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Quellenangaben |
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Sünde, Peccatum, ist nichts anders als eine
Abweichung einer
vernünfftigen Creatur von dem
moralischen
Gesetze, wie auch
Johannes
dieselbe 1 Brief Cap. II, 4. in seiner
Sprache
beschreibet. Denn wenn es im Deutschen heisset:
Der Sünde thut, der thut auch Unrecht, und die
Sünde ist das Unrecht; so heisset es nach dem
Griechischen eigentlich: Wer Sünde thut, der thut
etwas, dadurch er von dem Gesetze abweicht;
denn die Sünde ist eine Gesetzlosigkeit, oder
Abweichung vom Gesetze. |
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Je grösser und wichtiger nun das Gesetz ist,
desto grösser und wichtiger ist auch die
Abweichung. Weil nun aber der
Mensch auf
verschiedene Weise vom Gesetze abweichen kan,
entweder nach sei- |
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{Sp. 2} |
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ner innern Beschaffenheit, da er anders
beschaffen ist, als er nach dem
Willen GOttes
seyn
solte, oder auch nach seinem
würcklichen
Sinne,
Willen,
Begierden, Geberden,
Worten und
Wercken, da er entweder so gesinnet ist und
thut,
als er nicht gesinnet seyn oder thun solte; oder
auch nicht so gesinnet ist, und thut, als er
billig
seyn und handeln solle; so sind auch
verschiedene
Arten und Classen der Sünde,
davon weiter unten Erwehnung geschehen
wird. |
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Benennungen |
Was die verschiedenen
Benennungen der
Sünde in den heiligen Sprachen betrifft, so haben
wir von denselben absonderlich Dreye zu
bemercken, welche in der
Hebräischen Sprache
sind: [zwei Wörter Hebräisch] und [ein Wort
Hebräisch]; und mit denen in der
Griechischen harmatia, parabasis, und
adikia oder athemis
übereinstimmen. |
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Wenn diese Benennungen in heiliger Schrifft
in einem Texte zusammen zu stehen kommen, so
können sie nicht alle von der Sünde überhaupt
verstanden werden; sondern eine jede
bedeutet
entweder eine besondere Art der Sünde, oder es
werden dadurch die verschiedenen Stuffen
derselben angezeiget. |
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Auf diese Weise bedeutet [ein Wort
Hebräisch] eine solche Sünde, wenn man von
dem abweichet, wozu uns
GOTT beruffen hat und
anhält, und stimmet mit demselben das
Griechische Wort hamartia überein; [ein Wort
Hebräisch], wenn der Mensch auch so gar die
Verbote des Gesetzes überschreitet, und
gleichsam mit aufgehabner Hand sündiget,
welches ebenfalls das Griechische |
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{Sp. 3|S. 15} |
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Wort parabasis anzeiget; [ein Wort Hebräisch]
endlich, welches mit dem Griechischen adikia
oder athemis, einerley Bedeutung hat, zeiget eine
gäntzliche Verkehrung des Menschen an, da
derselbe so tief in die herrschenden Sünden
hineingeräth, daß er nichts anders als sündigen
kan. |
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Der
Jüdische Lehrer
Kimchi machet unter den
Hebräischen Wörtern diesen
Unterscheid, daß
[ein Wort Hebräisch] die Sünden der Kindheit und
Jugend, [ein Wort Hebräisch], die Sünden, welche
man von dem 20sten
Jahre an begehe, [ein Wort
Hebräisch] aber die grössesten Bosheits-Sünden
bedeuten soll. |
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Schädlichkeit und Schändlichkeit |
Von der heßlichen
Gestalt der Sünde, welche
sich in der
Natur derselben äussert, und von
derselben Schädlichkeit, wird man gar leichte
überzeuget werden, wenn man erweget, daß
dieselbige mit den
Göttlichen
moralischen
Eigenschafften, mit der Heiligkeit, Gerechtigkeit,
Weisheit, Güte und
Wahrhafftigkeit, streite, und
daß also in derselben etwas unreines, thörichtes,
schädliches, und lügenhafftes verborgen
liege. |
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Die Sünde streitet mit der Heiligkeit GOttes.
Die Heiligkeit liebet nichts, will nichts, und
thut
nichts, als was gut ist. Die Sünde aber machet,
daß der Mensch lieber will und thut, was
böse ist.
GOtt
spricht: Ihr solt heilig seyn, denn ich bin
heilig. |
1 Petr. I, 15. 16. |
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Die Sünde machet, daß der
Mensch von
diesem schönen Muster abweichet. Die Heiligkeit
GOttes ist seine Reinigkeit und Lauterkeit. Die
Sünde machet also den Menschen unlauter und
unrein in den Augen GOttes. Die Sünde streitet
mit der Göttlichen Gerechtigkeit, und es lieget in
derselben eine grosse
Unbilligkeit verborgen.
