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Zedler: Teutsche Sprache [1] HIS-Data
5028-43-143-8-01
Titel: Teutsche Sprache [1]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 43 Sp. 143
Jahr: 1745
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 43 S. 85
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Übersicht

Alter
  Ursprung
  Veränderungen

  Text Quellenangaben
  Teutsche Sprache, Lat. Lingua Teutonica, Lingua Germanica, hat ihren Ursprung und Nahmen von den alten Teutschen, und wird noch jetzo in Teutschland durchgängig geredet.  
  Es ist die Schreibart: Deutsche Sprache besonders zu den jetzigen Zeiten auch gewöhnlich, und der Grund derselben beruhet darauf, ob man die Deutschen von ihren GOtt Theut, Teut, oder von dem alten Worte Dute, welches GOtt bedeuten soll, herleiten will, wovon ein mehrers in dem Artickel: Teutsch, nachzusehen.  
  So gewiß es ist, daß unsere Sprache ihres Alterthums und innern Werths wegen einen grossen Vorzug vor andern hat, so gewiß kan man auch behaupten, daß selbst diejenigen die sie reden, eine grosse Nachläßigkeit in Verbesserung derselben, als auch eine unanständige Verachtung haben blicken lassen. Man hat unter den Teutschen eine grosse Anzahl aufzuweisen, welche Anbether der Griechischen, Lateinischen, Frantzösischen, und anderer Sprachen gewesen sind; die wenigsten aber haben sich eine rechte Kentniß ihrer Muttersprache zuwege gebracht.  
  Der Vorwurf, den man den Teutschen macht, daß sie vor den Einheimischen einen Eckel hätten, auswärtige Sachen hingegen bewunderten; mag wohl seinen Grund haben und die Geringschätzung ihrer Sprache kan einen starcken Beweiß davon abgeben. Die Ungereimtheit eines solchen Bezeigens, und der Schaden, der aus einer solchen Nachläßigkeit entstehet, sind so offenbahr, als die Vortheile, welche man aus der Verbesserung seiner Muttersprache erhält; in der man allezeit seine Gedancken ordentlicher, deutlicher und schöner ausdrücken kan.  
  Wir werden  
  {Sp. 144}  
  unseren Landsleuten und allen Liebhabern unserer Sprache eine vollständige Nachricht von ihrem Alterthum, Ursprung, Veränderung, Verbesserung, Beschaffenheit, Vorzügen, und andern hieher gehörigen Sachen, vorjetzo ertheilen, dadurch vielleicht bey einigen gantz andere Gedancken und eine grössere Achtung vor dieselbe erregt werden wird.  
Alter Man ist nicht einig unter den Gelehrten, wie man das Alterthum und den Ursprung der Teutschen Sprache bestimmen soll. Auf einer Seite siehet man Gelehrte, welche dieselbe älter als die Griechische und Lateinische, machen, und einige welche dieselbe beyden Sprachen in Ansehung des Alterthums an die Seite setzen: auf der andern Seite aber erblicket man diejenigen, welche die Teutsche Sprache von diesen herleiten, und derselben kein so grosses Alter zueignen wollen.  
  Man hat demnach gestritten, ob sie eine Stammsprache sey, oder ob man sie von der Hebräischen, Griechischen, oder Lateinischen Sprache ableiten müssen? Diejenigen, welche die Ebräische Sprache zur allgemeinen Mutter der übrigen machen, müssen freylich behaupten, die Teutsche stamme auch von derselben ab; es ist aber gar noch nicht ausgemacht, daß der Ebräer Sprache die erste und allgemeine gewesen wäre.  
  Der Grund dieser Meynung, nehmlich von den Nahmen der alten Väter, die in der Ebräischen Sprache vorkommen, ist nicht so unanstößlich, daß des Grotius und Cluverius Einwendungen demselben nichts anhaben sollten, ob sie schon Heidegger in seiner Exercitat. XVI. de lingua et literis Patriarcharum zu beantworten sich bemühet.  
  Andere wollen aus der Übereinstimmung verschiedener Griechischen und Teutschen Worte dieses aus jener herleiten, andere aber kehren dieses um, und behaupten; die Griechische und andere Sprachen müsten die Deutsche vor ihre Mutter erkennen. Wer hiervon eine weitläufftige Nachricht verlangt, der kan
  • den Rhenanus in Institut. rerum Germanicarum ...,
  • den Praschius in dissertatione de origine Germanica latinae linguae,
  • den Reiman in Hist. literaria ...
  • u.a.m.
nachlesen, welche ausführlich davon gehandelt haben.
 
  Wir könnten hier noch verschiedene andere Meynungen anführen, welche man von unserer Muttersprache geheget, und vorgetragen hat.  
  Goropius Pecanus suchte zu behaupten, die Scythische Sprache, aus welcher die Teutsche entsprungen, sey älter als die Ebräische, wenigstens zweifelte er noch sehr an dieser ihren Alter, und George Stirnheim, ein gelehrter Schwedischer Edelmann, setzte ohne Bedencken jene dieser letztern in Ansehung ihres Anfangs vor.  
  Rodornus Schrick glaubte gewiß, daß die Ebräische und Teutsche Sprache nur als Dialecte von einander unterschieden wären, und dieses suchte er an vielen Ortens seiner weitläufftigen Schrifften, insonderheit im III. B. Originum Celticarum zu beweisen.  
