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Zedler: Wissenschafften [15] HIS-Data
5028-57-1399-1-15
Titel: Wissenschafften [15]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 57 Sp. 1505
Jahr: 1748
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 57 S. 766
Vorheriger Artikel: Wissenschafften [14]
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  Text   Quellenangaben
  Wissenschafften, ob dieselben ewig sind?  
  Endlich beschliessen wir diesen Artickel mit der Frage: Ob die Wissenschafften ewig sind? Das Wort ewig nehmen wir hier in seiner völligen Weite. Es bedeutet eine Zeit ohne Ende. Es wird demnach hier behauptet, daß die Wissenschafften nicht nur in Ansehung ihres Nutzens, sondern auch an sich selbst durch alle unendliche Zeitläuffe der Ewigkeit fort dauren, und gewissermassen steigen werden. Wir setzen also voraus, daß es eine Ewigkeit giebt, daß die Menschen ewig leben, daß die Seligen sowohl in der Erkenntniß, als auch in der Seligkeit und dem Vergnügen wachsen werden.  
  Andere haben diese Sätze schon erwiesen, und uns wäre es zu weitläufftig, die Beweise hier zu wiederhohlen. Doch werden wir Gelegenheit haben, den letzten Satz hier noch klärer und gewisser zu machen.  
  Wissenschafft, so ferne wir sie in dem Menschen betrachten, ist ein gründliches Erkenntniß eines Dinges, oder die Fertigkeit des Verstandes, alles, was man behauptet, aus unwiedersprechlichen Gründen darzuthun. Leben die Menschen ewig; so behalten sie auch ihren Verstand. Dieser muß mit seinen Fertigkeiten gewiß nicht ab, sondern vielmehr zunehmen. Besitzen viele Menschen schon hier ein gründliches Erkenntniß vieler Dinge; so muß diese Erkenntniß in der Ewigkeit noch gründlicher werden, und sich auf mehrere Dinge erstrecken. Das wird noch weiter erwiesen werden.  
  Wir reden zwar von dieser Wissenschafft eigentlich in unserem Satze nicht. Doch lieget die-  
  {Sp. 1506}  
  ser Satz: ein verewigter Mensch behält eine gründliche Erkenntniß vieler Dinge ewig, und kan darinn zunehmen; zum Grunde, und wird durch die zu erweisende Wahrheit noch mehr befestiget und aufgekläret. Wissenschafften aber, so ferne sie Gegenstände des menschlichen Verstandes sind, damit er sich beschäfftiget, sind die mancherley Wahrheiten und Lehren, welche der Mensch durch Unterricht, Erfahrung, Versuche, Nachdencken und Fleiß einsehen lernet. Die Lateiner nennen sie Scientias, in eben der Absicht, wie sie die Deutsche Wissenschafften nennen, weil man die Wahrheiten weiß und einsiehet. Und von diesen Wahrheiten behaupten wir nicht nur, daß sie an sich ewig dauren; sondern auch, daß sie den Menschen ewig bekannt bleiben, und sich ihnen immer mehr und mehr entdecken werden.  
  Alle Wissenschafften, Lehren, Wahrheiten und Künste sind aber nicht so beschaffen, daß wir von ihnen die Ewigkeit behaupten können. Einige sind sündlich und unnütz, andere aber gehören nur für dieses Leben. Beyde werden die Seligen nicht treiben, sondern vielmehr vergessen, und aus ihrem Sinne verbannen. Es sind also nur einige, und zwar die edelsten, denen wir das Vorrecht, ewig zu dauren, zuerkennen. Wir werden sie hernach nach der Reihe nennen. Zuvor aber wollen wir erst einige Beweise anbringen, unsern Satz zu unterstützen.  
  Woraus schliessen wir, daß die edelsten Wissenschafften ewig bleiben werden? Aus folgenden Gründen:  
 
1) Aus dem Wesen der Seele.
 
 
  Die Seelen behalten ihren Verstand und dessen erlangte Fertigkeiten ewig. Ihr Verstand wird nichts von vorhergehenden Umständen, wie die Heyden glaubten, vergessen. Wir sehen keine Gründe, warum nicht sowohl die abgeschiedenen Seelen, ihren reinen, als auch die mit dem Cörper wieder vereinigten, ihren sinnlichen, aber erhöheten Verstand behalten solten? GOtt will ja nichts unvernünfftiges im Himmel haben. Die Seligen sollen ja vollkommener werden, folglich können sie ja keine Vollkommenheiten verlieren. Sie bleiben also sich ihrer selbst bewust. Man nehme einem Gaste das Vermögen zu dencken; so nimmt man ihm auch seyn Leben. Herr Meier in Halle, will in einem Glückwunsche an den Herrn D. Baumgarten, nach des Denckens Vollkommenheit gar das Alter der Geister bestimmen.
 
