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Quellenangaben |
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Ukraine, Ucraine, Uckraine,
Lat. Ucraina,
Ucrainia, Ucrania, ein
Theil von Roth-Reußen,
welcher Nieder-Volhynien, die Woywodschafften
Kiow und Braclaw samt Nieder-Podolien begreiffet;
und an den
Grentzen von Moscau und der kleinen
Tartarey lieget. |
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Es ist ein grosser Strich
Landes, so sich von
Osten gegen
Westen zu ohngefehr auf 300
Englische Meilen erstrecket, von
Norden aber
gegen
Süden zu über hundert breit ist. |
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Es war ehedem 50
Jahr lang in Pohlnischen
Händen gewesen, anjetzo aber gehöret es theils
den Pohlen, theils den Moscowitern. |
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Der allgemeine
Nahme Ukraine
bedeutet in
der Sclavonischen Sprache so viel als eine Gräntze,
weil nehmlich dieses Land dem
Königreich Pohlen
zur Gräntze dienet, zwischen denen Türcken und
Tatarn. |
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Dieses grosse und fruchtbare Land wird in
zwey Haupt
Provintzien
getheilet, welche sind
Volhynien und Podolien, zu welchen einige noch
das schwartze Reußen und die Woywodschafften,
Kiow und Braclaw, rechnen. |
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In Volhynien ist die
Haupt-Stadt Kiow, am
Fluße Borysthene oder Dnieper, welche vor
Zeiten,
wie man vorgiebt, eine von denen grösten
Städten
in
Europa
soll gewesen seyn. Dieser
Ort gehörete
vor Zeiten denen
Hertzogen von Reussen; anjetzo
aber ist er von denen Türcken und Tatern
gantz
ruiniret worden. |
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Die Haupt-Stadt in Podolien ist Caminiec,
welche auf einem Felsen stehet, und wohl
befestiget ist. |
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Die Ukraine wird meistens von den Cosacken
bewohnet, welches
Wort (Cosacken) in der
Sclavonischen Sprache so viel heisset als Räuber.
Anfänglich waren sie
Bauern, welche aus Reußen
und andern benachbarten Ländern kamen, sich auf
denen Inseln des Flusses Borysthenis
niederliessen, hernach aber sich über die gantze
Ukraine ausbreiteten und vom Raub
lebeten. |
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Sie pflegten offt in die Tartarey und Türckey
einzufallen, plünderten Trebisonde und Sinope, ja
sie kamen öffters bis vor Constantinopel.
Desgleichen trieben sie auch See-Räuberey auf
dem schwartzen Meere; sie haben denen Pohlen
immerfort
gute
Dienste
gethan, wenn selbige in
einen
Krieg wieder die Türcken verwickelt gewesen
sind; und kan man sie mit niemanden besser
vergleichen, als mit denen Miquelets in Spanien,
oder mit denen Hochländern in Schottland. |
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König Stephanus brachte dieses
Volck, um sie
der Cron Pohlen noch nutzbarer zu machen, im
Jahr 1576 unter eine gute
Zucht, und setzte
gewisse Officirer und einen General über sie.
Desgleichen gab er ihnen auch die Stadt
Techtimerow am Fluß Borysthenes oder Dnieper,
welche sie zu einem Magazin machten, wie auch
zur Residentz ihres Gouverneurs, damit sie eine
Schutz-Mauer wieder die Einfälle der Tatarn seye,
als welche sie offt beunruhigten. Ferner gab er
ihnen auch viele
Privilegien, wofür sie ihm
nachgehends gute Dienste leisteten. |
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Es stund aber diese vortreffliche Vormauer der
Christenheit gegen die Türcken nur 50 Jahr, damit
geriethen die Pohlen und Cosacken einander selber
in die Haare, und nachdem sie sich etliche Jahre mit
einander herum gesäbelt hatten, so begaben
sich |
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{Sp. 485|S. 258} |
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die Cosacken in den Schutz der Türcken und
Moscowiter, und dieses
musten die Pohlen
geschehen lassen. |
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Die
Gelegenheit zu diesem grossen Aufstande
war diese, daß ihnen die Pohlen nicht nur die
Festung Techtimerow genommen, sondern auch die
Festung Kudack ihnen vor die Nase geleget hatten.
