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Zedler: Ebbe und Fluth HIS-Data
5028-8-9-9
Titel: Ebbe und Fluth
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 8 Sp. 9-28
Jahr: 1734
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 8 S. 20-30
Vorheriger Artikel: Ebba
Folgender Artikel: Ebbeckesdorf
Siehe auch:
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen

  Text Quellenangaben
  Ebbe und Fluth, Fluxus et Refluxus maris, Aestus maris, ist das bekannte, aber wunderbahre Phaenomenon der Bewegung des See-Wassers, da dasselbe des Tages zweymahl an denen Ufern aufschwellet und an denenselben höher zu stehen kömmt; als wie, wenn die Gewässer in denen Flüssen anlauffen; zweymahl aber auch wieder abnimmt und niedriger an denen Ufern des Meers zu stehen kömmt; nach einer solchen Art, wie das Gewässer in denen Flüssen zuweilen zu fallen pfleget.  
  Wenn das Wasser im Meer anwächset, nennet man es die Fluth; wenn es aber fällt, die Ebbe.  
  Es ist diese eine derer merckwürdigsten Begebenheiten in der Natur, deren Ursache zu ergründen, die Weltweisen sich sehr bemühet haben. Ehe wir aber ihre verschiedene Meynungen anführen, müssen wir zuvor die Phaenomena erzehlen, welche sich bey der Ebbe und Fluth ereignen, um hernachmahls ein desto besser Urtheil von der Übereinstimmung dererselben mit der Erfahrung und Wahrheit fällen zu können.  
  1) Man hat gar bald wahrgenommen, daß diese Bewegung des Meers sich nach der Bewegung des Monds richte. Nemlich wenn der Mond in der östlichen Gegend des Himmels in den sechsten Stunden-Circel kömmt, das ist, wenn er in seiner täglichen Bewegung innerhalb 24. Stunden, an den Ort des Himmels ge-  
  {Sp. 10}  
  gen Morgen gelanget, von der er noch biß zu dem Mittags-Circel 6. Stunden zu lauffen hat, so hebet sich die Fluth, und währet biß der Mond den Mittags-Circel erreichet.  
  Wenn dieser solchen verläßt und gegen den Abend-Horizont sich beweget, so hebet sich die Ebbe an, oder das Fluth-Wasser fängt nun an wieder zu fallen; und dieses so lange, biß der Mond sich 6. Stunden von dem Meridiano entfernet hat, oder in dem sechsten Stunden-Circel in den westlichen Theile des Himmels gelanget ist.  
  Von dar erhebet sich wiederum die Fluth, und dauret, biß der Mond den untern Theil des Meridiani erreichet, oder von unsern Antipodibus in dem Mittags-Circel gesehen wird; da alsdenn die Ebbe sich wieder ereignet und so lange fortwähret, biß der Mond wiederum in den sechsten Stunden-Circel des östlichen Theiles des Himmels zustehen kommet; allwo sich das gantze vorige Spiel von Neuem anfänget.  
  Wir haben demnach erstlich 6. Stunden Fluth, hernachmahls 6. Stunden Ebbe; dann wiederum 6. Stunden Fluth, und endlich wieder darauf 6. Stunden Ebbe, folglich innerhalb 24. Stunden oder einem Tage zweymahl Fluth und zweymahl Ebbe, und zwar ereignet sich allemahl der Anfang der Ebbe, wenn der Mond den Mittags-Circel erreichet, es mag nun solches sich über oder unter unserm Horizont zutragen; daß also unsere Antipodes mit uns zu gleicher Zeit Ebbe und Fluth haben.  
  Daß jede Ebbe und Fluth sechs Stunden daure, bekräfftigen alle Obseruationes, und darff man sich nichts anfechten lassen, wenn einige der Astronomie unerfahrene Obseruatores melden; es fange sich die eine Fluth an, wenn der Mond aufgehe; und die andere, wenn er untergehe; jede aber daure sechs Stunden, und darzwischen jedes mahl die Ebbe gleichfalls sechs Stunden.  
  Denn, daß sich dieses nur in unsern Ländern ereignen könne, wenn der Mond in dem Aequatore sich befindet, in übrigen Fällen aber niemahls zwischen dem Aufgange des Monds biß zum Mittags-Circel, und von dar biß zum Untergange desselben eine Zeit von sechs Stunden enthalten sey; sondern sich dieses nur allezeit zutrage, wenn der Mond von dem einen sechsten Stunden-Circel biß zum Meridianum und von dar biß zum andern Circel der sechsten Stunde bewege; ersiehet ein jeder leicht, der nur die ersten Principia von der Astronomie gefasset: dahero wir auch hier die Astronomischen Benennung um der Accuratesse willen behalten, und dieser Obseruatorum ungeschickte Erzehlung ihrer Leichtsinnigkeit in genauer Aufzeichnung der Obseruationen, bey welchen sie nicht alles so genau zu nehmen pflegen, zuschreiben müssen.  
  2) Diese abwechselnde Bewegung des Monds ist dergestalt mit dem Lauff des Monds genau verknüpffet, daß, da der Mond nach seiner eignen Bewegung innerhalb 24. Stunden sich von der Sonne ungefehr 12. Grad nach Morgen zu beweget, derselbe folglich des andern Tages ungefehr dreiviertel Stunden, mehr oder weniger nach der Declination des Monds, zu den Meridianum und in den sechsten Stunden-Circel später gelanget; auch hiernach die Fluth so wohl als die Ebbe um ¾ Stunden ungefehr später angehe, als den Tag vorher; eben wie solches das vorhergehende Phaenomenon praesupponiret, Vermöge dessen der Anfang der Ebbe oder Fluth sich nach den adpulsum lunae ad Meridianum vel circulum horae sextae richtet; wobey man die Währung der gedachten 6. Stunden nach dem Lauffe des Monds beurtheilen muß, als welcher wegen seiner eigener Bewegung, etwas mehr als  
  {Sp. 11|S. 21}  
  6. Sonnen-Stunden von Nöthen hat, von dem sechsten Stunden-Circel zu den Meridianum zu gelangen; weil nun die Zeiten der Ebbe und Fluth so gar genau dem Lauffe des Monds um die Erde correspondiren; so pflegen auch die Calender-Schreiber an denen Orten, die an der See liegen, dieselben Zeiten in denen Calendern mit zu bemercken, als welche sie gar leicht berechnen können, wenn sie aus der ihnen bekannten Bewegung des Monds die Zeit determiniren, wenn derselbe zu den sechsten Stunden-Circel und Meridianum gelanget.  
  Man muß sich aber  
  3) nicht einbilden, als wenn die Ebbe und Fluth praecise zu der bestimmten Zeit an allen Ufern zu obseruiren wäre; Denn dieses findet nur Statt, wo keine Hindernisse vorhanden sind, die eine solche regulaire Bewegung derer Wasser aufhalten können, dergleichen sich in der offenbahren See ereignet; hingegen, weil solches in seiner Bewegung unterwegens allerhand Zufällen unterworffen ist, ehe es an die Ufer kömmt; so ist es auch kein Wunder, daß, nach veränderlicher Beschaffenheit derer Ursachen, so dergleichen Zufälle würcken, an jedem Ort und Ufer einiger Unterscheid sich zeige.  
  Kircherus, welcher in Mundo subterraneo viele Obseruationes von der Ebbe und Fluth aufgezeichnet, meldet ... Maxima maris intumescentia tum primum sit, cum Luna Meridiani ejus loci supremum vel imum locum occupat; und Quaest. 1. versichert er, quod in omnibus Oceani locis, vbi nullum impedimentum intercedit, fluxus sex horis fiat, e.g. in freto Magellanico, in canali ad littora intra Africam et insulam S. Laurentii interjecto.  
  In denen neuern Zeiten hat die Academie der Wissenschafften in Franckreich diese Sache sich angelegen seyn lassen und denen Professoribus Hydrographiae in denen Häfen von Franckreich Befehl ertheilet, nach einer ihnen ertheilten Vorschrifft die Ebbe und Fluth genau zu obseruiren. Histoire de l'Academie Royale des Sciences an. 1701. …
  Cassini, der jüngere, hat die aus verschiedenen Orten eingelauffenen Obseruationen mit einander verglichen, wie aus denen Memoires derselben Academie … zu ersehen;
  aber befunden, daß man in einem jeden Hafen besondere Regeln von Nöthen habe, wenn man die Zeit und Beschaffenheit der Ebbe und Fluth genau bestimmen will.  