 
  Die Seelen werden also bey ihrem Verstande nicht unwissend, und nicht müßig seyn; sie werden ihre unendliche Zeit nicht mit Trägheit und einerley Beschäftigung zu bringen; sondern sie werden sich mit den edelsten Dingen beschäfftigen, und ihren Verstand noch immer vollkommener machen. Folglich werden sie sich der vorigen Dinge, die zu ihrer Vollkommenheit etwas beytragen, mit Vergnügen wieder erinnern, in viele nun erst eine rechte Einsicht bekommen: Sie werden ihre guten Fertigkeiten vollkommener machen, werden auch dorten vieles zur Vermehrung ihrer Erkenntniß vorfinden.
  Das Wesen eines Geistes bestehet im Dencken und Wollen. Folglich behalten die Seligen ihren freyen Willen. Dieser kan so wenig müßig seyn, als der Verstand. Er liebt GOtt und andere, und wer
 
  {Sp. 1507|S. 767}  
 
  will das leugnen? Dieses aber kan ohne Erkenntniß und Verstand nicht geschehen. Je mehr der Mensch leben wird, destomehr muß er erkennen, und seinen Verstand gebrauchen. Wir reden hier vornehmlich von dem reinen Verstande und von dem deutlichen Erkenntniß, welches die Seele selbst, ohne die Vorstellung der Sinne hat. Unsere Träume lehren uns offte, daß dieselbe nicht gering ist. Doch werden die verkläreten Cörper erhöhete Sinne und reinere Affecten bekommen, und also wird der sinnreiche Verstand nicht nur bleiben, sondern auch edler werden, und den Willen ohne Sünde und Irrthum bestimmen. Das alles wird die Freude, die Verherrlichung der Weißheit und Güte GOttes, wie auch sein Lob vermehren.
  Zu dem Willen gehören die Begierden. Es werden so wohl die reinen, als auch die sinnlichen Begierden bleiben, was aber daraus fliesset, wird in folgenden dargethan werden.
 
 
  Wir schliessen es
 
 
2) aus dem Begriffe, den wir von der Seligkeit haben.
 
 
  Das Wesen der Seligkeit bestehet in dem beständigen Genusse eines solchen vollkommensten und immer steigenden Seelen-Vergnügens, welches vernünfftigen Geistern eigenthümlich zugehöret. Die Seligkeit dieser und jener Welt ist keinesweges dem Wesen sondern den Graden nach unterschieden. Der Mensch ist zum Vergnügen erschaffen; Die Begierden sind aber der Grund alles Vergnügens und Schmertzens. Die Seligkeit muß demnach in der allervollkommensten Erfüllung und Sättigung aller ihrer wesentlichen Seelen-Begierden bestehen. Die hat GOtt der Seelen nicht umsonst anerschaffen, sondern, da er sie sättigen, und dadurch den Menschen vergnügt und glückselig machen will.
 
 
  Und kan man nicht mehr Haupt-Gattungen der Begierden, woraus ein sehr mannigfaltiges Vergnügen durch die Sättigung entspringet, als diese fünffe ersinnen:
 
 
 
(1) Der Grund-Trieb nach Glückseligkeit oder uneingeschräncktem Vergnügen. Dieser schliesset in sich ein Verlangen nach Unsterblichkeit; ein Verlangen, wieder Übel gesichert zu seyn, ein Verlangen, unaufhörlich in Beschäfftigung zu leben.
(2) Die Begierde nach Recht und Gerechtigkeit.
(3) Die Begierde nach Freundschafft und Liebe.
(4) Die Begierde nach Vollkommenheit der Seelen-Kräffte, des Verstandes und Willens sowohl in sich, als den andern Geistern.
(5) Die Begierde nach Wahrheit, Ordnung und Einsicht, in den Zusammenhang der Dinge.
 
 
  Die beyden letzten gehen nun auf die Wissenschafften, und den Wachsthum darinn. Eine jede Begierde hat ihren Gegenstand, den GOtt bestimmet: darnach strecket sie sich immer mehr und mehr, je grösser die Fähigkeiten der Seelen werden. Es ist aber kein Grund vorhanden, warum die Seele einmahl aufhören solte, ihre wesentliche Zwecke zu begehren. Ein Wachsthum in der Erkenntniß der Wahrheit ist ins unendliche möglich, und ein jeder Zuwachs macht zu mehrern fähig. Denn eine jede Krafft, die sich durch sich selbst
 
  {Sp. 1508}  
 
  verstärcket, wächst unendlich fort, wenn sie in Bewegung ist.
 
 
  Sollen nun diese Begierden, davon wir hier handeln, gesättigt werden, so muß es mit unendlichen Wahrheiten und Vollkommenheiten des Verstandes geschehen. Da nun die zukünfftige Seligkeit das allervollkommenste Vergnügen ist; so gehören auch die alleredelsten und vortreflichsten Wahrheiten zum Stande der Seligkeit, die die Wißbegierde der Seelen stillen. Also muß sie hier, haben und behalten eine lebendige und sich immerdar vermehrende Erkenntniß der alleredelsten Wahrheiten, deren sie nur nach ihrer Art und erhaltenen Vollkommenheit fähig ist.
Man kan hiervon mehr lesen bey Herr Restel, im Anhange zu dem 8 Capitel des I Theils von B. Lamy Demonstration von der Wahrheit und Heiligkeit der Christlichen Sitten-Lehre.
 
  Stellen wir uns auch
 
 
3) die Gegenstände, womit die Seligen zu thun haben werden, recht vor; so beweisen sie eben das.
 
 
  Der vornehmste Gegenstand ist der unergründlichen GOtt, dann kommen seine Rathschlüsse, Wercke, Wunder und Geheimnisse. Das alles werden sie ja näher, und der Unbegreiflichkeit und unerforschlichen Tiefe wegen, nach und nach besser kennen lernen. Das ist ja eine lernende Beschäfftigung. Das vermehret die Erkenntniß und Wissenschafft.
 
