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Text |
Quellenangaben
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Lernende |
Was nun ferner die Lernenden betrifft, so hat
man auf vieles zu sehen, woferne man in einem
Lande
gute
Künste und
Wissenschafften in
Aufnehmen zu bringen gesonnen ist. |
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Für allen
Dingen hat man davor zu sorgen,
daß niemand zum Studiren gelassen wird, als der
dazu benöthigte Fähigkeit und Lust hat. Denn wo
es an einem von beyden fehlet, da wird nichts
rechts gelernet. Wie viel aber in einem Lande
daran gelegen sey, daß man hierauf auf das
sorgfältigste Acht habe, lässet sich leicht zeigen.
Wenn man Leute studiren lässet, die keine
Fähigkeit haben, oder denen es wenigstens an
gehöriger Lust fehlt; so bekömmt man
Gelehrte,
die das ihrige nicht recht
verstehen, und daher
denen Ämtern, dazu sie hernach gezogen werden,
vorzustehen nicht
geschickt sind, sondern
vielmehr allerhand Unheil anrichten. Pfleget es
wohl gar zu geschehen, daß sie mit unter die
Lehrer erhoben werden; so sind die Lernenden
schlecht mit ihnen versorgt, und können zu keiner
gründlichen
Erkänntniß gelangen, wenn sie gleich
noch so grosse Fähigkeit und Lust haben, auch
allen ihren möglichen Fleiß anzuwenden sich
angelegen seyn lassen. |
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Und solchergestalt kömmt es mit den guten
Wissenschafften und Künsten immer weiter
herunter. Weil es sich aber nicht allezeit füget,
daß diejenigen, welche von der
Natur geschickte
Köpffe zum Studiren bekommen, und Lust darzu
haben, auch mit genugsamen Mitteln versehen
sind, die was gründliches zu erlernen erfordert
werden, so hat man dafür zu sorgen, wie ihnen
durch zureichende Hülffe die darzu benöthigten
Mittel verschaffet werden; dergleichen
Gelder man
Stipendien zu nennen pfleget. Wie man sich mit
diesen Geldern zu verhalten habe, daß das
Studiren befördert werde, kan man unter dem
Artickel,
Stipendien, finden. |
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Da man dafür zu sorgen hat, daß in einem
Lande von einem jeden
Stande so viel vorhanden
sind, als es die gemeine Wohlfarth erfordert;
absonderlich aber bekannt ist, daß Gelehrte, wenn
sie nicht in
Bedienungen leben, nichts erwerben
können, und dannenhero dem Lande nothwendig
eine Last sind, weil andere sie unterhalten
müssen; so hat man auch zu veranstalten, daß
nicht zu viele studiren, und hauptsächlich
diejenigen zurücke bleiben müssen, die entweder
keine Mittel oder kein Geschicke haben, etwas
rechtes zu lernen, am allermeisten aber
diejenigen, denen es an beyden fehlet. |
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Die hingegen befördern gar schlecht die
Wohlfarth des Landes, welche durch kümmerliche
Allmosen allerhand zum Studiren untüchtige Leute
darzu anlocken, damit sie ihrer Faulheit ein
Genügen thun, und der
Arbeit entgehen können.
Wenn solcher Leute zu viel werden, daß sie
unmöglich alle unterkommen können, so suchen
sie sich mit Unterrichtung der Jugend
fortzubringen, und begeben sich nicht allein auf
das Land zu Predigern und
Edelleuten, sondern
auch in
Städten zu vermögenden
Bürgern, um
ihnen ihre
Kinder |
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{Sp. 1211|S. 619} |
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zu informiren. Dadurch nehmen
Schulen und
Gymnasien ab; die guten
Männer, die man auf
öffentliche Kosten hält, können nicht mehr durch
ihren Fleiß so viele Gutes stifften; von solchen
Privat-Lehrern wird die Jugend öffters verdorben,
und man ziehet auf
Universitäten, ohne daß man
genugsamen Grund geleget. |
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Gleichwie nun aber insgemein solche junge
Leute auf Universitäten entweder gar verderben,
oder doch nichts rechtschaffenes lernen; so
erfolget nach diesem noch viel anderes Unheil
daraus, so wohl für
Eltern als für das gantze
Land.
So lange einer noch nicht des Guten gewohnet ist,
so muß man ihm die Gelegenheit,
Böses zu thun,
benehmen. Derowegen, weil die Jugend zur
Wollust geneigt ist, die Wollust aber sie von dem
Fleisse abziehet, der zum Studiren erfordert wird,
wo man was rechtes lernen will; so muß man auch
denen Studirenden die Gelegenheit zur Wollust
benehmen, soviel als nur immer möglich ist. |
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Es kömmt auch dieser
Schaden daraus, daß
die der Wollust ergebene das
Geld zu allerhand
Üppigkeit anwenden, was sie auf ihren nöthigen
Unterhalt und auf das Studiren wenden solten.
