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Zedler: Krafft [1] HIS-Data
5028-15-1662-6-01
Titel: Krafft [1]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 15 Sp. 1662
Jahr: 1737
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 15 S. 827
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Übersicht
Definition
Kennzeichen
Einteilung
  historische Erkenntnis der Wirkungen
 
  Methode
  Zweierlei Arten
 
  Repräsentation
 
  metaphysische Kräfte
  bewegende Kräfte
  Kräfte der Seelen und bewegende Kräfte
  animalische Kräfte
 
  Kohäsion
  physikalische Kräffte
 
  Schwere
  elastische Kraft
  elektrische Kraft
  magnetische Kraft
  anziehende und abstoßende Kräfte
  Kohäsions-Kraft
  abstoßende Kräfte
  chemische Kräfte
  erwärmende Kraft
  zerstörende Kräfte
  widerstehende Kräfte

Stichworte Text Anmerkungen
Definition Krafft, Lat. Vis, ist in dem allgemeinen Verstande dasjenige, welches den zureichenden Grund in sich hat, warum in einem Dinge der Zustand desselbigen geändert werde.  
  Nehmlich der Zustand eines Dinges ist die Bestimmung des veränderlichen, so an demselbigen Statt finden kann. Also wenn ein Cörper, den wir bey finstrer Nacht nicht sehen konnten durch die Gegenwart eines leuchtenden Cörpers uns unsichtbar[1] wird; so saget man, er sey dadurch in den Zustand der Sichtbarkeit gesetzet worden. Derselbige Cörper konnte sichtbar und unsichtbar seyn,
[1] HIS-Data: erster Buchstabe in der Vorlage verderbt; inhaltlich richtig: sichtbar
  {Sp. 1663|S. 828}  
  nach dem das Licht, so ihn erleuchtete, entweder gegenwärtig oder abwesend war. Dahero ist das sichtbar oder unsichtbar seyn an demselbigen Cörper etwas veränderliches, so nicht eher als durch die Gegenwart oder Abwesenheit des Lichts determiniret wird. Und auf eben diese Determination gründet sich der Begrieff des Zustandes, in welchem wir einen Cörper oder ein Ding zu seyn richten.  
  Gleicher Gestallt, wenn ein Cörper denenjenigen Ort in dem unbeweglichen Welt-Raume, darinnen er sich befindet, nicht ändert, sondern beständig an seiner Stelle verbleibet, so saget man der Cörper sey in dem Zustande der Ruhe; denn hingegen ein solcher Cörper continuirlich seine Stelle ändert, so leget man ihme einen Zustand der Bewegung zu. Daher der Zustand der Ruhe oder Bewegung darinnen bestehet, daß da bestimmet werde, ob der Cörper an einerley Orte verbleibe, oder seine Stelle continuirlich verändere, als zu welchen beyden der Cörper fähig und folglich das stille liegen und bewegen an dem Cörper selbst veränderlich ist.  
  Wenn eine Veränderung mit dem Zustande eines Dinges vorgehen, oder wenn ein Ding, das sich ietzo in einem gewissen Zustande befindet, in einen andern gebracht werden soll, so muß nach dem Satze des zureichenden Grundes, etwas vorhanden seyn, in welchen eben der zureichende Grund enthalten ist, warum sich diese Veränderung zutrage. Also bey dem obgedachten sichtbar werden eines Cörpers, war die Gegenwart des leuchtenden Cörpers Schuld daran, daß uns jener sichtbar wurde; removirte man dieses, wurde der Cörper wieder unsichtbar; folglich war mit der Gegenwart und Abwesenheit des Lichts der Zustand der Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit des Cörpers verknüpfet. Eben so wenn ein Cörper in Ruhe liegt, so fängt er von sich selbst nicht an, sich zu bewegen, sondern es muß etwas vor handen seyn, so ihn aus diesem Zustande seiner Ruhe bringet, in dem ihn z.E. ein anderer bewegter Cörper stösset, und ihm dadurch eine Bewegung mittheilet.  
