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Zedler: Sünde [1] HIS-Data
5028-41-1-7-01
Titel: Sünde [1]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 41 Sp. 1
Jahr: 1744
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 41 S. 14
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Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Bibel
  • Transkribierter griechischer Text der Vorlage

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Übersicht

  [Benennungen]
  [Schädlichkeit und Schändlichkeit]
  [Erlangung]
  [Ursachen der Sünden]

Stichworte Text Quellenangaben
  Sünde, Peccatum, ist nichts anders als eine Abweichung einer vernünfftigen Creatur von dem moralischen Gesetze, wie auch Johannes dieselbe 1 Brief Cap. II, 4. in seiner Sprache beschreibet. Denn wenn es im Deutschen heisset: Der Sünde thut, der thut auch Unrecht, und die Sünde ist das Unrecht; so heisset es nach dem Griechischen eigentlich: Wer Sünde thut, der thut etwas, dadurch er von dem Gesetze abweicht; denn die Sünde ist eine Gesetzlosigkeit, oder Abweichung vom Gesetze.  
  Je grösser und wichtiger nun das Gesetz ist, desto grösser und wichtiger ist auch die Abweichung. Weil nun aber der Mensch auf verschiedene Weise vom Gesetze abweichen kan, entweder nach sei-  
  {Sp. 2}  
  ner innern Beschaffenheit, da er anders beschaffen ist, als er nach dem Willen GOttes seyn solte, oder auch nach seinem würcklichen Sinne, Willen, Begierden, Geberden, Worten und Wercken, da er entweder so gesinnet ist und thut, als er nicht gesinnet seyn oder thun solte; oder auch nicht so gesinnet ist, und thut, als er billig seyn und handeln solle; so sind auch verschiedene Arten und Classen der Sünde, davon weiter unten Erwehnung geschehen wird.  
Benennungen Was die verschiedenen Benennungen der Sünde in den heiligen Sprachen betrifft, so haben wir von denselben absonderlich Dreye zu bemercken, welche in der Hebräischen Sprache sind: [zwei Wörter Hebräisch] und [ein Wort Hebräisch]; und mit denen in der Griechischen harmatia, parabasis, und adikia oder athemis übereinstimmen.  
  Wenn diese Benennungen in heiliger Schrifft in einem Texte zusammen zu stehen kommen, so können sie nicht alle von der Sünde überhaupt verstanden werden; sondern eine jede bedeutet entweder eine besondere Art der Sünde, oder es werden dadurch die verschiedenen Stuffen derselben angezeiget.  
  Auf diese Weise bedeutet [ein Wort Hebräisch] eine solche Sünde, wenn man von dem abweichet, wozu uns GOTT beruffen hat und anhält, und stimmet mit demselben das Griechische Wort hamartia überein; [ein Wort Hebräisch], wenn der Mensch auch so gar die Verbote des Gesetzes überschreitet, und gleichsam mit aufgehabner Hand sündiget, welches ebenfalls das Griechische  
  {Sp. 3|S. 15}  
  Wort parabasis anzeiget; [ein Wort Hebräisch] endlich, welches mit dem Griechischen adikia oder athemis, einerley Bedeutung hat, zeiget eine gäntzliche Verkehrung des Menschen an, da derselbe so tief in die herrschenden Sünden hineingeräth, daß er nichts anders als sündigen kan.  
  Der Jüdische Lehrer Kimchi machet unter den Hebräischen Wörtern diesen Unterscheid, daß [ein Wort Hebräisch] die Sünden der Kindheit und Jugend, [ein Wort Hebräisch], die Sünden, welche man von dem 20sten Jahre an begehe, [ein Wort Hebräisch] aber die grössesten Bosheits-Sünden bedeuten soll.  
Schädlichkeit und Schändlichkeit Von der heßlichen Gestalt der Sünde, welche sich in der Natur derselben äussert, und von derselben Schädlichkeit, wird man gar leichte überzeuget werden, wenn man erweget, daß dieselbige mit den Göttlichen moralischen Eigenschafften, mit der Heiligkeit, Gerechtigkeit, Weisheit, Güte und Wahrhafftigkeit, streite, und daß also in derselben etwas unreines, thörichtes, schädliches, und lügenhafftes verborgen liege.  
  Die Sünde streitet mit der Heiligkeit GOttes. Die Heiligkeit liebet nichts, will nichts, und thut nichts, als was gut ist. Die Sünde aber machet, daß der Mensch lieber will und thut, was böse ist. GOtt spricht: Ihr solt heilig seyn, denn ich bin heilig. 1 Petr. I, 15. 16.
  Die Sünde machet, daß der Mensch von diesem schönen Muster abweichet. Die Heiligkeit GOttes ist seine Reinigkeit und Lauterkeit. Die Sünde machet also den Menschen unlauter und unrein in den Augen GOttes. Die Sünde streitet mit der Göttlichen Gerechtigkeit, und es lieget in derselben eine grosse Unbilligkeit verborgen. Gerechtigkeit und Billigkeit erfordern, daß einem jeden das Seine zugetheilet werde. Es ist nichts billiger, als daß der Mensch seine Dependentz von GOTT erkenne und bekenne, und sich nach GOTT, als dem höchsten und vollkommensten Wesen, richte.  