Daher gerathen sie entweder in Schulden, und
betrügen die, so ihnen getrauet, oder sie
verschwenden ihnen und den Eltern das Ihrige,
welches sie nach diesem in ihren künfftigen Leben
hätten besser gebrauchen können. Um diesem
Unheil vorzukommen, wäre es gut, wenn auf
Academien dergleichen Einrichtungen wären, daß
die Studirenden das zu nöthigen Ausgaben
gewidmete Geld nicht an ungebührenden
Orten
anwendeten. |
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Weil aber der
Mensch
verbunden ist, alles zu
vermeiden, was seiner Gesundheit schaden kan;
und da durch stetes Sitzen und Studiren die
Gesundheit des
Leibes Abbruch leidet: So soll
man auch nicht durch stetes Sitzen und Studiren
seiner Gesundheit schaden. Und demnach
müssen auch Lernende unterweilen
Abwechselungen haben, da der Leib durch
bequeme Bewegung erfrischet, das
Gemüthe aber
durch andere
Gedancken ermuntert wird. |
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Wie die Ergötzlichkeiten, die bey dem
Studiren zu untermengen sind, beschaffen seyn
müssen, lässet sich aus vielen Gründen
beurtheilen. Weil ein jeder Mensch verbunden ist,
alle besondern Absichten dergestalt mit einander
zu verbinden, daß immer eine ein Mittel zu andern
wird; so muß auch die Ergötzlichkeit dem Studiren
keinen Eintrag thun, und wird demnach alles
verworffen, was auf einige Art und Weise dem
Studiren etwas hinderliches nach sich ziehen,
oder auch zu andern Dingen mehr Lust als zum
Studiren machen kan; hingegen findet für allem
andern statt, was dem Studiren beförderlich ist,
und die Lust darzu vermehret. |
Wer mehr hiervon zu wissen
verlanget, kan
Wolf von dem gesellsch. Leben der
Menschen … nachlesen. |
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Es ist nicht zu läugnen, daß das Studiren eine
Ursache von einen kräncklichen Cörper seyn
könne, obgleich die wenigsten Ursache haben,
ihre Kranckheiten davon herzuleiten. Die
Gesundheit des
Cörpers bestehet darinnen, wenn
das Geblüte allezeit frisch, und durch Hülffe der
Lebens-Geister in seinem Umlauffe ungehindert
bleibet. Indem aber die Gelehrten stets sitzen, und
durch Wachen und Meditiren die Lebens-Geister
zerstreuen, so wird das Geblüte di- |
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{Sp. 1212} |
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cke, ja wie ein stets stehendes Wasser
gleichsam zur Fäulung gebracht. Daher wird der
Appetit verderbet, die Verdauung gehindert, die
Colica erreget, Blehungen und hypochrondrische
Beschwerden erzeuget. Weil nun wegen des
dicken Chyli dem Geblüte seine gehörige Nahrung
entzogen wird, so muß der Cörper bleich und
mager werden; weswegen auch so viele Gelehrte
vor der Zeit graue
Köpffe erlangen. |
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Es kommen auch wegen Mangel gehöriger
Bewegung allzu viel rohe und nicht sattsam
gekochte Theilchen in das Geblüte, woraus nach
und nach Kopff-Schmertzen, hectische Fieber und
allerhand scorbutische Beschwerungen
entspringen. Wenn sich diese rohen Theilchen,
welche in das Geblüte gekommen sind, nach und
nach zusammen setzen, so melden sich die
podagrischen und chiragraphischen Schmertzen,
wie auch allerhand Entzündungen. Werden die
Lebens-Geister allzusehr mitgenommen, so
erfolget der Mangel des Gedächtnisses: Und
wenn man demselben durch hitzige Sachen, als
The, Chocolate, Toback, etc. helffen will, so kan
man nicht selten in Schlafsucht, Raserey und
andere Übel verfallen. Aus diesen Dingen
vermeynen einige gar leichte die Ursache zu
finden, warum die Gelehrten so unfruchtbar sind,
oder doch zum wenigsten keine lebhafften Kinder
erzeugen. |
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Ob sich aber gleich dieses alles gar wohl
hören lässet; so giebt man doch ohne Zweiffel
dem Studiren mehr Schuld, als es sich gebühret.
Der
Tod will eine Ursache haben. Wenn jemand
kranck wird, so übereilet sich der
Artzt vielfältig,
indem er den
Ursprung einer Unpäßlichkeit einer
Sache zuschreibet, die doch wenig Theil daran
hat. Sobald einem Gelehrten etwas fehlet, so
müssen die armen
Studien alles gethan haben.
Allein unter tausenden, welche den
Nahmen
der Gelehrten führen, finden sich offt nicht zweene, welche sich ihr
Handwerck
so angelegen seyn lassen, daß der Leib darunter leiden müste. Die schwache
Beschaffenheit der Cörper, die angeerbten Beschwerungen, die üble Diät, die
Sünden der Jugend und andere Dinge sind die Quellen der meisten Kranckheiten. |
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Man trifft die angeführten Beschwerungen eben so wohl, ja noch häuffiger bey
Leuten an, welcher eine gantz andere Lebens-Art haben, und nichts weniger thun,
als Sitzen. Es sind viel und grosse Männer unter denen Gelehrten, welche bey
ihrem Meditiren, Lucubriren und beständigen
Arbeiten sehr wohl bey Leibe sind,
und gesund bleiben. Ja es ist glaublich, daß wenn man die Sache untersuchen
solte, man unter denen Liebhabern der Gelehrsamkeit ebenso viel starcke als
schwache Männer finden würde. Und dieses haben die Studien mit andern
Lebens-Arten gemein. |
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Daß die Gelehrten unfruchtbar sind, oder
meistentheils Kinder von blöden Verstande
zeugen, ist gar nicht erwiesen. Tiraquelli und
hundert anderer Exempel liegen am Tage. Man
hat gantze
Geschlechter, bey welchen die
Gelehrsamkeit gleichsam ein Erb-Stücke gewesen
ist. Die Camerarii, Buxtorfe, Olearii, Carpzove,
Osianders, Lyser, Opitze, Meibome und viele
andere beweisen es sattsam. |
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Vergnügen an der Wissenschaft |
Es muß hier noch eine Frage entschieden
werden, welche man öffters aufzuwerffen pfleget.