  Dasjenige, was den zureichenden Grund in sich enthält, warum ein Cörper aus diesem Zustande in einen andern gebracht werde, wird eine Krafft genennet. Also leget man dem Lichte eine erleuchtende Krafft bey, weil es fähig ist, durch seine Gegenwart den Zustand der Unsichtbarkeit des Cörpers in den Zustand der Sichtbarkeit zu verwandeln. Von dem bewegten Cörper saget man, er habe eine Krafft gegen den stille liegenden Cörper ausgeübet, da er dessen Zustand der Ruhe geändert, und solchen in Bewegung gebracht hat.  
Kennzeichen Das Kennzeichen demnach von der Gegenwart einer Krafft kommt darauf an, daß wir Acht geben, ob der Zustand eines Dinges verändert werde. Denn wo dieses sich ereignet, müssen wir also bald eine Krafft zugeben, welcher der Grund dieser Veränderung des Zustandes zuzuschreiben ist. Wenn wir die Dinge, so in der Welt vorhanden sind, in Erwegung zühen, so befinden wir an ihnen, daß ihr Zustand auf über aus viele Art verändert werden könne, welches ohne zureichenden Grund und  
  {Sp. 1664}  
  Gegenwart einer Krafft nicht geschehen kan. Ja den zureichenden Grund derer Veränderung derer Dingen untersuchen, ist eben dasjenige, was man die Erforschungen der Natur derer Dinge nennet; wie denn die Natur in dem allgemeinen Verstande nichts anders ist, als der Inbegrieff aller Kräffte, wodurch die Veränderungen derer Dinge in der Welt zu Wege gebracht werden.  
  Hieraus kan man leichtlich ermessen, wie weit sich die Betrachtung derer Kräffte erstrecke, und daß überaus viel dazu erfordert werde, eine rechte Erkenntniß dererselbigen zu erlangen. Wir sehen so unzählich viele Arten derer Veränderungen in der Welt, und so vielerley Kräffte müste man auch zugeben, welche dieselbigen herfürbrächten; woferne man nicht durch Gegeneinanderhaltung derer Effecte, welche sothane Kräffte hervorbringen, eine Ähnlichkeit unter ihnen wahrnehme, von welcher wir mit Recht auf die Ähnlichkeit derer Kräffte, die sie produciret haben, argumentiren und als einen Grundsatz in der Philosophie zum voraus setzen, daß Effecte von einerley Art auch einerley Ursache haben müssen.  
Einteilung Durch diesen Grundsatz ist man in den Stand gerathen, die Kräffte in gewisse Classen einzutheilen und sich einen allgemeinen Begieff von ihnen zu machen. Der Grund ihrer Eintheilung bereuhet in der verschiedenen Beschaffenheit derer Würckungen, welche sie verrichten.  
historische Erkenntnis der Wirkungen Es wird dahero eine genugsame historische Erkenntniß derer Würckungen, die in der Natur sich begeben, erfordert, um diese Eintheilung gehöriger Massen auszuführen.  
  Nun ist es zwar heute zu Tage durch vielen Fleiß geschickter Männer dahin gediehen, daß wir einen ziemlichen grossen Vorrath von solchen Würckungen vor uns haben, durch deren Vergleichung man zu der Erkenntniß derer Kräffte gelangen könnte; allein dieser Vorrath ist bey weiten noch nicht hinlänglich, eine genaue Erkenntniß derer Kräffte zu etabliren; dahero man auch noch immer dahin bemühet ist, durch Observationes und Experimenta dasjenige zu erforschen, was die Natur uns entweder freywillig, oder, in dem sie dazu angereitzet wird, offenbaren will.  
  Und was das meiste ist, so sind sehr viele, ja fast die meisten von denen Würckungen, von welchen wir eine historische Erkenntniß haben, in so vielerley Umstände verwickelt, daß es überaus schwer, ja öffters unmöglich fallen will, sie auseinander zu wickeln, und dadurch zu bestimmen, zu welcher Classe eigentlich die Kräffte, welche dieselben Würckungen hervorgebracht haben, gehören. Und dieses ist es, warum aufrichtige Philosophen offenhertzig gestehen müssen, daß noch überaus viele Kräffte der Natur uns verborgen seyn, und wie schwer es zugehe, eine genaue Untersuchung derer Kräffte anzustellen; als woher es auch kommt, daß in der natürlichen Erkenntniß derer Dinge überaus vieles noch auf Probabilitaeten beruhe.  