  4) Was die Direction dieser Bewegung des Meeres anlanget, so hat man wahrgenommen, daß solche von Morgen gegen Abend allezeit geschehe und gleichsam als eine Modification der generalen Bewegung des Meers anzusehen sey, Vermöge deren solches sich beständig von Morgen gegen Abend beweget, so daß auch der stärckste Wind solches nicht in dieser Bewegung aufhalten kan.  
  Man darff sich aber diese Direction der Bewegung des Meers nicht an denen Ufern desselben einbilden, als an welchen solches bey der Fluth sich in die Höhe erhebet und bey der Ebbe wieder sencket, folglich sich dieses Aufschwellen und Fallen nach der Direction derer Ufer richtet; sondern es ist hier die Frage von der hohen See, wo keine Verhindernisse vorhanden, die die Direction verändern können.  
  Dieser ihre Direction währender Fluth ist vom Morgen gegen Abend gerichtet, und verursachet das Aufschwellen derer Wasser nach und nach an den Ufern so lange biß der Mond in den Mittags-Circel kömmt, allwo die gröste Fluth ist. Von dar an fängt sich das Meer ieder an wuz setzen und Ebbe zu machen, doch so, daß  
  {Sp. 12}  
  des ablauffenden Wassers Direction gleichfalls vom Abend gegen Morgen gerichtet ist.  
  Es könnten einige sich einfallen lassen, als ob bey der Fluth die Bewegung des Meers vom Morgen gegen Abend und bey der Ebbe vom Abend gegen Morgen gerichtet sey, und folglich zu- und abflüsse; dahero Varenius solchen Zweiffel zu benehmen in seiner Geographia generali … folgende Obseruationes zur Behauptung unsers Phaenomi anführet:  
  Nemlich in der offenbahren See unter der Zona torrida obseruiret man keine andere Bewegung des Meers, als die, so vom Abend gegen Morgen geschiehet. In denen Meer-Engen, die gerade vom Morgen gegen Abend zu sich erstrecken, und mit der offenen See connectiret sind, dergleichen wir an dem freto Magellanico, Maniliensi, Jauae und andern Indianischen Inseln antreffen, ist zwar innerhalb 12. Stunden einmahl Ebbe und Fluth, und die Direction des Fluth-Wassers ist vom Morgen gegen Abend gerichtet; allein bey der Ebbe flüsset das Wasser nicht durch die Mündung der Meer-Enge, die gegen Morgen lieget, wieder ab, sondern dieser Abfluß ereignet sich durch die Mündung derselben an der Abend-Seite; woraus klärlich erhellet, daß auch die Bewegung des abflüssenden Wassers vom Morgen gegen Abend dirigiret sey; eben so wie die Direction der täglichen Bewegung des Monds um die Erde vom Morgen gegen Abend geschiehet.  
  5) Die Grösse der Fluth und Ebbe pfleget man durch eine perpendicular-Linie zu messen, welche die Distance der Horizontal-Linie auf dem Fluth-Wasser von der Horizontal-Linie des Wassers der Ebbe zu erkennen giebet; denn, wie groß diese Linie ist, um so viel ist das Wasser von der grösten Ebbe biß zur höchsten Fluth perpendiculariter gestiegen.  
  Diese Stärcke der Fluth ist weder zu allen Zeiten noch an allen Orten von gleicher Grösse. Denn, was das erste anlanget, so richtet sich solche nach der eigenen Bewegung des Monds in seiner Bahn, wie aus denen folgenden Phaenomenis erhellen wird; und was das andere betrifft, so ist an einigen Orten des Meers eine starcke Fluth und Ebbe; an einigen eine mittelmäßige; und an einigen Orten ist sie fast gar nicht mercklich.  
  Das erstere ereignet sich an denen Örtern des Meers, die unter der Zona torrida liegen; ferner an solchen, die sich gerade vom Morgen gegen Abend, oder auch diesen zur Seite erstrecken; ingleichen wo wenig Inseln, Vorgebürge und Klippen vorhanden; wie denn auch in denen Meer-Busen, die sehr lang aber nicht sonderlich breit sind, eine starcke Fluth und Ebbe angemercket wird.  
  Geringer ist diese meistentheils in denen Meeren, die weiter von der Zona torrida abgelegen sind; und in dem mittelländischen Meer und Sinu Balthico, ingleichen in dem gantzen mitternächtigen Meere über England, Norwegen und Grönland ist, solche fast gar nicht mercklich; wiewohl auch dieses alles noch wegen der besondern Lage verschiedener Orte, zuweilen seinen Abfall leidet.
  • Kircherus l.c.
  • Fromondus Meteorolog. L. V.
  • Honoratus Fabri in Phys. T. III.
  • Varenius l.c.
  • Sturm Phys. Eclect.
  Überhaupt aber ist die Fluth an denenjenigen Orten respectiue am grösten, denen der Mond in Zenith ist; wie denn alle Obseruationes einhellig bekräfftigen, das gerade unter dem Monde das Wasser am höchsten auf-  
  {Sp. 13|S. 22}  
  schwelle. Cassini hat über dieses angemercket, daß je grösser die Fluth ist je grösser auch die Ebbe sey, so, daß das Wasser in der Ebbe niedriger stehe als es sonsten stehen würde, wenn keine Fluth gewesen wäre.  
  6.) Aus denen bißherigen Phaenomenis erhellet zur Gnüge, daß die Abwechselung der Ebbe und Fluth und ihre Stärcke eine genaue Verwandniß mit der täglichen Bewegung des Monds habe; allein man hat auch über dieses vor alten Zeiten schon angemercket, daß sich die Ebbe und Fluth, besonders was ihre Stärcke anlanget, nach der eigenen Bewegung des Monds von der Sonne richte.  
  Denn man hat befunden, daß um den Neu-Mond und um den Voll-Mond an einem gegebenen Orte der Erden die Fluth grösser sey als zu einer andern Zeit; und daß sie von dem Neu-Mond an biß zu dem ersten Viertheil ab, und von dar biß zu den Voll-Mond wieder zunehme; von dem Voll-Mond aber, biß zu den letzten Viertheil zum andern mahl ab, und von dar biß zu dem Neu-Mond wiederum zunehme.
  • Kircherus l.c.
  • Varenius l.c.
  Jedoch trifft es hier auch nicht so genau biß auf einen Tag ein, daß die gröste Fluth eben auf den Tag fiele, wenn der Voll- oder Neu-Mond ist, und hingegen die geringste Fluth eben auf den Tag, da wir das erste oder letzte Viertheil haben; sondern es verspätet sich etwas zu einer Zeit in einem Orte mehr als in dem andern: insgemein rechnet man die gröste Fluth auf den dritten Tag nach dem Neu- oder Voll-Monde.  
  Die grosse Fluth zur Zeit der Neu- oder Voll- Monde wird von denen Holländern, Springvloet; hingegen die Fluth zur Zeit derer Viertheil-Monde, Schraelwater genennet.  
  Es bekräfftiget das vorige die von dem Cassini obgedachte Vergleichung der Obseruation, als welche über dieses angiebet, daß die gröste Fluth allezeit nach dem Neu- und Voll-Monde, niemahls aber vor demselben komme, wie man sonst geglaubet, daß es sich wohl auch zutragen könne.  
  Eben so hat derselbe daraus befunden, daß die kleinste Fluth zwey bis drey Tage nach denen Viertheils-Monden sich ereigne, ingleichen, daß die tägliche Verzögerung der Fluth kleiner ist von denen Neu- u. Voll-Monden zu denen Viertheiln, als von denen Viertheiln zu denen Neu- und Voll- Monden.  
  7.) Eben dieser Cassini hat noch besondere andere Umstände entdecket, die zuvor von niemanden wahrgenommen worden; wodurch er noch eine viel genauere Übereinstimmung der Ebbe und Fluth mit der eigenen Bewegung des Monds in seiner Bahn herausgebracht.  
  Es zeiget nehmlich seine Vergleichung der Obseruationen, daß die Grösse der Fluth sich nach der Weite des Monds von der Erde richte, und sie grösser sey, wenn der Mond der Erde nahe, als wenn er weit davon weg ist. Und ist dahero als was besonders anzusehen, daß die Fluth in denen Quartier-Monden, wenn der Mond im Perigaeo ist, so groß seyn kan, als in Neu- und Voll-Monden, wenn in diesen der Mond das Apogaeum celebriret oder von der Erde am weitesten wegstehet.  
  8.) Ferner hat Cassini befunden, daß die Fluth sich auch nach der Declination des Monds oder dessen Abstande von dem Aequatore richte, und daß die Würckung, wodurch die Fluth verursachet wird, in Ansehung der Declination nur halb so groß sey, als die in Ansehung der Weite des Monds von der Erde.  