  Die Sünde macht, daß der Mensch seine Dependentz von GOtt aus den Augen setzt; sie macht, daß der Mensch sich selbst, oder die Creatur ausser ihm, über GOtt setzet, und ihr dasselbige zueignet, was dem Schöpffer allein gebühret; so ist denn in der Sünde lauter Ungerechtigkeit und Unbilligkeit. Die Sünde weichet ab von den Gesetzen und Regeln der höchsten Weisheit; so ist denn in der Sünde lauter Narrheit und Thorheit.  
  So offt der Mensch sündiget, und von der Göttlichen Ordnung auf einige Weise abweichet; sooft will er weiser und klüger seyn als GOtt: aber eben dadurch beweiset er, daß er den Nahmen eines Narren verdiene. Die wahre Weisheitt bestehet darinnen, daß man erlaubte und hinlängliche Mittel erwählet und gebrauchet, um zu einem guten und anständigen Zweck zu gelangen. Die Sünde machet den Menschen blind, daß er nicht einsiehet noch erweget, was sein eigentlicher, und einer vernünfftigen Creatur anständiger Zweck sey. Sie machet, daß der Mensch nur seine Augen auf das zeitliche und vergängliche Wesen der Welt richtet, nicht aber die Gemeinschafft mit GOtt dem höchsten Gute, und also die ewige Seeligkeit sein Augenmerck seyn lässet.  
  Die  
  {Sp. 4}  
  Sünde führet den Menschen von den rechten Mitteln ab, zu einem wahren Vergnügen zu gelangen; und giebet ihm dagegen gantz verkehrte und unhinlängliche Mittel an die Hand. Der Mensch suchet ein wahres Vergnügen, und weichet doch von GOtt, als dem einigen Grunde aller Seeligkeit, ab. Der Mensch verlanget ein beständiges Vergnügen, und sucht es doch in den nichtigen und vergänglichen Dingen dieser Welt. Und so hat die heilige Schrifft vollkommen recht, wenn sie einen Sünder mit dem Nahmen eines Thoren und Narren beleget.  
  Die Sünde streitet ferner mit der Göttlichen Güte, welche sich in den guten und nutzbaren Gesetzen GOttes äussert. So ist denn in der Sünde etwas schädliches, und es lieget in derselben eine grosse Unbarmherzigkeit, die der Mensch nicht nur gegen andere, sondern auch gegen sich selbst beweiset. Die Göttlichen allgemeinen und besondern Gesetze ziehlen alle auf der vernünfftigen Creaturen, und insonderheit der Menschen wahres Beste. Von diesen ziehet die Sünde den Menschen ab. Sie ziehet ihn ab von GOtt, dem höchsten gut, und hindert den Menschen an seiner seeligen Gemeinschafft. Sie macht, daß der Mensch sein eigen wahres Wohl aus den Augen setzet, Leib und Seele verdirbet, und also wider sich selbst, als ein unsinniger Mensch wütet und tobet.  
  Die Sünde bringet den Menschen dahin, daß er lauter solche Dinge thut und thun muß, dadurch er immer weiter von dem guten Sinne GOttes abgeführet und in das Verderben gestürtzet wird. Kein Tyrann kan mit einem Menschen so unbarmhertzig umgehen, als ein Sünder mit sich selber thut. Jener schändet und verderbet etwa eines andern Leib; dieser aber schändet und verderbet auch noch dazu seine eigene Seele.  
  Die Sünde streitet endlich auch mit der Wahrhafftigkeit, und hat etwas lügenhafftes und widersprechendes in sich. Der Mensch dependiret als eine Creatur von GOTT, und diese Dependentz ist ihm wesentlich eigen, so, daß auch der Schöpffer selbst ihm dieselbe nicht erlassen kan. Es ist und bleibet dieses eine ewige und unveränderliche Wahrheit, und ist schlechterdings unmöglich, daß etwas eine Creatur, und doch zugleich independent seyn solte.  
  Gleichwohl will die Sünde doch als möglich, ja als würcklich vorstellen, was doch an sich selbst unmöglich ist, und daher auch niemahls würcklich werden kan. Denn, ist es schlechterdings unmöglich, daß der Mensch independent seyn könne, so wird er auch niemahls würcklich independent werden; er ist und bleibet so lange dependent von GOtt, als er eine Creatur ist und bleibet, er mag sich auch vorstellen und machen was er will. Daraus ist offenbahr, daß die Sünde eine pure Lügen sey, und daß der Sünder den Nahmen eines Lügners mit Recht verdiene, siehe Joh. VIII, 44.
  Die Sünde bringet den Menschen dahin, daß er sich nicht nach GOtt zu richten begehret. So lieget denn in der Sünde eine tätliche Verläugnung GOttes. Durch die Sünde wird die Oberherrschaftliche Macht und Gewalt GOttes  
  {Sp. 5|S. 16}  
  geläugnet; als ob GOtt dem Menschen nichts zu sagen hätte, oder, als ob es nichts zu bedeuten hätte, wenn GOtt schon dem Menschen Gesetze vorschriebe; der Mensch könne doch thun, was er wolle und die Göttlichen Gesetze blieben ohne allen Nachdruck. Dieses ist in der That nichts anders als GOtt selbst verläugnen.  
