HIS-Data
Home | Suche
Zedler: Teutsche Sprache [2] HIS-Data
5028-43-143-8-02
Titel: Teutsche Sprache [2]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 43 Sp. 156
Jahr: 1745
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 43 S. 91
Vorheriger Artikel: Teutsche Sprache [1]
Folgender Artikel: Teutschen Sprache (Societät der)
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen

vorhergehender Text  Teil 1 Artikelübersicht  

Übersicht

  Verbesserung
  Vortrefflichkeit
  Dialekte
  Lehr- und Lernmethode
  Nutzen und Notwendigkeit
 
  Deutsche Vorlesungen

  Text Quellenangaben
Verbesserung Wir gehen also zu einer der nöthigsten u. nützlichsten Abhandlung fort, welche die Ausbesserung der Teutschen Sprache betrifft, wovon man schon mit mehrerer Gewißheit etwas sagen kan. Bis auf die Zeiten Carls des Großen, mag wohl wenig an derselben Verbesserung seyn gedacht worden, wie es sich aus allen Umständen schließen läßt. Ob dieser Herr selbst, ehe Alcuin Bonifacius und andere mehr an seinen Hof gekommen, weder lesen noch schreiben gekonnt habe, ist zwar nicht ausgemacht, es gehört aber auch nicht eigentlich zur gegenwärtigen Untersuchung. Wer inzwischen hierinne seine Neugierigkeit stillen will, kan den Eginhard in Vita Caroli M.  nachsehen.  
  Dieses aber ist gewisser, daß die Teutschen vor Carls Zeiten keine große Mühe auf die Ausbesserung ihrer Sprache gewendet haben. Der alte Otfried schreibt in praefatione ad paraphrasin Evangel. daß die Francische Sprache, (dieses war die alte teutsche) vor eine bäurische und grobe Sprache gehalten wurde, weil sie selbst von denjenigen, den sie angehörte und von denen sie geredet würde, weder im Schreiben noch sonst durch einige Kunst verbessert, und gereiniget würde. Da nun eben von der Zeit Carls des Großen an die Lateinische Sprache bey den Teutschen so sehr überhand genommen, so finden wir außer Otfrieds angeführter Version der Evangelien, und einige wenige Stücken, fast gar keine Documente, die bisß auf die Zeiten des Kaysers Friedrich des Andern, in Teutscher Sprache wären abgefaßt worden.
  Was in den folgenden Zeiten ist vorgefallen, davon kan man in der Reichs-Historie eine vollständige Nachricht erhalten.  
  Überhaupt wollen wir dieses hier nur anmercken, daß insonderheit von Rudolph dem Ersten an, die Constitutiones nach und nach in Teutscher Sprache abgefasset worden, wodurch derselben Gebrauch mehr und mehr Mode worden ist. Ja dieser Kayser hat sogar, und Maximilian ebenfalls, absonderliche Reichstage unserer Sprache wegen versammlet, und Kayser Rudolph selbst, hat das durch die  
  {Sp. 157|S. 92}  
  Geistlichen mit der Religion eingeführte Latein in Cantzeleyen und bey Contracten abgeschaffet. Vermischte Bibliotheck ...
  Daß zu den Zeiten der Reformation Lutheri, die Teutsche Sprache schon sehr in Aufnahme gekommen, und viele Ausbesserungen vorgegangen seyn müssen, zeigen die am Tage liegenden Schrifften. Besonders kan die Übersetzung dieses sel. Mannes ein klares Zeugniß davon abgeben, ob er gleich sonst in andern Schrifften und Briefen nicht allezeit auf gleicher Art geschrieben. Man darf nur eine Probe von der alten Teutschen Sprache gegen die Schreibart halten, welcher sich die Gelehrten und sonderlich Luther bedieneten, so wird jedem der grosse Unterscheid gleich in die Augen fallen. Und gewiß, es war eine sehr nöthige Bemühung, das man bey dem Wercke der Reformation dem gemeinen Volcke alles in ihrer Muttersprache deutlich vorlegte, und die Lateinischen oder andere Wörter, welche, wenn sie auch nachgesprochen, dennoch niemahls recht verstanden worden, aus dem Weg räumete.  
  Dieses gab also Anlaß, überhaupt auf die Verbesserung der Teutschen Sprache zu dencken, und so viel, als es die damahligen Zeiten zuliessen, die selbe von den fremden Wörtern zu reinigen. Was die so genannte Fruchtbringende Gesellschafft in der ersten Helffte des vorigen Jahrhunderts rühmliches gethan, und ihre Bemühungen zur Beförderung der Aufnahme und Verbesserung unserer Sprache können in besondern davon herausgegebenen Büchern nachgelesen werden. Neumarcks Bericht von der Fruchtbringenden Gesellschafft.
  Ferner wurden folgende Societäten gestifftet, die gleiche Absicht mit jener hatten. Dergleichen sind:  
 
  • Der gekrönte Blumen-Orden,
davon Omeis in der Anleitung zur Teutschen Reimkunst ... Nachricht gegeben;
 
  • die Teutschgesinnete Genossenschaft zu Hamburg,
  • die Schwanen Gesellschafft an der Elbe.
 