  Bey einer solchen Trennung der Meynungen wird man unser Gutachten verlangen, und wir wollen dieses mittheilen; ob wir uns gleich nicht den Ausschlag in der Sache zu geben unterfangen wollen. Es ist wohl am wahrscheinlichsten, daß keine von den jetzo bekannten Sprachen als welche das meiste von der Kunst entlehnet, die ersten gewesen, sondern daß vielmehr eine von diesen unterschiedene den übrigen Sprachen und Wörtern ihren Ursprung ertheilet,  
  {Sp. 145|S. 86}  
  Doch so, daß eine Sprache immer mehr von jener angenommen habe, als die andere.  
  Wenn man dieses annimmt, so wird man der Teutschen Sprache eben ein so großes Alter zuschreiben müssen, als denjenigen, die wir jetzo haben, und man wird sie keinesweges vor eine Tochter derselben ausgeben können, welches viele ohne genugsamen Grund gethan haben. Daß unsere Sprache älter als die Griechische und Lateinische sey, kan man mit ziemlicher Gewißheit behaupten, und manche sind so gewiß davon überzeuget, daß sie bey der gantzen Sache nicht den geringsten Zweiffel haben.  
  Was die Wissenschafften anbelanget, so ist es ausgemacht, und Aristoteles bekennet mit ausdrücklichen Worten, daß die Philosophie von den Semnotheis der Celten, worunter die alten Teutschen mit begriffen werden, ihren Ursprung haben, und Gallien Griechenlands Lehrmeisterin sey, davon Piccard in seiner Celtopädie weitläufftig handelt. Und von der Sprache sagen die Griechen ebenfalls, und unter diesem der älteste Geschichtschreiber Herodotus ... Daß die Pelasgier, der Griechen älteste Nation, die Barbarische Sprache redeten.  
  Plato bekräfftiget dieses mit unterschiedlichen Beyspielen, welche nach einer richtigen Untersuchung alte Scythische, das ist, Teutsche Wörter sind. Nur ein Exempel anzuführen, so gedenckt Aristoteles des Wortes tekmar, davon nach der Zeit das Wort tekmērion entstanden ist. Er sagt; in der alten Griechischen Sprache habe es so viel als das Ende oder die Grentzen bedeutet. Ist es daher nicht sehr wahrscheinlich, daß es von dem alten Worte tecken marck, zusammen gezogen teckmarck, entsprungen sey, daß in der jetzigen Teutschen Sprache, Merckmahl genennet wird? Weil man die Grentzen mit dergleichen Zeichen zu unterscheiden pflegte; wie denn auch das Wort Mar oder Marck in der alten Teutschen Mundart bekannt genug ist.  
  Plato saget über dieses selbst in seinem Cratylo unter dem Nahmen des Socrates: Ich halte davor, (dieses sind seine eigenen Worte)  
  „Daß die Griechen viel Wörter von den Barbarn, insonderheit diejenigen, die unter ihnen wohnen, empfangen haben."  
  Was Plato von den Griechen behauptet, sagt Varro von den Lateinern. Er schreibt, daß ihrer Wörter Ursprung von dem Barbaren gekommen, und durch die Länge der Zeit fast gantz verdunckelt worden. Es wird also wohl so leichte niemand in Zweiffel ziehen können, daß die Griechische Sprache nicht solte von den Barbarischen seyn hergeleitet worden. Die benachbarten Phrygier und Scythen sind selbst in Griechenland zusammen gekommen, welches Strabo in seinem VII. B. ausdrücklich bezeugt.  
  Die ältesten Völcker Griechenlands, die Pelasgier, sind wie die Scythen ein herumschweiffendes Volck gewesen, wie uns Herodotus ... und Dionysius Halycarnaß Lib. I. berichtet, und die von den Pelasgiern entsprungenen übrigen Völcker, sind nicht den Sprachen, sondern den Dialecten nach unterschieden gewesen. Folglich haben alle Griechen den Ursprung ihrer Sprache der alten Scythischen, oder wenn man es recht ansiehet, der ur-  
  {Sp. 146}  
  alten Teutschen zu dancken, weil Scythen und Celten, die Teutschen ehemahls geheissen haben, und darunter mit sind verstanden worden.
  Der gelehrte Olaus Rudbeck hat in seinem Buche: Atlantica ... mit guten Gründen dargethan, daß die Griechen auch die Buchstaben von den Hyperboreis und alten Scythen erst empfangen haben, und Bibliander hat in seinem Buche de ratione communi omnium linguarum  angemerckt, daß von zwey tausend teutschen Stamm-Wörtern, mehr den acht hundert der Griechischen und Lateinischen Sprache gemein sind, da er doch dieselben noch nicht alle bemerckt hat.  
  Wer viel Mühe anwenden wolte, würde in beyden Sprachen über die Helffte Teutsche und Gohtische Wörter antreffen, die uns aber so fremde vorkommen, und durch die künstliche Veränderungen, durch die Endungen, Zusammensetzungen mit andern Wörtern, und durch die fremden Bedeutungen, welche man ihnen beygelegt, ihre Gestalt so verändert haben, daß wir sie vor Ausländische ansehen, da sie doch von der ältesten Teutschen Sprache herkommen.  
  Wer den grossen Unterschied ansiehet, den die Frantzösische Sprache von der Lateinischen und Teutschen hat, wird dieses gar leicht begreiffen können; gleichwohl muß man dieses Unterscheids ohngeachtet bekennen, daß die erstere aus den beyden letztern entsprungen sey. Und eben also verhält es sich mit der Griechischen und Teutschen Sprache, und viele würden die Abstammung jener von dieser noch deutlicher zeigen können, wenn wir eine grössere Kenntniß unserer Sprache, wie sie vor uralten Zeiten gewesen, haben könnten.  