  Doch ist der unermütete Fleiß geschickter Philosophen in Untersuchung derer Kräffte nicht gäntzlich fruchtloß gewesen, daß man die vornehmsten Kräffte der Natur noch so ziemlich in gute Ordnung gebracht, zu welcher Untersuchung ihnen vornemlich dieser  
  {Sp. 1665|S. 829}  
Methode Vorsatz zu Statten gekommen, daß ihm die Existenz und Beschaffenheit einer Krafft aus denen simplesten und vom vielen andern Umständen entblößten Phaenomenis ausfündig gemacht, hernach die andern ähnlichen Phaenomena mit denen zuvor entdeckten Conditionen der Krafft verglichen und untersuchet haben, ob auch selbige von dieser Krafft haben hervorgebracht werden können, und ob dieselbigen Conditiones der Krafft auch richtig aus denen Phaenomenis sind gefolgert worden oder nicht, welches man hat probiren können, in dem man aus denen Conditionen der Krafft gewisse Würckungen, die sie unter gewissen Umständen hervorbringen müsten, durch Vernunfft-Schlüsse gefolgert; hernach durch Experimente derselbigen Krafft Anleitung gegeben, daß sie unter solchen Umständen eine solche Würckung hat herfürbringen müssen, da denn die Erfahrung den Ausspruch gethan, ob man die Eigenschafften selbiger Krafft richtig erkannt habe oder nicht:  
  Diese Methode ist der rechte Weg gewesen, auf welchen man in denen neuern Zeiten die Spuhr von einer wahrhafften Erkenntniß derer Kräffte angetroffen hat; da man zuvor durch viele Jahrhunderte solche völlig aus den Augen gesetzet, und nach dem man aus einigen Phaenomenis eine Ähnlichkeit derer Kräffte geschlossen, sich Elementa, Atomos, Geister und andere allgemeine Principia fingiret, denen man diese und jene Würckung in der Natur Schuld gegeben; und die Explication davon so abgeschmackt und nach ihrer Willkührlichkeit beygebracht, daß man sich heut zu Tage billig darüber verwundern muß, wie viele von denen alten Philosophen, die doch in andern Disciplinen überaus gute Progressen gemacht, nach so einer schlechten Methode die Untersuchung derer Kräffte angestellet.  
  Hypotheses fingiren, und die Natur gleichsam dazu neigen, daß sie sich nach diesen eingebildeten Hypothesibus in Hervorbringung ihrer Würckungen richten solle, wie viele auch unter denen neuern bey Erklärung ihrer Experimente thun, ist eine Sache, die einer genauen Erkenntniß der Natur und ihrer Kräffte nicht anders als höchst schädlich seyn kan.  
  Fragt man nun, wie vielerley Kräffte denn die neuern Philosophen nach oben angeführter Methode ausfündig gemacht? so würde es überaus weitläufftig fallen, diese Frage gehöriger Massen zu beantworten, in dem man einige davon zwar in gute Ordnung gebracht; bey denen meisten aber hat es noch nicht angehen wollen, die selbigen in allgemeiner Classen zu rengiren.  
Zweierlei Arten Hauptsächlich ersehen wir zweyerley Arten Kräffte in der Natur die in Ansehung derer Würckungen, die sie hervorbringen, sich von ein ander überaus distinguiren. Bey der einen Art bestehet der Effect in einer Repraesentation; bey der andern in einer Bewegung.  
Repräsentation Eine Krafft von der erstern Art schreibet man denen Seelen derer Menschen und Thieren zu, da man ihnen eine Krafft zu empfinden, oder sich eine Vorstellung von einem Dinge zu machen, eine Einbildungs-Krafft, eine Gedächtniß-Krafft, und bey der Seele des Menschen eine Krafft zu gedencken, und zu reflectiren und so ferner beyleget.  