Gerechtigkeit und
Billigkeit erfordern, daß einem
jeden das Seine zugetheilet werde. Es ist nichts
billiger, als daß der Mensch seine Dependentz
von GOTT
erkenne und bekenne, und sich nach
GOTT, als dem höchsten und vollkommensten
Wesen, richte. |
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Die Sünde macht, daß der Mensch seine
Dependentz von GOtt aus den Augen setzt; sie
macht, daß der Mensch sich selbst, oder die
Creatur ausser ihm, über GOtt setzet, und ihr
dasselbige zueignet, was dem Schöpffer allein
gebühret; so ist denn in der Sünde lauter
Ungerechtigkeit und Unbilligkeit. Die Sünde
weichet ab von den
Gesetzen und
Regeln der
höchsten Weisheit; so ist denn in der Sünde lauter
Narrheit und Thorheit. |
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So offt der Mensch sündiget, und von der
Göttlichen
Ordnung auf einige Weise abweichet;
sooft will er weiser und
klüger seyn als GOtt: aber
eben dadurch
beweiset er, daß er den
Nahmen
eines Narren verdiene. Die
wahre
Weisheitt
bestehet darinnen, daß man erlaubte und
hinlängliche Mittel
erwählet und
gebrauchet, um
zu einem guten und anständigen
Zweck zu
gelangen. Die Sünde machet den Menschen blind,
daß er nicht einsiehet noch erweget, was sein
eigentlicher, und einer
vernünfftigen Creatur
anständiger Zweck sey. Sie machet, daß der
Mensch nur seine Augen auf das zeitliche und
vergängliche Wesen der
Welt richtet, nicht aber
die Gemeinschafft mit GOtt dem höchsten Gute,
und also die ewige Seeligkeit sein Augenmerck
seyn lässet. |
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Die |
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{Sp. 4} |
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Sünde führet den Menschen von den rechten
Mitteln ab, zu einem wahren Vergnügen zu
gelangen; und giebet ihm dagegen gantz
verkehrte und unhinlängliche Mittel an die Hand.
Der Mensch suchet ein wahres Vergnügen, und
weichet doch von GOtt, als dem einigen
Grunde
aller Seeligkeit, ab. Der Mensch verlanget ein
beständiges Vergnügen, und sucht es doch in den
nichtigen und vergänglichen
Dingen dieser Welt.
Und so hat die
heilige Schrifft
vollkommen recht,
wenn sie einen Sünder mit dem Nahmen eines
Thoren und Narren beleget. |
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Die Sünde streitet ferner mit der Göttlichen
Güte, welche sich in den
guten und
nutzbaren
Gesetzen
GOttes äussert. So ist denn in der
Sünde etwas schädliches, und es lieget in
derselben eine grosse Unbarmherzigkeit, die der
Mensch nicht nur gegen andere, sondern auch
gegen sich selbst
beweiset. Die Göttlichen
allgemeinen und besondern Gesetze ziehlen alle
auf der vernünfftigen Creaturen, und insonderheit
der Menschen wahres Beste. Von diesen ziehet
die Sünde den Menschen ab. Sie ziehet ihn ab
von GOtt, dem höchsten gut, und hindert den
Menschen an seiner seeligen Gemeinschafft. Sie
macht, daß der Mensch sein eigen wahres Wohl
aus den Augen setzet,
Leib und
Seele verdirbet,
und also wider sich selbst, als ein unsinniger
Mensch wütet und tobet. |
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Die Sünde bringet den
Menschen dahin, daß
er lauter solche Dinge thut und
thun
muß, dadurch
er immer weiter von dem guten
Sinne GOttes
abgeführet und in das Verderben gestürtzet wird.
Kein Tyrann kan mit einem Menschen so
unbarmhertzig umgehen, als ein Sünder mit sich
selber thut. Jener schändet und verderbet etwa
eines andern Leib; dieser aber schändet und
verderbet auch noch dazu seine eigene
Seele. |
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Die Sünde streitet endlich auch mit der
Wahrhafftigkeit, und hat etwas lügenhafftes und
widersprechendes in sich. Der Mensch dependiret
als eine Creatur von GOTT, und diese
Dependentz ist ihm
wesentlich eigen, so, daß
auch der Schöpffer selbst ihm dieselbe nicht
erlassen kan. Es ist und bleibet dieses eine ewige
und unveränderliche
Wahrheit, und ist
schlechterdings
unmöglich, daß etwas eine
Creatur, und doch zugleich independent seyn
solte. |
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Gleichwohl
will die Sünde doch als
möglich,
ja als
würcklich
vorstellen, was doch an sich
selbst unmöglich ist, und daher auch niemahls
würcklich werden kan. Denn, ist es
schlechterdings unmöglich, daß der Mensch
independent seyn könne, so wird er auch
niemahls würcklich independent werden; er ist und
bleibet so lange dependent von GOtt, als er eine
Creatur ist und bleibet, er mag sich auch
vorstellen und machen was er will. Daraus ist
offenbahr, daß die Sünde eine pure Lügen sey,
und daß der Sünder den
Nahmen eines Lügners mit
Recht
verdiene, |
siehe Joh. VIII, 44. |
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Die Sünde bringet den Menschen dahin, daß
er sich nicht nach GOtt zu richten begehret. So
lieget denn in der Sünde eine tätliche Verläugnung
GOttes. Durch die Sünde wird die
Oberherrschaftliche
Macht und
Gewalt
GOttes |
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{Sp. 5|S. 16} |