  Wir gehen zur Lateinischen Sprache fort, und wollen zeigen, daß dieselbe der ältesten Teutschen Sprache an Alterthum nicht beykomme, und aus dieser mit viel Wörtern sey bereichert worden. Dionysius Halycarnaßus giebt uns zu Ende seines 1sten Buches, ein merckwürdiges Zeugniß, welches unsere Meynung bestätigen kan. Rom, schreibt er, ist zwar von den Griechen erbauet worden, es ist aber Wunder, daß ihre Sprache durch die Vermischung der Opicorum, Marser, Sabiner, Etrurier, Brutier, Umbrier, Ligurer, Hispanier, und Gallier (die eben aus den Celten und Scythen hergekommen sind,) nicht gantz in eine Barbarische Sprache sey verkehret worden. Er schließt endlich daraus, daß die Römer eine Sprache angenommen, die nicht gantz Griechisch oder Barbarisch, sondern aus beyden vermischt sey.  
  Wilhelm Postell, will in seinen Originibus Etruriae, daß die Lateiner ihre Buchstaben von den Celten haben, und Schrieck bringet in seinen libris originum Celticarum viele Denkmalhe hervor, woraus er die Abstammung der Lateinischen von der Celtischen Sprache schließet, wiewohl er sich zuweilen einiger Freyheit bedienet.  
  So viel ist unterdessen außer allen Streit, daß, wenn die Griechische Sprache ihren Ursprung meistentheils von der Barbarischen genommen hat, so muß die Lateinische ebenfalls denselben aus diesen bekommen haben. Denn dieses ziehet nie-  
  {Sp. 147|S. 87}  
  mand in Zweiffel, daß die Lateinische Sprache ihren Anfang aus der Griechischen und Barbarischen habe. Die Nahmen der Völcker, Länder, und Städte in Italien haben, doch sehr deutliche Kennzeichen ihrer Herkunfft bey sich, und wenn man die Nahmen der alten Cimbrischen, Gallischen, Teutschen, und Gothischen Völcker und Länder dagegen hält, so wird man die genaue Übereinstimmung beyderseits Nahmen erblicken. Hieraus kan man zugleich abnehmen, wie weit sich die Völcker dieser Länder und ihre Sprache ausgebreitet haben.  
  Daß der Gallier Sprache der Lateinischen einen grossen Vorrath von Wörtern gegeben, haben die Gelehrten genugsam erwiesen, und man kan unter vielen andern nachsehen, was Gassendus vom Peirescius in der Beschreibung seines Lebens ... aufgezeichnet. Es ist aber die alte Gallische Sprache mit der Teutschen einerley, oder wenn ja ein Unterschied anzutreffen wäre, so wäre er dieser, daß sie nur Dialecte einer Sprache wären, wovon Lambecius Lib. II. Comment. Biblioth. Vindobonensis ... handelt.
  Skinner untersteht sich zwar in der Vorrede zu seinem Etymologischen Lexico das Gegentheil zu behaupten, und schreibt wieder den Cluverius, die Sprache der Gallier und Teutschen, sey gantz von einander unterschieden, seine Gründe sind aber gar nicht zulänglich, die vorige Meynung umzustoßen. Denn was den Cäsar, der in Franckreich dreyerley Sprachen setzt, anbetrifft, und den Tacitus, welcher die Teutschen von den Frantzosen der Sprache wegen unterschieden, so kan man, wenn man beyde zusammen hält, gar leicht erkennen, daß sie nicht Sprachen, sondern Dialecte verstanden haben, davon einige allerdings etwas weit von einander entfernet sind.  
  Wer übrigens den Unterscheid der Belgischen, Celtischen, und Aquitanischen Sprache, in welche drey Völcker die alten Gallier ehemahls getheilt wurden, genauer zu wissen verlanget, der kan den Merula nachschlagen, welcher Cosmograph. ... die gantze Sache so ausgeführet, daß man ihm schwerlich etwas wichtiges wird einwenden können.  
  Oberwehneter Skinner führt ferner zum Beweis seiner Meynung eine Stelle aus des Cäsars I. B. de bello Gallico an, daraus er zeigen will, daß wenn die Gallische Sprache nicht so sehr von der alten Teutschen unterschieden wäre, so hätte Ariovistus der Teutschen König nicht nöthig gehabt, vierzehn Jahre über der Erlernung der Gallischen Sprache zuzubringen.  
  Allein, alles dieses beweiset nichts. Denn, wenn man den Cäsar recht ansiehet, so sagt er nicht: Ariovistus habe sich vierzehn Jahre bey den Galliern aufgehalten, um ihre Sprache zu begreiffen, sondern der Verstand von diesen Wort ist: Weil er eine geraume Zeit einen Theil von Gallien besessen, und also dieser Sprache durch langen Gebrauch gewohnt wäre, hätte Cäsar einen an ihn abgeschickt, der sich mit ihm in Gallische Sprache unterreden könnte.  
  Und wenn man auch zugeben wolte, Ariovistus habe, um zu einer Fertigkeit zu gelangen, eine geraume Zeit auf die Erlernung der Gallischen Sprache verwendet,  
  {Sp. 148}  
  so wird doch noch daraus nicht folgen, daß sie in Ansehung der alten Teutschen gantz verschieden sey. Denn Dialecte können auch einen so grossen Unterscheid unter einander haben, daß man dieselbe zu erlernen viel Zeit aufwenden muß, zumahl wenn keine Grammatischen Lehrsätzen vorhanden sind.  
  Endlich greiffet Skinner den Cluverius auch deswegen an, weil er aus den Nahmen der Könige, Völcker, Länder, Flüsse u. dergleichen ihren Ursprung von den Teutschen erweisen will. Allein er hat dadurch zugleich seine Unwissenheit in der Teutschen Sprache an den Tag geleget, und Einwendungen von keiner Erheblichkeit gemacht.  