  Die Regeln oder Gesetze, nach welchen sich diese Kräffte in ihrer Thätig-  
  {Sp. 1666}  
metaphysische Kräfte keit richten, haben die Philosophen jeder Zeit zu untersuchen sich bemühet, und solche in denen metaphysicalischen moralischen und logicalischen Schrifften abgehandelt; daher sie auch Regulae Logico-morales; diese Kräffte aber selbst Vires metaphysicae genennet werden.  
bewegende Kräfte Die Kräffte von der andern Classe heissen Vires mouentes, bewegende Kräffte, welche, wenn sie in einem Cörper würcken, in demselbigen eine Translation aus einem Orte in den andern, das ist, eine Bewegung verursachen, welches ohne eine Succession nicht geschehen kan, Massen ein Cörper nach und nach aus einem Orte in den andern gelanget, und es eine Contradiction involviren würde, wenn man einen Cörper gleicher Zeit an zwey diversen Örter concipiren wollte.  
  Wir sehen, daß eine dergleichen Bewegung erfolget, wenn man einen Cörper anstosset oder wenn ein anderer bereits bewegter Cörper an einem ruhenden anrennet, wodurch dieser eine Bewegung erhält; daß folglich durch eine Bewegung bey den Conflictu dem ruhenden Cörper eine Krafft sich zu bewegen mitgetheilet werden kan.  
Kräfte der Seelen und bewegende Kräfte Wenn man diese Dinge, so man bey denen bewegenden Kräfften in Ansehung der Succession und daß durch eine Bewegung eine Krafft zu bewegen erreget werden könne, mehr nimmt, mit denen Eigenschafften der vorhin angeführten Kräfften der Seelen in Erwegung ziehet, so könnte man auf die Gedancken gerathen, ob nicht diese beyden Arten Kräffte unter einerley Classe, und die Kräffte der Seelen zugleich mit unter die bewegenden Kräffte gezählet werden könnten.  
  Wenn man auf die Umstände Acht giebet, die uns vorkommen, wenn die Seele eine Empfindung hat oder gedencket; so müssen wir zugestehen, daß solches nach und nach geschehe, und sich folglich hier eben Falls, wie bey denen bewegenden Kräfften eine Succession ereigne. Sehen wir auf die Art des Empfindens der Seele, so befinden wir, daß durch die äusserliche Sinne der Seele dazu Anlaß gegeben werde. Wenn wir sehen sollen, so muß ein Liecht-Strahl die Retinam unsers Auges in eine vibratorische Bewegung setzen, und dieser respondiret die Repraesentation eben desselbigen Objecti, so in das Auge strahlet, in unseren Seele. Wir empfinden einen Schall, wann ein vibrirender Cörper die Lufft in eine Wellenartige Bewegung bringet, welche das Tympanum unsers Ohrs tremulirend machet, und mit einer solchen verschiedenen Tremulation harmoniret, auch eine verschiedene Empfindung des Schalls in unserer Seele.  
  Sollte sich hier nicht eine Ähnlichkeit zwischen denen Kräfften der Seelen und denen bewegenden Kräfften finden? die letztern können, obberührter Massen, durch eine Bewegung erreget werden, daß sie in einem Cörper zu Activitaet gelangen, wenn ein anderer bewegter Cörper in solchen würcket. Bey dem Sehen, Hören und andern sinnlichen Empfindungen befinden sich unsere Organa sensoria in einer Bewegung, und mit dieser ist die Empfindung in unserer Seele verknüpffet. Sollte vielleicht die Activitaet der Krafft unserer Seelen von dieser Bewegung derer äusserlichen Sinne erreget werden? Wir wissen zwar keine  
  {Sp. 1667|S. 830}  
  Translationem Loci, so durch diese erregte Krafft unserer Seelen bewerckstelliget würde; allein von unserer Unwissenheit können wir auf das Nicht seyn nicht argumentiren.  