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geläugnet; als ob GOtt dem Menschen nichts
zu
sagen hätte, oder, als ob es nichts zu
bedeuten
hätte, wenn GOtt schon dem Menschen Gesetze
vorschriebe; der Mensch könne doch
thun, was er
wolle und die Göttlichen Gesetze blieben ohne
allen Nachdruck. Dieses ist in der
That nichts
anders als GOtt selbst verläugnen. |
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Ist
GOtt gar nicht des
Menschen
Herr,
dependiret der Mensch in keinem Stücke von
GOtt, so ist GOtt auch kein Schöpffer, und ist
folglich auch kein GOtt. Daher
sprechen auch die
Thoren, die da ein Greuel sind mit ihrem
Wesen,
und um GOttes willen nichts gutes thun, in ihrem
Hertzen: Es ist kein GOtt. |
Ps. XIV, 1. |
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Und wenn ein solcher Mensch auch einen GOtt mit seinem Munde bekennet, so
verläugnet der Sünder es doch mit seinen
Wercken |
1 Tit. I, 14. |
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Weil die Sünde den Menschen dahin bringet,
daß er sich nicht nach GOtt zu richten begehret;
so ist die Sünde nichts anders als eine
Abweichung von GOtt, dem höchsten
Gut und
insonderheit von seinen
Moralischen
Eigenschafften der Heiligkeit,
Gerechtigkeit,
Weisheit, Güte und
Wahrhafftigkeit; und folglich
von dem ewigen und unveränderlichen
Gesetze
welches in GOtt selbst ist. |
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So ist es demnach
unmöglich, daß die Sünde
etwas wahrhafftig gutes seyn, oder den Menschen
zu einem wahrhafften Guten bringen könnte. Die
Sünde muß
nothwendig den
gantzen
Zustand des
Menschen in
Zeit und Ewigkeit verschlimmern,
indem sie den Menschen von demjenigen, was
wahrhafftig gut ist, von der Heiligkeit,
Gerechtigkeit, Weisheit, Güte und Wahrhafftigkeit
abführet. Und diß ist die
Ursache warum die
Sünde an sich selbst, und in dem
allereigentlichsten
Verstande
böse ist, daraus
niemahls vor sich selbst etwas Gutes heraus
kommen kan. |
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Das Gesetz, welches sich auf den besondern
wesentlichen Zustand des Menschen schicket,
will, daß der Mensch mit seinem
Verstande recht
untersuchen und beurtheilen soll, was seine
Sinne
ihm
vorstellen, und daß sein
Wille die sinnlichen
Neigungen und
Begierden
regieren und in Zaum
halten solle, damit die rechte
Ordnung in dem
Menschen verbleibe, und die sinnlichen
Vorstellungen und Begierden von dem Verstand
und Willen, nicht aber diese von jenen
dependiren. |
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Die Sünde aber kehret das unterste zu
oberst. Was die sinnlichen
Vorstellungen den
Menschen als gut antragen, solches nimmt der
Mensch ohne gehörige Prüfung schon vor bekannt
an, und geräth darüber
nothwendig in
unordentliche Neigungen und Begierden, worauf
unordentliche und sündliche
Handlungen
erfolgen. |
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Man kan hiervon leicht überzeuget werden, wenn man nur auf sein eigen und anderer
Thun
ein wenig Achtung geben wird. Zum
Exempel, es
kommt ein Mensch iemanden unvermuthet zu
Gesichte, von welchem er
weiß, daß er
nachtheiliges von ihm
gesprochen; er
erinnert sich
dessen in dem Augenblicke, und sogleich geräth
er in Zorn, und leget Hand an diesen Menschen.
Nachdem nun die That vollbracht ist kommt er
zum Nachdencken, und erweget, was er gethan
habe, und was daraus entstehen könne. Und so
fängt er an seine eigene That zu mißbilligen, und
zu wünschen, daß es nicht möchte geschehen
seyn. Aus diesem |
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{Sp. 6} |
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Exempel siehet man klar; daß ein solcher
Mensch seine sinnlichen Vorstellungen nicht
gehörig in seinen Verstand eingeführet, und sie
durch denselben beurtheilet habe, sondern daß
durch seine wiedrige sinnliche Vorstellungen, so
gleich seine sinnlichen Neigungen und Begierden
sind gereitzet, und daß er dadurch zugleich zur
Thätlichkeit sey gebracht worden. |
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Denn wenn er das gleich anfangs erwogen
hätte, was ihm zuletzt die Überlegung seines
Verstandes an die Hand gegeben hat; so würde
es zu der verübten
That nicht kommen seyn. Er
hätte anfänglich eben so wohl als zu letzt, seinen
Verstand zu rathe ziehen können und
sollen; weil
er aber die untersten
Kräffte der
Seele, die
sinnlichen
Vorstellungen und
Begierden, den
obern Kräfften, dem Verstand und
Willen hatte
vordringen lassen; so ist nicht zu verwundern, daß
auf eine solche Unordnung, die in der Seele
vorgegangen ist, auch eine
unordentliche und
verkehrte That nothwendig hat erfolgen
müssen. |
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Wenn es nun aber
Menschen also machen,
daß sie allein nach ihren sinnlichen Vorstellungen
und Begierden handeln, und dieselbe zum
Regel-Maaß ihres
Thuns und Lassens
gebrauchen; thun
sie denn wohl als
vernünfftige Menschen? oder
