|
Text |
Quellenangaben und Anmerkungen |
|
VI. Mittel, die Zufriedenheit zu erlangen. ¶ |
|
|
Die Mittel der Zufriedenheit sind
zweyerley: |
|
|
1) Gemeine, das ist, welche nicht allein zu
Erlangung des höchsten Gutes, eines eintzelen
Menschen, sondern auch zu Erlangung des
entgegen gesetzten höchsten Gutes der
Gesellschafft der Menschen dienen; und |
|
|
2)
Eigene, welche nur allein zu der
Zufriedenheit gehören. |
|
|
Derer gemeinen sind zwey, nehmlich die
allgemeine
Klugheit, und die
Tugend oder
Gerechtigkeit. Derer eigenen findet man überhaupt
nur dreye, als |
|
|
1) den rechten
Gebrauch der
Furcht und
Hoffnung; |
|
|
2) Die Vergleichung des
Guten und
Bösen;
und |
|
|
3) den Vorschmack der Seeligkeit. ¶ |
|
|
|
|
|
(1) Die gemeinen Mittel zur
Zufriedenheit. ¶ |
|
|
Was wir gemeine Mittel zur Zufriedenheit
nennen, ist bereits in dem vorhergehenden
angezeiget, und zugleich angemercket worden, daß
derselben nur zweye seyn, nehmlich |
|
|
1) die allgemeine Klugheit, und |
|
|
2) die Tugend oder Gerechtigkeit, nehmlich
weil bey jeder Begebenheit viele
Lust und
Unlust
in |
|
|
{Sp. 1124} |
|
|
der
Welt sich zutragen, so sind Klugheit und
Tugend zwey hinlängliche Mittel, damit, wenn nicht
etwa
GOtt der HErr mit einem
Menschen was
sonderliches vor hat, man Lust und Unlust
vergleichen kan. |
|
|
Darum kan niemand ohne Klugheit und Tugend
die Zufriedenheit erlangen. Denn er hätte entweder
durch des
Glücks wunderbahren
Eigensinn, auch
ohne Klugheit und Tugend, mehr Lust als andere
Menschen, so würde er ohne Tugend damit nicht
zufrieden seyn, sondern
Glückseeligkeit haben
wollen, welche vergebliche
Begierde auch die
Zufriedenheit verhindern würde; oder wenn ihn das
Glück nicht ohngemein beystünde,
müste er
nothwendig mehr Unlust als Lust haben. |
|
|
Denn er hätte vors erste alle der Lust
wesentliche Unlust, hernach so müsten auch
Thorheit und
Boßheit dieselbe häuffen: Also hätte er
nicht allein mehr Unlust als Lust, sondern er auch
mehr Unlust als ein Mensch nothwendig haben
muß. |
|
|
Wollte er nun gleich mit sothaner mehren
Unlust zufrieden seyn, so wäre es doch eine
närrische Zufriedenheit, weil sie eine
Übereinstimmung wäre mit seinem thörichten
Willen, durch welchen er sich diese vergebliche
Unlust zuwege gebracht. |
|
|
Wenn aber ein
vernünfftiger und
Christlicher
Mensch alle Klugheit und Tugend angewendet, Lust
zu erhalten und Unlust zu vermeiden, und dieser
findet sich, nach
GOttes Willen, doch noch mehr,
so ist er
billig damit vergnügt, weil diese
Zufriedenheit eine Übereinstimmung ist mit dem
göttlichen Willen, und dieser entweder vor sich
selbst, das ist, also zu
reden vor die Gottheit selbst,
etwas suchet, so ist ein jedweder billig erfreuet ein
Werckzeug
GOttes zu seyn; oder er suchet damit etwas das zu unsern
eignen
Nutzen und Seeligkeit
gereichet, so hat ein jedweder auch
Ursache,
dieses sich gefallen zu lassen.¶ |
|
|
|
|
|
(a) Die allgemeine Klugheit, als das erstere
gemeine Mittel zur Zufriedenheit. ¶ |
|
|
Obwohl der allweise
GOtt
Lust und
Unlust in
allen
Sachen dieser Zeitlichkeit also gemischet, daß
sie beyderseits an und vor sich selbst einander
ziemlich gleich kommen, so kan doch Thorheit und
Boßheit, wenn man das
Gute nicht zu nutzen und
zu vermindern
weiß, hingegen das
Böse
toller Weise häuffet, den
Menschen,
der da könnte in
Zufriedenheit
leben, in wahrhafftes Elend stürtzen.
