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Zedler: Wissenschafften [1] HIS-Data
5028-57-1399-1-01
Titel: Wissenschafften [1]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 57 Sp. 1399
Jahr: 1748
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 57 S. 713
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  Text   Quellenangaben und Anmerkungen
  Wissenschafften, Lat. Scientiae.  
  Es ist oben in dem Artickel: Wissenschafft, angemercket worden, wie man dieses Wort auch in solchem Verstande gebrauche, daß es eine Lehre bedeutet, deren Wahrheiten erkannt werden, da es denn wieder eine zweyfache Absicht hat. Denn entweder nimmt man selbiges in weitläufftigen Sinn vor eine jede Lehre, sie mag gewiß oder nur wahrscheinlich seyn, wenn man z.E. die Disciplinen der Philosophie, oder einer andern Gelehrsamkeit, Philosophische Wissenschafften zu nennen pfleget; oder man versteht insonderheit, und in eigentlichem Verstande eine solche Lehre darunter, deren Wahrheiten ihre Gewißheit haben, welche Bedeutung vornemlich dem Lateinischen Worte scientia beygeleget worden, wenn man unter andern sagt: Die Moral sey eine scientia, das ist eine Lehre, worinne gantz gewisse Wahrheiten vorkommen.  
  Es ist sonst immer unter den Philosophen ein Streit gewesen, welche Disciplin der Philosophie man als eine scientiam anzusehen habe. Denn was die Physic betrifft, so hat zwar Aristoteles, Cartesius, Gassendus neben vielen andern davor gehalten, sie sey eine scientia oder Wissenschafft; verschiedene neuere aber, sonderlich Rüdiger in physic. divin .L. I. c. 1. Sect. 4. §. 78. haben sie vor eine Lehre der Wahrscheinlichkeit ausgegeben, dem auch Thomasius in caut. circa praecognit. Jurisprud. c. 13. §. 5. beystimmet. Wie nun Aristoteles die Physic vor eine Wissenschafft hielte; also leugnete er hingegen die Gewißheit der Moral, und zwar aus der Ursache, weil er alle Gerechtigkeit und Ehrbarkeit bloß von bürgerlichen Gesetzen herleitete, welches aber von den neuern, als Pufendorfen, Buddeus und andern kräfftig wiederleget worden.  
  In der gesammten Philosophie hat unsere Erkenntniß drey Grade: Manche Dinge wissen wir gewiß, deren Wesen und Natur uns bekannt, weil man alsdenn Principia machen, und daraus mit einer Gewißheit schliessen kan. Einige erkennen wir nur wahrscheinlich, dergleichen sonderlich in der Physic vorkommen, so ferne man darinnen die Würckungen der Natur, die unmittelbar in die Sinne fallen, erklären, und ihre Ursachen nebst der Art, wie sie entstehen, zeigen soll: So fehlet es auch nicht an solchen Sachen, bey denen nur eine Möglichkeit statt hat, und die in Absicht auf unsern Verstand, als unbekannte Dinge anzusehen sind.  
  {Sp. 1400}  
  Denn auch die Natur hat ihre Geheimnisse, welche solche Begebenheiten sind, daß wir von denselbigen zwar ihre Existentz wissen, aber nicht die Beschaffenheit begreiffen können, und wenn wir uns ja davon eine Vorstellung machen wollen, solches nur auf eine mögliche Art geschehen kan, z.E. wie die Welt erschaffen worden, was die Seele vor einen Ursprung habe, wie sie mit dem Leibe vereiniget u.s.f. Auf solche Weise muß man aus der Beschaffenheit eines Objects, davon in einer Disciplin gehandelt wird, urtheilen, ob man sie als eine scientiam anzusehen habe oder nicht. Walchs Philosophisches Lexicon.
  Jedoch wir kommen nun wieder auf die erste weitläufftige Bedeutung zurück, da das Wort: Wissenschafft, vor eine jede Lehre genommen wird, sie mag gewiß oder nur wahrscheinlich seyn.  
     
