Stichworte |
Text |
Quellenangaben |
Geschichte |
Wir kommen auf die Historie dieser Lehre,
und machen den Anfang von den Lehren
desjenigen Mannes, von welchem man
gesagt
hat, daß er die Tugend wieder vom Himmel herab
geholet hätte, nachdem man über allzuvieles
Grübeln in unnöthigen
Dingen derselben gantz
und gar ver- |
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{Sp. 1430} |
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gessen hatte, verstehe die
Gedancken des
Socratis von der Tugend. Darauf werden wir auch
etwas von den vier Haupt-Secten der
Heydnischen
Welt-Weisen in Griechenland
melden. |
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Fabricius zeiget in den Prolegomenis ad
Marini vitam Procli sect. 3. daß die Eintheilung der
Tugend in die
Klugheit,
Mäßigkeit, Gerechtigkeit
und Tapfferkeit fast bey allen
Philosophen üblich
gewesen, von denen auch Jacob Thomasius zu
Leipzig 1695 zwey Dissertationes
herausgegeben. |
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Sokrates |
Doch wir wollen insbesondere die
Tugend-Lehre des Socratis kürtzlich anführen: Die wahre
Glückseligkeit bestund, nach seiner
Meynung,
nicht in den irdischen und vergänglichen
Gütern
dieses
Lebens, welche manchmahl die Quelle
aller Unglückseligkeiten seyn. Das einige
Gut sey
die
Wissenschafft oder
Weisheit, das einige
Böse
die Unwissenheit oder Thorheit. Wer derowegen
glücklich seyn wolle, der müsse sich befleißigen
zu solcher
Erkänntniß und Weisheit zu
kommen. |
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Zu dem Ende wäre es etwas gutes, wenn
man sich beständig bearbeitete, näher zu diesem
Zwecke zu kommen. Diese Wissenschafft oder
Weisheit wäre mit der Tugend einerley, und
begreiffe alle Vollkommenheiten in sich. Folglich
wäre ein tugendhaffter und gerechter Mann
derjenige, welcher glückselig sey. Es liesse sich
auch die Nutzbarkeit oder Glückseligkeit von der
Tugend nicht abscheiden. Wer diese Weisheit
hätte, besässe die wahre Schönheit, von welcher
die Schönheit des
Leibes eine Anzeige zu seyn
pflege. Aus derselbigen Besitz flösse ein ruhiges
und sich keiner Laster bewustes Gewissen, und
aus selbigem die wahre
Gemüths-Ruhe. |
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Wer diese Weisheit hätte, und verstünde, was
gut oder böse ist, der thäte sie auch, und liesse
sie zur Ausübung kommen, als ohne welche keine
Weisheit ist. Aus dem Besitz dieses
vollkommenen Gutes entstünde eine
unaussprechliche erquickende
Wollust der
Seelen, welche davon nicht könne abgesondert
werden. |
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Wer zu dieser Weisheit kommen wolte, müste
sich erst lernen erkennen, und verstehen, daß er
nichts wisse. Darauf könte er sich und die
Kräffte
seiner Seelen desto leichter erkennen, damit er zu
solchem
Endzwecke gelangen möge. |
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Es wäre nur eine Tugend oder Weisheit.
Weisheit und Klugheit wären bey einander, und
eines was das andere, und erforderten eine recht
gute und sich auf einander schickende
Beschaffenheit (Concinnitatem) der Seelen,
welche es nirgends versiehet. |
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Man könte die
Götter nicht besser verehren,
als wenn man thäte, was sie befählen. Der
äusserliche Gottesdienst sey zu halten, wie es die
Ordnung eines jeden
Landes oder
Stadt mit sich
bringe. Die Götter sähen mehr auf ein
rechtschaffenes Hertz, als auf die Opffer. Was
recht und billig wäre, hätten die Götter in die
Gesetze eingeschlossen, woher die Gerechtigkeit
entstehe, die durch den Eigennutz verderbt
werde. |
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Es wäre demnach ein Gerechter, welcher
wüste, was denen Gesetzen gemäß wäre, und es
auch thäte, das ist, ihnen gehorchte. Keine
grössere Ungerechtigkeit wäre, als die
Undanckbarkeit, die sich insonderheit bey |
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{Sp. 1481|S. 754} |
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einem
ungehorsamen
Sohn fände, dem
weder
GOtt noch
Menschen günstig seyn könten,
weil sie sich des Undancks von ihm besorgen
müsten. Die Freygebigkeit sey ein Theil der
Gerechtigkeit, und wer
Ehre und
Geld dafür
nähme, hange der
Weisheit einen Schand-Flecken an. Nichts sey
schädlichers und
unnützers auf der
Welt als ein Geitziger. Ebenso
sey ein Verschwender, der weder sich noch
andern was nutze. |
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Die wahre Freundschafft finde sich nur unter
tugendhafften und rechtschaffenen Leuten,
dahero man keine Freundschafft machen könte,
wenn man nicht tugendhafft wäre. Ein
rechtschaffener Freund sey nicht nach seinem
Stand und
Vermögen, sondern nach seiner
Tugend, Treue und Dienstfertigkeit abzumessen.