  So lange uns der Nexus des Cörpers und der Seele verborgen ist, so lange scheinet es, als wann weder pro non contra hiervon was zu sagen wäre. Die Frage ist zwar subtil, könnte aber so wohl erörtert werden, als man durch die bekannten Systemata des Influxus physici, caussarum occasionalium harmoniae praestabilitae, den Nexum Corporis et Animae per hypotheses zu zeigen sich bemühet hat; welches aber hieher nicht gehöret, wo wir die allgemeinen Eigenschafften derer Kräffte, und zwar derer bewegende Kräffte untersuchen wollen; da das übrige billig dahin gehöret, wo die Eigenschafften unserer Seele, und anderer so genannten geistigen Wesen untersuchet werden.  
animalische Kräfte Wo gehören aber diejenigen Kräffte hin, die wir bey denen Thieren, Pflantzen Mineralien und andern irdischen Cörpern wahr nehmen, Vermöge welcher sie Actiones zu verrichten, ingleichen zu wachsen und andere Dinge von ihrer Art zu erzeugen in den Stande seyn? Was ist der Spiritus animalis, welcher die Musceln eines thierischen Cörpers der Gestallt dirigiret, daß so vielerley Arten der Bewegung in denen organis desselbigen erfolgen, und Vermöge welcher die Thiere allerhand Bewegungen in anderen Cörpern hervorzubringen vermögend sind, von welchen man saget, sie wären von denen viribus animalibus erreget worden? Was ist dasjenige in einem thierischen Cörper, wodurch derselbige, wenn er von äusserlichen Dingen unterhalten wird, wächset und zunimmet; und was vor eine Krafft lieget in ihnen verborgen, Vermöge, welcher sie in dem Stande sind, Dinge von ihrer Art zu erzeugen, daß nehmlich Menschen wiederum Menschen, Hunde ebenfalls Hunde, u.s.w. zeugen?  
  Was ist die Anima vegetativa bey denen Pflantzen, durch welche dieselbigen wachsen und Frucht bringen, in welchen wiederum Saamen enthalten, aus welchen Pflantzen von ähnlicher Art wieder erzeuget werden können? was ist dasjenige bey denen Metallen und andern Mineralien, wodurch solche in der Erde erwachsen? Was ist der von denen Chymicis sogenannte Spiritus Rector, welchen man bey jeglichen Thiern, bey jeglicher Pflantze, bey jeglichen Cörper von besonderer Beschaffenheit antrifft, und wodurch sich das Genie eines ieglichen Cörpers von dem anderen genau distinguiret ? sind dieses nicht alles Kräffte der Natur?  
Kohäsion Daß diese unter die bewegenden Kräffte gehören, läßt sich eher, als oben von denen metaphysickalischen Kräfften behaupten. Die Vires animales, weil sie in andern Cörpern eine Bewegung hervorbringen können, muß man allerdings unter die bewegenden Kräfften zählen. Das Wachsthum eines thierischen Cörpers und Pflantze, geschiehet per succesivam Concrescentiam derer Theile von andern Cörpern, die in selbige gebracht werden, welche Concrescentiam man wohl von solchen Kräfften herzuleiten nöthig hat, die man Vires Cohaesionis zu nennen pfleget. Das Wachs-  
  {Sp. 1668}  
  thum derer Mineralien wird eben Falls durch die Vires Cohaesionis bewerckstelliget, wenn durch das unterirdische Feuer Vapores Pyritis, die aus vielerley Materien bestehenden Fossilien soluiret werden, und nun die Partes magis homogenae, indem sie sich von denen Banden anderer heterogenearum partium losgerissen, Vermöge ihrer zusammenhangen Krafft zusammen gehen, und dadurch einen neuen Cörper formiren, der von denen vorigen Fossilien unterschieden ist.  
  Nun sind die Vires Cohaesionis bewegende Kräffte, wie bald erhellen soll; derowegen werden auch angeführte Kräffte unter die bewegenden zu zählen seyn. Der Spiritus Rector derer Chymicorum giebet sich durch den Geschmack, oder Geruch zu erkennen, und distinguiret dadurch die Cörper von einander. Weil er nun dadurch in unsere Organa sensoria würcket, diese aber bey ihrer Empfindung in einer Bewegung sich befinden, wie die Erfahrung an die Hand gibet; so siehet man, daß dem sogenannten Spiritui Rectori eine Krafft, etwas zu bewegen, beyzulegen sey.  