  Doch glauben viele, daß diese Societäten auch viel unnütze und vergebliche Arbeiten mit unternommen und zuweilen von ihren Haupt-Endzweck ziemlich weit abgekommen, wovon man die Meynungen und Urtheile des Thomasius in der Vorrede zu der Vernunftlehre, und Gottschlings in der Einleitung zu der Wissenschafft guter Bücher ... lesen kan.
  Man scheint besonders mit dem Unternehmen der erstern Gesellschafft nicht recht zufrieden zu seyn, und man pflegt ihnen besonders vorzuwerffen, daß sie mit den fremden Wörtern gar zu unbarmhertzig umgegangen, in der Orthographie gar zu eigensinnig gewesen, und folglich ihre Absicht nicht erhalten, sondern vielmehr verhindert hätten. Also tadelt man, daß sie an statt des Wortes Materie hätten Stoff oder Zeug gesetzt, an statt Object, Vorstand, Etymologie, Wortforschung, Fundament, Grundrichtigkeit u.s.w. Ferner hat man auch dieses nicht gut heissen wollen, daß sie an statt des sonst gewöhnlichen C, geschrieben, als Sekretarius Advokat, Karl.  
  Man siehet aber leicht, daß wo man keine grössere Fehler an ihnen zu tadeln hat, sie gewiß nicht eben so strafbar seyn. Denn daß sie sich bemühet haben, unserer Sprache eine Rei-  
  {Sp. 158}  
  nigkeit zu verschaffen, und die Frantzösischen und Lateinischen zu verstossen, dieses ist der lobenswürdig, und es wäre nichts unanständiger vor die Teutschen gewesen, als wenn sie ihre Sprache länger in einer so heßlichen Gestalt hätten lassen wollen. Ob die Mitglieder dieser Gesellschafft aber die Lateinischen Wörter allezeit glücklich in Teutsche verwandelt haben, dieses ist freylich eine andere Frage, und sie haben allerdings bey Veränderung der Nahmen nicht allezeit genugsamen Grund gehabt. Nur muß man sie nicht deswegen vor unbarmhertzige und eigensinnige Leute in der Orthographie ausgeben.  
  Was von der letzten Helffte des vorigen Jahrhunderts bis auf gegenwärtige Zeiten die Teutsche Sprache vor einen ausnehmenden Wachsthum und Verbesserung gehabt, bezeugen die vortrefflichen Bücher, welche in derselben verfertiget worden sind. Unter diesen sind nicht nur Grammaticalische, wovon wir noch unten etwas erwehnen wollen, sondern auch die schönsten Schrifften, die zur Redekunst, und Dichtkunst gehören, anzutreffen.  
  Besonders aber haben die Teutschen zu unsern Zeiten der Sprache ein ander Ansehen zu geben alle Mühe angewendet. Sie sind nicht zufrieden gewesen, daß man keine fremden Wörter mehr mit einmischt; sie sind viel weiter gegangen, und haben mit dem annehmlichsten Vortrage ihre Schrifften von den alten sehr mercklich unterschieden. An statt der schwülstichen und gar zu hohen Schreibart, die vor nicht langer Zeit noch blühete, und darinne man die Schönheit der Teutschen Sprache suchte, haben sie auf eine edle und anständige Art sich in ihrer Sprache ausgedruckt, sie haben sich auf die Teutsche Critick geleget, sie haben die Sprache mit Teutschen und gegründeten Wörtern bereichert, an deren Stelle zuvor fremde waren, und haben, kurtz zu sagen, nichts unterlassen, was zum Wachsthum; Verbesserung und Zierlichkeit derselben gereichen kan.  
  Die in diesem Jahrhundert errichteten Teutschen Gesellschafften haben wohl nach aller Verständigen Urtheil das meiste dazu beygetragen. Es sind solche nöthige Gesellschafften in Leipzig, Jena, Greyphswalde, Berlin, und nur ohnlängst durch des Königs von Preussen hohe Vorsorge und besonderer Gnade in Königsberg aufgerichtet worden, deren Mitglieder die Aufnahme ihrer Muttersprache zu ihrem eintzigen Augenmerck haben. Man lese nur  
 
  • die Beyträge zur Critischen Historie der Teutschen Sprache;
  • die Schrifften der Teutschen Gesellschafft in Leipzig,
  • die Critischen Versuche, die in Greyphswalde ans Licht treten,
  • und so viel andere Schrifften,
 