Liebe und Freundschafft würde durch einen
angenehmen
Umgang unterhalten; darzu werde
erfordert, daß man nicht immer selbst
rede,
sondern auch andere reden lasse. |
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Die Tapfferkeit bestünde darinnen, daß man
alle Mühseligkeit gerne übernähme, und wüste,
wie man sich darein zu schicken hätte. Über den
Tod habe man sich nicht zu
entsetzen, dann man möge ihn ansehen, wie man
wolte, so gehe es einem wohl. Vor dem Neid habe
man sich best-möglichst zu hüten, der wie ein
Eyter-Geschwür in den Beinen sey. |
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Sein
Leben
müsse man auf eine
vernünfftige
Hoffnung als auf einen Ancker
gründen. Ein Weiser fliehe nicht nur alle
Unkeuschheit, sondern auch alle darzu
verleitende Gelegenheit. Die
Glückseligkeit
bestehe nicht in Pracht und Uberfluß, sondern in
einem mit wenig vergnügtem
Gemüthe. Auf die
Gesundheit des
Leibes habe man fleißig Achtung
zu geben, weil sie in die Gesundheit der
Seele
einen grossen Einfluß habe. Ein vernünfftiger
Mann thue in keiner
Sache zu viel. Man müsse
essen, daß man lebe, aber nicht leben, daß man
esse. |
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Kein besserer Weg zur
Ehre sey, als
tugendhafft zu seyn, und doch keinen Ruhm
darinnen suchen. Derjenige sey kein treuer
Freund, der alles lobt, sondern der, welcher das,
was unrecht ist, bestraft. Der Hochmuth bringe
den Menschen einen gantz irrigen
Begriff von
allem bey, und stelle ihn auf einen schlüpferigen
Weg. |
- S. Stannleys Hist.
phil. …
- Gottfried Wilhelm Pauli Diss. de
Philosophia morali Socratis. Halle 1714.
- Barbeyracks Vorrede zu Puffendorffs J.N. et G.
- Jacob Bruckers Philosophische Historie I.
Th.
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Platoniker |
Wir kommen nunmehro auf die 4 Haupt-Secten, und wollen von den Platonickern den
Anfang machen. Diese hatten vier besondere
Arten der Tugend, wie
Macrobius in somnium
Scipionis … fürgiebt: als die virtutes
politicas,
purgatorias, purgati animi und exemplares. Die
Politischen solten einen gleichsam aus einer
Bestie zum Menschen; die reinigenden aus einem
Menschen zu einem guten
Geiste; die dem
gereinigten Gemüth zukämen, aus einem solchen
Geiste zum
GOtte, zum
Vater der Götter machen,
da sie denn bey einer ieden Gattung eine Haupt-Tugend setzten: Die
Klugheit,
Mäßigkeit,
Gerechtigkeit und Tapfferkeit. |
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Ficinus ad Plotini ennead. … läst die |
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{Sp. 1482} |
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vierdte Art weg; welche Platonische Lehre
von der Tugend auf dem Grund-Satz ruhet, daß
die Seele als ein Stücke des göttlichen Wesens
mit GOtt wieder müsse vereiniget, und aus dem
Gefängnisse des
Cörpers gebracht werden, |
siehe
- Omeisens Ethic. Platonic. …
- Paschen in invent. nov. antiqu. … und in
introd. in rem litter. moral. veter. …
- Hanschius de enthusiasmo Platonico ...
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Aristoteles |
bey der Aristotelischen Lehre kommen zwey
Stücke vor, wie er die Tugend beschrieben, und
was er vor Arten derselben gesetzet. Es machte
Aristoteles einen Unterscheid unter der
verständlichen und moralischen Tugend, und
meynte, die letztere sey eine Geschicklichkeit des
Gemüths, in allen Dingen das rechte Maaß zu
treffen, und sich weder im Uberfluß noch im
Mangel zu vergehen, wie wir … ethic. ad
Nicomach. sehen. An dieser Beschreibung ist von
den Gelehrten manches ausgesetzet worden.
Lactantius … inst. divinar. ist schon damit nicht
zufrieden gewesen, wenn er sagt: [8 Zeilen
lateinischer Text]. |
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Von den neuern hat Grotius in prolegomenis
op. de jure belli et pacis … darzuthun sich
bemühet, daß nicht alle Tugenden zwey äusserste
Neben-Wege hätten, da man auf der einen Seite
der Sache zu viel; auf der andern zu wenig thut.