Darum muß man wissen, derer
Dinge dieser
Zeitlichkeit Gutes und Böses zu nutzen, jenes zu
vermehren, dieses zu vermindern. |
|
|
Die
Geschicklichkeit solches zu
thun, heist die
Klugheit. Denn die
Mittel der Zufriedenheit gehören
überhaupt alle zur Klugheit, so gar, daß auch die
Gerechtigkeit oder
Tugend selbst, welche sonst der
Klugheit entgegen gesetzet werden, soferne sie die
Zufriedenheit mit befördern, vor
Arten der Klugheit,
in diesem Absehen zu achten. |
|
|
Weil demnach die Klugheit eine
Geschicklichkeit der Mittel ist, die zu einem
vernünfftigen
Zwecke erfordert werden, und drey
solche Haupt-Zwecke, Zufriedenheit, Freundschafft
und Seeligkeit, wie oben erwiesen, sind, so sind
auch so viel Arten der Klugheit, davon die erste,
welche Zufriedenheit suchet, die Vergnügnis-
Klugheit, Prudentia ethica; die andere, welche
unter denen
Unterthanen Freundschafft
einzuführen, oder sie doch vor Feindschafft und
feindseligen |
|
|
{Sp. 1125|S. 576} |
|
|
Thaten zu bewahren,
bemühet ist, die Staats-Klugheit, Prudentia politica; Die dritte, welche zur
ewigen Seeligkeit anweisen, davon die
Vernunfft
keine hinlängliche Mittel, sondern nur die
Christliche
Lehre solches zu zeigen weiß, die Christliche
Klugheit, Prudentia Christiana,
genennet
werden. |
|
|
Es ist aber auch eine allgemeine Klugheit,
welche so wohl zu Erhaltung der Zufriedenheit, als
Freundschafft, ja auch einiger massen der
Seeligkeit, kan gebrauchet werden, und weil sie am
meisten in dem Umgange mit andern Menschen zu
gebrauchen ist, so hat man sie insgemein
Prudentiam conversandi genennet, man kan im
Deutschen das
Wort der allgemeinen Klugheit
behalten.¶ |
|
|
Jetzt
wollen wir von der allgemeinen Klugheit
reden, und zwar weil sie, allhier eingerücket zu
werden, allzu weitläufftig ist, nur überhaupt
anzeigen, aus was vor Lehren sie bestehe.
