Stichworte |
Text |
Quellenangaben |
Kirchenlehrer |
Denen alten Kirchen-Lehrern gefiel die
Meynung von den vier Haupt-Tugenden, von
denen solche etliche
Scholastici bekommen, die
auch unter diesem
Titul eigene
Wercke
herausgehen lassen. So lange die Aristotelische
Philosophie geherrschet, hat man keine andere
Tugend-Lehre, |
|
|
{Sp. 1491|S. 759} |
|
|
als die Aristoteles aufgesetzet, auch in den
Christlichen Schulen getrieben, worüber man sich
Billig zu verwundern hat. Denn
Christen hätten
sich schämen
sollen, eine
Heydnische Tugend-Lehre anzunehmen, und zwar die Aristotelische,
welche nach der
Vorstellung, die wir oben davon
gemacht, nicht einmahl zur
Sitten-Lehre gehöret,
sondern nur einen
Theil der
Politick
ausmachet. |
|
|
Nachdem die
Zeiten einer solchen Sclaverey
vorbey waren, und der Anfang der
Philosophischen Reformation gemacht wurde, so
ist auch die Lehre von der Tugend nach und nach
in einen bessern
Stand gesetzet worden. Dieses
geschahe desto glücklicher; ie mehr man Fleiß
anwendete, die natürliche Rechts-Gelehrsamkeit
hervor zu suchen. Denn obwol die Sitten-Lehre
und die natürliche Rechts-Gelehrsamkeit, als
zwey unterschiedene Disciplinen der
Philosophen
angesehen werden; so sind jedoch dermassen mit
einander verbunden, daß keine von der andern
kan getrennet werden. |
|
|
Gleichwie die Tugend die Göttlichen Gesetze
voraus setzet, also muß die Tugend in dem
Gemüthe desjenigen wohnen, welcher nach den
Göttlichen Gesetzen sein Leben einzurichten
gedencket. Unter den
Teutschen ist
Thomasius
der erste, welcher die gantze Sitten-Lehre, und mit
derselbigen die
Materie von der Tugend, in einem
bessern Stand gesetzet. Denn er hat nicht nur in
einem Programmate, welches p. 67 der kleinen
Teutschen Schrifften stehet, von den Mängeln der
Aristotelischen
Ethick gehandelt; sondern auch
seine vortreffliche Sitten-Lehre heraus
gegeben. |
|
|
Nach ihm folgete
Buddeus in dem ersten
Theile der Elementor. philosophiae practicae, dem
wir beyfügen Gundlingen in via ad veritatem
moralem … anderer, die auch ihre
Verdienste
haben nicht zu gedencken.
Rüdiger hat in der
Anweisung zu der Zufriedenheit der Seelen die
Ethic auf einen gantz andern Fuß, als bisher
üblich gewesen, setzen wollen, daher er auch von
der Tugend hin und wieder besondere
Gedancken
hat. |
Walchs Philosophisches
Lexicon. |
|
|
Nachdem wir also nicht nur des Socratis
seine Meynung von der Tugend vernommen,
sondern auch der vier Haupt-Secten Lehr-Sätze
davon angesehen; so wollen wir noch anderer,
theils gantzer Secten, theils grosser
Männer
Gedancken davon anführen. |
|
Eklektiker |
Wir machen von der Ecklectischen Secte den
Anfang, die sich nach Christi Geburt, unter
Anführung und Beförderung des Ammonius
Saccas zu Alexandrien hervorgethan. Diese
Weltweisen machten 8 Classen der Tugenden,
nemlich: |
|
|
1) |
natürliche, |
2) |
sittliche, |
3) |
bürgerliche, |
4) |
reinigende, |
5) |
des gereinigten Gemüths, |
6) |
beschauliche, |
7) |
theurgische, |
8) |
göttliche Tugenden |
|
|
|
Immer ist eine Stuffe höher als die andere,
die letztere aber die allerhöchste, zu welcher
niemand leichtlich gelanget. |
|
|
Es ist zwar dieser Eintheilung schon in
vorhergehenden, bey Erzehlung der Meynungen
der Platonicker kürtzlich erwähnet worden: Doch
da die Ecklecticker, ungeachtet sie das meiste von
Platone angenommen, dennoch auch in
vielen |
|
|
{Sp. 1492} |
|
|
eine Änderung getroffen, und von ihnen zu
dem Pythagora übergangen, so gebühret billig
ihnen der
Name einer besondern Secte, und
haben folglich auch ihre Lehren von der Tugend
noch besonders müssen angeführet werden. |
|
|
Die natürlichen Tugenden sind die Natur-Gaben, welche den
Menschen mitgetheilet sind,
daß sie Werckzeuge der
Seele werden mögen,
z.E. Gesundheit, Schönheit, Stärcke. Diese
Art
der Tugend trägt nur uneigentlich diesen Namen.