  Ist GOtt gar nicht des Menschen Herr, dependiret der Mensch in keinem Stücke von GOtt, so ist GOtt auch kein Schöpffer, und ist folglich auch kein GOtt. Daher sprechen auch die Thoren, die da ein Greuel sind mit ihrem Wesen, und um GOttes willen nichts gutes thun, in ihrem Hertzen: Es ist kein GOtt. Ps. XIV, 1.
  Und wenn ein solcher Mensch auch einen GOtt mit seinem Munde bekennet, so verläugnet der Sünder es doch mit seinen Wercken 1 Tit. I, 14.
  Weil die Sünde den Menschen dahin bringet, daß er sich nicht nach GOtt zu richten begehret; so ist die Sünde nichts anders als eine Abweichung von GOtt, dem höchsten Gut und insonderheit von seinen Moralischen Eigenschafften der Heiligkeit, Gerechtigkeit, Weisheit, Güte und Wahrhafftigkeit; und folglich von dem ewigen und unveränderlichen Gesetze welches in GOtt selbst ist.  
  So ist es demnach unmöglich, daß die Sünde etwas wahrhafftig gutes seyn, oder den Menschen zu einem wahrhafften Guten bringen könnte. Die Sünde muß nothwendig den gantzen Zustand des Menschen in Zeit und Ewigkeit verschlimmern, indem sie den Menschen von demjenigen, was wahrhafftig gut ist, von der Heiligkeit, Gerechtigkeit, Weisheit, Güte und Wahrhafftigkeit abführet. Und diß ist die Ursache warum die Sünde an sich selbst, und in dem allereigentlichsten Verstande böse ist, daraus niemahls vor sich selbst etwas Gutes heraus kommen kan.  
  Das Gesetz, welches sich auf den besondern wesentlichen Zustand des Menschen schicket, will, daß der Mensch mit seinem Verstande recht untersuchen und beurtheilen soll, was seine Sinne ihm vorstellen, und daß sein Wille die sinnlichen Neigungen und Begierden regieren und in Zaum halten solle, damit die rechte Ordnung in dem Menschen verbleibe, und die sinnlichen Vorstellungen und Begierden von dem Verstand und Willen, nicht aber diese von jenen dependiren.  
  Die Sünde aber kehret das unterste zu oberst. Was die sinnlichen Vorstellungen den Menschen als gut antragen, solches nimmt der Mensch ohne gehörige Prüfung schon vor bekannt an, und geräth darüber nothwendig in unordentliche Neigungen und Begierden, worauf unordentliche und sündliche Handlungen erfolgen.  
  Man kan hiervon leicht überzeuget werden, wenn man nur auf sein eigen und anderer Thun ein wenig Achtung geben wird. Zum Exempel, es kommt ein Mensch iemanden unvermuthet zu Gesichte, von welchem er weiß, daß er nachtheiliges von ihm gesprochen; er erinnert sich dessen in dem Augenblicke, und sogleich geräth er in Zorn, und leget Hand an diesen Menschen. Nachdem nun die That vollbracht ist kommt er zum Nachdencken, und erweget, was er gethan habe, und was daraus entstehen könne. Und so fängt er an seine eigene That zu mißbilligen, und zu wünschen, daß es nicht möchte geschehen seyn. Aus diesem  
  {Sp. 6}  
  Exempel siehet man klar; daß ein solcher Mensch seine sinnlichen Vorstellungen nicht gehörig in seinen Verstand eingeführet, und sie durch denselben beurtheilet habe, sondern daß durch seine wiedrige sinnliche Vorstellungen, so gleich seine sinnlichen Neigungen und Begierden sind gereitzet, und daß er dadurch zugleich zur Thätlichkeit sey gebracht worden.  
  Denn wenn er das gleich anfangs erwogen hätte, was ihm zuletzt die Überlegung seines Verstandes an die Hand gegeben hat; so würde es zu der verübten That nicht kommen seyn. Er hätte anfänglich eben so wohl als zu letzt, seinen Verstand zu rathe ziehen können und sollen; weil er aber die untersten Kräffte der Seele, die sinnlichen Vorstellungen und Begierden, den obern Kräfften, dem Verstand und Willen hatte vordringen lassen; so ist nicht zu verwundern, daß auf eine solche Unordnung, die in der Seele vorgegangen ist, auch eine unordentliche und verkehrte That nothwendig hat erfolgen müssen.  
  Wenn es nun aber Menschen also machen, daß sie allein nach ihren sinnlichen Vorstellungen und Begierden handeln, und dieselbe zum Regel-Maaß ihres Thuns und Lassens gebrauchen; thun sie denn wohl als vernünfftige Menschen? oder handeln sie nicht vielmehr nur als unvernünfftige Thiere? und so verursacht die Sünde, wenn sie den Menschen von dem rechten Gebrauch des Verstandes und freyen Willen abziehet, und die Seelen-Kräffte zu Sclaven und Unterthanen der sinnlichen Vorstellungen und Begierden machet, daß der Mensch in der That gleichsam zu einem unvernünfftigen Thiere wird.  