  so wird man überall einen rühmlichen Eyfer vor den Wachsthum und Verbesserung unserer Sprache antreffen. Wir wollen aber hier nicht weitläufftig seyn, weil diese Schrifften theils vielen bekannt und von ihnen gelesen werden, theils unter dem Artickel: Societät der Teutschen Sprache, im XXXVIII. Bande, p. 190, umständlicher können nachgelesen werden.  
  Es wird viel mehr nöthig seyn,  
  {Sp. 159|S. 93}  
  daß, da wir mit der Historie der Teutschen Sprache fertig sind, noch einige nützliche Sachen berühren, welche zu derselben gehören, und unseren Lesern vermuthlich nicht unangenehm seyn werden. Hierunter rechnen wir die Vortrefflichkeit, den Vorzug, und Schönheit der Teutschen Sprache, ihre Dialecte, ihren Nutzen und Nothwendigkeit, und überhaupt ihre Eigenschafften, wobey wir zugleich dieselbe wieder die Verächter vertheidigen werden.  
Vortrefflichkeit Daß unsere Sprache etwas vortreffliches in sich fasse, oder gar einen Vorzug vor andern besitze, haben sich so wohl Ausländer, als auch die Teutschen selbst nicht einbilden können. Es kan seyn, daß ihnen zu dieser Verachtung die grosse Nachläßigkeit, welche diejenigen selbst, die sie reden, haben blicken lassen, Anlaß gegeben habe, soviel aber ist gewiß, daß bey den meisten ein blosses Vorurtheil daran schuld ist, wiewohl sich auch einige durch die harten Reden anderer haben abschrecken lassen, ob sie schon derselben Werth und Vorzug eingesehen haben.  
  Es ist wahr, es hat niemahls an Lästerern und Verächtern der Teutschen Sprache gefehlet, dadurch gehet aber ihrem Werthe und Vortrefflichkeit nicht das geringste ab. Wir tragen kein Bedencken Burmannen unter die Zahl mit zu setzen, welcher einen recht grossen Eyfer über die Teutschen so wohl als Frantzosen blicken ließ, welche für das Aufnehmen ihrer eigenen Muttersprachen mehr besorgt waren, als vor der Lateinischen. Alles dieses nimmt er vor traurige Vorbothen für diese letztere an, als welche nach und nach das gelehrte Reich gar mit dem Rücken würde ansehen müssen, wobey er die harten Ausdrückungen gar nicht spart, welche wir unten anzuführen bessere Gelegenheit haben werden.  
  Allein, wenn wir die Ursachen solcher Klagen ansehen, so müssen wir sie vor überflüßig und ungegründet halten. Es gehet gar wohl an, daß man die Teutsche und Lateinische Sprache zugleich hoch halte und zu verbessern suche, ohne daß dadurch einer von beyden etwas entzogen werde, welches Burmann nicht genug überlegt hat.  
  Es muß auch einem jeden Volcke zu einer sonderbaren Ehre gereichen, wenn es seine eigene lebendige Sprache täglich auszuputzen sucht, und selbige einer todten, die nur zu einem Werckzeuge in den andern Wissenschafften dient, vorziehet. Die Gelehrsamkeit ist an keine Sprache gebunden, und die Frantzosen haben mit den Teutschen zeither gewiesen, daß sie in ihren Sprachen so gelehrt und deutlich schreiben können als in der Lateinischen. Ein Teutscher Professor kan so wohl in seiner eigenen Sprache gelehrte Leute ziehen als Burmann in der Lateinischen, und eine Teutsche Satyr sollte bey ihm wohl eben den Nachdruck und die Würckung haben, als eine Lateinische, gleichwie ihm ein Teutscher Petron eben das Vergnügen als der Lateinische erwecken sollte. Vielleicht ist ihm ein Teutscher zu nahe auf den  
  {Sp. 160}  
  Leib gegangen, daß die Sprache seine Ungnade verdient hat.  
  Über dieses wirfft Burmann den Teutschen das rauhe Wesen ihrer Sprache vor, und sucht dieselbe dadurch geringschätzig zu machen. Wir zweiffeln aber sehr, ob ihm seine Holländische besser geklungen habe, und er muß durch die delicaten Worte des Petrons und Cicerons seine Ohren gewaltig verwöhnt haben. Es hat also Burmann gar nicht Ursache gehabt, die Lateinische Sprache so hoch zu erheben, und unsere gäntzlich zu verwerffen, und derselben Werth zu läugnen. Wenn er recht bedacht hätte, daß die Teutsche Sprache so gut und gelehrt wäre, als die übrigen, und in derselben wohl eben so viel Kunst und Alterthum, als in der Lateinischen und Griechischen Sprache steckte, so würde er der Lateinischen nicht so schlechterdings den Vorzug gegeben, und der Teutschen alle Zierlichkeit und Vortrefflichkeit abgesprochen haben.  
  Die Frantzosen sind in diesem Stücke nicht viel anders, ja sie wollten unsere Sprache nach Carls des Fünfften Ausspruch lieber gar zur Pferdesprache machen, wenn es bloß auf ihnen beruhete. Doch hat sich ein unpartheyischer Frantzose, der Abt Pezeron, in seinem Wercke antiquité de la nation et de la langue des Celtes unserer Sprache angenommen, und sie von den blinden Vorurtheilen seiner Landsleute frey gemacht.  
  Diese sind die Verächter der Teutschen Sprache nicht alle, die ihre Vollkommenheiten nicht einsehen wollen, und sie vor rauh und grob halten. Es sind die Teutschen selbst an dieser Verachtung ihrer Sprache mit schuld, in dem sie sich selbst barbaros, und ihre Sprache barbaram nennen, wie denn Eginhardt in praefat. ad vitam Caroli M. schreibt: Er sey homo barbarus: Walefrid Strabo de vita Galli ... sagt eben dieses, und Kero, ein Mönch von St. Gallen, der interpretationem vocabulorum barbaricorum geschrieben, verstehet die Teutschen Wörter darunter. Ein mehrers hat Savaro in notis ad Apollin. Sidonium ... angeführt.
  Diese Geringschätzung ihrer eigenen Sprache mag wohl bey diesen Männern ebenfalls aus der grossen Ehrerbietung gegen die Lateinische entsprungen seyn, und die Verachtung unserer Muttersprache ist bey den Ausländern noch vermehret worden, da die Teutschen selbst die alte und jetzige Sprache, welcher doch noch allen theilen nur noch wenige aus Zitierungen fehlen, verachtet, und eine barbarische genennet haben.  
  Es ist daher unleidlich, was Isaac Voßius de poëmatum cantu von derselben vorbringt: Die Teutsche Sprache ist  
  {Sp. 161|S. 94}  