Nehmlich die Allgemeine Klugheit bestehet
darinne, daß man
wisse, derjenigen Dinge, die in
dieser Zeitlichkeit uns vorkommen, Annehmlichkeit
zu geniessen, und zu vermehren; die
Verdrießlichkeit aber loß zu werden, oder zu
vermindern. Zu diesem
Zweck dienet, daß man die
Vernunfft-Lehre sich wohl bekannt mache. Es sind
aber hier
vornehmlich zu diesem Zweck drey
Lehren
nöthig: |
|
|
1) Die Lehre von den
Kräfften und deren
Würckungen richtige
Gedancken zu haben
(ratiocinatio causalis); |
|
|
2) Die Lehre, Mittel und Absichten wohl zu
überlegen (ratiocinatio practica); und |
|
|
3) die Lehre von der
Wahrscheinlichkeit. |
|
|
Die Haupt-Regel der Lehre von den Kräfften
und deren Würckungen richtige Gedancken zu
haben (Ratiocinatione causali) ist, daß man sich
bey allen, auch den kleinesten Begebenheiten die
Kräffte der Dinge (nehmlich in natürlichen Sachen
die
würckenden Ursachen, und in sittlichen Dingen
die
Endzwecke) wohl zu
erkennen bemühe, und
was von ihnen, wenn sie hier und dar angebracht
werden, vor Würckungen erfolgen, zu betrachten
angewöhne. Denn ohne dieses kan man von den
Mitteln, welche allezeit solche Kräffte sind, nicht
urtheilen, ob sie uns die Absichten zubringen
werden oder nicht. |
|
|
Wer hierinne wohl geübet ist, hat in der Lehre,
Mittel und Absichten wohl zu überlegen
(ratiocinatione practica) einen ungemeinen
Vortheil
vor denenjenigen, so diese
Geschicklichkeit nicht
haben: jedoch kan er hier noch nicht
völlig zu rechte
kommen, wenn er nicht auch weiß, wie er Mittel
erfinden
soll. Davon kan folgende Haupt-Regel zur
Nachricht dienen: |
|
|
„Man stelle sich seine Absicht als eine künfftige
Würckung vor, und bemühe sich, alle Kräffte, von
welchen diese Würckung könnte hervorgebracht
werden, auszudencken, so werden ihm in vielen
Begebenheiten derselben eine grosse Menge
beyfallen: unter diesen sehe er, welche Krafft oder
Kräffte (: Denn bißweilen wird mehr als eine
erfordert:) in seiner Gewalt sind, und dieselben
gebrauche er, um seinen Zweck zu erhalten. |
|
|
Ist keine zu finden, die in seiner Gewalt sey, so
nehme er eine davon, die er vor sich die leichteste
zu seyn erachtet, und sehe sie von neuem als eine
Absicht an, darzu er, nur gemeldeter massen,
wiederum sich |
|
|
{Sp. 1126} |
|
|
so lange Kräffte ausdencke, bis er einige
gefunden, die er zu Erhaltung seines Zwecks
anzuwenden fähig ist. Solte sich noch keine
dergleichen finden, so nehme er, zum andernmahl,
die leichteste heraus, und verfahre wie zuvor, und
lasse sich nicht verdriessen, wenn er auch zum
dritten, vierdten und fünfften mahl, ansetzen
solte. |
|
|
„Er vergesse aber die Verbindung dieser
unterschiedenen Absichten nicht, damit wenn er
Z.E. Bey den fünften Versuch seinen Zweck
erhalten, er hernachmahls durch denselben den
vierdten, durch diesen den dritten, und so ferner
den andern und ersten erlange. Auf solche Art
erhält man offt den Zweck, der uns anfänglich
ohnmöglich zu seyn schiene. |
|
|
Was endlich die Lehre von der
Wahrscheinlichkeit betrifft, so lese man, was der
berühmte
Herr
D. August Friedrich
Müller in des
Gracians Oracul hier und da eingestreuet.¶ |
|
|
Und so viel
muß man zu der allgemeinen
Klugheit aus der Vernunfft-Lehre nicht allein wissen,
sondern auch in guter Übung haben. Weil man aber
seine meiste
Lust und
Unlust in dieser
Welt von
Menschen hat, und deren
Kräffte ursprünglich von
Verstand und
Willen entstehen, so muß man auch
diesen
