HIS-Data
Home | Suche
Zedler: Straffe, Strafe [1] HIS-Data
5028-40-499-3-01
Titel: Straffe, Strafe [1]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 40 Sp. 499
Jahr: 1744
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 40 S. 263
Vorheriger Artikel: Straff-Clausul
Folgender Artikel: Straffe, Strafe [2]
Siehe auch:
Hinweise:

vorhergehender Text  Artikelübersicht   Teil 2  Fortsetzung

Übersicht
Philosophie
  Theorie
 
  Umstände
 
  1. Denjenigen, welcher einen andern straffet.
  2. wer gestrafft werden könne?
  3. das Verbrechen, welches bestrafft wird.
  4. Ist der Endzweck der Straffen zu erwegen.

Stichworte Text Quellenangaben
  Straffe,  
   
Philosophie: Theorie Das Wort: Straffe, hat verschiedene Bedeutungen, welches die Ursache ist, daß die Schrifftsteller selbige auf so unterschiedene Art beschreiben. Es hat Thomasius in Jurisprud. ... die verschiedenen Bedeutungen desselben sorgfältig angemercket. Eigentlich ist die Straffe ein Leiden oder Übel, welches der Obere den Unterthanen wegen eines begangenen Verbrechens auferleget, und zwar zur gemeinen Verbesserung der Unterthanen.  
  Nach Herr Cantzler Wolffs Beschreibung, ist die Straffe dasjenige Übel, so der Gesetzgeber mit einer Handlung verknüpffet, als einen Bewegungs-Grund sie zu unterlassen. Grotius de jure ... und Pufendorff in jure ... und de officio ... geben folgende Beschreibung von ihr, daß sie ein Übel sey, welches einem wegen einer Übelthat angethan werde.  
  Bey welchen Erklärungen aber zu erinnern, daß sie weder des Ober-Herrn, welcher alleine straffen kan, noch des Endzwecks der Straffen ausdrücklich gedencken; welches auch Titius Observ. 637. wieder Pufendorffen erinnert, zugleich aber auch einige Dinge ausgesetzt, die nichts auf sich haben.  
  Denn daß er nichts von der Art zu straffen gedacht, ist in einer Definition nicht nöthig gewesen; wie er denn auch nicht gebraucht hätte, des Verbrechers Obligation zu berühren, welches auch Titius verlangt,  
  {Sp. 500}  
  wenn er des Obern gedacht hätte. Bey Pufendorffen ist dieses ein kleines Versehen gewesen; das aber Grotius nicht angeführet, es müsse alle Straffe von einem Obern auferleget werden, solches hat er wegen einer besondern Meynung, die wir hernach hören werden, mit Fleiß gethan.  
Umstände Bleiben wir bey unsrer angegebenen Erklärung, so müssen wir alle die dabey vorkommenden Umstände durchgehen, und ins besondere erwegen:  
 
1) Denjenigen, welcher einen andern straffet. Solches ist allezeit der Ober-Herr, es mag nun GOtt, oder ein Mensch seyn. Denn es kan niemand straffen, der nicht Macht hat, Gesetze zu geben, und nach diesen Gesetzen zu richten, daß er von unserm Thun und Lassen Rechenschafft fordert. Niemand kan dem andern Gesetze vorschreiben, wenn er nicht die Ober-Herrschafft, und also auch die Gewalt über ihn hat. Ist dieses richtig, so irret Grotius, wenn er de jure ... die Macht zu straffen allein denjenigen beyleget, die nicht ein gleiches, wie der Thäter verbrochen haben.
 
 
  Denn da alle Straffen von dem Gesetze dependiren, so können wir keinen Grund absehen, wie man einen straffen könne, dem man nichts zu befehlen hat. Im natürlichen Stande haben daher gar keine menschlichen Straffen statt, und wenn eine Beleidigung vorgegangen, so ist kein ander Mittel, als durch einen gütlichen Vergleich; oder durch Krieg dem Streite ein Ende zu machen.
 
