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Text |
Quellenangaben |
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VII.
Nutzen und
Vortheile der
Zufriedenheit.¶ |
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Hiervon
wollen wir die schönen
Gedancken des
Herrn
Rectors zu Breßlau,
M. Gottlieb Wilhelm
Kellers, anführen, welche er in einem
Programma,
worinnen er von den in dem
Lande der
Zufriedenheit beschäfftigten Musen handelt,
gehabet, sie bestehen in folgenden
Worten: |
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Die
Sache selbst ist von grosser Wichtigkeit.
Denn, o! wie schöne würde es in einem Lande
aussehen, wo die Zufriedenheit die
Gemüther der
Menschen beherrschte. Dergleichen Leute lassen
sich die
Ordnung und
Regierung
Gottes in der
Welt
allezeit gefallen. Die Weisheit, Allmacht und Güte
des grossen Erhalters aller
Dinge, welche sie an
allen Creaturen und an sich selbst wahrnehmen;
erwecken in ihnen aufrichtige
Liebe und festes
Vertrauen zu diesem allgegenwärtigen
Regieren. |
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Freude, Munterkeit, Vergnügen, gutes
Gewissen und
völlige Ergebung in des grossen
Versorgers
Willen, sind die Zierde ihres
unschuldigen Wandels. Der
Zustand, in welchen sie
sich befinden, ist ihnen der beste; ja sie wünschen
sich in keinem andern zu seyn, als in welchem sie
stehen. Beten und
Arbeiten sind ihre
Verrichtungen,
darinnen sind sie
unverdrossen, daß auch ein
wiedriger Erfolg sie keinesweges davon abhalten
kan. |
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Sie
thun also die
Befehle GOttes mit freudigem
Gehorsam. Ob sie künfftig
glücklich oder
unglücklich seyn werden, darüber machen sie sich
keine Unruhe: Weil bey ihnen die Göttliche Fürsorge
mehr gilt, als alle menschliche Bemühungen.
Geitz
und Hochmuth, Haß und Neid, die Zerstöhrer alles
Vergnügens, beunruhigen niemahls ihre Gemüther:
Denn was ihnen GOtt giebt, das
gönnen sie auch
dem Nächsten, ob es gleich viel besser, als das
ihrige seyn
solte: wohlwissende, dieses alles theile
die Himmlische Weisheit aus, welche kein
Sterblicher
beurtheilen, sondern mit tiefster Demuth
verehren soll. |
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Bey diesem allen sind sie, es gehe, wie es
wolle, wie Paulus gesinnt, welcher jederzeit bey
dem beständigen Wechsel dieses
gegenwärtigen
Lebens auf das Zukünfftige sahe, in welchem erst
die
wahre Zufriedenheit des Ge- |
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{Sp. 1169|S. 598} |
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müthes zu ihrer
Vollkommenheit gelangen wird.
Dazu aber kan kein
Heyde und Ungläubiger
kommen, weil es nur Seelen eigen bleibet, die den
Friede-Fürst kennen, lieben und ehren, welcher uns
den wahren Frieden mit GOtt zu wege gebracht
hat. |
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VIII. Ob es rechte zufriedene Menschen auf der
Erden giebt?¶ |
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Es ist wohl andem, wir schweben in einer
sündigen
Unvollkommenheit. Unser
Leben ist wie
ein beständiger Streit, und wie die
Mühe eines
Tagelöhners. Allein, wo der Tagelöhner nicht ruhet,
wie wird er es aushalten? Oder wie wird der Soldat
streiten, ohne sich unterweilen zu erquicken?
Wollen wir uns demnach nicht selbst muthwillig
aufreiben; so
müssen wir auch in diesem Leben
nach einer Ruhe trachten, die uns beydes die
Arbeit
erleichtern, und den Streit ausführen hilfft. |
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Man
sage demnach nicht: Die
Gedancken von
der Zufriedenheit sind auf
Erden vergeblich. Nein.
Denn der Mensch ist nicht weniger zur Ruhe und
Zufriedenheit, als zur Arbeit und Mühe
gebohren.