  Die Sünde richtet in der menschlichen Gesellschafft eine grosse Verwirrung an, weil sie eine Abweichung von den Göttlichen besondern Gesetzen ist, welche hauptsächlich auf die äusserlichen Umstände der menschlichen Gesellschafft gehen. Man stelle sich nur vor, wie es unter den Menschen aussehen würde, wenn die Eltern sich nicht um ihre Kinder bekümmern solten, noch die Kinder nach ihren Eltern fragen dürfften; wenn keine Ordnung des Ehestandes wäre, sondern die Menschen Freyheit hätten, nach eigenem Gefallen zusammen zu lauffen; wenn ein ieglicher befugt wäre, sobald es ihm gelüste, seines Lebens, oder auch seiner Güter zu berauben, würde solches nicht eine feine Haußhaltung geben? und würde wohl die menschliche Gesellschafft dabey bestehen können? Und was würde unter den Menschen daraus werden, wenn sie das öffentliche Andencken, welches sie an einem GOtt und HErrn über sich haben, und auf den sie bey ihren Verfahren unter einander sehen müssen, gantz und gar aufheben wolten. Hieraus ist denn klar, was die Sünde, auch in der menschlichen Gesellschafft für eine Verwirrung anrichte.  
  So viel nun die Menschen sich Freyheit zu sündigen heraus nehmen, oder heraus nehmen dürffen; so viel Zerrüttung wird in dem gemeinen Wesen angerichtet. Das Gesetze will, daß wir alle Dinge in ihre gehörige Ordnung, so, wie es eines ieglichen wesentliche Beschaffenheit erfordert, setzen sollen. So stehet der Schöpffer oben an; und so dann folget unter den sichtbaren Creaturen der Mensch,  
  {Sp. 7|S. 17}  
  und endlich die übrigen sichtbaren Geschöpffe, und zwar diese wiederum nach ihren verschiedenen Classen, nachdem eine derselben mehr Vollkommenheit hat, und einen grössern Nutzen gewähret, als die andere. Die Sünde lässet denn auch hier nichts in seiner gehörigen Ordnung, sondern kehret das unterste zu oberst. Und so handelt der Mensch wieder das ewige Gesetze, welches wir in GOtt selbsten finden, und nach welchem sich GOtt in Hervorbringung der Geschöpffe gerichtet hat.  
  Die unvernünfftige und leblose Creatur auf dem Erdboden, stehet, wie gedacht, nicht nur unter GOtt, sondern auch unter dem Menschen. Wenn nun der Mensch gedachte Creaturen entweder über GOtt, oder neben GOtt, oder gar an GOttes Stelle setzet; so kehret er das unterste zu oberst. Das letztere haben einige Heyden gethan, die aus der Creatur selbsten GOtt gemacht haben. Das erstere thun alle diejenigen, welche die Creatur mehr, wenigstens eben so viel lieben, als GOtt.  
  Nicht weniger verkehrt handeln auch diejenigen, welche unvernünfftige und leblose Geschöpffe, über sich selbst und andere Menschen setzen. Wie mancher Geitzhalß macht sich seinem Mammon gäntzlich zum Sclaven, und thut lieber seinem Leibe schaden, als, daß er zu seinem nöthigen Unterhalt und Erquickung ein Stück Geld anwenden solte? Nicht zu gedencken, daß mancher Mensch Geld und Gut viel höher schätzet als seine eigene Seele; indem er dieselbe in die Schantze schläget, nur, damit er Geld und Gut gewinnen möge. Dabey er denn des Ausspruchs Christi gantz und gar vergisset. Was hülffe dem Menschen, wenn er die gantze Welt gewönne, und nähme doch Schaden an seiner Seele, Matth. XVI, 25.
  Nicht besser machen es andere, die da unvernünfftige und leblose Creaturen ihrem Nächsten vorziehen, und demselben offte so mitspielen, daß sie dergleichen nicht an ihrem Hunde und Pferde thun würden; oder die im Gegentheil diejenige Vorsorge oder Liebe an einem Menschen nicht beweisen wollen, die sie doch einem unvernünfftigen Thiere zu erzeigen kein Bedencken tragen. GOtt hat den Menschen die übrigen sichtbaren Creaturen zum Dienst gegeben; und also sollen sie zum Nutzen und zum Verderben gebrauchet werden.  
  Wenn nun alle diese Dinge nicht zum wahren Dienste seiner selbsten oder anderer angewendet werden; so wird abermahls wieder den Zweck, welchen GOtt bey der Schöpffung solcher Dinge gehabt hat, gehandelt, und folglich wird die Ordnung der Creaturen verkehret.  
Erlangung Da wir nun die Sünde nach Schändlichkeit und Schädlichkeit sattsam abgebildet haben; so müssen wir hier vor allen Dingen fragen, wie ist denn der Mensch zu der Sünde gekommen? Dieses nun ist geschehen durch den Sündenfall der ersten Eltern, davon ein besonderer Artickel folget.  
