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Zedler: Disputir-Kunst [1] HIS-Data
5028-7-1058-8-01
Titel: Disputir-Kunst [1]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 7 Sp. 1058
Jahr: 1734
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 7 S. 554
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Übersicht
Beschreibung
Regeln

Stichworte Text   Quellenangaben
  Disputir-Kunst, ist eine Analytische Untersuchung, welche von 2 Personen, davon der eine einen Satz bejahet, der andere denselben verneinet, angestellet wird, so daß derjenige, welcher der Obponente heist, dem andern, welcher der Respondens genennet wird, seinen Wiederspruch und dessen Gründe zur Beantwortung, und da es nöthig, zu fernerer beyderseitiger Erörterung, vorleget, hierdurch von beyden Seiten Gelegenheit zu geben einen Irrthum oder Zweiffel abzulegen.  
Beschreibung Aus dieser Beschreibung erhellet zur Gnüge, daß nicht alles dasjenige, was wir disputiren nennen, diesen Namen verdiene. Es ist der gemeine Gebrauch seine Gedancken aufzusetzen, dieselben andern mitzutheilen, und solche zu vertheidigen. An Obponenten mangelt es hierbey nicht: die wenigsten aber haben hierbey den Vorsatz die Wahrheit zu untersuchen; indem die meisten, Theils um denen Disputirenden ihre Gewogenheit zu zeigen, Theils ihre Stärcke und die Schwäche des Respondenten sehen zu lassen, erscheinen.  
  Der Neben-Endzweck sich zu üben, und einen Versuch seiner Gelehrsamkeit an den Tag zu legen, ist nunmehro zum Haupt-Zwecke geworden, und man ist allbereit gewohnet, sich von denen wenigsten öffentlichen Streitigkeiten eine ernsthaffte Untersuchung der Wahrheit zu versprechen. Der Mißbrauch kan aber keinesweges den rechten Gebrauch des Disputirens aufheben, und dieser hat auf dreyerley Art Statt: Man pfleget entweder öffentlich oder unter guten Freunden zu disputiren, und die öffentlichen Streitigkeiten geschehen entweder mündlich oder schrifftlich. Die schrifftlichen sind denen mündlichen vorzuziehen, indem erstlich in Ansehung des Verstandes das erste mit reiffern und  
  {Sp. 1059|S. 555}  
  mehrern Nachsinnen geschehen kan. Eine Rede, wobey viel unverhofftes und vorhero nicht bedachtes vorkömmt, kan nicht so ordentlich eingerichtet werden, als wenn wir bey jeder Zeile in dem Schreiben stille stehen, auch hernachmahls ferner nachdencken, und uns bey Gelegenheit ändern können. Viele sind auch nicht geschickt, so geschwinde alles übersehen zu können, als es bey dem mündlichen disputiren nöthig ist; und mancher kan sonst von guter Einsicht seyn, ungeachtet er im disputiren den kürtzern ziehen muß.  
  Ferner werden wegen der Zeit die Leidenschafften des Gemüthes bey dem schrifftlichen Vortrage eher, als bey dem mündlichen gemäßiget werden. Eine aufgebrachte Bewegung ist dem Verstande hinderlich, und jemehr man sich besinnen kan, je besser ist man geschicket dieselbige zu mäßigen.  