 
  Dorten sind ferner viele tausend Engel und Seeligen. Die wird man von Angesicht und auch ihren Begebenheiten nach erkennen lernen. Eine neuere Vermehrung unserer Erkenntniß! Da werden in den seligen Wohnungen der vollendeten Gerechten manche schöne und herrliche Dinge von GOtt geschaffen seyn. Da wird er einen Rathschluß nach dem andern entwickeln. Da werden ohne Zweiffel die andern ungezehlte Welten und ihre Seltenheiten bekannter werden. O wie vielfach sind die Quellen, daraus der Verstand der Seligen seine vermehrte Vollkommenheiten schöpfen kan! O wie mannigfaltig sind die Seligen, die vergnügenden Dinge und Wahrheiten, welche die Verherrlichten nach und nach erkennen lernen! Wie unermeßlich sind ihre Grentzen in der Länge, Breite, Tiefe und Höhe!
 
 
  daß es aber Stufen in der Seligkeit giebt, haben Wat im Tod und Himmel, Müller in den Stuffen des ewigen Lebens, Restel in den Anmerckungen zu B. Lamy Christlicher Sitten-Lehre, u.a.m. schon hinlänglich bewiesen. Man weiß ja, daß die Vollkommenheit unendliche Grade hat, daß GOtt immer Stuffenweise gehet, daß er unerforschlich und unbegreiflich, daß das Reich der Wahrheit unermeßlich ist, daß der Mensch dorten auch eingeschränckt bleiben und nicht alles mit einmahl durchschauen wird. Allzuviel Licht blendet, und es muß immer etwas zurückbleiben, das den Seligen neue Verwunderung und Freude verursachet.
 
 
  Die Natur der Wissenschafften selbst bestätiget
 
 
4) unsern Satz. Sie bestehen aus Wahrheiten; Diese, und vornehmlich die edleren unter ihnen stammen mit vollkommenen Zusammenhange von GOtt selbst her. Er wird und kan sie nicht auf-
 
  {Sp. 1509|S. 768}  
 
  heben. Sie sind so beschaffen, daß sie dem Verstande ein inniges, ein erlaubtes, ein reines Vergnügen geben. Giebt es himmlische Wahrheiten, womit der Verstand der Seeligen sich beschäfftiget: So werden sie doch mit den irrdischen in Verbindung stehen, sich darauf beziehen, und sie wieder ins Gedächtnis bringen. Denn alle Wahrheiten hangen zusammen. Die Wissenschafften sind Vollkommenheiten, und befördern unsere Vollkommenheit. Die Seligkeit schliest aber eine beständige Vermehrung und Erlangung einer grössern Vollkommenheit, und eines grössern Vergnügens in sich.
 
 
  Die Wissenschafften haben einen guten Zweck. Sie zielen auf den Nutzen des Nächsten, auf unsere Glückseeligkeit, auf die Verherrlichung GOttes. Warum solten sie aufhören? Warum sollen sie denn nicht ewig währen? Und warum solten die Seligen darinn nicht ewig zunehmen, weil sie darinn hier unvollkommen geblieben sind, weil die Wissenschafften einen unendlichen Wachsthum zulassen, und weil die Seligen bey allem ihren Zunehmen niemahls an die unumschränckte Vollkommenheiten GOttes steigen können.
 
 
  Es scheinet, als wenn viele Dinge auch von den Gegenwärtigen ausdrücklich für die Ewigkeit geschaffen worden, und mit Fleiß dafür gesparet werden. Wie vieles ist gegenwärtig um und neben uns, das wir nicht wissen? Wie schlecht sehen wir die kunstreichen Geschöpffe GOttes ein? Und was ist unsern Augen nicht gäntzlich verborgen? Soll das von uns niemahls besser erkannt und eingesehen werden? Hat GOtt seine Kunst umsonst verschwendet? Das ist nicht glaublich. Es muß also eine Zeit kommen, da wir mehr erkennen. Das ist die seelige Ewigkeit: Folglich steiget unsere Wissenschafft, folglich steigen auch die Wissenschafften.
 
 
  Doch wir wollen die Erkenntniß und Wissenschafften selbst erwegen, welche wir der Ewigkeit zusprechen; dadurch viele noch mehr überzeuget werden können.
 
 
  Die Erkenntniß ist dreyfach: Die Historische, Philosophische und Mathematische.
 
 
  Die Historische Erkenntniß wird sich sehr erweitern. Was werden wir für Begebenheiten von Engeln und Menschen, was für Begebenheiten aus dieser Welt von ihrer Gründung an, was für Begebenheiten aus andern Welt-Cörpern, was für Begebenheiten der Ewigkeiten hören und erfahren? Und wenn auch alle Weissagungen erfüllet sind; So können mehrere Weissagungen abermahl unsere Erkenntniß vermehren. Denn es ist wohl zu glauben, daß GOtt noch mehrere Geheimniße und Wunder habe, die er in jener Welt noch uns entdecken und entwickeln wird.
 
 
  Nach der Philosophischen Erkenntniß, da man einsiehet, wie und warum ein Ding möglich ist, werden wir ungemein zunehmen. Wir werden das Wesen, die Möglichkeit und Ursache so vieler Dinge deutlicher einsehen, bessere Merckmahle angeben können, und richtiger schliessen. Denn alles werden wir nicht, wie GOtt, intuitive, ein- und durchschauend erkennen. Es werden also die vielen Irrthümer und Streitigkeiten, die vielen Meynungen und Muthmaßungen wegfallen. Viele Wahrscheinlichkeiten werden gewiß werden. Wir werden den Zusammenhang mehrerer Wahr-
 
  {Sp. 1510}  
 
  heiten vollkommen einsehen. Wir werden die Aussprüche GOttes vollständiger verstehen.
 