Andere mercken an, daß die Mittelmäßigkeit nur
auf die Tugend folge; nicht aber der eigentliche
Begriff derselbigen darinne bestehe. |
Man lese, was Buddeus in
institut. theol. moral. … erinnert. |
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Rüdiger sagt in denen institut. erud. … es sey
die moralische Tugend eine nach der
Vernunfft
angestellte Einrichtung der natürlichen
Affecten;
indem aber der natürliche Affect entweder
gut
oder böse; oder indifferent sey, so müste der gute
angespornet werden, wie bey der
Gottesfurcht
und Gerechtigkeit; der böse aber sey gäntzlich
abzuhalten, wie wir bey dem Haß und Neid, und
der indifferente müste so wohl angetrieben als
zurücke gehalten werden, wie bey der
Begierde
des
Geldes. Denn achte man dasselbige gar
nichts, so entstünde daher die Verschwendung;
machte man sich aber gar zu viel daraus, so
verfiel man auf den Geitz; mithin, wenn einer in
der Mittel-Strasse bliebe, daß man der Sache
weder zu viel, noch zu wenig thäte, so erlangte
man die Tugend der Freygebigkeit. In Ansehung
der letztern Affecten wäre des Aristoteles
Definition richtig. |
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Wir lassen diese und andere Anmerckungen
in ihrem Werthe, und gedencken nur soviel, daß
man diese Definition der Tugend nicht wohl
beurtheilen kan, man habe denn die Absicht des
Aristoteles vor Augen. Diese gieng dahin, daß er
in seinen Ethischen
Büchern nur weisen wolte,
wie ein Mensch in der
Welt glücklich werden, und
sich in einem äusserlichen glücklichen |
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{Sp. 1483|S. 755} |
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Zustande befinden solte. |
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Nach dieser Haupt-Absicht wolte er nicht
sowol eine Moralische, als vielmehr eine
Politische Tugend beschreiben, und sagte mit
Fleiß, sie bestehe in der Mittelmäßigkeit, das ist,
ein Politischer Mensch, der in der Welt
fortkommen wolle, müsse weder des Guten zu
viel, noch zu wenig thun, vermag das Mittel-Maaß
von den Affecten, oder von den würcklichen
Handlungen verstanden haben. Denn würde man
allzu genau das Gute beobachten wollen, so sehe
man einen vor einfältig an; wäre man aber
offenbar lasterhafft, so könte dieses die Welt auch
nicht wohl leiden, daß man also auf beyde Art
seinem
Glücke im Wege stehen würde, und daher
das beste sey, wenn man in der Mittel-Strasse
biebe. |
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Dieses läst sich gar leicht auf alle seine
Tugenden appliciren. Ein mäßiger Mensch ist
nach der Aristotelischen
Ethic, welcher weder zu
viel, noch zu wenig thut, das ist, er muß nicht
geitzig seyn, welches einem
Politico unanständig,
sondern was Gutes essen und trincken; Gast-Gebote anstellen, und sich bey solchen
Zusammenkünfften vergnügt aufführen; gleichwol
aber auch nicht auf den andern Abweg gerathen,
daß er fressen und sauffen wolte, womit man sich
nur prostituire, und sich zum
Umgang mit andern
ehrbaren Leuten untüchtig mache. Ein gerechter
Mann sey, der nicht so grobe ungerechte Streiche
vornehme; aber auch gleichwol nicht zu
scrupuleus in allen Stücken wäre. |
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Auf solche Art lassen sich auch die übrigen
Gattungen der Tugend, die Aristoteles gesetzet,
erklären. Er gedencket zwar verschiedener Arten
derselbigen, davon er aber niemals eine gewisse
Anzahl bestimmet. Insgemein zehlt man ihrer
eilffe, als die |
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- Tapfferkeit,
- Mäßigkeit,
- Freygebigkeit,
- Großthätigkeit,
- Bescheidenheit,
- Großmüthigkeit,
- Sanfftmuth,
- Wahrhafftigkeit,
- Manierlichkeit,
- Freundlichkeit und
- Gerechtigkeit.
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Andere nehmen derselben nur neun an. Unter
andern hat Jacob Thomasius breviarium
ethicorum Aristotelis ad Nicomachum, Leipz.