handeln sie nicht vielmehr nur als unvernünfftige
Thiere? und so verursacht die Sünde, wenn sie
den Menschen von dem rechten Gebrauch des
Verstandes und
freyen Willen abziehet, und die
Seelen-Kräffte zu Sclaven und
Unterthanen der
sinnlichen Vorstellungen und Begierden machet,
daß der Mensch in der That gleichsam zu einem
unvernünfftigen Thiere wird. |
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Die Sünde richtet in der menschlichen
Gesellschafft eine grosse Verwirrung an, weil sie
eine Abweichung von den
Göttlichen besondern
Gesetzen ist, welche hauptsächlich auf die
äusserlichen
Umstände der menschlichen
Gesellschafft gehen. Man
stelle sich nur vor, wie
es unter den Menschen aussehen würde, wenn
die
Eltern sich nicht um ihre
Kinder bekümmern
solten, noch die Kinder nach ihren Eltern fragen
dürfften; wenn keine
Ordnung des
Ehestandes
wäre, sondern die Menschen
Freyheit
hätten,
nach eigenem Gefallen zusammen zu lauffen;
wenn ein ieglicher befugt wäre, sobald es ihm
gelüste, seines
Lebens, oder auch seiner
Güter zu
berauben, würde solches nicht eine feine
Haußhaltung geben? und würde wohl die
menschliche Gesellschafft dabey bestehen
können? Und was würde unter den Menschen
daraus werden, wenn sie das öffentliche
Andencken, welches sie an einem
GOtt und HErrn
über sich haben, und auf den sie bey ihren
Verfahren unter einander sehen
müssen,
gantz
und gar aufheben
wolten. Hieraus ist denn klar,
was die Sünde, auch in der menschlichen
Gesellschafft für eine Verwirrung anrichte. |
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So viel nun die Menschen sich
Freyheit
zu
sündigen heraus nehmen, oder heraus nehmen
dürffen; so viel Zerrüttung wird in dem
gemeinen Wesen angerichtet. Das
Gesetze
will, daß wir alle
Dinge in ihre gehörige
Ordnung, so, wie es eines
ieglichen wesentliche Beschaffenheit erfordert,
setzen sollen. So stehet der Schöpffer oben an;
und so dann folget unter den sichtbaren Creaturen
der Mensch, |
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{Sp. 7|S. 17} |
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und endlich die übrigen sichtbaren
Geschöpffe, und zwar diese wiederum nach ihren
verschiedenen Classen, nachdem eine derselben
mehr
Vollkommenheit hat, und einen grössern
Nutzen gewähret, als die andere. Die Sünde
lässet denn auch hier nichts in seiner gehörigen
Ordnung, sondern kehret das unterste zu oberst.
Und so handelt der Mensch wieder das ewige
Gesetze, welches wir in GOtt selbsten finden, und
nach welchem sich GOtt in Hervorbringung der
Geschöpffe gerichtet hat. |
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Die unvernünfftige und leblose Creatur auf
dem
Erdboden, stehet, wie gedacht, nicht nur unter
GOtt, sondern auch unter dem Menschen. Wenn
nun der Mensch gedachte Creaturen entweder
über GOtt, oder neben GOtt, oder gar an GOttes
Stelle setzet; so kehret er das unterste zu oberst.
Das letztere haben einige
Heyden
gethan, die aus
der Creatur selbsten
GOtt gemacht haben. Das
erstere thun alle diejenigen, welche die Creatur
mehr, wenigstens eben so viel
lieben, als
GOtt. |
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Nicht weniger verkehrt handeln auch
diejenigen, welche unvernünfftige und leblose
Geschöpffe, über sich selbst und andere
Menschen setzen. Wie mancher Geitzhalß macht
sich seinem Mammon gäntzlich zum Sclaven, und
thut lieber seinem
Leibe schaden, als, daß er zu
seinem nöthigen Unterhalt und Erquickung ein
Stück
Geld anwenden solte? Nicht zu gedencken,
daß mancher Mensch Geld und
Gut viel höher
schätzet als seine eigene
Seele; indem er
dieselbe in die Schantze schläget, nur, damit er
Geld und Gut gewinnen möge. Dabey er denn des
Ausspruchs Christi gantz und gar vergisset. Was
hülffe dem Menschen, wenn er die gantze Welt
gewönne, und nähme doch
Schaden an seiner
Seele, |
Matth. XVI, 25. |
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Nicht besser machen es andere, die da
unvernünfftige und leblose Creaturen ihrem
Nächsten vorziehen, und demselben offte so
mitspielen, daß sie dergleichen nicht an ihrem
Hunde und Pferde thun würden; oder die im
Gegentheil diejenige Vorsorge oder
Liebe an
einem Menschen nicht
beweisen wollen, die sie
doch einem unvernünfftigen Thiere zu erzeigen
kein Bedencken tragen. GOtt hat den Menschen
die übrigen sichtbaren Creaturen zum
Dienst
gegeben; und also sollen sie zum Nutzen und zum
Verderben
gebrauchet werden. |
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Wenn nun alle diese
Dinge nicht zum
wahren
Dienste seiner selbsten oder anderer angewendet
werden; so wird abermahls wieder den
Zweck,
welchen GOtt bey der Schöpffung solcher Dinge
gehabt hat, gehandelt, und folglich wird die
Ordnung der Creaturen verkehret. |
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Erlangung |
Da wir nun die Sünde nach Schändlichkeit
und Schädlichkeit sattsam abgebildet haben; so
müssen wir hier vor allen Dingen fragen, wie ist
denn der Mensch zu der Sünde gekommen?