 
  Nach der Mathematischen Erkenntniß, da man auch die Verhältnisse der Dinge angeben, und alles genau bestimmen kan, werden die Seeligen vollkommener werden. Denn werden sie erst vollkommen einsehen, wie der Schöpffer alles nach Zahl, Maaß und Gewicht erschaffen habe. Denn werden sie die Höhe und Tiefe, die Länge und Breite der Rathschlüsse und der Liebe Christi zum wenigsten vollkommener einschauen, wenn sie gleich noch nicht alles zu begreiffen fähig sind. Denn GOtt ist an sich wohl, als in seinem Rath und Wercken ewig unergründlich, unermeslich, unbegreifflich.
 
 
  Lasset uns auch die Wissenschafften selbst erwegen, welche, unserer Einsicht nach, im ewigen Leben statt finden können.
 
 
  Von den Sprachen. welche eigentlich nicht zu den Wissenschafften gehören, wollen wir nicht mehr, als dieses setzen; daß sie bleiben können. Die Seeligen werden nicht stumm seyn, sondern ihre Zunge in einer Sprache gewiß zum Lobe GOttes gebrauchen. Was das für eine Sprache sey, wollen und können wir nicht entscheiden. Gesetzt es ist die Hebräische: So wird sie doch mit so vielen Wörtern und Benennungen der unsichtbaren Sachen, mit bestimmten Wörtern und Arten zu reden bereichert seyn, daß sie sich nicht mehr ähnlich ist. Die werden alle Einwohner der Seeligkeit verstehen, und dadurch wird ihre Wissenschafft sehr vermehret werden.
 
 
  Was aber die andern hier üblichen Sprachen betrifft: So gedencken wir dis davon. Bleibt die Seeligkeit sich ihrer bewust, wird sie nicht unvollkommener werden, haben wir mit allerley Völckern von allerley Sprachen Gemeinschafft: So werden nicht nur allerley Sprachen bekannt seyn, sondern auch, aber mit leichter Mühe, verstanden werden. GOtt hat zwar die Vielheit der Sprachen den Menschen zur Straffe eingeführet; sie aber doch hernach öffters zu seiner Ehre und Werckzeuge gebrauchet, und es ist zu vermuthen, er werde die mancherley Sprachen auch in jenem Leben, da sie nun einmahl sind und nutzen können, zu seiner Verherrlichung und zum Vergnügen der Seeligen anzuwenden wissen. Doch, das ist eine Muthmassung, darüber wir nicht streiten wollen.
 
 
  Von den Sprachen kommen wir auf die Wissenschafften selbst, und zwar erstlich zu den so genannten schönen Wissenschafften. Werden die Seeligen das Lob GOttes verkündigen; so wird ihnen die Redekunst nicht unbekannt seyn. Sollen sie GOtt Lob-Lieder singen und spielen; so werden sie an der vollkommensten Dicht- und Tonkunst ihr Vergnügen finden, und desto vollkommener darinnen seyn, je erhabener und reiner die Gemüths-Kräffte, der Verstand, die Einbildungs und Beurtheilungs-Krafft sind.
 
 
  Die Sitten unter den vollendeten Gerechten werden erst recht vollkommen heilig und liebenswürdig seyn. Und die Geschichte mit ihren Töchtern, der Zeitrechnung, den Alterthümern, der Erdbeschreibung, die Geschlecht-Register der Seeligen, so ferne sie in jene Welt gehören, und darinn dienen, werden alsdenn eine anmuthige Beschäfftigung seyn, erst recht zur Gewisheit
 
  {Sp.1511|S.769}  
 
  und Vollkommenheit gebracht, und erst recht zur Ehre und Danksagung GOttes gebraucht werden.
 
 
  Was die Weltweisheit oder Weisheit anbetrifft: So ist GOtt der Allerweiseste warum sollen die Seeligen ihm nicht noch ähnlicher werden? Ihre Vernunfft werden sie denn erst recht gebrauchen. Die Begriffe werden klärer, deutlicher, vollkommener und vollständiger seyn: Folglich werden sie auch mehrere und gewissere Aussprüche thun, und richtiger schliessen können. An der Wahrheit werden sie ein grosses und erlaubtes Vergnügen finden. Sie werden sie unpartheyischer lieben, besser und reichlicher erkennen, und nicht gezwungen werden, sie zur Rechten und zur Lincken, wider Irrthümer, Vorurtheile und falsche Scheingründe mühsam zu vertheydigen. Folglich werden sie ihren Verstand genug und recht gebrauchen. Sie werden sich die heilsamsten Endzwecke vorsetzen, und die besten Mittel erwählen, und niemahls abweichen oder irren, noch gehindert werden.
 
 
  Ohn allen Zweiffel werden die Seeligen die Grund-Lehre, oder die rechten Gründe aller Dinge, die Lehre von dem Weltbau, die Naturlehre, die Sternkunst, die Meskunst mit ihren Theilen, die Geisterlehre, die natürliche Theologie, die Sittenlehre, das Recht der Natur vollkommener einsehen, und sich damit auf eine den verklärten Geistern anständige Weise gern zum Vergnügen, und zum Preiß ihres Schöpffers beschäfftigen. Insonderheit wird ihnen die Lehre von den Geistern erst recht bekannt werden. Die unzähligen Welt-Cörper, ihre natürliche Beschaffenheit, ihre Einwohner, ihre Verknüpffung unter einander, und die Natur der Dinge, die auf unserem Balle befindlich, und die uns grossen Theils noch unbekannt sind, werden ihnen bekannter und jederzeit als Wercke der Allmächtigen Weisheit eine angenehme Beschäfftigung seyn.
 