Leute, welche mit genugsamen
Gütern versehen
sind, daß |
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{Sp. 1213|S. 620} |
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sie sich ihr
Leben ohne alle anderweitige
Hülffe ruhig und bequem machen können, weyhen
sich öffters der Gelehrsamkeit, und treiben die
Wissenschafften nicht aus der Absicht, daß sie
ihrem Nächsten damit dienen wollen, sondern sie
klären ihren
Verstand aus keiner andern Ursache
auf, als weil sie an der
Erkenntniß der
Wahrheiten
ein Vergnügen finden. Man findet auch Leute,
welche, ob sie gleich von Mitteln entblößt sind,
und ihren Unterhalt meistentheils von fremden
Händen empfangen, dennoch nur diesen einzigen
Endzweck in ihren Studiren haben, daß sie
dadurch ihr Vergnügen zu befördern suchen. Kan
man diese Absicht wohl entschuldigen, oder ist sie
strafbar? Ist es erlaubt, bloß zu seinem
Vergnügen zu studiren? Diese Frage zu
entscheiden hat man folgendes zu mercken. |
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Die Begierde etwas neues zu erkennen,
scheint uns von der
Natur eingepflantzt zu seyn.
Man bemercket sie bey
Kindern, deren vieles
Fragen oft von unwissenden Wärterinnen, und von
gleich dummen Lehrmeistern mit
verdrüßlichen
Antworten belohnet wird: Man bemercket sie bey
Erwachsenen unter verschiedenen
Gestalten.
Dieser suchet, ihr zu gefallen, eine beständige
Abwechselung in dem Vergnügen, daß er seinen
Sinnen macht; jener ist immer begierig neue
Zeitungen zu hören. Bey niemand aber zeigt sie
sich lebhafter als bey einem Gelehrten. Diesen
beschäftiget eine Menge von Wahrheiten
beständig, ohne daß er seine Bemühung nach
Erkenntniß mit was anders belohnet sähe, als mit
dem Vergnügen das aus dieser Erkenntniß
entspringt. |
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Aber eben diese Neubegierde, die bey den
Gelehrten so würcksam ist, machet auch vielleicht
seine Bemühungen oft strafbar. Denn sie treibt ihn
an, unnütze Wahrheiten zu untersuchen, bloß weil
ihn die Erkenntniß davon ergötzet. Er bekümmert
sich nicht, ob er durch seinen Fleiß den
Vortheil
seiner Mitbürger fördert; genung wenn dieser
Fleiß ihn durch Erforschung unbekannter
Dinge
vergnügt. |
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Wir wollen einen Gelehrten annehmen, von
dem man dieses sagen kan, und untersuchen, ob
sich nicht dem ungeachtet seine Lebensart
rechtfertigen läßt. Hierbey fordert man aber dieses
von ihm, daß es würckliche Wahrheiten sind, mit
denen er sich beschäfftiget, und daß er nicht
etwan durch leere
Wörter sich und andere betrügt;
Ein grosser theil der Scholastischen Philosophie
ist unnütze, nicht weil er im gemeinen Leben
unbrauchbar ist, sondern weil er die gemeinsten
Sätze mit den barbarischen Kunstwörtern prächtig
verdunckelt. Man muß allerdings einen solchen
Gelehrten annehmen; denn wie
vortheilhafft
öffters diejenigen Bemühungen eines Gelehrten
sind, die am meisten als unnütze ausgeschrien
werden, das fällt einem jeden in die Augen, der in
der Erkenntniß der Wahrheit ein wenig geübt ist,
und sieht, wie aus den trockensten Sätzen oft die
fruchtbarsten Folgerungen fliessen. |
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Der gröste Theil unserer irdischen
Glückseligkeit kömmt darauf an, daß wir die
Kräffte, die in der Natur liegen, zu brauchen
wissen. Wenn wir also diese Kräffte aus einer
blossen Neugierigkeit untersucht, und kennen
gelernet haben, so ist es hernachmahls leichte,
sie zu |
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{Sp. 1214} |
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unserm Dienste anzuwenden. Aber ohne die
Entdeckung, welche die Neugier gemacht hatte,
hatten wir im geringsten keinen
Begriff von diesen
Kräfften, und mußten also auch des
Vortheils, den
sie uns geben konnten, entbehren. Ein gemeiner
Handwercker, der nur dasjenige fleißig
nachmachet, was er von seinem Lehrmeister
gelernet hat, bringt es nimmermehr so weit, als ein
anderer, der selbst nachdenckt, sich öffters
mißlungene Versuche nicht abschrecken läßt,
immer mehr zu künsteln, und hierdurch öffters
eine Verbesserung hervorbringt, die anfänglich ein
blosses Spielwerck seiner Neugier gewesen
war. |
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Eben so muß ein Brodgelehrter von einem
