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Zedler: Eltern [2] HIS-Data
5028-8-936-7-02
Titel: Eltern [2]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 8 Sp. 941
Jahr: 1734
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 8 S. 504
Vorheriger Artikel: Eltern [1]
Folgender Artikel: Eltersdorff
Hinweise:

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Übersicht
Stand der Eltern und Kinder /Forts.)
  Rechte der Eltern über die Kinder
 
  Grenzen
 
  Leben und Tod
  Güter
  Verpfändung und Verkauf
  Dauer
  Pflichten der Kinder
Literatur

Stichworte Text   Quellenangaben und Anmerkungen
Rechte der Eltern über die Kinder Wir haben nunmehro auch von dem Rechte, welches die Eltern über die Kinder haben, zu handeln. Es wird dieses die väterliche Gewalt genennet. Wenn die Kinder nicht gehorchen, so kan die Kinderzucht nicht von statten gehen. Dieses ist der Grund von der väterlichen Gewalt, und bestehet sie in denenjenigen Rechten, welche als nöthige und bequeme Mittel in Ansehung des Gehorsams derer Kinder zu derselben Zucht gehören.  
  Andere hegen so wohl von dem Grunde der väterlichen Gewalt, als von ihrer Natur selber andere Gedancken, welche wir hierbey anzuführen vor nöthig erachten.  
  Die Meynung des Hobbesii, daß dieses als ein Recht des Sieges anzusehen, und daß der Mutter daher ein Vorzug gebühre, ist allbereit von uns angeführet worden. Seine Sätze sind unter andern von  
 
  • Kulpisio in Colleg. Grot. …
  • Boeclero ad Grotium …
  • Alberto in Compend. Juris Nat. …
 
  widerleget worden.  
  Hornius de Ciuit. … leitet diese Gewalt aus dem göttl. Willen unmittelbar her. Alle Herrschafft, die ein Mensch gegen den andern hätte, würde von GOtt mitgetheilet, u. also auch diese. Henniges in Obs. ad Grot. … pflichtet dieser Meynung gleichfalls bey. Die Eltern hätten diese Gewalt von GOtt unmittelbar erhalten; der Vater hätte den Vorzug vor der Mutter, indem der Mann die Herrschafft über die Frau hätte, und nach deren Stande richte  
  {Sp. 942}  
  sich auch der Stand des Kindes.  
  Wider diese Meynung erinnert Bufendorf de Jure Nat. et Gent. … nachfolgendes: Es sey wider die Majestät GOttes, wenn man behaupte, daß er denen Menschen seine Macht mittheile. Die Macht des Allerhöchsten sey unendlich, und derjenige, welcher eine aufgetragene Macht habe, müsse sie eben so ausüben, als derjenige, dem sie aufgetragen worden, welches aber zwischen GOtt und Menschen nicht statt finde. In gewisser Absicht kan man wohl sagen, daß die väterliche Macht von dem göttlichen Willen oder einer göttlichen Überlassung herrühre. Gott hat denen Eltern gewisse Pflichten auferlegt, und eben dadurch ihnen eine gewisse Macht ertheilet; folglich geschicht solches nicht unmittelbar, sondern mittelbar, und der göttliche Wille ist nicht die nächste, sondern die entfernte Ursache.  
  Die gantze Sache scheinet auf einen Wort-Streit anzukommen, indem die Redens-Art Concessio potestatis dauinae in verschiedenem Verstande kan genommen werden. Grotius de Jure Belli et Pacis … führet den Grund ex generatione her. Beyde Eltern trügen zu Zeugung des Kindes das ihrige bey, dahero käme diese Gewalt ordentlich so wohl dem Vater als der Mutter zu. Ereigneten sich aber Mißhelligkeiten unter denen Ehe-Leuten, so gienge wegen des Vorzugs des Geschlechts der väterliche Befehl dem mütterlichen vor. Welchen letztern Satz er in der beygefügten Anmerckung mit unterschiedenen Zeugnissen erläutert. Dieses behaupten gleichfalls  
 
  • Kulpisius in Colleg. Grot. …
  • Boecler ad Grot.
  • Willenberg in Sicilim. Jurispr. …
  • Hochstätter in Colleg. Pufend. …
 