Hat er doch sowohl eine
Seele, als einen
Leib.
Machen ihm die leiblichen Angelegenheiten viele
Mühe, Arbeit und Unruhe; so treibet ihn die
Beschaffenheit seiner Seele zum stillen
Nachsinnen, zur Zufriedenheit und Ruhe, welches
um destomehr seine
vornehmste Beschäfftigung
seyn
solte, weil die Seele seinen vornehmsten und
edelsten
Theil ausmachet. |
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GOtt hat der menschlichen Seele keine
Neigung vergeblich eingepräget. Haben wir alle ein
Verlangen
glücklich zu seyn; so können wir auch
alle in der
That glücklich werden. Treibt uns eine
natürliche Neigung zu der Zufriedenheit und Ruhe;
warum solte dieselbe
unmöglich zu erlernen, und
dieser edle Trieb der
Natur in uns allen vergeblich
seyn? Vielmehr ist es
möglich, daß wir können
zufrieden werden, und zwar in der Maasse, wie wir
beydes der gesunden
Vernunfft und den
Würckungen der
Gnade GOttes
gehorchen. |
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Ein anders ist in diesem Leben vollkommen, ein
anders menschlicher Weise zufrieden zu seyn. Die
Engel und Seeligen im Himmel brauchen dazu
keine Anweisung, aber wohl die sündigen
Menschen auf Erden. Wäre die Zufriedenheit, wie
wir sie hier nehmen, und wie sie in dieser sichtbaren
Welt zu suchen, ersprießlich und zu erlangen
möglich ist, ein eintziger Punct; so würden zwar alle
Seelen um sie her fladdern, aber wenige oder keine
sie treffen. Da sie aber wie ein weites Feld, oder wie
ein Umkreis, offen liegt, der viel tausend Abschnitte
in sich fasset; so mercken wir, daß
Raum für alle
Menschen da ist, auch überflüßige Möglichkeit,
diesen oder jenen Grad zu erreichen. |
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Darzu gehöret nicht mehr Bemühung, als daß
wir unserer
eigenen
vernünfftigen Natur
nachtrachten, und die Seele, welche ihrem
Wesen
nach weder irrdisch noch vergänglich ist, von der
Erde, und ihrer Vergänglichkeit erheben. Je mehr
wir solches
thun, je geruhiger werden wir uns
befinden. Je weniger wir uns aber bemühen, desto
schwerer und unruhiger werden wir bleiben; wie das
Element der Erden, daran wir kleben, oder wie jene
Schiffe in vielen eisernen Nägeln, welche von der
Indianischen Magnet- |
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{Sp. 1170} |
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Inseul dergestalt angehalten wurden, daß sie
nicht fort konnten. |
Palladius de gentibus
Indiae. |
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Denn gleiches zieht in der
gantzen Natur
seines gleichen an sich; und der irrdische
Sinn fährt
der Erden zu, wo lauter Unruhe und Klage ist. Die
geläuterten Seelen aber schwingen sich in eine
ruhigere Gegend, wovon diejenigen zu
urtheilen
nicht fähig sind, welche niedriger stehen.
Derohalben thun solche Menschen
unrecht, daß sie
die Zufriedenheit
leugnen, welche sie selbst noch
nicht gekostet; oder an etwas
zweifeln, welches sie
zu
empfinden sich noch keine sattsame Mühe
gegeben haben. So wird es denn wohl unsere
eigene
Schuld seyn, daß wir unzufrieden bleiben,
wenn sich schon die vernünfftige Natur bestrebet,
uns in die Zufriedenheit zu leiten. Die
Weltweisen
haben sich von jeher über viele
Dinge
gezanckt;
aber in diesem Puncte sind sie wunderbarlicher
Weise eines Sinnes, daß der Mensch einen
gewissen
glückseeligen
Stand der Ruhe suchen
müsse, worzu er auch gelangen könne, und
gebohren sey. |
Cicero Lib. V. de
finibus. |
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Über die Mittel dahin zu kommen, haben sie
zwar
disputiret; aber die
Sache selbst hat keiner in
Zweifel gezogen, daß nehmlich ein ruhiger Stand
des
Gemüths ohne Bekümmerniß und Schmertz,
als ein glückliches Leben auf Erden zu suchen sey.