  So viel müssen wir freylich zugeben, daß wir in den meisten Sachen nur muthmassen müssen, man kan aber dieses, wenn man nur einigen Grund darzu hat, so schlechterdings nicht verwerffen. Derjenige würde inzwischen in diesen Sachen vieles deutlicher machen, welcher die alten Barbarischen Wörter aus den ältesten Schrifftstellern mit Fleiß zusammen trüge. Lutherus hat zwar den Anfang in seinem Büchelgen von den Nominibus propriis der alten Teutschen gemachet, worzu Gottfried Wegener Anmerckungen gesetzt hat; desgleichen findet man bey dem Cambdenus etwas von dergleichen Wörtern, es ist aber alles dieses noch nicht vollständig.  
  Unterdessen wird man aus dem, was wir angeführt haben, nicht undeutlich erkennen, daß die Griechen so wohl als die Lateiner, ihre Sprachen aus der alten Teutschen meistentheils aufgerichtet haben, welches man aus der grossen Menge von Wörtern noch deutlicher abnehmen kan. Denn daß die alten Teutschen aus der Griechischen und Lateinischen dieselben entlehnet, kan man nicht mit dem geringsten Scheine der Wahrheit behaupten, und man müste erst oben angeführtes Zeugniß des Dionysius Halycarnaß aus dem Wege räumen.  
  Dieses kan aber nicht geläugnet werden, daß bey Einführung der Christlichen Religion, oder aus den verderbten Lateinischen Terminis, deren sich die ersten Teutschen Kayser in ihren öffentlichen Schrifften bedienten, einige wenige Wörter in die Teutsche Sprache gemischt worden.  
  Zu dem kan man auch aus den Lateinischen Wörtern, welche in der Oscischen, Volscischen, und Tuscischen Sprache zu finden gewesen, deutlich sehen, daß je älter sie sind, je näher sie der Teutschen Sprache kommen, woraus man ebenfalls jener Abstimmung von dieser einigermaßen erkennen kan. Damit wir nur einige dergleichen Wörter anführen, so ist das Wort Plantus, welches Festus suillum obsonium nennet, nichts anders als im Teutschen das Wort, Speck, nur das eine Lateinische Endung angefügt worden. Das Wort Stega beym Plautus, kömmt vom Teutschen Steg, Sicilices von Sichel, welches letztere ehemahls als ein einsylbiges Wort, wie uns Bifanius in indice Lucretiano ... berichtet, ist ausgesprochen worden.  
  Die Griechen haben dergleichen Wörter ebenfalls in grosser Menge, die aus der Teutschen Sprache entstanden sind. Teuchō muß von dem Teutschen Worte Tuch, Zeug, smychō, anzünden, von Schmock, schmöcken, stoira ca-  
  {Sp. 149|S. 88}  
  rina navis, von Steuer hergeleitet werden. Man könnte ein gantzes Lexicon von dergleichen Wörtern anfüllen, ja man könnte zeigen, daß auch die alten Stamm-Wörter aus beyden Sprachen von der Teutschen herkämen. Man müste aber die Griechischen aus der alten Pelasgischen, so viel davon noch übrig geblieben, die Lateinischen aber aus den Fragmentis der Oscischen und Tuscischen Sprache hernehmen, als welche letztern von Teutscher Herkunfft sind. Denn wenn man von den Stamm-Wörtern einer jetzo ausgebesserten Sprache urtheilen will, so muß man deren Ursprung nicht bey einer, die in gleicher Vollkommenheit ist, suchen, sondern man muß in diejenigen Zeiten zurück gehen, da sie noch rauh und ungestalt war.  
  Je einfältiger und gröber eine Sprache ist, desto älter und ungemischter ist sie, und desto eher muß sie einer verbesserten an Alter vorgezogen werden. Daß die Griechen ihre Sprache von den Barbaren hergenommen, bezeugen sie, wie wir bereits angeführet, selbst; daß sie aber aus der uralten groben ungekünstelten Teutschen Sprache die ihrige verbessert, bezeugt Jamblichus und Clemens von Alexandrien Lib. I. Stromat. und Anacharsis, ein Scythischer Philosoph, wirfft den Griechen vor, daß sie Scythen wären, und das meiste aus ihrer Sprache entlehnt hätten.  
  Wir könnten hier noch weitläufftig zeigen, daß viel Lateinische und Griechische einsylbige Wörter von den Teutschen abstammten, daraus die Zusammensetzung anderer Wörter und der gantzen Sprache nach und nach entstanden ist, wir könnten von der Veränderung der Buchstaben von den Endungen, und der übrigen Gleichheit der Griechischen und Lateinischen Wörter weitläufftig handeln, wenn es unsern Zwecke gemäß wäre. Unsere Absicht ist das Alterthum der Teutschen Sprache vor der Lateinischen und Griechischen zu beweisen; ob wir aber diesen Endzweck durch eine weitläufftige Abhandlung alles dessen, daß wir jetzt angezeiget haben, erhalten würden, dieses ist nicht leicht zu glauben.  
  Es ist gantz richtig, daß aus der Übereinstimmung einiger Worte in dieser und jener Sprache von dem Ursprunge und Alterthum derselben nichts gewisses könne geschlossen werden, und von denen, die solches thun, spricht Conring in Praefat. ad Tacitum de moribus German. nicht unrecht: Daß sie mehr verlacht als wiederlegt zu werden verdienten.  
