|
Text |
Quellenangaben |
|
(γ) Vergleichung der Freyheit und
Gefängniß. ¶ |
|
|
Wenn wir
Freyheit
und Gefängniß mit einander
vergleichen, so finden wir auch viel unvermuthete
Gleichheit des
Guten und des
Bösen. |
|
|
(1) Ein unschuldig Gefangener (denn von
diesem ist
vornehmlich die
Rede, weil die andern
ihre
Noth
verdienet haben) kan nicht jedermann
sprechen, wie er
will. Davor können ihn auch die
Narren nicht überlauffen, und die
Zeit verderben,
welches eine nicht geringe Noth anderer ist: zu dem
werden auch die Boshafftigen von ihm, durch Hülffe
der Obrigkeit abgehalten: und man kan sich fast
kein besser
Leben wünschen, als ohne Narren und
boßhafftigen
Menschen zu seyn. |
|
|
(2) Der Gefangene kan nicht spatzieren
gehen.
Dieses können auch die in der Freyheit lebende
gemeiniglich, den
gantzen
Winter,
nicht. |
|
|
(3) Offt kan der Gefangene das Tage-Licht
nicht sehen.
Desto besser kan er dencken, und
seinen
Verstand und
Willen, vielmehr dadurch
bessern, als durch das Tage-Licht: denn durch das
Dencken kömmt man allezeit seiner
wahren
Glückseligkeit näher, als durch das Sehen. |
|
|
(4) Der arme Gefangene wird mit
Wasser
und Brod gespeiset.
Dieses ist das eintzige
Mittel
vors Podagra, welches vielmehr schmertzet, als
alles Gefängniß. |
|
|
(5) Aber sein Magen kan dadurch
geschwächet werden. Nicht mehr, als durch den
Überfluß: also ist er noch in keiner grössern Gefahr,
als darinnen alle grossen
Herren sind. |
|
|
(6) Die düstere Lufft des Gefängnisses
macht, daß er gar leicht in Geschwulst und
Wassersucht verfällt. Hingegen ist er sicher vor
den hitzigen Fiebern, die aus der freyen
Lufft
entstehen, und vielmehr tödten als Geschwulst und
Wassersucht. |
|
|
(7) Der Gefangene kan mit seiner
Geschicklichkeit dem
gemeinen Wesen nicht
dienen. Was vor Noth ists dann, daß er vor andere
Leute nicht mehr, wie vorhero zu
arbeiten
verpflichtet ist? |
|
|
(8) Aber er könnte dem gemeinen Wesen
grosse Dienste
thun, wenn er frey wäre. Das
mögen diejenigen verantworten, die ihn haben
setzen lassen. |
|
|
(9) Doch er betrübt sich darüber, daß er der
Welt nicht dienen kan. Das kan er thun, wenn er
Lust an Betrübniß, und vergeblichen
Dingen
hat. |
|
|
(10) Der Gefangene darff mit seinen
Weib,
Kind, und guten Freunden, nicht sprechen.
Desto besser kan er mit
GOTT, und seiner
Seelen
sprechen, welche über Weib, Kind und Freunde
sind. |
|
|
(11) Der Gefangene betrübt sich, daß er
seine Kinder nicht wohl
auferziehen kan. Wenn
das
vernünfftig ist sich über Dinge betrüben, die
man nicht kan so wird er sich auch in der Freyheit
zu tode kräncken müssen. |
|
|
(12) Der Gefangene hat den
Tod zu
gewarten.
Der Tod ist der Seeligkeit näher, als das
Leben. |
|
|
(13) Aber er ist auch der Unglückseligkeit
näher.
Dieses ist nur eine Gefahr vor die
Bösen. |
|
|
(14) Der Gefangene wolte gerne
sterben,
aber er
muß arbeiten.
Das ist seiner Gesundheit
viel zuträglicher, als wenn er im Gefängniß müßig
sässe. |
|
|
(15) Er muß sich noch darzu Schläge geben
lassen.
So offt ihm dieses wiederfähret, muß er
gedencken, daß, wenn er ausser dem Gefängniß
des |
|
|
{Sp. 1159|S. 593} |
|
|
Abends Händel hätte, er eben so viel Schläge
bekommen könnte. |
|
|
(16) Aber da könnte er klagen, das kan er im
Gefängniß nicht thun.
So könnte er auch,
nachdem 100 Rthlr. Unkosten aufgelauffen, durch
ungerechte
Richter, böse Advocaten, oder
falsche
Zeugen, seine
Sache verlieren, von dieser Gefahr
ist er im Gefängniß auch frey. |
|
|
(17) Jetzt soll der arme Gefangene seinen
Kopf hergeben. Wenn er natürliches Todes stürbe,
so müste sein Hertze dran: und was kan das
machen, ob man am Kopfe, oder am Hertzen
stirbt. |
|
|
(18) Er soll gehenckt, gerädert, mit glüenden
Zangen geknippen werden. Das wird ihm nicht
weher thun, als wenn ein
vornehmer Herr einen
eintzigen
Tag das Podagra hat. |
|
|
(19) Doch dieses scheint unerträglich, daß
alle Welt
glaubet, ein unschuldig Gefangener
sey
schuldig.