 
  Was die höhern Wissenschafften betrifft, so werden zwar keine Ärtzte nöthig seyn, weil dorten keine Kranckheiten statt finden. Jedennoch werden diejenigen, welche hier Ärtzte gewesen, kein geringes Vergnügen empfinden, wenn sie in die Natur eine tieffere Einsicht bekommen. Man wird keine Rechtslehrer gebrauchen, die Gerichts-Tage halten, und streitige Partheyen entscheiden, weil Zänckereyen und Proceße hier wegfallen. Dennoch werden sie eine tieffere Einsicht in die vollkommenste Rechte GOttes und in ihrem Zusammenhang erlangen, und sich darüber vergnügen.
  Und die Gottesgelahrheit, die Schriftauslegung, die Christliche Sittenlehre, die Gründe und Erkenntniß dessen, was in der Theologie wahr oder falsch ist, werden hier erst zur Vollkommenheit gebracht werden, und ein angenehmer Gegenstand der Betrachtung ewig bleiben. Es wird auch nicht an einer Art der Lehrer und Vorgänger in dem Dienste und Lobe GOttes fehlen, doch so, wie es der Zustand der vollendeten Gerechten zulässet.
 
 
  Sind das nicht Beschäftigungen genung, die zu den Wissenschafften gehören? Können wir denn also nicht den Satz, daß die Wissen-
 
  {Sp. 1512}  
 
  schafften ewig sind, ja daß sie noch immer vollkommener werden und ewig steigen, behaupten und vertheidigen? Paulus bestätiget unsere Gedancken, und giebt ihnen ein rechtes Gewichte, wenn er 1 Cor. XIII, 8. also nach seiner Sprache schreibet:
 
 
  Die Liebe hört nimmer auf, wenn auch die Weissagungen aufhören werden, oder die Sprachen aufhören werden, oder das Erkenntniß aufhören wird, (wenn man nemlich zur grösseren Vollkommenheit gelanget,) denn unser jetziges Wissen ist Stückwerck, und unser Weissagen ist jetzo nur Stückwerck. Wenn aber das Vollkommene kommen wird; so wird das Stückwerck aufhören. Da ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind, und war klug wie ein Kind, und machte kindische Schlüsse; da ich aber ein Mann ward, that ich ab, was kindisch war.
 
 
  (So wird es alsdenn auch gehen.
 
 
  Wir sehen jetzo durch eine dunckele Fenster-Scheibe in einem Gleichniß: Denn aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ichs Stückweise von vielen: Denn aber werde ichs erkennen, nachdem ich ein grösseres Vermögen zu erkennen erlanget haben werde.
 
 
  Die Worte recht einzusehen, so müssen wir noch folgende Anmerckungen dazu machen:
 
 
 
1) Paulus behauptet, die Liebe höre in Ewigkeit nicht auf, wenn auch das edelste in der Welt, Weissagungen, Sprachen und Erkenntniß aufhören würden. Hiermit behauptet er noch nicht, daß sie aufhören werden; sondern er setzet nur den Fall.
 
 
 
2) Weil er aber diesen Fall gesetzet hatte; so nimmt er Gelegenheit, im folgenden zu zeigen, in welchem Verstande sie aufhören, und wie sie nicht aufhören würden. So wenig also die Erkenntniß an sich aufhören wird; so wenig werden auch die Weissagungen und Sprachen aufhören. Unsere Erkenntniß ist nur Stückwerck, das ist, nach dem Syrischen Übersetzer, wir erkennen jetzt nur wenig von vielen, und weissagen auch nur wenig von vielen. Wenn aber das Vollkommene kommen wird, denn wird das Wenige und das Stückwerck aufhören, dagegen wird das viele da seyn. Folglich werden wir vieles erkennen, und vieles weissagen.
 
 
 
3) Weissagen kan entweder die Auslegung der Schrifft und der Wege GOttes bedeuten; denn diese Gabe wird vollkommen da seyn; oder die Gabe zukünfftige Dinge zu wissen. Diese zukünfftige Dinge können hier schon in der Schrifft dunckel angezeiget worden seyn, oder dorten erst offenbaret werden. Wir können doch behaupten, daß die Gabe der Weissagung vollkommener seyn werde. In der Ewigkeit werden noch viele Geheimnisse, Wunder und Heimlichkeiten erfüllet werden, die zum Theil schon hier in der Schrifft angedeutet worden, oder noch zuvor eröffnet werden dürfften. Den GOtt hat immer die Weise gehabt, daß er in dem gegenwärtigen Zeitlauffe, die Begebenheiten des nächstfolgenden vorher angezeiget hat, davon er in dem nächst vorhergehenden entweder gar geschwiegen, oder nur dunckele Anzeigungen gegeben hatte. In der Ewigkeit werden wir also, was die Schrifft offenbahret, völlig erkennen und auch von den zukünfftigen Zeitläufften mehrere Offenbahrung erlangen. Mithin kan Paulus sagen, daß wir alsdenn mehreres weissagen werden.
 
 
 
4) Paulus erläutert die
 
  {Sp. 1513|S. 770}  
 
 
  Sache mit einem Gleichniße. So wie sich die Erkenntniß eines Kindes gegen die Erkenntniß eines Mannes verhält; so würde sich die gegenwärtige Erkenntniß gegen die zukünfftige verhalten; Und so wie bey den männlichen Jahren nicht das aufhörete, was man in der Jugend gelernet hätte, sondern nur die Fehler und Unvollkommenheit; so würde gleichfalls dorten nur das letzte ein Ende haben, und nicht das, was wir hier gründliches und nützliches vor uns gebracht haben. Paulus lässet also hier die Anwendung aus, gleichwie er im 10 Vers nicht gesaget hatte, was denn an statt des Stückwercks da seyn würde: weil es sich von selbsten verstehen läst.
 