  Was aber dasjenige vor eine Krafft sey, welche in denen Thieren und Pflantzen bewerckstelliget, daß sie ähnliche Dinge wieder erzeugen, und hervor bringen, ist eine überaus schwäre Sache, nur einiger Massen zu erzählen. Man saget zwar, die Constitution eines ieglichen Cörpers, und die Gefässe desselbigen, darinnen dergleichen Erzeugung geschiehet, ist in einem ieden Cörper besonders, von welcher Diversität auch der Unterscheid des erzeugten herrühret. Jedoch diese Constitution kan ohne eine thätige Krafft nichts vor sich hervor bringen, und diese thätige Krafft muß in andern und andern Cörpern, anders und anders beschaffen seyn, weil die Würckung derselbigen verschieden.  
physikalische Kräffte Allein eben von der Natur dieser Krafft, wissen wir überaus wenig, doch scheinet sie eben Falls unter die bewegenden Kräffte mit zu gehören, weil von ihr die Formation eines Cörpers, unter einer gewissen Gestallt, herrühret. Diese bisher angeführte Kräffte, werden von einigen Vires physicae, oder physicalische Kräffte genennet, in dem sie einigen physicalischen Cörpern im gantzen, und in ihrer völligen Constitution zukommen, und dieselbigen dadurch wesentlich von andern unterscheiden; in dem z.E. ein Feigen-Baum nur in so weit fähig ist, Saamen von seiner Art zu bringen, wenn er aus seinen wesentlichen und gesunden Theilen bestehet, und in dem Erdreiche sich befindet, und hinlängliche Nahrung erhält; da hingegen, wo etwas von diesen mangelt, auch keine Erzeugung Statt finden wird.  
  Wenn wir in Untersuchung derer Kräffte weiter gehen, und die Veränderungen bey solchen Cörpern, die wir als tod anzusehen pflegen, examiniren, so werden wir überaus viele Kräffte an ihnen wahrnehmen, die sich unter allen am deutlichsten, als bewegende Kräffte, zu erkennen geben. Bey allen Cörpern, mit denen wir Experimenta anstellen können, treffen wir eine Bemühung an, niederwärts gegen die Erde, oder viel mehr gegen den Mittel-Punct der Erden, sich zu bewegen, welche Bewegung auch würcklich zu Stand gebracht wird, wo-  
  {Sp. 1669|S. 831}  
  fern nicht etwas vorhanden ist, so sie an diesem Niedersteigen hindert. Ein Stuck Bley, so man zwischen zweyen Fingern hält, ziehet unsere Hand niederwärts, und so bald man das Stück Bley von denen Fingern los lässet, fällt es würcklich darnieder, und zwar nach einer Direction, so perpendicular auf den Horizonte stehet, welche folglich, weil unsere Erde bey nahe eine Kugel ist, durch den Mittel-Punct derselbigen gehet.  
Schwere Diese Bemühung eines Cörpers gegen den Mittel-Punct der Erden sich zu bewegen, heisset die Schwäre eines Cörpers, und giebt dadurch, was sie hervor bringen sich bemühet, gnugsam zu erkennen, daß sie eine bewegende Krafft sey. Einige Cörper haben eine solche Beschaffenheit, daß, wenn sie von einer andern Krafft gespannt, gedehnet, oder zusammen gedruckt werden, sich alsbald wieder in den vorigen Zustand, darinnen sie vor dem Drucke, oder Spannung waren, sich begeben, so bald ermeldete Krafft zu spannen, oder zu drucken aufhöret.  
  Ein Bogen, wenn man ihn mit der Hand spannet, springet alsbald wieder zurücke, so bald man die Hand weg thut. Ein Ballon, so zusammen gedrucket wird, erlanget seine vorige Figur, wenn man zu drucken aufhöret. Eine Saite, die man ausdehnet, ziehet sich wieder zusammen, wenn man sie zu dehnen nachlässet. Durch das Spannen, Dehnen, Drucken, wird der Cörper in einen gewissen Zustand gesetzet, da aber der Cörper nicht darinnen verharret, sondern sich wieder in den vorigen Zustand setzet, so muß in dem Cörper etwas seyn, so diese Veränderung des Zustandes würcket.  
elastische Kraft Es wird dasselbige die elastische Krafft eines Cörpers genennet, und gehöret eben Falls unter die bewegende Kräffte, Massen sie z.E. die zusammen gedruckten Theile des Cörpers von einander bringet, welches ohne Bewegung nicht geschehen kann.  
