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Zedler: Wahl-Reich HIS-Data
5028-52-837-11
Titel: Wahl-Reich
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 52 Sp. 837-842
Jahr: 1747
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 52 S. 432-434
Vorheriger Artikel: Wahl-Regeln
Folgender Artikel: Wahl in denen Reichs-Stifftern
Siehe auch:
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen

Stichworte Text Quellenangaben und Anmerkung
  Wahl-Reich, Regnum electivum, wird diejenige Art eines Reiches genennet, wenn das Volck eine gewisse Person, die es zu dem Regimente tüchtig erkennet, durch einen gemeinen Schluß, zu dem Oberhaupte ernennet, und derselben, nachdem sie den ihr kund gemachten Schluß angenommen hat, Gehorsam verspricht, und sich also unterwirfft.  
  Wenn in einem Wahl-Reiche der Regent durch den Tod, oder auf andere Art, abgehet, und also, binnen gewisser Zeit, ein neuer zu erwehlen ist, so wird die zwischen dem Abgange des Regenten und der neuen Wahl darzwischen kommende Zeit ein Zwischen-Reich, (Interregnum) eine Vacantz, oder Erledigung des Thrones, genennet. Dieser Zustand des Reichs bestehet darinnen, daß, nach Abgang des Regenten, als des eigentlichen Subjects der Majestät, und also, nach Erlöschung des mit ihm nur auf Lebens-Zeit geschlossenen Pacts der Unterwürffigkeit, der Staats-Cörper nun nicht mehr durch diesen Pact, und also ordentlich, durch den Willen eines Regenten, zusammen hange, sondern blos durch den ursprünglichen Pact der Glieder des Reichs, durch welchen sie, in einem Staats-Cörper beständig zusammen zu halten, und zu dem Ende noch erst einen Regenten zu wehlen, sich anfänglich verglichen.  
  Gleichwie demnach bey Lebzeiten des Regenten die Bürger des Reichs alles Rechts, in Staats-Sachen etwas vor sich zu wollen, sich begeben; indem sie dißfals alles Recht und Macht ihrem Regenten überlassen: also muß hingegen, zu der Zeit des erledigten Thrones, alles nothwendig wieder in den vorigen Stand kommen, in welchem die Sachen stunden, ehe der Regent erwehlet ward, und als das Reich noch durch den blossen Pact, sich in einen Staats-Cörper zusammen zu gesellen, und zu dem Ende sich noch erst einen Regenten zu wehlen, zusammenhieng; als welcher letztere Pact mit jenem erstern, durch welchen nehmlich der gantze Staats-Cörper sich dem Re-  
  {Sp. 838}  
  genten unterworffen hatte, welcher jetzt durch den Tod des Regenten erloschen, nicht zugleich mit erloschen ist. Derowegen da, wie gedacht, bey Lebzeiten des Regenten, kein Bürger in Staats-Sachen etwas zu wollen berechtiget war; so fällt hingegen, durch den Tod desselben solches Recht, in Staats-Sachen etwas zu beschliessen, auf den ohne Haupt hinterbliebenen Staats-Cörper wieder zurück, und zwar, nachdem es, durch die Grund-Gesetze eines jeden Reichs, geordnet ist,  
   