Wer kan es aber
begehren, daß die
meisten Menschen recht
urtheilen
sollen. |
|
|
(20) Man glaubt ein unschuldig Gefangener
sey nicht mehr
würdig zu leben, und dieses
kränckt.
Es kan niemand kräncken, als diejenigen,
welche glauben, daß leben eine Glückseeligkeit sey.
Eine
wahrhafftige grosse Beschimpffung wäre es,
welches bey der eitel-gesinneten Welt, offt ein
hertzlich wohlgemeynter Wunsch ist, wenn man
glaubte und
sagte, ein Mensch verdiene ewig in
dieser Welt zu leben:
als welches, bey rechter
Betrachtung, doch nichts anders heissen könnte, als
daß er werth sey, ewig zwischen
Furcht und
Hoffnung zu schweben, und von der Seeligkeit
entfernet zu bleiben. |
|
|
(21) Doch jeder Mensch will lieber leben, als
sterben. Mit nichten: das will der Mensch nicht,
sondern es ist ein Trieb von dem menschlichen
Thiere, das ist von dem thierischen Wesen, das im
Menschen und Vieh zugleich sich befindet. |
|
|
(22) Ist denn nun der Gefangene vielleicht
gar glückseliger als andere Menschen. Es ist
genung, daß, wenn er Verstand und
Tugend hat, er
gar nicht, oder doch nicht viel, unglückseliger ist, als
ein Freyer, der auch verständig und tugendhafftig
ist: und wenn dieser es nicht ist, so behält unser
Gefangener allezeit noch den
Vorzug.¶ |
|
|
(δ) Vergleichung der öffentlichen Ämter
und des Privat-Lebens. ¶ |
|
|
Pomponius
meynt so viel
Geschicklichkeit,
als andere zu haben, und klagt, daß er zu
keinem öffentlichen Dienste gelangen kan. Er
solte sich auch wohl vielmehr über den Wohlstand
seines Vaterlandes erfreuen, daß es so voll von
geschickten Leuten ist, daß die Reihe einer
öffentlichen Beförderung an ihn nicht kommen
kan. |
|
|
(2) Er wolte aber gerne dem Vaterlande auch
dienen. So lange noch die Privat-Dienste offen
stehen, bey welchen er, durch
Fleiß und
Geschicklichkeit, sein
eigener Patron und
Beförderer seyn kan, so hat er
Gelegenheit dem
Vaterlande so
gut, als andere, zu dienen. |
|
|
(3) Allein es ist nicht so viel
Ehre bey diesen
Privat-Diensten.
Von der äusserlichen laß ichs
gelten, was die innerliche u. wahre Ehre aber
anbelanget, dürffte sich noch viel
Zweiffel finden.
Denn es ist durchgängig bekannt, daß mancher, der
von einem öffentlichen Dienste sein Brod haben
muß, er mag es geschickt oder ungeschickt
verwalten,
Noth und Hunger leiden würde, wenn er,
wie andre, durch seine Geschick- |
|
|
{Sp. 1160} |
|
|
lichkeit sich bey Leuten beliebt machen, und
davon leben solte. |
|
|
(4) Vielleicht aber ists eine grössere Ehre
bey
vornehmen Beförderen beliebt zu seyn, als
bey geringen Leuten.
Nicht ein jedweder der einen
öffentlichen Dienst hat, darff sich damit
schmeicheln: denn man
weiß, daß vieler
Beförderung nicht von der
Gunst ihrer Patronen
hergekommen, sondern von deren Ungedult, die
ungestümen Dienst-Schwärmer endlich loß zu
werden. |
|
|
(5) Es ist doch Pomponio einiger massen
schimpflich, daß ihn das Vaterland nicht
würdig
erachtet, eine Stelle, darzu eben keine Wunder-Männer erfordert werden, anzuvertrauen.
Mit
nichten. Denn wenn er so gelauffen wäre, wie
andre, oder das
Glück ihn besser mit einem
mächtigen Beförderer bekannt gemacht, wäre er
vermuthlich nicht nachgesetzt worden. |
|
|
(6) Alle brave Leute haben in öffentlichen
Ämtern gelebet.
Auch viel sehr schlechte: und
nicht wenig wackere
Männer gar nicht: Plato,
Epicurus, Democritus, Scaliger, Erasmus und
andre. |
|
|
(7) Man kan in einem
Amte seine
Kräffte
besser schonen, als ein andrer.
Wer seine
Schuldigkeit
GOTT und der
Obrigkeit treulich leisten
will,
muß seine Kräffte im Amte eben so angreiffen,
als ein andrer: faulentzen zwar
schadet demjenigen,
der seine richtige
Besoldung weiß, nicht so viel in
der Einnahme, als einem andern: dargegen ists
auch
schändlich, und
unrecht. |
|
|
(8) Doch wenn man auch schon nicht
faulentzet, darff man sich doch nicht so
bemühen, denen
Leuten seine Dienste
angenehm zu machen: sie müssen doch wohl
kommen, oder bringen, was der
Beamte haben
soll.