 
 
5) Im 12 Vers nimmt er das Gleichniß her von den dunckeln Fensterscheiben derer Alten, die von dünnen Stein waren, und also nur ein dunckeles Licht gaben. Hier hätten wir nur ein dunckeles Licht, nur Gleichnisse und gewisse Merckmahle, daraus wir schliessen; dorten aber würde unserer Erkenntniß mehr beschaulich und intuitiva seyn. Vieles werden wir denn mit Augen vor uns sehen, das wir uns hier nicht recht vorstellen können: indessen wird noch manches aus gewissen Merckmahlen erkannt werden müssen.
 
 
 
6) Die letzten Worte werden am besten so übersetzet: Daß wir alsdenn mehr erkennen werden nach dem Grade, darinn unsere erhöheten Kräffte alsdenn stehen werden. Ein jeder wird also seinen besondern Grad haben, der von dem vorigen Leben abhänget, und nach dem wird er auch erkennen und immer zunehmen. Petrus schreibet im 1 Brief, I, 12. daß es den Engeln gelüste, das Erlösungs-Werck einzuschauen. Also können die Engel in der Erkenntniß wachsen, und haben ein Verlangen darnach: Warum nicht auch die menschlichen Geister? Werden also unsere Wahrscheinlichkeiten durch Pauli und Petri Zeugnisse nicht Gewißheiten?
 
 
  Von menschlichen Zeugnissen wollen wir nur den unvergleichlichen Engelländer J. Wart anführen, der statt aller seyn kan. Er handelt in seinem Tod und Himmel so weitläufftig davon, daß wie hier nur die vornehmsten Sätze kurtz beybringen können. Er beschreibet p. 59. die Vollkommenheit der Geister der Gerechten im Himmel mit Recht als einen sehr vortrefflichen Grad derselben geistlichen und himmlischen Eigenschafften und Seligkeiten, welche sie bereits hier auf Erden in einem geringern Maaße genossen haben, ohne alle Mängel und Unordnungen. Dahin gehöret also vor allen Dingen eine grosse Vermehrung der Erkenntniß ohne Irthum, und in dem Sinne ist sie Vergleichungsweise vollkommen. Ein Theil der Seligkeit bestehet in der Beschaulichkeit. Da wird man das herrlichste Wesen, GOtt selbst, sehen und seine Wercke tiefer einschauen. Es wird nicht mehr bloß eine vernünfftige durch Schlüsse oder Erzehlungen erlangte Erkenntniß, sondern eine solche gewisse seyn, als wir von einem Menschen haben, wenn wir sein Angesicht sehen. So sehr das Licht der Offenbahrung das natürliche Licht übertrifft, so sehr wird jene Erkenntniß diese übertreffen;
 
 
  Und p. 82 u.ff. Dorten ist eine solche Vollkommenheit, die eine grosse Mannigfaltigkeit, der Geschäffte und Ergötzlichkeiten zulässet, nach der mannigfaltigen Art und Beschaffenheit jedes Geistes. Es giebt wesentliche Unterschiede der Gemüths-Arten
 
  {Sp. 1514}  
 
  unter den Geistern selbst in ihrer eigenen Natur. Denn in der sichtbaren Welt ist eine solche Mannigfaltigkeit. Sollte aber diese Mannigfaltigkeit allein in der unbeselten und unvernünfftigen und thierischen Welt ausgeschüttet, und nur allein die Geister-Welt davon ausgeleeret seyn? In der Geister-Welt sind verschiedene Ordnungen der Engel, die an Gaben, Neigung und Ämtern unterschieden sind. So ist es auch mit den Seelen. GOtt hat ihren Durchgang durch die Welt zu einem Mittel bestimmet, um sie zu mancherley Stellen und Bedienungen in der unbekannten Geister-Welt tüchtig zu machen. Also bringen die Abgeschiedenen verschiedene Neigungen zu mancherley Ergötzungen und Geschäfften mit sich.
 
 
  Moses und David werden vielleicht Leiter einer gewissen Versammlung, und David überdem Meister in der himmlischen Music seyn. Die geheiligten Weltweisen werden weit geschickter seyn, als andere, die Weißheit GOttes an den Wercken seiner Hände zu betrachten und zu lehren. Die, welche sich mit Betrachtung GOttes und der Geister beschäfftiget, werden noch immer an solchen Übungen ein Vergnügen finden; und es weiter, als andere darinn bringen. Die, welche die Lehre von der Person, dem Amte und der Gnade Christi hier mit Fleiß getrieben, die haben dadurch eine besondere Geschicklichkeit erlanget, die himmlische Erleuchtung von diesem Geheimnisse mehr, als andere zu empfahen. So auch mit andern. Wir müssen uns aber im Himmel eine solche Vollkommenheit vorstellen, wobey gar wohl verschiedene Stuffen in einerley Seligkeit nach den unterschiedenen Fähigkeiten der Geister, und in ihren verschiedenen Stuffen der Zubereitung, statt haben kan: Eine solche, die mit steten Veränderungen der Geschäffte und Ergötzlichkeiten auch in einerley Geiste oder Person bestehen kan.
 