Ursachen der Sünden Vorjetzo gehen wir zu den Ursachen der Sünden, welche unmöglich GOtt seyn kan, so gerne auch die Menschen dieselbe auf ihn bringen wolten. GOtt hat einen solchen Verstand, welcher alle mögliche Dinge und Wahrheiten auf einmahl einsiehet. Dieser Verstand leidet also niemahls einige Blindheit oder Finsterniß, daß er nicht unveränderlich alle Dinge ihrer innern  
  {Sp. 8}  
  Natur und Beschaffenheit nach aufs allerdeutlichste und eigentlichste erkennen, oder sich auch im geringsten eine falsche Vorstellung wovon machen solte. Daher Jacobus schreibet: Bey ihm ist keine Veränderung, noch Wechsel des Lichts und der Finsterniß Cap. I, 17.
  Da nun durch die Vorstellung des Guten der Göttliche Wille geneiget und beweget wird; und GOtt das Gute, als gut, und das Böse, als böse, ohne allen Fehl erkennet; so ist es nicht möglich, daß sein Wille iemahls solte geneiget und beweget werden können, das Böse zu lieben und zu billigen. Vielmehr träget er von dem, was eigentlich Böse ist, eine wesentliche, ewige und unveränderliche Abneigung, und also auch an demselben einen recht ernstlichen Haß, welcher seiner wesentlichen Liebe zum Guten und seiner vollkommenen Heiligkeit und Gerechtigkeit gemäß ist.  
  GOtt ist das höchste Gut. Von dem Guten, so ferne es gut ist, kan nichts Böses herkommen. Denn das Gute stehet mit dem Bösen in einem geraden Wiederspruch. Wie solte denn das höchste Gut als ein Ursprung des Bösen können angesehen werden? Sonst müste GOtt aufhören GOtt zu seyn; das höchste Gut müste zugleich böse seyn; die höchste Vollkommenheit müste unvollkommen seyn; das wiederspricht sich aber selbst, und ist dahero schlechterdings unmöglich.  
  Die Beschaffenheit des Göttlichen Wesens, ist das ewige und unveränderliche Gesetz, nach welchem sich die vernünfftigen Creaturen richten müssen, und nach welchem GOtt, weil er mit sich selber in keinen Wiederspruch stehet, noch stehen kan, sich auch selbst richtet. Dieses Gesetze gehet auf nichts als lauter Gutes. Was mit demselben nicht übereinkommt, ist Böse und Sünde. So müste denn GOtt entweder mit sich selbst nicht übereinstimmen, oder es ist unmöglich, daß in GOtt der Grund des Bösen und der Sünde statt finden solte.  
  GOtt hat durchs Gesetz und die Offenbarung seines Willens, in der Natur so wohl als auch in der heiligen Schrifft, die Sünde verboten. Selbst in Absicht auf die Heyden schreibet Paulus: GOttes Zorn vom Himmel wird offenbaret, über alles gottlose Wesen, und Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit in Ungerechtigkeit aufhalten Röm. I, 18.
  GOTT bestraffet das bösenund zwar nicht zum Schein, sondern ernstlich. Wie solte nun der Ursprung desjenigen, was seinem ewigen unveränderlichen Gesetze zu wieder ist, worüber er zürnet, was er hasset, was er bestraffet, ihm selbsten können zugeschrieben werden? Käme das Böse von ihm her, so könnte er es unmöglich mißbilligen, verabscheuen, bestraffen; denn es wäre seine eigene Ausgeburt, seine eigene Erfindung. Und so würde GOtt mit ihm selber in einem solchen Streite stehen, daß er, wenn er das hassen wolte, was von ihm selbst herrühret, sein eigner und ärgster Feind werden müste. Denn was könnten die armen Creaturen davor, daß er ihnen Ursprünglich das Böse beybrächte, welches sie doch nicht verhindern könnten, sondern von ihm nach seinem Gutbefinden und Wohlgefallen, und nach seiner Würckung annehmen müsten. Wollen wir nun auf unserm GOtt nicht ein solches mit sich selbst in beständiger  
  {Sp. 9|S. 18}  
  Uneinigkeit lebendes Ungeheuer machen; so müssen wir ihn von der Ursache des Bösen und der Sünde schlechterdings frey sprechen.  
  Weil die Menschen bey dieser wichtigen Sache so sehr geneigt sind, Steine des Anstossens zu suchen, und dieselben sich und andern in den Weg zu legen; so müssen wir vorher, ehe wir auf den eigentlichen Ursprung des Bösen weiter fort gehen, einem Einwurff begegnen. Einige wollen nehmlich auf die Gedancken gerathen, als ob an sich selbst nichts gut oder böse sey; sondern es werde nur erst gut oder böse bey dem Menschen, und zwar nur allein daher, weil GOtt etwas für gut oder böse erkläret habe; da im Gegentheil GOtt nach seinem freyen Willkühr, und nach seiner unumschränkten Macht und Gewalt, wenn er gewolt, auch wohl das, was jetzo gut ist für böse, und das, was jetzo böse ist, für gut hätte erklären können.  