Sie thaten aber solches darum, weil die Cosacken
nicht in ihrem angewiesenen
Bezirck von 20 Meilen
blieben, sondern auf Pohlnischen
Grund und Boden
nach ihren Gefallen plünderten und raubten,
welches sonderlich die Pohlnischen Magnaten nicht
vertragen konnten, die ihre
Land-Güter in der
Ukraine hatten. |
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Albertus Vimina
sagt in seinen einheimischen
Kriegen des Königreichs Pohlen … es sey
gewiß,
daß der Cosacken Nahme von dem Sclavonischen
Worte Coza herkomme, welches soviel heist, als
eine Ziege; und zwar dieses entweder aus der
Ursache, weil
sie Ziegenhärene Kleider zu tragen
pflegen, oder aber, weil sie, wie eine Heerde
Ziegen, in Hütten beysammen gelebet; oder, weil
sie, wie die Ziegen, allenthalben herum gesprungen,
und kein Land von einem so schweren Zugang
gefunden, in welches sie nicht kommen
können. |
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Das Land, welches sie erst besassen,
erstreckte sich nicht über 18 Meilen auf jeglicher
Seite des Dniepers, und lag nicht weit von dem
Orte, wohin Ovidius ins Elend verwiesen worden,
allwo auch noch bis dato ein Schloß seyn
soll,
Ovidow
genannt, wo der Poet Ovidius vielleicht
begraben seyn
mag. Dies hält gedachter Vimina
nicht vor unglaublich, weil der
Zustand dieser
Gegend ziemlich übereinkomme mit einer gewissen,
in Ovidii Elegiis, die er an Rufinum
geschriebenen,
befindlichen Beschreibung, wenn er unter andern
also
spricht: |
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[4 Zeilen lateinische Verse] |
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Das ist: Man findet allhier weder Obst noch
Wein, noch anmuthige und nützliche Bäume. Und
wie das Land ist, so ist auch das
Meer, nehmlich
allezeit stürmisch und mit Nebel bedecket. |
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Die von Ovidio an einem andern Ort
beschriebene Tapfferkeit des Volcks bekräfftiget
ermeldten
Autor noch ferner in seiner
Meynung, da
es nehmlich heist: |
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[2 Zeilen lateinische Verse] |
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Das ist: Die meisten allda befindlichen
Menschen
fragen nichts nach der schönen Stadt
Rom, und fürchten sich nicht vor denen
Italienischen Soldaten. |
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Jedoch es stehet nicht zu
glauben, daß die
heutigen Cosacken ein so
altes Volck seyen; denn
es ist gewiß, daß sie anfänglich nur eine Rotte von
herumschweiffenden Flüchtlingen gewesen, welche
der
Straffe entflohen, und in dieses Land
gekommen, allwo sie sich nur von Jagen und
Fischen, und letztlich, (gleichwie auch noch jetzund
geschicht) von See- und Land-Räuberey
ernehreten. |
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Heut zu
Tage
aber ist dieses Land viel grösser, denn vor diesen; denn es trägt in der Länge
100 und in der Breite über 40 Meilen aus. |
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Das Gras soll allhier insgemein so hoch wachsen, daß ein Reuter sich leicht
darunter verbergen kan. Dieses Land ist so reich an allerhand Getrayde,
daß die Ein- |
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{Sp. 486} |
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wohner nicht
wissen, was sie damit anfangen
sollen, zumahl da ihre Flüsse nicht tief, und also
nicht
bequem sind, es darauf an andere Örter zu
führen. |
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Sie haben auch allerley Thiere, Fische und
Vögel, nebst denen meisten andern
nothwendigen
Lebens-Mitteln, ausgenommen Wein und Saltz. Den
Wein bekommen sie aus Ungarn, Siebenbürgen,
Wallachey und Moldau; das Saltz aber aus
Pohlen. |
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Die
Häuser dieses Landes sind insgemein von
blossem Holtz, und fast eben so
gebauet, wie in
Moscau und in Pohlen, selten über ein Geschoß
hoch. Ihre Stadt-Mauern sind mehrentheils von
blosser
Erde gemacht, welche mit Pfählen und
Bretern zusammen gehalten wird, weil dergleichen
Mauern am besten die Canon-Schüsse aushalten
können. |
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Die Einwohner in der Ukraine sind mehrentheils
starck, großmüthig, grosse Verächter des
Geitzes,
und ungemeine Liebhaber der
Freyheit, so, daß sie
auch die allergelindeste
Dienstbarkeit nicht erdulden
können. Desgleichen sind sie auch kühn,
unverdrossen, anbey aber der Trunckenheit aufs
höchste ergeben, treulose Freunde, und meineydige
Feinde. |
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Ihre gemeinste
Geschäffte sind jagen und
fischen. Darnebst sind sie auch einigermassen in
allen nothwendigen
Friedens- und Kriegs-Künsten
erfahren. Das allerbeste aber, was sie
thun können,
ist die Zubereitung des Salpeters, womit sie
unterschiedliche
Theile von Europa versehen.