  Doch ergreiffen andere die Gegen-Meynung. Hobbesius erinnert, wenn die Zeugung des Kindes der Grund von derer Eltern ihrer Gewalt sey, so muß der Mutter eine weit grössere Macht als dem Vater beygeleget werden. Jene trüge weit mehr durch die Schwangerschaft und durch die schmerzhaffte Geburt als dieser bey. Der Vater wäre über dieß offt ungewiß, und hätte sich nur aus blosser Wollust, ohne die Absicht zu haben, Kinder zu zeugen, mit seinem Weibe fleischlich vermischet.  
  Pufendorf de Jure Nat. et Gent. … urtheilet, die Zeugung gebe nur Gelegenheit zur Herrschafft, selbst aber verursache sie sie nicht, indem die Kinder als unsers gleichen gebohren würden. Er sucht also einen andern Grund, und vermeynt ihn darinne gefunden zu haben, daß das natürliche Gesetz, welches denen Eltern die Versorgung derer Kinder aufgetragen, ihnen auch zugleich eine Herrschafft eingeräumet hätte. Wozu noch die stillschweigende Einwilligung des Kindes käme. Doch hat Thomasius in Jurisp. Diuin. … gar wohl erinnert, daß diese Einwilligung des Kindes ohne Grund sey.  
  Jäger in Obseru. ad Grot. … hält es vor das rathsamste, daß man des Hornii und Grotii Meynung zusammen nehme, und sage, die Eltern hätten ihre Macht zwar von der Zeugung derer Kinder, aber auch durch ein göttliches Recht, welches GOtt denen Eltern mitgetheilet, und Treuer ad Pufend. de Off. Hom. et Ciuis … lencket seine Meynung endlich dahin, daß alles, was die Eltern bey ihren Kindern thäten, nur Pflichten der Gefälligkeit wären, u. ihre Gewalt nur blos zum Besten derer Kinder eingerichtet werden müsse.  
Grenzen Weil annoch von denen Grentzen der väterl. Gewalt unterschiedene Meynungen gewesen: so wollen wir dieselbe mit beybringen, ungeachtet wir davor halten, daß sie sich nicht weiter, als wiefern sie ein dienliches Mittel zur Kinderzucht ist, erstrecke.  
  Wir fragen erstlich: ob sich die väterl. Gewalt auch auf das Le-  
  {Sp. 943|S. 505}  
Leben und Tod ben und Tod derer Kinder erstrecke? bey einigen Völckern sollen die Eltern eine so grosse Macht gehabt haben. Dionysius Halicarnassensis Antiquitat. Rom. II. und Valer. Maximus … berichten dieses von denen Römern, welches auch aus andern Stellen derer Römischen Geschicht-Schreiber bekannt ist. Bodinus de Republica … will dieses gleichfalls von denen Hebräern behaupten; doch erhellet das Gegentheil aus Deut. 21, 18. 19. wo GOtt ausdrücklich befohlen, daß die Eltern ihren ungehorsamen Sohn zu denen Ältesten der Stadt führen sollen. Allein eine Gewohnheit derer Völcker kan zwar wohl zu einer Erläuterung nicht aber zu einem Beweise in dem Rechte der Natur dienen. Es stehe dahin, ob die Eltern nicht dieses Recht nach erst vorher gegangener Einwilligung der Obrigkeit erhalten. Man hat vielleicht um soviel desto eher darein gewilliget, weil man sich vorgestellet[1], es würden die Eltern wegen der natürlichen Neigung zu ihren Kindern sich dieses Rechts nicht mißbrauchen.
[1] HIS-Data: korrigiert aus: vorgellet
