschehen, wenn man den
irrenden
Geist nicht so bearbeitet, wie es die
Natur der
Wahrheit, die wesentliche
Beschaffenheit der Überzeugung, und die innere
Einrichtung des Geistes selbst erfordert. So lange
man auf diese Gründe nicht bauet, bis dahin ist
die
Arbeit, den Irrthum umzureissen, und durch
die Überzeugung der Wahrheit die Seelen zu
gewinnen, vergebens. |
|
|
Es giebt Leute, die überreden sich, ihr Überzeugungs-Amt bey den Irrenden sehr wohl
angebracht zu haben, wenn sie ihm den
Wahrheits-Satz vorsagen, und den
Grund, daraus
die Wahrheit ihre Befestigung, daß sie Wahrheit
sey, entlehnet, darlegen und ins Gedächtniß
bringen. Wenn der Irrende alsdann nicht
nachgiebt, seinen Fehler erkennet, bereuet, und
mit gefalteten Händen den Wahrheits-Prediger
erhebet, und durch sein Bekenntniß, wie er ihn
aus der Finsterniß zum Lichte geführet habe,
gestehet: So klagen sie über Eigensinn,
Hartnäckigkeit, Verstockung, vorsetzlicher
Widerstrebung; und muthwilliger
Verleugnung. |
|
|
Öfters nehmen sie gar ihre Zuflucht zu der
göttlichen Rache, und wollen uns weiß machen,
ein solcher armer
Mensch stehe unter dem
Gerichte der Verwerffung. Sie irren sich aber.
Wenn sie zuvor den Geist des Irrenden zur
Annehmung der Wahrheit eingerichtet, und
alsdann nach und nach den Weg der
Überzeugung, so wie es die zunehmende
Fähigkeit,
Geschicklichkeit und
Krafft des irrenden
Menschen, die Natur und
Sprache der
Überzeugung, die dahin führenden Mittel, und die
Wahrheit in ihren verbundenen Sätzen haben will,
betreten, gewehlet und gebraucht hätten: So
würden sie so wenig die Gottheit in ihren
Gerichten, als das felsigte Hertz des Irrenden, als
Ursachen, warum er der Wahrheit nicht Platz
giebet, gebrauchen. |
|
|
Hier setzen wir zum Voraus, daß der
Satz,
davon man überführet werden soll,
würcklich eine
Wahrheit in sich fasse, folglich daß darinn die
objectivische Wahrheit liege, die eine
subjectivische in dem Irrenden werden soll. Denn
wenn das nicht ist, so muß man sich zu den
verwirrten zählen, die sich durch den Trieb der
Narrheit Schlösser
bauen, und
Königreiche
vorstellen, und unter andern die darinn liegenden
Wohnungen und Ländereyen austheilen. |
|
|
Wir gestehen gern, daß es Leute giebt,
welche durch die Vorurtheile geblendet, und durch
blinde Leiter geführet, der Wahrheit kein Gehör
geben wollen, und sich ihr muthwillig widersetzen.
Auf diese unvernünfftige Geschöpfe gehen unsere
Gedancken nicht. Wir
reden von solchen, welche
der Bekehrer davor ausschreit, weil sie seiner
unzureichenden Einleitung |
|
|
{Sp. 1043|S. 535} |
|
|
nicht folgen wollen. |
|
|
Die Wahrheit, in so fern sie überhaupt
erwogen wird, ist: Die wesentliche Beschaffenheit,
dadurch etwas so und nicht anders möglich ist,
und folglich nicht anders würcklich werden kan. Alles, was
wahr ist, läst sich auf eine doppelte Art
dencken. Entweder als
möglich oder
würcklich.
Dieß sind die beyden Classen der
Dinge, die sich
dencken lassen. Wenn aber die Dinge, ehe und
bevor sie gedacht werden, nicht möglich
vorhanden wären, so könnten sie nimmermehr zu
einer Vorstellung kommen. Dieß ist die
Ursache,
warum alle Wahrheiten ihren Bestehungs-Grund
in dem unendlichen
Verstand
Gottes haben, und
so wie
GOtt ewig ist, ihrem
Wesen nach, alle ewig
sind. Wenn kein GOtt wäre, so wäre auch keine
Wahrheit; weil keine Quelle ihrer Bestehung und
Bestimmung zur Möglichkeit und Würcklichkeit da
wäre. Dahero folget: Wer einen GOtt zugiebet,
muß das unumschränckte
Reich der Wahrheiten
annehmen. |
|
|
In so fern die Wahrheit, so wie sie ist, und wie
sie kann
erkannt werden, erwogen wird, heist sie
die objecitivische Wahrheit. Diese bezieht sich so
wohl auf den unendlichen als endlichen
Verstand.