andern unterschieden werden. Der erste, wenn er
noch gewissenhafft handelt, treibt sein Studiren
als ein Handwerck. Er lernet so viel, als er
glaubet, daß ihm zu dem
Amte werden nöthig
seyn, dem er sich bestimmt. Aber wie öffters
rächen sich hernach die Wissenschafften an ihm,
die er als unnütze verachtet hat: Wie öffters
wünscht ein Advocat, der seinen Proceß gantz
wohl
versteht daß er sich um die Meßkunst, um
die Anatomie mehr bekümmert hätte, wenn er
eine Grentzstreitigkeit ausmachen, oder
Personen, denen man eine Mordthat Schuld giebt,
vertheidigen soll! Wie viel Vortheile haben
diejenigen, die zur Ausbreitung der Religion in
entfernte Länder
gereiset sind, davon empfunden,
wenn sie sich durch einige Kenntniß in der
Naturlehre und Sternkunst, die Verwunderung der
Barbaren zuziehen konnten. Wie also ein
Gelehrter nicht allemahl wird voraus sehen
können, was ihm für eine Erkenntniß auch zu
seiner Hauptwissenschafft nützlich seyn werde, so
folget, daß ihm öffters etwas fehlen wird, wenn er
glaubet, alles gelernet zu haben, was er nöthig
hatte. |
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Aber wie soll man sich hier helffen? Soll man
sich von dergleichen Sachen nur soviel
Erkenntniß erwerben, als zu seiner
Hauptwissenschafft erfordert wird? Es wäre gut,
wenn man dieses thun könnte. Allein die in andern
Theilen der Gelehrsamkeit brauchbaren Sätze
einer Wissenschafft sind offt mit den übrigen
Wahrheiten so genau verbunden, daß man sie
nicht abgesondert erlernen kan, zugeschweigen,
daß die Wahl und Absonderung dieser Sätze sehr
schwer ist. |
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Es bleibt also kein Mittel übrig als dieses: Die
Gelehrsamkeit nicht Handwercksmäßig zu treiben,
sondern aus den Studiren überhaupt sich ein
Vergnügen zu machen, und für den Fleiß, den
man auf verschiedene Wissenschafften wendet,
keine andre Belohnung zu fordern, als die
Ergötzung, welche uns dieser Fleiß selbst giebt.
Wer so gesinnt ist, der läßt keinen Theil der
menschlichen Erkenntniß gantz mit Verachtung
vorbey; er suchet sich von allen Wissenschafften
einige Grundsätze bekannt zu machen, und wird
hierdurch fähig, wenn er eine gewisse
Wissenschafft bey seinem Hauptwercke nöthig
hat, aus ihren ihm bekannten Grundsätzen, die
Folgerungen, die er braucht, herzuleiten, oder
wenigstens einzusehen, wie die Lehrer dieser
Wissenschafft diese Folgerungen herleiten. |
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Es ist eine bekannte Wahrheit, daß alle
Wissenschafften eine gewisse Verbindung mit
einander haben, und daß niemand fähig ist, in ei-
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{Sp. 1215|S. 621} |
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ner groß zu werden, der nicht in vielen andern
eine Einsicht hat. Aber diese Einsicht erwirbt sich
keine von denen kleinen
Seelen, die, so bald sie
sich bemühen sollen, was zu lernen, gleich fragen,
wozu nützet mir das? Wenn man also auch in
solchen Wissenschafften, deren
Nutzen unläugbar
ist, groß werden will: So gehöret darzu ein solcher
Geist, der bloß zu seinem Vergnügen zu Studiren
fähig ist. |
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Was sind es dann aber für Wissenschafften,
die Nutzen bringen, und was für welche sind an
sich unnütze, und vielleicht nur in soweit zu
gebrauchen, in soweit sie in jene einem Einfluß
haben? Dieses zu entscheiden, muß man zuvor
die Begriffe von dem, was nützlich und unnützlich
heißt, aus einander setzen. Wir nennen diejenigen
Sachen nützlich, die unsre Lebensart bequemer
und vergnügter machen. Viele von diesen Sachen
sind eine geraume
Zeit von den Menschen
entbehret worden, und doch fanden sie bey ihrer
Entdeckung allgemeinen Beyfall, und wurden
dadurch nothwendig. |
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Diese
Nothwendigkeit,
dieser Nutzen kömmt öffters nur auf eine
Einbildung an. Das Alterthum hat seine
Danckbarkeit gegen die
Erfinder des
Ackerbaues und des Weins bis zur Vergötterung
getrieben: Werden aber diejenigen
Völcker wohl
von eben dieser Religion seyn, die noch jetzo
ohne das Korn und den Traubensafft leben? Die
Lebensart dieser Völcker ist elend, wird man
sprechen: Aber das Elend besteht bloß in der
Einbildung. Dem Grönländer ist es eben so