Ursprung wohl kennen lernen: Das ist, man
muß von dem, mit welchem man zu
thun hat, und
von dem man klüglich Lust erhalten, und Unlust
vermeiden
will, wissen, wie die Kräffte seines
Verstandes sich verhalten, ob die
Urtheilungs-Krafft,
oder
Erinnerungs-Krafft, oder Dichtungs-
Krafft bey ihm die stärckste sey: Denn nach der
stärcksten ist er am besten zu
gebrauchen, und am
meisten zu fürchten. Ferner, wie die Kräffte seines
Willens beschaffen sind, ob der
Geldgeitz
regieret,
oder Ehrgeitz, oder
Wollust: Denn nach der
herrschenden
Gemüths-Neigung wird ein jedweder
am leichtesten im Bewegung gesetzet. |
Man sehe
Thomasii Sitten-
Lehre. |
|
Und dieses muß man
wissen, ehe man die
allgemeine Klugheit
verstehen, und nach derselben
Annehmlichkeit
gewinnen und Verdrüßlichkeit
vermeiden kan. |
|
|
Nun solten wir diese allgemeine Klugheit
selbst zeigen; wegen der Menge aber ihrer
merckwürdigen Regel müssen wir unsern Leser auf
des Gracians Oracul verweisen, so wie es oben
gelobter Hr. D. Müller übersetzet hat, und zwar die
Regeln oder Maximen |
|
|
1) von der Klugheit, Verstand und Willen wohl
zu gebrauchen, |
|
|
2) von der Klugheit, wieder die wollüstige
Gütigkeit, |
|
|
3) von der Klugheit wider die Ehrsucht, |
|
|
4) von der Klugheit wider die Geldsucht, |
|
|
5) von der Klugheit, mit ehrsüchtigen,
wollüstigen und geldgeitzigen Gemüthern wohl
umzugehen, |
|
|
6) von der Klugheit des Glücks, u.s.w. |
|
|
Siehe übrigens den Artickel:
Klugheit, im XV
Bande, p. 981 u.ff.¶ |
|
|
|
|
|
(b) Die Tugend oder Gerechtigkeit, als das
zweyte gemeine Mittel zur Zufriedenheit. ¶ |
|
|
Das
Wort
Gerechtigkeit wird in zweyerley
Verstande genommen, indem es entweder eine
Fertigkeit, (Gewohnheit)
bedeutet, dasjenige, was
GOtt von uns vor sich selbst, und vor unsre Neben-Menschen for- |
|
|
{Sp. 1127|S. 577} |
|
|
dert, also zu thun, daß das geringste nicht
ermangele: In diesem
Verstande ist die
Gerechtigkeit mehr zu wünschen, als hier in diesem
Leben, unter denen Menschen zu finden; oder es
wird gedachtes Wort vor eine Gewohnheit
göttlichen
Willen, so viel es
möglich, nach zuleben, ob wohl
immer noch einige Schwachheit-Sünden begangen
werden, genommen; In dieser andern Bedeutung,
ist es ein mit der
Tugend gleichgültiges Wort, und
also nehmen wir es allhier, indem wir es nicht
ausdrücklich der Gottseeligkeit entgegen setzen, da
es denn nur die Gerechtigkeit gegen die Menschen
bedeutet.¶ |
|
|
Die Tugend thut
vornehmlich drey
Würckungen, |
|
|
1) machet sie uns bey GOtt einiger massen
angenehm, und bereitet uns also zu, daß wir von
GOtt, (aus Gnaden durch Christum) der ewigen
Seeligkeit
theilhafftig gemachet werden können,
wovon unser
Christenthum ein mehrers lehret: |
|
|
2) machet sie
Friede in unserm Hertzen, indem
sie den Streit der sich widerstrebenden
Gemüths-Bewegungen
tilget, und uns solchergestalt einen
Theil der Zufriedenheit bringet, welchen kein ander
Mittel geben kan: |
|
|
3) macht sie Freundschafft unter denen
Menschen, und hebet die Feindschafft auf: |
|
|
Und wenn sie könnte in aller Menschen
Hertzen eingebracht werden, wäre sie allein schon
ein zulängliches Mittel der Zufriedenheit; Da dieses
aber nicht ist, so
würcket doch deren Befliessenheit
unter denen Menschen gar sehr viel
Gutes, und
verhindert eben so viel
Böses, wodurch denn die
Menschen desto eher die Zufriedenheit ihrer
Gemüther erlangen können.¶ |
|
|
Die sich gelassene Vernunfft bedienet sich, zu