Das Erkenntliche ist das Object des Verstandes, der nichts anders ist: Als
die deutliche Anwendung
der denckenden Krafft des Geistes auf ein Etwas
oder Object. |
|
|
Der unendliche Verstand unterscheidet sich
von dem endlichen nicht im Dencken an und vor
sich, sondern nur im unumschränkten Dencken.
Wo man ohne Schrancken denckt, da denckt man
alles Mögliche und Würckliche. Hier leidet keine
Ausnahme statt; denn so bald man nur ein
eintziges ausnimmt, so macht dieses eine
Einschränckung und Endlichkeit. Folglich hebt es
den unendlichen Verstand auf. Das unendliche
Dencken erfordert den allerreinsten Verstand, der
die Dinge in der allervollkommensten Deutlichkeit
begreifft. Das eingeschränckte Wesen kan
niemahls so rein und tief dencken, da0 ihm nicht
tausend Höhen und Tieffen, die Eingräntzung
seiner denckenden Krafft bekannt machen solten,
und dabey er nicht still und gebeugt stehen
muß. |
|
|
In so fern der Verstand die Wahrheit
würcklich denckt, und zwischen der Vorstellung
und den Objecten in dem denckenden Verstande
eine Übereinstimmung ist, so daß das würckliche
Bild, oder der würckliche Gedancke mit dem
möglichen und würcklichen Dinge harmoniret, so
heist diese Wahrheit subjectivisch. Hieraus folget,
daß der unendliche Verstand, alle objectivische
Wahrheiten, subjectivisch besitze, und daß folglich
in GOtt kein Wechsel noch
Veränderung des
allerreinsten Erkenntnißlichtes statt habe; sondern
daß alles, was objectivisch war, in GOtt eine
subjectivische Wahrheit sey. |
|
|
Aus diesem erhellet ferner, daß hundert
Million tausend, das ist, eine unbestimmliche
Anzahl von objectivischen Wahrheiten, in dem
endlichen Verstande, nie subjectivische
Wahrheiten sind, noch werden können, und daß
es ein rasendes und thörigtes Beginnen eines
eingeschränckten Geistes sey, der darum an
etwas zweifelt, weil es ihm nicht eine
subjectivische Wahrheit ist. |
|
|
Weil in einem eingeschränckten Wesen alles
nach und nach entstehet, so können |
|
|
{Sp. 1044} |
|
|
auch nur nach und nach, die objectivischen
Wahrheiten, subjectivisch werden. Und weil dieß
nur unter gewissen Bedingungen, in einer
eingerichteten
Ordnung, und bey sich
ereignenden Umständen geschehen kan, so muß
ein jeder gestehen, daß es, ohne die Einrichtung
der Bedingungen, Ordnung und Umstände,
unmöglich sey, die Wahrheiten zu erkennen, und
zu gedencken. Dieß ist die Ursache, warum der
eine die Wahrheit faßt, und der andre nicht. |
|
|
Man muß sich dahero wundern, daß es Leute
giebt, welche sich wundern, daß sie diese und
jene Wahrheit nicht einsehen können, da sie doch
nicht die Beschaffenheiten, die zu der Erkenntniß
der verschiedenen
Arten subjectivischer
Wahrheiten erfordert werden, besitzen. Wie
unbillig sind nicht die Klagen, die man über die
Glaubens-Wahrheiten führet, die sich
beschweren, daß dieselben nicht deutlich und
begreiflich könnten gedacht werden. Darüber kan
sich der endliche Geist nicht eher beklagen, als
bis er dargeleget hat, daß er die darzu
erforderlichen Bedingungen besitze, sich der
Fürsichts-Ordnung, die sie verlangen,
unterworfen, und in die Umstände, welche
nothwendig dazu gehören, getreten sey. Verlanget
er ihre Einsicht ohne diese Einrichtung, so verräth
er seine Unwissenheit in den Dingen, die zur
Erkenntniß einer subjectivischen Wahrheit
nothwendig erfordert werden. |
|
|
Es ist ferner aus dem Abgehandelten sonnenklar, wie matt und seicht die
urtheilen, welche über die Dummheit und Thorheit der
armen
Seelen, die dem Irrthume anhangen,
spotten, und schnell richten. Und wir werden
hoffentlich den Beyfall der Denckenden erhalten,
wenn wir daraus die Wenigkeit derer, welche die
Wahrheit wissen und sie subjectivisch besitzen,
folgeren. Diese irrenden Seelen haben die
Einrichtung nicht, welche darzu erfordert wird, die
objectivische Wahrheit, subjectivisch zu fassen.