 
  Man wird auch keine Exempel aufweisen können, daß das Straff-Recht allen und jeden verliehen gewesen, nachmahls aber der Obrigkeit allein sey zugeeignet worden. Unter den Hebräern findet man nichts, so dieses beweisen könnte. Die That des Pinebas, welcher den Israelitischen Mann nebst der Hure erstach,
Num. XXV, 7. sq.
 
  kan hieher nicht gezogen werden, als hätte er als eine Privat-Person die Gewalt zu straffen gehabt, und ausgeübet.
 
 
  Denn ob wir wohl mit andern sagen, daß er als ein Mensch anzusehen, der richterliche Gewalt gehabt; so war doch dieses eine gantz besondere Begebenheit, die aus einem ausserordentlichen Göttlichen Triebe herrührte, und deswegen weder eine Regel noch ein Exempel, dem man nachfolgen müste, abgeben kan.
 
 
  In denen folgenden Zeiten kam bei den Israeliten das Jus Zelotarum, das Recht der Eyfferer auf, da auch einer Privat-Person erlaubt war, in Gegenwart anderer denjenigen zu schlagen, oder zu tödten, welcher wider GOTT, oder den Tempel, oder wider den Gottesdienst im Tempel gottlose Dinge geredet, oder vorgenommen, wie solches Seldenus de jure ... beschreibet.
 
 
  Allein es war dieses Recht der Eyfferer nicht zu loben, sondern vielmehr vor ein Zeichen des verderbten Zustandes anzusehen. Und wenn eine Obrigkeit dergleichen geschehen läst, so geschicht es nicht im Nahmen einer Privat-Person, sondern vielmehr der Obrigkeit, deren Stelle als ein Diener sie vertreten muß.
Man lese Seldenum in exercit. ... in seinen otiis ... und Buddei dissert. ...
 
  Solche Bewandniß hat es auch mit dem Bluträcher, dessen die Schrifft hin und wieder gedencket, welches der nächste Anverwandte des Ermordeten
 
  {Sp. 501|S. 264}  
 
  war, dem das Recht zustand, den Mörder umzubringen. Denn er that dieses nicht eigenmächtig, sondern die Obrigkeit verstattete es ihm, und er vertrat deren Stelle, eben wie bey den Römern den Eltern das Recht über ihrer Kinder Leben und Tod mit Bewilligung der Obrigkeit überlassen wurde,
von welchem Puncte Buddeus in institut. ... nachzusehen.
 
  Was wir hier von den eintzelnen Personen gesagt, daß gleiche einander nicht straffen können, das hat auch von gantzen Völckern statt. Denn die Völcker sind auch einander gleich, und indem keines dem andern etwas befehlen kan, so hat es auch keine Macht zu straffen.
 
 
  Aus diesem Grunde ersehen wir, daß Grotius de jure ... und an andern Orten das so genannte bellum punitivum nur erdichtet. Nachdem Treuer in notis ... verschiedene angeführet, welche gemeynet, daß in dem Stande der Natur unter gleichen Personen eine Straffe statt habe, so hält er dafür, es wäre der gantze Streit eine Logomachie, und käme darauf an: ob derjenige, der das Gesetze der Natur überschreite, es geschehe, auf was Art und Weise es wolle, von einem ieden mit Recht könne bekrieget werden, und ob solcher Krieg eine Straffe zu nennen sey? Es ist aber damit nicht ausgemacht, wie man das Wort nehmen will; sondern wie man dasselbige nehmen soll.
 
 
  So hat man auch keine poenas conventionales, oder eingewilligte Straffen, davon bey den Römern die stipulationes poenales ihren Nahmen hätten. Denn die Straffe kommt vom Gesetz, und nicht von einem Vergleiche; Sie wiederfähret dem andern wider seinen Willen, und ist etwas unangenehmes; Eine wahre Einwilligung geschicht aber mit Willen, und man siehet dasjenige, worein man williget, vor was gutes und angenehmes an.
 