  Solchergestalt muß man nicht etwan meynen, als ob in dem Stande des Interregni, oder erledigten Thrones, der Staats-Cörper gäntzlich zertrennet werde, oder in das Elend der Anarchie verfalle. Denn da das Reich auf zweyen verschiedenen Pacten beruhet, nehmlich erstlich auf dem Pacte der Bürger unter einander, zum andern auf dem Pacte der Bürger mit ihrem Regenten: So bleibet, ob gleich der Tod das Band des letztern Pacts aufgelöset hat, dennoch der Staats-Cörper noch durch das Band des erstern, obgleich unvollkommener, vereiniget; als welche Vereinigung indeß zu versichern, eben die nur angeführten Anstalten, wer indeß die Stelle der Majestät zu vertreten befugt seyn sollen, durch die Grund-Gesetze eines wohl eingerichteten Wahl-Reiches, gemachet zu werden pflegen. Wenn dieses nicht, oder nicht deutlich und gewiß genung geschehen, so ist freylich nicht zu leugnen, daß das Reich, bey solchen Zustande, in grosser Gefahr der Anarchie, und unzehliger daher zu besorgenden Übel, sich befinde; Wie wir an dem Exempel des bekannten langen Deutschen Interregni sehen.  
  Ob gleich, ordentlicher Weise, die Interregna nur in den Wahl-Reichen vorkommen: so können sie sich doch, durch einen ausserordentlichen Zufall, auch selbst in den Erb-Reichen, nach dem Tode des Regenten, eräugnen wenn nehmlich die Familie des erblichen Regenten ausstirbet, oder auch dieser in einem Reiche, in welchen die Weibs-Personen von der Erbfolge ausgeschlossen sind, seine Gemahlin schwanger hinterlässet, da, solange es ungewiß ist, ob diese einen Printz, oder eine Prinzeßin, und jenen todt, oder lebendig zu der Welt gebären werde, das Recht des Interregni statt zu haben scheinet.  
  Wie nun in einem Wahl-Reiche die würckliche Wahl geschehen solle, ingleichen wenn sie geschehen solle, damit das Interregnum nicht ewig währe, (immassen sofort nach völlig vollbrachter Wahl alle Rechte desselben aufhören) muß durch die Grund-Gesetze eines jeden Reichs bestimmet werden: Und also sind dieses Puncte die in das besondere Staats-Recht eines jeden Reichs gehören.  
  Es ist die Wahl, überhaupt davon zu reden, theils in Ansehung der wehlenden Personen, theils in Ansehung dererjenigen, welche erwehlet  
  {Sp. 839|S. 433}  
  werden, theils in Ansehung der Art und Weise, wie die Wahl eingerichtet wird, auf zweyerley Weise unterschieden.  
  Das Wahl-Recht steht eigentlich, wie wir gezeiget haben, bey dem Volcke. Es kan aber dasselbe sein Wahl-Recht entweder selber exerciren, wie in dem Königreich Pohlen die gesammten Landes-Stände wehlen; oder es kan dasselbe sein Wahl-Recht gewissen Personen auftragen, wie die Churfürsten in dem Deutschen Kayserthume nach ihrem Gefallen einen Nachfolger nennen mögen.  
  Es kan das Volck andern diese Vollmacht entweder durch eine ausdrückliche Erklärung auftragen, oder auch stillschweigend überlassen; Wenn es nehmlich in langer Zeit sich seines Rechts nicht gebrauchet, sondern über der von andern geschehenen Wahl eine Zufriedenheit bezeiget. Denn daraus wird nicht unbillig geschlossen, daß es sich seines Rechts habe begeben wollen; weswegen es auch forthin mit Rechte davon ausgeschlossen wird.  
  Es sind ferner zu der Wahl entweder die einmüthigen, oder die meisten, oder eine gewisse Anzahl der Stimmen derer Wehlenden, vonnöthen.  
  Was die zu erwehlenden Personen anbetrifft, so wird das Reich entweder nur der Person des ersten Regenten, oder dessen gantzen Familie, anvertrauet. In dem erstern Falle, muß die Wahl so offt wiederholet werden, als ein Regent abgehet; und das heisset in eigentlichem und genauem Verstande ein Wahl-Reich. In dem letztern Falle aber, hat, nach Abgang des ersten Regenten, die Erbfolge statt, und darff nicht eher eine neue Wahl vorgenommen werden, als bis die regierende Familie gäntzlich erloschen ist; daher wird hieraus ein Erb-Reich. Wenn das Volck seinen Willen hiervon deutlich ausgedrücket, so hat es seine Richtigkeit; ist dieses aber nicht geschehen, so ist zu vermuthen, daß sich das Volck die Freyheit der Wahl vorbehalten, und also ein Wahl-Reich habe aufrichten wollen.  