Dieser Zufriedenheit haben alle weise Heyden
nachgetrachtet, und einige erzehlen uns, daß sie
diesen Schatz gefunden haben. Solte es uns
Christen denn unmöglicher, als den Heyden seyn?
Oder sind wir Christen allein so grausam, daß wir
dem Menschen seine Hoffnung absprechen solten?
Gönnen wir uns selbst nicht, was sich die Barbaren
unter einander wünschen?
Friede!
spricht der
Türcke; Friede! rufft der Indianer; Friede! der
Jude,
wenn er einen Bekannten grüsset, und das erste,
wornach Jacob fragt, wenn er zu Laban ziehen will,
hieß: Hat er Frieden? Dis ist ein allgemeines Ziel,
wornach die gantze Welt rennet. |
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Darum müste der Mensch die unglückseeligste
Creatur unter allen seyn, woferne kein Mittel
vorhanden wäre, dadurch er in sich selbst ruhig und
zufrieden werden, oder die Bekümmerniß seiner
Seele, als die Hinderniß dieses Friedens, erleichtern
könnte. Wie ist es denn möglich, daß Menschen an
der Erlangung solches Friedens zweifeln, oder daß
Leute, die Christen heissen, ihm widersprechen, da
beydes Natur und Gnade, die Zeiten des alten und
neuen Bundes, das
Licht der Vernunfft und des
Evangelii uns Menschen zeigen, die in den grösten
Widerwärtigkeiten einen zufriedenen Muth
hatten. |
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Hiobs Leiden und
Gedult sind uns ein
Exempel
worden. Davids Anfechtungen und Hertzhafftigkeit; Socrates, Aristides,
Epaminondas Unterdrückung und Gelassenheit; Pauli Trübsal und
freudiger
Geist
bezeugen, wie viel Vernunfft und Gnade zu einer
wahren Zufriedenheit beytragen können. Doch
lässet man wahren Christen den
Vorzug, und dem
Evangelio die
Macht, uns über alle Vernunfft zu
trösten, dessen Bekenner zwar allenthalben Trübsal
haben, aber ohne sich zu ängsten. Ihnen ist bange,
aber sie verzagen nicht. Sie leiden Verfolgung, aber
sie werden nicht verlassen. Sie werden
untergedruckt; aber sie kom- |
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{Sp. 1171|S. 599} |
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men nicht um, |
2 Cor. IV. |
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Ihr wahres Ebenbild liegt in diesen
Worten: Als
die Traurigen, aber allezeit fröhlich! |
2. Cor. VI. |
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Wer zweifelt an dieser Bekenntniß eines
Apostels, eines Mannes, der soviel
Böses über sich
hatte ergehen lassen, als die arge Welt ersinnen
konnte? Und gleichwohl stöhren diese Bitterkeiten
die Zufriedenheit seiner Seele so wenig, daß er
auch in den
Banden diese fröhliche Entschliessung
schreibt: |
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„Ich habe gelernet, bey welchen ich bin, mir
genügen zu lassen. Ich kan niedrig seyn, und kan
hoch seyn; ich bin bey allen Dingen und in allen
geschickt: Beydes satt seyn und hungern; beydes
übrig haben und Mangel leiden. Ich vermag alles,
durch den, der mich mächtig macht, Christum.„ |
Phil. IV |
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Wer nun leugnet, daß es zufriedene Christen
gebe, der muß entweder den Worten eines Apostels
nicht trauen, oder er muß alle
Gewißheit der
Geschichte mit den wahnwitzigen Zweiflern
aufheben, welche uns überdieses nicht allein
fröhliche Märtyrer sondern auch tausend andere
inniglich zufriedene Fromme
vorstellen. |
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Auch siehet man nicht, was dieser Leute
eigensinniger Hochmuth wider so viele und
deutliche Zeugnisse einzuwenden habe; ohne daß
mancher Einfältiger sagen
möchte: Ja, Paulus war
ein Apostel, und ein
unmittelbar erleuchteter Mann;
seine Zufriedenheit darff unser einer sich nicht
versprechen. Allein, ist denn ein anderer weniger
ein Mensch, als er? oder ist Gottes Gnade jetzo
armseliger? oder wird eine unmittelbare Erleuchtung
erfordert, seine Vernunfft zu seiner Selbst-Beruhigung recht zu gebrauchen? |
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Gesetzt aber, man könnte die Zufriedenheit in
keinem solchen Grade erlangen, wie ein Apostel, so
hat man doch nicht weniger
Vermögen dazu, als die
Heyden. Socrates, Plato, Cicero, Seneca,
Epictetus, Plutarchus, haben nebst vielen andern
nicht allein von der Zufriedenheit wohl
geredet und
geschrieben, sondern sie haben auch unter
schwehren
Unglücks-Fällen in der That bewiesen,
daß sie geruhige und zufriedene Menschen waren.