Dieses nun ist geschehen durch den Sündenfall
der ersten
Eltern, davon ein besonderer
Artickel
folget. |
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Ursachen der Sünden |
Vorjetzo gehen wir zu den
Ursachen der
Sünden, welche
unmöglich
GOtt seyn kan, so
gerne auch die
Menschen dieselbe auf ihn bringen
wolten. GOtt hat einen solchen
Verstand, welcher
alle mögliche
Dinge und
Wahrheiten auf einmahl
einsiehet. Dieser Verstand leidet also niemahls
einige Blindheit oder Finsterniß, daß er nicht
unveränderlich alle Dinge ihrer innern |
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{Sp. 8} |
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Natur und Beschaffenheit nach aufs
allerdeutlichste und eigentlichste
erkennen, oder
sich auch im geringsten eine
falsche
Vorstellung
wovon machen
solte. Daher Jacobus
schreibet:
Bey ihm ist keine Veränderung, noch Wechsel des
Lichts und der Finsterniß |
Cap. I, 17. |
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Da nun durch die Vorstellung des
Guten der
Göttliche Wille geneiget und
beweget wird; und
GOtt das Gute, als gut, und das
Böse, als böse,
ohne allen Fehl erkennet; so ist es nicht möglich,
daß sein Wille iemahls solte geneiget und
beweget werden können, das Böse zu lieben und
zu billigen. Vielmehr träget er von dem, was
eigentlich Böse ist, eine wesentliche, ewige und
unveränderliche Abneigung, und also auch an
demselben einen recht ernstlichen Haß, welcher
seiner wesentlichen Liebe zum Guten und seiner
vollkommenen Heiligkeit und Gerechtigkeit gemäß
ist. |
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GOtt ist das höchste Gut. Von dem Guten, so
ferne es gut ist, kan nichts Böses herkommen.
Denn das Gute stehet mit dem Bösen in einem
geraden
Wiederspruch. Wie solte denn das
höchste Gut als ein
Ursprung
des Bösen können angesehen werden? Sonst
müste
GOtt aufhören GOtt zu seyn; das höchste Gut müste zugleich
böse seyn; die höchste
Vollkommenheit müste
unvollkommen seyn; das wiederspricht sich aber
selbst, und ist dahero schlechterdings
unmöglich. |
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Die Beschaffenheit des Göttlichen Wesens,
ist das ewige und unveränderliche
Gesetz, nach
welchem sich die
vernünfftigen Creaturen richten
müssen, und nach welchem GOtt, weil er mit sich
selber in keinen Wiederspruch stehet, noch
stehen kan, sich auch selbst richtet. Dieses
Gesetze gehet auf nichts als lauter Gutes. Was
mit demselben nicht übereinkommt, ist Böse und
Sünde. So müste denn GOtt entweder mit sich
selbst nicht übereinstimmen, oder es ist
unmöglich, daß in GOtt der
Grund des Bösen und
der Sünde statt finden solte. |
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GOtt hat durchs Gesetz und die Offenbarung
seines
Willens, in der
Natur so wohl als auch in
der
heiligen Schrifft, die Sünde verboten. Selbst in
Absicht auf die
Heyden
schreibet Paulus:
GOttes
Zorn vom Himmel wird offenbaret, über alles
gottlose Wesen, und Ungerechtigkeit der
Menschen, die die Wahrheit in Ungerechtigkeit
aufhalten |
Röm. I, 18. |
|
GOTT
bestraffet das
bösenund zwar nicht
zum Schein, sondern ernstlich. Wie
solte nun der
Ursprung desjenigen, was seinem ewigen
unveränderlichen Gesetze zu wieder ist, worüber
er zürnet, was er hasset, was er bestraffet, ihm
selbsten können zugeschrieben werden? Käme
das Böse von ihm her, so könnte er es unmöglich
mißbilligen, verabscheuen, bestraffen; denn es
wäre seine eigene Ausgeburt, seine eigene
Erfindung. Und so würde GOtt mit ihm selber in
einem solchen Streite stehen, daß er, wenn er das
hassen wolte, was von ihm selbst herrühret, sein
eigner und ärgster Feind werden müste. Denn
was könnten die armen Creaturen davor, daß er
ihnen Ursprünglich das Böse beybrächte, welches
sie doch nicht verhindern könnten, sondern von
ihm nach seinem Gutbefinden und Wohlgefallen,
und nach seiner
Würckung annehmen
müsten.
Wollen wir nun auf unserm GOtt nicht ein solches
mit sich selbst in beständiger |
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{Sp. 9|S. 18} |
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Uneinigkeit lebendes Ungeheuer machen; so
müssen wir ihn von der Ursache des Bösen und
der Sünde schlechterdings frey sprechen. |
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Weil die
Menschen bey dieser wichtigen
Sache so sehr geneigt sind, Steine des
Anstossens zu suchen, und dieselben sich und
andern in den Weg zu legen; so müssen wir
vorher, ehe wir auf den eigentlichen
Ursprung des
Bösen weiter fort gehen, einem Einwurff
begegnen. Einige wollen nehmlich auf die
Gedancken gerathen, als ob an sich selbst nichts
gut oder böse sey; sondern es werde nur erst gut
oder böse bey dem Menschen, und zwar nur allein
daher, weil
GOtt etwas für gut oder böse erkläret
habe; da im Gegentheil GOtt nach seinem freyen
Willkühr, und nach seiner unumschränkten
Macht
und
Gewalt, wenn er
gewolt, auch wohl das, was
jetzo gut ist für böse, und das, was jetzo böse ist,
für gut hätte erklären können. |
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Ihre
Meynung gehet dahin, daß wenn GOtt
auch gleich etwas
würcken oder mit
Fleiß
veranlassen
solte,
was um des Göttlichen
Gesetzes
Willen bey den Menschen böse sey, so
sey doch solche
Würckung oder Veranlassung
bey GOtt nicht böse, indem er an dasjenige
Gesetze, woran er die Menschen
verbunden habe
selbst nicht gebunden sey. Jedoch ausserdem,
daß in GOtt gar keine solche Gleichgültigkeit statt
findet, daß es ihm in allen Stücken gleich viel sey,
ob er seinen
Willen auf dis oder jenes lencke, und
als ob er, wenn er das eine will, allemahl eben so
leichte das Gegentheil wollen könne; so kan zwar
nicht geläugnet werden, daß nicht manche
Göttliche Gesetze solche
Dinge betreffen solten,
die an sich selbst weder gut noch böse sind,
sondern um des Göttlichen Verbotes willen erst für
sündlich und böse angesehen werden können,
dergleichen die besondere dem
Jüdischen
Volcke
gegebenen Gesetze sind. |
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Allein es ist gantz
falsch, als ob
schlechterdings nichts an sich selbst gut oder
böse sey, sondern als ob erst etwas durch den
blossen Göttlichen Willen gut oder böse werde. Es
fragt sich nehmlich: ist denn auch das Göttliche
Wesen an sich selbst weder gut noch böse? Ist es
etwa nur deßwegen gut weil GOtt will, daß es gut
seyn soll; da im Gegentheil, wenn er wolte, daß es
böse seyn solte, so würde es böse seyn? Es ist
nicht zu glauben, daß ein eintziger
vernünfftiger
Mensch, zumahl wenn er das Wort GOttes gelten
lässet, diese beyden Fragen bejahen werde.