 
  Die Seligen werden nicht immer gantz stille sitzen. Sie werden der Beschaulichkeit ergeben seyn: aber dabey doch manche Geschäffte haben. Sie werden GOtt auf verschiedene Weise dienen, es werden auch verschiedene Zeiten dazu seyn. Sie werden allerley nützliche und erbauliche Unterredungen halten, allerley selige Betrachtungen und Untersuchung anstellen. Ihre Gedancken werden auf die Bücher der Natur und Offenbahrung, auf GOttes Regiment und ihre Pflichten gerichtet seyn. Sie werden zuweilen in andere planetische Welt-Cörper reisen und von ihrem Zustande sprechen. Es wird verschiedene Ehren-Stellen, Würden und Ämter geben. Die Geschickteren werden Unvollkommeneren vorgesetzet werden. Es wird sich immerdar was Neues und Angenehmes hervor thun: Und ihre Vollkommenheit wird immer eine stätige Vermehrung zulassen. Sie werden wachsen in der Erkenntniß, Heiligkeit und Freude. Das wird
 
 
 
1) erwiesen aus der Natur unsers Verstandes. Diesen werden wir nie verlieren. Dieser aber schliesset immer mehr aus bekannten Sätzen, und wird nie alles mit einmahl übersehen lernen. Damit wird eine empfindliche Lust verknüpffet seyn, weil kein Irthum mehr statt findet.
 
 
 
2) Aus der Einschränckung unserer Verstandes-Kräffte auch in dem besten Zustande, unmöglich alles mit einander durchschauen, fassen, geniessen und behalten können.
 
  {Sp. 1515|S. 771}  
 
 
3) Aus der Mannigfaltigkeit der Dinge, die ihnen dargestellet werden. GOtt sowohl, als seine Wercke, sind unendlich in der bekannten und unbekannten Welt. Mit einmahl können sie selbe nicht fassen; Solten sie darinn nicht zunehmen; so haben wir hier mehr Vortheile als sie.
 
 
 
4) Es werden sich noch viele Dinge im Himmel und auf Erden zutragen, daran die Seligen einen grossen Antheil haben. Vorher können sie selbe nicht alle wissen. Folglich müssen sie in der Erkenntniß zunehmen, wie sonderlich die Offenbahrung Johannis darthut.
 
 
 
5) Am Auferstehungs- und Gerichts-Tage werden ja die Seligen viel Vollkommener werden und mehr erfahren. Und hierdurch wird die Liebe zu GOtt, die Ähnlichkeit mit ihm, die Heiligkeit und Freude vermehret werden.
 
  Alles dieses ist von unserem Verfasser starck bewiesen worden. So bleiben denn die edelsten Wissenschafften, die edelsten Wahrheiten, die Liebe darzu, die Erkenntniß derselben, und der Wachsthum darinnen ewig. Die Seligen werden also ewig dencken, nachsinnen, schliessen, lernen, lehren und mit einem Worte, studieren.  
  Aber wie wird das geschehen? Dieses soll in folgenden erkläret werden. Es wird nemlich ihr studieren von den unsrigen in vielen Stücken unterschieden seyn. Sie werden  
 
1) nicht studiren aus eigentlichen Büchern.
 
 
  Das Buch der Natur, das Buch der Offenbahrung, das Buch der Regierung GOttes, wird ihnen zwar manche schöne Lection geben. Allein das sind nur uneigentliche Bücher. Die eigentlichen Bücher werden mit dieser Welt verbrennen; und stehet dahin, ob GOtt die H. Schrifft in Buchstaben verfasset aufbehalten werde? Wurde das Gesetz-Buch im Allerheiligsten beygelegt; War die Hütte ein Bild des Himmlischen: so läst sich daraus schliessen, daß dieses Buch auch in der Ewigkeit zu finden seyn werde. Die andern Bücher werden aber, ohne Nachtheil der Wissenschafften, als das Stückwerck mangeln können. Solte man alle Wahrheiten aus allen Büchern ausgezogen haben; so würden sie eben kein gar so grosses Werck ausmachen. Um die ist es uns nur zu thun. Die werden so viele vollendete und ewig lebende Geister ohne Mühe behalten, erhalten und anwenden können. Folglich kan man die nützlichen Bücher eben sowohl als die unnütze und zur Welt gehörigen entbehren. Wird man also im Himmel nicht aus Büchern studieren: so wird man durch Erfahrung, durch Beschauung, durch Nachsinnen und Schlüssen studieren. Das sind vier reiche und unerschöpffliche Quellen des Wachsthums der Erkenntniß.
 
 
2) Man wird studieren ohne Mühe und Verdruß. Niemals werden die Seligen träge und schläfrig seyn, niemahls werden sie durchs Fleisch und sündliche Dinge gestöret und abgehalten werden. Es wird immer Lust und Liebe ohne Ermüdung da seyn. Sie werden alles gleich fassen, behalten und sich besinnen können, und nie vergessen, was sie gelernet haben. Sie werden studiren, und, daß wir recht sagen, arbeiten, wie Adam im Paradiese, mit Lust, mit Vergnügen, ohne Sünde, ohne Beschwerde.
 
 
  Denn ihre Fähigkeiten werden sehr erhöhet, die Gelegenheiten vortheilhaffter, die Schwachheiten und Unvoll-
 
  {Sp. 1516}  
 
  kommenheiten aber abgestellet seyn. Doch wird ein jeder seiner Neigung und Gewohnheit nach sich mehr auf seine besonders beliebte Wissenschafften legen, und es darinn höher bringen, als in andern, welches J. Wat noch mit mehrern erweiset.
 
 
3) Die Seligen werden ohne Irthümer und Vergessenheit studiren, welches das vortreflichste ist.
 