  Zu diesen zwey Arten könnten wir auch noch die dritte setzen, und dasjenige ein Erb- und Wahl-Reich zugleich nennen, in welchem nicht schlechterdings der nächste hinterlassene Erbe das Reich überkommen muß, sondern nach eines jeden Regenten Tode zu einer neuen Wahl geschritten wird, jedennoch aber die Wehlenden freywillig bey des verstorbenen Regenten Familie bleiben. Dieses ist vormahls in Pohlen, auch eine lange Zeit bey dem Hause Österreich, in Deutschland, also gehalten worden. Ja, offtmahls wird das Werck so klug geführet, daß ein Monarche, mit Genehmhaltung der Stände, bey seinen Lebzeiten auf die Wahl eines gewissen Successors gedencken kan.  
  Wird einer in dem Kriege ein Überwinder des Volckes, so muß sich der Krieg auf rechtmäßige Ursache gründen, und er giebt einem nicht so wohl die Herrschafft selbst über das überwundene Volck; als vielmehr nur eine Gelegenheit darzu. Wenn aber das Volck entweder stillschweigend, oder ausdrücklich, darein williget, daß der Überwinder über sie herrschen soll, alsdenn erlanget er dadurch die höchste Gewalt. Bey einem solchen eigenen Erb-Reiche, (Regno patrimoniali) so man durch das Schwerdt genommen, oder das sich unbedingt ergeben hat, kommt die Ordnung der Erbfolge auf den Willen des vorigen Regentens an.  
  Was endlich die Art und Weise der Wahl selber anbetrifft, so ist dieselbe Freyheit  
  {Sp. 840}  
  zu wehlen entweder eine umschränckte, wenn nehmlich dieselbige in gewisse Bedingungen, insonderheit in Ansehung des zu erwehlenden, eingeschräncket ist: Oder eine unumschränckte, wenn die Grund-Gesetze des Reichs keine solchen Bedingungen erfordern.  
  Es ist ferner die Wahl in Absicht auf den künfftigen Regenten, und der von ihm zu beobachtenden Regierungs-Art ohne, oder mit Bedingung, und wird in dem letztern Falle dem Erwehlten, auf die Art einer Wahl-Capitulation, zu bewilligen, oder zu beschwören, vorgeleget. Dergleichen Bedingungen hat das Volck, oder diejenigen, welche in des Volckes Nahmen die Wahl verrichten, vorzuschreiben Macht: Denn in Wahl Reichen erhält der Erwehlte nicht mehr, als was ihm die wehlenden Fürsten und Stände geben, einräumen und zugestehen wollen.  
  Dergleichen Capitulation ist also allerdings heilig zu halten. Wird dawieder gehandelt, so ist davon also zu urtheilen: Daß, wenn die Übertretungen nicht gantz offenbar, oder auch, wenn sie offenbar, nur noch erträglich, und etwa, durch künfftige Anstalten, wieder gut zu machen sind, die Nation zwar, zu Erhaltung der gemeinen Ruhe, zu vieler Geduld verbunden; Dennoch aber auch, die eingeführte Regiments-Form des Wahl-Reiches ohne dringende Noth gäntzlich umkehren zu lassen, nicht gehalten sey. Dahero, da solchenfalls die Nation das Recht hat, wider offenbar ungerechte Gewalt, über ihre Rechte zu halten: So muß ihr unstreitig auch das Recht zukommen, ihre Rechte zu wissen, folglich die Grund-Gesetze des Reichs, in denen solche Rechte gegründet sind, zu erklären und auszulegen, und sich keine offenbar sophistischen, und auf die Vernichtung ihrer Rechte abgerichteten und ausgekünstelten, Deutungen solcher Gesetze aufdringen zu lassen.  
  Was den Rang der Königlichen Kinder in Wahl-Reichen anbetrifft, so beruhet derselbe in der Gefälligkeit eines solchen Staates. In dem Königreich Pohlen siehet man die Königlichen Printzen vor nichts anders als nur vor blosse Fürsten an, und haben die Pohlen 1626. und folgende Jahre eine Verordnung gemacht, daß eines Königes Kinder, weder unbewegliche Güter in dem Reiche erkauffen, noch mit einem Bischoffthume versehen werden solten, daß sie auch unmittelbarer Weise vor dem Könige und denen Reichs-Senatoren stehen müsten, worwider zwar die Könige sich öffters gesetzet, jedennoch aber nichts auszurichten vermocht haben. Als 1683. der Kays. Gesandte bey des Königs, Johann Sobiesky, ältesten Printzen, Jacob, Audientz hatte, ward das Ceremoniel also geordnet, daß der Printz dem Gesandten  
 