 
  In der Republick kommt diese Gewalt dem Regenten zu, welche noch besondere Rechte unter sich begreiffet, als
 
 
 
  • das Recht, Straff-Gesetze zu geben, oder auf die Übelthaten besondere Straffen zu setzen;
  • das Recht, Straff-Gerichte zu halten, oder die Übelthäter nach denen Straff-Gesetzen zu verurtheilen, und die gesetzten Straffen an ihnen vollziehen zu lassen;
  • das Recht, absonderliche Straff-Gerichte im Lande zu verordnen, oder die peinliche  Jurisdiction andern zu verleihen;
  • das Recht, die gesetzten Straffen zu schärffen, oder zu lindern, oder gar nachzulassen, und der Gestalt den Übelthätern Gnade zu erzeigen, wenn es die Wohlfahrth der Republick also erfordert.
 
 
  Die Züchtigungen, welche Eltern gegen ihre Kinder, und die Herren gegen ihre Knechte vornehmen, wollen einige vor keine eigentliche Straffe ansehen; Weil aber gleich wohl in diesen Gesellschafften eine gewisse Ober-Gewalt vorhanden ist, daß Eltern ihren Kindern, und die Herren ihren Knechten befehlen können, auch diese wider ihre Befehle handeln, so sehen wir nicht, warum man sie nicht vor eigentliche Straffen halten solte, ob sie sich wohl so weit nicht erstrecken als die Straffen in der Republick, nachdem ihre Gewalt ihre gewissen Grentzen hat.
 
 
  Ob einer, die von der Obrigkeit erkannte Straffe ihm selbst anthun, oder dazu helffen möge? wird bey den Sitten-Lehrern gefragt, und von denen vernünfftigsten geantwortet, daß solches wider die eingebohrene Liebe zu seiner selbst Erhaltung, und die
 
  {Sp. 502}  
 
  daher entspringende Pflicht, streite, etwas zu thun, das unsern Tod unmittelbar verursachen oder befördern kan. Also haben die Athenienser unrecht gethan, daß sie den Missethätern zur Straffe Gifft zu nehmen aufgelegt, und die Japoneser thun noch unrecht, daß sie durch eigenhändige Aufschneidung des Bauchs sich selbst hinrichten. Wir sehen
 
 
2) wer gestrafft werden könne? Dieses ist derjenige, der gesündiget, und dem die Sünde kan zugerechnet werden. Weil man aber entweder vor sich etwas böses thun, und sich als die Haupt-Person verhalten oder bey eines andern bösen Handlungen concurriren kan, so hat in beyden Fällen eine Imputation, folglich auch eine Straffe statt. Aus dieser Wahrheit können wir viele andere Wahrheiten erkennen. Denn es folget daraus:
 
 
 
a) Daß man unschuldige nicht straffen könne, weil sie nicht gesündiget, und daher ihnen nichts kan zugerechnet werden; fällt aber die Zurechnung weg, so hat auch keine Straffe statt: Dahin gehören die Märtyrer der ersten Kirche, und andere ihres gleichen: wie denn in solchem Verstande die Enthauptung Carls I. Königs in Engelland sein Marterthum genennet wird.
 
 
 
  Es fragt sich hierbey auch nicht unbillig, ob in Glaubens-Sachen, wider das Gewissen etwas zu thun, rechtmäßig möge befohlen, und die Ungehorsamen darum gestraffet werden? Dieweil aber allhier zweyerley Gebote, das Göttliche und das Obrigkeitliche, zusammenkommen, und sich mit einander stossen; so ist es schwer, ein Mittel zu finden, wie sie neben einander unverletzt bestehen mögen. Und wenn es gewiß ist, wie denn allerdings, absonderlich von einem Christen, nicht daran gezweifelt werden mag. daß man GOTT mehr gehorchen muß, als den Menschen; so thut eine Obrigkeit einen Eingriff in das Recht GOttes, wenn sie etwas verordnet, und von den Unterthanen in solchen Dingen fordert, die ihm GOtt selbst vorbehalten hat, dergleichen die sind, so den Glauben und das Gewissen betreffen.
 