Fürwahr, es ist keine dumme Unempfindlichkeit,
welche sie in ihrem Leiden, so großmüthig und
gelassen machet, und noch vielweniger eine
Stoische Härte oder besonderer Stoltz, der sie zur
Pralerey von einer Zufriedenheit verleitet, welche
sie nie empfunden hätten. |
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Die
Gründe, welche sie zu ihrem Troste
anführen, sind
göttlich, und die Anweisungen dazu
so vernünfftig und schmackhafft, daß man von
selbst wird überzeuget werden, wie sie aus der
Erfahrung fliessen, und wird alle diejenigen glücklich
preissen, welche ihren Fußstapffen folgen. Es ist
wahr, daß ihr seltner und erhabner
Verstand ihnen
dazu Anleitung gab; dennoch wäre es eine
Schande, wenn ein Heyde vernünfftiger handeln
solte, als ein Christ. Es wäre eben so
abgeschmackt, als wenn man sagte, daß wir in der
Dämmerung besser sehen könnten, als am
Mittage
bey der lichten Sonne. |
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Man wird selbst urtheilen, was eine gesunde
Vernunfft zu der menschlichen Zufriedenheit
beytrage, wenn man der angeführten Heyden gute
Gedancken gegen die traurigen
Umstände ihres
Leidens
erwäget. Was ist empfindlicher, als viel
Böses erdulden, indem man sich bestrebt, viel
Gutes zu thun? Was ist schmertz- |
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{Sp. 1172} |
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licher, als von denenjenigen gehaßt und
verfolgt werden, deren wahres Beste man suchet?
Was ist kläglicher, als wegen seines Eyfers um die
gemeine Wohlfahrt des
Vaterlandes das Vaterland
räumen müssen, für dessen Bestes man viele
Jahre
gearbeitet, viele Nächte gewacht, viele
Güter
aufgesetzt, viel Gefahr überstanden, ja sein Blut
vergossen hat, seine Wohnung schleiffen, seine
Güter plündern, seine Feinde frohlocken, seine
Freunde
falsch und unbeständig sehen,
nennet man
billig, samt allen oberwehnten, ein Unglück ohne
Maasse. |
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Dis aber und noch ein mehrers hat viel
tugendhaffte Heyden betroffen, die sich dennoch
ermannet haben, so bald ihr Verstand ihnen
gerathen hat, die Gebote der
Weisheit in heilsame
Betrachtung zu ziehen. Socrates hatte sich
bemühet, die Jugend tugendhafft und die
Alten
glücklich zu machen. Das kan die Rotte der
Eigennützigen nicht vertragen. Es findet sich ein
Anitus und Melitus, der ihm durch allerhand
falsche Beschuldigungen seinen Leumuth kräncket.