Ein redlicher Beamter muß denen, welchen er
nutzen soll, auf die beste Art zu dienen, sich
bemühen: darum muß er auch, wie ein anderer,
ihnen zu gefallen, sich angelegen seyn lassen,
sonst kan er ihnen nicht recht dienen. |
|
|
(9) Wer ein Amt hat, kan vielmehr
thun, als
ein andrer.
Davor hat er auch mehr zu
verantworten. |
|
|
(10) Wenn ein Beamter was thun will, so
stehen ihm alle seine Mitbeamten bey. Auch,
wenn er was recht redliches vor hat, sind sie ihm
offt alle zu wider. |
|
|
(11) Wer in einem öffentlichen Amte lebet,
kan seinen Widersachern besser widerstehen,
als ein andrer. Es kan ein jeder, durch Tugend und
Klugheit, seinen Feinden, so ziemlich widerstehen:
und ob man sie zwar in einem Amte unter dem
Vorwand desselben, kräfftiger drücken kan, so
muß doch ein vernünfftiger
Christ dieses weder
verlangen, noch thun. |
|
|
(12) Wer kein Amt hat, ist, wenn er in eine
langwierige Kranckheit verfället, wegen
Erhaltung seiner und derer Seinigen, in grosser
Gefahr.
So ist ein Beamter in Pest- und
Kriegs-Zeiten, in desto grösserer, weil er nicht weichen
darff. |
|
|
(13) Man kan mehr
Geld verdienen, wenn
man ein öffentlich Amt hat.
Doch nicht leicht so
viel, als ein
Kauffmann, und dieser hat kein
öffentlich Amt. |
|
|
(14) Wer ein Amt hat, thut immer eine
bessere
Heyrath, als ein andrer. Besser wohl
nicht eben, doch leicht
reicher. Hingegen hat auch
manches
Frauen-Zimmer
erfahren, die mit ihrem
abgesetzten, und, ausser dem Amte einen Thaler-Geld zu verdienen, ungeschickten Manne, Noth
leiden muß, daß sie |
|
|
{Sp. 1161|S. 594} |
|
|
besser gethan hätte, wenn sie einen, der, ohne
die gezwungenen
Einkünffte eines öffentlichen
Diensts, Geld verdienen könnte, geheyrathet. Ein
Frauenzimmer thut die beste Heyrath mit einem
Manne, der, ohne einen öffentlichen Dienst zu
haben, Brod erwerben kan. Denn, wenn er einen
Dienst bekömmet, so ists keine
Kunst gezwungene
Pfennige einzustreichen;
verlieret er denselben, so
kan sie mit ihm, von seiner Geschicklichkeit
leben.¶ |
|
|
(ε) Vergleichung der Schönheit und der
schlechten Gestalt. ¶ |
|
|
Üble
Gestalt ist mehr eine
Noth vors
Frauenzimmer, als vor unser
Geschlecht; es ist eine
Noth, die mehr vom Neid, gegen die Schönen als
einen Unfall herrühret. Dannenhero
wollen wir das
vermeynte
Glück derer Schönen betrachten, und
sehen, mit was vor
Unglück es
verknüpfft ist, damit
die neidische Angst dererjenigen, die nicht schöne
sind, beruhiget werden möge:¶ |
|
|
Was hat demnach die Schöne vor
Vortheile,
bey welchen nicht eben so viel
Schaden und
Verdruß ist? |
|
|
(1) Eine Schöne wird vor allen andern
geliebet. Kan man wohl geliebet werden, ohne
verunruhiget zu seyn? |
|
|
(2) Doch diese Unruhe ist höchst
angenehm.
Helena, Lucretia, und andere Schönen haben das
Gegentheil
erfahren. Der
Liebe Annehmlichkeit zu
erkennen, wollen wir vor allen
Dingen einen
Unterschied machen, zwischen der thierischen und
der
menschlichen Liebe: jene gehet auf den
Leib,
diese auf die
Seele; jene wird von Schönheit
erwecket, diese von
Tugend und
Verstand: jene
findet sich auch bey dem Vieh, diese allein bey
denen Menschen. |
|
|
(3) Dieses thut nichts, eine Vortrefflichkeit
bleibt deswegen doch was sie ist, wenn wir sie
auch gleich solten mit denen Thieren gemein
haben. Es ist nicht zu
leugnen; doch ist dieses
ohnstreitig, daß die gröste thierische Vortrefflichkeit
weit geringer sey, als die schlechteste menschliche.
Darum ist die
vollkommenste Schönheit nur ein
sonderliches Vortheil zur geringsten
Art der Liebe,
nehmlich der thierischen. |
|
|
(4) Kan sich denn aber eine Schöne nicht
auch durch Verstand und Tugend, zugleich der
menschlichen Liebe
würdig machen?
Ja, sie kan
es; nur ist sie darinnen immer, ihrer Schönheit
wegen,
unglücklich, daß sie nicht
weiß, ob ihr
Liebhaber sie thierisch oder menschlich, liebe:
davon eine andre so gleich versichert ist, so bald sie
die Liebe mercket.¶ |
|
|
(5) Eine Schöne wird hefftig geliebet. Dieses
setzt sie in grosse Gefahr. Je hefftiger die Liebe
wird, je schwächer wird die
Vernunfft: je leichter, je
gefährlicher ist die Eyfersucht, welche alle Süßigkeit
der Liebe, wie die
Exempel ausweisen, tausendfach
versaltzen kan. |
|
|
(6) Ja sie muß ihren Liebhaber keine
Gelegenheit zur Eyfersucht geben.