  Abriß der Wissenschafften nach ihren verschiedenen Theilen und deren Verwandtschafft unter einander.  
  Vor allen Dingen ist nöthig, daß wir die Wissenschafften nach ihren verschiedenen Theilen und deren Verwandtschafft unter einander, darstellen. Wer Profeßion vom Studiren machet, der weiß auch, daß an diesem Stücke so vieles gelegen sey, daß die Ordnung zu studiren, die Art und Weise die verschiedene Theile der Gelahrheit gehörig vorzunehmen, auf die Verbindung und den Zusammenhang derselben sich gründe, welches man mit gutem Fuge die Seele des Studirens nennen mag.  
  Nun wäre zu wünschen, daß die Gelehrten dieses Gebäude nicht auf unterschiedliche Art aufführeten, als welches zum grossen Nachtheil der Studierenden gereichet. Einige suchen das Fundament in denen so genannten vier Facultäten, und theilen sodann das gantze Systema der Gelahrheit in die Theologie, Jurisprudentz, Medicin und Philosophie. Andere ziehen alle scibilia z zusammen in einem Hauffen, und diesen theilen sie sodann in zwey grosse Hauffen (in die artes s. disciplinas liberales und in die artes illiberales), deren ein jeder abermahl in viele besondere kleine Hauffen zergliedert wird.
[1] HIS-Data: vergl. Humaniora
  Artes liberales aber heissen, die in denen Schulen erlernet werden, und in deren Erkenntniß vornemlich die Gelahrheit bestehet, Artes illiberales s. mechanicae s. manuariae hingegen werden genennet, welche von den Künstlern, Handels- und Handwercks-Leuten ausgeübet werden. Diese letztern nun werden bekannter massen von dem Inbegriff der Gelahrheit ausgeschlossen. Da aber solche zum Nutzen und Ersprießlichkeit der menschlichen Gesellschafft gemäß sehr vieles beytragen, so solte man selbige so schlechterdings von der Gelahrheit nicht ausschliessen. Nur setzet es sodann Schwierigkeiten, zu welcher Facultät selbige zu zählen wären, und wo man selbigen in der gelehrten Republick einen Platz einräumen solle? Jedoch wir halten uns hierbey nicht auf, weil wir in diesem Artickel nur mit denen Wissenschafften, und nicht mit den Künsten zu thun haben.  
  Wir wollen auch nicht mehrere Methoden erzehlen, nach welchen andere Gelehrte die Verbindung der Wissenschafften machen, sondern sofort aus solchen des Hrn. Martin Schmeitzels seine erwehlen und hier ausführlicher mittheilen. Selbiger führet in seinem Versuche zu einer Historie der Gelehr-  
  {Sp. 1401|S. 714}  
  heit p. 229 u.f. das gantze Gebäude der Wissenschafft, nach dem Zwecke aller Gelahrheit auf; dieser aber ist ihm, des Menschen Zeit und ewiges Heyl und Wohlfahrt zu befördern, worbey er diesen Weg folget, der uns weiset, was der Mensch zu erkennen habe,  
 
1. aus dem Lichte der Vernunfft
 
 
2. aus dem Lichte der Offenbahrung.
 
  Das erste Stücke begreiffet die Philosophie in sich, welcher er den allgemeinen Begriff der Weißheit beyleget, die aus dem Lichte der Vernunfft entstehet und der Theologie entgegen gesetzet wird; und das andere Stücke begreiffet die Theologie mit ihren Theilen.  
  Alles aber, was zur Philosophie in besagtem Verstande, gezählet wird, mithin der Mensch aus natürlichen Kräfften zur Erhaltung seiner Glückseligkeit erlernen kan, das giebt zu erkennen die  
 
I. Philologie,
II. Philosophie, in engerem Verstande genommen.
III. Historie.
[1] HIS-Data: korrigiert aus: Philosophie
 
I. Die Philologie[1] oder die Sprachen-Wissenschafft begreiffet unter sich die
 
1. Sprach-Kunst oder Grammaticam;
2. Redner-Kunst, oder Rhetoricam;
3. Dicht-Kunst, oder Poesie, und
4. Wortforschungs-Kunst oder Criticam.
II. Die Philosophie im engern Verstande, in so weit nemlich sie der Philologie entgegen gesetzet wird (daher auch einige Gelehrte sie in diesem Verstande Real-Philosophie zu nennen pflegen) handelt im
 
1. General-Theile von dem Wesen des Geistes und der Materie; daher entstehet die Metaphysick, oder diejenige Wissenschafft, welche von dem allgemeinen Wesen aller Dinge, und deren Haupt-Unterscheid, des Geistes u. der materialischen Dinge, handelt.
2. Special-Theile von denen natürlichen Cörpern; daher die Natur-Lehre.
  Diese Natur-Lehre oder Physick handelt entweder
 