  Wir glauben aber diesen Fehler sorgfältig vermieden zu haben. Denn wir sind nicht bey dem blossen Klange der Worte stehen blieben, sondern haben auch dargethan, daß beyde Wörter, welche von einander hergeleitet werden, eine so genaue Übereinstimmung haben, daß man gar nicht auf die Gedancken fallen kan, als ob dieses von ohngefehr geschehen, wobey wir noch gewiesen; wie eben diese Wörter einerley Bedeutungen in beyden Sprachen behalten, welches unseres Erachtens keinen geringen Beweiß von der Abstammung des einem vom andern abgiebt.  
  Über dieses haben wir Stellen von den Griechen, Lateinern, und andern glaubwürdigen Schrifftstellern angeführt, unter welchen jene selbst ausdrücklich gestehen, daß ihre Sprachen, aus den alten Scythischen, Celtischen oder uralten Teut-  
  {Sp. 150}  
  schen entstanden wären. Wir wissen nicht, ob jemand von uns mehr mit Recht wird verlangen können, und wir getrauen uns auf die Seite derjenigen, die mit einem unermüdeten Fleiße die allerältesten Sprachen untersuchet haben, zu treten, und mit ihnen zu behaupten, daß die Teutsche Sprache die Griechische und Lateinische an Alterthum übertreffe.  
Ursprung Wir kommen nun mehr auf den Ursprung unserer Teutschen Sprache, dabey die Meynungen der Gelehrten ebenfalls sehr verschieden sind, einige aber ihre Unwissenheit bekennen, und von der gantzen Sache schweigen. Morhof glaubt, welches wir schon oben erwehnt, daß keine von den jetzt bekannten Sprachen unter die ersten könne gerechnet werden, sondern daß vielmehr eine gantz von diesen unterschiedene Sprache den übrigen ihren Ursprung und Wörter ertheilet habe. Doch giebet er zu, daß die Ebräische und älteste Scythische, oder Celtische Sprache vor den übrigen billig einen Vorzug haben. Und an einem andern Orte sagt er ausdrücklich, daß die alte Scythische Sprache die Haupt-Quelle der Europaäischen wäre, aus welcher die alte Teutsche und Gothische zuerst entsprungen, wo sie nicht fast eben dieselbe gewesen.  
  Salmasius und Boxhorn haben die Meynung am ersten zu behaupten gesucht, nur haben sie nach Morhofs Urtheile, keine vollkommene Wissenschafft der alten Teutschen, und ihrer Dialecte der Gothischen, Schwedischen, Dänischen und anderer hieher gehörigen Sprachen gehabt.  
  Boxhorn hat zwar einen guten Versuch in seinen Originibus linguae Gallicae gethan, und in der Vorrede hat er viel nöthige und nützliche Sachen abgehandelt, er hat aber das Werck nicht vollbringen können.  
  Vor diesem hat Abraham Mylius in einem Buche de linguae Belgicae eine gute Arbeit seiner Muttersprache zum besten unternommen; das meiste aber bestehet nur in einer Vergleichung der Teutschen und fremden Wörter, womit sich Boxhorn ebenfalls vergeblich bemühet hat, ohne auf die Haupt-Sachen zu kommen.  
  Georg Stirnhelm, dessen Morhof in seiner Historia Universali rühmlich erwehnt, hat von dem Alterthum der Scythischen Sprache etwas zu schreiben den Schluß gefasset, es ist aber nur bey einem Entwurff der Capitel geblieben. Inzwischen kan man daraus sehen, daß er die Ebräische und fast alle übrigen Sprachen zu Dialecten der alten Scythischen macht, und die Teutschen nicht nur vor Nachkommen der Scythen ausgiebt, sondern auch ihre Sprache von derselben herleitet.  
  Man darf sich aber nicht wundern, daß man so wenig gründliches von dem Ursprung unserer Sprache sagen kan, und daß so wenige Gelehrten dergleichen Bemühung über sich genommen. Denn wer in dieser Untersuchung glücklich seyn wolte, müste eine Kenntniß von Sprachen und Dialecten haben, die nicht nur sehr schwer, ist, sondern auch fast ein gantzes menschliches Alter erfordern würde.  
  Er müste theils die alten Griechischen und Lateinischen Wörter, aus den alten zurückgebliebenen Stellen, und Glossariis mit grossem Fleiß hervor suchen, und die ältesten Teutschen Wörter dargegen halten,  
  {Sp. 151|S. 89}  
  theils die alten Gothischen (woraus viel Teutsche Stamm-Wörter entsprungen seyn mögen) Runischen, Angelsächsischen, Cimbrischen, Frantzösischen, Spanischen, die heutigen Teutschen und alle derselben Dialecte, woran am meisten gelegen, die Holländischen, Dänischen, Schwedischen, Norwegischen, wenigstens in so weit verstehen, daß ihm derselben Wörter nicht unbekannt wären.  
  Bey einer solchen Kenntniß würde man erst sehen, wie ein Dialect dem andern zu Hülffe kommen, wie auch aus der Hochteutschen Sprache viel Wörter noch von der alten Gothischen, Cimbrischen und alten Sächsischen abstammeten, davon wir selbst nichts wissen, oder nicht darauf Achtung geben, und wer mit diesen Hülffs-Mitteln versehen wäre, von dem würden wir uns erst eine gründliche Nachricht von dem Ursprung unserer Sprache versprechen können. Es haben sich auch schon einige Gelehrten Mühe gegeben, die alten abgestorbenen Sprachen, welche wir zu dieser Untersuchung erfodert haben, wieder einiger maßen hervor zu suchen.  