So muß sie
nicht schöne seyn. Denn Schönheit des
Frauenzimmers macht die
Manns-Personen
verliebt: Liebe und Husten lassen sich nicht bergen.
Ein Verliebter weiß, wie dem andern ums Hertze ist,
und mercket diese Absicht auch bey der, dem
Scheine nach, gleichgültigsten Mine, oder
Bewegung seines Leibes. Er weiß, wenn er
Verstand hat, daß keine
Krafft, folglich auch keine
Tugend, in der
Natur ist, die |
|
|
{Sp. 1162} |
|
|
nicht, wenn man ihr starck genug zusetzet, zum
Wancken könnte gebracht werden. Darum ist ein
verständiger Liebhaber einer Schönen
nothwendig
allezeit, jedoch verständig, eyfersüchtig. Ein Narr
ist zwar manchmahl lange
Zeit sicher, und ohne
Sorgen; wenn er aber durch eine besondere
Begebenheit, und Fall des Glücks, eyfersüchtig
wird, so ist ers auf eine unerträgliche, und offt
höchst gefährliche Art. Es giebt aber noch eine Art
von Liebhabern, die fast niemahls eyfersüchtig
werden: diese hingegen sind höchst unbeständig.
Und also ist in diesem Ansehen die Schöne, der
Liebhaber mag ihr fast gelingen, wie er kan, immer
übel dran, als eine die nicht schöne ist. |
|
|
(7) Eine Schöne wird überall
gerühmet und
hoch gehalten. Sie wird auch durch unschuldige
Thaten, und Geberden, viel eher verleumdet, und
geschmähet, als eine andere. |
|
|
(8) Eine Schöne hat überall viel Liebhaber.
Dieses ist höchst gefährlich vor ihre Tugend: es ist
höchst gefährlich vor ihren Verstand. Denn sie hat
also, ihrer Schönheit wegen, nur immer Schmeichler um sich, die alle ihr einfältig Geschwätz zu
sinnreichen Sprüchen machen: folglich wird sie in
Eitelkeiten und Nichtigkeiten verstärckt, und lernet
das allgemeine Elend des Willens, und eben
dergleichen
Unvollkommenheit des Verstandes,
niemahls erkennen. |
|
|
(9) Eine Schöne freuet sich alle
Tage ja fast
alle
Stunden, wegen der Liebhaber, die ihr
nachgehen. Hat man aber auch wohl
Ursache sich
zu freuen, wenn man siehet, daß uns welche
nachschleichen, um uns zu berauben? |
|
|
(10) Doch so böse
meynen es auch wohl
die Schmeichler mit der Schönen nicht, sondern
sie sind alle ihre besten Freunde: darum ist sie
glücklich vor andern, daß sie so viel Freunde
unter denen Manns-Personen hat. Davor hat sie
auch unter dem Frauenzimmer desto mehr
Neiderinnen und Feindinnen: ja weil auch unter
denen Mannes-Personen sie doch nicht mehr als
einen
wehlen kan, wenn sie
vernünfftig handeln
will,
welches sich, über lang oder kurtz, äussern
muß, so
werden die übrigen alle hernach, wo nicht ihre
öffentliche, doch heimliche Feinde. So viele Feinde
von beyderley Geschlecht hat eine, die nicht
sonderlich schöne ist, niemahls zu
befürchten: und
wenn sie einen Freund findet, der sie liebet, so hat
sie an dessen Beständigkeit viel weniger zu
zweiffeln als eine Schöne. |
|
|
(11) Eine Schöne kan ihr Glück eher machen
als eine andere. Auch ihr Unglück. Der Verstand
giebt den Anschlag, und die Schönheit nicht; darum
hat man offt gesehen, daß auch Frauenzimmer die
nicht sonderlich schöne gewesen, ein grösser Glück
gemacht, als die andern. Und wenn man
Beständigkeit der Liebe vor ein Glücke hält, wie sie
wahrhafftig ist, so sind die Schönen immer
unglücklicher, als die andern: weil die Liebhaber
blosser Schönheit, nothwendig in der Liebe müssen
nachlassen, indem ihr
Gut, die Schönheit, welche in
ihnen die Liebe erwecket, alle
Jahr, ja, wenn wir es
recht betrachten, alle Tage, wahrhafftig, ob wohl