1658. herausgegeben, und von dem Johann
Calvinus, einem Professor zu Heidelberg, haben
wir propaediam practicam, die zu Franckfurt 1595
herauskommen, darinnen er … einen kurtzen
Begriff von der Aristotelischen
Sitten-Lehre, den
der Professor Stolle in der Historie der
Heydnischen Moral … Teutsch angeführet, und
zwar was die Lehre von der Tugend betrifft, auf
folgende Art: |
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es ist dieselbe entweder eine Tugend vor
sich; oder in Absicht auf das gemeine Leben. Der
Tugend vor sich bedient man sich entweder gegen
einerley Leute, (als da sind diejenigen, welche die
Tugend besitzen und ausüben, oder auch andere)
oder gegen unterschiedene. Diejenige, deren man
sich gegen diejenigen bedienet, so sie besitzen,
betrifft entweder den Leib, oder die Ehre
derselben. Die Tugenden, so den Leib betreffen,
sind die Tapfferkeit, welche in erschrecklichen
Dingen die Mittel-Masse beobachte, und die
beyden |
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{Sp. 1484} |
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Abwege der Kühnheit und der Zaghafftigkeit
vermeiden; und die
Mäßigkeit, welche in der
Ergötzung des Leibes die Mittel-Masse halten,
deren Abwege die Unmäßigkeit und
Unempfindlichkeit sind. |
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Die Tugenden, die mit der Ehre zu thun
haben, sind Großmüthigkeit, welche in der
Begierde nach grossen Ehren, oder hohen
Stande
die Mittel-Masse beobachtet, und also den
Hochmuth und die Niederträchtigkeit vermeidet;
und die Bescheidenheit, welche in dem Verlangen
nach mäßigen und geringen Ehren die Mittel-Masse in acht nimmt, deren Abwege der Ehr-Geitz
und die Verachtung der Ehre sind. |
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Die Tugend, deren man sich gegen andere
bedienet, weiset sich entweder in Ansehung des
Geldes; oder Umgang mit andern. Die Tugenden,
so sich in Ansehung des Geldes ereignen, sind
die Freygebigkeit, welche in geben und nehmen
wenigen und geringen Geldes zwischen der
Verschwendung und dem Geitze die Mittel-Masse
beobachtet; und die Großmüthigkeit, die in
Aufwendung grosser Unkosten zwischen der
Prahlerey und Knickerey die Mittel-Masse in acht
nimmt. |
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Die Tugend, die sich im
Umgange mit andern
zeigen soll, hat entweder mit dem
Zorn; oder den
Reden und den übrigen Verrichtungen der
Menschen zu thun. Mit dem Zorne gehet die
Sanfftmuth um, welche in Bezähmung
desselbigen die Mittel-Masse hält, deren Abwege
sind die Zorn-Begierde und die Verbeissung des
Zorns und die Unempfindlichkeit. |
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Die Tugend, so ihr Absehen auf das Reden
und übrige
Thun des Menschen hat, geht
entweder mit der
Wahrheit um; oder macht uns
bey andern angenehm. Mit der Wahrheit hat die
Wahrhafftigkeit zu thun, welche in allen Reden
und Thun in Ansehen der Wahrheit das Mittel
beobachtet, der entgegen stehet die
Auffschneiderey und die Verstellung der
Tugenden, so uns bey andern
angenehm machen;
und die Manierlichkeit, welche in Schertz-Reden
und in Anhörung derselben gehörige Masse hält,
und zwischen dem Zoten-Reissen und der
Plompheit stehet; und die Freundlichkeit, welche
in ernsthafften Reden und Handlungen die Mittel-Masse beobachtet; die derselben entgegen
gesetzte Laster aber sind die Schmeicheley und
das mürrisch seyn. |
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Die Tugend, deren man sich gegen andere
bedienet, sowol gegen die, so sie besitzen, als
gegen andere, ist die Gerechtigkeit. |
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Aristoteliker |
Solte dieses ein Verzeichniß der Moralischen
Tugenden seyn, so ist solches gewiß sehr
schlecht gerathen, welches auch die Aristotelici
zum Theil erkannt, und den Mängeln abzuhelffen
gesucht. |
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Denn erstlich ist dieses Register nicht
vollständig, indem die Haupt-Tugend, die
Gottesfurcht, fehlet. Theophilus Golius gedencket
zwar in epitome doctrinae moralis ex decem libris
ethicorum Aristotelis ad Nicomachum collecta …
der Liebe und der
Furcht GOttes; in dem
Aristoteles aber selbst steht kein
Wort davon. Es
meynt auch Johann Friedrich Gronov in not. ad
Grotium de jure belli et pacis proleg. … daß unter
der Tugend, die Aristoteles magnificentiam, |
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{Sp. 1485|S. 756} |
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oder die Großthätigkeit genennet, der
Gottesdienst und die Gottesfurcht mit begriffen
sey. Denn die Heyden hätten sich eingebildet, ie
grössern Aufwand sie bey dem Gottesdienste
machten, wenn sie kostbare Tempel erbaueten,
herrliche Opffer anstelleten, die Priester reichlich
versorgten, ie angenehmer wäre dieses denen
Göttern; dahero sage Sallustius de bello Catil. c.
9. in suppliciis deorum magnifici, domi parci, in
amicos fideles erant, und Justinus … von dem
Delphischen Tempel: multa igitur ibi et opulenta
regum populorumque visuntur munera, quae
magnificentia sua reddentium vota gratam
voluntatem et deorum responsa manifestant.
Allein das wäre eine gar schlechte Gottesfurcht.
Dem Pöbel, der nur auf das äusserliche siehet,
kan man zwar solche Dinge weiß machen; wenn
aber ein
Philosophe, der aus dem Lichte der Natur
erkennet, es sey ein GOtt, den man verehren
müsse, einen solchen Concept von der
Gottesfurcht sich machen wolte, so wäre dieses
was ungereimtes. |
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Vors andere finden sich welche in dem
Verzeichniß der Tugenden, die vor keine
Moralische Tugenden können gehalten werden.