  Es haben deswegen andere dieses Recht aus gewissen Gründen zu behaupten gesuchet. Thomasius in Fundament. Juris Nat. et Gent. … leget diese Gewalt dem Vater, als dem Haupte der Familie bey, weil in dem Stande der Freyheit, die oberste Herrschafft, welche das Recht über Leben und Tod derer erwachsenen misshandelnden Kinder zustehe, nicht vorhanden wäre. Er verstehet aber durch das Recht über Leben und Tod nicht die Gewalt die Kinder nach Gefallen umzubringen, sondern das Recht, sie im Nothfalle auch an dem Leben zu straffen. Nach dem Hobbesio ist diese Meynung von einem andern Engländer Robert Filmer in einem Buch Patriarcha vertheidigt worden. Es ist aber dieser von Algernon Sidney und Joann Locke in ihren Schrifften de Regimine Ciuili widerleget worden.  
  Barbeyrac hat in denen Noten ad Bufendorf. de Jure Nat. et Gent. … einen Auszug von den Gedancken des Locks über diese Materie gemacht. Es beruhet diese Hypothesis darauf, daß es sich bey denen Familien in dem natürlichen Stande eben also verhielte wie in dem bürgerlichen. In dem bürgerlichen hätte die Obrigkeit das Recht über das Leben u. den Tod derer Unterthanen: also auch hätte ein Vater ein gleiches Recht über seine Kinder. Es ist aber diese Meynung ungegründet. Die äusserliche Ruhe und Sicherheit erfordert bey der Bürgerschafft schlechterdings dieses Mittel. Bey denen Priuat-Familien in dem natürlichen Stande ist solches Mittel nicht nöthig, indem die Sicherheit auf andere Weise kan erhalten werden. Buddeus in Institut. Theol. Moral
  Andere legen diese Gewalt dem Vater, als Vater, bey. Es ist aber dieses gleichfalls nicht gegründet. Der Vater soll das Kind erziehen, nicht aber umbringen. Erweisset sich dasselbige widerspenstig, so kan er solches von sich stossen, und vermeynet er hierbey noch nicht gesichert gnung zu seyn, so bringet er dieses Kind nicht als ein Kind sondern als einen Feind um. So viel ist wohl wahr, daß sich in dem natürlichen Stande die väterliche Gewalt weiter erstrecket als in dem bürgerlichen; gleichwohl aber begreifft sie das Recht derer Eltern über der Kinder Tod u. Leben nicht in sich, indem es der Endzweck des Standes derer Eltern und derer Kinder nicht mit sich bringt.
  • Kulpisius in Colleg. Grot. …
  • Willenberg in Siciliment. …
Güter Ferner fragen wir auch hierbey, ob sich die väterliche Gewalt auch auf die Güter derer Kinder erstrecke? Es kan dieses einen gedoppelten Verstand haben.  
  {Sp. 944}  
  Einmal, ob die Eltern schuldig sind, derer Kinder Güter in Verwahrung zu nehmen, und vor deren Erhaltung zu sorgen? Dieses ist allerdings billig: weil die Güter die Mittel der zukünfftigen Glückseligkeit derer Kinder sind, vor welche die Eltern gleichfalls sorgen müssen. Hernachmahls, ob die Eltern den Unterhalt aus denen Gütern derer Kinder nehmen, oder durch die Arbeit derer Kinder so viel zu gewinnen suchen können, als zu ihrer Unterhaltung nöthig ist? Solches ist denen Eltern unverwehret. Sie sind zu Erziehung derer Kinder eigentlich nur deswegen verpflichtet, weil sie nicht im Stande sind sich selber zu erziehen. Haben aber die Kinder selbst Mittel, so brauchen die Eltern solche nicht her zu geben, und ist genung, wenn sie nur die nöthige Vorsorge dabey anwenden.  
Verpfändung und Verkauf Endlich entstehet noch die Frage: ob der Vater Macht habe seine Kinder zu verpfänden, oder zu verkauffen? Diese Frage gehet nur auf den Nothfall, wenn der Vater sich nicht vermögend befindet, sein Kind zu ernähren. Denn weil er die Wohlfarth und nicht das Elend seines Kindes befördern muß: so erhellet hieraus, daß er nicht die freye Macht habe, mit seinem Kinde zu schalten, wie er selbst will. Einige bejahen diese Frage schlechterdings, als  
 