Hieraus erhellet die Richtigkeit folgender Grund-Sätze:¶ |
|
|
1. |
Der Irrende irret darum,
weil er die subjectivische Wahrheit, die er sich zu
haben einbildet, nicht hat.¶ |
|
|
|
2. |
Der Irrende kan nicht eher
seinen Irrthum verlassen, als bis er deutlich
eingesehen, daß er einmahl die subjectivische
Wahrheit nicht habe, weil er sich von der
objectivischen eine falsche Vorstellung gemacht;
und dann, daß er nicht anders als unter gewissen
Bedingungen, in einer der
Wahrheit gemäßen
Ordnung, und unter gewissen Umständen, zu der
richtigen
Erkenntniß des Objects kommen
könne.¶ |
|
|
|
3. |
Der Irrende muß, wenn er
seinem Irrthume gründlich entgehen will, dahin
trachten, daß er, durch die
würckliche Einrichtung
seines
Verstandes, zu den Bedingungen, und der
Ordnung gelange, dadurch die objectivische
Wahrheit in ihm subjectivisch wird.¶ |
|
|
|
4. |
Niemand kan dem
Irrenden auf den Wahrheits-Weg helfen, der nicht
dessen Irrthum in sich, und in seinem
Ursprunge;
dessen Fähigkeiten etwas zu fassen; die
Bedingungen, die Ordnung, die Umstände, die zur
Erhaltung |
|
|
|
{Sp. 1045|S. 536} |
|
|
|
der subjektivischen
Wahrheit gehören; die
Mittel, welche dieß alles
würcklich machen, und die
Wahrheit selbst mit
ihren
Gründen zureichend
erkennet, und alles
nach der Natur der Überzeugung
gebrauchet.¶ |
|
|
|
5. |
Ehe man den Irrenden auf
die Wahrheit selbst führet, muß ihm sein Irrthum in
seiner Häßlichkeit und Schädlichkeit dargestellet
werden. Man muß dessen Blösse aufdecken, und
seinen unlautern Einfluß in das
Reich der
Wahrheit und Gottseligkeit eindringend darlegen.
Der Krancke muß wissen und empfinden, daß er
kranck sey, sonst hat er keine wahre Sehnsucht
nach der Hülfe und Gesundheit.¶ |
|
|
|
Hieraus läßt es sich leicht begreifen, warum
so wenige ihren Irrthum verlassen, und wie
schwer es sey, einen Irrenden von seinem
Abwege auf den rechten Weg zu führen. Und
hieraus erhellet zugleich, was der zu beobachten
hat, der das Verführte suchen, zurückrufen und
von der Finsterniß zum Lichte führen will. Diese
gantze Einrichtung heist mit einem
Worte:
Das
vernünfftige Überzeugungs- und Bekehrungs-
Geschäffte. Wichtige und schwere
Arbeit!¶ |
|
|
So bald man sich einen gegründeten und
ausführlichen
Begriff von der Überzeugung
objektiv macht, so bald lernt man deutlich
einsehen, was dazu erfordert wird, das irrende
Subject, in den
Stand der Überzeugung, zu
setzen. Die
vernünfftige Überzeugung ist nichts
anders: als die richtige
Erkenntniß von etwas,
durch den
Beweis. Der Beweis ist die
Seele
der Überzeugung. |
|
|
Soll die Überzeugung in einem Subjecte lebendig werden, so muß es sich einer
doppelten
Veränderung bewußt seyn. Die erste
gehet auf die Unrichtigkeit des falschen, die andre
auf die Richtigkeit des wahren
Satzes. Dahin
arbeitet der Beweis. Wenn er aus den Gründen
der ächten Erkenntniß seinen Satz, durch den
Vernunfft-Schluß, ableitet, so würcket er auf den
Verstand, auf eine doppelte Art. |
|
|
Er stellt zuerst die wahre Verhältniß der
Begriffe dar, und zeiget, daß das Prädicat, wegen
der wesentlichen und natürlichen Beschaffenheit
und des
Zustandes des Subjects, in der und in
keiner andern Verhältniß, mit dem Subjecte
stehen könne, folglich so und nicht anders müsse
verbunden oder getrennet werden. |
|
|
Er entdeckt ferner, daß alle Verbindung und
Trennung des Subjects und Prädicats in einem
Satze, alsdenn falsch sey, wenn solche wider die
wesentliche und natürliche Beschaffenheit, und