  sehr rauh, und hat deswegen nichts majestätisches an sich. Bey zarten Ohren wird sie wohl schwerlich einen Eingang oder Beyfall finden, und dieses nicht nur deswegen, weil der offt vorkommende Buchstabe S, ein beständiges Zischen verursachet, sondern auch weil soviel Consonanten auf einander folgen: Weil der bäurische und dunckele Thon von dem langen A, und O, und die fast unzähligen Spondäi und Moloßi die Teutsche Sprache sehr unangenehm machen.  
  Allein dieses Urtheil ist sehr hart, und der Wahrheit gar nicht gemäß. Der Beweiß würde ihm gewiß schwer genung ankommen, daß die Teutsche Sprache so viel Consonanten hätte, und wenn er zeigen solte, daß andere Sprachen angenehmer wären, weil sie weniger derselben hätten, so möchte es wohl mit dem Beweise noch schwerer halten.  
  Wie die Vocales A, und O, eine Sprache bäurisch machen sollten, kan man auch so gleich nicht einsehen, und wenn die Majestät der Sprache nicht sonderlich von denselben herkommen sollte, so möchten wir wissen, was ihr dieselbe Majestät sonst zu wege bringen sollte. Man siehet ja sonderlich, wie der Virgil diese Vocales gebraucht, wenn er seinen Worten einen Klang und Ansehen bey einer wichtigen Sache geben will. Warum gefält es denn uns in dieser Sprache? Oder warum macht es diese nicht auch rauh, und unangenehm? Über dieses kommen ja diese Vocales in der Italienischen und Spanischen Sprache so häuffig vor, daß man diese vor die grösten halten müste, welches doch der Erfahrung widerspricht, weil besonders die erstere vor die angenehmste Sprache gehalten wird.  
  Es ist also mit dergleichen Einwürfen nur eine nichtige und unbegründete Verachtung verknüpfft, dadurch man der Teutschen Sprache Würde und Ansehen zu verkleinern sucht. Viel weniger aber kan man aus einer und der andern Nation harten und rauhen Ausrede der gantzen Sprache Beschaffenheit beurtheilen. Die Bayern und Österreicher können bißweilen aus einem Vocali drey oder vier machen, wie Scioppius in seinen Consultationibus ... von ihnen anführt, indem sie an statt wahrlich, waarlich, an statt Gold, Goold, an statt Teller, Taaler, sprechen, so daß eine solche Aussprache, wie dieser sagt, bey den Ausländern, sonderlich bey den Frantzosen, gar leicht die Gedancken hervorbringen kan, daß sie einen Teutschen vor einen: vervecum in patria, crassoque sub aere natum halten.  
  Allein wer wird denn aus diesen Exempeln der gantzen Teutschen Sprache eine solche Rauhigkeit und Härte zuschreiben. Man findet ja bey allen Sprachen eine Verschiedenheit der Dialecte, unter welchen einige immer härter klingen als die andern. Ja bey den Griechen selbst findet ein grosser Unterschied statt, und diejenigen Griechen die den Dorischen Dialect redeten, nahmen das Maul ziemlich voll.  
  Wer sich die Mühe nehmen, und ein gantzes Wörterbuch durchgehen wolte, der würde nach vieler berühmten Männer Einsicht und Geständniß nach der Reihe erweisen können, daß die Teutschen Wörter im geringsten nicht härter wären als die Griechischen und Lateinischen, ja man würde finden, daß jene vielmahls noch viel weicher und ange-  
  {Sp. 162}  
  nehmer klängen als diese. Trifft man auch ja zuweilen einige Wörter an, die hart zu seyn scheinen, so wird man nach einer genauern Untersuchung stets befinden, daß dieselben in der Natur gegründet, und dieselbe aufs genaueste nachahmen. Dieses ist ja unter die Tugenden und guten Eigenschafften einer Sprache mehr zu rechnen als unter die Fehler.  
  Je mehr wesentliche Wörter in einer Sprache vorkommen, und je grösser die Analogie der Nahmen und Sachen selbst sind, je grösser ist derselben Vollkommenheit und der Vorzug, den man ihr vor allen andern einräumen muß. Und aus eben diesem Grunde hat man die Hebräische Sprache vor so vollkommen gehalten, weil sie der Natur so gemäß ist, wovon der jüngerer Helmontius in einem besondern Buche, welches den Titel führt: delineatio Alphabeti vere naturalis Ebraici mit mehrern gehandelt hat.
  Es wird seine daselbst vorgetragene Meynung eben niemand gewisser massen in Zweiffel ziehen können, unterdessen ist gewiß, daß, wo eine Sprache in der Welt anzutreffen, welche der Natur folgt, und eine grosse Anzahl so genannter wesentlicher Wörter, die ihren Grund in der Sache selbst haben und dieselbe so ausdrücken, daß man dadurch einen lebhafften Begriff bekommt, enthält, so ists gewiß unsere Muttersprache. Wir könnten hier ein gantzes Verzeichniß solcher Wörter hersetzen, der geschickte Schottel aber hat dieselben in seinen Lobreden von der Teutschen Sprache angeführt, und alles dieses zur Gnüge erwiesen.  
  Dieses ist nur hierbey noch zu gedencken, daß diese Analogie und Übereinstimmung zwischen den Nahmen oder Wörtern und zwischen den Sachen, die durch jene bezeichnet werden, nicht einerley sey, sondern daß dieselbe nach verschiedener Betrachtung der Dinge vielfältig in den Worten statt findet, wie solches Borrichius in seiner gelehrten Dissertation de causis diversitatis linguarum gezeigt hat.  
  Dieser und anderer Vollkommenheiten willen schreibt der gelehrte Conring in seiner Epistel auf Schottels Sprachkunst folgendes zur Ehre der Teutschen Sprache. Dieselbe, (dieses sind seine Worte) hat vieles vor der Griechischen und Lateinischen Sprache voraus. Sie hat einen unbeschreiblichen Nachdruck, und sehr viele Stammwörter, wenn man sie nur recht hervor sucht. Sie giebt an Zierlichkeit keiner etwas nach, ausser daß sie durch die vielen Hülffswörter, die sie gebraucht, die Griechische und Lateinische Kürtze in Ausdrücken nicht erreichen kan. Wolte man aber dieselbe wegen ihres Reichthums und Menge an Wörtern verachten, so würde ein solches Bezeigen vor einen verständigen Mann sehr niederträchtig und unanständig seyn.  
  Dieses Lob, welches hier der Teutschen Sprache gegeben wird, ist nicht nur vortreflich, weil es von einem Mann von Einsicht herkömmt, sondern auch, weil es von der Wahrheit unterstützet wird unverwerflich. Herr Prasch hat auch in seinem Buche von der Fürtreflichkeit und Verbesserung der Teutschen Poesie unsere Muttersprache, ihrer Heldenmäßigen und Majestätischen Ausdrücke wegen so wohl, als auch ihrer Lieblichkeit halber der Griechischen, Lateinischen und anderer Völcker  