nicht mercklich abnimmt. |
|
|
(12) Eine Schöne ist wenigstens sicherer,
als eine andere, eine gute
Heyrath zu thun. Was
hat sie aber hingegen vor Ge- |
|
|
{Sp. 1163|S. 595} |
|
|
fahr? Grosse Gefahr der
Ehre. Denn wo viel
Versuchung ist, als bey denen Schönen, da werden,
zu beständigen Widerstand, mehr als
weibliche
Kräffte erfordert: In Gefahr, aus der stillen
Zufriedenheit ihres Hertzens, in eine unruhige Liebe
gesetzet zu werden. In Gefahr in zwey Manns-Personen verliebt zu werden, dadurch sie nicht
allein wiedersinnisch gequälet wird, sondern auch
von derselben verliebter Raserey in tausend
Unglück kan gesetzet werden: In Gefahr endlich,
daß die Liebe bey ihr zur
Gewohnheit, und zu der
Zeit, da sie am wenigsten Gegenliebe findet, als
nach dem 40sten Jahre am stärcksten werde: da
dann die Verliebten am besten wissen, was vor eine
Angst es sey, zu lieben und nicht wieder geliebet zu
werden. |
|
|
(13) Eine Schöne ist vergnügt, daß sie
Freude in der
Welt erwecket, und Freude
geniesset. Hingegen, wenn sie nicht alle
Gottseligkeit verlassen hat, betrübt sie sich
billig,
daß sie wegen ihrer Schönheit von Manns-Personen so offt zur
Sünde gereitzet wird;
ingleichen, daß auch sie wider ihren
Willen, so
vieler Menschen Hertzen in Unruhe, und Gefahr zu
sündigen, setzet.¶ |
|
|
(ζ) Krieg, Pest, Kranckheit und Tod. ¶ |
|
|
Der
Krieg hat zwar wohl mehr
Unlust, als
Lust,
und Annehmlichkeit, doch fehlet es hieran auch
gleichwohl nicht
gantz und gar. Er vermindert die
Zahl der überflüßigen
Menschen, die ob sie zwar
auf der gantzen
Erden
Raum genug hätten,
beschweren sie doch bisweilen ein und anders
Land, oder
Stadt. Er stöhret die Menschen in der
Üppigkeit, und veranlasset sie an
GOtt und ihre
Seligkeit zu gedencken. Er bringet
Geld an die
Orte,
wo er geführet wird. Er ist
nützlich denen Livranten,
Sattlern, Täschnern, Roß-Händlern, und vielen
andern.¶ |
|
|
Die Pest drohet entweder denen
Wohlhabenden: diese können immer entweichen;
oder denen, die nicht entweichen können. Dieser
Leben ist entweder elend gewesen, so macht die
Pest ein vergnügtes Ende desselben; oder nicht;
trifft sie dieser Leben, so haben sie den
Vortheil,
daß, weil sie doch einmahl
sterben müssen, sie
durch die Pest nicht so lange gequälet werden, als
wenn sie vielleicht an Podagra, Wassersucht, Stein,
Schwindsucht, und vielen andern Kranckheiten,
stürben. Diejenigen die verschonet bleiben,
geniessen entweder allerhand Erbschafft, oder doch
des Vortheils der Wenigkeit derer Menschen,
welcher mannigfaltig ist.¶ |
|
|
Der
Tod ist das schrecklichste unter allen:
weil er uns alle Annehmlichkeit raubet.
So
benimmt er uns auch alle Verdrüßlichkeit: und also
ist er weder
böse, noch
gut. Wenn wir in diesen
Leben
Glückseligkeit hätten, so wäre der Tod das
gröste
Übel: Oft ist er so gar unter das Gute zu
zählen, wenn er nehmlich ein elendes Leben
endiget: und wenn er ein vergnügtes Leben
schliesset, so befreyet er zugleich von vieler, auch
dem vergnügten Leben beywohnender
Noth: und
davor daß der Lust, die
verlohren gehet, mehr ist,
als der Unlust, giebt er auch dem Sterbenden eine
frohe Sicherheit, die er zuvor niemahls gehabt,
nehmlich, daß ihm sein im Leben genossenes
Vergnügen, nunmehr kein
Unglück jemahls
entführen kan. |
|
|
{Sp. 1164} |
|
|
(2) Aber der Tod ist doch der Natur zuwider,
sie hat einen Abscheu davor.