  Denen öffentlichen Streitigkeiten sind ausser denen öffentlichen wohlgerathenen Schreib-Schrifften, denen man ihr gehöriges Lob billig nicht entziehen kan, überhaupt die Privat-Untersuchungen vorzuziehen. Gute Freunde kennen einander; deßwegen scheuen sie sich nicht ihre Blösse sehen zu lassen; sie lieben einander, deßwegen fällt die Eifersucht hinweg, grösser und vernünfftiger als der andere zu seyn. Die Zancksüchtigkeit und andere eitele Begierden finden also unter ihnen keinen Platz. Nächst diesen stehet es auch bey ihnen, den Streit unter sich auszusetzen, wenn ein Einwurff eine mehrere Überlegung zu erfordern, oder ein Hülffs-Mittel der Erkenntniß ferner beyzubringen, nöthig zu seyn scheinet. Gracians Orac. Max. 135. ibique Müller in der Anmerckung …  
Regeln Die eigentliche Art und Weise zu disputiren ist unter denen Gelehrten verschieden gewesen. Einige haben per Dialogos, andere per Syllogismum disputiret, und wieder andere die Art per Enthymemata und so weiter die Gegen-Meynung vorzutragen einführen wollen. Wir wollen dieses Stücke dieser Betrachtung, welches die Historie desselben in sich hält, bey Seite setzen, und erstlich die Regeln überhaupt von dem disputiren betrachten.  
  Im Disputiren müssen das Amt und die Schuldigkeiten des Respondenten und Obponenten nicht mit einander verwirret oder verwechselt werden. Es ist gemeiniglich eine Ausflucht derer in die Enge getriebenen Respondenten, daß sie an Statt auf die Einwürffe des Obponenten zu antworten, nur ihre Theses ferner zu beweisen suchen. Die Absicht eines Obponenten bey seinem Einwurff ist gar nicht diejenige, daß er fernere Beweißthümer von denen Sätzen des Respondenten haben wolle, sondern er will seine Einwürffe abgeholffen wissen. Der Respondente thut ihm also kein Gnüge, er mag so lange beweisen als er immer will.  
  Ferner muß ein grosser Unterschied zwischen dem Disputiren und Zancken seyn. Der Zanck ist eine hefftige Collision derer Adfecten; wo kan aber bey zwey sich widerstreitenden Gemüths-Bewegungen eine vernünfftige Untersuchung Platz haben? Man hat hierbey auf dreyerley Arten von Leuten zu sehen, welche an Statt ein ernsthafftes Gespräch hervorzubringen, nichts als unnützes und zur Verbitterung dienendes Zeug zu reden pflegen. Es sind dieselben entweder Pedanten, oder Sophisten, oder Phantasten.  
  Die erstern halten sich mit unnützen Grillen auf. Ihre Helden-Thaten bestehen in Wort-Gezäncken, worüber sie die Sachen selbst versäumen. Sie bleiben bey ihrer  
  {Sp. 1060}  
  einmahl angenommenen und durch einen auf das Ansehen fast unzehliger und bey ihnen angesehener Männer sich gründenden Gebrauch bestätigten Meynung so feste, daß sie lieber alle Wahrheit, als diese verliehren wollen. Mit diesen ist es am besten gar nichts zu thun zu haben, sondern sich vielmehr, da sie sich nicht wollen helffen lassen, in ihren verstockten Sinn dahin zu geben, ohne sich durch ihre Anrührung die Hände zu besudeln.  
  Die andern sind die Sophisten, die suchen durch allerhand Paralogismos unsere Meynung über den Hauffen zu werffen. Gemeiniglich haben sie eine falsche Absicht, sie suchen nicht die Wahrheit derer Sätze, sondern vielmehr durch ihre Schein-Gründe den Ruhm des Vertheitigers derselben anzugreiffen. Hierbey muß man sich wohl vorsehen, daß sie stets bey der Klinge bleiben, und nicht abzuweichen Gelegenheit finden. Können wir ihre List nicht vermeiden, so wende man alle Ernsthafftigkeit an, und beruffe sich auf die Zuhörer.  
  Mit diesen stehen die letztern, nemlich die Phantasten, fast in gleicher Classe; Es sind Leute, denen ihr lebhafftes Ingenium Anlaß giebet, mit vielen Worten sehr wenig zu reden. Mit diesen darff man nur ernsthafft verfahren, und sich in ihre listige und geschwinde Einfälle nicht mischen: ist man aber geschickt sie mit gleicher Müntze zu bezahlen, so ist es nach der Klugheit erlaubt, ihre Eitelkeit zu entdecken, und sie eher lächerlich zumachen, als sie dazu gelangen können, uns in einen solchen Zustand zu setzen. Ridigers Phil. Pragm.
