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Zedler: Zufriedenheit [4] HIS-Data
5028-63-1115-4-04
Titel: Zufriedenheit [4]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 63 Sp. 1144
Jahr: 1750
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 63 S. 585
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Übersicht
VI. Mittel, die Zufriedenheit zu erlangen. (Forts.)
 
(2) Die eigene Mittel zur Zufriedenheit. (Forts.)
 
(b) Die Vergleichung des Guten und Bösen, als das zweyte eigene Mittel der Zufriedenheit.
 
(α) Vergleichung der Lust und Unlust des unterschiedenen Standes.
(β) Vergleichung des Reichthums und des Armuths.

  Text Quellenangaben
  (b) Die Vergleichung des Guten und Bösen, als das zweyte eigene Mittel der Zufriedenheit.  
  Dasjenige, was unsere Zufriedenheit stöhret, ist zweyerley Übel, davon das eine vermeidlich ist, das andere unvermeidlich. In bisherigen Abschnitten haben wir gezeiget, wie man durch Klugheit, Wahrheit, Tugend, und vernünfftigen Gebrauch der Furcht und Hoffnung, eine grosse Anzahl menschlicher Übel vermeiden könne: Aber nun müssen wir auch untersuchen, was vor ein Mittel der Zufriedenheit, wider das unvermeidliche diene? Und man kan nichts anders angeben, als die Gedult: Weil sie aber nicht allezeit in unsern Vermögen ist, so müssen wir zu Beförderung derselben, die Vergleichung des Guten mit dem Bösen, wohl in Betrachtung zu ziehen uns angewöhnen.  
  Es bestehet aber gedachte Vergleichung vornehmlich darinnen, daß man, bey sich ereignender Verdrießlichkeit, die Gedancken  
  {Sp. 1145|S. 586}  
  von der vergeblichen Betrachtung des Übels sogleich wegwende, und auf das Gute desselben aufmercke, um entweder ein Mittel wider dieses Übel, oder wider ein anders, oder zu einen andern Guten, heraus zu finden, und diese drey Annehmlichkeiten derer Mittel mit dem Übel der Verdrießlichkeit so lange zu vergleichen, bis man sehen, ob sie mit einander können aufgehoben werden, oder das Gute das Übel, oder dieses jenes übertreffe.  
  Diese Vergleichung geschicht zwar am beständigsten nach denen Grund-Sätzen der Wahrheit, jedoch liegt auch nichts daran, woferne das Gemüth nur zur Ruhe kömmet, wenn es auch schon durch Vorstellungen, die vor dem Gericht der Wahrheit nicht bestehen, geschehen solte; jedoch daß gedachte Vorstellungen, nicht von der Sünde und Thorheit, sondern etwa nur von einem unschädlichen Irrthum, entstehen.  
  Also sind die Menschen nach ihren unterschiedenen Alter, wie auch Gemüths- und Verstands-Arten, in Vorstellung der Empfindung, der Annehmlichkeit und Verdrießlichkeit, so wohl unter sich, als von denen Weisen, sehr unterschieden. Denn bey jungen Leuten, vornehmlich wenn ihre Gemüths-Art wollüstig, und die Verstands-Art in der Dichtungs-Krafft vortrefflich ist, hänget der Himmel stets voll Geigen, ihr Hertz ist voll von guten Hoffnungen; Aber sie bauen immer Schlösser in die Lufft, und ihre meiste Hoffnungen haben kaum einen geringen Grund der Wahrscheinlichkeit: doch wenn diese Hoffnung das Gemüthe besänfftigen können, so ist es ihnen wohl zu gönnen, daß sie derselbigen geniessen.  
  Die Geldgeitzigen hingegen und viele Alten, als welche schon vieler guten Hoffnungen Eitelkeit erfahren, stellen sich lauter Noth und Unglück vor, und gleichwie jene das Augenscheinliche Böse, so bey ihrer Hoffnung ist, nicht sehen, also sind diese gleichfalls blind das Gute, so bey ihrer Angst sich befindet, zu erkennen, und sich zu Nutze machen.  
  Jene gehen auf dem Wege der Hoffnung, und kommen zwar dahin niemahls, wohin sie gedencken, sind doch aber unterwegs gar vergnügt; Diese auf dem Wege der Furcht, und wenn sie auch dann und wann dahin kommen solten, wohin sie vermeynen von dem Unglück geführet zu werden, so handeln sie doch wunderlich, daß sie nicht unterdessen noch ruhig sind, sondern durch ihre furchtsame und ängstliche Vorstellung machen, daß sie das Unglück quälet, ehe es kommet. Dieser ihre unbegründete Bekümmerniß ist dem Zweck der Zufriedenheit, und der Wahrheit gantz und gar zuwider: Jener vergebliche Hoffnungs-Lust ist nur wider die Wahrheit, aber nicht wider die Zufriedenheit.  
  Ein Weiser und Verständiger hat zwar nicht soviel Hoffnungs-Lust, als ein junger wollüstiger, und Dichtungsfähiger, ingenieuser Mensch; doch quälet ihn auch nicht soviel Angst, als einen Alten und Geldgeitzigen. Denn die Wahrheit, welche er erkennet, läst es nicht zu, soviel angenehme Dinge sich träumen zu lassen, wie jener; sie vergönnet ihm aber gleichfalls nicht, mit so vielem Popantzen vergeblicher Furcht die Ruhe seines Lebens zu stöhren. Darum werden kluge  
  {Sp. 1146}  
  und vernünfftige Leute allezeit gegen die Sachen dieser Welt etwas kaltsinniger befunden, als andere. Und sie thuen wohl daran.  
  Denn weil die Natur derer Dinge, eine ziemlich gleiche Mischung von Guten und Bösen zeiget, so muß der vernünfftige Sinn derselben beystimmen, durch Bezeigung einer wohlbedachten Kaltsinnigkeit gegen alle Dinge dieser Welt, und das Feuer seiner Begierden der höchsten und wahren Glückseeligkeit jenes Lebens widmen.  
  Man muß also zwar aller Welt die Wercke der Liebe mit Emsigkeit bezeugen; in keiner Liebe aber, als in der Liebe GOttes Glückseeligkeit suchen. Hieraus entstehet eine ernsthaffte Jugend, aber ein fröliches Alter: Da hingegen, die das Gegentheil thun, sich eine lustige Jugend, und höchst betrübtes Alter, da alle Eitelkeit der Jugend-Hoffnung sich zeiget, machen. Und ob sie nun zwar neue Hoffnungen sich vorstellen könnten, so lässet doch ihre reiffe Erfahrung solche Eitelkeit nicht mehr zu: Gleichwohl wollen sie immer noch Glückseeligkeit haben, und da sie nun sehen, daß in dieser Welt keine Hoffnung mehr darzu vorhanden, was kan ihnen näher seyn, als die Verzweiffelung?  
  Wir müssen uns hierbey sowohl von der Stoischen Verachtung derer Annehmlichkeiten, als vor der Epicurischen Begierde dererselben hüten: Denn es ist doch niemahls kein Stoicus ohne Lust, und kein Epicurer ohne Verdruß gewesen.  
  Es ist indessen vernunfftmäßig, daß man Annehmlichkeit suche, und Verdrießlichkeit meide; weil aber beyde nach GOttes Ordnung unzertrennlich sind, mache man es also, daß man die Verdrießlichkeiten durch die Geniessung derer dabey befindlichen Annehmlichkeiten sich versüsse. Dannenhero muß man, in gedachter Vergleichung, überhaupt folgendes in Acht nehmen;  
 