gegenwärtige Einrichtung des Subjects, gemacht
wird. Hieraus entstehen zwey Grundregeln der
Überzeugung.¶ |
|
|
Die erste:¶ |
|
|
Wenn der Verstand zureichend erkennet, daß
in einem Satze das Prädicat mit dem Subjecte
also verbunden oder getrennet worden, wie es
das
Wesen, die
Natur und der Zustand des
Subjects, darinn es sich itzo befindet, haben will,
so ist sich das denckende Wesen einer gewissen
Erkenntniß der objectivischen Wahrheit, bewußt,
folglich davon sub- |
|
|
{Sp. 1046} |
|
|
jectivisch überzeuget, und dencket seine
überzeugte Wahrheit, in der richtigen
Übereinstimmung des Objects ausser ihm und des
Begriffs in ihm.¶ |
|
|
Die andre:¶ |
|
|
Wenn der Verstand zureichend erkennet, daß
in einem Satze das Prädicat mit dem Subjecte
wider dessen Wesen, Natur und Zustand
verbunden oder getrennet worden, so ist sich das
denckende Wesen einer gewissen Erkenntniß von
der objectivischen Unwahrheit bewußt, folglich
davon subjektivisch überzeuget, und dencket
seine überzeugte Unwahrheit in der nicht richtigen
Übereinstimmung des Objects ausser ihm und des
Begriffs in ihm.¶ |
|
|
Diese beyden Grundregeln, bestimmen die
eigentliche Beschaffenheit der Überzeugung.
Keine muß von der andern getrennt werden. Und
nun kan man sich einen sehr deutlichen Begriff
von der lebendigen
Erfahrung und
Empfindung
der Wahrheit und Falschheit machen. Wenn
unsere Seele sich der Unmöglichkeit des
Gegentheils von dem Erkannten bewußt ist, so
muß sie nothwendig dessen Gegensatz als
Wahrheit, durch einen angenehmen Zwang
annehmen, und das Gegentheil als Unwahrheit
verwerffen. Sie muß sich das Object als gewiß
möglich und
Würcklich vorstellen, weil sie den
Zusammenhang, warum es so und nicht anders ist
und seyn kan, erkennet. |
|
|
Da nun dieses alles in der
Seele selbst
vorgehet, und sie sich genöthiget siehet, das
Object so und nicht anders, in sich, zu dencken,
so muß sie es innerlich empfinden und erfahren;
Denn die innerliche Empfindung und Erfahrung ist
nichts anders: als der Zustand eines
geistlichen
Wesens, darinnen es sich eines gewissen Dinges,
als würcklich und
gegenwärtig in sich selbst so
vorstellt, daß es sich dessen Gegensatz, so wenig
würcklich, als ihm gegenwärtig vorstellen,
kan. |
|
|
Nunmehro kan man sehr deutlich einsehen,
wie man es mit sich selbst, oder mit einem
andern, anzufangen habe, wenn man von der
Falschheit zur Wahrheit, durch die würckliche
Überzeugung, kommen wolle. Wir wollen dieses in
kurtze Sätze fassen, die aus dem, was itzo
gesagt, ihr Licht und Stärcke nehmen.¶ |
|
|
Man muß eine stille und gründliche Prüfung
mit dem, der überzeuget werden soll, vornehmen,
um zu erfahren: |
|
|
1) |
Ob er die Geistes-Stärcke
besitze, die das verbundene Dencken der
Wahrheit mit ihren Grundsätzen erfodert; |
2) |
Ob er einen redlichen
Trieb, die Wahrheit würcksam zu wissen,
offenbare, und hierdurch die Überzeugung seinen
Beyfall beugsam geben werde; |
3) |
Ob er den irrigen Satz in
sich würcklich vor wahr halte, folglich aus unrichtig
erkannten Gründen ableite, oder nur aus
Dummheit und ohne Überlegung, bloß darum,
weil, man ihm solchen wahr zu seyn vorgesaget
hat, vor wahr angenommen hat; |
4) |
Ob er den falschen Satz
bishero darum vertheidiget, weil er dabey
weltliche
und schmeichelnde Vortheile geniesset, folglich
nur um des Gewinns halber, solchen als wahr
äusserlich bekennet, und darum nicht wissen will,
daß er falsch sey, damit |
|
|
|
{Sp. 1047|S. 537} |
|
|
|
er den Besitz und Genuß seiner Vortheile behalten