  Gleichfalls muß es unter denen vernünfftigen Gelehrten eben so rühmlich seyn, überwunden zu werden, als zu überwinden. Der Ruhm eines wahrhafften Gelehrten bestehet in der scharffsinnigen Erkenntniß der Wahrheit. Nun ist derjenige ebenso scharffsinnig, der die von andern hervorgebrachte Wahrheit leichte einzusehen, und sich von derselben überzeugen zu lassen vermögend ist, als wie derjenige, welcher die selber erfunden hat. Überwunden zu werden, ist also keine Anzeige eines schwachen Kopffes: derjenige viel mehr, welcher der Wahrheit nicht Raum geben will, ist entweder ein ungeübter oder tummer Kopff, welcher ausser seinen einmahl auswendig gelerneten Sätzen nichts zu begreiffen fähig ist: oder er zeiget die Schwäche seines Willens, da er eine aus Hochmuth entstehende Ehre der Erkenntniß der Wahrheit vorziehet.  
  Diese sind die gemeinsten Regeln von dem Disputiren:  
  Der Obponente kan auf vielerley Art seinem Gegner begegnen: er thut solches entweder kat' alētheian oder kat' anthrōpon. Das erste ist eine Art zu disputiren, da der Obponente sich seiner eignen, und von ihm selbst vor wahr gehaltenen Principiorum zur Überführung seines Gegners bedient. Bey dem andern nimmt der Obponente die Principia des Respondenten, ungeachtet er dieselbe nicht vor wahr hält, vor wahr an, und zeiget aus denen selben die Unwahrheit derer angeführten Sätze.  
  Ferner kan der Obponente seinen Gegner entweder a priori oder a posteriori überführen. A priori geschicht solches: wenn der Beweiß-Grund, aus welchem er seinen Satz wieder ihn behauptet, ein Grund-Satz ist, aus welchem er denselben als eine Folgerung herleitet. A posteriori geschicht es, wenn der Beweiß-Grund, aus welchem er den Satz seines Gegners wiederleget, eine aus solchem Satz richtig entsprungene Folgerung, aber auch  
  {Sp. 1061|S. 556}  
  zugleich eine offenbare Unwahrheit ist, so daß er aus der Unwahrheit der Folgerung auf die Unwahrheit des Satzes selbst schlüsset. Welches letztere denn Deductio ad absurdum, ad impossibile, ad incommodum genennet wird.  
  Der fernere Proceß des Respondenten und Obponenten bey dem Disputiren ist nachfolgender.  
  Obponiren ist nichts anders, als dem Satze des Respondenten mit Grunde wiedersprechen, und solchen Wiederspruch, und dessen Grund ihm zur Beantwortung und Ablehnung vorlegen. Alle Obposition ist also erstlich ein Wiederspruch. Hierzu wird aber erfordert, daß 2 Sätze einander wahrhafftig wiedersprechen, indem ihre termini auf einerley Art und in einerley Betrachtung verstanden werden.  
  Es hütet sich also ein verständiger Obponente einen nur dem Schein nach wiedersprechenden Satz oder Contradictionem adparentem hervor zubringen; zu dem Ende bemühet er sich den Satz seines Gegners, ehe er noch wieder denselbigen obponiret, nach allen Stücken zu verstehen. Er ließt die gantze Abhandlung mit allem Fleisse durch, und suchet in denen Nominal-Definitionen des Subjecti und Praedicati mit dem Respondenten einig zu werden. Er trägt seine Meynung hiervon dem Gegner vor, erkundigt sich, ob er in diesem Fall seinen Sinn getroffen habe, hierdurch werden die Wort-Streite vermieden, worauf die meisten Streitigkeiten, nach vielfältigen Gezäncke, hinauszulauffen pflegen. Hat er die Meynung des Respondenten nach desselben Erklärung deutlich eingesehen, und er ist mit derselben nicht einig, so kan er bescheidentlich wiedersprechen. Diese Beschäfftigung des Obponenten, die Haupt-Sache der Streitigkeit recht zu bestimmen, wird die Formirung des Status Controuersiae genennet.  