 
 
  Wenn aber auch dieses gewiß ist, wie gegentheils ebenfalls nicht zuläugnen, oder nur daran zu zweifeln, daß die Obrigkeit allen äusserlichen Handlungen, die in das gemeine Leben einfliessen, Masse zu geben, Macht hat, wenn anders die freye Gewalt bey ihr stehet, und sie durch Gesetze, Verträge, und andere Verbindlichkeiten, nicht eingeschräncket ist; so ist sie allerdings darüber Gebot und Verbot zu geben, befugt, und straffet billig diejenigen, so sich noch denselben nicht bequemen wollen.
 
 
 
b) Daß man Kinder und rasende Personen mit keiner Straffe zu belegen. Denn will man einer Personen was zurechnen, so muß die That mit Wissen und Willen geschehen, wozu der Gebrauch der Vernunfft erfordert wird; Weil nun dieser bey solchen Personen fehlet, so kan man ihnen nichts beymessen, folglich sie auch mit keiner Straffe ansehen.
 
 
 
  Hier scheinet die Heilige Schrifft der Vernunfft entgegen zu seyn. Denn wir wissen daraus, daß vor dem göttlichen Gerichte so wohl die erb- als würckliche Sünde auch denen Kindern und also allen Menschen, keinen eintzigen ausgenommen, zugerechnet wird. Es geben die Theologen diese Ursache, daß die ersten Menschen das gantze menschliche Geschlechte vorgestellet, daher als sie gefallen, so wären in und mit ihnen zugleich alle ihre Nachkommen gefallen.
 
 
 
c) Daß man unvernünfftige Thiere nicht straffen kan.
 
  {Sp. 503|S. 265}  
 
 
  Denn sie sind keinem Gesetze unterthan, weil sie keine Vernunfft, mithin keine Freyheit haben.
 
 
 
d) Kan niemand um eines andern Verbrechen willen gestraffet werden, wenn er nicht mitgewürcket. Es kommt alles auf den Grund der Imputation an, wie wir schon etliche mahl erinnert. Aus diesem Grunde läst sich leichte abnehmen, wie weit ein ieder vor sich wegen des Verbrechens eines gantzen Staats-Cörpers, und wiederum die gantze Gemeine um eintzelner Personen Missethat halber, Regenten um ihrer Unterthanen Schuld, und die Untern um der Obern Sünde willen gehalten seyn. Denn es beruhet alles darauf, wie weit iemand darein gewilliget hat.
 
 
 
  Hier kommen verschiedene Schwierigkeiten für, wenn wir die Schrifft mit zu Rathe ziehen wollen. Denn GOtt drohet in seinem Decalogo, er wolle die Missethat der Väter an den Kindern heimsuchen bis ins dritte und vierte Glied, Exod. XX, 5. welches ungerecht, und also mit der Gerechtigkeit GOttes zu streiten scheinet; Ja es ist auch sonst der Schrifft entgegen, wenn GOtt Ezech. XVIII, 20. saget: Der Sohn soll nicht tragen die Missethat des Vaters, und der Vater soll nicht tragen die Missethat des Sohnes, sondern des Gerechten Gerechtigkeit soll über ihn seyn, und des Ungerechten Ungerechtigkeit soll über ihn seyn.
 
 
 
  Einige, als Grotius de jure ... wollen diesen Knoten durch die unbedingte Herrschafft GOttes auflösen, welche aber mit der göttlichen Gerechtigkeit und Gütigkeit streitet. Wir werden gar leichte aus dieser Sache kommen können, wenn wir nur zweyerley Dinge vorher setzen, und deutlich machen. Das eine betrifft die Straffe, welche man in diesem Falle wohl von dem, was beschwerlich ist, und von dem Schaden unterscheiden muß.
 