Denn von Rechtswegen muß sich eine solche
Tugend allezeit auf ein göttliches Gebot gründen;
hier aber kommen welche für, die aufs höchste
keinen andern
Grund, als die Wohlanständigkeit
haben. Und dahin gehören die Manierlichkeit und
die Freundlichkeit, von denen man nicht erweisen
wird, daß sie von
GOtt geboten: man wolte denn
von der Freundlichkeit sagen, daß sie in den
Pflichten der
Bequemlichkeit und Gefälligkeit
begriffen sey. |
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Drittens ist das Register der Aristotelischen
Tugenden sehr verworren. Denn man hätte die
Haupt- und Neben-Tugenden von einander
unterscheiden, und weisen sollen, was vor
besondere Tugenden aus einer jeden Haupt-Tugend, als ausser
Gottesfurcht,
Mäßigkeit und
Gerechtigkeit fliessen. So ist auch die
Ordnung
derjenigen Tugenden, die angeführet werden,
nicht richtig. Denn man siehet nicht, aus was vor
einem Grunde die Tapfferkeit voran stehen; die
Gerechtigkeit aber den untersten Platz haben
soll; |
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Viertens können die meisten Tugenden nach
dem
Begriff, den
Aristoteles von dem
Wesen der
Tugend gemacht, nicht bestehen. Denn wolte man
die Gottesfurcht hieher bringen, so hat selbige
keinen Abweg des Uberflusses, als könte man in
der Frömmigkeit der Sache zu viel thun. Es meynt
zwar Gronov in der angeführten Stelle, daß, wenn
man gleich in der Gottesfurcht selbst nicht zu viel
thun könte, so geschehe doch solches in dem
würcklichen Gottesdienste, und nicht von dem
abergläubischen, so kan man gleichwol bey jenem
nicht in Uberfluß verfehlen. |
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Gleiche Bewandniß hat es mit der
Gerechtigkeit, daß, wenn man auch in dem
höchsten Grade gerecht ist, so hat man dieses vor
was löbliches, und nicht vor tadelhafft zu halten.
Die Aristotelische Großmuth ist so beschaffen,
daß sie einen hochmüthig; folglich nicht
tugendhafft; sondern lasterhafft machet. Denn er
hält den vor großmühtig, der sich selbst grosser
Ehre
würdig schätzt, und der wol saget, was er
andern vor Wohlthaten erwiesen; aber deren nicht
gedencket, die er von andern empfangen hat.
Ja |
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{Sp. 1486} |
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er nennet die Ehre das höchste Gut, |
wovon man ethic. ad Nicomach. … nebst Kortholts
Disputation de magnanimitate Aristotelica lesen
kan. |
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Alle diese Erinnerungen hätten ihren Grund,
wenn die Aristotelischen Tugenden solten
Moralische Tugenden seyn. Doch fallen sie weg,
wenn man sie nur als
Politische Tugenden
ansiehet, dahin auch eigentlich die Absicht des
Aristoteles gegangen ist. Setzt man dieses zum
Grund, so hängt in diesem Tugend-Register alles
wohl zusammen. Die kriegerische Tugend oder
die Tapfferkeit stehet oben an, und das scheint
aus einer Schmeicheley gegen den
König
geschehen zu seyn. Ein
Politicus, der in der
Welt
sein
Glücke machen oder erhalten will, hat
entweder mit den zeitlichen Gütern; oder mit
andern Menschen zu thun. Die zeitlichen Güter
betreffen entweder die
Wollust; oder den Ehr-Geitz; oder den Geld-Geitz. Die Wollust muß ein
Politicus mäßigen durch die
Mäßigkeit; den Ehr-
Geitz durch die Großmüthigkeit und
Bescheidenheit, und den Geld-Geitz durch die
Freygebigkeit und Großthätigkeit. |
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Hat man mit andern Menschen zu thun, so
hat man bey solchem Umgange auf die
Rede,
Geberden und
Thaten zu sehen. Auf die Rede
geht die Wahrhafftigkeit; auf die Geberden die
Manierlichkeit und Freundlichkeit, und auf die
Thaten die Gerechtigkeit. |
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Auf solche Art läst sich die
Sache wohl
zusammen hängen. Man kan aber nicht sagen,
daß dieser Zusammenhang nach dem
Sinn des
Aristoteles eingerichtet, welcher darauf nicht
gesehen; so viel aber ist doch richtig, daß es
seiner Haupt-Absicht, nur Politische Tugenden zu
lehren, gemäß, und nachdem einmal ihrer eilff in
der gewöhnlichen Ordnung da stehen, so lassen
sie sich auf diese Weise mit einander verbinden.