Die sittlichen und bürgerlichen Tugenden sind
diejenigen practischen Tugenden, welche in dem
menschlichen
Leben entweder an sich, oder in der
bürgerlichen
Gesellschafft nöthig sind, und
eigentlich unter dem Namen der Tugend bekannt,
deren sind die schon in vorhergehenden
erwähnten vier Haupt-Tugenden,
Klugheit,
Tapfferkeit, Mäßigkeit und Gerechtigkeit. |
|
|
Die nach diesen kommenden Stuffen der
Tugenden sind schon von höherm
Rang, und
gehören eigentlich zur
Weltweisheit. Denn die
reinigenden Tugenden sind diejenigen
Vollkommenheiten eines Menschen, der nach der
Beschaulichkeit trachtet, und sich von denen
untern
Dingen und Verrichtungen, wo der
Leib mit
zu thun hat, und von aller Neigung gegen den Leib
und dessen
Bewegungen los macht. |
|
|
Kommt man aber darzu, daß man solche
philosophische Reinigung erlanget hat, und gehet
zu der Vereinigung mit
GOtt, so entstehen daraus
Tugenden des gereinigten Gemüths, welche sich
ebenfalls nach der Haupt-Eintheilung der
Tugenden richten. Wenn aber die Seele dahin
gekommen, daß sie geistlich (intellectualiter)
würcket und handelt, so entstehen daraus die
beschaulichen Tugenden, da nemlich die Klugheit
die wesentlichen Dinge beschauet, die
Gerechtigkeit allein mit denen der Seele
zukommenden Dingen umgehet: die
Mäßigkeit
sich allein zu der Seele kehret, die Tapfferkeit alle
Leidenschafften vermeidet, und sich nach
demjenigen richtet, das keiner
Leidenschafft noch
begierlichen Bewegung fähig ist. |
|
|
Theurgische Tugenden sind endlich
diejenigen, wodurch ein Diener der Götter tüchtig
gemacht wird, mit ihnen in Gemeinschafft zu
leben, ihre Erscheinungen zuwege bringen, sie zu
seinen Diensten zu haben, und durch ihre Hülffe
Wunderwercke zu thun. Und dahin gehören
Epoptae u.a.m. |
|
|
Und wer zum höchsten
Gut gekommen ist,
der hat endlich die göttliche Tugend, oder,
welches eben so viel ist, die Gottheit selbst. |
|
|
Diese Tugenden auszuüben, stunde nach
ihrer Meynung in des Menschen
Gewalt, weil
seine Seele einen
freyen Willen hat, sich entweder
durch die Tugenden zu GOtt zu schwingen, oder
dem Laster und dem Cörperlichen
anzuhangen. |
S.
- Jamblichum von den Geheimnissen der Egyptier…
- Plotinus Ennead. …
- Simplicius Commentar. in Enchirid. Epict.
|
Scholastiker |
Von denen Eclectickern gehen wir zu denen
Scholastischen Weltweisen. Bey diesen war es
nun, die
Wahrheit zu gestehen, gar übel mit der
Tugend bestellt. Denn an statt daß man auf die
Verbesserung des Hertzens hätte dringen, und
den Leuten weisen sollen, wie sie recht leben und
sich
vernünfftig aufführen sollen, so
disputirte man
auf eine Dialectische |
|
|
{Sp. 1493|S. 760} |
|
|
Weise von den
Pflichten und Gewissens-Fällen, und theilte die Tugenden auf Aristotelische
Art in eilf Classen, denen man Glaube,
Liebe und
Hoffnung als Theologische Tugenden beysetzte,
und wurde also die Ethica des Aristoteles, welche
eigentlich einen Griechischen
Bürger unterrichtet,
in der Gesellschafft wohl und ehrbar zu leben, zu
einer Sitten-Lehre gemacht, aus welcher man das
Hertz hat sollen verbessern, ja wol gar selig
werden können. |
|
|
Zu dem kam, daß man dem Namen der
Tugenden gantz andere Bedeutungen beylegte,
und dieselbigen nach dem Interesse des
Römischen Hofs und der Clerisey überhaupt
abmaß, so daß z.E. derjenige gottselig ist, der viel
Klöster und Kirchen aufbauete, deren
Geistlichen
tapffer spendirte, dem Römischen Papst
gehorsam war, Creutz-Züge verrichtete, u.s.w.
wer aber dieses unterließ, für gottlos geachtet
wurde. |
S. Bruckers Philosoph. Hist.
V. Th. … |
Barbaren |
Ehe wir zu denen Verbesserern der
Philosophie in den neuern Zeiten schreiten, wollen
wir noch mit wenigen der
Meynungen, die gewisse
Barbaren von der Tugend geheget haben,
gedencken. |
|
|
Der erste, der uns von diesen die Tugend
lehren soll, mag Locmann, der Arabische Aesop
seyn. Als dieser einst gefraget wurde, von wem er
die Tugend gelernet, gab er zur Antwort: von
denen, die sie nicht gehabt, indem ich mich alles
dessen enthalten, was ich an ihnen lasterhafftes
erblicket. |
S. Gallands les paroles
remarquables … Paris 1634 … |
|
Als es an dem war, daß er
sterben solte, ließ
er seine
Söhne vor sein Bette kommen, gab ihnen
den Segen, und
redete sie dabey folgender gestalt
an: Meine Kinder, was ich euch vor allen Dingen
zu sagen habe, ist, daß ihr diese 6. Regeln in acht
nehmt, welche die gantze
Sitten-Lehre der alten
und neuen Weisen in sich fassen:¶ |
|
|
1) |
Hänget euch nicht mehr
an die Welt, als es die Kürtze eures Lebens
zuläst. |
2) |
Dienet dem HErrn eurem
GOtt, so eifrig, als es euer eigen Bestes
erfordert. |
3) |
Arbeitet vor das andere
Leben, das auf euch wartet, und erwägt die die
Zeit, wie lange dasselbe währen soll. |
4) |
Bemühet euch, dem
Feuer zu entgehen, daraus man nicht wieder
zurück kommt, wenn man einmal hinein gestürtzet
ist. |
5) |
Habt ihr die Verwegenheit
zu sündigen: so meßt zuvor, ob eure Kräffte auch
zulangen, das Feuer der Hölle und die Strafen
Gottes auszustehen. Und |
6) |
wenn ihr sündigen wollet,
so sucht euch einen Ort, da er euch nicht
siehet. |
|
S.