  Z.E. Wenn die Fluth deswegen, weil der Mond in  
  {Sp. 14}  
  Perigaeo oder Erdnahe, zwey Schuh höher ist, als sonst; so ist sie deswegen nur einen Schuh höher, wenn solches von der Declination des Monds herrühren soll, da er keine hat, sondern im Aequatore anzutreffen ist; wie denn überhaupt bey zunehmender Declination des Monds die Fluth abnimmt.  
  9.) Man hat auch schon vor Alters die dritte Bewegung in dem Meere erkannt, welche mit dem jährlichen Lauffe der Sonnen zusammen stimmet, und in einem Jahre zu Ende kömmt.  
  Nemlich man hat wahrgenommen, daß um die Zeit, wenn Tag und Nacht gleich wird, als zu welcher Zeit sich die Sonne in dem Aequatore befindet, die gröste Fluth an einem gegebenen Orte am grösten sey; und um die Zeit, wenn der Tag am längsten oder kürtzsten, das ist, wenn die Sonne die gröste Declination hat, die sonst gewöhnliche gröste Fluth an einem Orte kleiner sey als zu einer andern Zeit des Jahrs. Und man hat schon vor diesem dafür gehalten, daß die Fluthen von dem Aequinoctio an biß zu denen Solstitiis ab, hingegen von diesem biß zu dem andern Aequinoctio wieder zunehmen.
  • Kircherus l.c.
  • Varenius l.c.
  • J.C. Sturm l.c.
  Die neuern Obseruationes des Cassini bekräfftigen solches, daß die Declinationes der Sonne zur Verminderung in der Grösse der Fluth etwas beytragen, ob zwar solche nicht so viel effectuiren, als die Declinationes des Monds; jedoch erinnert eben derselbe, daß hierzu Obseruationes von etlichen Seculis von Nöthen wären, wenn man was gewisses von der Grösse der Würckung, so von der Declination der Sonne herrühre, bestimmen wollte.  
  Dieses sind die vornehmsten Phaenomena der Ebbe und Fluth, aus welchen man wird beurtheilen können, welche Hypothesis, die man die Ursache derselben zu erklären ausgedacht, den grösten Grad der Wahrscheinlichkeit habe.  
  Es mangelt zwar allerdings noch an einer vollständigen Historie hiervon, und eine genugsame Menge von Obseruationen aus verschiedenen Orten müssen mit der Zeit ein Licht geben, was vor besondere Umstände die allgemeinen Phaenomena in ihrer Ordnung an verschiedenen Orten verhindern, und solche irregulair machen; doch sind die allgemeinen Phaenomena dergestallt beschaffen, daß man noch eine gute und hinlängliche Ursache von der Ebbe und Fluth anzugeben vermögend ist, aus welcher man zugleich erlernen kan, auf was für Umstände man bey denen künfftigen Obseruationen Acht zu geben hat, und die Particular-Ursachen der Veränderung in der Ebbe und Fluth auch zu entdecken.  
  Wir führen demnach folgende verschiedene Meynungen derer Weltweisen von der Ebbe und Fluth an; und zwar erst kürtzlich diejenigen, die den Grund hiervon anders woher, als von der Bewegung des Monds, gesucht; hernachmahls dererselben, die den Mond und dessen Bewegung als den Haupt-Grund davon angesehen, worunter vor andern von der Cartesianischen und Newtonischen, als denen jetziger Zeit bekanntesten Hypothesibus wird zu reden seyn.  
  Unter denen Alten sollen Plato und seine Anhänger in der Meynung gestanden haben, es wären unter dem Grund des Meers grosse Schlünde und Abgründe, aus welchen die immer zu mit Gewalt herausflüssende, und die wieder da hinein dringende Wasser eine solche Meers-Bewegung verursachten; welche Meynung aber Honoratus Fabri l.c.  
  {Sp. 15|S. 23}  
  und Fromondus l.c. längstens wiederleget.  
  Andere haben die Sache auf die kürtzeste Weise zu erklären gesucht, indem sie gewisse Geister angenommen, die unter dem Welt-Meer bliesen, und durch solches Blasen die Ebbe und Fluth erregten.  
  Einige hielten dafür, daß das unterirrdische Feuer durch seine Entzündung das Meer unruhig mache.  
  Noch andere sagten, die unter dem Wasser eingeschlossene Lufft drücke das Meer, erhebe solches, treibe es auswärts gegen seine Ufer, und wenn dieses das Meer einige Zeit ausgestanden, schlage es die Lufft mit eben solchem Ungestüm wieder zurücke.  
  Allein alle diese Hypotheses sind dergestallt beschaffen, daß sie mit einer so regulairen Abwechselung der Ebbe und Fluth keines Weges, und um desto weniger mit denen Phaenomenis bestehen können. Vernünfftiger ist die Meynung des Galilei in Dialogis de Systemate Mundi Dial. 4. welcher die Ebbe und Fluth und die tägliche Bewegung des Monds, als mit einander correspondirenden Dinge, von einer dritten Ursache, nemlich von der Bewegung der Erde um ihre Axe herleitet; denn weil von dieser die tägliche Bewegung des Monds dependiret; so hat er auch diese als eine Ursache der Ebbe und Fluth angegeben, indem nemlich das Meer-Wasser der geschwinden Reuolution der Erden vom Abend gegen Morgen nicht so geschwind folge, sondern etwas gegen Abend zu zurücke stehen bleibe und dadurch die Ebbe verursache; hernachmahls aber bey continuirter Reuolution der Erden wieder an seinen Ort gelange und Fluth mache.  
  Wallisius Dissert. de Fluxu et Refluxu Maris hält diese Hypothesin zwar vor vernünfftig; will aber doch die Bewegung des Mondes nicht ausgeschlossen haben; und Gassendus in Animaduersionibus … nachdem er verschiedene Meynungen hierüber angeführet, bezeuget vor diese die gröste Hochachtung, ungeachtet er nicht in Abrede ist, daß dieselbe noch vielen Schwierigkeiten unterworffen; wie denn auch bey dem BerigardoCircul. Pisan. viele Beweiß-Gründe zu finden, so wieder diese Meynung könten angeführet werden.  
  Es hat aber Galileus schon zuvor gesehen, daß aus dieser seiner Hypothesi folge, daß innerhalb vier und zwantzig Stunden nur eine Fluth kommen könne, und die andern nur zufälliger Weise Statt finde; weswegen wir auch, da diese Meynung denen übrigen Phaenomenis gantz und gar kein Genügen thut, uns nicht länger darbey aufhalten wollen.  
  Unter denenjenigen, welche die Würckung der Ebbe und Fluth denen Gestirnen, besonders dem Monde unter Sonne zuschreiben, sind wiederum verschiedene, die diesen influxum auf verschiedene Art erklären.  
  Keplerus in Astronomia Lunari … eignet dem Monde eine der magnetischen Kraft ähnliche Ursache zu, wodurch sie das unter ihr auf der Erde befindliche Wasser gleichsam in die Höhe ziehet. Diese Hypothesis ist weit vernünfftiger als die andern, welches unten bey der Newtonischen Hypothesi erhellen wird, als welche ihren Ursprung daher genommen.  
  Andere als Isaac Vossius de Motu Marium et VentorumThomas Campanella in Disquisitionibus Physiologicis … und unter denen neuern Jo. Andreas Schmidt in Physica positiua … wollen, die Sonne breite das Wasser durch ihre Hitze aus; wenn nun das Wasser also aus einander getrieben wird und grössern Platz erfordert,  
  {Sp. 16}  
  so trete es an denen Ufern aus, und komme endlich, wegen der natürlichen Neigung eingeschlossen zu seyn, wieder in seinen Strom. Allein auch diese Hypothesis, der unzulänglichen und noch nicht erwiesenen Art und Weise des Ausbreitens nicht zu gedencken, thut denen Phaenomenis kein Genügen, als welche einhellig den Mond mit im Spiele haben wollen.  
  Kircherus in Mundo Subterraneo … suchet den Grund im Monde, bildet sich aber ein, daß, gleichwie unsere Wasser viel Saltz in sich hätten, also wären auch die Wasser in dem Monde mit Saltz-Theilgen, wiewohl von einer andern Art, angefüllet, welche, indem sie mit denen Strahlen aus denen Meeren des Mondens auf unser Welt-Meer zurück schössen, zugleich abflössen, und mit dieses seiner Saltzigkeit vermischet würden, eine Efferuescentiam und solche Aufkochung des Meer-Wassers verursachten, welche die Ebbe und Fluth vorstellen könnte. Es scheinet aber diese Influentz etwas gar zu Handgreifflich zu seyn.  