 
 
  Denn ob wohl alle Straffe was beschwerliches, so ist doch nicht alles, was einem beschwerlich ist, eine Straffe. So ist auch der Schade mit der Straffe nicht einerley, indem man vielmahls einen Schaden haben kan, ohne daß es vor eine Straffe anzusehen, wie man denn auch bisweilen einen Schaden über sich nehmen muß, dazu eines andern Verbrechen Gelegenheit gegeben, und zwar, daß man auch dasjenige verlieret, was man nicht anders, als unter einer gewissen Bedingung haben solte.
 
 
 
  Das andere gehet die Beschaffenheit der Kinder an, welche der Eltern Missethat tragen sollen, so ferne sie entweder den Eltern in der Gottlosigkeit nachschlagen, oder nicht. Dieses voraus gesetzet, so sagen wir, wenn fromme Kinder, welche ihren bösen Eltern nicht nachahmen, um deren Missethat etwas leiden müssen, so ist das eigentlich keine Straffe, sondern etwas beschwerliches, und zwar ein solcher Schade, daher ihnen GOTT eine besondere Gnaden-Wohlthat und einige Vortheile entziehet, die sie sonst würden bekommen haben, wenn ihre Eltern fromm gewesen wären, daß also der Eltern Bosheit und Verbrechen zu solcher Entziehung Anlaß gegeben.
 
 
 
  Treten die Kinder in ihrer bösen Vorfahren Fußstapfen, so leiden Sie das Unglück um ihrer Sünde willen. Jenes ist alsdenn ein Creutz; dieses aber eine Straffe. Auf solche Weise lassen sich die beyden Stellen des Mosis und Ezechielis, die einander entgegen zu seyn scheinen, füglich mit einander vereinigen. Denn Moses redet von der Entziehung einer sonderbaren Gnade; Ezechiel aber von
 
  {Sp. 504}  
 
 
  der eigentlich sogenannten Straffe.
Man lese nach Joh. Schmidii Disput. ..., Leipz. 1684.
 
 
  Ist der Mensch, welcher gesündiget, und dem man etwas imputiren kan, eigentlich das Subjectum der Straffe, und man sagt, daß er an seinem Leibe gestrafft werde, so ist dieses nicht so zu verstehen, als wenn würcklich die Straffe den Leib angienge, indem dieser an sich selbst nicht sündigen, folglich auch nicht zur Straffe kan gezogen werden; sondern die Straffe leidet allezeit die Seele, und zwar durch den Leib, der sich dabey als ein Instrument verhält, gleichwie sie sich dessen auch als eines Werckzeugs bey der Sünde bedienet.
 
 
 
  Es ist auch die physische Vollkommenheit des Leibes an sich selbst eine indifferente Sache, deren rechter Gebrauch und Genuß, welcher von der Seele dependiret, die moralische Glückseligkeit eines Menschen befördert. Hier können wir die Frage mitnehmen: Ob ein zum Tode verurtheilter Übelthäter unter den vorgelegten Straffen ihm eine erwehlen möge? welches mit Ja beantwortet wird, weil es nicht die Sache selbst, sondern nur die Weise derselben betrifft. Es folgt
 
 
3) das Verbrechen, welches bestrafft wird. Überhaupt sind es alle diejenigen Handlungen, welche mit dem Gesetze nicht überein kommen, wiewohl man davon mit Unterscheid in Ansehung des göttlichen und menschlichen Gerichts reden muß. Denn in dem göttlichen Gerichte werden nicht nur die äusserlichen Wercke, sondern auch die innerlichen Bewegungen der Seele, Gedancken, Begierden, auch diejenigen, die man nunmehro wegen der Verderbniß unserer Natur nicht vermeiden kan, von rechtswegen gestraffet.
 