Stollens Historie der Heydnischen Moral… |
|
Der Chinesische Weltweise, der grosse Confucius, lässet
sich hierüber folgender gestalt vernehmen: Will man die Tugend kennen, und zu
derselben zu gelangen suchen; so muß man ei- |
|
|
{Sp. 1494} |
|
|
nen festen Entschluß fassen, und
unaufhörlich nach diesem Ziel trachten, auch
dahero die Wege, so dahin führen, fleißig gehen:
Man muß dabey den gefaßten Entschluß, dahin
zu gelangen, in seinem Hertzen von Tage zu Tage
befestigen, und zwar dergestalt, daß nichts in der
Welt denselben auch nur wanckend zu machen
vermögend sey. |
S. La Moral de Confucius
… |
|
Und wenn ihr euer Gemüthe in solchem
wichtigen Vorsatz dergestalt befestiget habt, so
ergebt euch der Betrachtung. Urtheilet bey euch
selbst über alle Dinge; bemühet euch, davon
einen klaren Begriff zu bekommen; betrachtet
alles, was euch vor Augen kömmt, mit
Unterscheid; urtheilet davon ohne Vorurtheil und
gründlich; erwäget und untersuchet alles mit Fleiß.
Nach einer solchen Untersuchung könnet ihr
leichte zu den Zwecke gelangen, dabey ihr euch
aufzuhalten habt; ich will sagen zu dem
Endzwecke, bey dem ihr fest bleiben sollt, das ist,
zu einer vollkommenen Ubereinstimmung aller
eurer Handlungen mit dem, was euch die
Vernunfft eingiebet; welches man Tugend
nennt. |
Ebend. … |
|
Ein vollkommener, d.i. tugendhaffter Mensch,
muß allezeit bemühet seyn, sich selbst zu
überwinden. Er muß sich nach den
Sitten und
Sinn anderer Leute richten; aber wie er dennoch
allezeit Herr über sein Hertze und sein Thun und
Lassen seyn muß; also muß er sich den
Umgang
oder die Exempel
feiger und weibischer Kerle
nicht anstecken lassen. Denn er muß nie
gehorchen, er habe denn zuvor, was man ihn
heißt, wohl untersuchet: er muß also niemals ohne
Unterscheid andern was nachthun. Er muß mitten
unter so vielen Thoren und Blinden, welche
verkehrt wandeln, gerade zugehen, und auf keine
Seite ausweichen, denn darinnen bestehet die
rechte Stärcke. |
Ebend. … |
|
Es giebt Leute, welche darum die Grentzen
der Mittel-Strasse überschreiten, weil sie nach
ausserordentlichen Tugenden trachten; sie wollen
in ihrem Thun und Lassen was verwunderungs-würdiges sehen lassen, damit sie die
Nachkommen loben und erheben. Was mich
betrifft, so werde ich mit dergleichen Thaten nie
den Kopff einnehmen lassen, an denen der
Hochmuth und die Eigen-Liebe allezeit mehr
Antheil hat, als die Tugend. Ich will nichts wissen
noch thun, als was ich wissen soll, und überall
ausüben kan. |
Ebend. … |
|
Es sind vier Regeln, nach welchen sich ein
vollkommener oder tugendhaffter Mensch richten
soll. |
|
|
1) |
Er muß das, was er von
seinem Sohn fordert, selbst in Ansehen seines
Vaters ins Werck stellen. |
2) |
Er muß seinem Fürsten
eben so treu dienen, als er will, daß ihm
diejenigen dienen sollen, die ihnen unterworffen
sind. |
3) |
Soll er sich gegen seinen
ältern Bruder so aufführen, wie er will, daß sich
sein jüngerer Bruder gegen ihn aufführen
möge. |
4) |
Soll er sich so gegen
seine Freunde verhalten, wie er will, daß sich
seine Freunde gegen ihn verhalten
sollen. |
|
|
|
{Sp. 1495|S. 761} |
|
|
Ein Tugendhaffter und Vollkommener nimmt
diese Pflichten unaufhörlich in acht, so gemein als
sie auch aussehen. Wird er gewahr, daß er was
versehen, so kan er nicht eher ruhen, bis er
solches Versehen wieder gut gemacht. Erkennet
er, daß er eine Schuldigkeit, die wichtig ist,
unterlassen, so ist keine Gewalt so groß, die er
sich nicht anthut, solchen Mangel vollkommen zu
ersetzen, u.d.m. |
S.Stollens Historie der
Heydnischen Moral … |
Neuere Zeit |
Auf die neuern Zeiten zu kommen, so haben
Cartesii und Malebranche Nachfolger, in
Betrachtung, daß so viele
Böses aus den
Irrthümern und verkehrten
Meynungen fliesse, die
Tugenden und Laster in der
Wahrheit und in dem
Irrthum zu finden vermeynet. Mit welchen in dem
Puncte der Seneca übereinzustimmen scheint, in
dem er in seinem 71 Brieffe fragt, was ist die
Tugend? und antwortet: ein wahres und
unbewegliches Urtheil. |
|
|
Es scheinet auch hierauf der bekannte
Engeländische Vertheidiger der natürlichen
Religion, Wolaston, gesehen zu haben, welcher
zur Tugend vornehmlich erfordert, daß unsere
Handlungen die Wahrheit andeuten, d.i. daß sie
nicht nur mit der Meynung unsers Hertzens
übereinkommen, sondern auch von dem wahren
und richtigen
Urtheile zeugen. Unter andern hat
einer darwider Inquiry into the Original of our
ideas of Beatuy and Virtus, ingleichen: Essay on
the Nature and Conduct of the Passions and
Affections … zu Londen 1728
geschrieben, er ist
aber selbst von seinen Lands-Leuten widerleget
worden. Er hält davor, die Vollkommenheit der
Tugend bestehe in nichts anders, als in einer
ruhigen und sich weit erstreckenden
Wohlgewogenheit, welche zur Beförderung des
Guten bey vielen
Menschen, und zur
Unterdrückung der eigenen Liebe diene. Er setzt
eine gemeine
Empfindung von des Nächsten
Glück und
Unglück zum Grunde. Es haben auch
schon die Alten von der Empfindung der Tugend
geredet. |
|
|
Malebranche gehet wenig davon ab, in dem
Tractat de morale Th. I C. 1. 3. |
besiehe auch ebend. Buch
de la recherche de la verité, und seine
Abhandlung de la Nature et Grace. |
|
Dieser giebet zwar Gattungen der natürlichen
Neigungen in dem Menschen an, so gantz
unterschieden seyn sollen, als die
Begierde und
die Liebe, oder die Eigen-Liebe oder die Liebe der
Ordnung und Gerechtigkeit. Die letzte hält er vor
den eintzigen Quell aller Tugenden. Allein wenn
die Eigen-Liebe von der gesunden
Vernunfft
regieret wird, so streitet sie nicht wider die Liebe
gegen andere, ja sie ist entweder mit dieser gantz
einerley, oder zeiget zum wenigsten dieselbe aus
sich. Bisweilen dienen rechtschaffene Leute
andern, und setzen ihre
Vortheile hinten an. |
|
|
Büffier Tr. de la Soc. civ. … antwortet, dieses
bestehe gar wohl mit der Eigen-Liebe. Denn ein
solcher Mensch beweise die Eigen-Liebe auf sehr
kluge Weise, dieweil er sich einem Freund also
wiedme, daß er sich selbst, vielmehr sich selbst,
nemlich sich selbst als einen, der weniger weise
sey, sich selbst, da er weise sey; sich selbst, der
weniger und nicht so vollkommen Gutes
verlange, |
|
|
{Sp. 1496} |
|
|
sich selbst, da er ein vortrefflicher und beständiger Gut suche, wiedme.