Die Noth dieses
Abscheues hat die Vorsorge GOttes längst
gehoben, indem sie
verordnet, daß, wenn wir
sterben
sollen, wir
mögen jung oder
alt seyn, diese
Widrigkeit von selbst aufhöret, und wir Lust zum
Sterben kriegen, wie unzähliche
Exempel
bezeugen. |
|
|
(3) Wenn der Tod schmertzlich ist, was hat
er alsdenn gutes:
Der Todt ist niemahls
schmertzlich, sondern die Kranckheit, welche den
Tod bringet, und diese macht den Tod selbst
angenehm. |
|
|
(4) Wie aber wenn der Tod schimpflich
wäre? Wenn das Leben
tugendhafft gewesen, so ist
der Todt niemahls schimpflich, ob ihn wohl einige
unwissende davor halten. Der Tod sey endlich wie
er wolle, so bringet er mehr als er nimmt, nehmlich
die Seligkeit, und die dieses
wahrhafftig
glauben,
können sich niemahls vor den Tod
fürchten.¶ |
|
|
(c) Der Vorschmack der Seeligkeit, als das
dritte eigene Mittel der Zufriedenheit. ¶ |
|
|
Ob zwar, wie uns die
Heilige Schrifft versichert,
die Seligkeit nicht kan durch
Vernunfft und natürliche Kräffte erlanget werden; so
weiß doch
die Vernunfft, daß eine
sey, und der sich selbst
gelassene
Wille hat auch eine dunckle
Begierde
nach derselben, welche erst durch das
Nachdencken klar
erkennet wird. Weil nun die
Vernunfft nicht siehet, wie sie
GOtt, von dessen
Gnade sie weiß, daß gedachte Seligkeit
müsse
erhalten werden, besser als durch
Tugend gefallen
könne, so entstehet in dem Hertzen eines
Tugendhafften eine starcke Versicherung, daß er
nach seinen
Todte in GOtt die Seligkeit geniessen
werde, und in dieser Versicherung bestehet der
natürliche Vorschmack der Seligkeit, welcher durch
das
wahre
Christenthum weit
empfindlicher und
freudiger wird. ¶ |
|
|
Der natürliche Vorschmack ist nichts als eine
starcke Hoffnung, der Christliche aber ist was
mehrers, und wenn man die
Mittel ansiehet, die
gantz sonderbar sind, und davon die blosse
Vernunfft nichts weiß, gantz
wesentlich von jenen
unterschieden. Wegen des ersten wäre es nicht
nöthig, noch etwas mehres zu
gedencken, indem es
gantz und gar zu dem Abschnitte von der Hoffnung
gehöret, auch zu der Zufriedenheit auf andre Art
nicht dienlich ist, als wie alle Hoffnung, die starck
und sehr
wahrscheinlich
ist. |
|
|
Aber der Christliche Vorschmack der Seligkeit
würcket, mehr als die
stärckeste Hoffnung, indem er ein
Glaube und
gewisse
Zuversicht, davon so viel Versicherung, als sonst in der
weltlichen
Gelehrsamkeit von denen so
genenneten Demonstrationen, entstehet. Und
dannenhero ist dieser Christliche Vorschmack das
allerkräfftigste Mittel, wenn etwa noch im
menschlichen Leben, wie dann und wann geschicht,
ein Ausschlag des
Verdrusses solte die Gleichheit
dessen, mit der Annehmlichkeit verrücken, die
Unruhe der Seelen zu stillen, und dieselbe in
Zufriedenheit zu setzen.¶ |
|
|
Diese Lehre vom Vorschmack der Seligkeit
gehöret zu der
Gottesgelahrheit. Und weil die
Gelehrsamkeit, und die
Theile derselben, einer dem
andern niemahls zuwider sind, so kan eine
jede |
|
|
{Sp. 1165|S. 596} |
|
|
so genannte
Facultät, wenn sie sich der andern
etwas von ihren Lehren hat
erklären lassen,
gedachten Lehren beyfügen, was ihre
Grundsätze
davon zeigen. Dieses wollen wir hier auch nur noch
thun, und uns in den
Schrancken der
Weltweißheit
halten, doch aber weisen, daß die Vernunfft von
dem aus der Heiligen Schrifft zuvor erklärten
Vorschmack der Seligkeit, nach ihrem Maaß, auch
etwas zu
nützlicher
Unterrichtung des Lesers,
beybringen kan.¶ |
|
|
Weil nun die Gottesgelahrheit
saget, daß
gedachter Vorschmack in der
Seelen aus der, durch
den Glauben gewürckten Vereinigung mit GOtt,
entstehe, und der Glaube ohne
Wercke todt sey: so
weiß die Vernunfft hieraus gewiß, daß um gute
Wercke zu thun es nicht genug sey, daß man fein
ehrbar und Christlich
rede, oder seinen
Catechismum auswendig könne, noch auch, daß
man
fleißig in die Kirche und zum Heiligen
Nachtmahle gehe;
sondern daß die
sündlichen
Gewohnheiten müssen ausgerottet, und gute davor
in die Seele gepflantzet, also das Hertz und
Gemüthe
nothwendig
verändert werden: und
daß, wer niemahls dergleichen
Veränderung bey
sich gemercket, sondern, wie der Jüngling im
Evangelio,
meynet, daß er dieses alles gehalten
habe, von seiner Jugend auf, bis hieher,
gewiß
versichert seyn könne, daß er noch nicht in der
Vereinigung mit GOtt stehe, sondern sein
vermeynter Vorschmack der Seeligkeit eine
falsche
Einbildung sey.¶ |
|
|
Die Vernunfft weiß die Mittel zu dieser
Vereinigung nicht, doch sie siehet sie einige Dinge
wohl, die nothwendig geschehen müssen. Nehmlich
sie weiß, daß nicht mehr als drey Haupt-Arten von
sündlichen Gewohnheiten, wie bekannt, sind, Ehr-Begierde, Geld-Begierde und
Wollust, oder wie
die Heilige Schrifft redet, Fleisches-Lust, Augen-Lust und hoffärtiges Wesen, aus deren Quelle die
andern Sünden alle herfliessen, und daß, wenn jene
Quelle verstopffet ist, diese Sünden-Bäche auch so
gleich vertrocknen müssen. |
|
|
Sie stellet sich diese Vereinigung mit GOtt, und
die Hinderniß der sündlichen Gewohnheiten etwa
durch das Gleichniß eines mit Öl angefülleten
Schwammes vor, welcher, wenn er auch schon
mitten im
Meere schwimmen solte, dennoch des Öls
wegen mit denselben nicht mag vereiniget werden,
also auch die Seele nicht mit GOtt, so lange die
Sünde in ihr herrschet. Wann auch die
Gottesgelahrten versichern, daß einige
Schwachheit-Sünden, die Vereinigung mit GOtt
nicht aufheben, so
erinnert sich die Vernunfft
abermahl bey dem Gleichnisse, daß wenn ein
Schwamm hier und dar noch einige Tröpflein Öl in
sich hielte, würde die Vereinigung mit dem Meer
deswegen doch nicht unterbleiben, sondern die
Krafft des
Wassers würde den Überrest des Öls
vielmehr heben, und dessen
Raum
einnehmen.¶ |
|
|
Es weiß auch die Vernunfft, daß diese
sündliche Gewohnheiten bey einigen Menschen
nicht so einen starcken Grad der Gewohnheit
erlanget, als bey andern: und dieses sind immer
mehr die
Weltweisen, so es wahrhafftig sind, und
die
Ar- |
|
|
{Sp. 1166} |
|
|
men: jener
Willen wird durch die Vernunfft
dieser ihrer durch
Armuth gebrochen, und ohne
gebrochenen Willen kan niemand mit GOtt
vereiniget werden.