Selbst die Comödianten werden aufgewiegelt,
seiner in den Schauspielen zu spotten. Endlich
bringt man ihn durch falsche Beschuldigungen ins
Gefängnis und ums
Leben. Gleichwohl aber findet
man den Socrates unter allen diesen Trübsalen,
unter den Thränen seiner Freunde, seines
Weibes
und seiner
Kinder gantz ruhig und still. Man höret
ihn nicht klagen, sondern erbauliche
Reden führen,
und
GOtt einen Lobgesang anstimmen. |
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In seinen Banden tröstet er sich mit
Unterredungen von der Freundlichkeit Gottes, und
versüsset sein Hertzeleid mit Betrachtung der
Unsterblichkeit seiner Seele. Die
Vorstellung der
gewissen Belohnungen eines
gerechten GOttes
ermuntert ihn zur Gedult. Auch fluchet er seinen
Freunden nicht, sondern trincket den letzten Becher
auf ihre Gesundheit aus. Endlich schläft er ein, und
erstarret unter anmuthigen Betrachtungen seiner
Unvergänglichkeit, und sein letztes Wort ist ein
Freuden-Zeichen, indem er dem Gesundheits-GOtt
einen Hahn zu opffern
befiehlet, weil er nunmehro
empfand, daß der
Tod eine Genesung von allen
Übel sey. So freymüthig
stirbt dieser grosse Mann
zum ewigen Denckmahl des Vermögens der
gesunden Vernunfft in Herstellung unserer
Zufriedenheit. |
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Die Unmenschlichkeit des
Kaysers Nero hat
Seneca Anlaß gegeben, sich wegen des Undancks
seines vorigen Untergebenen zu trösten, und man
kan am besten aus seinen
Schrifften sehen, wie
groß und wohlgegründet die Gelassenheit dieses
Mannes gewesen sey. |
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Des Cicero
Verdruß war um desto
langwieriger, je längere Jahre er sich
bemühet hat, seinem
Vaterlande
nützlich zu seyn: und zum
Überfluß alles Hertzeleids
verlohr er noch dazu das
Liebste und Beste, was ihm auf Erden übrig war.
Seine eintzige
Tochter stirbt, und der alte Greis wird
nicht nur von seinen Feinden verfolgt, sondern auch
von seinen Freunden verlassen. Dennoch verzagt
er unter diesen Trübsalen nicht, sondern schreibt
einen Trost-Brief, worinnen unter andern folgende
Worte befindlich: |
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„Fürwahr, gleich wie uns gegen die Schlangen-Bisse mancherley Gegengifft verordnet ist; wie man
der Dürfftigkeit durch arbeitsamen Fleiß abhilfft; Wie
wir die Schamhafftigkeit als ein Gewehr |
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{Sp. 1173|S. 600} |
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wider die schändliche Wollust von der Natur
empfangen haben; gleichergestalt ist uns die
Weisheit zur Artzeney gegen alles zustossende
Übel von den unsterblichen Göttern verordnet. Und
dieser hochgepriesenen Weisheit habe ich die
Bezwingung meiner selbst, die Ruhe und
Zufriedenheit meines Gemüths, die Herrschafft über
alle Lüste, ja diese meine Gedult und Gelassenheit
in aller Widerwärtigkeit zu dancken. Nimmermehr
hätte ich bey der Verjagung aus meinem Vaterlande
so ruhig, noch mitten im Glantz meiner Ehre so
mäßig, oder in meiner gegenwärtigen Trauer so
vernünfftig und unüberwindlich seyn können, wenn
du, o Weisheit, du Zuchtmeisterin edler Sitten, mir
darzu das Vermögen nicht gegeben hättest.„ |
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|
Es halten zwar einige den Cicero für
furchtsam
und weichhertzig; Und es ist wahr, er klagt
Anfangs
jämmerlich über seine
Noth. Er
weiß sich kaum zu
trösten, da er ins Elend verjagt ward, und als er
seine liebe Tochter Tullia verlohr. Nachdem er aber
gute
Bücher las, und sich durch
vernünfftige
Betrachtungen ermunterte, wurde er gantz anders
Sinnes, und er bekümmerte sich nicht mehr über
alles, was ihn zuvor gekränckt hatte, als er die
Nichtigkeit aller Dinge einsahe: |
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„Ich achte nun nichts höher, schreibt er an
seinen Atticus, „als ein gutes Gewissen; Denn alles
übrige ist nicht der Mühe werth, daß man sich
darum quälet.„ |
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Er ergreifft die Feder in seiner Trübsal, und
schreibt schöne Bücher, beydes andern zum
Unterrichte, als auch zur Erquickung seiner
selbst: |
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„Ich will mich weder der Bekümmerniß
übergeben, die mich ohne Widerstand aufreiben
kan; noch der Lust, die einem weisen Manne
unanständig ist, vielmehr habe ich die Erleichterung
meiner Traurigkeit in den Wissenschafften gesucht,
und mein Trost in meinem gegenwärtigen Unglücke
ist dieser, daß ich Zeit bekommen habe, diese
Bücher (von der menschlichen Pflicht) zu schreiben.