Wohlan, so ist denn der
Satz, als ob an sich selbst
nichts gut oder böse sey, schon nicht allgemein.
Man muß doch vors erste zugestehen, daß das
Göttliche Wesen an sich selbst gut sey. |
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Nun fragt sichs weiter: warum ist denn das
Göttliche Wesen an sich selbst gut? Die Antwort
wird
nothwendig seyn müssen: das Göttliche
Wesen sey um seiner
wesentlichen
Vollkommenheiten an sich selbst gut. Welches
sind denn seine wesentlichen Vollkommenheiten?
Man muß nothwendig antworten: die Göttlichen
Eigenschafften. Weil denn nun also das Göttliche
Wesen, und die Göttlichen Eigenschafften, an sich
selbst gut sind; ist es wohl
möglich, daß GOtt sich
selbsten solte hassen wollen? und ist es wohl an
sich selbst gleich viel, ob GOtt sich selber hasse
oder liebe? |
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In Fall man dieses nicht bejahen kan, wie
man es denn nicht wird bejahen |
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{Sp. 10} |
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können; so muß man nothwendig
zugestehen, daß in GOtt eine ewige und
unveränderliche
Neigung sey, sich selbst als das
höchste
Gut über alles zu lieben, und, daß diese
Neigung nichts gleichgültiges in sich fasse?
sondern daß dieselbe an sich selbst und ihrer
Natur nach gut sey, und daß GOtt daher von
dieser Neigung niemahls abweiche, noch
abweichen könne. |
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Hieraus folget denn nun daß wenn eine
vernünfftige Creatur, GOtt, als das höchste Gut,
über alles liebet, solches eine an sich selbst gute,
richtige und
billige Neigung sey, und eine solche
Tugend, die nicht erst wegen des blossen
Göttlichen Willens gut und eine Tugend wird,
sondern welche ihrer Natur nach schon gut und
eine Tugend ist, und eben deßwegen von dem
Menschen gefordert wird. Es ist nehmlich ein ewig
wahrer und unveränderlicher Satz: Das höchste
Gut muß über alles geliebet werden; und ist daher
nicht möglich, daß GOtt seinen Willen auf das
Gegentheil solte richten, und es für was gutes und
eine Tugend erklären können, wenn eine
vernünfftige Creatur ihn nicht über alles liebet,
sondern vielmehr hasset. |
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Solte aber nun GOtt dennoch den Haß gegen
sich selbst, und die Abweichung von GOtt dem
Gute in der vernünfftigen Creatur
würcken, oder
mit Fleiß veranlassen; so würde GOtt etwas
würcken oder veranlassen, nicht, was an sich
selbst gleichgültig, sondern was an sich selbst
unrecht und böse wäre; und so würde er auf
solche Weise selbst nicht gut bleiben, sondern
böse werden, und von dem was ewig, recht und
gut ist abweichen. Und so hätten wir denn an dem
einigen Göttlichen Wesen einen guten und gleich
einen bösen GOtt; welches eine solche Lästerung
ist, welche die Lehre der Manichäer weit
übersteiget, als welche doch noch einem
besondern ewigen Ursprung des Bösen gelehret
haben, damit sie das Böse dem guten GOtt nicht
zuschreiben dürfften. |
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Doch gesetzet, es wären die Göttlichen
Gesetze nur allein willkührliche Gebote, und
beträffen lauter solche Sachen, die an sich selbst
weder gut noch böse wären, und also um des
Göttlichen Gebotes oder Verbots willen nur erst
gut und böse würden. Wenn man nun dabey
voraus setzen wolte, GOtt hätte auf die
Übertretung solcher Gebote die
Straffe der ewigen
Verdammniß gesetzet; er hätte aber mit Fleiß
solche Übertretung bey den Menschen
veranlasset, damit er nur Gelegenheit haben
möchte, seine Gerechtigkeit zu
beweisen,
und die Übertreter mit der ewigen Verdammniß anzusehen; was für ein verkehrtes
und erschreckliches Bild würde da nicht von GOtt
heraus kommen? |
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Man würde es einem
Regenten für eine
grosse Bosheit anrechnen, wenn er jemanden
selbst mit Fleiß verleitete, wider die Gesetze zu
sündigen, damit er ihn nur nach seinem Gefallen
bestraffen könne. Von einem gottlosen
Heydnischen
Kayser
Tiberio lieset man wohl, daß
er seinen vornehmsten
Bedienten,
Sejanum, unter
dem Vorwand habe hinrichten lassen; als ob er
wieder des Germanici
Söhne Meuterey
angestifftet hätte; da er doch selbst diesen
Sejanum eben deßwegen zu hohen
Ehren
erhoben hatte, daß er durch denselben gedachten
Söhnen des Germanici desto besser auf den
Dienst lauern, und selbige aus dem |
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{Sp. 11|S. 19} |
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Wege räumen könnte. Nicht minder, daß er