A. von dem Menschen insonderheit, daher die so genannte Anthropologie; oder
B. von den ausser dem Menschen befindlichen Cörpern. Dahin gehöret die
 
(1) PHYSICA VULGARIS, oder die Wissenschafft der natürlichen Cörper, ihrer Natur, innerlichen u. äusserlichen Beschaffenheit und Würckungen; und die
(2) Mathematick, mit ihren verschiedenen Theilen.
  Die unter dem Buchstaben A nur gedachte Anthropologie untersuchet den Menschen nach der Beschaffenheit des
 
1. Geistes, und des
2. Leibes.
 
(α) Der Beschaffenheit des Geistes nach betrachtet die Anthropologie die Verrichtungen des
 
a. Verstandes, daher die Logick oder Vernunfft-Lehre mit ihren Theilen, und des
b. Willens, daher die Moral-Philosophie.
  {Sp. 1402}
 
 
 
 
 
 
  Die Moral-Philosophie hat zwey Haupt-Theile: Im
 
1. General-Theile wird von der Glückseligkeit und Unglückseligkeit der Menschen und was beydes hindern und befördern kan, gelehret. Und dieses ist eigentlich die Moral oder Sittenlehre.
2. Special-Theile wird von der Richtschnur gegeredet, nach welcher er seine Verrichtungen zu reguliren hat.
  Aus diesem Special-Theile entstehen nach dem Unterscheide der Regeln unterschiedliche Theile der Gelahrheit. Denn da die Richtschnur unserer Verrichtungen entweder
 
a. ein Gesetz, oder nur
b. ein guter Rath,
  ist; beydes aber verschiedene Verrichtungen zu reguliren hat, als erwachsen daher abermahl unterschiedliche neue Wissenschafften. Denn
 
א) Das Gesetz (Lex, Jus, dadurch der Mensch zur Folge kan obligiret werden, mit angehengter Straffe die ihn betreffen kan, wenn er seine Handlungen nicht nach der Richtschnur anstellt), ist entweder
 
a. göttlich, aus welchem die JURISPRVDENTIA NATURALIS herstammet. Diese betrachtet den Menschen
 
1. nach dessen Dependenz von Gott, daher die natürliche Theologie, oder Theologia naturalis;
2. nach dem Umgang mit dem Neben-Menschen, daher das Natur-Recht oder Jus Naturae;
3. nach der bürgerlichen Gesellschafft, daher das JUS CIVITATIS;
4. nach dem Umgang mit gantzen Völckern, daher das Völcker-Recht oder Jus Gentium; oder
b. menschlich. Die menschlichen Gesetze sind auch sehr unterschiedlich. Denn sie handeln entweder
 
1. von Civil und Bürgerlichen Dingen, daher das Bürgerliche Recht oder Jus Civile; oder
2. von Kirchen-Sachen, daher das JUS CANONICVM und ECCLESIASTICVM.
ב) Ein guter Rath (Consilium, dessen Verbindung aus Erwegung des Nutzens entstehet, den wir zu erhalten haben, wenn wir den guten Rathe Folge leisten) constituiret diejenige Wissenschafft, welche man PRUDENTIAM NATURALEM nennet. Diese ist entweder
 
1. allgemein, und siehet sowohl
 
a. auf den Nutzen, daher die Öconomie; oder
b. auf dasjenige, wie man sich Freunde und Gönner schaffen, und vor den Feinden sicher halten soll; daher die Klugheit zu leben, Prudentia vivendi; oder
2. eine besondere Staats-Klugheit, daher die Politicke oder Prudentia civilis mit ihren Theilen.
(β) Der Beschaffenheit des Leibes nach lehret uns die Anthropologie, wie man die
 
a. Gesundheit des Leibes erhalten, befördern, und, wenn solche verlohren, wieder
  {Sp. 1403|S. 715}
 
 
 
 
 
 
  erlangen könne, welches die Medicin mit ihren Theilen thut;
b. Geschicklichkeit des Leibes erlangen solle, wovon in dem STUDIO GYMNASTICO Regeln vorgeschrieben werden.
III. Die Historie (welche billig ein Universal-Studium soll und muß genennet werden, weil keine von den übrigen Disciplinen selbige entbehren kan) bekommt nach denen sehr mancherley Dingen, welche in der Historie erzehlet werden, verschiedene Theile. Denn welche mit
 
a. Geistlichen und zur Religion gehörigen Dingen beschäftiget ist, heißt HISTORIA SACRA s. ECCLESIASTICA, und die allerhand
b. Welt- und Politische Händel erzehlet, nennet man HISTORIAM PROFANAM s: CIVILEM.
  Diese letztere hat drey Haupt-Äste:
 