Allein wer andern aus gutem Hertzen wohlthut, der hat nicht dergleichen
Betrachtungen; sondern gedencket nur an das Vergnügen, wenn der andere ihm was
zu dancken habe. |
|
|
Ubrigens hat Wolaston schöne Gedancken, und widerlegt nicht
unbillig diejenigen, welche mit Sam. Clarck, dem bekannten
Gegner von Leibnitzen, die Tugend vor eine geschickte
Einrichtung der Handlungen, welche von den Engeländern Fitness genennet
wird, halten. |
|
|
Es sind noch viele
Meynungen
gelehrter
Männer von der Tugend übrig; wir wollen aber nur
einiger gedencken. Lock de intell. hum. … hält
davor, man heisse diejenigen
Handlungen
Tugenden oder Laster, welche nach eines jeden
Volckes Sitten,
Ordnungen und Meynungen
einmüthig vor gut oder
böse angesehen, gelobet
oder getadelt werden. Er setzt noch hinzu,
obgleich die Meynung derer Völcker in vielen
Dingen unterschieden sey; so kommen sie doch in
den meisten Puncten, die
wahrhafftig
Vortheil oder
Schaden brächten, überein. Sie soll auch eine
solche Macht
haben, daß sie offt mehr als
Göttliche
und
menschliche
Gesetze vermag.
Überhaupt kan dieses von der Tugend nicht
gesagt werden. Solte sie denn nichts anders seyn,
als was nach der Meynung eines Volckes gelobet
wird? Hobbesius hat vorher dergleichen
vorgegeben, und Aristippus soll unter den Alten
ein solcher Tugend-Lehrer gewesen seyn. |
|
|
Doch Cartesius hat hiervon andere
Gedancken. Er schreibt in seinem
Buche
de Pass.
Th. II. Art. 144. 148: dieser sey ein tugendhaffter
Mann, welchem sein Gewissen nichts vorwerffen
könne, daß er iemals zu thun unterlassen, was er
vor besser gehalten. |
|
|
Leibnitz Theodic. Th. II. …
sagt: die
Tugenden wären darum Tugenden, weil sie zur
Vollkommenheit führen, oder doch zum wenigsten
von der Unvollkommenheit abführen. |
|
|
Christian
Wolff in den vernünfftigen der
Gedancken von der Menschen Thun und Lassen
… setzet die Tugend darinnen, daß wir bereit
seyn, unsere Handlungen nach denen Gesetzen
der Natur einzurichten, d.i. dasjenige zu thun, was
unsern oder anderer Leute
Zustand vollkommen
macht. |
|
|
Christian
Thomasius in der Einleitung und
Ausübung der Sitten-Lehre lobet die vernünfftige
Liebe gegen andere als die einzige
Sache, die zur
Glückseligkeit führe, und als die einzige
Tugend. |
|
|
Hieronymus Gundling Ethic. oder Phil. mor.
C. 9. lehret, die der menschlichen Natur
zukommende Proportion beobachten, und
dieselbe nach der
Regel einrichten, sey die erste
und einzige Tugend. |
|
|
Andreas
Rüdiger Philos. pragm. B. III.
Abschnidt I. Th. II. C. II. in der Anmerckung bey
dem §. 705. nennet die Tugend eine Fertigkeit, die
Gemüths-Bewegungen nach der Vorschrifft der
Gerechtigkeit zu
regieren. |
|
|
August Friedrich
Müller in der Einleitung in die
Philosophischen Wissenschafften Th. II. …
beweiset, daß die Tugend in einer Fertigkeit, die
natürlichen
Kräffte nach der in der
Natur
gegründeten
Ordnung der
Mittell |
|
|
{Sp. 1497|S. 762} |
|
|
und Absichten zu gebrauchen, bestehe. |
|
|
Eduard Corsini, ein neuer
Weltweise in
Italien, Institut. Philos. Band V. … beschreibet die
Tugend, daß sie eine Vollkommenheit der
Seele
sey, welche durch gute oder vollkommener
Handlungen erlanget werde, und das
Gemüthe
dieselben Handlungen wieder auszuüben
neige. |
|
|
Viele sagen auch, die Tugend sey nichts
anders als ein standhaffter Vorsatz, nach der
gesunden
Vernunfft und nach dem
Willen GOttes
zu leben. |
S. George Friedrich Richters
Progr. de virtute hominum morali placita
philosophorum, Leipzig 1735. |
|
|
Zum Beschluß wollen wir noch die
wunderliche
Meynung, die der beruffene GOttes-Läugner Spinoza von der Tugend hat, anführen.