 
  In dem menschlichen Gerichte aber bestrafft man nur das äusserliche Thun, und zwar dasjenige, wodurch die äusserliche Ruhe in der Republick nicht schädlich sind; noch die gemeinen Laster der Menschen, die sich zwar äusserlich bisweilen hervor thun; aber dennoch ohne iemand Schaden und Unrecht zuzufügen, ausgeübet werden, dergleichen Heucheley, Üppigkeit, Hoffarth, Geitz u.s.f. noch die irrigen Meynungen des Verstandes, so ferne sie im Verstande bleiben, und nicht irgend ein anderes Verbrechen mit sich führen, noch diejenigen Verbrechen, wodurch man zwar GOTT beleidiget, die Ruhe aber in der bürgerlichen Gesellschafft nicht gestöhret wird.
 
 
  Hier kömmt die Frage vor welche aus dem Rechte der Natur zu untersuchen ist; ob die Straffen auf alles dasjenige, was den göttlichen Gesetzen zuwider ist, sich erstrecken sollen, oder ob etwas daran auszunehmen? Wer wolte aber zweifeln, daß vergebliche Straffen auszunehmen wären? Denn alles, was vergeblich ist, ist närrisch, und alles was närrisch ist, ist wider die Vernunfft.
 
 
  Alle Straffen aber sind vergeblich, die nur zur wahren Gottseligkeit der Menschen abzielen. Denn sie können nichts mehr würcken, als daß sie die äusserlichen Thaten der Menschen verwehren, dadurch aber kan man wohl Heuchler, aber keine fromme Menschen machen. Darum sind die Straffen vergeblich, oder irraisonable, welche auf die Beförderung der Gottseligkeit gerichtet sind,
 
  {Sp. 505|S. 266}  
 
  als wenn man die Menschen von einer dem Staate nicht schädlicher Religion zu der andern bekehren will.
 
 
  Demnach bleiben die zur Gottseligkeit abziehlende Straffen blosse Mittel vor die Gerechtigkeit, oder besser zu sagen, vor die Thaten, welche die Gerechtigkeit erfordert, sie mögen nun aus der wahrhafften Gerechtigkeit, oder aus dem Zwange der Gesetze herrühren. Denn der Nutzen der Republick würde zwar besser durch die Gerechtigkeit selbst, als durch die blossen Thaten derselben befördert. Weil aber jene durch die Straffen nicht kan erhalten werden; so muß man sich mit dieser begnügen.
 
 
  Doch kann man durch die Straffen nicht einmahl alle Thaten der Gerechtigkeit erzwingen. Denn es gehören hieher die Thaten der Leutseligkeit, Gedult, Bescheidenheit, Mäßigung und andere, deren Gegentheil, ohne allen Zweifel der Republick höchst schädlich ist; und dennoch kan man durch die Straffen die Thaten der blossen Unfreundlichkeit, Unbescheidenheit, Ungedult und andere Affecten nicht wohl zwingen, weil nun durch besagte Thaten der Republick fast eben so viel Schaden geschiehet, als durch die andern, indem sie fast allgemein sind, so haben die Römer vor Zeiten in ihrer weisen Regierung dieses wohl bedacht, und deßwegen die Censores verordnet, welche alle fünff Jahre nachsehen musten, wie sich ein ieder Bürger in Rom aufführete; und wenn sie befunden, daß einer übel wirthschafftete, oder in allzuvieler Wollust, oder allzuprächtig lebte, oder nicht heyrathen wolte, so untersuchten sie dieses, und nach Befinden der Umstände, wenn er ein Raths-Herr war, stiessen sie ihn aus dem Rath; war er ein Ritter, so nahmen sie ihm sein Pferd, war er von dem Volcke, so setzten sie seinen Nahmen unter die Cäriten, da er nicht mehr Raths fähig war.
 