Suchest du dich der Sorgen zu entschütten; so kan
es nirgend besser, als bey der Weisheit
geschehen. |
Cicero Lib. II. offic. ... |
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Zwar verfolget ihn der
lasterhaffte Antonius
noch immer hefftiger; Allein Cicero hat sich durch
vernünfftige Betrachtungen gestärckt, und schreibt
mitten aus der Verfolgung diese Worte an seinen
Freund: |
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„Doch ertrage ich auch dieses, sammt allen,
was einem Menschen begegnen kan, dergestalt,
daß ich es der Weisheits-Liebe dancke, die mich
nicht nur von aller Bekümmerniß entfernet, sondern
noch darzu gegen die allergewaltigsten Anläuffe des
Unglücks bewaffnet. Derowegen rathe ich dir, es
eben so zu machen, und nichts für ein Übel zu
halten, was deine Schuldigkeit ist.„ |
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Epictetus war ein
armer lahmer Mann, als er
schrieb: |
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„Das Hincken ist dem Fusse zwar hinderlich,
aber nicht dem guten Willen.„ |
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|
Der grosse Kayser Antoninus, der
Weltweise,
hatte bey aller
Regiments-Beschwerde dennoch ein
zufriedenes Hertz. Er kehrte sich auch nicht daran,
ob solches andern bekannt war, oder nicht. |
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„Gesetzt, sagt er, kein Mensch wolte es dir
zutrauen, daß du höchst |
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{Sp. 1174} |
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zufrieden lebest, so wirst du dich gegen solche
Leute weder entrüsten, noch aufhören die Straffe
fortzuwandeln, die dich in Ruhe bis ans Ende
deines Lebens führet; und solches ohne Zwang
oder Verstellung, in aller Gelassenheit und von
gantzem Hertzen. |
Marc. Aurelius Lib. III. in
fine. |
|
Ist es nun
Heyden gelungen, bey der Lehre der
Vernunfft durch die Finsterniß mancherley
Trübsalen zu wandeln, ey! was hat denn nicht ein
Christ bey dem vollen Glantz des Evangelii zu
hoffen? GOtt
Lob! wir haben einen grossen
Vortheil
über die Heyden, und die Gründe unsers Trostes
sind so viel nachdrücklicher, als kräfftiger die Gnade
Gottes und die
Würckungen seines Geistes über
alle Gedancken der Vernunfft sind. |
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Es geschiehet dadurch auch keinesweges der
besonders grossen Gabe Gottes einiger Abbruch.