1. Die Natur-Geschichte (historiam naturalem), so von Dingen handelt, welche die Natur hervorbringet;
2. Die Kunst-Geschichte (historiam artificialem), welche Sachen erzehlet, die durch die Kunst herfür gebracht worden; es sind aber selbige entweder
 
a. Sitten und Gebräuche, res morum et rituum, und diese heisset die HISTORIA ANTIQUITATUM, oder
b. Künste und Wissenschafften, res artium et disciplinarum, und da giebt es so viele Arten, als Künste und Wissenschafften anzutreffen; oder
c. Versuche, res experimentorum, sie seyn nun chymisch, mechanisch, u.s.w. Diese Historie erzehlet die unterschiedliche Bemühungen der Menschen, die sie durch Zusammenfügung natürlicher und künstlicher Dinge und vorgenommen; oder
d. Curieuse Würckungen, res effectuum curiosorum, wohin alle curieuse Maschinen und dergleichen Dinge gehören. Diese Historie giebt also Nachricht von solchen Dingen, welche durch geschickte Hände berühmter Künstler, zum Nutzen und Lust der Menschen, erfunden worden.
3. Die Civil-Geschichte (historiam civilem), welche allerhand im bürgerlichen Wesen geschehener Dinge erzehlet. Diese ist beschäftiget mit
 
a. eintzelen Personen, wie sie entweder
 
α) Regenten sind, deren Historie uns dreyerley bekannt machet, nehmlich
 
a. ihre Thaten und Verrichtungen, daher die HISTORIA PRAGMATICA. Es wird aber Historia pragmatica insonderheit genennet, wenn auf die Veränderungen, die sich in einem Staat zugetragen, in Ansehung derer Regenten, welche in selbigem das Regiment geführet, Reflexion gemacht wird. Es wird aber dieses Stücke gemeiniglich entweder in die Civil-Historie oder in die Staats-Historie eingemischet.
  {Sp. 1404}
 
 
 
 
 
 
b. ihr Geschlecht und Sippschaft, daher die HISTORIA GENEALOGICA
c. ihre Wappen, daher die Heraldicke, oder Wappen-Kunst; oder
β) Privat-Personen sind, unter welchen es insonderheit auf die Gelehrten ankommt, daher die Gelehrten-Historie, Historia literaria.
b. gantzen Staaten, daher die Historie der Staaten, Historia s. Notitia Statuum, davon so viele Arten, als Reiche und Staaten in der Welt anzutreffen.
  Das andere Stücke, oder der andere Theil des gantzen Gebäudes der Wissenschafften, begreiffet und fasset in sich, was der Mensch aus dem Lichte der Offenbahrung erkennet, welches die Theologie genennet wird. Dieser hat zwey Haupt-Abtheilungen. Selbige sind:
 
1. THEOLOGIA CATECHETICA; und
2. THEOLOGIA ACROAMATICA.
  Diese letztere bekommt nach der heutigen gewöhnlichen Art, die Glaubens- und Lebens Lehren vorzutragen, abermahl ihre besondere Theile. Denn, werden die Glaubens-Artickel
 
a. in kurtzen Sätzen vorgetragen und mit Sprüchen der Heil. Schrifft bestätiget, so heisset es die Thetick, Theologia Thetica; werden selbige
b. wider falsche und irrige Meynungen vertheidiget und bekräfftiget, so heißts Polemick, Theologia Polemica; werden
c. die schweren Schrifft-Stellen erkläret u. erläutert, so heißts die Exegetick, Theologia Exegetica; werden
d. die Pflichten derer Christen nach allen Ständen insbesondere ausgeführet, so heißts die Moral-Theologie, Theologia moralis; werden
e. allerhand schwere Gewissens-Fragen eröfnet und beantwortet, nennet man es die THEOLOGIAM CASUISTICAM; u. endlich
f. die gewöhnliche Lehr-Art auf der Cantzel heisset die Homileticke, Theologia Homiletica.
  Schmeitzels Versuch zu einer Historie der Gelehrheit p. 222 u.f.
   

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Stand: 27. Februar 2013 © Hans-Walter Pries