  Ihre Meynung gehet dahin, daß wenn GOtt auch gleich etwas würcken oder mit Fleiß veranlassen solte, was um des Göttlichen Gesetzes Willen bey den Menschen böse sey, so sey doch solche Würckung oder Veranlassung bey GOtt nicht böse, indem er an dasjenige Gesetze, woran er die Menschen verbunden habe selbst nicht gebunden sey. Jedoch ausserdem, daß in GOtt gar keine solche Gleichgültigkeit statt findet, daß es ihm in allen Stücken gleich viel sey, ob er seinen Willen auf dis oder jenes lencke, und als ob er, wenn er das eine will, allemahl eben so leichte das Gegentheil wollen könne; so kan zwar nicht geläugnet werden, daß nicht manche Göttliche Gesetze solche Dinge betreffen solten, die an sich selbst weder gut noch böse sind, sondern um des Göttlichen Verbotes willen erst für sündlich und böse angesehen werden können, dergleichen die besondere dem Jüdischen Volcke gegebenen Gesetze sind.  
  Allein es ist gantz falsch, als ob schlechterdings nichts an sich selbst gut oder böse sey, sondern als ob erst etwas durch den blossen Göttlichen Willen gut oder böse werde. Es fragt sich nehmlich: ist denn auch das Göttliche Wesen an sich selbst weder gut noch böse? Ist es etwa nur deßwegen gut weil GOtt will, daß es gut seyn soll; da im Gegentheil, wenn er wolte, daß es böse seyn solte, so würde es böse seyn? Es ist nicht zu glauben, daß ein eintziger vernünfftiger Mensch, zumahl wenn er das Wort GOttes gelten lässet, diese beyden Fragen bejahen werde. Wohlan, so ist denn der Satz, als ob an sich selbst nichts gut oder böse sey, schon nicht allgemein. Man muß doch vors erste zugestehen, daß das Göttliche Wesen an sich selbst gut sey.  
  Nun fragt sichs weiter: warum ist denn das Göttliche Wesen an sich selbst gut? Die Antwort wird nothwendig seyn müssen: das Göttliche Wesen sey um seiner wesentlichen Vollkommenheiten an sich selbst gut. Welches sind denn seine wesentlichen Vollkommenheiten? Man muß nothwendig antworten: die Göttlichen Eigenschafften. Weil denn nun also das Göttliche Wesen, und die Göttlichen Eigenschafften, an sich selbst gut sind; ist es wohl möglich, daß GOtt sich selbsten solte hassen wollen? und ist es wohl an sich selbst gleich viel, ob GOtt sich selber hasse oder liebe?  
  In Fall man dieses nicht bejahen kan, wie man es denn nicht wird bejahen  
  {Sp. 10}  
  können; so muß man nothwendig zugestehen, daß in GOtt eine ewige und unveränderliche Neigung sey, sich selbst als das höchste Gut über alles zu lieben, und, daß diese Neigung nichts gleichgültiges in sich fasse? sondern daß dieselbe an sich selbst und ihrer Natur nach gut sey, und daß GOtt daher von dieser Neigung niemahls abweiche, noch abweichen könne.  
  Hieraus folget denn nun daß wenn eine vernünfftige Creatur, GOtt, als das höchste Gut, über alles liebet, solches eine an sich selbst gute, richtige und billige Neigung sey, und eine solche Tugend, die nicht erst wegen des blossen Göttlichen Willens gut und eine Tugend wird, sondern welche ihrer Natur nach schon gut und eine Tugend ist, und eben deßwegen von dem Menschen gefordert wird. Es ist nehmlich ein ewig wahrer und unveränderlicher Satz: Das höchste Gut muß über alles geliebet werden; und ist daher nicht möglich, daß GOtt seinen Willen auf das Gegentheil solte richten, und es für was gutes und eine Tugend erklären können, wenn eine vernünfftige Creatur ihn nicht über alles liebet, sondern vielmehr hasset.  
  Solte aber nun GOtt dennoch den Haß gegen sich selbst, und die Abweichung von GOtt dem Gute in der vernünfftigen Creatur würcken, oder mit Fleiß veranlassen; so würde GOtt etwas würcken oder veranlassen, nicht, was an sich selbst gleichgültig, sondern was an sich selbst unrecht und böse wäre; und so würde er auf solche Weise selbst nicht gut bleiben, sondern böse werden, und von dem was ewig, recht und gut ist abweichen. Und so hätten wir denn an dem einigen Göttlichen Wesen einen guten und gleich einen bösen GOtt; welches eine solche Lästerung ist, welche die Lehre der Manichäer weit übersteiget, als welche doch noch einem besondern ewigen Ursprung des Bösen gelehret haben, damit sie das Böse dem guten GOtt nicht zuschreiben dürfften.  
  Doch gesetzet, es wären die Göttlichen Gesetze nur allein willkührliche Gebote, und beträffen lauter solche Sachen, die an sich selbst weder gut noch böse wären, und also um des Göttlichen Gebotes oder Verbots willen nur erst gut und böse würden. Wenn man nun dabey voraus setzen wolte, GOtt hätte auf die Übertretung solcher Gebote die Straffe der ewigen Verdammniß gesetzet; er hätte aber mit Fleiß solche Übertretung bey den Menschen veranlasset, damit er nur Gelegenheit haben möchte, seine Gerechtigkeit zu beweisen, und die Übertreter mit der ewigen Verdammniß anzusehen; was für ein verkehrtes und erschreckliches Bild würde da nicht von GOtt heraus kommen?  