verdrüßlich hinter einem Pfluge herzugehen, so
beschwerlich es dem gesitteten Europäer ist,
eines Seehundes wegen sich durch Eis und
Wellen zu wagen. Der Americaner hat vor dem
Saltze einen Abscheu, und in Franckreich hat sich
ein Aufstand erregt, wenn der
König eine
Theurung des Saltzes verursacht hat. |
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Hieraus fliesset, daß von dem Nutzen einer
eintzigen Sache in verschiedenen Ländern gantz
anders geurtheilet werden wird. In jedem Lande
aber wird man dasjenige nützlich nennen, was zu
dem Vergnügen und der
Bequemlichkeit der
Einwohner etwas beyträgt. Die meisten Menschen
sind für die Sinne eingenommen; daher ist es kein
Wunder, daß sie nur solchen Dingen Nutzen
beylegen, die ihren Cörper rühren. Aber warum
soll der Verstand nicht auch hier in Betrachtung
kommen? Auch ist er gewisser Vergnügungen
fähig, und zwar auch solcher die mit den Sinnen
keine grosse Verbindung haben. |
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Ist denn dasjenige unnütze, waß zu diesen
seinen Vergnügungen etwas beyträgt? Warum
nennt man denn dasjenige nützlich, was die Sinne
ergötzet? Ein gewisses Kraut ist nützlich, denn es
heilet unsern Cörper von einer gewissen
Kranckheit; kan denn eine Wahrheit unnütze
heissen, die den Verstand vom Irrthume befreyt?
Der Fleiß des Ackermannes ist nützlich, denn er
verschaffet unserm Cörper Nahrung; nutzet denn
der Fleiß des
Philosophen nichts, der die Seele
mit Wahrheit, der Nahrung der Geister, versorgt?
Es ist wahr, nicht alle Geister verlangen diese
Nahrung, aber das verringert den Werth des
Philosophen so wenig, so wenig es den Werth des
Feldbaues verringert, wenn der Grönländer sich
mit stinckenden Fischen |
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{Sp. 1216} |
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sättigt. Man könnte ja nicht billiger seyn. |
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Man vergönnt es denen, die an Untersuchung
der Wahrheit kein Vergnügen finden, daß ihnen
andere Sachen nützlich sind: Aber man fordert
von ihnen, daß sie die Bemühungen der Gelehrten
nicht als überhaupt unnütz schmähen solten, weil
sie ihnen unnütze sind. Sonst wird der, der keinen
Toback rauchet, den
Kauffmann mit Rechte, als
ein unnützes Mitglied des
Staates betrachten,
dessen größtes Gewerbe in Toback besteht, und
derjenige, der nur Tuchkleider zu tragen gewohnt
ist, wird dem Sammtmacher und den
Seidenhändler aus der
Republick vertreiben
dürffen. Wer die Entdeckungen unnütze nennt, die
nur den Verstand ergötzen, der setzet zum
Voraus, daß der Verstand uns nur gegeben ist,
den Cörper zu versorgen. Vielleicht ist diese
Beschäftigung für seinen Verstand wichtig
genung; aber deswegen soll er andre nicht tadeln,
die, ohne diese Pflicht zu vergessen, ihren
Verstand noch auf eine andere Art zu gebrauchen
wissen. |
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Denn dieses wird vor allen Dingen erfordert,
daß bey dem Vergnügen, welches uns die
Wissenschafften geben, die
Pflichten nicht
müssen versäumet werden, die man sich und
andern schuldig ist. Unsere Seele ist an den
Cörper gebunden, und wird, wenn er Noth leidet,
auch an den reinesten
Würckungen des
Verstandes gehindert. Selbst also die Absicht, die
ein Liebhaber der Wahrheit hat, nöthiget ihn, sich
in solche Umstände zu setzen, daß er seinen
Untersuchungen nachhängen kan. Öfters beruht
die Wohlfarth anderer auf unsern Bemühungen,
und da darf man das geringere Vergnügen, daß
man aus der Erkenntniß der Wahrheit hat, nicht
der gantzen Wohlfarth seines Mitbürgers
vorziehen. Ein Artzney-Gelehrter verfolge die
Ästchen eines Gefässes, bis sie für die kleinsten
Kügelchen des Quecksilbers zu enge werden:
Vielleicht hat die Heilungskunst keinen
Vortheil
davon; doch seine Beschäftigung vergnügt ihn; sie
erweitert unsre Erkenntniß von dem Baue des
Cörpers, und das ist genung. Aber wie strafbar
würde er nicht seyn, wenn er darüber einen
Krancken sterben lassen wolte, dem seine
zeitigere Gegenwart das Leben erhalten
hätte? |
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Eben so wird man da unrecht thun, seinen
Betrachtungen nachzuhängen, wenn man der
Republick in der Ausübung wichtige Dienste
leisten könnte, und kein anderer dazu fähig wäre.