Darum siehet die Vernunfft
auch nun, warum das allerhöchste Fest, so
jedesmahl in der Natur gewesen,
nehmlich der
Geburt Christi, von niemand als denen Weisen
aus Morgenland, und armen Hirten auf dem
Felde sey feyerlich begangen worden.¶ |
|
|
Bey einiger Betrachtung dieser drey sündlichen
Gewohnheiten, befindet die Vernunfft ferner einen
sonderlichen Unterschied zwischen der Wollust, und
denen andern beyden
Gemüths-Neigungen: indem
sie siehet, daß jene
vornehmlich die
Ursache ihrer
Unart in dem
Leibe, diese zweye aber solche in der
Seele selbst zu haben scheinen. |
|
|
Dieses zu glauben wird sie dadurch
veranlasset, weil sie bemercket, daß
Ehr-Geitz und
Geld-Geitz immer zu- und niemahls abnehmen, da
hingegen die Wollust mit dem Leibe, und denen
Jahren, ab- und zunimmet: indem bekannt, daß die
Kindheit und das
Alter beyderseits weniger Wollust
haben, als die Jugend: Auch wird sie von diesen
Unterschied ferner dadurch versichert, wenn sie
weiß, daß die Artzeney-Erfahrnen alle Arten der
Wollust, als Geilheit, Fressen und Sauffen, mit
Artzeneyen rege machen und stillen können, da
hingegen keiner von ihnen im geringsten durch
Artzeney Geld-Geitz oder Ehr-Geitz bewegen, oder
beruhigen kan. |
|
|
Zwar kan man nicht sagen, daß die gantze
Unart der Wollust ihrer Ursache nur im Leibe habe,
sondern es ist auch etwas davon in der Seelen
selbst, so ferne er nehmlich selbige zur Gewohnheit
worden ist. Darum erkennet die Vernunfft, daß bey
der Besserung allhier zweyerley müsse gethan
werden, |
|
|
(1) müsse man dem Leibe suchen zu
helffen, |
|
|
(2) hernach dem Gemüthe. |
|
|
Denn Unkeuschheit und Völlerey kan erstlich
daher entstehen, daß die Lebens-Geister zu den
Schamtheilen, und Magen, allzustarck zufliessen,
und dann daß der Mensch selbst eine Gewohnheit
aus Fressen, Sauffen und Unkeuschheit gemacht:
jenes also ist ein Fehler des Leibes, und wird durch
Artzeney-Mittel oder Kranckheit und Alter
verbessert, die Gewohnheit aber ist ein Fehler der
Seelen, welchen durch Vernunfft und Christenthum
muß abgeholffen werden: Daß also auch in
Ansehen der Wollust die Artzeney-Wissenschafft zu
Verbesserung menschlicher Sitten etwas beytragen
kan: welche doch bey Verbesserung deren andern
zwey sündlichen Gewohnheiten, und ihrer
Würckung nicht Platz findet.¶ |
|
|
Es ist noch ferner von der
Wollust
merckenswürdig, daß sie noch eine dritte Ursache
in der
Natur selbst
habe; nehmlich die
Begierde
der Fortpflantzung, welche von denen andern
Gemüths-Neigungen nicht kan gesagt werden: und
also dieses, was bey der Wollust natürlich ist, und
deswegen den
Nahmen der Wollust, als welche
nicht natürlich, sondern eine Leibes- und
Gemüths-
Kranckheit ist, nicht mehr führet, auch nach der
Besserung und Vereinigung mit GOtt nicht allein
übrig bleibet, sondern auch nach dem |
|
|
{Sp. 1167|S. 597} |
|
|
Unterschied der Leibes-Arten, oder
Temperamenten sich in
unterschiedenen Graden erzeiget. Denn gleichwie derjenige, der sich in
Völlerey bessert, deswegen sich nicht den Magen
verderben darff, daß er gantz und gar keine Speise
mehr
begehre und annehme, sondern wer dieses
also thäte, sich vielmehr an
GOtt versündigen
würde; also darff sich ein Mensch auch keinen
Kummer machen, ob seine Seele in der Vereinigung
mit GOtt stehe, wenn er
empfindet; daß Begierden
sein
Geschlecht fortzupflantzen,
bey ihm auch
nach der Besserung, nicht wegbleiben, sondern
auch wohl noch ziemlich starck sich hervorthun,
woferne er sie nur allezeit, nach dem von GOtt