Sollen es nur Politische Tugenden seyn, so kan
die Manierlichkeit darunter stehen bleiben, die wir
vorhero als eine Moralische Tugend nicht konten
gelten lassen. Und indem er nur einen künfftigen
Politicum unterrichten wollen, so hat er gemeynt,
man habe ihm von der
Gottesfurcht nicht viel
vorzusagen. |
|
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Mit dieser Vorstellung stimmen auch die
übrigen Grundsätze der Aristotelischen Moral
überein, wenn wir erwägen, daß er keine andere
Gerechtigkeit und Erbarkeit angenommen, als die
von den Bürgerlichen Gesetzen herkommt, und
wie er das practische höchste Gut in der
Ausübung der Tugend gesetzet, bey welcher man
die
Güter des
Leibes und des Glücks haben
müste, daß er also die Tugend nicht vor ein
Mittel,
sondern vor ein Stücke der
Glückseligkeit
angesehen. |
Sonst hat Omeis, 1682 theatrum virtutum ac
vitiorum ab Aristotele in Nicomachiis omissorum herausgegeben, und Pasch
de inventis
nonantiquis … mercket verschiedenes an, so
hieher gehöret. |
Stoiker |
Wir lassen den Aristoteles fahren, und
wenden uns zu den Stoickern, welche Helden in
der Tugend seyn wolten. Sie meynten, daß die
höchste Glückseligkeit des Menschen bloß in der
Ausübung der Tugend bestehe, bey welcher man
keine andern Güter vonnöthen habe, ja daß sonst
kein wahrhafftes Guth zu finden sey, und man
unter |
|
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{Sp. 1487|S. 757} |
|
|
denen allergrössesten Plagen, und selbst in
einem glüenden Ofen glückselig seyn möge. Sie
lehrten aber weiter von dem letzten
Endzweck des
Menschen, oder von dem höchsten
Gut, daß
selbiges darinnen bestünde, wenn man der
Natur
gemäß lebet, wiewol sie sich hierinnen nicht auf
einerley Art erklärten. |
|
|
Denn Zeno, der Stiffter dieser
Schule, sagte,
der letzte Endzweck sey homologoumenōs zēn,
übereinstimmig zu leben, welches Seneca … von
der Tugend verstehet, welche allemal mit ihr
selbst überein komme. Cleanthes aber, weil er
sahe, daß Zeno sich nicht deutlich erkläret, wolte
seinen Sinn deutlicher machen, und setzte das
Wort Natur hinzu, daß also sein Satz dieser war:
Der letzte Endzweck ist homologoumenōs te
physei zēn, der Natur gemäß, oder mit
derselbigen übereinstimmig leben. Und
Chrysippus zog diesen Ausspruch der Stoischen
Weisen von dem höchsten Gut nicht auf die
allgemeine; sondern auf eines jeden Menschen
eigene Natur. |
|
|
Diese widrig scheinende
Meynungen lassen
sich gar wohl vergleichen. Denn was Zeno
überhaupt eine Ubereinstimmung nennet, das
richtete Cleanthes insonderheit auf etwas
gewisses, und wie dieser die gemeine Natur darzu
gesetzet; also nahm Chrysippus nur ein Stücke
davon, und redete von der Ubereinstimmung mit
eines ieden Menschen seiner Natur. Nun
verstunden die Stoicker durch die Natur nichts
anders, als GOtt selbst, wie denn Seneca sagt:
was ist die Natur anders, als GOtt und der
göttliche Sinn, welcher der gantzen Welt und allen
Theilen derselben einverleibet ist, |
l. 4. de beneficiis … |
|
weswegen in ihren
Schrifften nichts
gemeiners ist, als daß sie ihre
Schüler
vermahnen, GOtt zu folgen, GOtt
nachzuahmen. |
|
|
Da nun GOtt und die Natur einerley; der
Mensch aber ein Stücke der Natur und des
göttlichen Wesens ist, so sehen wir noch
deutlicher, wie sich die Aussprüche des Cleanthes
und des Chrysippus mit einander vereinigen
lassen. In ihrer Natur geschahe alles nothwendig
durch ein unvermeidliches Schicksal, und indem
sie demselbigen auch GOtt unterwurffen, so
stimmt dieses mit ihrem
Principio, daß GOtt und
die Natur einerley sey, wohl zusammen. Auf
solche Weise aber lebte man der Natur gemäß,
wenn man alles gehen liesse, wie es gienge, und
sich durch keine Begebenheit in eine
Bewegung
des Gemüths brächte, indem doch alles
nothwendig geschehe. Und dieses war auch das
Centrum ihrer Tugend, die sie sehr
anpreiseten. |
|
|
Wir sehen auch daraus, wie ihre beyde Sätze:
Der letzte Endzweck des Menschen, oder das
höchste Gut sey, der Natur gemäß leben; und: in der Tugend bestehet die höchste
Glückseligkeit, zusammen hängen. |
Man lese - den Lipsius in
manuductione ad philosophiam Stoic. ..., welcher
aber nach seiner Liebe zu der Stoischen
Philosophie alles auf das beste zu erklären
gesucht.
-
Buddeus in analectis
hist. phil. …
- und Dornfelds Disp. de fine hominis
Stoic. Leipz. 1720.