  Cartesius in Princip. Philos. … erkläret die Sache durch einen Druck, und nimmt an, daß der Mond die Himmels-Lufft drücke, und seinen Druck durch unsere Lufft biß auf das Wasser in der See propagire, wodurch dasselbe gegen die Ufer getrieben werde. Es eignet nemlich derselbe einem jeden Planeten einen Wirbel von subtiler Himmels-Lufft zu, welcher von denen andern umstehenden Wirbeln eingeschlossen ist, und alles darinnen befindliche um den Mittel-Punct des Planeten herum treibe.  
  Einen dergleichen Wirbel giebt er auch der Erden, welcher den Mond um sie herum führet, der aber auch zugleich mit der Erde und dem Mond in dem grossen Wirbel, der um die Sonne ist, mit fortgerissen wird. Nun saget Cartesius, wäre in dem Erd-Wirbel kein Mond, so bliebe derselbe innerhalb seinen Schrancken, und würde seine innere halb ihm eingeschlossene Himmels-Lufft von nichts zusammen gedrückt; allein da der Mond in dem Erd-Wirbel oder zu Ende desselben stehet, und einen ziemlichen Platz nach seiner Grösse ausfüllet, so müste der Platz des Wirbels zwischen ihm und der Erden um so viel kleiner werden, als der Diameter des Monds selber sey; hierdurch würde die darzwischen liegende Himmels-Lufft sehr starck zusammen gedruckt, daß sie durch diese Compression die Erde selbst in etwas aus ihrem Mittel-Puncte schiebe, und diese der drückenden Gewalt in so weit weichen müste, biß der Raum zwischen denen Antipodibus und dem untern Ende des Erd-Wirbels, dem Raume zwischen der obern Fläche der Erden und dem Monde gleich werde, woraus folge, daß diese drückende Krafft sich auf das Wasser als ein flüßiges Element erstrecke, wodurch solches auf dem Welt-Meer gedruckt würde, u. gegen die Ufer anlauffe, biß indessen die Erde sechs Stunden in ihrer Bewegung um die Axe zugebracht; als worauf sich nach geendigtem Drucke der Ablauff oder die Ebbe anfange.  
  Es erhelle hieraus ferner, daß, da die Erde durch den Druck der Himmels-Lufft auf die gegen-überstehende Seite etwas aus ihrem Mittel-Puncte gerücket würde, nicht nur oben, wo der Mond stehe, sondern auch bey denen Antipodibus zu gleicher Zeit, gleiche Bewegung des Meers müsse verspüret werden; ingleichen, daß weil der Mond in seiner Orbita alle Tage fortgehe und also den andern Tag nicht mehr in dem Puncte des Himmels sich befinde,  
  {Sp. 17|S. 24}  
  wo er heute gewesen, die Ebbe und Fluth den andern Tag auch später, angehen müsse.  
  Er erinnert ferner, daß diese Bewegung des Meers zur Zeit derer Neu- u. Vollmonde deswegen stärcker als sonsten sey, weil der Mond in eine Ellipsi sich bewege, und sich zu derselben Zeit in dieser ihrer kleinen Axe befinde, folglich der Erden näher sey, und daher desto stärcker drucke; hingegen zur Zeit der Viertheil-Monden befinde sich der Mond in der grossen Axe seiner Elliptischen Bahn, und sey daher der Raum zwischen ihm und der Erde alsdenn grösser, als zur Zeit derer Neu- und Voll-Monde, weswegen auch alsdenn die Ebbe und Fluth zur selben Zeit geringer sey.  
  Es hat diese Hypothesis des Cartesii viel Wahrscheinlichkeit, und thut vielen oben angeführten Phaenomenis ein Gnügen, weswegen sie auch von vielen Physicis angenommen und vertheidiget worden, als von  
 
  • Antonio le Grand in Instit. philos. …
  • Fromondo in Meteorolog.
  • du Hamel in Opp. Philosoph. …
  • Varenio in Geographia generali …
  • Honorato Fabri in Phys. …, wiewohl dieser in etwas davon abgehet, und die Schwere des Monds gegen die Erde, und der Erde gegen den Mond und den daher rührenden ungleichen Druck der Lufft mit zu Hülffe nimmt;
  • von Morhof in Polyhistor. …
  • Jo. Christoph Sturm in Phys. Elect. …
  • Ludolph in dissert. de Fluxu et refluxu maris, Jena 1702
  • und andern.
 
  Doch ist nicht zu läugnen, daß diese Hypothesis des Cartesii noch verschiedenen wichtigen Schwierigkeiten unterworffen ist, und daher keinen zulänglichen Grad der Wahrscheinlichkeit hat.  
  Denn erstlich ist sie auf den schlüpfrichen Grund der Cartesianischen Wirbel gebauet, deren Ungrund verschiedene Phaenomena des Himmels, besonders einiger Cometen, die sich in ihrer eigenen Bewegung, wieder die Direction derer Wirbel, von Morgen gegen Abend bewegen, zu erkennen geben. Wenn aber keine eingeschloßene Wirbel in der Natur Statt finden, so fällt auch die Zusammendrückung der innerhalb dem Erden-Wirbel befindlichen Himmels-Lufft von dem Mond, weil sie alsdenn allenthalben ausweichen kan, über den Hauffen, u. kan folglich durch deren Druck keine Ebbe und Fluth hervor gebracht werden.  
  Über dieses stimmet diese Theorie mit denen Phaenomenis selbst nicht überein, weil der Druck nach des Cartesii Sinne das Wasser auf der Erden, so sich gerade unter dem Monde befindet, niedriger machet und einen Quadranten davon oder in dem sechsten Stunden-Circel beyderseits die Fluth verursachet; da hingegen, wie wir oben angeführet, alle Obseruationes einhellig bekräfftigen, daß unter dem Monde die Wasser aufschwellen, und die gröste Fluth erregen.  
  Es geschehen auch nicht alle Neu- und Voll-Monde in dem kleinen Diameter der Elliptischen Bahn, u. die Viertheil-Monde in dem grossen; daher auch die Raison von der stärckern Fluth in denen Syzigiis, und schwächern in denen Viertheiln nicht zulänglich; und was dergleichen mehr, so diese Hypothesin des Cartesii unwahrscheinlicher machen.  
  Einen weit grössern Grad der Wahrscheinlichkeit, ja fast ein Grad der Gewißheit hat die Newtonianische Theorie, indem sie nicht nur auf ein Phaenomenon der Natur gebauet ist, welches alle zugestehen müssen, sondern auch von alle dem, was man von der Ebbe und Fluth bißher obseruiret, den Grund auf eine sehr natürliche und begreiffliche Weise anzeiget.  
  Es gründet sich aber diese Theorie des Newtons auf die  
  {Sp. 18}  
  Schwere, welche der Mond gegen die Erde, und hinwiederum die Erde gegen den Mond, ingleichen die Sonne gegen die Erde, und die Erde gegen die Sonne hat; welche, damit sie niemanden einen Scrupel erwecket, zumahl da Newton durch das willkührlich angenommene Wort, Adtraction, (welches so vielen nicht gefallen will) seine Theorie erläutert, wir folgender Massen erklären.  
  Es hat ein jedweder Theil unserer Erde eine Schwere, das ist, eine Krafft, sich gegen den Mittel-Punct der Erde zu bewegen, wenn sie an ihrer Action nicht verhindert wird; daher auch ein jeder Cörper, der ausserhalb der Erden gebracht und sich überlassen wird, freywillig gegen die Erde herunter fällt. Dieses ereignet sich rund um die Erde herum, und ist allemahl die Direction der Schwere gegen den Mittel-Punct der Erden gerichtet; woraus erhellet, daß die Schwere eine vis centripeta sey.  
  Man mag einen Cörper hoch, oder nicht allzu hoch, über die Erde bringen, so wird er allezeit von dieser Krafft, (sie mag nun bestehen, worinnen sie will, genung, daß sie in der Natur vorhanden) wieder herunter getrieben; und können wir daher keinen Terminum adsigniren, wo die Action dieser Krafft, die Cörper gegen den Mittel-Punct der Erden zu treiben, aufhören sollte, sondern es ist der Vernunfft gemäß, daß sie sich durch das gantze Systema Mundi ausbreitet, ungeachtet sie an ihrer Force beständig abnehmen (wie auch würckl. geschiehet, Vermöge des folgenden) und in einer sehr grossen Weite von der Erden, wenn ihr nemlich von andern viribus centripetis Einhalt geschiehet, keinen Effect mehr des Herabsteigens derer Cörper gegen die Erde hervorbringen kan.  