  Zum andern ist es nicht genug, seinem Gegner zu wiedersprechen, sondern es muß solches auch mit genugsamen Grunde geschehen, der Obponente muß also seine, dem Satze des Respondenten entgegen gesetzte Meynung gründlich beweisen; welches, wo man formaliter disputiret, durch einen förmlichen Syllogismum geschehen kan, und auch meistentheils zu geschehen pfleget. Hierbey muß der Obponente beobachten, daß er das Object der Disputation in Betrachtung ziehe, und wohl erwege, ob eine demonstrative oder nur probable Untersuchung Statt haben könne. Dieses muß deßwegen geschehen, damit er bey Wahrscheinlichkeiten einem wahrscheinlichen Beweiß nicht vor gantz gewiß ausgebe, kein apodictische Folgen zur Ungebühr von sich fodern lasse, noch auch eine nach denen Regeln der Wahrscheinlichkeit ausgeführte Abhandlung des Respondenten wegen ermangelnder apodictischer Folge ungeschicklich verwerffen; welches letztere gemeiniglich ein Fehler dererjenigen ist, die aus einem unnützen Eifer allemahl auf die Demonstration dringen.  
  Der Obponente hat sich ferner zu hüten, daß er nicht in Beweisung seines Satzes eine metabasin eis allogenes begehe, das ist, daß er seine Beweisse nicht aus einer andern Disciplin, in welcher die Streit-Frage von dem Respondenten nicht abgehandelt worden, hernehme. Ingl. muß der Obponent in mündlichen disputiren über apodictische Sätze nicht mehr auf einmahl, als einen Beweiß in einem Syllogismo vorbringen. Bey vielen angebrachten Beweissen werden so wohl die Gedancken beyder Disputanten zerstreuet, als viele Gelegenheit, grosse Reden zu halten, gegeben.  
  {Sp. 1062}  
  Die schärffsten und besten Streitigkeiten sind, wo man kurtz verfähret, und alle Gelegenheit zu Ausschweifungen vermeidet. Ein Disputante muß sich allemahl besinnen, daß er ein Disputante und kein Redner sey.  
  Auf diesen Vortrag des Obponenten muß der Respondente, wenn er dessen ungeachtet bey seiner Meynung zu verharren gedencket, gründlich antworten. Dieses geschiehet, wenn er durch genaue Beurtheilung des Einwurffs zu zeigen weiß, wie dieser seinen Satz über den Hauffen zu werffen nicht tüchtig sey.  
  Bey unsern gewöhnlichen öffentlichen Disputationen ist es gebräuchlich, daß noch eine dritte Person, nemlich der Praeses, hinzukömmt: welche aber keine neue Person ist, sondern er ist nur dem Respondenten zur Beyhülffe zugegeben, und beyde sind in Behauptung des Satzes vor eine Person zu achten. Die Pflichten des Praesidis sind also von denen Pflichten des Respondenten nicht unterschieden, sondern mit denenselben einerley.  
  Den Endzweck, neml. die Ablehnung des Einwurffes zu erhalten, muß sich der Respondente nachfolgender Mittel bedienen.  
  Was zur Wiederlegung des Einwurffes nicht gehöret, ob es gleich im übrigen zum Beweiß, oder zur Erläuterung der Meynung des Respondenten dienen kan, muß als etwas hierher nicht gehöriges weggelassen werden. Wer also einen Satz behaupten will, muß nicht nur denselben in das Gedächtniß gefaßt haben, sondern solchen als eine Wahrheit scharffsinnig begreiffen; er muß deßwegen zuförderst die Definition und Eintheilung so wohl des Subjecti als des Praedicati wohl inne haben, denn diese sind der eintzige Grund, aus welchem so wohl die Wahrheit, als die Falschheit derer Sätze muß beurtheilet werden.  