  Wormius hat die alte Runische Sprache in seiner literatura Runica, Fastis, und Monumentis Danicis wieder erwecket. Petrus Resenius hat die Edda der Eyßländer, darinne der alten Nordischen Völcker Theologie und Mythologie enthalten ist, herausgegeben. Die alte Gothische Sprache und Alterthümer sind mit grossem Fleiß in Schweden hervor gesucht worden, und es sind eine grosse Anzahl solcher alten Schrifften von Olaus Verelius, Loccenius, Schefferus, Rudbeck und andern ans Licht kommen, welche als Hülffs-Mittel anzusehen sind, in dem Ursprunge der Teutschen Sprache eine genauere Untersuchung anzustellen. Nur ist dieses zu bedauern, daß wir kein schrifftliches Zeugniß von denen Zeiten vor Carl dem Großen übrig haben, daraus wir vollständig von der Beschaffenheit der uralten Teutschen Sprache urtheilen könnten.  
  Es ist aber die Teutsche Sprache nicht durch Europa allein, sondern auch bis nach Asien ausgebreitet worden, daher sie auch wohl mag hergekommen seyn. Was Busbequius nur obenhin von der Sprache einiger im Taurischen Chersoneß wohnenden Völckern, die er entweder vor Sachsen, die zu Carls des Großen Zeiten dahin getrieben worden, oder auch vor Gothen hält, erinnert, ist bekannt genug.  
  Die Persische Sprache hat in vielen Wörtern eine solche Gleichheit mit der alten Teutschen, daß man nimmermehr behaupten kan, diese sey nur von ohngefehr entstanden. Die alten Persischen Wörter, welche vom Curtius und andern Geschicht-Schreibern beyläuffig mit angeführt werden, sind fast alle Teutscher Herkunfft, und Burton hat sie unter der Aufschrifft: Veteris linguae Persicae [ein Wort Griechisch] zusammen getragen. Burton hat zwar dieses selbst nicht bemercket; Boxhorn aber hat die Abstammung derselben von den Teutschen in einem Brieffe an den Blancard, und der letztere in seinen Anmerckungen über den Curtius deutlich angezeigt. Salmasius schreibet in seinem Buche de lingua Hellenistica mit ausdrücklichen Worten, daß die Persische oder Parthysche Sprache, welche, selbst von den Scythen hergekommen, sehr viele Wörter enthalte, die man so wohl in der Griechischen als Teu-  
  {Sp. 152}  
  schen Sprache anträffe. Und in der Vorrede zu der Arabischen Übersetzung der Tabulae Cebetis führt er ein Zeugniß von dem Elichmann an, welcher die Persische Sprache gründlich verstanden, und bezeugt habe, daß der Ursprung der Persischen aus der Teutschen, aus den Endungen, Zusammensetzungen, und andern Gründen könne dargethan werden.  
  Michael Piccart hat eine Rede herausgegeben, darinne er zeigt, daß die Teutschen der Perser Brüder sind, womit er eben die vorige Meynung bestätigen will. Bochart, welcher sonst eben nicht gar viel auf die Teutsche Sprache hält, sondern alles seinen Carthaginensern lieber zuschreiben will, muß dennoch in seinem Phaleg. ... bekennen:  
  Daß, ob man sich zwar nicht einbilden könne, wie die Persische von der Teutschen Sprache entsprungen seyn solte, so brächte man dennoch solche Beyspiele dar, daß man fast gezwungen würde dieser Meynung Beyfall zu geben. Wer dergleichen Exempel von Wörtern sehen will, der kan den Lipsius Cent. III. ad Belgas ... und den Johann Gravius, der Elementa linguae persicae geschrieben, desgleichen den Olearius in seiner Persianischen Reise-Beschreibung, nachschlagen.  
  In den andern Orientalischen Sprachen, z.E. in der Egyptischen und Arabischen, will man auch einige Wörter gefunden haben, die Celtischer Herkunfft seyn sollen. Das Wort Bara bey den Egyptiern ist nichts anders als das Teutsche Wort Bahr, dessen Geßner in seinem Mithridates Erwehnung thut, und Kircher hat in Obelisc. Pamphil. ... und in seinem Prodromo Copt. viel dergleichen Wörter zusammen getragen.  
  Bey den Arabern findet man das Wort Hamel, welches arietem bedeutet, und unstreitig ein Teutsches ist, ja so gar in America sind viel den Celtischen gleich lautende und eben das bedeutende Wörter anzutreffen, wovon Mylius in dem Buche de antiquitate linguae Belgicae ..., und in den Addtionibus ejus capitis mit grossem Fleiße gehandelt.
  Eben dieser beweiset auch, daß vor alten Zeiten einige Colonien von den Cimbern und Scythen nach America gekommen, wobey er zugleich darthut, wie dieses geschehen sey.  
  Es wird nicht nöthig seyn zu diesen noch mehr von dem Alterthum, Ursprung und Ausbreitung der Teutschen Sprache hinzu zusetzen, weil wir alles was von diesen drey Stücken mit einiger Gewißheit gesagt werden kan, bereits vorgetragen haben. Solte aber jemand damit noch nicht zu frieden seyn, so kan er nur die hin und wieder angeführten Schrifften selbst nachsehen, in welchen er einen recht grossen Vorrath von allerhand Muthmassungen antreffen wird.  
Veränderungen Vorjetzo wenden wir uns zu dem Fortgang, den Veränderungen und Verbesserungen der Teutschen Sprache, von welchen wir eine umständliche Nachricht ertheilen werden.  