  Die Gewißheit hiervon giebt die eigne Bewegung des Monds um die Erde zu erkennen. Denn aus dieser folget, daß der Mond eine vim centripetam gegen die Erde haben müsse; indem, wo diese nicht vorhanden wäre, auch nichts den Mond in seiner Bewegung gegen die Erde zu zurück halten könnte, daß er in einer krummen Linie sich um sie bewegte, sondern es würde derselbe, Vermöge des Grund-Satzes der Mechanic, nach einer geraden Linie in infinitum sich fortbringen und mehr und mehr von der Erden entfernen.  
  Diese vis centripeta, welche den Mond zwingt, daß er eine gewisse krumme Linie durch seine Bewegung um die Erde beschreiben muß, ist eben die Krafft der Schwere, die durch das gantze Vniversum disponiret ist, und die Cörper gegen die Erde zu treibet, wenn sie nicht von einer stärckern Krafft daran verhindert wird. Es erweiset solches Nevvton in Princip. philos. Natur. Nathem. … und aus ihm Dauid Gregorius in Elem. Astron. Phys. et Geometr. ...
  Nemlich weil der Mond in seiner Bewegung nicht nach einer geraden Linie fortgehet, sondern davon beständig abweichet, und von der gedachten vi centripeta gegen die Erde zu getrieben wird, so fällt er gleichsam beständig gegen die Erde zu, und zwar beträgt der Raum dieses Falles in einer Minute 15 ½ Fuß aus, wie sich aus Astronomischen Gründen leichtlich zeigen läst.  
  Es darff sich aber niemand einbilden, als wenn der Mond, indem er beständig so fort falle, endlich gar auf die Erde antreffen würde; denn dieses Fallen ist nur von der Abweichung der geraden Linie zu verstehen, nach welcher der Mond in seinem motu progressiuo fortgehen würde, wenn ihm nicht die vis centripeta gegen die Erde zurücke hielte; da hingegen die Gleichheit der vis centripetae und der aus dem motu herrührenden vis centrifugae, den Mond zwingt, eine gewisse krumme Linie in seiner Bewegung um die Erde zu beschreiben, und keinesweges zuläßt, daß  
  {Sp. 19|S. 25}  
  der Mond gäntzlich gegen die Erde könne zu getrieben werden.  
  Nun hat Hugenius bey der unveränderlichen Schwere, so in der Gegend der Ober-Fläche unserer Erden Statt findet, durch Experimente die Höhe ausfündig gemacht, durch welche ein Cörper bey uns innerhalb einer Minute fallen muß, und Nevvton hat, von der veränderlichen Schwere in verschiedenen Weiten von der Erde erwiesen, daß in einer solchen Weite von der Erden wie der Mond davon hat, ein Cörper von der dort agirenden Krafft der Schwere innerhalb einer Minute 15 ½ Fuß fallen müsse; welches da es sich, wie oben gedacht, bey dem Monde ereignet, klärlich darthut, daß die vis centripeta des Monds nichts anders sey als eine Krafft der Schwere, die den Mond nach der Erden zu vrgiret.  
  Daß aber die Schwere veränderlich sey, und beständig immer abnehme, ie weiter man sich von der Erde entferne, erhellet daraus, daß der Mond in einer Ellipsi sich bewege, als von welcher Bewegung in der höhern Mechanic demonstriret wird, daß die darbey arbeitenden vires centripetae sich reciproce wie die Quadrate derer Weiten, von dem Mittel-Puncte, nach welchen die Vires centripetae dirigiret sind, verhalten.  
  Vermöge dessen würde also ein Stück Bley, so bey uns hier 1 Pfund wieget, wenn man es so weit von uns entfernete, als der Mond stehet, nicht mehr 1 Pfund sondern weniger wiegen, und zwar würde alsdenn dessen Schwere sich verhalten, zu der Schwere eines Pfundes, welche es hier auf der Erden gehabt, wie das Quadrat des Semidiametri der Erden oder unserer Entfernung von dem Mittel-Puncte der Erden zu dem Quadrate der Weite des Monds von der Erden, als wohin wir das Bley gesetzt zu seyn angenommen haben.  
  Es hat demnach der Mond und jedweder Theil desselben eine Schwere gegen die Erde, und ist dieselbe geringer, wenn der Mond weiter von der Erden entfernet ist, grösser aber, wenn er derselben näher stehet, und zwar sind diese Schweren in ratione reciproca derer Quadrate ihrer Entfernung einander proportioniret; welches auch von jedwedem Theile des Monds zu verstehen.  
  Gleichwie dieses sich so in Ansehung der Erde verhält; also findet auch solches umgekehrt von der Erde in Ansehung des Monds Statt, und hat dieselbe, wie auch ein jedweder Theil derselben gegen den Mond eine Schwere, die dem Quadrate der Entfernung reciprocé proportioniret ist. Es ist nemlich der Mond ebenfalls ein Welt-Cörper wie unsere Erde, und dessen Theile müssen gegen seinen Mittel-Punkt einen Nisum, das ist, eine Schwere haben, weil sie sonst keinen solchen festen und bey nahe runden Cörper formiren, sondern aus einander gehen würden.  
  Diese Krafft der Schwere befindet sich nun nicht in dem Cörper des Monds allein, sondern extendiret sich auch ausserhalb dem Monde, und vrgiret die ausserhalb dem Monde befindlichen Cörper gegen den Mittel-Punct; reichet also folglich auch biß an unsere Erde, und verursachet, daß auch die Theile unserer Erde einen Nisum oder Schwere gegen den Mond haben, derer Force reciproce dem Quadrate der Weite von dem Centro des Monds proportioniret ist; wie Nevvton und Gregory in angezogenen Örtern erweisen.
  Wäre dieser Nisus derer Theile unserer Erde gegen den Mond stärcker, als eben derselbigen ihrer Schwere gegen den Mittel-Punct der Erden,  
  {Sp. 20}  
  so würden selbige von dieser abgerissen und gegen den Mond zu getrieben werden. Allein da die Schwere dieser Erd-Theile gegen das Centrum der Erden weit stärcker ist, als der Nisus derselben gegen den Mond, so können solche auch nicht von ihr durch diesen Nisum abgerissen werden; inzwischen destruiret doch dieser Nisus ein Stück von der Schwere gegen das Centrum der Erden, als zwey einander entgegen gesetzte Kräffte und verursachet, daß die Theile der Erden nicht so starck von ihrer Schwere gegen den Mittel-Punct der Erden vrgiret werden, als sie würden davon gedruckt werden, wenn kein dergleichen Nisus in derselben gegen den Mond vorhanden. Mit einem Worte, dieser Nisus macht die Theile unserer Erden gegen ihren Mittel-Punct leichter, als sie würcklich seyn würden, wenn gedachte Nisus cessirte.  
  Was hier von der Schwere des Monds gegen die Erde, und hinwiederum von der Schwere der Erden gegen den Mond gesagt worden, findet auch von denen übrigen Welt-Cörpern Statt, und hat solchergestallt die Erde, welche sich um die Sonne beweget, eine vim centripetam oder Schwere gegen die Sonne, und hinwiederum die Sonne gegen die Erde; und zwar ist diese gleichfalls reciprocé dem Quadrate der Entfernung proportioniret.  
  Der Mond hat zwar auch eine Schwere gegen die Sonne, et vicissim; allein diese ist bey weitem nicht so starck, als die Schwere des Monds gegen die Erde, welches eben die Ursache ist, warum sich der Mond um die Erde, und nicht in einer besondern Orbita um die Sonne herumbeweget.  
  Wenn man nun dieses alles annimmt, wie man denn solches als eine von denen Mathematicis unwidersprechlich demonstrirte Wahrheit einräumen muß; so kan man die Ursache der Ebbe und Fluth, und deren phaenomena gar leichte darthun und erweisen.  
  Es sey ABCD die Erde, in T ihr Mittel-Punct in L der Mond, welcher dem Orte auf der Erden C in Zenith, dem Orte A in Nadir; und sey die Erde endlich an der äussern Fläche um und um mit Wasser umflossen, oder die Section der Erden ABcD sey dieselbe, wo das grosse Welt-Meer sich befindet.  