  Ist der Respondente durch dieses sattsam vorbereitet, so kan derselbe, wenn durch förmliche Syllogismos verfahren wird, den Statum Controuersiae kürtzlich wiederholen, wenn etwas dabey zu erinnern ist, es erinnern, und hier auf den Syllogismum adsumiren. Dieses muß deßwegen geschehen, damit der Obponente sehen kan, ob ihn der Gegner verstehe oder nicht, und dießfalls seine Erinnerung beyzubringen vermögend sey.  
  Nach solchen kan nunmehro der Respondente antworten. Diese Antwort kan nach der Beschaffenheit des Einwurffes unterschiedlich seyn. Der Respondente kan also nach genauerer Beurtheilung befinden, daß der Einwurff nichts wahrhafftig wiedersprechendes in sich enthält. Er kan also auch dem andern seine Meynung ohne Eintrag seiner eigenen, zugeben, oder doch antworten, daß er sich hierauf einzulassen nicht Ursache hätte, denn zwey einander sich nicht wiedersprechende Sätze können beyde wahr und falsch seyn: und liegt der Fehler darinne, daß kein richtiger Status Controuersiae zum Voraus gesetzet worden ist.  
  Findet der Respondente, daß der Einwurff wahrhafftig wiedersprechend ist, so muß er eine von denen beyden Praemissis des Syllogismi, welche er nemlich vor unrichtig befindet, oder auch wohl nach Beschaffenheit des Satzes alle beyde verneinen. Keines weges muß aber solches bey der Conclusion geschehen. Denn wenn die Praemissae ihre Richtigkeit haben, so ist es wieder die Ordnung derer Gedancken, die daraus richtig flüssende Folgerung zu verneinen. Die Verneinung hat er nicht Ursache zu beweisen, in dem es schon genug ist, einen Satz, der nicht unmittelbahr ist, nicht zuzugeben, wenn er nicht erwiesen ist.  
  Ist der Obponirte Syllogismus sogar in  
  {Sp. 1063|S. 557}  
  Forma nicht richtig, so darff der Respondente nicht einmahl die Praemissas angreiffen, sondern nur die Unwichtigkeit des Schlusses zeigen. Verstehet der Gegner die Regeln von der Kunst zu schlüssen nicht, dem darff er nur durch gleichmäßige Exempel weisen, daß man so, wie er schlüssen wolle, nicht schlüssen könne.  
  Ist dasjenige, was der Respondente an denen Praemissis läugnet, die Vniuersalität dererselben, so kan solcher vermittelst einer Instantz geschehen. Eine Instantz aber ist nichts anders als ein Exempel, das ist eine wahrhaffte Species oder Indiuiduum des Vniuersalen Subjecti, in welchem der verläugnete allgemeine Satz offenbahrlich nicht zutrifft. Die gegebene Instantz aber muß nicht ein krinoumenon, das ist, dasjenige selbst seyn, worüber gestritten wird. Der Respondente hat sich gleichfalls hierbey vor dem Fehler der metabaseos eis allo genos zu hüten. Ist auch eine Instantz zwar nicht eben das krimenon, aber dennoch nicht sattsam deutlich, so ist es besser, dieselbe gäntzlich zurücke zu halten; oder wenn sie allbereit gegeben worden, zu wiederrufen, als hierdurch dem Obponenten zu einer weitläufftigen und zweiffelhafften Ausschweiffung, dadurch er der Last des Beweisses überhoben wird, Gelegenheit zu geben.  
  Läugnet der Respondente nicht alleine die Vniuersalität, sondern auch so gar die Qualität einer Praemissae, und setzet ihr also die contrariam entgegen, so ist dieses mehr als eine blosse Verläugnung und wird Inuersio genennet. Der Respondente hat sich aber dabey in Acht zu nehmen, daß er nicht aus allzugrosser Hitze dasjenige inuertire, was er nur mit Grund hätte verneinen können. Beyde Disputanten können hierbey Unrecht haben, und also zwar wohl beyde einander gründlich wiederlegen, keiner von beyden aber seine Meynung zur Gnüge behaupten.  