der Erlangung der Tugend, zweyer
Veränderungen: |
|
|
1) Des
Verstandes, welcher von der
Gerechtigkeit muß besser
unterrichtet werden, denn
was seine aufgewachsene Art vor
Recht und
Unrecht hält, ist es gar offt am allerwenigsten;
und |
|
|
2) des
Willens, dessen Gemüths-Bewegungen
gemäßiget, und denen Gesetzen der Gerechtigkeit
müssen unterworffen werden. |
|
|
Sodann äussert sich erst die Tugend, und
bringet uns die zwey vortreffliche Würckungen, des
Friedens mit uns, und des Friedens mit andern
Menschen, ja auch mit GOtt: Jedoch zeiget unsere
Christliche Lehre, daß zu diesem letzten
Zweck die
Tugend allein nicht hinlänglich sey. |
|
|
Zu der Veränderung des Verstandes gehöret
erstlich, was wir oben von der Vernunfft-Lehre
angeführet haben; ferner eine genaue
Erkenntnis
des
Rechts der Natur, damit man erst
gründlich
verstehen lerne, was
würcklich recht und unrecht
sey. |
|
|
Die Veränderung des Willens kommet nicht
darauf an, daß man, wie vor
Zeiten die Stoicker und
Platonicker
wolten, die Gemüths-Bewegungen gar
dämpffe und austilge, sondern, wie ein
alter
Pythagoreer Archytas schon vor jenen gar wohl
erkennet, daß man sie mäßige. |
|
|
Ein jeder siehet demnach wohl, wenn wir jetzo
den rechten
Gebrauch der
Begierden zeigen
wollen, was wir verstehen, nehmlich wir wollen
weisen, nicht allein, wie man die Gemüths-
Neigungen, und Gemüths-Bewegungen, sondern
auch die natürlichen Begierden gerecht und
klüglich
regieren
solle: gerecht, daß man sich an GOtt und
seinen |
|
|
{Sp. 1128} |
|
|
Neben-Menschen nicht versundige; klüglich,
daß man sich an seinem höchsten Gut in dieser
Welt selbst nicht hinderlich seye.¶ |
|
|
Um nun den rechten Gebrauch der Begierden
zu erkennen,
müssen wir vor allen
Dingen den
Unterscheid wohl beobachten, daß zu einigen guten
Thaten derer Menschen vornehmlich ein guter Wille,
und muntere
Bewegung derer Glieder erfordert
werden; zu andern aber nur Verstand,
Worte und
Feder. Denn ob diese zwey letzteren zwar auch
Bewegungen der Glieder sind, so bestehet doch
ihre Vortrefflichkeit nicht, wie jener ihre, in
Kräfften
des
Leibes, sondern in der Richtigkeit, so von
Verstand kommet. |
|
|
Bey der ersten
Art können auch die hefftigsten
Gemüths-Bewegungen nicht leicht
schaden, denn je
hefftiger sie sind, je thätiger machen sie den Willen
und die Glieder: Allein bey der andern Art verdüstert
eine allzuhefftige Gemüths-Bewegung den
Verstand, und bringet offt
unvernünfftige Worte in
Mund und Feder. |
|
|
Nun es nicht zu
leugnen, daß uns die
Natur
zwar Triebe, aber keine Gemüths-Bewegungen
gegeben (denn was wir etwan von
Ehrgeitz,
Geldgeitz und
Wollust mit auf die Welt bringen,
kommet nicht von der Natur, sondern von der
Verderbniß); jedoch ist daraus keinesweges zu
erfolgern, daß gedachte Gemüths-Bewegungen
deßhalben zu verwerffen wären: Weil, ob sie wohl
von GOtt und der Natur nicht gegeben sind, so sind
doch die Triebe darzu gegeben, daß wir darnach
handeln und
thun, und durch öffters Thun uns gute
Fertigkeiten, oder Gewohnheiten, zuwege bringen
sollen. |
|
|
Darum, wenn auch gleich die Gemüths-Bewegungen entweder hefftig, oder zur Gewohnheit
worden sind, muß man doch deswegen nicht
glauben, daß sie der Natur zuwider sind, so ferne
sie hefftig und gewöhnlich sind, sondern nur so
ferne sie den zu Ausführung einer
Sache
nöthigen
Verstand hindern, oder auf
unrechte oder thörichte
Absichten gehen, oder nach ihrer Natur den