  Man würde es einem Regenten für eine grosse Bosheit anrechnen, wenn er jemanden selbst mit Fleiß verleitete, wider die Gesetze zu sündigen, damit er ihn nur nach seinem Gefallen bestraffen könne. Von einem gottlosen Heydnischen Kayser Tiberio lieset man wohl, daß er seinen vornehmsten Bedienten, Sejanum, unter dem Vorwand habe hinrichten lassen; als ob er wieder des Germanici Söhne Meuterey angestifftet hätte; da er doch selbst diesen Sejanum eben deßwegen zu hohen Ehren erhoben hatte, daß er durch denselben gedachten Söhnen des Germanici desto besser auf den Dienst lauern, und selbige aus dem  
  {Sp. 11|S. 19}  
  Wege räumen könnte. Nicht minder, daß er dieses Sejani Tochter mit Gewalt habe schänden lassen, damit er sie nur im Gefängniß ums Leben könnte bringen lassen, weil es die damahligen Gesetze nicht zu liessen, daß eine unberührte Jungfrau im Gefängniß sterben solte. Es sey aber ferne, eben dergleichen Verfahren dem gerechten und heiligen GOtt zuschreiben wollen.  
  Solchergestalt können und dürffen wir denn den Ursprung der Sünde nirgends anders, als bey den vernünfftigen Creaturen suchen. Dieses lehret uns auch die heilige Schrifft. Wir würden von dem ersten Fall der Menschen nichts rechts wissen, viel weniger würde uns von dem vorhergegangenem Falle einiger Engel etwas gewisses bekannt seyn; wenn uns von beyden nicht die heilige Schrifft eine Unterweisung gegeben hätte. Aus der Beschreibung des Falles der ersten Eltern von Mose ist offenbar, daß sich die Sünde und das Böse nicht zu erst bey den Menschen angesponnen habe, sondern, daß sie dazu von dem Teufel sind verleitet worden; so wird uns denn dieser als der erste Urheber der Sünde dargestellet. Unser Heyland spricht davon also:  
  Ihr seyd von euerm Vater dem Teufel, und nach euers Vaters Lust wollet ihr thun, derselbe ist ein Mörder vom Anfang, und ist nicht bestanden in der Wahrheit, denn die Wahrheit ist nicht in ihm. Wenn er die Lügen redet, so redet er von seinem eignen, denn er ist ein Lügner, und ein Vater derselben, Joh. VIII, 44.
  Wollen wir einen kurtzen Auszug dieser Worte haben, so giebet uns Johannes denselben 1 Epist. III, 8. Wer Sünde thut, der ist vom Teufel; denn der Teufel sündiget vom Anfang.  
  Wenn wir diese Worte mit den Worten Christi vergleichen; so nennet jener Sünde, was unser Heyland durch Lügen ausdrucket. Denn wenn Christus spricht: Der Teufel ist ein Lügner vom Anfang; so heißt es beym Johanne: Der Teufel sündiget vom Anfang. Die Lügen können wie die Wahrheit, im Verstande, im Willen, in Worten und in Wercken seyn. Im Verstande ist Lügen, wenn die Vorstellung des Verstandes mit der Beschaffenheit der Sache selbst nicht überein kommt. Weil nun durch die Vorstellungen des Verstandes der Wille geneiget wird; so ist denn auch Lügen im Willen, wenn derselbe unrichtige, falsche und verkehrte Vorstellungen zum Grunde hat, und denenselben folget. Und so ist denn auch Lügen in Worten und Wercken, wenn beyde aus einem unrichtigen und verkehrten Willen und aus falschen Vorstellungen erwachsen. Denn daß es auch insonderheit thätliche Lügen gebe, solches lehret Johannes, wenn er solcher Menschen gedencket, die da lieb haben und thun die Lügen, Offenbahrung XXII, 15.  
  Dieses voraus gesetzet, so mögen wir nun leicht erkennen, daß die Sünde nichts anders sey, und daß sie auch nichts anders gebähre als Lügen; so wohl bey dem Teufel als auch bey den sündigen Menschen. Die Sünde ist eine Abweichung von der Wahrheit, und setzet eine lügenhaffte und gantz verkehrte Vorstellung von GOtt und der Creatur zum Grunde. Sie machet GOtt gantz anders als er ist; und die  
  {Sp. 12}  
  Creaturen sonderlich den Menschen, stellet sie auch anders vor als sie sind. GOtt muß der Sünden ein Lügner, ein ohnmächtiger, ein unheiliger und ungerechter GOtt seyn. Ja die Sünde läugnet GOtt sein Wesen manchmahl gar ab, und machet GOtt, das ewige und schlechterdings nothwendige Wesen, zu einem Nichts.  
  Die Sünde stellet die Dinge dieser Welt vor, als ob sie GOtt nicht zugehöreten, als ob GOtt keine Regierung dabey hätte, und als ob sie nicht nach GOttes Willen und Ordnung dürfften und müsten gebraucht werden. Die Sünde verblendet den Menschen, daß er sich selbst seine wesentliche Beschaffenheit, auch sein grosses Elend, darinne er lieget nicht erkennet. Sie stellet dem Menschen vor als einen Freyherrn, der in Absicht auf GOtt, vollkommen sein eigener Herr sey, und sich nach demselben nicht richten dürffe; da doch der Mensch als eine Creatur, von dem Schöpffer herstammet, ohne welchem er nichts seyn würde, und daher eine wesentliche und unveränderliche Dependentz von GOtt sich findet, so daß er erst müste aufhören ein Geschöpffe zu seyn, ehe er independent seyn könnte.  