Die Tugend ist bey ihm eben so viel als die
Krafft,
und erklärt er sich davon in seiner Sitten-Lehre
Th. IV. folgendergestalt: Die Tugend, so ferne sie
sich auf den
Menschen beziehet, ist das
Wesen
oder Natur des Menschen selbst, so ferne dieselbe die
Macht besitzet einige Dinge zu thun,
welche sich bloß allein aus den Gesetzen seiner
Natur verstehen lassen. Die Bemühung sich selbst
zu erhalten, hält er vor die erste und eintzige
Quelle der Tugend. Weil nach seinem Vorgeben
sich keine andere Quelle eher als diese
gedencken liesse, und ohne dieselbe auch keine
Tugend gedacht werden könte. |
Ebend. IV. Th. Art. 449.
u.f. |
|
Er hält davor, daß man von einem Menschen,
soferne derselbe etwas zu thun daher determiniret
würde, weil er unvollständige
Begriffe hätte, nicht
schlechterdings sagen könte, daß derselbe die
Tugend ausübe, sondern nur, soferne er daher
determiniret wird, weil er etwas deutlich
erkennet, |
IV. Th. Art. 451. |
|
Die Tugend schlechterdings auszuüben ist,
nach dem Spinoza, in uns nichts anders, als nach
Anleitung der
Vernunfft handeln, leben, sein
Wesen erhalten, welche drey Dinge (wie er hier
anmercket) einerley bedeuten, und dieses aus
dem
Grunde, seinen
Nutzen zu befördern. |
Ebend. Art. 452. |
|
|
Er bringt ferner vor, daß ie mehr iemand
bemühet und vermögend wäre seinen Nutzen zu
befördern, d.i. sein Wesen zu erhalten; destomehr
Tugend besässe derselbe: und im Gegentheile, in
soferne als iemand seinen Nutzen zu suchen,
oder sein Wesen zu erhalten verabsäumte;
destoweniger Tugend hätte derselbe, und desto
unvermögender wäre er. |
Ebend. Art. 446. |
|
Im 444. Art. dringt er darauf, daß man die
Tugend um ihrer selbst willen begehren müsse;
und daß in der Natur nichts vortrefflicheres und für
uns nützlicheres anzutreffen sey, um
wessentwillen man sie begehren solle, als eben
dieselbe. |
|
Theologie |
Bey denen GOttes-Gelehrten ist die Tugend
nichts anders als ein ernstliches und beständiges
Bemühen, sich in allen Stücken nach dem
Willen GOttes anzuschicken. Denn wer
GOtt
liebet,
dessen erste und vornehmste Sorge muß
billig
diese seyn, wie er ihme gefallen, und nach dessen
Winck und Willen sein gantzes
Leben einrichten
wolle. Gleichwie aber die
Liebe eine
Tochter des
Glaubens, und also nicht ein
Werck der Natur,
sondern eine Frucht des
Geistes ist: also muß
man auch eben dieses von der Tugend
sagen, |
|
|
{Sp. 1498} |
|
|
|
- 2 Petr. I, 5.
- Ebr. XI, 6.
|
|
Daher kömmt es auch, daß Paulus sagt, er
bethe vor seine Ephesier, daß sie erfüllet würden
mit allerley GOttes-Fülle, d.i. mit allen Tugenden,
welche Gaben GOttes sind, |
- im III. Cap. 19.
- Röm. XV, 13.
- Philipp. I, 9.
|
|
Diese Bemühung muß beständig und
ernstlich seyn. Denn die fliegende Hitze bisweilen
etwas zu thun, was recht ist, die aber bald wieder
nachläst, verdienet den schönen
Namen der
Tugend im geringsten nicht. Es ist nur eine einzige
Tugend, wenn man von der
Sache genau
reden
will. Massen nicht mehr als eine Bemühung ist,
sich und seine
Handlungen nach dem
Willen GOttes anzuschicken. Doch weil diese Bemühung
nach dem Unterscheide der mannigfaltigen
Dinge,
damit sie zu thun hat, sich mancherley erweiset,
so bekommet sie unterschiedliche Benennungen.
Und in diesem
Verstande kan man allerdings
sagen, daß mancherley Tugenden, gleichwie auch
mancherley
Pflichten der
Menschen sind, |
- Philipp. IV, 8.
- 2. Petr. I, 5. u.ff.
|
|
Man kan es mit dem Gleichnisse von der
Sonne erläutern; es ist zwar nur eine Sonne, aber
nach dem Unterscheide der Dinge, in welche sie
würcket, sind auch ihre
Würckungen sehr
unterschieden. Die
Personen, gegen welche sich
die Tugend vornemlich erweist, sind dreyerley:
GOtt, der tugendhaffte Mensch selbst, und andere
Menschen oder der Nächste. Denn was gegen die
guten Engel in acht zu nehmen, und was ihnen zu
erweisen ist, das kan zu den Pflichten eines
Menschen gegen seinen Nächsten gezogen
werden: gleichwie das, so man in Ansehung des
Viehes zu beobachten hat, zu den Pflichten des
Menschen gegen sich selbst zu rechnen ist. |
|
|
Demnach sind drey Haupt-Tugenden:
Gottseligkeit,
Mäßigkeit und Gerechtigkeit,
worinnen uns der heil. Apostel selbst Beyfall
giebt, |
Tit. II, 12. |
|
Die aber so |
|
|
|
|
|
- ingleichen zwölff (oder vielmehr neun) Haupt-Tugenden aus Gal.
V, 24. Liebe, Freude, Friede,
Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube,
Sanfftmuth, Keuschheit, worzu die gemeine
Lat.