  {Sp. 163|S. 95}  
  Sprachen vorgezogen. Und eben dieser Ursachen wegen hat er sie vor sehr geschickt zur Poesie gehalten, welches er dort weitläufftiger ausgeführet hat.  
  Endlich ist dieses eine nicht geringe Vollkommenheit unserer Sprache, daß sie sich nicht nur ungemein zur Philosophie schickt, sondern auch in dem Stücke einen sehr grossen Vorzug hat. Diese Meynung haben nicht nur die Gelehrten vom ersten Range behauptet, sondern die Erfahrung und Sache selbst bestätigen dieses mehr als zu sehr.  
  In der Sitten-Lehre hat man zeither einen grossen Mangel an Nahmen verspüret, jede der besondern Arten von Pflichten des Menschen gegen sich selbst genau auszudrucken. In der Lateinischen Sprache hat man dieselben noch nicht ausfindig machen können, weil dergleichen Zusammensetzung der Worte der Mund-Art gantz zuwieder ist, so daß geschickte Benennungen gar nicht zum Vorschein kommen können. In der Teutschen Sprache aber sind dergleichen Worte leicht anzutreffen. Man kan zum Exempel, die Pflichten gegen das Gemüthe, Seelen-Pflichten, die gegen den Leib, Leibes-Pflichten, und die Pflichten in Ansehung unseres äussern Zustandes, Zustands-Pflichten nennen.  
  Wem bekannt ist, wie viel auf genaue Benennungen und Nahmen in der Weltweißheit ankommen, der wird ohne Anstand dieses vor eine der grösten Vollkommenheiten unserer Sprache ansehen müssen, und ihre Vortrefflichkeit nicht in Zweiffel ziehen können. Der grosse Philosoph, Herr Wolff, behauptet selbst mit gutem Grunde, daß unsere Sprache nicht nur geschickter und besser als die Lateinische sondern als alle übrige Europäische Sprachen in der Weltweißheit könne gebraucht werden, worinne alle diejenigen, die eine Stärcke in der Philosophie und Teutschen Sprache besitzen, mit ihm übereinstimmen. Wolffens Jus naturae.
  Wer alles dieses ohne Vorurtheile erwegt, dem wir die Vortrefflichkeit der Werth und Vorzug unserer Sprache gleich in die Augen leuchten; zumahl wenn man den Gebrauch der Teutschen Sprache in denen öffentlichen Geschäfften, und besonders vor Gerichte betrachtet. Nun ist zwar bereits erinnert worden, daß man sich in denen ältesten Zeiten vom Anfange der Teutschen Könige, und hernach eben derselben Kayser Regierung in allen Reichs-Versammlungen, und auch in allen öffentlichen Schrifften, so von denen Obrigkeiten und Gerichten abgefaßt worden, insgemein und besonders, im gantzen Teutschen Reiche allein der Lateinischen und nicht der Teutschen Sprache bedienet habe, bis endlich Kayser Friedrich II auf dem im Jahre 1236 zu Mayntz gehaltenen Reichs-Tage den Anfang gemacht, die auf demselben beliebte Verordnungen und Gesetze in Teutscher Sprache auf Pergament schreiben, und auch in solcher Sprache öffentlich verkündigen und ausrufen lassen. Gottfridus Monachus in Annal. ad ann. 1236
  Gleichwohl ist doch nichts zu finden, daß in Regiments-Geschäfften, vor Obrigkeiten, Gerichten, oder auch in Privat-Händeln solchen Exempel jemand nach-  
  {Sp. 164}  
  gefolget, und sich einen Teutschen Brief zu schreiben unterstanden hätte, sondern man ist nach wie vor in Cantzeleyen und Gerichten bey dem alten Gebrauch der Lateinischen Sprache verblieben.  
  Es hat aber nachgehends Kayser Rudolph I von Habspurg Zeit seiner Regierung ausdrücklich verordnet und befohlen, daß man in Cantzeleyen, vor Obrigkeiten und Gerichten, und in allen Verbrieffungen, den Gebrauch der Lateinischen Sprache abstellen, und hingegen alle Freyheits-Brieffe, Befehle, Instrumente, Testamente, Verträge, Wehrschafften, u.d.g. in der gemeinen Teutschen Sprache entwerffen und beschreiben solte, damit jedermann verstehen und wissen könne, was ihnen zum Nutzen und zum Vortheil, oder Schaden und Nachtheil verbriefet und geschrieben würde.
  • Aventinus Lib. VII.
  • Crusius Annal. Suev. ...
  Wie denn auch gedachter Kayser Rudolph selbst so wohl seinen ersten Reichs-Abschied vom Jahre 1287 zu Würtzburg, als auch den von 1291 zu Speyer in Teutscher Sprache aufsetzen lassen. Lehmanns Speyer. Chron. ...
Dialekte Es wird nöthig seyn, daß wir auch nunmehro von der Teutschen Dialecten handeln, die sie in ihrer Sprache haben. Vom Scioppius werden derselben sechse angeführt, welche wir nach der Reihe hersetzen wollen.  
  Der erste ist der Meißnische Dialect, welcher vor den zierlichsten, reinesten und schönsten unter allen übrigen Teutschen gehalten wird. Scioppius schreibt in seinen Consultationibus ... folgendes von ihnen: Die Meisner bedienen sich der schönsten und bewährtesten Wörter und Redens-Arten: Ob sie zwar durch Aussprechung der Diphthongen und Consonanten bey den übrigen Teutschen ein Gelächter verursachen: wenn sie zum Exempel sagen: Heebt vor Haupt, Zeeberer vor Zauberer, Jod vor GOtt, Gar vor Jahr. Jott jeb euch een jutes naues Gar, vor GOtt geb euch ein gutes neues Jahr.  
  Der Einwurff den Scioppius den Meisnern hier macht, findet nicht durchgehends statt, ob es schon seyn kan, daß an gewissen Orten in Meissen eine solche Aussprache die Oberhand habe. Wenigstens spricht man in Leipzig nicht so, wie man denn überhaupt gestehen muß, daß daselbst die Teutsche Sprache am schönsten und reinesten gesprochen werden.  
  Dem Meißnischen Dialecte setzet Scioppius den Thüringischen, Fränckischen und Heßischen zur Seite.  
  Den andern Haupt-Dialect nennet er den Rheinischen, dessen sich die Völcker bey dem Rhein bis ans Niederland bedienen.  
  Der dritte ist bey ihm der Schwäbische, welcher sich aber an unterschiedenen Orten ändert.  