Desgleichen können sie auch herrlich Büchsen-Pulver machen. |
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Die Bauern beydes in diesem und denen
benachbarten Ländern sind lauter Sclaven. Sie
müssen alle
Wochen vier Tage lang ihren
Herren
umsonst arbeiten und ihnen noch überdis
unterschiedliche andere schwere
Pflichten
abstatten. Ihre Herren haben nicht allein ihre
Güter,
sondern auch ihr
Leben
in ihren Händen. Daher hat man sich nicht zu verwundern, wenn man höret, daß
diese
arme Tropffen offt rebelliret, und ihre
Freyheit mit grosser Hefftigkeit vertheidiget
haben. |
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Sie sind insgemein der Griechischen Religion
zugethan, welche sie im
Jahr Christi 942 unter
Ulodomir, des
Fürsten von Reussen,
Regierung
angenommen haben. Jedoch bekennet sich der
gröste Theil des Adels
entweder zur
Römisch-Catholischen oder zur
Reformirten
Religion. |
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Die Cosackischen Priester werden Popen
genennet, welches Wort in ihrer
Sprache soviel
heist, als Anführer. Sie haben viel, und zwar sehr
strenge Fast-Tage; gestalt sie an denenselbigen
sich nicht allein von allem Fleisch, sondern auch
von Butter, Milch, Käse und Eyern enthalten, und
nichts als Kräuter, Hülsen-Früchte, Wurtzeln und
dergleichen essen. Einige unter ihnen sind so
andächtig, daß sie niemahls weder Brod essen
noch
Wasser trincken, als nur des Sonnabends und
Sonntags. |
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In diesem Lande ist die
Gewohnheit, daß die
Weiber die
Männer freyen, welches so gemein ist,
daß man es vor gar nichts unanständiges hält.
Wenn dahero die
Weibes-Personen Männer haben
wollen, so
reden sie deshalb nur mit dererselbigen
Anverwandten. |
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Dieses Land ist so sehr mit Fliegen geplaget,
daß sich die Einwohner zur
Sommers-Zeit auf
unterschiedliche Weise dargegen wehren müssen.
Jedoch hat es noch viel mehr Heuschrecken, als
welche bey trockner Zeit als grosse Wolcken, |
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{Sp. 487|S. 259} |
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von 5 bis 6 Meilen lang, und vier Meilen breit,
gezogen kommen, und bey hellen
Mittag die Sonne
verfinstern. Wohin sie sich setzen, dieselbige
Gegend meyen sie in weniger denn zwey
Stunden
reine ab. Sie leben nur sechs
Monat. Wo sie im
Herbste sitzen, da legen sie Eyer. Jede
Heuschrecke hat deren ohngefehr dreyhundert.
Diese brüten sie im
Frühling aus, von welchen sehr
wenige taub sind. Sie können durch nichts anders,
als durch einen starcken Nord-Ost-Wind, oder durch
grosse Regen vertrieben werden. |
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Ehe die Jungen starck genung sind zum
fliegen, kriegen sie in die Häuser, springen auf die
Betten, Tische, Speisen und andere dergleichen
Dinge, so, daß man kaum einen Bissen essen kan,
womit man nicht zwey oder drey dergleichen
Heuschrecken mit hinunter schlinget. In der
Nacht
liegen sie auf den Strassen und Feldern, welche
gemeiniglich über einen Fuß dicke damit bedeckt
sind. Wenn eine Kutsche oder Wagen darüber
gehet, wird ein unleidlicher Gestank erreget. |
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Vermöge des Friedens-Instruments, so
zwischen der Ottomanischen Pforte und Sr.