dieses Sejani
Tochter mit
Gewalt habe schänden
lassen, damit er sie nur im Gefängniß ums
Leben
könnte bringen lassen, weil es die damahligen
Gesetze nicht zu liessen, daß eine unberührte
Jungfrau im Gefängniß
sterben
solte. Es sey aber
ferne, eben dergleichen Verfahren dem gerechten
und heiligen GOtt zuschreiben
wollen. |
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Solchergestalt können und dürffen wir denn
den
Ursprung der Sünde nirgends anders, als bey
den
vernünfftigen Creaturen suchen. Dieses lehret
uns auch die
heilige Schrifft. Wir würden von dem
ersten Fall der Menschen nichts rechts
wissen,
viel weniger würde uns von dem
vorhergegangenem Falle einiger Engel etwas
gewisses bekannt seyn; wenn uns von beyden
nicht die heilige Schrifft eine
Unterweisung
gegeben hätte. Aus der Beschreibung des Falles
der ersten
Eltern von Mose ist offenbar, daß sich
die Sünde und das
Böse nicht zu erst bey den
Menschen angesponnen habe, sondern, daß sie
dazu von dem Teufel sind verleitet worden; so
wird uns denn dieser als der erste Urheber der
Sünde dargestellet. Unser Heyland
spricht davon
also: |
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Ihr seyd von euerm Vater dem Teufel, und
nach euers Vaters Lust wollet ihr thun, derselbe ist
ein Mörder vom Anfang, und ist nicht bestanden in
der Wahrheit, denn die Wahrheit ist nicht in ihm.
Wenn er die Lügen redet, so redet er von seinem
eignen, denn er ist ein Lügner, und ein Vater
derselben, |
Joh. VIII, 44. |
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Wollen wir einen kurtzen Auszug dieser
Worte haben, so giebet uns
Johannes denselben
1 Epist. III, 8. Wer Sünde thut, der ist vom Teufel;
denn der Teufel sündiget vom Anfang. |
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Wenn wir diese Worte mit den Worten Christi
vergleichen; so
nennet jener Sünde, was unser
Heyland durch Lügen ausdrucket. Denn wenn
Christus spricht: Der Teufel ist ein Lügner vom
Anfang; so heißt es beym Johanne: Der Teufel
sündiget vom Anfang. Die Lügen können wie die
Wahrheit, im
Verstande, im
Willen, in Worten und
in
Wercken seyn. Im Verstande ist Lügen, wenn
die
Vorstellung des Verstandes mit der
Beschaffenheit der
Sache selbst nicht überein
kommt. Weil nun durch die Vorstellungen des
Verstandes der Wille geneiget wird; so ist denn
auch Lügen im Willen, wenn derselbe unrichtige,
falsche und verkehrte Vorstellungen zum
Grunde
hat, und denenselben folget. Und so ist denn auch
Lügen in Worten und Wercken, wenn beyde aus
einem unrichtigen und verkehrten Willen und aus
falschen Vorstellungen erwachsen. Denn daß es
auch insonderheit thätliche Lügen gebe, solches
lehret Johannes, wenn er solcher Menschen
gedencket, die da lieb haben und thun die
Lügen, |
Offenbahrung XXII, 15. |
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Dieses voraus gesetzet, so
mögen wir nun
leicht
erkennen, daß die Sünde nichts anders sey,
und daß sie auch nichts anders gebähre als
Lügen; so wohl bey dem Teufel als auch bey den
sündigen Menschen. Die Sünde ist eine
Abweichung von der Wahrheit, und setzet eine
lügenhaffte und gantz verkehrte Vorstellung von
GOtt und der Creatur zum Grunde. Sie machet
GOtt gantz anders als er ist; und die |
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{Sp. 12} |
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Creaturen sonderlich den
Menschen, stellet
sie auch anders vor als sie sind. GOtt muß der
Sünden ein Lügner, ein ohnmächtiger, ein
unheiliger und ungerechter GOtt seyn. Ja die
Sünde läugnet GOtt sein
Wesen manchmahl gar
ab, und machet GOtt, das ewige und
schlechterdings nothwendige Wesen, zu einem
Nichts. |
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Die Sünde stellet die
Dinge dieser
Welt vor,
als ob sie GOtt nicht zugehöreten, als ob GOtt
keine
Regierung dabey hätte, und als ob sie nicht
nach
GOttes Willen und
Ordnung dürfften und
müsten
gebraucht werden. Die Sünde verblendet
den Menschen, daß er sich selbst seine
wesentliche Beschaffenheit, auch sein grosses
Elend, darinne er lieget nicht
erkennet. Sie stellet
dem Menschen vor als einen
Freyherrn, der in
Absicht auf GOtt,
vollkommen sein eigener
Herr
sey, und sich nach demselben nicht richten dürffe;
da doch der Mensch als eine Creatur, von dem
Schöpffer herstammet, ohne welchem er nichts
seyn würde, und daher eine wesentliche und
unveränderliche Dependentz von GOtt sich findet,
so daß er erst müste aufhören ein Geschöpffe zu
seyn, ehe er independent seyn könnte. |