  Der vierdte ist der Schweitzerische, der vorhin allen Alemannis eigen gewesen. Scioppius nennet ihn den Wortreichsten, der am wenigsten verderbet und verändert worden wäre, weil die alten Schweitzer von andern abgesondert geblieben, und nicht durch Vermischung mit fremden Völckern ihre Sprache verderbt hätten. Zu unseren Zeiten hat man ihnen mehr als einmahl die Rauhigkeit und Grobheit ihrer Sprache vorgeworffen, ob sie schon zeither viele Mühe angewandt haben, derselben eine  
  {Sp. 165|S. 96}  
  andere Gestalt und Zierde zu geben.  
  Der fünffte Dialect ist der Sächsische, welchen die alten Sachsen, Westphälinger, Hollsteiner, Mecklenburger, Pommern und Brandenburger gebraucht haben, welcher mit dem Schweitzerischen des Alterthums, und Veränderlichkeit, und Zierlichkeit halber um den Vorzug streitet. Micrälius schreibet in seiner Pommerischen Chronick in der Vorrede des dritten Buchs hiervon folgendes:  
  „Die alten Svevi haben auch die alte Sächsische Wurtzel ihrer alten Niederteutschen Sprache mit in Helvetien gebracht, und daselbst den Swytzern oder Schweitzern, das ist Svevitzern, ihren Nahmen und ein groß Theil ihres Idiomatis mitgetheilet. Dagegen hat die sibilirende und mit harten Diphtongen erfüllte Hochteutsche Sprache der Francken auch sich hin und her ausgebreitet und die Svevi oder Suoboni (Swaben) die sich in Schwaben setzten, haben sie gar gelernet. Die Obersächsischen auch in Meissen und Thüringen haben sie sich belieben lassen.  
  Wir andern Sachsen-Leute haben nun auch an unserer Muttersprache einen solchen Eckel gehabt, daß unsere Kinder nicht ein Vater Unser, wo nicht in Hochteutscher Sprache beten, und wir keine Pommerische Predigt fast in gantz Pommern hören mögen. Unser männliches Atticißirendes Tau (T) muß allenthalben der Sigmatisirenden (S) Sprache weichen. Unterdessen kan genugsam dargethan werden, daß die Sächsische Svevische, oder Gothische Sprache die rechte alte Teutsche Sprache ist."  
  Der sechste Dialect ist der Bayerische, den die Einwohner in Tyrol, Bayern, Steyermarck, Kärnthen und Österreich reden, welches eine von den rauhesten und gröbsten Teutschen Dialecten ist, und worüber Scioppius am angeführten Orte seinen Spott treibet.  
  Es sind aber diese unterschiedliche Red- und Schreibarten schon vor alten Zeiten in den Sprachen anzutreffen gewesen, wie solches aus verschiedenen Exempeln der alten Teutschen Sprache zu ersehen ist, welche Zeiler in der 381 Epistel anführet.  
Lehr- und Lernmethode Von der Methode, die Teutsche Sprache zu lehren und zu lernen, würde überflüßig seyn viel zu erwehnen. Denn bey uns wird die Jugend durch den Gebrauch davon unterrichtet, und wenn sie oder die Ausländer dieselbe gründlich erlernen wollen, so muß man die Sprachkunst und Teutschen Wörterbücher zu Rathe ziehen, von welchen wir in den neuern Zeiten ziemlich vollständige Bücher haben, welche man unter den Artickeln: Teutsche Sprach-Kunst, und Teutsche Lexica, beysammen antrifft.  
  Es wäre nur zu wünschen, daß in den Schulen mehrere Anstalten zur gründlichen Erlernung unserer Sprache gemacht würden, weil wir den Gebrauch derselben in vielfältigen Gelegenheiten und Vorfällen nöthiger haben als anderer Sprachen. Hier redet die Erfahrung vor uns, und wir müssen die Klagen, die wir oben über die Nachläßigkeit und Verachtung unserer Sprache geführet haben, wiederhohlen.  
  Man siehet täglich Exempel auch unter den Gelehrten, die in andern Sprachen wohl bewandert sind, aber ihre Gedancken in ihrer Muttersprache weder durch Reden noch  
  {Sp. 166}  
  Schreiben ordentlich geschickt, und zierlich auszudrücken im Stande sind, und wir möchten die Ursachen wissen, warum man auf den niedrigen Schulen sogar keine Anstalt zu einer Änderung macht.  
  Zur Zeit sind dergleichen Lehrer auf hohen und niedrigen Schulen gewiß sehr sparsam ausgetheilet, und wie kan es anders seyn, da noch täglich Exempel vor Augen liegen, daß, wo ein rechtschaffener Mann sich in Unterricht anderer in ihrer Muttersprache Mühe giebt, allezeit zehn andere gefunden werden, die ihn deswegen gering schätzen. Daher sind die rechtschaffenen Männer auf Universitäten, die sich schon durch ihre Teutsche Schrifften so unsterblich als um ihr Vaterland hoch verdient gemacht, noch mehr zu loben, daß sie sich dadurch nicht haben abschrecken lassen, an welchem Lob alle rechtschaffene Rectoren Theil nehmen können.  
Nutzen und Notwendigkeit Endlich kommen wir noch auf den Nutzen und Nothwendigkeit der Teutschen Sprache, wovon wir noch etwas hinzuzusetzen verbunden sind. Bey den Ausländern kommt es auf ihre Umstände an, wie weit sie dieselbe gebrauchen oder nicht, und von diesen haben wir nicht nöthig mehr zu erinnern. Nur wollen wir dieses noch beyfügen, daß in Paris, Londen, Stockholm, Upsal, Coppenhagen, Personen anzutreffen sind, welche in der Teutschen Sprache andern Unterricht geben, wie bey uns in der Frantzösischen und Italienischen zu geschehen pfleget.  
  Bey wem aber die Teutsche Sprache die Muttersprache ist, der hat sie ohnstreitig nöthiger als eine andere, weil man in allen Ständen, im gemeinen Leben ohne dieselbe, und derselben rechten Erlernung nichts nach Wunsch auszuführen und vorzutragen vermögend ist. Dahero ist fast in allen Europäischen Reichen nach und nach die Mode aufgekommen, daß zum Exempel die Frantzosen, Engelländer, Teutschen, Holländer, und andere mehr; in ihrer Muttersprache zu lesen und zu schreiben anfangen.
  • Mosheims Praefat. ad Folietam ...
  • Facciolati Orat. ad Script. S. ...
  • Weisse in Tract. de stilo Romano ...
  • Thomas in Cautel. ...
  • Fahsius in Atrio eruditorum ...
  Was ins besondere den Punct in der Teutschen Sprache zu lesen, und zu schreiben, zu reden, und zu disputiren, anbelanget, so führen die Gelehrten gar verschiedene und zum Theil seltsame oder recht grobe Meynungen an. Daß in vorigen Zeiten diese Verrichtungen bis gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts allein in Lateinischer, auch zuweilen Griechischer Sprache geschehen sind, ist bekannt genug.  