 
  Althusius meynet in seiner Politick, es liese sich dieses heut zu Tage auch noch thun; wenn man diese Bedingung der Geistlichkeit anvertrauete; alleine ob die Würckung von sonderlichen Nutzen seyn würde, ist fast nicht zu glauben. Zwar kan man nicht in Abrede seyn, daß nicht alle innerliche Regungen, ungestrafft zu übergehen sind. Der Vorsatz zu einer bösen That kan so wohl bestrafft werden, als wenn die That würcklich geschehen. Z.E. Wenn iemand mörderliche Anschläge gegen die Obern gefasset; oder man hat um dergleichen Dinge gewust, und sie nicht angezeiget, denn werden gleich dergleichen Dinge nicht vollzogen, so sind doch die Anschläge gefährlich, und man hat höchst nöthig, andere durch Exempel von Begehung solcher Missethaten, darein sie nicht einmahl zu willigen, abzuschrecken.
 
 
4) Ist der Endzweck der Straffen zu erwegen. Bey dem Verderben der menschlichen Natur und dem daraus entstehenden Ungehorsam der Menschen, sind die Straffen schlechterdings nöthig. Denn wenn solche Zwangs-Mittel nicht da wären, so wären die Gesetze vergebens; Folglich da die Fürsten verbunden sind, die Wohlfahrt des Staats zu erhalten, so lieget ihnen auch ob, die Verbrechen, welche dawieder streiten zu bestraffen. Also ist hier eine besondere Verbindlichkeit da.
 
 
  Wolte aber GOtt die Sünder unbestrafft lassen, so würde er wieder seine Gerechtigkeit handeln. Indem das Straff-Amt ein Stücke der Gerechtigkeit ist, so ist unter den Gelehrten ein hefftiger Streit gewesen: Zu welcher
 
  {Sp. 506}  
 
  Art der Gerechtigkeit selbiges zu rechnen, und ob es zu der Justitia commutativa, die in Contracten einem ieden das Seinige giebet; oder zu der Justitia distributiva, welche auf die Personen und ihre Verdienste siehet, gehöre? Es halten aber andere die gantze Frage vor unnütze, auch die Eintheilung selbst der Gerechtigkeit vor vergeblich und meynen, man thäte besser, daß man die Gerechtigkeit eintheile in justitiam rectoriam, die zwischen Obern und Untern sey, und dahin das Straff-Amt gehöre; und in justitiam aequatoriam, welche Personen von ingleichen Umständen angienge.
 
 
  Aus solcher Nothwendigkeit ist leichte zu schliessen, daß die Straffen einen Endzweck haben müssen. Alles, was davon kan gesaget werden, haben wir in der Beschreibung der Straffe zusammen genommen, und kurtz gesaget: sie ziele zur gemeinen Verbesserung der Unterthanen ab.
 
 
  Insbesondere theilet man ihn in finem internum, in einen innerlichen, und finem externum, in einen äusserlichen; Oder wie andere reden in finem expiatorium, in den aussöhnenden, und medicinalem, in denen verbessernden. Der innerliche Endzweck ist die Gnugthuung, welche der Gerechtigkeit geschiehet, daß man bey den Straffen dasjenige thut, was die Gerechtigkeit mit sich bringet, worauf GOtt bey allen seinen Straffen siehet; so aber auch indirecte auf den Nutzen der Unterthanen gehet, deren Wohlfahrt ohne Gerechtigkeit nicht bestehen kan.
 
 
  Der äusserliche Endzweck gehet bald auf den Nutzen einer gantzen Gesellschafft, bald aller und ieder Personen, und zwar entweder auf den Nutzen dessen, welcher gesündiget, damit er sich bessere, oder des, der beleidiget worden, damit er ins künfftige sicher sey; oder der andern überhaupt, auf daß sie sich durch ein Exempel von dergleichen Verbrechen abschrecken lassen.
 
     

vorhergehender Text  Artikelübersicht   Teil 2  Fortsetzung

HIS-Data 5028-40-499-3-01: Zedler: Straffe, Strafe [1] HIS-Data Home
Stand: 23. September 2013 © Hans-Walter Pries