  Einige Cörper haben diese Eigenschafft an sich, daß, wenn sie starck gerieben worden, sie einige Cörper von weiten an sich zu ziehen, und in Bewegung zu setzen, vermögend sind. Ein gläsern Rohr, ein Stück Agt-Stein, Siegellack, wenn man solches starck reibet, daß es sich erhitze, ziehet kleine Stücklein Papier, oder Gold-Blätgen, und andere leichte Cörper an sich.  
elektrische Kraft Dasjenige, was bey dergleichen Cörpern unter diesen Umständen eine Bewegung hervor bringet, wird eine electrische Krafft genennet, und erweiset sich durch ihre Würckung, als eine bewegende Krafft. In dem Magnet trifft man ein besonderes thätiges Wesen an, welches sich auch nur gegen einen andern Magnet, und gegen das Eisen thätig erzeiget, indem ein Magnet einen andern, nach gewissen Umständen, entweder an sich ziehet, oder von sich wegjaget, das Eisen hingegen an sich ziehet.  
magnetische Kraft Ein dergleichen in einem Magnete befindliche Krafft, wird nach ihm eine magnetische Krafft genennet, und zählet sich eben Falls unter die bewegenden Kräffte. Sie ist von der electrischen Krafft darinnen unterschieden, daß sie sich nur bey dem Magnete äussert, und sich thätig erzeiget, ohne, daß der Magnet zuvor gerieben werden darff, wie bey der Erregung der  
  {Sp. 1670}  
  electrischen Krafft nothwendig geschehen muß.  
anziehende und abstoßende Kräfte Wenn wir fortfahren, die Eigenschafften derer Cörper in so ferne sie sich thätig erweisen, zu untersuchen, so treffen wir bey ihnen noch eine überaus grosse Menge von Kräfften an, die zwar in verschiedenen Cörpern, unter verschiedenen Umständen, sich äussern, und aller Dings von einander unterschieden sind; je doch darinnen mit einander überein kommen, daß sie, wenn die Cörper, denen sie beywohnen, einander nahe kommen, dieselbigen sich entweder an einander hangen, zusammen gehen, sich einander anziehen; oder auch sich von einander weg treiben, oder weg jagen; dahero auch jene Vires Cohoesionis, attractiuae; diese Vires fugae, repellentes genennet werden.  
Kohäsions-Kraft Die Theile eines ieglichen Cörpers hangen aneinander, und ist öffters eine grosse Krafft von Nöthen, sie voneinander zu reissen. Was sich einer Krafft entgegen setzet, und dieselbige in der Erzeugung ihre Würckung hindert, muß selbst eine Krafft seyn, in dem sie das jenige continuirlich wieder zu nichte macht, was jene bewerckstelligen will. Da nun die Theile eines Cörpers, in dem sie von einander getrennet werden sollen, sich dieser Zertrennung wiedersetzen, so muß etwas in ihnen seyn, womit sie sich zusammen halten, das ist, sie hangen an einander vermittelst einer gewissen Krafft, so eben ihre Cohaesions-Krafft genennet wird.  
  Wenn Silber in Scheide-Wasser solviret wird, so vertheilen sich die kleinsten Theile des Silbers, unter die Theile des Scheide-Wassers, und hangen an selbigen feste, ungeachtet sie an- und vor sich, Vermöge ihrer grössern Schwäre, untersincken können, wie sie solches in andern flüssigen Materien, z.E. Wasser thun. Es muß dahero dem Scheide-Wasser eine Krafft beywohnen, daß solche das Silber an sich ziehen, und verursachen kan, daß es an ihm hangen bleibe. Hier findet wieder eine Cohaesions-Krafft Statt: Zwey Tropffen Quecksilber, wenn sie auf einer polirten gläsernen Tafel nicht allzu weit von einander gestellet werden, nahen sich gegen einander, und umflüssen sich. Hier erkennet man die Cohaesions-Krafft, als eine bewegende Krafft, unter welcher Gestalt sie sich ebenfalls in andern Fällen verhält, nur, daß solches nicht alle Mahl so deutlich in den Sinn fällt.  