Deutsche Vorlesungen Den Anfang, Collegia in Teutscher Sprache zu halten, machte der Herr Christian Thomasius, welcher, da er noch in Leipzig war, im Jahr 1687 ein Teutsches Programma anschlug, welchergestalt man den Frantzosen im gemeinen Leben und Wandel nachahmen solle, welches das erste war, so jemahls in Leipzig in dieser Sprache publiciret worden. Er eröffnete in demselben ein Collegium über des Gracians Grund-Regeln vernünfftig, klug und artig zu leben, und versprach zugleich darinnen, solches in Teutscher Sprache zu lesen.  
  Wie nun dieses was ungewöhnliches war, so verur-  
  {Sp. 167|S. 97}  
  sachte es ein grosses Aufsehen, und die Urtheile waren deswegen unterschiedlich. Viele hielten es vor eine Sache, die eine gefährliche Barbariem in der Litteratur nach sich ziehen würde; Anderer hingegen bezeigten ihren Beyfall mit vielen Lobes-Erhebungen.  
  Als Herr Thomasius nachgehends nach Halle zog, fieng er daselbst gleichfalls an, Teutsche Collegia zu halten, und fand dabey von Gelehrten und Ungelehrten einen grossen Zulauf. Und da bald darauf die Universität zum Stande kam, wurde diese Gewohnheit nicht nur daselbst beybehalten, sondern auch bald auf andern Academien fortgepflantzet, da man zumahl die Teutsche Mund-Art zu den moralischen und paränetischen Lectionen viel bequemer, als die Lateinische befand.  
  Man darf sich auch nicht wundern, daß nach der Zeit die Teutschen Lectionen so grossen Beyfall gefunden. Manchem Docenten, dem die Lateinische Zunge ein wenig schwer war, geschahe damit ein grosser Dienst. Den meisten Lernenden aber schien es auch ein gut Ding zu seyn, da sie nunmehro nicht mehr von nöthig hielten, sich unter dem Schul-Scepter noch lange mit der Lateinischen Sprache herum zu placken, weil sie nicht nur die höhern Wissenschafften auf Universitäten in Teutscher Sprache hören, sondern auch das Latein auf eine ihrem Bedüncken nach viel raisonablere, und leichtere Art daselbst einschlucken könnten.  
  Daß aber der gelehrten Republick daher, bloß lediglich des Mißbrauches wegen, nicht ein geringer Schaden erwachsen, welcher sich mit der Zeit vielleicht noch deutlicher dürffte zu erkennen geben, ist wohl nicht zu läugnen, ob gleich die Teutsche Sprache an und vor sich selbst in ihrem Werthe bleibet und die Excolirung derselben nützlich und nöthig ist.  
  Die niedern Schulen musten hierunter nothwendig einen gewaltigen Stoß leiden; die Academien aber wurden meist von solchen Leuten besuchet, welche in den schönen Wissenschafften nicht feste sassen, und also auch in andern Wissenschafften nicht fortkommen konnten. Diejenigen, so ihre Schwachheit und den daher entstehenden Schaden merckten, sucheten auf Academien dasjenige, was sie auf Schulen versäumet, mit vielem Zeit-Verlust nachzuhohlen, daher die Professores der Beredsamkeit in den so genannten Collegiis styli mehrentheils mit solchen zu thun bekamen, welche die ersten Gründe der Lateinischen Sprache noch begreiffen solten.  
  Andere aber, die dazu keine Lust hatten, fasseten so viel, als sie in den Teutschen Collegiis höreten, waren aber nicht im Stande in gelehrten Schrifften etwas weiteres nachzulesen, und blieben also Stümper und Hümpler. Solchen schwachen Brüdern nun zu statten zu kommen, sahen sich nicht nur auch diejenigen Docenten, die ihre Discourse gern Lateinisch gehalten hätten, genöthiget, die Teutsche Sprache dagegen in ihren Collegiis zu erwehlen, sondern man fieng auch an, eine grosse Anzahl der besten Lateinischen Bücher ins Teutsche zu übersetzen, und überhaupt mehr Teutsche als Lateinische Bücher zu schreiben.  
  Die Disputationen wurden auf vielen Universitäten sehr sparsam gehalten, weil man sich bis dato noch schämete bey dergleichen gelehrten Exercitiis die Teutsche Sprache zu ge-  
  {Sp. 168}  
  brauchen. Und auf solche Weise gerieth denn die Übung der Lateinischen Sprache immer mehr in Abnehmen, da es denn nicht wenig prostituirlich, wenn auch wohl Leute, die zu öffentlichen Bedienungen und Ehren-Ämtern gelanget, nicht nur im Reden, sondern auch in Schrifften, wenn sie ja etliche Lateinische Bogen mit Angst und Noth zusammen webeten, den Priscianus so jämmerlich tractirten, daß er die Schul-Knaben hätte um Hülffe anschreyen mögen. Diese und andere Inconvenienzien entstunden aus denen Teutschen Collegiis.
  • Leporin Germania litter. vivens ...
  • Burckard in Orat. de linguae lat. hodie neglectae et contemtae caussis.
  • Paul. a S. Joseph. in Orat. de neglectu literarum human. earumque corruptela.
  Inzwischen ist dagegen doch auch dieses nicht zu läugnen, daß, wenn dem angeführten Mißbrauche sonsten auf andere Art vorgebeuget werden könnte, die Methode, die Wissenschafften auf Teutschen Academien in Teutscher Sprache vorzutragen, vielen Nutzen habe. Denn, anderer Ursachen zu geschweigen, so kan man ja wohl nicht fordern, daß junge Leute aus Schulen als solche vollkommene Lateiner hervortreten solten, die fähig wären, alle Lateinische Collegiaia vollkommen und so, als wie in ihrer Mutter-Sprache zu verstehen. Gleichwohl haben die Anbeter der Lateinischen Sprache unzähliche Klaglieder darüber angestimmt, nicht anders als wie man sonst über den Verfall des Christenthums zu Seuftzen pflegt.
  • Borrichius in dissertat. de studio latinitatis purae.
  • Burmann in Oratione de publico humanioris disciplinae Professoris officio.
  • Burckhardt de lingua Latinae fatis in Germania ...
  Unter allen diesen hat es keiner so arg gemacht, und sich so zornig gestellt als Peter Burmann wenn er folgende Worte von sich hören läst: Wer solte nicht unwillig werden, daß die Teutschen seit einiger Zeit vom Gebrauche der Lateinischen Sprache so abgekommen, daß man auf hohen und niedrigen Schulen nichts als die entsetzliche rauhe Teutsche Sprache erthönen hört. Diese höflichen Ausdrückungen haben nach Würden widerlegt  
 