  • Grotius in Jure Belli et Pac. ...
  • Ziegler ad Grot. ...
  • Kulpisius in Colleg. Grot. ...
  • Osiander ad Grot. ...
  • Wilhelm Grotius in Enchir. ...
  • Müller ad h.l. ...
  • Hornius in Polit. ...
  • Pufendorf de Jure Nat. et Gent. ...
 
  Es sey ja besser, sagen sie, daß das Kind in einem unglückseligen Zustand beym Leben bliebe, als daß es sterbe. So lange es lebe, könne es noch von allem Unglücke befreyet werden. Der Tod hingegen mache alles aus, es müsse also hier bey der vernünfftigen Regel bleiben: das aus zweyen Ubeln das kleinere zu erwählen sey.  
  Kulpisius erinnert noch dabey, es werde väterliche Gewalt dadurch nicht auf einen andern gebracht, sondern er bekäme nur ein der Herrschafft ähnliches Recht, daß er sich dieses Kindes als eines Knechtes bedienen könne. Und Willenberg in Siciliment. … mercket noch hierbey an, es müsse diese Verkauffung mit dem Bedinge geschehen, daß der Vater oder iemand von denen Anverwandten, wenn sie in bessere Umstände kämen, das Kind aus seinem Elende wieder zu erlösen berechtiget wären. Welches auch bey dem Thomasio in Jurispr. Diuin. … zu finden.
  Boekler in Not. ad Grot. … und Buddeus in Element. Phil. Pract. … behaupten das Gegentheil. Der letztere meynet sonderlich, daß ein Vater im höchsten Nothfalle zwar seinen Sohn einem andern geben könne, es wäre aber dieses kein Verkauff zu nennen.  
  Wenn wir auf die Praxin von dieser Sache kommen, so scheinet diese Frage nicht eben allzu nöthig zu seyn. Die Knechtschafft ist zu unsern Zeiten in dem bürgerlichen Stande aufgehoben, und der Menschen-Verkauff ein nach denen Rechten nicht beständiger Contract. Hiernächst ist auch nicht nur das gemeine Wesen zu Versorgung dergleichen Kinder verbunden, sondern es ist auch dergleichen Einrichtung allbereit getroffen; ist also diese Verkauffung weder ein gerechtes, von dem wir hier handeln, noch ein höchst-nothwendiges Mittel.  
Dauer Wird auch noch gefraget, wie lange die väterliche Gewalt währet? so ist zwar kein gewisses Ziel hierbey zu setzen, indem es so lange währen muß, so lange die Eltern die Kinder brauchen. Doch hat Grotius de Jure Belli et Pac. … drey Grade der väterlichen Gewalt gese-  
  {Sp. 945|S. 506}  
  tzet. Der erste Grad ist in dem Stande des kindischen Unvermögens, da sie so wohl Versorgung als Unterweisung bedürfen. Der andere Grad derselben ist, wenn die Kinder zu völligem Verstande gekommen, und zur Nothdurfft erzogen sind, sich aber annoch in der Familie befinden. Der dritte Grad ist der überbleibende Effect der väterlichen Gewalt, wenn die erzogenen Kinder von der übrigen Familie derer Eltern abgezogen sind, doch ist dieser letzte Grad nicht so wohl ein Grad der noch dauernden, als viel mehr ein Effect der allbereit geendigten väterlichen Gewalt, welches auch  behauptet.
  Ziegler aber ad Grotium … meynet, es sey diese Eintheilung nicht nöthig, indem die Kinder allezeit denen Eltern den Gehorsam schuldig wären.  
  Die väterliche Gewalt wird so wohl durch ordentliche und gewöhnliche als durch ausserordentliche u. ungewöhnliche Mittel aufgehoben. Das ordentliche Mittel ist, wenn die Kinder ihre eigene Haushaltung anstellen und sich verheyrathen, welches mit der Eltern Einwilligung geschehen muß. Die ausserordentlichen Mittel sind die Enterbung, wenn der Vater den Sohn aus der Familie stößt, und die Adoption, wenn ein anderer das Kind an Kindes-Statt annimmt.  
Pflichten der Kinder Die Pflichten derer Kinder endlich bestehen darinne. Sind sie noch unter dem ersten Grade der vollkommenen Gewalt, so sind sie verbunden, denenselben mit ehrerbietigen Liebe in allen ihren Handlungen sich zu unterwerffen, denen Befehlen ihrer Eltern müssen sie, wenn sie ihnen auch gleich sehr hart zu seyn scheinen, willig gehorsamen, nichts nach ihrem eigenen Kopffe beginnen, und die väterlichen Züchtigungen demütig und zu ihrer Besserung erdulden. Sind sie zu Verstande gekommen, und stehen annoch unter dem andern Grade der unvollkommenen väterlichen Gewalt, so sind sie, in so weit sie noch disfalls unter väterlicher Gewalt sind, nemlich in denen häuslichen Geschäfften ihrer Eltern noch allerdings zu eben denenjenigen Schuldigkeiten verpflichtet.  
  Doch es nicht zu leugnen, daß die Regeln der Klugheit denen Eltern andere Mittel bey denen erwachsenen als unerwachsenen Kindern vorschreiben. Sind aber die Kinder gar nicht mehr unter der väterlichen Gewalt, als wovon sie der andere Grad zum Theil, der dritte aber völlig befreyet; so müssen sich billig Eltern bescheiden, ihre Gewalt, deren Entzweck sie erlanget, nicht mehr vergeblich oder unrechtmäßig zu gebrauchen. Doch bleibet auf Seiten derer Kinder in beyden Fällen in Ansehung der grossen Wohlthat der Erzeugung und Erziehung die ehrerbietige Liebe und Danckbarkeit eine Pflicht. Sie sind zu gantz besondern Liebes-Pflichten denen Eltern verbunden, und müssen die gemeinen Pflichten der Gefälligkeit, Bescheidenheit, Friedfertigkeit und Gedult denenselben in einem besondern Grad erweisen. Müller im Rechte der Natur …
Literatur Von dieser Materie sind noch überhaupt zu lesen
  • Joann Egelius de Jure naturali parentum in liberos.
  • Textor in Synopsi Juris Gentium c. 7.
  • Rechenberg in Institutionibus Jurispr. naturalis II. 3.
  • Werner in clementis Juris Naturae 27.
  • Gerhard in delineatione Juris Naturae III. 3.
  •  Wolff in Instit. Jurispr. natur. ...
  • Schwartz in Disput. de Limitibus pietatis liberorum erga parentes.
     

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Stand: 4. Januar 2023 © Hans-Walter Pries