  Bißweilen kan der Respondente diejenige Praemissam, worüber gestritten wird, weder gäntzlich läugnen, noch gäntzlich zugeben; indem einige Sätze eine Limitation oder Restrictionem specificatiuam erfodern; wobey denn, nachdem die Limitation hinzugethan, oder das Gegentheil derselben gesetzet wird, der Satz und die daher geleitete Folge entweder als nicht wiederstreitend kan zugegeben, oder solcher Satz entweder selbst oder die Subsumtion geläugnet werden. In solchem Falle muß der Respondente durch distinguiren oder limitiren antworten, er muß nemlich den streitigen Terminum richtig eintheilen, das eine membrum diuidens als eine Limitation zu demselben hinzuthun, und solchergestalt nach Befinden entweder zugeben oder läugnen.  
  Hat der Respondente auf diese Weise den Einwurff des Obponenten beantwortet, so kan ihm der Obponente wieder solche Antwort, wenn ihm noch keine Gnüge geschehen ist, repliciren. Dieses geschicht, wenn er zeiget, wie die Antwort noch nicht fähig gewesen sey, den Einwurff zu heben. Hat der Respondente den Einwurff in Ansehung, daß er seiner Meynung nicht wiedersprechend sey, eingeräumet, so muß der Obponente zeigen, daß die Conclusion seines Syllogismi entweder unmittelbar oder mittelbar durch richtige Folge wiedersprechend sey; worauf denn, wenn er solches sattsam erwiesen, der Respondente den Einwurff beantworten muß.  
  Ist die Richtigkeit des Schlusses in Zweiffel gezogen worden, so muß sie der Obponente aus denen Regeln der Vernunfft-Lehre rechtfertigen. Ist aber eine von denen Praemissis geläugnet worden, so muß der Obponente dieselbige beweisen.  
  {Sp. 1064}  
  Geschicht solcher Beweiß durch einen abermahligen Syllogismum, so wird derselbige ein Prosyllogismus genennet; doch fällt die Schuldigkeit des Beweises hinweg, wenn die geläugnete Proposition keine unmittelbahre Wahrheit oder axioma primum ist, bey welcher man sich nur auf die Unmittelbahrkeit des Grund-Satzes beruffen, dieselbige durch einige deutliche Exempel beweisen, und eine Instantz, welche sich nicht unter dieselbe schicken sollte, fordern darff. Weiß nun der Respondente keine Instantz vorzubringen, verharret aber dabey auf der Verläugnung, so heist es nach der bekannten Regel: Contra negantem principia, scilicet prima, non est disputandum. Man muß von dem Streite ablassen, und die Sache dem Urtheile derer verständigen Zuhörer anheimstellen; es sey denn, daß man a posteriori per deductionem ad absurdum den Gegner überführen könte.  
  Hat der Respondente eine Instantz eingewendet, so muß der Obponente zeigen, entweder, daß es falsch sey, daß die streitige Proposition bey diesen Exempeln nicht zutreffe, oder daß sie sich auf den Satz, wieder welchen sie gegeben worden, nicht schicke, indem sie keine wahrhaffte Species oder Indiuiduum des vniuersalen Subjecti solches Satzes sey. Zu dem ersten Punct gehöret: Wenn der Obponente zeigen kan, daß die angegebene Instantz dunckel und zweifelhafft, oder das Krinomenon sey: Zu dem andern hingegen gehöret, wenn er eine durch die Instantz begangene metabasin eis allo genos beweiset.  