  Weil der Ort C dem Monde näher liegt, als das Centrum derselben, oder die von Mond mit demselben gleich weit abstehenden Örter B, D, so ist die Schwere in C gegen den Mond stärcker, als in T oder denen Örtern B, D. Und zwar verhält sich die Schweren in C zu der Schwere in T (oder B oder D) wie das quadrat der Weite TL zu dem Quadrat der Weite CL oder wie TL2 : CL2.  
  Es sey TL2 : CL2 = LM : LT, und es wird LM die Schwere in C, und LT die Schwere in T gegen den Mond vorstellen; folglich wird um das Stück TM nach der Direction MT die Schwere in C gegen den Mond grösser seyn als in T oder in denen Puncten B, D.  
  Hieraus ist klar, daß, weil in C das Wasser schwerer gegen den Mond, als in denen Örtern B oder D; dasselbe in C nicht so starck gegen die Erde grauitire, als das Wasser B oder D, dahero wird es von diesem ex ratione tuborum communicantium (indem die Wasser in dem Meer gleichermaßen mit einander communiciren) in die Höhe getrieben, biß es das Aequilibrium mit ihm erhält.  
  Denn von denen Tubis communicantibus ist bekannt, daß, wenn man sie mit Liquoribus diuersae grauitatis specificae, z.E. mit Wasser und Öl fül-  
  {Sp. ohne Zählung|S. 26}  
  der Liquor von der leichtern Art als das Öl er über der Horizontal-Linie stehe, als der von schwerern Art z.E. das Wasser. Da nun die bey allen denen zwischen C und B und C und D  
  [Grafik]  
  gelegenen Theilen des Wassers Statt findet, oder diese nicht so schwer gegen den Mittel-Punct der Erden grauitiren, als das Wasser in D oder B, so müssen auch dieselben höher zu stehen kommen als in D oder B.  
  Allein ie näher ein Ort von C gegen B oder D zulieget, ie geringer wird schon dessen Schwere gegen den Mond und ie grösser gegen die Erde. Dahero ob es schon an denenselben zwischen C und B oder D gelegenen Örtern höher stehet als in B und D, so stehet es doch nicht so hoch als in C, sondern nimmt von dar biß gegen B und D an seiner Höhe beständig ab, und repraesentiret folglich eine halbe Oual-Figur BcD, deren gröste Höhe unter dem Mond in c ist.  
  Der Ort auf der Erden in A, dem der Mond in Nadir, ist weiter von Mond L entfernet, als der Mittel- Punct der Erden T oder die Örter B, D. Dahero ist auch die Schwere in A gegen den Mond geringer  
  {Sp. 22}  
  als in T, B oder D; und zwar verhält sich diese Schwere in A gegen der Schwere eggen den Mond inn T = TL2.  
  Es sey TL2.LA2 : LA2 = LN:LT, und es wird alsdenn die Linie LN die Schwere gegen den Mond in A, und LT, die Schwere in T, D oder B gegen den Mond vorstellen, folglich die Schwere in A gegen den Mond um TN und zwar nach der Direction NT geringer seyn als in T, B oder D.  
  Es kömmt aber die Direction AT der Schwere, welche das Wasser in A gegen den Mittel-Punct der Erden T hat mit der Direction AL der Schwere des Wassers in A gegen den Mond; dahero wenn diese Schwere in A gegen den Mond von gleicher Grösse wäre mit der Schwere in T gegen den Mond, so würde sich in A keine Veränderung des Wassers zeigen: allein weil um NT die Schwere in A gegen den Mond geringer ist als in T; dieses NT aber der Schwere in A, welche so wohl aus der Schwere gegen den Mittel-Punct der Erden, als gegen den Mond, eben so starck als wie in T. per hypoth. resultiret, entgegen gesetzet ist; so wird auch der Druck, den das Wasser in A nach der Direction AT hat, geringer als zuvor: und wird folglich weniger gegen den Mittel-Punct der Erden gedruckt, als die Materie um das Centrum, T, gegen dasselbe, dahero ist das Wasser in A leichter als in T, oder auch in denen Örtern B oder D.  
  Es muß derowegen in A aus eben der Ursache, wie zuvor in C, das Wasser in die Höhe treten, welches sich auch an denen Örtern zwischen A und B, A und D ereignet, weil daselbst gleichfalls die Schwere gegen den Mittel-Punct, der geringer ist, als in B oder D; und formiret folglich des aufgeschwollene Wasser in dem dem Monde entgegen gesetzten hemisphaerio der Erden BAD, ebenfalls eine halbe Oual BaD.  
  Hieraus lassen sich nun die Phaenomena der Ebbe und Fluth sehr deutlich erklären. Es sey der Ort in B, wo jemand die Ebbe und Fluth obseruiret. Wenn der Mond in dem sechsten Stunden-Circel gegen den Morgen-Horizont stehet, so ist er um einen Quadranten von dem Orte B entfernet und stehet demnach dem Orte C in Zenith; dahero bekömmt das Wasser auf der Erden die Oual-Figur cBaDc, Vermöge deren das Wasser in dem Orte B am niedrigsten stehet und daselbst die gröste Ebbe machet.  
  Wenn nun der Mond sich gegen den Mittag-Circel des Ortes B zu bewegt, so drehet er gleichsam die Oual-Figur des Wassers mit herum, und die gröste Höhe derselben c kömmt dem Orte B immer näher zu liegen, daher nimmt die Fluth in dem Orte B beständig zu, biß der Mond in den Mittags-Circel und die gröste Höhe des Wassers c in B selbst gelanget, da alsdenn die gröste Fluth ist.  
  Wenn der Mond von dem Mittags-Circel sich gegen A zu beweget, entfernet sich gleichfalls der Ort des höchsten Wassers von B gegen A, und nimmt dahero die Fluth an dem Orte B nach und nach ab. Kömmt der Mond über A oder in den sechsten Stunden-Circel gegen Abend zu stehen, so erhält die Oual-Figur des Wassers wiederum ihre Lage, wie in der Figur, und ist alsdenn in B die gröste Ebbe.  
  Trifft der Mond in den Mittags-Circel über D oder stehet dem Orte B in Nadir, so trifft auch die grosse Axe, ac, der Oual-Figur des Wassers auf die Örter D und B wiederum die gröste Fluth. Und wenn endlich der Mond in seiner täglichen Bewegung wieder in das Zenith des Orts  
  {Sp. 23|S. 27}  
  C gelanget, so ist auch wieder in B die gröste Ebbe, und das gantze vorige Spiel hebet sich nun von neuem wieder an. Und dieses ist die Erklärung des ersten Phaenomeni.  
  Weil der Mond in seiner eigenen Bewegung täglich ungefehr 14 Grad vom Abend gegen Morgen fortrücket; so kömmt er auch den andern Tag ungefehr um drey viertel Stunden später in das Zenith des Orts C; dahero ist auch um so viel später die gröste Ebbe in B, oder die Fluth fängt sich daselbst um drey viertel Stunden später an. Welches das andere Phaenomenon war.  
  Der Mond beweget sich in seiner täglichen Bewegung vom Morgen gegen Abend um die Erde, und drehet nach eben dieser Direction die Oual-Figur des aufgeschwollenen Wassers mit um die Erde herum; dahero ist die Direction dieser Bewegung des Meers allezeit von Morgen gegen Abend gerichtet; welches dem vierten Phaenomenon respondiret.  
  Weil die Erde ebenfalls, wie gegen den Mond, eine Schwere gegen die Sonne hat; so muß auch dieses alles in Ansehung der Sonne erfolgen, was bishero in Ansehung des Monds ist erwiesen worden, und schwillt daher das Wasser auf der Erden unter der Sonnen in eben einer solchen Oual-Figur auf, wie wir solches bey dem Monde sehen.  
  Allein weil die Sonne gar viel weiter von der Erden wegstehet als der Mond; so muß auch die Schwere der Erden gegen die Sonne weit geringer als gegen den Mond, folglich auch die in dem Gewässer unserer Erden dependirende Veränderung von der Sonnen weit geringer seyn; doch kan die Sonne den Effect des Monds vermehren und vermindern helffen, nachdem nemlich die von der Sonnen herrührende Oual-Figur des Wassers, mit der, so von der Würckung des Monds entstehet, übereinkommt oder nicht.  
  Wenn Neu-Mond ist, so stehet die Sonne und der Mond zugleich in dem sechsten Stunden-Circel eines Orts: da nun durch beyde das Aufschwellen des Wassers unter ihnen verursachet wird, so muß solches durch die correspondirende Würckung der Sonne und des Monds ietzo höher aufschwellen, als geschehen würde, wenn der Mond nur alleine würckte, daher ist im Neu-Mond die Fluth stärcker als sonsten.  