Übersetzung noch drey andere setzet, als
Langmuth, Bescheidenheit und
Enthaltsamkeit;
|
|
|
|
Es. XI, 2. |
|
|
aus Matth. V, 3 u.f. |
|
machen wollen, denen fehlet es am gewissen
Grunde. Denn die Meynung derer, welche 4
Haupt-Tugenden, als
Klugheit, Tapfferkeit,
Mäßigkeit, Gerechtigkeit setzen, kan gar leicht mit
der unseren verglichen werden. |
|
|
Die Gottseligkeit ist die Bemühung sich in allem, was zum Dienste GOttes
gehört, nach dem göttlichen Willen zu richten. Und da auch der
Gottesdienst die richtige Meynung von GOtt und
göttlichen Dingen in sich schliesset, und entweder
innerlich oder äusserlich ist, so ist dieses alles
unter dem Namen der Gottseligkeit begriffen.
Denn es ist nichts ungewöhnliches, daß das
Wort
pietas, Gottseligkeit, also genommen wird, womit
auch das
Griechische Wort eusebeia
Tit. I, 12.
übereinkommt. |
|
|
Das Wort Mäßigkeit nehmen wir gleichfalls in
weitläufftigem Verstande, in soferne es sich auf
alle Pflichten des Menschen gegen sich selbst
erstrecket. Denn die Mäßigkeit ist nicht allein
beym Essen und Trincken nöthig, sondern auch in
der ehelichen Freundschafft, überdieß in
Beherrschung der
Affecten, endlich auch in
Erduldung |
|
|
{Sp. 1499|S. 763} |
|
|
der Widerwärtigkeit und anderen Dingen;
dieses alles aber zu unserer eigenen Erhaltung.
Die Bemühung nun, in diesem allen sich nach
dem Willen GOttes zu verhalten, heisset mit
einem Worte, Mäßigkeit. Wie denn auch der
Apostel Tit. 2, 12. alle hieher gehörige Pflichten
durch das Wort sophronous,
züchtig oder mäßig,
ausdruckt. |
|
|
Gleichergestalt nehmen wir das Wort
Gerechtigkeit in dem allerweitläufftigsten
Begriffe,
wie es theils insgemein, die
Pflichten gegen
einander, wir mögen nun vollkommen, oder
unvollkommener weise darzu verbunden werden;
theils insonderheit, die Pflichten so aus einem
gewissen
Stande entspringen; in sich begreiffet.
Heisset demnach Gerechtigkeit in dieser
Bedeutung, eben so viel als Liebe, wenn dieses
Wort gleichfalls weitläufftig genommen wird. Denn
sonst, wenn man beyde Wörter Gerechtigkeit und
Liebe in besondern
Verstande nimmt, gehet die
Gerechtigkeit auf die Pflichten, so eine
vollkommene
Verbindlichkeit haben: die Liebe
aber auf die, dabey die Verbindlichkeit nur
unvollkommen ist. Wir nennen also die
Gerechtigkeit eine Bemühung, sein
Thun und
Lassen in allen Pflichten gegen den Nechsten, sie
mögen allgemein oder absonderlich seyn, nach
dem
Willen GOttes anzustellen. |
|
|
Aus dieser bisher abgehandelten Lehre der
Tugenden ist gar leicht dieses zu ersehen, daß sie
allerseits unauflöslich mit einander verbunden
sind: wer eine hat, der hat die andern alle; wem
eine einzige fehlt, dem fehlen sie alle mit
einander. Denn wenn die beständige und
ernstliche Bemühung, sich nach dem Willen
GOttes anzuschicken, in einer einigen Sache, die
ihr oblieget, nicht das ihrige thut, so kan sie auch
in den übrigen nicht zugegen seyn. Wäre sie da,
so würde sie sich gewiß allenthalben äussern, und
in allen Dingen, darauf sie gewiesen ist,
hervorthun. In Wahrheit, wer sich stellen will, als
wäre er dem göttlichen Willen gehorsam, und
doch seinen
Gehorsam nicht, wie er solte,
erweiset, der ist in der That nichts weniger als
gehorsam. Eben das bestätiget auch die
Heil. Schrifft, wenn sie sagt: So iemand spricht: ich
liebe GOtt, und hasset seinen Bruder, der ist ein
Lügner, |
I. Joh. IV, 20. besiehe auch
I. Joh. III, 17. Jacob II, 10.
Buddei Sitten-Lehre P. I.