Absichten selbst zu wider sind. |
|
|
Zum rechten Gebrauch der natürlichen Triebe
muß man
wissen, daß deren zwey Arten sind:
thierische, so nur auf den Leib gerichtet sind, und
die wir deswegen mit den unvernünfftigen Thieren
gemein haben; und menschliche, die dem
menschlichen
Geschlecht allein zukommen. |
|
|
Jene gehen entweder auf die Erhaltung eines
jeden insonderheit: Dahin gehöret |
|
|
(1) die uns mit den Thieren gemeine
Eigenliebe; |
|
|
oder sie sind zur Erhaltung des Geschlechts
gegeben, und deren sind zweye, als |
|
|
(2) die Begierde der Fortpflantzung (libido),
und |
|
|
(3) die Begierde der
Auferziehung
(storgē). |
|
|
Zu der Eigenliebe sind noch zwey Triebe zu
rechnen, als die Begierde desjenigen, was dem
Leibe angenehm ist (prosecutio grati), und
Abscheu dessen, was ihm
verdrüßlich ist: Zu den
erstern gehöret unter andern mit, die Begierde zu
essen, zu trincken, und zu schlaffen. Und dieses
alles sind natürliche thierische Triebe. |
|
|
Derer menschlichen sind dreye: |
|
|
In Ansehung des
Verstandes (4) die Begierde
der
Wahrheit; |
|
|
in Ansehung des
Willens (5) die Begierde der
Glückseligkeit; |
|
|
und in An- |
|
|
{Sp. 1129|S. 578} |
|
|
sehen der menschlichen
Gesellschafft (6) die
Menschen-Liebe, woraus die Begierde in
Gesellschafft zu leben, fliesset. |
|
|
Die göttlichen Absichten sind hierbey, in
Ansehen der ersten die Erkenntniß der Wahrheit,
in Ansehen der andern die ewige Seligkeit, und
denn bey der dritten die Freundschafft, als das
höchste Gut menschlicher Gesellschafft. Hieraus
siehet man, was GOtt und die Natur dem Menschen
gegeben, und was der Mensch an sich selbst zu
thun habe. Nehmlich die Natur hat Kräffte und
Triebe gegeben, und keine Fertigkeiten (habitus),
sondern dem Menschen kommet es zu, aus
besagten Kräfften und Trieben Fertigkeiten zu
machen. |
|
|
Dieser
Grund-Satz weiset uns nicht allein den
rechten Gebrauch der Begierden, sondern hebet
auch eine sonst wichtige Schwierigkeit, nach
welcher man, da man gesehen, daß die bösen
Begierden mit dem Menschen
gebohren werden, in
Sorge gestanden, daß GOtt, unser aller
Vater und
Schöpffer, schiene gedachte Begierden uns
gegeben zu haben, und also eine
Ursach der
Sünden zu seyn. Und ob man wohl sonst auf
allerhand Art diesen
Zweiffel zu beantworten
suchet, so wird doch vielleicht keine Antwort das
Gemüth so von aller Sorge befreyen, als wenn wir
durch unsern Grund-Satz versichert werden, GOtt
habe dem Menschen keine Fertigkeiten (habitus)
gegeben; sondern nur Triebe, und folglich alle
Fertigkeiten ein Menschen-Werck und nicht ein
Werck Gottes sind. |
|
|
Es wird aber ein Trieb eine Fertigkeit, wenn er
sich in eine Gemüths-Bewegung verwandelt; in
diese aber wird er verwandelt, wenn er durch guten
oder übeln Gebrauch der Vernunfft auf
gewisse
Mittel fällt, und denselben nachtrachtet: Endlich wird
die Gemüths-Bewegung durch offt wiederhohlten
Gebrauch zur
Gewohnheit, welche Gewohnheit den
Nahmen der Fertigkeit eigentlich führet. |
|
|
Es muß aber bey Auferziehung eines
Menschen hauptsächlich darauf gesehen werden,
daß derselbe aus denen oben angegebenen sechs
Trieben zweyerley Fertigkeiten erlange: Eine
Fertigkeit der
Klugheit, da er auf die, bey
vernünfftiger Stillung der Triebe von GOtt
beygefügte
Lust siehet; und ferner eine Fertigkeit
der
Gerechtigkeit, da er der Triebe göttlichen
Zweck vor Augen hat, und darnach handelt, es mag
ihm solche
Handlung Lust oder
Unlust bringen.