abstoßende Kräfte Bey der Decrepitation des Saltzes, bey der Detonation des in Fluß gebrachten Salpeters, bey der Dispersion des geschmeltzten Kupfers, wenn kaltes Wasser hinein gegossen wird, und so ferne trifft man eine solche Art bewegende Kräffte an, die man ihrer Würckung wegen, als Vires repellentes zu betrachten hat.  
chemische Kräfte Und so giebt es in überaus vielen Fällen, besonders bey denen Chymischen Operationen, solche Begebenheiten, da wir zugeben müssen, daß Kräffte vor Handen sind, von welchen sie dependiren, und welche Kräffte auch von allen anderen sich distinguiren; allein, eine genaue Erkänntniß dieser Kräffte, wie wir solche etwa von denen Kräfften der Schwere, des Elateris, u.s.f. in einen ziemlich grossen Gradu erhalten haben, ist bis ietzo noch unter die pia Desideria zu rechnen. Phaenomena davon sind genug vor Handen,  
  {Sp. 1671|S. 832}  
  allein unter gewisse allgemeine Geschlechter, wollen sich dieselbigen noch nicht hinlänglich vertheilen lassen. Und man kan das Geschlechte derer Virium Cohaesionis et Fugae in der Physic als ein Asilum Ignorantiae ansehen, wohin man diejenigen Kräffte versetzet, von deren Beschaffenheit man noch keine hinlängliche Ursache anzugeben vermögend ist.  
erwärmende Kraft Gehen wir in der Natur weiter, so finden wir in denen meisten Cörpern etwas, welches, wenn es durch gewisse Umstände zur Activität gelanget, die Cörper ausdehnet, auch öffters die Theile desselbigen in eine gewisse Art der Bewegung setzet, die unsern Sinnen eine gewisse Empfindung beybringet, so wir Wärme zu nennen pflegen. Man nennet dasselbige Ding in denen Cörpern das elementarische Feuer, und leget ihm eine erwärmende Krafft bey, die, weil sie den Cörper ausdehnen, und in eine zitterende Bewegung bringen kan, gleich Falls unter die bewegenden Kräffte gehöret.  
  Will man die Kälte als etwas positiues ansehen, so mit der Wärme in unaufhörlichen Streite liege, und als eine Vis destruens derselbigen sich erzeiget; wie der Titel Kälte, Tom. XV. p. 21. seq. dazu Anlaß geben könnte, so müste man dieselbige eben Falls unter die bewegenden Kräffte zählen, in dem sie nicht nur die Cörper contrahiret, sondern auch die von der Wärme in denen Theilen des Cörpers erregte zitterende Bewegung hemmet.  
  Man hat nehmlich die Gegenwart einer Krafft nicht nur daraus zu beurtheilen Ursache, wenn wir sehen, daß der Zustand eines Dinges verändert, und eine Würckung hervorgebracht werde, sondern man muß auch auf selbige argumentiren, wenn wir wahr nehmen, daß eine von einer andern Krafft bewerckstelligte Würckung wiederum vernichtet, oder eine Krafft an der Erzeugung ihrer Würckung verhindert wird; sintemahl wir in beyden Fällen etwas thätiges concipiren müssen, wodurch der Zustand einer bereits hervorgebrachten Würckung wieder verändert werden, oder der arbeitenden Krafft Einhalt geschehen könne.  
zerstörende Kräfte Kräffte von dergleichen Art pfleget man Vires destruentes oder resistentias zu nennen. Und unter dieser Betrachtung kan eine Krafft bald eine bewegende, bald eine wiederstehende Krafft seyn, nachdem dieselbe mit anderen Kräfften in Collision gebracht wird.  
widerstehende Kräfte Wir haben gesehen, daß die Schwere eine bewegende Krafft sey; wenn man nun einen schweren Cörper in die Höhe heben will, so empfindet man einen Widerstand, der aus der Schwere des Cörpers seinen Ursprung nimt; da nun diese Schwere jetzo der thätigen Krafft des Menschen, der den Cörper heben will, sich widersetzet; so erzeuget sie sich unter diesen Umständen als eine wiederstehende Krafft; und können folglich auch bewegende Kräffte zu widerstehenden werden, wann sie miteinander dergestallt in Collision gerathen, daß eine die Activitaet der andern zu verhindern fähig ist.  
     

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Stand: 3. April 2013 © Hans-Walter Pries