Abtheil. V. |
Jura |
Endlich auf die Rechts-Gelehrten zu kommen,
so gehöret deren Ausübung und Belohnung
allerdings auch vor sie. Nur daß bey diesen das
Wort Tugend in einem etwas andern
Verstande,
als bey denen Moralisten, oder sonst insgemein,
genommen wird, ob sie gleich in denen Haupt-Begriffen und der darunter angedeuteten
Sache
auf das genaueste mit einander überein
kommen. |
|
|
Es heisset nemlich bey jenen alles dasjenige,
was diese Tugend nennen, nur Gerechtigkeit, und
zwar in sofern man dieses letztere Wort nicht in
einem so engen und eingeschränckten Verstande
annimmt, als man selbigem insgemein beylegt,
sondern da man solchem einen etwas
weitläufftigern Umfang zuschreibt, dessen
Inbegriff sich überhaupt auf alle
menschlichen
Handlungen, so im gemeinen
Leben vorkommen,
erstrecket, oder da |
|
|
{Sp. 1500} |
|
|
man, besser zu reden, die Gerechtigkeit auf
zweyerley Art, das heist, in allgemeinem und
sonderlichem Verstande, betrachtet. |
|
|
Und kan man also gar wohl sagen, daß, wie
überhaupt der
Zweck der Rechts-Lehre darinne
bestehet, daß die Gerechtigkeit in allen und ieden
menschlichen Handlungen in Acht genommen,
und dieselben nach der Richtschnur derer
Gesetze und
Rechte abgemessen und
eingerichtet werden sollen, also auch eben diese
Gerechtigkeit nichts anders, als die Tugend, oder
eine würckliche und unaufhörliche Bemühung ist,
denen Gesetzen gemäß zu leben und zu handeln,
und dieselben auf keinerley Weise zu
verletzen. |
|
|
Doch theilet man dieselbe, die Sache desto
begreifflicher zu machen, in die allgemeine und
sonderliche Gerechtigkeit. |
|
|
Jene, oder die allgemeine, begreiffet
überhaupt alle und iede Tugenden in sich, wenn
nemlich ein Mensch sich dererselben nach der
Ordnung derer Gesetze befleißiget, und solche
zum
Nutzen des
gemeinen Wesens richtet. Es
meynen zwar einige, daß die allgemeine
Gerechtigkeit eine von denen übrigen Tugenden
unterschiedene Tugend sey, und ihr
Amt darinnen
bestehe, daß sie die Tugenden befördere, und
solche zu einer
Würckung bringe. Andere aber
lassen keinen andern Unterscheid zu, als in der
Art, sich solche einzubilden, und
sagen, wenn
man die Tugend an sich selbst betrachte, und auf
den Besitzer, welcher davon tugendhafft genannt
wird, sehe, so heisse es eine Tugend; wenn man
aber die Tugend in ihrer Würckung betrachte, und
da man andern dasjenige, was man ihnen in
Ansehung der Tugenden schuldig ist, leistet,
alsdenn heisse es eine Gerechtigkeit. |
|
|
Die sonderliche Gerechtigkeit aber bestehet
darinne, daß ein Mensch in denen Sachen, in
welchen einer dem andern zu viel oder zu wenig
thun, oder Schaden und
Vortheil zufügen kan,
einem ieden dasjenige zueigne, was ihm, denen
Rechten und der
Billigkeit nach, gebühret. |
|
|
Wovon, wie auch von der weitern Eintheilung
der Gerechtigkeit in die Austheilungs- und
Handlungs- oder Vergleichs-Gerechtigkeit (Lat.
Justitiam distributivam et commutativam sive
correctoriam) bereits unter dem
Artickel
Gerechtigkeit, im X.
Bande.
p. 1080. u.f. gehandelt
worden. |
|
Erweckung der Tugend |
Gegenwärtig wollen wir also nur noch mit
wenigem untersuchen, ob und in wie fern durch
besondere Belohnungen derer guten Thaten
irgend noch die Tugend erweckt, und deren
Ausübung befördert werden könne. Ob wol nicht
zu läugnen, daß die durch die Gesetze
eingeführten
Strafen die bösen Thaten, welche
sonst, da sie nemlich entweder gar nicht, oder
allzu gelinde bestrafet würden, allzusehr überhand
nehmen möchten, zurücke halten, und so nach die
guten einiger massen befördern; so können sie
doch nicht zuwege bringen, daß die Menschen
nach allen Kräfften gutes thun, sondern dieses
entstehet nur aus zweyen
Ursachen, entweder
aus dem
Affect derer Menschen, oder aus der
Tugend dererselben. |
|
|
Was die Tugend anbelanget, |
|
|
{Sp. 1501|S. 764} |
|
|
die hat ein
Regent nicht so in seiner
Gewalt;
aber durch die
Affecten kan er die Menschen
kräfftig zum
Guten antreiben, welches geschiehet,
wenn er diejenigen, die zum Nutzen des
allgemeinen Wesens, folglich auch des Regenten,
etwas mehrers gethan, als ihre Schuldigkeit
erfordert, belohnet, indem er ihnen von
Ehre,
Geld
oder Vergnügen etwas zuwendet. Weil nun aber
viel Vergnügen die Leute wollüstig, viel Ehre die
Ehre selbst geringschätzig machet, das Geld aber
der Regent, und die
Republick sonst gebrauchen;
so hat jener seine
Klugheit vornemlich dahin zu
richten, wie durch die Belohnungen die Tugend
erweckt, und doch die Republick nicht sonderlich
beschwert werde. Beydes erfordert die
Klugheit. |
|
|
Die Mittel darzu sind dreyerley, |
|
|
(1) |
die kluge Belohnung mit
Geld, daß es dem Regenten und allgemeinenm
Wesen nichts koste; |
(2) |
die kluge Belohnung mit
Ehren; |
(3) |
die kluge Belohnung mit
Lust. |
|
|
|
Was die erste anbelanget, die bestehet
darinnen, daß man wohlverdienten Leuten
diejenigen Chargen der Republick gebe, welche
austräglich sind, und keine sonderbare Mühe
brauchen. Denn solche Chargen, wenn sie
wohlverdienten
Männern gegeben werden, sind
eben so gut, als ob ihnen Pension gereichet
würde: dahin gehören alle Chargen, da man nur
seine Person präsentiren darff, oder sich
iemanden halten kan, der die
Arbeit thut. |
|
|
Auch belohnet man sie einiger massen mit
Gelde, wenn man ihnen die
Ämter, worzu die
Sache gehöret, darinnen sie sich sonderbar