  Durch solche falsche Vorstellungen nun erwecket die Sünde lauter verkehrte Begierden, dadurch die sündige Creatur betrogen wird, und sich selbst in Unruhe setzet und ins Verderben stürtzet. Der Mensch suchet durch Betrug der Sünden sein Vergnügen in solchen Dingen, die da theils an sich selbst veränderlich sind, und daher kein wahres und beständiges Vergnügen geben können; theils auch für die sinnlichen Empfindungen, und nicht eigentlich für die Seele, so ferne sie ein Geist ist, gehören; theils gar ihrer Natur nach nichts anders, als Unordnung der Leidenschafften, Unruhe der Seelen, Mißvergnügen, Angst und Quaal, Zweiffel und Verzweiffelung nach sich ziehen können.  
  Und so bringet die Sünde den Menschen auch zu lügenhaften Wercken, das ist, zu solchen, die sich mit der eigentlichen Beschaffenheit GOttes und der Creatur nicht reimen. Die Sünde verkehrt dem Menschen seinen gantzen Zweck; denn da er zur Gemeinschafft mit GOtt, zum Genusse dieses höchsten Guten, und zu einer daher entspringenden ewigen Glückseeligkeit erschaffen ist; so machet sie dem Menschen ewig unglücklich. Das heisset denn wohl recht, daß der Mensch durch Lüste in Irrthum sich verderbe Ephes. IV, 22.
  Dieses alles, was wir von der Sünde bey dem Menschen angemercket haben, kommt mit dem Sinne und Willen des Teufels, als des Urhebers der Sünde überein. Unser Heyland spricht davon: Ihr seyd von dem Vater, dem Teuffel; und nach euers Vaters Lust wollt ihr thun. Hier setzet der Heyland den Willen des Teufels und den Willen des Menschen zusammen; und lehret, daß das Böse, nach dem Willen des Teufels, durch den Willen des Menschen in der Welt ausgeübet werde.  
  Wir dürffen nur hier das Exempel der Juden, mit welchem Christus redet, zum Beyspiel nehmen. Diese wolten der Wahrheit nicht gehorchen, und suchten daher Christum, weil er mit der Wahrheit in sie hinein drang zu tödten, Joh. VIII, 37. 40. 41. 44.
  Der Teuffel verlangte eben dieses, und gab daher dem Juda Ischarioth ins Hertz, daß er  
  {Sp. 13|S. 20}  
  ihn verrathen solte Joh. XIII, 2.
  Solchergestalt thaten sie nach ihres Vaters Lust, und bewiesen damit, daß sie noch Kinder des Teuffels wären. Wenn nun die Menschen auch noch jetzo nach ihren sündlichen verkehrten Neigungen handeln; so geschiehet solches mit einem solchen Willen, welcher dem Willen des Teuffels ähnlich und gleichförmig ist. Und, weil der Teuffel die ersten Menschen eben um der Ursache willen, daß sie seinem Willen gemäß handeln solten, zu Fall gebracht hat; so kan man mit Recht sagen, daß die Menschen den Willen des Teuffels durch ihren eignen Willen vollbringen, und, daß sie von dem Satan mit seinen Stricken zu seinem Willen gefangen sind; wie der Apostel 2 Timoth. II, 26 redet.
  Wenn man die Frage von dem Ursprunge der Sünde und des Bösen in der Stille erweget, so wird man wohl überzeuget seyn können, daß man die Quelle davon nicht in GOtt suchen müsse. Aber die Menschen sind sehr geneigt, die Schuld des Bösen und der Sünde, von sich ab und auf GOtt zu weltzen. Sie zeigen auch in diesem Stücke, daß sie den Sinn der ersten Eltern nach dem Sündenfall an sich haben. Keiner von beyden wolte die Schuld des Abfalles auf sich sitzen lassen; und Adam, da er antwortete: das Weib, das du mir zugesellet hast, gab mir von dem Baume, und ich aß; gar nicht undeutlich zu verstehen, daß er GOtt selbst gerne die Schuld seiner Sünden beymessen wolle, weil er ihm ein solch verführerisches Weib gegeben hätte.  
  Diesen Weg wollen die Menschen noch biß auf diese Stunde gerne einschlagen. Sie wollen wohl böse seyn und böses thun; aber sie wollen das Ansehen nicht haben, als ob das Böse von ihnen herrührete, sondern GOtt soll hier der Abnehmer seyn. Daher wäre wohl nöthig, daß wir die Einwürffe, welche die Menschen in dieser Sache zu machen pflegen, kürtzlich beleuchteten. Alleine, da selbige hauptsächlich den geschehenen Sündenfall der ersten Eltern betreffen, so verweisen wir den Leser auf den Artickel Sünden-Fall.  
     

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HIS-Data 5028-41-1-7-01: Zedler: Sünde [1] HIS-Data Home
Stand: 24. August 2016 © Hans-Walter Pries