Aber wo ein anderer
Geschicklichkeit und Lust
besitzt, dem Staate einen Dienst zu leisten, dazu
ich nur Geschicklichkeit ohne Lust habe, da wird
er mir gerne mein ruhiges Glück lassen, wenn ich
ihm die Ehre, die er erwirbt, gönne. So soll also
ein Theil von dem Vergnügen des Gelehrten
allemahl dem gantzen Glücke des
Ungelehrten
weichen, nicht deswegen, weil der eine gelehrt,
und der andere ungelehrt ist, sondern weil der
Theil weniger ist als das Gantze. Wo aber nur
Vergnügen mit Vergnügen streitet, da kan man
nicht sehen, warum gerade derjenige das Seinige
entbehren soll, der den meisten Verstand
besitzt. |
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Man sieht, daß ein Gelehrter sich viel mit
Dingen beschäfftiget, die seinen und anderer
Verstand ergötzen; man fordert von ihm, er solle
et- |
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{Sp. 1217|S. 622} |
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was nützlichers thun. Was will man damit
sagen? Er solle Sachen vornehmen, welche die
Sinne seiner Mitbürger mehr vergnügten. Der
Mathematick verständige hat eine neue
Eigenschafft einer krummen Linie entdeckt, das
heißt,
seine Zeit verdorben; aber er würde diese Zeit viel
besser angewendet haben, wenn er einen neuen
Springbrunnen erdacht, oder ein Lusthaus
angegeben hätte. Warum? Könnte man den
Springbrunnen und das Lusthaus nicht ebenso
wohl entbehren als die krumme Linie? Nein, denn
den ersten Verlust vermissen die Sinne, und den
andern nur der Verstand. |
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Woher kömmt aber doch das
Recht, das dem
sinnlichen Theil unsrer Mitbürger mehr Anspruch
auf unsre Bemühungen ertheilt, als dem
Verständigen? Es giebt Leute genung, welche für
die Sinne arbeiten; man tadelt sie nicht; aber was
verbindet denn einen Gelehrten insbesondere,
eben dieser Arbeit die Vergnügungen seines
Verstandes aufzuopffern? Ist denn seine
Ergötzung nicht ebenso viel werth als von einem
Bürger? Vielleicht wird dieser
Schluß vielen
Leuten sehr verwegen vorkommen, die wenn man
ein Wortspiel im Schertze wagen darf, könnten
Publicisten genennet werden; weil sie sich
einbilden, kein Mensch sey für sich selbst,
sondern für die gantze Welt, oder wenigstens für
das heilige Römische Reich deutscher Nation
gebohren. Das prächtige Lob nimmt sie ein, das
ein Poet, der ein Spanier und Stoicker war, dem
Cato beylegt: Non sibi sed toti natum se credere
mundo. Doch wo finden sich Verbindlichkeit und
Kräffte für eine so grosse Pflicht? |
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Die vernünfftige
Sittenlehre so wohl als die
Christliche verbinden uns, unsern Nächsten nur so
sehr als uns selbst zu lieben. Heißt dieß, wir
sollen unser gantzes Glück dem Glücke des
Nächsten aufopffern? Gesetzt es hiesse so viel,
so verbindet ihn eben diese
Regel, sein Glück
geringer zu schätzen, als das unsrige. Er darf also
das unsrige nicht annehmen, und es wird sich
zwischen ihm und uns ein Complimentirstreit
erheben, wer den andern glücklich machen soll?
Doch niemand hat sich zu
befürchten, daß ihn ein
paar solche Menschenfreunde etwa zum
Schiedsrichter erwehlen möchten. Denn so schön
dergleichen
Reden klingen, so wenig werden sie
ausgeübt. Jedweder Mensch sorget am meisten
für sein Glück, und wenn er dadurch zufälliger
Weise das Glück anderer würcket, so geschiehet
es, weil es mit dem seinigen genau verbunden
ist. |
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Ein Kauffmann ernährt eine Menge armer
Arbeitsleute, nicht daß er sie ernähre, sondern
daß sie ihn
reich machen. Ein Sachwalter übet
sich in der Wissenschafft, ohne die kein Staat
bestehen kan; aber wird er wohl mit dem
Italienischen Rechtsgelehrten, Alexander
Tartagna, sagen: Ich habe die Gesetze gelernet,
sie zu wissen und nicht zu
verkauffen. Selbst die
Lehrer heiliger Wahrheiten wissen sich darauf zu
beruffen, daß ein Arbeiter seines
Lohnes werth
sey. Man tadelt keinen, der auf diese Art sein
Glück mit dem Glücke anderer zu verbinden weiß,
man fordert nur von ihnen, die Quelle ihrer Thaten
zu untersuchen; es wird ihnen rühmlicher seyn,
dieselbige in einer vernünfftigen
Selbstliebe als in
einem eingebildeten Eifer für das
gemeine Beste
zu finden. |
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Die Vorsicht erhält das Beste der gan- |
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{Sp. 1218} |
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tzen Welt, indem sie in jedem Theile den
Trieb für seine Erhaltung gesenckt hat. So ist bey
einem Baue jeder Arbeiter mit dem ihm
angewiesenen Stücke beschäftiget, und überläßt
es dem Baumeister, die Verbindung des Gantzen
zu besorgen. Man stelle sich aber einen
patriotischen Maurergesellen vor, der es für seine
Pflicht hält, seinen Mitarbeitern überall zu helffen.