 
  Denn das Unvollkommene ist verschwunden. Sie sind auch in solchen Umständen, daß sie bald zur völligen Gewißheit gelangen können. Sie werden mit Widerlegen und Erweisen nicht beschäfftiget seyn dürffen, ihre Wahrheiten weit leichter, geschwinder und sicherer ohne Furcht, Haß, Scheu und Widerspruch ausbreiten können, und nicht befürchten dürffen, daß sie von andern angegriffen, beurtheilet, gehasset oder widerleget werden. Ist das nicht ein seliges, ein vortrefliches, ein erwünschtes Studieren? Solte uns nicht danach verlangen? Kan man also nicht von einem verstorbenen Gelehrten sagen: er sey auf die höchste Universität gezogen; die aber herrlicher ist, als sich die Juden selbige vorstellen.
 
  Es fragt sich noch, wie es mit den Wissenschafften in der unseligen Ewigkeit, unter denen Verdammten stehen werde? Aus obigen Gründen kan man nicht annehmen, das verdammte Gelehrte alle ihre Wissenschafften vergessen werden. Sie werden ebenfals noch Erkenntniß und Wissenschafften besitzen, zu dieser und jener Wissenschafft vor andern geneigt seyn, sie werden erkennen, dencken, schliessen. Ihre historische, philosophische und mathematische Erkenntniß wird sich auf mancherley Weise erweitern, und sie werden darinn zunehmen.  
  Denn sie leben in einer grossen Gesellschafft, darinn sie vieles hören und erleben. Sie können die Natur der Engel besser kennen lernen. Sie lernen die Wege und gerechten Gerichte GOttes. Sie werden auch nicht in einer einfachen Ewigkeit seyn. Es werden wohl Veränderungen vorgehen, da durch die Erkenntniß erweitert wird, und daraus sie mehr schliessen werden. Allein das wird mit vieler Pein, Verdruß und Irthum verknüpffet seyn, und nicht zum Vergnügen und Verherrlichung GOttes gereichen. Über diesen Ausdruck hat der Herr Legations-Rath Matheson folgende Gedancken gehabt:  
  Die Erweiterung der Wissenschafften bey denen Unseligen hat gantz gewiß ihren Grund, und gereichet ohne alle Ausnahme auch wider ihren Willen, zur göttlichen Verherrlichung, aber so wenig zum Vergnügen derer Verdammten, daß dadurch vielmehr ihre unaufhörliche Quaal, nach dem Maaße und Zunehmen des Erkannten, man rede nun davon in abstracto oder concreto, nur immer je länger je mehr vergrössert wird. Ihr gantzer jämmerlicher Zustand beruhet eigentlich auf dem Bewust seyn, und ohne sich disseits mit einer tiefern Einsicht in dergleichen weitgehende Dinge zu schmeicheln, liesse sichs noch endliche wohl sagen: daß, wenn eine unendliche Seligkeit unendliche Stufen himmlisch erfreuender Wissenschafften und erweiternder Erkenntnisse mit sich führet, nothwendig auch nach denen Regeln eines ausdrücklichen Gegensatzes, in der ewigwährenden Verdammniß ebenfals ewig höher steigende  
  {Sp. 1517|S. 772}  
  Grade höllisch kränckender Erfahrungen und stets anwachsender verhängter Begriffe zu finden seyn müssen.  
  Die allergröste Marter selbst bestehet wohl vornehmlich in dieser immerfortschreitenden Vermehrung des Wissens. Je mehr Wissens u. Gewissens, ie mehr Hertzeleid, Angst des Geistes, Reue und Pein. Ein bloses Mißvergnügen reicht hier nicht zu. Sind unter andern jene nachdrückliche Reden im Buch der Weisheit V. glaubwürdig daß nemlich die Gottlosen grausamen erschrecken werden vor solcher Seeligkeit derer Gerechten, der sie sich nicht versehen hätten; so folget allerdings daraus eine ungemeine Erweiterung ihrer Wissenschafften und Erkenntniß, welche sich, der grossen Klufft ungeachtet, dennoch sichtbahrer Weise, nach dem Beyspiel des reichen Mannes, auf die grosse Freudigkeit der Seeligen selbst erstrecket, folglich auch eben so, wie diese, stets erschrecklich zunehmen muß. Denn sie lassen sich ja deutlich und sehr besonders heraus, daß sie von der glückseligen Zahl der Kinder GOttes und von dem Erbe unter den Heiligen genauer, als ihnen lieb ist, unterrichtet sind. Das will schon viel sagen. Bareuthische Gelehrte Zeitung 1745, p. 164.
  Ja es wird vielmehr ihre Unruhe, ihre Marter und Pein vermehren. Und wenn sie in Sünden fortfahren dürfften; so würden die sündlichen, die unnützen Wissenschafften auch bey ihnen Beyfall finden und ihre Pein vermehren müssen. Denen, die was gutes erkennen, wird es desto mehr Schmertz, Vorwurf und Verantwortung verursachen. Und die, welche böse und unnütze Dinge geliebt, werden auch durch die Folgen dafür gestraffet werden. Mehr läst sich davon nicht bestimmen; GOtt bewahre auch alle, daß niemand nichts davon an sich selbst erfahre.  
  Man lese hierbey den Artickel: Teuffel, im XLII Bande, p. 1543 u.ff. Vorstehendes aber ist genommen aus George Venzky kleinen Schrifft die er betittelt: Die Wissenschafften sind ewig: folglich sind weise Gelehrte vor andern glücklich, Prentzlau 1745 in 4. Sie stehet auch in den Actis Scholasticis, VI Band, p. 195 u.f.
     

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Stand: 4. April 2013 © Hans-Walter Pries