1) bis an die Thür seines Gemachs entgegen gieng,
2) rückwärts in das Gemach eintrat,
3) der Gesandte und der Printz einander mit unbedecktem Haupte empfingen,
4) der Abschied eben so beschaffen war, als wie man es bey dem Empfange gehalten hatte,
5) des Printzens Cantzler den Gesandten die Treppe hinunter begleitete, denen
6) des Printzen Hof-Cavaliers folgeten.
 
  Indem kurtz darauf eine von der Königin Hof-Damen an einen vornehmen Pohlnischen Herrn vermählt ward, saß man an der Braut-Tafel folgendergestalt:  
  {Sp. 841|S. 434}  
  Der König   o   die Königin.  
 
Rechter Hand
Die Königl.
Printzessin.
Der Spanische
Abgesandete.
Der Frantzösische
Abgesandte.
[Grafik] Lincker Hand

Printz Jacob.

Die Braut.

Der Bräutigam.
 
  Ein Churfürstlicher Gesandter giebt einem Königl. Pohlnischen Printzen keinen Place d'Honneur, weil er einen würcklich regierenden Herrn vorstellt, welches hingegen ein Königlicher Printz in Pohlen, als ein dasiger Printz betrachtet, nicht ist.  
  Daß nach des Königs in Schweden, Carl des XII, Tode, besagtes Königreich aus einem Erb-Reiche wieder in ein Wahl-Reich verwandelt worden sey, ist unter dem Artickel: Schweden, in dem XXXVI Bande, p. 19. u.f. 36. u.f. gezeiget worden.  
  Nach dem Ableben der Rusischen Kayserin, Catharina, gieng in Petersburg eine Schrifft herum, darinnen der Verfasser sich zu behaupten getrauete, daß, nach erfolgtem Absterben Ihro Majestät, der Czaarin, der Russische Staat berechtiget sey, den Thron vor erledigt zu erklären, und auf die Weise, wie es in Pohlen und Schweden geschicht, einen neuen Beherrscher von Rußland zu erwehlen; es ward aber aus diesem Projecte der Regiments-Veränderung nichts, sondern Peter II, der Enckel Peters, des Grossen, welcher in dem Testamente der Czaarin Catharine für dem Reichs Erben erkläret war, bestieg im May des 1727 Jahres den Thron.  
  Ob die Wahl-Reiche den Erb-Königreichen vorzuziehen seyn, ist unter den Politicis noch nicht ausgemacht. Vor die Wahl-Reiche bringen einige folgende Gründe vor: In den Wahl-Reichen würden die adlichen Kinder mehr aufgemuntert, sich in allerhand Wissenschafften zu üben, und bemüheten sie sich, einer den andern zu übertreffen, damit sie einstens, durch die Wahl des von ihren Tugenden charmirten Volckes, des Thrones gewürdigt werden möchten. In dem Erb-Reiche hingegen würde des Monarchen Sohn, als welcher den Scepter suchte und ohne Sorge erwartete, sich so viel Mühe nicht geben, die zu der Regierung nöthigen Wissenschafften zu erlernen. Ferner, hätte ein erwehleter Monarche dem Volcke seine Erhebung zu dancken, und pflegte deswegen nicht so hart, sondern mit Gelindigkeit, zu regieren. Endlich würde in einem Wahl-Reiche, nach des Königs Tode, der beste, den man finden könnte, auf den Thron gesetzt; in einem Erb-Reiche aber gieng solches nicht an, sondern man müste des Landes-Herrn Sohn annehmen, ohne darauf zu sehen, ob er gut, oder böse, weise, oder thöricht, wäre.  
  Doch diese und noch mehrere Argumente, die einige Wahl-Reiche anzuführen pflegen, lassen sich gar leicht beantworten; Es besitzen gewißlich nicht alle, die bey der Wahl, durch Macht, oder listige Intriguen, die stärckste Parthey, und durch dieselbe die Königl. Dignität, überkommen, die Vollkommenheit der Tugenden, die einem Regenten nöthig ist. So viel ist wohl gewiß, daß die Wahl-Königreiche natürlicher, und der Zunei-  
  {Sp. 842}[1]
[1] HIS-Data: korrigiert aus: 84
  gung des Volckes und der Stände, weit gemässer, als die Erb-Reiche; daher bemühen sich auch die Stände, so viel, als möglich wo die Succeßion eines Königlichen Hauses gantz und gar ausgegangen ist, daß sie die bisherige Verfassung der Erb-Folge verändern, und das Königreich in ein Wahl-Reich wieder verwandeln, wie aus dem Exempel des Königreichs Schweden nach dem Ableben des Königs Carls XII bekannt ist.  
  So haben auch dem Alter nach die Wahl-Königreiche vor den Erb-Reichen einen Vorzug: obwohl jene auch vielen grossen Beschwerden unterworffen und öffters grosse Blut-Bade verursachen.  
Literatur
  • Pufendorf de jure naturae et gentium
  • Thomasii Iurisprud. Div. …
  • Hertii element. prud. civil.
  • Reinhards theatr. prudent. elegant.
  • Kemmerichs Pufendorfius enucleat.
  • Desselben Acad. der Wissensch. Eröffn. III
  • Ludewigs Gel. Anzeigen B. I
  • Ludwigs Univ. Hist. Th. IV
  • Müllers Philosophischer Wissensch. Th. III
  • Weisens Polit. Frag. …
  • Zschackwitzens Rechts-Ansprüche Th. III
  • Leben und Thaten Friederici, Königs von Schweden
  Siehe auch  
   
     

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Stand: 11. März 2014 © Hans-Walter Pries