  Daß die Teutsche Sprache nicht diejenige mehr sey, die sie bey ihrem Anfange gewesen, und daß sie folglich von Zeit zu Zeit grossen Veränderungen unterworffen gewesen, wird wohl keiner mit einigem Grunde der Wahrheit in Zweiffel ziehen können. Solte ja einer von unsern Lesern hierbey noch ein Bedencken haben, so wollen wir zu seiner Überzeugung eine Probe aus  
  {Sp. 153|S. 90}  
  dem Vater Unser in alt-teutscher Sprache hersetzen, welches den Unterschied der heutigen und der alten Sprache genugsam anzeigen wird. Das Stück aus dem Vater Unserer lautet also.  
  Thu ure Fadäer, the Earth on Heofenum. Si thin Wille on Earthan swa on Heofenum. Syle us Todag orne Degvaulican heaf Du.  
  So redeten die alten Teutschen im neunten Jahrhundert, und man siehet wohl ohne Schwierigkeit, das große Veränderungen in derselben müssen vorgegangen seyn.  
  Sonst ist hierbey noch anzumercken, daß man keine ältere und ausführliche Probe unserer Teutschen Sprache aufweisen könne, als aus dem IX. Jahrhundert. Die älteste Schrifft, die wir noch haben, ist des Ottfrieds, eines Mönchs zu Weissenburg, deutsche Übersetzung der Evangelien, welcher ohngefehr um das Jahr 860. gelebt hat, und zur Zeit ist noch keine ältere zum Vorschein gekommen. Struv. in Act. literar. ex MStis ...
  Es mögen wohl die vielen Wanderungen der alten Teutschen, desgleichen die Kriegs- und Friedenshandlungen, welche sie mit andern Völckern von Zeit zu Zeit gehabt, an den Veränderungen der Sprache mit Schuld seyn, und die erste Gelegenheit darzu gegeben haben.
  • Kirchmann in dissertat. de linguae Teutonicae aetatibus.
  • Gryphius in der Comödie die den Titel führt: der Teutschen Sprache unterschiedene Alter.
  Denn da die alten Teutschen erstlich mit den Römern in Friedens- und Kriegs-Zeiten einen großen Umgang gehabt, so kan man leichte schließen, daß sie viel Wörter von denselben, die diese zwar erst von den Teutschen angenommen, aber auch sehr verändert sich angewöhnet haben, wodurch ihre Sprache nach und nach eine gantz andere Gestalt bekommen.  
  Nach der Zeit haben sie so viel Wanderungen vorgenommen, dergleichen die Longobarder, Burgunder, Schwaben im V. Jahrhundert gethan haben; solte denn ihre Sprache dadurch beständig einerley geblieben seyn? Lazius de migrationibus gentium.
  Auch diejenigen, die ihre Wohnungen nach der Zeit nicht verändert haben, z.E. Die Sachsen, Thüringer, Schwaben, (von welchen allen man eine weitläufftige Nachricht in der Reichs-Historie suchen muß,) haben durch vielerley Gelegenheiten ihre Sprache verändert. Nur eins anzuführen, so hat zur Änderung der Sprache dieses nicht wenig beygetragen, daß die Teutschen zu einer Zeit zum Christenthum bekehret worden, da die Lateinische Sprache bereits bey dem Gottesdienst eingeführet war. Denn da musten unsere Vorfahren das Pater noster bethen, dem Diacono oder Pastor den Decem geben, und dergleichen mehr, und dadurch mischten sie Lateinische Wörter unter ihre Sprache, und verderbten jene wohl noch darzu.  
  Nach diesen Zeiten verliebte man sich in die Frantzösische und Italiänische Sprache, und es musten allerhand Worte und gar gantze Redensarten aus denselben in die Teutsche Sprache geflickt werden. Man glaubte gar nicht, daß man schön redete oder schriebe, wenn nicht wenigstens die Helffte da-  
  {Sp. 154}  
  von Frantzösisch oder auch Lateinisch ausgedrücket würde, und es ist eben so lange nicht, daß diese Thorheit die Teutschen verlassen hat.  
  Wenn man dieses alles zusammen nimmt, und die letztren angeführten Schrifften nur ein wenig zu Rathe ziehen will, in welchen man Stellen von der alten Teutschen Sprache antrifft, so wird man gar leichte demjenigen Beyfall geben können, was wir von dem grossen Unterschiede der jetzigen Teutschen Sprache und derjenigen gesagt haben, welche vor etlichen Jahrhunderten ist geredet worden.  
  Es ist unser Vorsatz nicht, aus allen Jahrhunderten Proben von der geschehenen Veränderung anzuführen, viel weniger wie unter den Teutschen Völckern selbst ein großer Unterschied zu spüren gewesen sey, anzuzeigen. Dergleichen Sachen hat der gelehrte Englische Theologe Georg Hickesius in thesauro linguarum septentrionalium mit Fleiß gesammlet, und Wotton hat, wegen Kostbarkeit des Werckes, einen Auszug daraus gemacht.  
  Dieses aber können wir hier nicht mit Stillschweigen übergehen, was die Gelehrten von den Characteren und teutschen Lettern untersucht und vorgetragen haben. Es ist außer allen Streit gesetzt, daß unsere heutige Buchstaben Lateinische sind, und nur um dieselben geschwind schreiben zu können, diese Gestalt bekommen haben, die wir jetzo vor uns sehen. Denn mit den Characteren, welche den alten Teutschen zugeschrieben werden, ist es eine ungewissen Sache, weil wir kein Document in Teutscher Sprache anders, als mit Lateinischen Lettern aufgezeichnet finden.  