Czaarischen Majestät dem 3/15
April 1712
vollzogen worden, ist auch folgendes Art. III. wegen
der Ukraine mit ausgemachet und verglichen
worden: |
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"Nachdem Ihro Czaarische Majestät in
Posseßion der Stadt Kiow, und des darzu
gehörigen, und disseits des Flusses Niper
gelegenen Territorii und fester Orten, wie nicht
weniger des Cosacken Landes mit seinen alten
Grentzen, welches die Ukraine genannt wird, und
jenseits sothanen Flusses lieget, sich befinden; so
werden dieselben auch darinnen gelassen. |
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Hingegen evacuiren besagte Ihro Czaarische
Majestät nicht nur alle denen Cosacken disseits des
Nipers zuständige, und nicht zum Kiowischen
Territorio gehörigen Schlösser, feste Orte, auf eben
selbige Art, als diese es mit ihren alten Grentzen
besitzen, sondern auch die Insel Saccia, die an
dieser Seiten nur erwehnten Flusses anstösset,
dergestalt, daß Ihro Czaarische Majestät künfftighin
gedachte Cosacken, und besonders der Stadt
Crimäa, und andern Unterthanen der
Ottomanischen Pforte, weder heimlich noch
öffentlich beunruhigen oder beschweren
wollen. |
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Und falls denenselbigen wieder gegenwärtigen
Friedens- und Freundschaffts-Tractat einiger Tort
zugefüget werden solte, so wollen Ihro Czaarische
Majestät diejenigen, so solchen verursacht haben,
ernstlich bestraffen, auch nachdrückliche Verfügung
thun, daß dergleichen vors künfftige
unterbleibe. |
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Die Ottomanische Pforte verspricht ihres Orts,
daß weder die Tatarn noch Cosacken, so ihr
unterwürffig sind, etwas wider diesen Frieden zum
Nachtheil derer Moscowiter, oder derer von Ihro
Czaarischen Majestät dependirenden Cosacken
unternehmen, und dieselben, so dawieder handeln,
von der Ottomanischen Pforte zur Straffe gezogen
werden sollen.„ |
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Auch wurde im Jahr 1733 die von Ihro
Czaarischen Majestät unter Commando und
Aufsicht des Feld-Marschalls
Grafens von
Weisbach, in der Ukraine angelegten Linien nebst
den darbey angelegten Forts in
vollkommenen
Defensions-Stand gesetzet, und durchgehends mit
Pallisaten wohl
verwahret. Es ist dieses ausser-
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{Sp. 488} |
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ordentliche und bewundernswürdige
Befestigungs-Werck, so sich ohne Abschnitt in die
100 Werste längs denen Grentzen erstrecket,
hauptsächlich denen Einfällen der schwärmenden
Tatarn entgegen gesetzet, und ohnstreitig von
mehrerer Wichtigkeit und
Nutzen, als die ehemahls
in China wieder eben dieses räuberische Volck mit
unsäglichen Kosten aufgeführte grosse Mauer. |
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Zu Besatzung dieser Linien und Schantzen
werden 50 bis 60000 Mann, auch an die 400
Canonen erfordert, welche Mannschafft und Kriegs-Provision in completen
Stand zu setzen, von Zeit zu
Zeit Transporte veranstaltet, und an die Regimenter
dorthin zu marschiren Ordren ertheilet werden. Alles
ist hierbey so wohl eingerichtet, daß in einer Zeit
von wenig Tagen aus dieser Besatzung eine Armee
von 30 bis 40000 Mann zusammen, und mit allem
wohl versehen in das Feld gestellet werden
kan. |
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Als im Jahr 1561 der Cardinal Commendon,
durch die Ukraine nach Rußland
reisete, fand er
darinnen eine grosse Menge
Juden, welche nicht so
verachtet, als an andern Orten, lebeten, auch nicht
den
schändlichen Wucher, sondern eine
billige und
ehrliche
Handlung trieben, das Land baueten, die
Medicin und Astrologie
studirten, pachteten, Degen
trugen, und auch zu
Bedienungen gelangeten, wie
andere Leute. |
- Connors Beschreib.
des Königreichs Pohlen …
- Bizardiere Hist. des
Dietes …
- Heidenstein Rerum Polon. …
- Chevalier
Hist. de Cosaques …
- Alb. Vimina Guerre Civil. di
Polon. …
- Le Vasseur de Beauplan Descript. de
l'Ukraine.
- Starovolsc. Polon.
- Andr. Cellar. Polonia.
- Christ. Hartkn. de rep. Polon.
- Hübners Geogr. II Th.
…
- Zinckens Europ. Friedens-Schlüsse III Abtheil. …
- Europäische Fama XXIX
Band
…
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