möge. ¶ |
|
|
|
Man muß das Überzeugungs-Geschäffte
stuffenweise vornehmen. Dieses gehet so wohl auf
die Person, die man überführen will, als auf die
Sache, davon man überzeuget werden soll. Das
völlige Licht einer
Wahrheit läst sich nur von
eingeschränckten
Geistern nach und nach fassen,
sowie die
Begriffe, die darzu erfordert werden, in
dem
Verstande mehr und mehr Fähigkeit und
Krafft durch ihr Wachsthum dazu, mittheilen.¶ |
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Man muß, ehe man zur Überzeugung
schreitet, die Begriffe und
Ideen, welche in dem
Objecte, oder der Wahrheit, davon man
überzeuget werden soll, liegen, deutlich machen,
und ihre eigentliche
Bedeutung bestimmen.¶ |
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Man muß niemahls dem, der da überzeuget
werden soll, nach sich, der da überzeugen will,
beurtheilen: folglich von sich, bey dem
Überzeugungs-Geschäffte, gäntzlich abstrahiren,
und nur auf die zu überzeugende Person, auf die
Wahrheit und ihren Gegensatze, und auf die
Gültigkeit des Überzeugungs-Geschäftes sein
Augenmerk richten.¶ |
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Man muß dem Irrenden die völlige Erlaubniß
geben, alle seine Einwendungen und Gegensätze
mit ihren vermeynten Gründen offenhertzig und
ohne Zurückhaltung eines Umstandes, zu sagen,
wenn sie auch noch so hart und verwegen
scheinen. Geschicht dieses nicht, so können die
beyden Grund-Regeln der Überzeugung nimmer
mehr in ihrer Stärcke arbeiten.¶ |
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Man muß alle Neben- und Incident-Sätze
sorgfältig von dem Hauptsatze, der die Wahrheit
oder Falschheit in sich faßt, absondern, weil durch
deren Vermischung, das Object, nie eigentlich,
sondern verhüllt erkannt wird, folglich kan das
Object, dessen würckliche und wahre
Beschaffenheit nie empfinden, und davon
überzeuget werden.¶ |
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Man muß mit einer geduldigen Stille und liebreichen Herunterlassung den Irrenden so lange
bearbeiten, bis er zur innerlichen Empfindung der
Wahrheit und Falschheit kommt, solche durch ein
freymüthiges Bekänntniß offenbaret, ohne
äusserliche Verheissung, Schreck und Drohungs-Mittel bekennet, und durch den selbst geführten
Beweiß, die
Gewißheit und Grösse der
Überzeugung mercklich machte. Dieses ist allein
das Mittel, dadurch uns die
Krafft unserer
angebrachten Überzeugung, bekannt wird, und
daraus wir und andere ohne
Furcht des
Gegensatzes, die
wahrhafftige und gewisse
subjectivische Wahrheit einsehen. Das blosse
Hersagen und auswendig gelernte Antworten
zeiget nur, daß die
Worte, darinn die Wahrheit
lieget, aber nicht die Wahrheit selbst, überzeugt
gefaßt worden.¶ |
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Auf die Art muß man mit allen Irrenden und
Gefallenen umgehen. Nach unserer Überzeugung
muß man mit einem Zweifler auf gleiche Art
verfahren, weil er zu den Gefallenen mit
Recht zu
zählen ist. Der Zweifler ist zwar an und vor sich
noch kein Irrender. Allein viele
Arten Zweifler
gehören ohne alle Widerrede unter die volckreiche
und zu beklagende
Gesellschafft der
Irrenden. |
Simonetti Sammlung
vermischter |
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{Sp. 1048} |
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Beyträge zum Dienste der Wahrheit, Vernunfft, Freyheit und
Religion, I Band, p. 123. u.ff. |
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