Hier setzt er am Ende des Gebäudes einen Stein
für einen seiner Gehülffen ein; nun eilet er nach
dem andern Ende, um dem zweyten eine Kelle
Kalck zuzureichen; er findet unterwegens das
Senckbley, das der Dritte hat liegen lassen, und
suchet ihn auf, ihm solches zu überbringen; aber
indem er sich in alle diese wichtigen Pflichten
zerstreuet, so versäumet er darüber seine ihm
vorgeschriebene Arbeit. |
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Handeln die Publicisten wohl anders, wenn
sie so handeln wie sie reden? Doch zu allem
Glücke nehmen sie sich wohl in Acht, daß man
ihren
Thaten den Vorwurff nicht machen kan, den
ihre Lehren verdienen. Sie sehen es vielleicht
gerne, wenn andere Leute diesem Satze Glauben
beymässen, sowie gewisse orientalische Priester
ihren Völckern die Seeligkeit noch sehr lebhafft
vorzustellen wissen, welche die freywillig
Armen
nach dem
Tode zu
hoffen haben, und dabey so
liebreich sind, die irdischen Güter von jedem
anzunehmen, der sich davon zur Erlangung der
zukünfftigen entledigen will. |
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Hieraus folget, daß der Gelehrte mit Recht
am meisten für sein Vergnügen sorgen, und
solches dem Vergnügen seiner Mitbürger
vorziehen könne. Er handelt hierinnen nicht
anders als seine Mitbürger selbst, und es ist keine
Pflicht vorhanden, die ihn stärcker verbinden solte,
als sie. Wird man denn also den Gelehrten zu
einem Menschenfeinde machen, der aufs höchste
nur mit einigen tiefsinnigen Geistern seiner Art in
Verbindung steht, und sonst dem gantzen
menschlichen
Geschlechte unnütze ist? Im
geringsten nicht. Der Gelehrte brauchet ja in
vielen Stücken keinerley Nothwendigkeiten mit
dem Ungelehrten. Es giebt ja gantze Profeßionen
und Künste, die nur von dem Fleiß des Gelehrten
leben. Und überdieses mag sich der Gelehrte auf
eine Wissenschafft legen, auf welche er will, so
wird sie niemahls gantz und gar ohne Einfluß auch
in den
Vortheil ungelehrter Mitbürger seyn,
ungeachtet es Wahrheiten darinnen geben kan,
wo dieser Einfluß nicht mercklich ist. |
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Es ist aber dem Gelehrten eben so erlaubt,
sich an diesen Wahrheiten zu vergnügen, so
erlaubt es den
Kaufmanne ist, einen Theil seines
Reichthums bloß zu seiner Ergötzung
anzuwenden, wenn er mit dem übrigen dem
Staate Nutzen bringt. Aber ist es nicht besser,
solche Bemühungen vorzunehmen, deren Nutzen
in die Sinne fält, und daran also viele Theil
nehmen, als durch tiefsinnige Wahrheiten nur
weniger erhabener Geister zu vergnügen? |
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Hierbey muß man erstlich dieses anmercken,
daß man denjenigen noch nicht allemahl nützlich
heißt, der andern, gesetzt, daß deren auch viele
wären, Vortheile verschafft. Man stelle sich den
eintzigen Erben eines reichen
Vaters vor. Man
setze, er theile seine Einkünffte so ein, daß er
bloß von denselben lebet, ohne das
Vermögen zu
verringern. In so weit verdienet seine
Haushaltung
Lob. Aber |
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{Sp. 1219|S. 623} |
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man gebe ihm nun keine andere Lebens-Art
als schlaffen, essen und trincken. Wird man
diesen Menschen für nützlich halten, ungeachtet
vielleicht eine Anzahl
Bediente und andere Leute
von ihm Unterhalt und Vortheile haben? Die
blosse Versorgung anderer also machet unsere
Lebens-Art noch nicht nützlich; sondern es
werden gewisse Beschäftigungen darzu erfordert,
die eines Menschen würdig sind; denn die nur
erzehlet worden sind, sind uns auch mit den
Thieren gemein. |
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Kan man wohl aus der Zahl dieser
Beschäftigungen, die man nützlich nennet, die
blosse Übung des Verstandes ausschliessen, da
der Verstand uns am allermeisten von den
Thieren unterscheidet? Derjenige der ihn uns
gegeben hat, schiene in der That etwas
Überflüßiges gethan zu haben, wenn er wolte, daß
wir ihn nicht weiter ausbessern solten, als es zur
Erhaltung unsers Cörpers nöthig ist, da die Thiere
ohne eine so vortreffliche Fähigkeit sich in die
Erhaltung ihres Cörpers eben so glücklich finden,
als wir. Ist uns aber der Verstand deswegen
gegeben, weil wir künfftig zu einer Glückseligkeit
bestimmet sind, die den Thieren versagt ist, und
die weniger auf die Sinne ankömmt, so wird es
auch nicht unnütze seyn, sich schon gegenwärtig
an etwas andere als sinnliche Vergnügungen zu
gewöhnen. |
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Vielleicht aber verbindet die Danckbarkeit
einen Gelehrten seine Kräffte dem Staate
aufzuopffern, der ihn nähret? Allein er genießt ja