Denn ob es wohl eine Stoische Thorheit wäre, die
Lust zu verachten, so muß sie doch, so offt sie mit
der Tugend nicht bestehen kan, derselben
aufgeopffert werden. Und weil durch den
Fall des
ersten Menschen aus denen Trieben Eitelkeiten
worden sind; bey solchen Eitelkeiten aber der
Mensch ohnmöglich zur Zufriedenheit gelangen
kan: So muß man solche auszutilgen um so mehr
bemühet seyn. |
|
|
Derer meisten
Gelehrten vorgeschlagene Mittel
zur Austilgung gedachter Eitelkeiten kommen darauf
hinaus, daß man durch die Krafft der
Vernunfft
denen
Würcklichkeiten gedachter Begierden
widerstehe, und ihre böse Fertigkeiten dadurch
austilge. Allein dieser Vorschlag und
Rath ist eben
so, als wenn man einem riethe, daß er mit einem
Thee-Köpffgen voll
Wasser eine
Feuers-Brunst
löschen möge. |
|
|
Es ist nehmlich die
arme Vernunfft viel zu
schwach, daß sie der |
|
|
{Sp. 1130} |
|
|
so grossen Hefftigkeit gedachter Gemüths-Bewegung widerstehen könnte. Es ist aber allzu
gewiß, daß eine schwächere
Krafft eine stärckere
nicht überwinden kan. Darum zeiget uns unsere
Religion mehr als natürliche Kräffte. Weil wir aber in
diesem
Artickel nur von den Kräfften der Vernunfft
reden, und zu
Regierung der Gemüths-Neigung
gleich starcke Kräffte haben müssen; so können wir
solche nirgends als in denen
Gemüths-Neigungen
selbst finden. Denn bey dem
Unglück dieser
Fertigkeiten findet sich dieses
Glück, daß eine
Gemüths-Neigung der andern widerstrebet,
und
eine also durch die andere gemäßiget, und regieret
werden kan. |
|
|
Nun sind zwar diejenigen, so allgemeine
Fertigkeiten sind, überhaupt entweder
böse oder
eitel, daß also eine böse mit der andern zu
vertreiben, ein schlechter
Vortheil zu seyn scheinet;
aber nur unter denen eiteln sind etliche Schein-Tugenden, oder Tugend-Ähnlichkeiten (simulacra
virtutum) welche in der Sache selbst, auf welche sie
gehen, wenig, und offt keinen Fehler haben, nur
sind sie eitel in Ansehen der Absicht, welche nicht
Tugend, sondern Eitelkeit ist. Also die
unbedachtsame Wäscherey der Wollust wird zurück
gehalten von der Verschwiegenheit des Ehr- und
Geld-Geitzes; diese, ob sie zwar eine Schein-Tugend ist, thut sie doch in vielen Begebenheiten
gäntzlich einerley mit der Tugend selbst; aber in der
Absicht bleiben die Geldgeitzige, Ehrgeitzige und
tugendhaffte Verschwiegenheit unter einander
allezeit
unterschieden.¶ |
|
|
Wenn man demnach die uns angebohrne, und
durch üble Auferziehung verstärckte eitele
Gemüths-Neigungen wieder verlernen, und dadurch
ein Mittel der Zufriedenheit sich erwerben will; so
müssen dieselbe in tugendhaffte Fertigkeiten
verwandelt werden. |
|
|
Die
Tugend aber muß zwey Richtigkeiten
haben, eine Richtigkeit der Sache, auf welche man
gehet, (bonitatem materialem) und die Richtigkeit
der Absicht selbiger Sache, (bonitatem formalem).