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Durch solche falsche Vorstellungen nun
erwecket die Sünde lauter verkehrte
Begierden,
dadurch die sündige Creatur betrogen wird, und
sich selbst in Unruhe setzet und ins Verderben
stürtzet. Der Mensch suchet durch Betrug der
Sünden sein Vergnügen in solchen Dingen, die da
theils an sich selbst
veränderlich sind, und daher
kein
wahres und beständiges Vergnügen geben
können; theils auch für die
sinnlichen
Empfindungen, und nicht eigentlich für die
Seele,
so ferne sie ein
Geist ist, gehören; theils gar ihrer
Natur nach nichts anders, als Unordnung der
Leidenschafften, Unruhe der Seelen,
Mißvergnügen, Angst und Quaal,
Zweiffel und
Verzweiffelung nach sich ziehen können. |
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Und so bringet die Sünde den Menschen
auch zu lügenhaften
Wercken, das ist, zu solchen,
die sich mit der eigentlichen Beschaffenheit
GOttes und der Creatur nicht reimen. Die Sünde
verkehrt dem Menschen seinen
gantzen
Zweck;
denn da er zur Gemeinschafft mit GOtt, zum
Genusse dieses höchsten
Guten, und zu einer
daher entspringenden ewigen
Glückseeligkeit
erschaffen ist; so machet sie dem Menschen ewig
unglücklich. Das heisset denn wohl recht, daß der
Mensch durch
Lüste in
Irrthum sich verderbe |
Ephes. IV, 22. |
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Dieses alles, was wir von der Sünde bey dem
Menschen angemercket haben, kommt mit dem
Sinne und
Willen des Teufels, als des Urhebers
der Sünde überein. Unser Heyland
spricht davon:
Ihr seyd von dem Vater, dem Teuffel; und nach
euers Vaters Lust wollt ihr thun. Hier setzet der
Heyland den Willen des Teufels und den
Willen des Menschen
zusammen; und lehret, daß das
Böse, nach dem Willen des Teufels, durch den
Willen des Menschen in der
Welt ausgeübet
werde. |
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Wir dürffen nur hier das
Exempel der
Juden,
mit welchem Christus
redet, zum Beyspiel
nehmen. Diese
wolten der
Wahrheit nicht
gehorchen, und suchten daher Christum, weil er
mit der Wahrheit in sie hinein drang zu
tödten, |
Joh. VIII, 37. 40. 41.
44. |
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Der Teuffel verlangte eben dieses, und gab
daher dem Juda Ischarioth ins Hertz, daß er |
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{Sp. 13|S. 20} |
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ihn verrathen
solte |
Joh. XIII, 2. |
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Solchergestalt
thaten sie nach ihres
Vaters
Lust, und
bewiesen damit, daß sie noch
Kinder
des Teuffels wären. Wenn nun die
Menschen
auch noch jetzo nach ihren sündlichen verkehrten
Neigungen handeln; so geschiehet solches mit
einem solchen
Willen, welcher dem Willen des
Teuffels ähnlich und gleichförmig ist. Und, weil der
Teuffel die ersten Menschen eben um der
Ursache willen, daß sie seinem
Willen gemäß
handeln solten, zu Fall gebracht hat; so kan man
mit
Recht
sagen, daß die Menschen den Willen
des Teuffels durch ihren eignen Willen vollbringen,
und, daß sie von dem Satan mit seinen Stricken
zu seinem Willen gefangen sind; |
wie der Apostel 2 Timoth. II,
26
redet. |
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Wenn man die Frage von dem
Ursprunge der
Sünde und des
Bösen in der Stille erweget, so
wird man wohl überzeuget seyn können, daß man
die Quelle davon nicht in
GOtt suchen müsse.
Aber die Menschen sind sehr geneigt, die Schuld
des Bösen und der Sünde, von sich ab und auf
GOtt zu weltzen. Sie zeigen auch in diesem
Stücke, daß sie den
Sinn der ersten
Eltern nach
dem Sündenfall an sich haben. Keiner von beyden
wolte die Schuld des Abfalles auf sich sitzen
lassen; und Adam, da er antwortete: das Weib,
das du mir zugesellet hast, gab mir von dem
Baume, und ich aß; gar nicht undeutlich zu
verstehen, daß er GOtt selbst gerne die Schuld
seiner Sünden beymessen wolle, weil er ihm ein
solch verführerisches Weib gegeben hätte. |
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Diesen Weg wollen die Menschen noch biß
auf diese
Stunde gerne einschlagen. Sie
wollen
wohl böse seyn und böses
thun; aber sie wollen
das Ansehen nicht haben, als ob das Böse von
ihnen herrührete, sondern GOtt soll hier der
Abnehmer seyn. Daher wäre wohl
nöthig, daß wir
die Einwürffe, welche die Menschen in dieser
Sache zu machen pflegen, kürtzlich beleuchteten.
Alleine, da selbige hauptsächlich den
geschehenen Sündenfall der ersten Eltern
betreffen, so verweisen wir den Leser auf den
Artickel
Sünden-Fall. |
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