Denn derjenige GOtt, welcher von den Christen
einen vernünfftigen
Dienst fordert, Röm. XII, will
keinesweges, daß sie in der Trübsal sollen
unvernünfftig seyn. Ein Christ hat in allen
Begebenheiten weniger
Ursache zu trauren, als ein
Heyde. Denn es liegt nur an ihm, die Mittel zu
ergreiffen, welche ihm so wohl die Vernunfft, als der
Glaube, an die Hand geben, daß er sich in allen
Widerwärtigkeiten eher begreiffen, und
nachdrücklicher trösten könne. |
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Viele fromme Christen haben sich vermittelst
der gedoppelten Hülffe der
Natur und
Gnade desto
kräfftiger getröstet, und zu ihrer und anderer
Erquickung
gantze
Bücher geschrieben, die einen
desto kräfftigern Nachdruck haben, weil sie aus der
Erfahrung
geflossen sind. Der
Herr du Moulin ist
einer von denen, welchen widrige Zufälle viel Trost
gelehret haben, wie er in der
Vorrede seines Seelen
Friedens davon also schreibt: |
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„Als ich vor einigen Jahren durch das Ungewitter an ein
fremdes Ufer geworffen ward, und es für vergeblich und unbesonnen achtete, auf
das Wetter zu zürnen, setzte ich mich am Strande nieder, um dem ungestümen Meere gelassen
entgegen zu sehen. Mein voriger Zustand war
meiner gegenwärtigen Ruhe destomehr
beförderlich, je weniger er mir Ursache hinterlassen
hatte, mich darüber zu bekümmern, was jetzo war,
und was noch kommen konnte. Ich fühlte das
Verlangen, diesen gegenwärtigen Augenblick der
Ruhe zu meinen künfftigen Troste anzuwenden, und
zu versuchen, ob ich etwa durch Befriedigung
meiner selbst zugleich die Zufriedenheit anderer
befördern möchte. |
|
|
Das halbwilde Land, wo ich war, konnte mir zu
solchen Betrachtungen nur vier Bücher leihen: Die
Bibel, die Natur, die Vorsehung und den Menschen,
davon der letzte aus denen drey ersten zu
beruhigen und zu verbessern war. Die himmlische
Weisheit muß bey diesem grossen Wercke das
beste thun. Wiewohl der menschliche Verstand
auch dazu nützlich ist, nachdem er wohl unterrichtet
worden.„ |
|
|
Und hieraus kan man nun zur Gnüge sehen,
daß die Zufriedenheit keine
unmögliche Sache
sey. |
Hoffmann von der
Zufriedenheit.¶ |
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{Sp. 1175|S. 601} |
|
|
IX. Schrifften von der Zufriedenheit.¶ |
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|
- Andreas
Rüdigers Anweisung zu der
Zufriedenheit der menschlichen Seele, als dem
höchsten Gute dieses zeitlichen Lebens. Dritte
verbesserte
Auflage,
Leipzig und
Franckf. 1734
in 8.
- Johann Adolff Hoffmanns zwey Bücher von der
Zufriedenheit, nach den Gründen der Vernunfft und
des Glaubens. Eilffte Auflage,
Hamburg 1748 in 8.
- Ludwig Ernsts von Faramond, (oder nach dem wahren
Nahmen
Philipp Balthasars Sinold
genannt Schütz) glückseligste Insul auf der
gantzen Welt, oder das Land der Zufriedenheit,
worinnen dessen Regierungs-Art, Beschaffenheit,
Fruchtbarkeit, Sitten der Einwohner, Religion,
Kirchen-Verfassung und dergleichen, sammt der
Gelegenheit, wie solches Land entdecket worden,
ausführlich erzehlet wird, Franckfurt und Leipzig in
8, zwey
Theile mit Kupffern nebst einer
Vorrede: Ist etlichemahl aufgelegt, das letztemahl
1737.
- Epicteti
Dissertationes ab Arriano collectae, welche Joh. Uxton, zu Londen 1741
in 4
herausgegeben, und die
Zuverläßige Nachrichten
im VI
Bande,
p. 2. u.ff. recensiret haben.
- Hamburgischer Patriot 46 und 57 Stück.
- Gottlieb
Wilhelm Kellers
Programma: Die in dem Lande der
Zufriedenheit beschäfftigten Musen, Breßlau 1741
in
Fol.
|
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Siehe auch die
Artickel: |
|
|
- Ruhe des Gemüthes, im XXXII Bande, p.
1467;
- und
Unzufriedenheit, im XLIX Bande, p.
2584.
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