  Wenn man nun fragt, ob die Teutschen in den ältesten Zeiten, bis auf Carl dem Großen, da sie Christen worden, ihre Sprache hätten schreiben können, und folglich Buchstaben gehabt hätten, so wird verschieden auf diese Frage geantwortet. Einige verneinen es, und beruffen sich auf eine Stelle des Tacitus de moribus Germanorum ..., welcher von den Teutschen diese Worte vorbringt: literarum secreta viri pariter et soeminae ignorant. Allein damit ist die Sache noch nicht ausgemacht, sondern nunmehro streiten sie erst über den Verstand der Worte, davon einige den eigentlichen Wortverstand annehmen, andere hingegen verwerffen. Man findet ihre Stellen sehr häuffig beym Heumann in Programmate de Germanis priscis literarum secreta ignorantibus.  
  Andere, welche obige Frage bekräfftigen, erklären des Tacitus Stelle sehr verschieden, damit sie nur ihre Meynung behaupten können. Bald sagt einer, die Teutschen wären nur in der Magischen und Mythologischen Schreibekunst unerfahren gewesen; bald behauptet ein ander, die Kunst verliebt zu schreiben, habe ihnen gefehlet, und Tacitus verstehe durch literas nichts anders als amatorias, und was dergleichen Meynungen mehr sind, die Heumann am angeführten Orte vorbringt.  
  Von allen diesen sind diejenigen Gelehrten gar sehr unterschieden, welche der Teutschen ihre Lettern von den Griechischen oder auch von den alten Runischen Characteren herleiten wollen.  
  {Sp. 155|S. 91}  
  Hierdurch wollen sie nicht behaupten, daß die Teutsche Sprache von der Griechischen entsprungen sey, sondern ihrer Meynung gehet dahin; daß die Griechischen Buchstaben erst der Teutschen gewesen wären, von welchen sie die Griechen mitsamt der Sprache angenommen hätten. Hiervon kan der Reimann in der Einleitung zur Hist. Liter. ... Bernegger ... über den Tacitus de moribus Germanorum und andere mehr nachgelesen werden.
  Andere führen sie von der Runischen Sprache her, wovon man noch alte Schrifften und Characteres findet, die in Schweden hin und wieder in großen Steinen eingehauen sind. Der oben erwehnte berühmte Hickesius hat sie im angeführten Buche in Kupffer stechen lassen, weil er gleiche Meynung von der Teutschen Buchstaben hegt, und Egenolf scheint ihm in seiner Historie der Teutschen Sprache zu folgen. Wer von dieser Runischen Sprache mehr zu wissen verlanget, muß den Wormius de Literatura Runica aufschlagen.
  Überhaupt scheinet es sehr wahrscheinlich zu seyn, daß die Teutschen schon einige Jahrhunderte vor Carls des Großen Zeiten, ihre eigene Buchstaben gehabt haben. Gregorius Turonensis ...
  Die kleinen Teutschen Lettern, deren wir uns jetzo bedienen, scheinen aller erst um die Mitte des dreyzehenten Jahrhunderts zu Kayser Friedrich des Anderen Zeiten im Gebrauch gekommen zu seyn, wie wir denn auch finden, daß unter diesem Kayser zu allererst ein Receß in Teutscher Sprache abgefaßt worden. Godefridus Monachus in Annal. ad A. 1236.
  Man siehet aber wohl, daß es hier auf lauter Muthmassungen ankommt, und es kan keiner von allen diesen seine Meynung vor gewiß ausgeben, viel weniger mit Hefftigkeit gegen andere bey solchen Umständen vertheidigen, wenn er sich nicht den Nahmen eines Grammaticalischen Zänckers zuwege bringen will. Denn es ist fast überhaupt nicht möglich, etwas gewisses davon zu sagen, weil die Teutschen seit dem Christenthume alles mit Lateinischen Buchstaben geschrieben, und die ältesten Documente, die in unsern Händen sind, sehen ebenfalls nicht anders aus.  
  Was von den Runischen Buchstaben gesagt wird, ist nicht geringern Schwierigkeiten unterworffen. Wer weiß denn gewiß, ob die Gothen aus Schweden heraus gekommen oder nicht? oder wie es kommen müsse, daß in Teutschland gar nichts von den Alterthümern anzutreffen sey? Alle diese Fragen werden wohl unbeantwortet bleiben, und kurtz, es ist alles vielen Schwierigkeiten unterworffen, was vor und wieder die Literatur der alten Teutschen angeführet wird, wovon Hickes und Egenolf weitläufftiger gehandelt haben.
  Demnach wollen wir nur noch etwas weniges von der Anzahl der Buchstaben hersetzen. Anfänglich sollen die Teutschen nur sechzehn Buchstaben gehabt haben, als A. B. G. D. E. J. K. L. M. N. O. P. R. S. T. V. womit sie so viel möglich gewesen, beschrieben  
  {Sp. 156}  
  und ausgedrucket haben. Nach der Zeit sind dieselben bis auf vier und zwanzig angewachsenen, worunter einige das c, q, x, vor überflüßig halten, weil einige von den andern Buchstaben derselben Mangel leicht ersetzen könnten.  
  Man muthmaßt auch, daß das C von den Lateinern erst unter das teutsche Alphabeht versetzet worden, gleichwie man vorgiebt, daß das Q. nichts anders als ein umgekehrtes [ein hebräischer Buchstabe] sey, wovon, nach des Cälius Secundus Curio Berichte, die Lateiner nichts gewust, sondern an statt loquuntur, locuntur geschrieben hätten, und welches bey den Teutschen, da sie das K. hätten, ebenfalls könnte entbehret werden. Hiervon hat im vorigen Jahrhundert Bellin in seinem Buche von der hochteutschen Rechtschreibung weitläuftiger gehandelt ...
     

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HIS-Data 5028-43-143-8-01: Zedler: Teutsche Sprache [1] HIS-Data Home
Stand: 27. Februar 2013 © Hans-Walter Pries