  • Egenolf in Apologia pro Lingua Germanica contra Petrum Burmannum;
  • Houckius in Orat. Halae 1717 habita;
  • Gundling in einem Programmate;
  • Eckard in historia studii Etymologici.
 
  Es ist aber dieser Gebrauch dermassen eingerissen, das demselben nunmehro nicht mehr zu wiederstehen ist, wiewohl man auch gestehen muß, daß Fremde, welche die Teutsche Sprache nicht verstehen, in ihren Studieren sehr gehindert werden.  
  Wir wünschen übrigens, daß unsere Sprache in ihren Wachsthum und Schönheit sich täglich mehr zeigen und die gelehrten Teutschen, welche ihre Bemühungen auf derselben Verbesserung gewendet haben, fortfahren mögen ihren Vaterlande durch Schrifften, welche die Auszierung der Teutschen Sprache zum Grunde haben, erwünschte Dienste zu leisten. Es werden alle rechtschaffene Teutschen dieses mit vielen Danck erkennen, und die Liebhaber unserer Sprache werden auch unter den Ausländern dadurch vermehret werden.
  • Morhofs Unterricht von der Teutschen Sprache und Poesie.
  • Egenolfs Historie der Teutschen Sprache.
  • Stollens Historie der Gelahr-
  {Sp. 169|S. 98}  
   
  heit ...
   
  • Reiman in der Einleitung zur Historia Literaria ...
  • Hickes in thesauri Linguarum Septentrionalium. Praefatione.
  • Gottschling in der Einleitung zur Wissenschafft guter Bücher ...
  • Theodor Kirchmann in Dissert. de linguae Teutonicae aetatibus.
  • Gryphius in einer Comödie: Der Teutschen Sprache unterschiedene Alter und Wachsthum.
  • Kemmerich in der Academie der Wissenschafften ...
  • Martin Schmeitzels Versuch zu einer Historie der Gelahrheit ...
  • Christian Andreas Teubers Vorschläge zur regelmäßigen Einrichtung der Teutschen Sprache. Halberstadt 1732 in 8.
  • Vermischte Bibliotheck VIII Stück ...
  • Johann Daniel Longolius gründliche Anleitung zur Erkänntniß einer jeden, insbesondere der Teutschen Sprache. Budißin 1715.
  • Fabricius Philosophische Oratorie ...
     

vorhergehender Text  Teil 1 Artikelübersicht  

HIS-Data 5028-43-143-8-02: Zedler: Teutsche Sprache [2] HIS-Data Home
Stand: 12. Juli 2013 © Hans-Walter Pries