|
|
Eine solche Stoische Tugend war eine blosse
Chimäre, die sich wol in dem Gehirne eines
Weltweisen; niemals aber in dem
Leben eines
sterblichen Menschen befande. Sehr wohl druckt
die Sache Olearius in seinem
Buche: |
|
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{Sp. 1488} |
|
|
JEsus der wahre Meßias … aus, dessen
Worte wir hieher setzen wollen: alleine, alle die
hohen Speculationen und wohlklingenden Reden,
welche diese Weisen hiervon führten, waren
gleichwol nicht fähig, die Menschen von
menschlichen Mühseligkeiten und peinigenden
Plagen zu befreyen, sie konten auch deren
äusserliche
Sinnen und inwendige
Empfindungen
nicht ändern, und gaben also dem menschlichen
Geschlecht nichts solides, damit sie bey denen
unvermeidlichen menschlichen Zufällen sich in
dem
Stande einer beruhigenden
Glückseligkeit
erhalten könten. |
|
|
Denn wenn sie solche menschliche Zufälle
mit sanfftern
Namen benennet, und unerträgliche
Stein-Schmertzen beschrieben, daß sie nichts
anders, als eine Spannung in gewissen Theilen
des Leibes seyn, hingegen die Namen derer
Kranckheiten und Schmertzen sorgfältig
vermieden, und meistentheils aus dergleichen
Gründen von Verbesserung unserer
Einbildung
und Beherrschung, ja Vertilgung unserer
Affecten,
ein langes und breites geredet, so läuffet es
endlich mit dem Haupt-Wercke, durch welches die
Glückseligkeit gegen die Stürme menschlicher
Zufälle verwahret werden solle, auf ein
unvermeidliches Verhängniß hinaus, welches wir
nicht ändern können, und also demselben lieber in
der Stille zu untergeben, als zu Vergrösserung
unserer Unruhe mit demselben zu kämpffen
haben. |
|
|
Aber o ein schlechter Trost! eine unruhige
Beruhigung! welche nur darinnen bestehen soll,
daß unser
Unglück nicht geändert werden kan.
Eben dieses soll ja wol eher eine Verzweifelung,
als eine Ruhe verursachen, woferne man nicht
etwas anders weiß, auf welches man sein Hertze
feste stellen und beruhigen kan. Soll aber hierzu
die blosse Stoische Tugend dienen, so ist nur zu
beklagen, daß solche nirgends als in der
Idee, in
der Einbildung und dem Gehirne dieser Weisen
sich findet, und welche selbst bekennen, daß
dergleichen Tugend und
Weisheit, als sie
erfordern, sich niemals an einem sterblichen
Menschen gefunden. |
|
|
Ja wenn es zu den Haupt-Streichen kommt,
so muß ein Brutus, welcher in diesen
Schulen
auferzogen worden, bekennen, daß diese
Stoische Tugend, welche er lebenslang verehret,
ein nichtiges Gespenst sey, von welchem er
weder einen rechten
Begriff sich machen, noch
von demselben einige wahre Hülffe geniessen
können, und also, nachdem er mit seiner Armee
die Freyheit
seines Vaterlandes verlohren, aus
Verzweifelung (welche zwar zur Stoischen
Großmuth gerechnet wird) sich lieber selbsten das
Leben nehmen. |
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Unter den Alten ist viel gestritten worden, ob
man einen durch Lehren tugendhafft machen
könne? Von der Stoischen Weise behauptete
Cleanthes, und mit ihm Chrysippus und
Posidonius, man könne die Tugend lehren, wie
aus dem Diogenes Laertius … zu ersehen,
welcher auch … dem Cleanthes die Meynung
beyleget, daß die Tugend nicht könne verlohren
werden, worinnen ihm Chrysippus
widersprach. |
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Sonst hielten es noch viele Stoicker mit den
vier Haupt-Tugenden,
Klugheit, Tapfferkeit,
Gerechtigkeit und
Mäßigkeit. Als Zeno gemeynet,
es wäre nur eine Tugend, so haben nachgehends
fast alle Stoicker den Satz gelehret: Die |
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{Sp. 1489|S. 758} |
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Tugenden wären mit einander
verknüpffet,
und wer eine habe, der habe die andern alle, |
wovon man den Lipsius in
manuductione ad philosophiam Stoic. … lesen
kan. |
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Cicero
sagt
paradox. 3 [6 Zeilen lateinischer
Text]; und Seneca
schreibet
epist. 65. [5 Zeilen
lateinischer Text]. |
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Diesen Satz, daß nur eine Tugend sey, haben
noch andere gelehret, als |
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siehe Stanley in hist. phil.
… |
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siehe Diogen. Laertius … |
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- Apollophanes, welcher meynte, die Klugheit
sey die eintzige Tugend,
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davon Gassendus in
animadvers. in Diogenem Laertium … zu
lesen, |
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daß also Geulinc nicht
Ursache gehabt hätte,
sich vor den Erfinder dieser
Wahrheit
auszugeben, wie er dieses in praef. ethic. gethan
hat. |
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Die
Sache selbst hat ihre Richtigkeit, daß
eigentlich nur eine Tugend sey, indem man nur
eine eintzige solche Fertigkeit, oder Bemühung
des Gemüths zulassen kan. Und da von Rechts
wegen solche Bemühung ernstlich und beständig
seyn soll, so ist auch dieses daraus zu ersehen,
daß, wer eine Tugend habe, der habe die andern
alle. |
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Epikur |
Es ist noch die Epicureische Secte übrig.