  Zur Zeit des Voll-Monds, stehet der Mond der Sonnen gegen über, daher fallen die grossen Axen derer Oual-Figuren des Wassers, welche so wohl die Sonne, als der Mond effectuiret, zusammen, und wird zu gleicher Zeit an einerley Ort die gröste Fluth gemacht; derowegen muß durch diese zusammenstimmende Würckung die Fluth zur Zeit des Voll-Monds grösser als sonsten seyn.  
  Hingegen, wenn das erste Viertheil ist, so stehet die Sonne über B, wenn der Mond in L über C stehet; daher macht die Sonne in B, Fluth und hingegen der Mond eben daselbst Ebbe; und hinwiederum in C macht der Mond Fluth, da die Sonne Ebbe macht, durch diese Ebbe aber wird der Grösse der Fluth, die sonst der Mond allein erregen würde, etwas benommen, und ist also schwächer als sonst.  
  Eben so verhält es sich in dem letzten Viertheil wenn die Sonne über D und der Mond über C stehet; dahero muß in denen Viertheils-Monden, die von dem Mond dependirende Fluth geringer als sonsten seyn, indem alsdenn die Würckungen der Sonne und des Monds einander entgegen gesetzt sind, und eine die andere hindert diese so regulaire Veränderung in der Stärcke der Fluth, muß aber doch etwas irre-  
  {Sp. 24}  
  gulaires erdulten, so zwar nicht von der Würckung der Sonne und Mond herkömmt, sondern von der Reciprocation der Bewegung, welche das Meer hat, wenn es einmahl in Bewegung gesetzet worden ist, seinen Ursprung nimmt.  
  Wenn nemlich durch die Reuolution des Monds um die Erde das Meer einige Abwechselungen der Ebbe und Fluth erhalten, so würde solches diese Bewegung einige Zeit continuiren, wenn auch gleich alle Würckung des Monds auf einmahl aufhörete, so lange nemlich biß diese Bewegung durch entgegen gesetzte Hindernisse destruiret würde; fast auf die Art, wie in denen Tubis communicantibus das in Bewegung gesetzte Wasser einige Zeit das Auf- und Nieder-steigen fortsetzet, wenn gleich die Ursache dieser Bewegung cessiret.  
  Eine dergleichen Reciprocation der Bewegung, welche das Meer durch die Würckung des Monds und der Sonne erhalten, verringert den Unterscheid derer abwechselnden und durch die Mit-Würckung der Sonne veränderlichen Fluthen, und verursachet, daß die gröste Fluth sich nicht selbst in dem grossen Neu- oder Voll-Mond, und die geringste in denen Viertheiln ereigne, sondern wenige Tage darnach erst sich zutrage, wenn nemlich der durch die Reciprocation der Bewegung verringerte Unterscheid derer abwechselnden Fluthen nach und nach gehoben worden. Und dieses ist die Ursache des sechsten Phaenomeni.  
  Vermöge der Newtonischen Theorie richtet sich die Würckung des Monds nach seiner Weite von der Erde, und ist geringer, wenn der Mond von derselben weiter wegstehet, hingegen grösser, wenn er der Erden näher ist. Und mit diesem stimmet überein, was Cassini (Phaenom. 7) angemercket, daß die Fluth grösser sey, wenn der Mond im Perigaeo, als wenn er in Apogaeo ist.  
  Die gröste Weite des Monds ist nach dem de la Hire in Tabb. Astron. beynahe 63 ½, und die geringste noch nicht völlig 56 halbe Erd-Diameter, und beläufft sich demnach der Unterscheid zwischen der grösten und kleinsten Weite auf 7 ½ Semidiametros der Erden.  
  Da wir nun oben gesehen, daß die Weite eines Erd-Diameters zu dem Unterscheide der Ebbe und Fluth genung, indem eben der Ort A von dem Ort B um einen Erd-Diameter entfernet war; so kan man leicht erachten, daß die Veränderung der Weite des Monds von der Erde gar einen mercklichen Unterscheid darinnen hervorbringen könne.  
  Wenn der Mond in dem Aequatore ist, so befindet sich die unter ihm aufgeschwollene Oual-Figur des Wassers gleichfalls in dem Aequatore oder der Linie auf der Erden, und beweget sich folglich in einem der grösten Circel derselben; wenn hingegen der Mond eine Declination hat, so ist sein diurnus ein kleinerer Circel als der Aequator, und das Wasser beweget sich in einem kleinern Circel auf der Erden.  
  In beyden Fällen bringt der Mond bey nahe einerley Zeit zu, ehe er eine Reuolution in seiner täglichen Bewegung um die Erde vollendet; dahero folget, daß in dem ersten Falle, das Wasser sich geschwinder bewegen müsse als in dem andern, weil dort in einerley Zeit, ein grösserer Raum, als hier durchlauffen wird; demnach ist auch in jenem Falle die gefaste Bewegung des Meers stärcker als in diesem; und folglich auch die Fluth stärcker, wenn der Mond im Aequatore ist, als wenn er eine Declination hat; wie solches das Phaen. 8. haben will.  
  Eine gleiche Bewandniß  
  {Sp. 25|S. 28}  
  hat es mit der Sonne, daß ihre Würckung stärcker ist als sonst, wenn sie in dem Aequatore, oder doch wenigsten demselben nahe ist; und hingegen am schwächsten wenn sie die gröste Declination hat oder in denen Tropicis sich beweget; weil wir oben gesehen, daß die Sonne auf gleiche Art, wie der Mond, ob wohl nicht so starck, Fluth und Ebbe erregen könne.  
  Um dieser Ursachen willen müssen die Fluthen um den Anfang des Frühlings und Herbstes grösser; hingegen um den Anfang des Sommers und Winters geringer seyn; welches das 9te Phaenomenon.  
  Jedoch, da die Würckung der Sonne in Ansehung des Monds geringe ist, so kan es wohl geschehen, daß nach Beschaffenheit derer Umstände, der Mond die Fluth vermindert, als sie zur Zeit derer Aequinoctiorum vergrössert wird, und man dahero nicht spüret, daß die grösten Fluten zur selben Zeit grösser sind, als zu einer andern Zeit des Jahres.  
  Gleichergestallt kan nach Beschaffenheit derer Umstände der Mond zur Zeit derer Solstitiorum die Fluth mehr vermehren, als sie zu derselben Zeit die Sonne wegen ihrer Declination vermindert, und solchergestallt kan man alsdenn nicht spüren, daß alsdenn die grösten Fluthen kleiner sind als zu einer andern Zeit.  
  Überhaupt aber ist in denen Neu- und Voll-Monden zur Zeit derer Solstitiorum die Fluth allezeit kleiner, als in denen Neu- und Voll-Monden zur Zeit derer Aequinoctiorum. Hingegen sind um jene Zeit in denen Quadraturis oder Viertheiln die Fluthen stärcker, als in denen Viertheiln zur Zeit derer Aequinoctiorum, indem dort die Sonne weniger als hier destruiret.  
  Die grösten Fluten ereignet sich in denen Syzigiis und die kleinsten in denen Quadraturis um die Zeit, wenn Tag und Nacht gleich ist. In denen Winter-Monathen ist die Sonne der Erden näher als in denen Sommer-Monathen, und daher hat sie auch zur selben Zeit mehr Würckung in Hervorbringung der Ebbe und Fluth, und kan folglich nach Beschaffenheit derer Umstände in denen Winter-Monathen den Mond mehr helffen oder mehr hindern, als in denen Sommer-Monathen. Es geschiehet auch daher, daß sich die grösten Fluten öffters von dem Frühlings-Aequinoctio, und öffters nach dem Herbst-Aequinoctio ereignen.  
  Wir haben bißher auf den Unterscheid der Breite derer Örter auf der Erden, oder ihre Entfernung von dem Aequatore nicht gesehen, welche doch gleichwohl etwas effectuiren kan, weil der Mond von einem Orte weiter wegstehet als von dem andern; die Stärcke der Fluth aber sich nach der Weite des Monds richtet.  
  Wir haben bißher gleichfalls das Meer betrachtet, als wenn es die gantze Erde umflüsse und in dieser seiner regulairen Bewegung von nichts verhindert würde; allein da Erde und Wasser ein Corpus formiren und wunderlich mit einander combiniret sind, so sind auch viele Hindernisse vorhanden, welche diese regulaire Bewegung des Meers an verschiedenen Orten hemmen und irregulair machen können, wie solches das dritte und fünffte Phaenom. angeben.  