vorgeschriebenen
Zweck, zu
regieren sich im
Stande befindet. |
|
|
Dieses scheinet uns die
Heilige Schrifft selbst
zu zeigen, wenn sie uns derer Ertzväter
Vereinigung mit GOtt versichert, und gleichwohl
auch von der Vielheit ihrer
Weiber und Kebs- Weiber saget, welche sie nicht würden genommen
haben, wenn sie nicht offte und hefftige Triebe der
Geilheit bey sich empfunden hätten. |
|
|
Eine gantz andere Bewandniß hat es mit denen
andern
Gemüths-Neigungen. Denn wenn deren mit
uns
gebohrne
Würckungen, als Neid, Rachgier,
Betrügerey, Haß, Unbarmhertzigkeit,
Grausamkeit,
u.d.g. sich nach der vermeynten
Besserung, und Vereinigung mit GOtt, nicht
verlieren solten, sondern noch mit ziemlicher
Hefftigkeit das Hertz beunruhigten; und man
vermeinte doch einen wahrhafftigen Vorschmack
der Seeligkeit zu haben, so möchte solcher wohl
angeregter Ursachen wegen, verdächtig, und das
Gemüthe von neuen, ob es seine gehörige
Richtigkeit, nach menschlicher Schwachheit, habe,
zu
untersuchen sey. |
|
|
Denn dieses sind Unreinigkeiten der Seelen,
welche die Vereinigung mit GOtt verhindern, und
von welchen man nicht anders dencken kan, als
daß sie, nachdem sie von dem Leibe abgesondert
worden, solche mit behalte, indem derselben
Ausübung den Leib nicht nöthig hat. Aber die
Wollust kan die Seele nicht gleichergestalt, bey
ihren Abschiede vom Leibe, mit sich nehmen, weil
sie vom Leibe in der Seelen nicht allein erwecket
wird, sondern auch zu ihrer Ausübung den Leib
nothwendig erfordert: Weil niemand
Unzucht, ohne
die Geburths-Glieder, treiben, noch fressen, und
sauffen, ohne den Magen, kan; neidisch,
rachgierig, betrügerisch, gehäßig,
unbarmhertzig, Grausamkeit, kan eine Seele
seyn, wenn sie gleich keinen Leib
bewohnet. |
|
|
Diese Anmerckung dienet uns darzu, daß wir
erstlich uns nicht, durch vergeblichen
Zweiffel,
von der Vereinigung mit GOtt, wegen einiger
verspührten cörperlichen Regungen des
allerkräfftigsten Mittels der Zufriedenheit, nehmlich
des Vorschmacks der Seeligkeit, berauben: und
dann, daß wir auch nicht durch
falsche Versicherung desselben, da wir meynen mit GOtt
vereiniget zu seyn, und einem Vorschmack der
Seeligkeit zu haben, unsere Besserung, als nach
der
Erkänntniß der sich gelassenen Vernunfft das
eintzige Mittel solcher Vereinigung, versäumen;
indem wir schon meynen, in denjenigen
Zustand zu
seyn, zu dem wir erst noch gelangen sollen. |
|
|
Ordentlicher |
|
|
{Sp. 1168} |
|
|
Weise und insgemein, braucht man dieses
Mittel der Zufriedenheit nicht, indem die allgemeinen
Mittel, sammt den ersten und den andern
eigenen,
hinlänglich gnug sind, in jeder vernünfftigen Seele
bey fast allen Begebenheiten
Friede zu machen.
Weil aber doch manchmahl gantz sonderbahres
Unglück und überhäufte
Noth, durch Gottes
Verhängnis einbricht, so wollen vorhergesetzte
Mittel nicht zulangen, die Seele in Zufriedenheit zu
erhalten, indem sie doch wahrhafftig siehet, daß
ihre Noth grösser ist als ihr Vergnügen. |
|
|
Hier nun muß der Vorschmack der Seeligkeit
den Ausschlag geben: Denn weil niemahls, wie
wir oben erwiesen, ein Mensch in lauter Noth und
Unglück seyn kan, und die Seeligkeit aus lauter
Lust, der Glückseeligkeit aus lauter Unlust gleich
wieget, so folget, daß der Vorschmack der
Seeligkeit alles Elend dieses Lebens überwinden,
und die Seele in Zufriedenheit stellen müsse. |
Rüdigers
Anweisung zu der
Zufriedenheit der menschlichen Seele, als dem
höchsten Gute dieses zeitlichen Lebens. |
|
|
|
|