Epicurus satzte zum
Endzweck der
Philosophie
die
Wollust, welche darinnen bestehen solte, daß
der
Leib ohne Schmertzen, und das
Gemüth ohne
Unruhe sey. Dieses war seine eigentliche
Meynung, woraus sattsam erhellet, daß ihm
diejenigen unrecht thun, welche ihn vor einen
Vertheydiger der fleischlichen Wollust halten,
darein seine Anhänger die Wollust des Gemüths
verwandelten. |
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Der Grund, dadurch man in die Gemüths-Ruhe kommen könte, sey die
Klugheit, welche
über die Philosophie die Ober-Hand habe, und
aus der alle andere Tugenden entspringen,
welche lehren, daß man nicht frölich leben könne,
wo man nicht sowol klug, als ehrbar und gerecht
lebet; wie man denn auch im Gegentheil nicht
klug, ehrbar und gerecht leben werde, man lebe
denn frölich. Denn die Tugenden sind mit einem
frölichen Leben vereiniget, und dieses läßt sich
von jenem nicht ab sondern. |
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Er recommendirte sonderlich die
Mäßigkeit,
und führte selbst ein mäßiges Leben. Denn seine
ordentliche Mahlzeit war Brod und Wasser, und
wenn er sich was rechts zu gute thun wolte, ließ er
sich ein Stücke Käse schicken. |
Man sehe nach, was Stanley
in hist. philosoph. … und
Stolle in der Historie der
Heydnischen Moral … angemercket
haben. |
Pythagoras |
Die Pythagorische Philosophie faßte unter
dem
Worte Ungerechtigkeit alle Laster, und unter
der Gerechtigkeit alle Tugenden zusammen. Wie
sie nun drey Haupt-Laster satzte, die Unklugheit,
die Furcht, und die Liebe der Wollust und des
Reichthums, also begriff die Gerechtigkeit drey
Haupt-Tugenden, die Klugheit, die |
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{Sp. 1490} |
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Tapfferkeit und die
Mäßigkeit. Denn so lesen
wir bey dem Hierocles in aurea carmina … ed.
Needham: Wer sich der Vernunfft, das ist, der
Klugheit, recht bedienet, der leget sich in der
Widerwärtigkeit die Tapfferkeit, in der Wollust die
Mäßigkeit, in allem aber zugleich die Gerechtigkeit
zur Gesellin bey: also ist die Klugheit der Anfang
der Tugenden; die Gerechtigkeit das Ende
derselbigen; in der Mitten aber stehen die
Tapfferkeit und Mäßigkeit. |
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Weitere |
Ausser diesen Weltweisen können wir nicht
viel mehr anführen. Von den alten Persern ist
noch bekannt, daß ihre Weisen die Lehre von den
vier Haupt-Tugenden, der Klugheit, Gerechtigkeit,
Mäßigkeit und Tapfferkeit getrieben haben. Diese
vier Haupt-Tugenden haben andere in diese zwey:
Tapfferkeit und Mäßigkeit, zusammen schmeltzen,
und dahin des Epictetus Spruch: anichou kai
apichou, leide und meide, ziehen wollen. |
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Aus dem Cicero l. 1. quaest. Tusculan. setzen
wir noch diesen Spruch hieher: Die Weltweisheit
hat uns zuförderst zum Dienste GOttes, sodenn
zur Gerechtigkeit gegen andere Menschen, und
endlich zur Bescheidenheit und Großmuth
angewiesen, welche Stelle vor andern
merckwürdig ist. Denn sie bestimmet die Arten der
Tugend am
vernünfftigsten, daß derselben dreye
wären, und auf
GOtt, andere, und sich selbst
giengen. |
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Heiden |
So war diese Lehre der Heydnischen
Weltweisen von der Tugend beschaffen; was aber
von den Heydnischen Tugenden selbst zu halten,
und wie man sie anzusehen, davon ist
verschiedenes
disputiret worden. Einige haben
gemeynet, alle Tugenden und gute Wercke der
Heyden, unter denen insonderheit der
Weltweisen, während vor sündlich zu achten, und
könnten mit
Recht den
Namen und Ruhm der
Tugenden nicht behaupten. |
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Augustinus kam in seinem Dispüt wider den
Pelagius darauf, und nahm die
Meynung zur
Vertheidigung vor sich, die Tugenden der Heyden
wären splendida peccata, in welchem
Urtheile ihm
auch noch andere beypflichten. Doch haben
welche gemeynet, es sey dieser Ausspruch ein
wenig zu hart. Unter andern führen wir den Jesuit
Baltus an, dessen Jugement des saints peres sur
la morale, de la philosophie payenne, zu
Straßburg 1719 heraus kommen, da er denn …
sich viele Mühe giebet, zu erweisen, daß man
nicht alle
Handlungen der Heydnischen
Philosophen unter die Sünde rechnen dürffe. |
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Es kommt bey dieser Frage darauf an, wie
man die Tugenden und Handlungen der Heyden
erwägen will. Vor
Menschen können sie ein Lob
haben, aber nicht vor GOtt, da es heist: Was nicht
aus dem Glauben kommt, ist Sünde, |
Röm. 14, 23. |
Literatur |
Man kan von dieser
Materie weiter
nachlesen |
- Voss. in hist.
Pelagiana …
- Cattenburgh in spicileg. theolog.
Christianae Limbrochii …
- Cantz in tract. de usu
philosophiae Leibnitianae et Wolffianae in theolog.
…
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