  Man wird aber auch diese Irregularität entdecken, wenn man durch fleißige Obseruationes die Beschaffenheit derer Ör-  
  {Sp. 26}  
  ter, an welchen sich dergleichen ereignet, ausfündig machet, und mit der Newtonianischen Theorie vergleichet. Man muß dahero auch ausser der Haupt-Ursache der Ebbe und Fluth, welche diese angiebt, einige Neben-Ursachen zugeben, welche die Würckung derselben in einigen Stücken ändern.  
  Es sind aber diese Neben-Ursachen entweder beständig oder veränderlich. Die beständigen kommen von dem Unterscheide des Landes her, was hin und wieder zwischen der See lieget, und den Lauff des Wassers hindert oder in seiner Direction gegen eine gewisse Gegend ändert. Eines derer merckwürdigsten Exempel, so man hiervon anführen kan, ist, daß in dem Hafen zu Tunquin in China innerhalb einem Tage nur einmahl Ebbe und Fluth ist, und zweymahl im Monathe gar keine, nemlich wenn der Mond dem Aequatori nahe stehet.  
  Hierzu kommen diese Umstände: Mit der Declination des Monds nimmt die Fluth zu biß an den Tropicum, zu welcher Zeit dieselbe am grösten ist; und zwar, wenn der Mond im Tropico Cancri ist, so ist die Fluth, indem derselbe über dem Horizont zu Tunquin stehet, und die Ebbe, wenn er unter dem Horizont sich befindet, dergestallt, daß die gröste Fluth mit dem Untergange, und die gröste Ebbe mit dem Aufgange des Monds zusammen trifft.  
  Wenn hingegen der Mond den Tropicum Capricorni erreichet, so ist die Fluth, wenn der Mond unter dem Horizont, und die Erde, wenn er über denselben sich befindet, dergestallt, daß die Fluth am grösten, wenn der Mond aufgehet, und die Ebbe am grösten, wenn er untergehet. Transact. Philosoph. …
  Nevvton hat hiervon in seinen Principiis Philos. natural. … allwo er diese seine Theorie von der Ursache der Ebbe und Fluth gegeben, den Grund schon angezeiget, und Halley in Transact. Philos. … allwo er die Newtonianische Theorie auf eine leichtere Weise fürträget, solches umständlicher dargethan, und erwiesen, daß solches daher rühre, weil in demselben Hafen das Wasser aus zweyen Orten gelange, nemlich aus der Sinesischen See zwischen dem festen Lande und der Insel Luconia, und auf der andern Seite, aus dem Indischen Meer zwischen dem festen Lande und der Insel Borneo.  
  Nemlich wenn der Mond in dem Aequatore stehet, so erreget er in beyden Meeren gleich starcke Fluthen, welche demnach in dem gedachten Hafen nach entgegen gesetzten Directionen anlangen, folglich einander aufhalten, und gar keine Fluth verursachen. Wenn hingegen der Mond eine Declination bekömmt, so entstehet die Fluth in beyden Meeren verschieden, nemlich Wechselsweise grösser und kleiner; dahero geschiehet auch der Zufluß in den Hafen Wechselsweise grösser und kleiner.  
  Aus denen beyden grösten wechselnden Zuflüssen, wird in der Mitte der Zeit zwischen diesen beyden in dem Hafen nur eine Fluth, und mitten zwischen der Zeit derer geringsten Zuflüsse wegen derer entgegen gesetzten Directionen nur eine Ebbe erreget; daher hat man auch daselbst innerhalb einem Tage nur einmahl Ebbe und einmahl Fluth.  
  Und solcher gestallt muß man auch von dem Unterscheide derer Fluthen an andern Örtern, von ihrer Lage ur-  
  {Sp. 27|S. 29}  
  theilen; worzu aber freylich noch ein gnugsamer Vorrath von Obseruationen desideriret wird.  
  Unter die veränderlichen Ursachen der Ebbe und Fluth gehören unter andern mit die Winde, auf welche man allerdings mit zu sehen hat, wenn man genaue Obseruationes von der Ebbe und Fluth anstellen will. Denn, wenn der Wind dem Wasser entgegen bläset, hält er solches nicht allein in seiner Bewegung auf, daß es nicht so geschwinde zuflüssen kan, und folglich die Fluth länger verzögert; sondern er kan auch hindern, daß sie nicht so starck wird, als sie sonst geworden wäre.  
  Wenn hingegen der Wind eben den Strich hält, darnach sich das Wasser beweget, so kan er die Geschwindigkeit der Bewegung vermehren, daß die Fluth nicht allein kürtzere Zeit dauret, sondern auch stärcker wird, als sie werden sollen, und Überschwemmungen verursachet, die um so viel grösser werden, wenn das Ufer davon durchgerissen wird.  
  Was die Ebbe und Fluth in denen Flüssen in der Gegend, wo sie sich ins Meer ergüssen, anlanget, so läßt sich solches gar leicht erklären. Ordentlicher Weise stehet nemlich das Wasser in der See niedriger als in denen Flüssen, weilen diese darein flüssen. Allein weil das Wasser in der Fluth höher in der See stehet als in der Ebbe, so stehet es auch alsdenn in der See höher als in dem Flusse. Da nun die Höhe der Fluth nach und nach zunimmt, so läßt die See auch kein Wasser mehr aus dem Flusse hinein, sondern es hält solches zurücke, daß es auch nach und nach in dem Flusse höher werden muß.  
  Und solcher gestallt beweget sich das Wasser in dem Flusse gleichsam zurücke biß an den Ort, der so hoch lieget als das Wasser in der See stehet. Derowegen je grösser die Fluth ist, je weiter schwillt das Wasser in dem Flusse auf, und je näher man der See ist, je grösser ist die Fluth, die man in dem Flusse verspüret.  
  Es kan auch zuweilen eine solche Fluth eine Überschwemmung verursachen, wenn nemlich die Fluth in der See ausserordentlich groß ist, und das Wasser alsdenn in dem Flusse höher steiget, als die Ufer desselben sind.  
  Es giebt auch verschiedene Brunnen, so nicht weit von denen Ufern des Meers liegen, und eine gleiche Abwechselung in der Ebbe und Fluth obseruiren; von welchen man folglich leicht wird schlüssen können, daß solche eine Communication mit der See haben müssen. Es finden sich aber auch bey verschiedenen verschiedene Umstände, die einiger Überlegung und genauer Untersuchung würdig sind.  
  Ein Exempel hiervon giebt ein Brunnen in Franckreich, der zwey Meilen von Brest gegen das Ufer des Meer-Busens, so sich biß an die Stadt Landernau erstrecket, lieget, derselbe führet süß Wasser, und obseruiret zugleich mit dem Meer die Ebbe und Fluth, doch mit diesen Umständen, daß das Wasser in Brunnen steiget, wenn das Meer Ebbe machet; hingegen fällt, wenn bey dem Meer Fluth ist.  
  Die Fluth dieses Brunnens dauret 2 Stunden, worauf das Wasser gleichsam 2 Stunden stille stehet, hernachmahls aber 4 Stunden hinter einander Ebbe macht, biß nach einer Stunde nach angegangener Ebbe des Meers das Wasser darinnen wieder zu steigen anfängt. Der Unterscheid der Höhe des Wassers in der grösten Fluth und in der grösten Ebbe, beträget 10 biß 11 Zoll; der Brunnen aber ist zur Zeit der Ebbe in der See 150 Fuß, zur Zeit der Fluth aber 70 Fuß von dem Meer entfernet.  
  Die Ursachen von der Abwechselung dieses Brunnens, hat Aubert dan l'Explication PhysiqueParis 1729 ausfündig zu  
  {Sp. 28}  
  machen sich bemühet; und hält dafür, daß das Meer-Wasser gar leicht 6 Stunden zubringen könne, ehe es durch die unterirrdischen Canäle zu den Brunnen gelange, dahero auch in diesem erst Fluth werde, wenn im Meer schon wieder Ebbe. Daß aber doch der Brunnen süß Wasser behalte, meynet er, daß das See-Wasser in dem Durchmarsch durch die unterirrdischen Canäle sein Saltz ablege.  
  Ob diese Ursachen zulänglich, scheinet zweiffelhafft zu seyn, weil doch durch so vieles Anlegen des Saltzes das Wasser endlich wieder saltzig werden und solcher gestallt zum Brunnen kommen müste; wovon wir aber eine weitere Untersuchung dem Leser desselbigen Buches überlassen wollen.  
     

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Stand: 3. Januar 2023 © Hans-Walter Pries