Die Vernunfft stellet uns zwar beyde vor, ist auch
kräfftig genung, unser Gemüth, wo noch keine
widerstrebende Fertigkeit, (in welchem glücklichen
Zustande die ersten Menschen ohne Zweiffel
gewesen) vorhanden, zu regieren; hingegen vermag
sie wider eine sothane widrige Fertigkeit niemahls
aufzukommen. |
|
|
Von denen nur gedachten zwey
Theilen der
Tugend aber kan die Richtigkeit der Absicht zwar
nirgend anders herkommen, als von der Vernunfft,
die Richtigkeit aber der Sache selbst kan auch von
andern Fertigkeiten des Gemüths erhalten werden.
Nun haben Fertigkeiten gegen Fertigkeiten gleiche
Krafft, oder können doch gleiche Krafft haben:
Fertigkeiten, welche der Tugend ähnlich sind, das
ist, welche die Richtigkeit der Sache, obwohl nicht
der Absicht haben, werden von der Vernunfft
verstärckt, darum überwinden sie, Krafft dieser
Verstärkung, diejenige Fertigkeit, welche keine von
denen zweyen Richtigkeiten der Tugend
haben.¶ |
|
|
So hat nun der sich selbst gelassene Mensch
kein ander Mittel, gedachte eitele Fertigkeit loß zu
werden, als daß er dererselben Sache, worauf |
|
|
{Sp. 1131|S. 579}
[1] |
[1] |
HIS-Data: Spaltenzahl korrigiert aus: 1031 |
|
|
sie gehen, (materiale) durch Beyhülffe anderer
Schein-Tugenden erst
verbessere, (als die
Plauderhafftigkeit der Wollust, durch die
Verschwiegenheit des Ehr- und Geld-Geitzes), und
also alle Eitelkeiten und
Laster seiner bisherigen
Fertigkeiten, in Schein-Tugenden verwandele (als
an statt der Unbarmhertzigkeit eine von Ehr-Begierde und Wollust herrührende Barmhertzigkeit)
und also ferner, verwandelt man alle Unart der
vorigen Gemüths-Neigungen in dergleichen Schein-Tugenden. |
|
|
Wenn nun dieses alles geschehen, so fehlet
gedachten Schein-Tugenden, an dem, daß sie
wahrhafftige Tugenden sind, nichts mehr, als noch
die Richtigkeit der Absicht: Dieses ist ein
Werck der
Vernunfft und
Erkenntnis, und wenn ein
Mensch
seine
Pflicht wohl verstehet, so kan die Gemüths-Neigung die Erkenntnis der Vernunfft nur so wenig
hindern, wie diese die Fertigkeiten des Gemüths,
nehmlich sie richten zwar etwas gegen einander
aus, aber sie überwinden nicht leicht; sondern die
Erkenntnis einer nur ein wenig muntern Vernunfft
verwirfft allezeit die Eitelkeit und
Boßheit, aber sie
kan sie nicht hindern; Darum können auch Eitelkeit
und Boßheit selbst, bey eitel und boshafften
Menschen, daß ihnen widrige
Urtheil des
Verstandes nicht ersticken. |
|
|
Und also ist es hernach zwar nicht so leicht,
jedoch auch nicht
unmöglich, die Schein-Tugenden
in wahrhafftige Tugenden zu verwandeln, und sich
dadurch ein grosses Mittel der
Klugheit und
Gerechtigkeit, einfolglich auch der Zufriedenheit zu
erwerben. Denn nunmehro stimmet Eitelkeit mit der
Tugend, in Ansehen der Sache, darauf der Mensch
gehet, überein, in Ansehung der Absicht, ist die
Vernunfft mächtiger, als Eitelkeit, gleichwie diese, in
Ansehung des
Thuns
mächtiger ist als die
Vernunfft: Darum kan der Mensch auch sodann die
Richtigkeit der Absicht, und folglich die
wahre
Tugend erlangen.¶ |
|
|
|
|