  Hat der Respondente durch die Inuersion geantwortet, so hat er zweyerley dabey gethan; er hat nicht nur die Proposition des Obponenten geläugnet, sondern sogar die contrariam derselben behauptet. Der Obponente kan also erstlich diese letztere, nehmlich die propositionem inuersam, durch tüchtige Gründe aus dem Weg räumen, und hernachmahls seine eigene Proposition, welche von dem Gegner geläugnet worden, gründlich beweisen.  
  Kan der Obponente einen genugsam überzeugenden Beweiß seiner eigenen proposition führen, so kan er die Wiederlegung der Propositionis inuersae oder contrariae gar weglassen. Da aber dennoch so wohl der Respondente in Ansehung der eingebildeten Wahrheit der inuersae propositionis, als auch in Ansehung der eingebildeten Falschheit derselben der Obponente an der Einsicht der Wahrheit kan gehindert werden; so thut der Obponente besser, wenn er die inuersam oder contrariam propositionem erst bey Seite schaffet.  
  Hieraus erhellet zugleich, in welchen Fällen eigentlich der Respondente nicht bloß zu läugnen, sondern zu inuertiren Ursache habe, nemlich, wenn erst die inuersa und aus dieser hernach die Propositio des Obponenten leichter auszumachen scheinet, als wenn man die letztere alleine und ohne die erstere vornehmen wollte. Der Respondente kan auch dahero, wenn er siehet, daß er mit der inuersa nicht auskommen mögte, dieselbe fahren lassen, und bloß bey der Verläugnung des Satzes des Obponenten stille stehen bleiben. Der Obponente kan gleichfalls, wenn er mercket, daß die Wiederlegung der inuersae des Respondenten zu grossen Weitläufftigkeiten Anlaß giebet, dieselbe fahren lassen, und nur seinen Satz zu beweisen suchen.  
  Hat der Respondente mit distinguiren und limitiren geantwortet, so kan der Obponente entweder die Distinction selbst, oder ihre Adplication wiederlegen. Bey dem erstern zeigt er aus denen Regeln von der Diuision, daß die Membra  
  {Sp. 1065|S. 558}  
  diuidentia dunckel, unzulänglich, einander nicht entgegen gesetzet, oder dem toti diuiso zuwieder sind. Bey dem andern hingegen beweiset er, daß der streitige Satz in Ansehung beyder Membrorum diuidentium wahr und also die Adplication der Distinction falsch oder vergeblich sey. Hierauf kan nun weiter der Respondente repliciren, und der Obponente dupliciren; weil aber dieses allemahl einen neuen Einwurff und dessen Beantwortung in sich enthält, so sind bey denen folgenden Antworten und Gegen-Reden keine neue Regeln zu geben, indem sie eben so, wie die erstern, abgehandelt werden.  
  Dieses sind die Pflichten eines jeden insbesondere gewesen; beyde aber haben Achtung zu geben, daß keiner von dem Statu Controuersiae abweiche. Dieser Fehler wird Ignoratio oder Mutatio Elenchi genennet; es geschicht solches,  
 
  • wenn der Respondente den Einwurff des Obponenten in adsumiren verändert, oder ihn in andern Verstande annimmt, als ihn der Obponente verstehet:
  • Wenn der Obponente etwas anders beweiset, als was ihm der Respondente läugnet;
  • ferner wenn der Obponente bey Gelegenheit einem Instantz ausschweiffet und eine gantz neue, zur Sache nicht gehörige Streitigkeit auf die Bahne bringet, u.s.w.
 
  ferner haben sie beyde sich zu hüten, daß keiner Petitionem Principii begehe, noch diesen Fehler dem andern gestatte: Das ist, daß keiner in Beweisen und Antworten dasjenige selbst zum Principio annehme oder zum Voraus setze, worüber gegenwärtig gestritten wird.  
  Endlich sollen sie sich schämen an Statt tüchtiger Beweiß-Gründe und Antworten, nur unnützes und zur Sache nicht dienliches Gewäsche vorzubringen, und aus der Untersuchung der Wahrheit ein erbittertes Gezäncke zu machen.
     

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Stand: 16. Dezember 2022 © Hans-Walter Pries