die Vortheile, die er von dem Staate zieht, nicht
umsonst. Er erhält von andern nicht mehr, als er
ihnen vergilt. In so fern er also von seinen
Mitbürgern leben muß, in so fern wird er freylich
sich mit solchen Dingen beschäfftigen müssen,
darein sie einen Werth setzen. Weiter aber ist
keine Ursache vorhanden, warum er seine Zeit
andern aufopffern soll, da der schlechteste Bürger
dieses nicht thut, als in so weit ihm seine
Umstände darzu nöthigen. Was findet man also
straffbares in dem Fleisse eines Gelehrten
überhaupt, und warum will man ihm nicht das
Glück gönnen, daß er darinnen sucht? wenn er
nur nicht darbey seine übrigen Pflichten
vergißt. |
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Was bisher gesaget worden ist, rechtfertigt
die Bemühungen der
Gelehrten, in so weit sie als
unnütze von den
Ungelehrten getadelt werden. So
gemein dieser Tadel ist, so würde er doch ohne
Zweiffel noch höher getrieben werden, wenn ein
Ungelehrter zum Unglücke hinter die Zänckereyen
kommen solte, die unter den Gelehrten selbst
wegen des
Nutzens ihrer
Wissenschafften im
Schwange gehen. Da erklärt der Sachwalter die
Bemühungen des
Philosophen für unnütze, der
Philosoph urtheilet ebenso von dem Fleisse des
Lateinischen Critici, und der Criticus giebet diesen
Tadel an den Deutschen Wortforscher weiter. Der
Metaphysicus hält sich über den Poeten auf, und
beyder Unterschied bestehet doch gröstentheils
darinnen, daß des einen Erdichtungen tiefsinnig,
und des andern aufgeweckt sind. Einer glaubet
der Rechtsgelehrsamkeit einen wichtigen
Dienst
geleistet zu haben, wenn er die
Gesetze des
Romulus sorgfältig von den Verfassungen des
Numa unterscheidet, und der andere meynt, die
Rechte mathematisch zu demonstriren, wenn er
aus der Ontologie weit- |
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{Sp. 1220} |
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läufftig darthut: Ein Römischer Bürger habe
das Bürgerrecht verlohren, so bald ihm die
Freyheit
genommen wurde. |
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Man gönnt einem jeden von diesen Leuten
die süssen Einbildungen, die er sich von der
Wichtigkeit seiner Beschäfftigungen macht, wenn
er nur andere darüber nicht verachtet; doch wenn
er sich wie ein irrender
Ritter einen andern in den
Weg stellet, ihn zu zwingen, daß er seine
Printzeßin unbekannter Weise für die schönste
unter der Sonnen erklären soll; so kan er auch
noch das Hertz haben, da ihn seine Beherrscherin
gestärcket, einen Gang mit ihm zu wagen. |
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Nicht alle Wissenschafften haben an einem
Orte den Beyfall, den sie an andern Orten finden.
Die Vornehmsten in Engelland und Franckreich
machen sich eine
Ehre daraus, Beforderer und
Kenner von gewissen Theilen der
Gelehrsamkeit
zu seyn, die man in andern
Ländern den
Schulfüchsen überläßt. Und wenn eine
Wissenschafft nur beliebt ist, so nennet man es
schon nützlich, sich darauf zu legen; denn man
kan dadurch, wie wir reden, sein Glück machen.
Aber ein anderer, dem diese Wissenschafft nicht
so gefällt, ist deswegen nicht zu tadeln, daß er
Beschäfftigungen erwehlt, die ihm vielleicht
anderswo ebenfalls mehr äusserliche Vortheile
erwerben könnten, genung daß er mit dem
Vergnügen, welches ihm seine Wissenschafften
geben, zufrieden ist, und weder Ehre noch
Reichthum verlangt. |
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Denn man sieht bey der Belohnung der
Wissenschafften und Künste nicht allezeit darauf,
wie wenig man sie entbehren kan. Welcher
Künstler würde sonst vor einem Ackersmanne den
Vorzug fordern können? Vielmehr mißt man den
Werth einer gewissen Bemühung nach der
Geschicklichkeit und nach dem Verstande ab, die
darzu erfordert werden, insbesondere, wenn die
Würckung dieser Bemühung auch in die Sinne
fällt, und hierdurch Leute ergötzen kan, die ihren
Verstand, sich zu vergnügen, nicht anstrengen
wollen. Darum finden der Mahler, der Bildhauer so
viel Hochachtung. |
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Wenn man also dem Gelehrten nicht allein
das Recht rauben will, das man jeden Menschen
zugesteht, sein eigenes Glück, so weit es ohne
Verletzung anderer geschehen kan, zu befördern;
wenn man nicht den Grundsatz annehmen will,
daß uns der Verstand nur den thierischen
Nothwendigkeiten zu gefallen gegeben sey; wenn
man sich nicht den Weg zu den nützlichsten
Erfindungen verschliessen will, die offt die Frucht
von den so genannten müßigen Betrachtungen
sind, so wird man einem Gelehrten verstatten
müssen, daß bey seinem Studiren das Vergnügen
sein Hauptwerck sey. |
Belust. des Verst. und Witzes
… |
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