hervor gethan, vor andern conferiret. |
|
|
Zu denen Ehren-Belohnungen gehören
diejenigen, wenn man iemanden, der sich wohl
gehalten, solche Ehre giebt, dabey er nichts
einzunehmen hat. Denn wenn Geld bey der Ehre
zu machen ist; so pflegt man die Betrachtung des
Geldes vorzuziehen, weil, wie bekannt, wer Geld
hat, sich Ehre kauffen, nicht aber wer Ehre hat,
gewiß Geld dadurch erwerben kan. |
|
|
Nun besitzt ein Regent einen
unerschöpfflichen Schatz der Ehre, daß er alle
seine
Unterthanen damit erfreuen könte. Denn ob
er sie wol nicht alle zum Doctorn machen könte;
wenigstens diejenigen nicht, welche weder lesen
noch
schreiben könten; so vermöchte er sie doch
alle in den Adel-Stand zu erheben. Die Klugheit
erfordert aber, daß man die Ehre nicht lasse
allgemein werden, weil sie sonst nichts mehr
geachtet wird, und also auch die Unterthanen zu
sonderbaren
Thaten nicht anfrischet. Und
deswegen muß der Regent nicht also die Ehre
ertheilen, daß sie durch die Geburt fortgepflantzet
werde. Denn sonst werden der Geehrten in
kurtzer Zeit eine solche Menge, daß, wenn die
Ehre nicht verächtlich werden soll, er durch
dergleichen Ertheilung die Unterthanen nicht mehr
ermuntern kan. |
|
|
Deswegen aber sagen wir nicht, daß, wenn in
einem Lande einige
Dignitäten, von langen
Zeiten
her, erblich sind, daß man denen Besitzern dieses
Recht benehmen solle; sondern wir halten
allerdings davor, daß, solches zu thun, sowol der
Klugheit, als der Gerechtigkeit, zuwider wäre:
Unterdessen hat man nicht Ursache, von neuem
solche Dignitäten erblich zu machen, sondern es
also zu halten, wie man bey denen
Rittern zu thun
pfleget, welche, wegen ihrer hohen Meriten,
diesen oder jenen Orden erlangen, aber
deswegen auf ihre
Kinder nicht fortpflantzen
können. |
|
|
{Sp. 1501} |
|
|
Wenn zwar ein wohlverdienter
Vater allezeit
Kinder seinesgleichen zeugte, welches bey denen
Thieren, in Ansehen des
Leibes, noch so ziemlich
geschicht; so können dergleichen erbliche
Dignitäten dem gemeinen Wesen so wohl zu
statten kommen, daß, weil die vor Zeiten bey
denen Ahnen durch
Ehre erweckte Tugend noch
in denen Nachkommen immer fort grünete, der
Republick allenfalls eine dergleichen weitere
Erweckung entbehren könte. |
|
|
Wer weiß aber nicht, wie viel und artige
Kinder auch von denen besten
Eltern
entsprossen? Ob auch schon der Leib bey denen
Menschen, wie bey denen Thieren, gesunden
Eltern nachschlägt; so ist es doch, wie die
Erfahrung bezeuget, mit dem wesentlichen Theile
des Menschen, der
Seele, gantz anders. Sie
scheinet zwar manchmahl der Seele derer Eltern
nachzuarten; aber offt zeugen die besten Eltern
die schlechtesten, und die schlechtesten Eltern
die besten Kinder, deren Seelen-Kräffte, zum
Nutzen des gemeinen Wesens, mit Hoffnung der
Ehre, aufzumuntern, allezeit nützlich ist. Denn ein
kluger Regent muß die Kräffte der Natur, zu
seinem und der Republick Nutzen, ohne Ansehen
anderer Umstände, wo er sie findet, zu
gebrauchen wissen. |
|
|
Nicht allein aber verliehret die Ehre ihrer
Krafft zur Aufmunterung der Tugend, wenn sie gar
zu gemein, sondern auch wenn sie offenbar
Unwürdigen gegeben wird. Also sind gründliche
Studien zwar nicht eine gar zu ausserordentliche,
jedoch auch nicht gar zu gemeine, indessen doch
der Republick und dem Regenten gar nützliche
Beschaffenheit, worzu man vor Zeiten, durch
Verleihung derer Academischen
Würden, muntere
Köpfe antriebe. Nun aber ist die
Sache dergestalt
verfallen, daß niemand
Ursache hat deswegen
eine Zeile mehr zu
studiren, als er sonst etwa zu
der Brod-Kunst benöthiget ist. Denn wenn er ein
bis zwey hundert Thaler bey sich, und nur so viel
Wissenschafft hat, als ein mittelmäßiger
Studiosus
in einem
Jahre lernen kan; so kan er nur auf
gewisse
Academien reisen, und gewiß versichert
seyn, daß er den höchsten Academischen
Titel
zurück bringen werde. An manchen
Orten aber
braucht man zwar mehr
Geld; iedoch nicht mehr
Gelehrsamkeit. |
|
|
Die leeren Würden sind eine Sache, damit
sich ein
Fürst, dem sie weder Mühe noch Geld
kosten, ungemeine
Dienste von seinen
Unterthanen erwerben kan. Denn wenn sie sehen,
daß dieselben nur denenjenigen ertheilet werden,
die was sonderbahres prästiren; so finden sich
unendlich viel edle
Gemüther, welche alle Jugend-Lust, ja
Leben und
Vermögen, zum Nutz des
Regenten und der
Republick aufopffern. Von
welchem man ohnstreitig mehr Nutzen hat, als
wenn man sie vor etliche hundert Reichs-Thaler
einigen
reichen, sonst aber nicht viel nützen, oder
doch lange nicht zu
geschickten Köpfen,
verhandelt. |
|
|
Zu dem ist es auch darzu höchst nützlich, daß
solche
Würden nicht verkaufft, sondern denen, die
es verdienen, ertheilet werden, weil dadurch eine
gantze Nation zur
Ehre gereitzet wird. Es kan aber
eine Nation, wie man an denen alten Römern
gesehen, nicht vortrefflicher werden, als wenn
man die meisten darunter die
Mittel der Ehre zu
ergreiffen sich bemühen. |
|
|
Im übrigen haben wir |
|
|
{Sp. 1503|S. 765} |
|
|
von denen Belohnungen mit
Lust,
als der dritten
Art,
nicht viel zu gedencken. Denn sie ist eine Belohnung vor
arme
Leute, die sich vor ihr eigenes
Geld
keine Lust machen können, als wenn man einem Regiment Soldaten, die sich wohl
gehalten, etliche Faß Bier schencket, u.d.g. Sie ist unterdessen, so schlecht
sie ist, von gar guter
Würckung. |
|
|
|
|