1) Suche man die Verdrießlichkeiten nicht, sie werden sich schon selbst finden: Man gehe ihnen mit der Empfindungs- Krafft nicht entgegen, sondern ziehe sich zurück, sie werden uns schon selbst begegnen, oder wohl gar verfolgen. Z.E. Wenn man weiß, daß man seinen Kindern nicht viel verlässet, und man hat schon alles, was möglich ist, gethan, so ists vergeblich, sinnreich nachzudencken, auf wie vielerley Art man das Armuth der Kinder hemmen könnte; denn diese Gedancke hat, nach dem, was wir voraus gesetzet, keinen Nutzen, und stöhret also unsre Zufriedenheit vergeblich.
 
 
2) Suche man die Annehmlichkeiten des Übels, z.E. des Armuth, so lange auf, bis man deren genung hat, sein Gemüthe zu befriedigen. Man spreche nicht, wie die Unwissenden pflegen: Ja was wird das Armuth vor Annehmlichkeit haben? sondern man sehe die 3 Abtheilung dieses Abschnittes, da wird man derselben genug finden, und zwar überhaupt; ein jedweder aber wird bey seinem Armuth insonderheit aus denen andern damit verbundenen Umständen sich noch mehrere zusammen lesen können.
 
 
Solten sich aber
 
 
3) deren dennoch nicht genung finden, so brauche man erstlich diejenigen, die man findet, um einen, zwey und mehr Theile der Verdrießlichkeit damit zu heben, auf die Art, wie wir es gleich zu Anfange dieses Abschnittes gezeiget: Vors andere, was noch von
 
  {Sp. 1147|S. 587}  
 
den Theilen der Verdrießlichkeit übrig bleibet, das hebe man mit Betrachtung anderer Vortheile, so uns etwa GOtt gegönnet, auf: Als der Gesundheit, der guten Freunde, der glücklichen Ehe, wohlgerathenen Kinder, allerhand Hoffnungen, so uns vorstehen, und dergleichen mehr, so wird man gar bald sehen, daß, wenn ja in einem und andern unsern Begebenheiten, daß Böse das Gute übertreffen solte, dennoch es in den zusammen genommenen Umständen unsers Lebens, zu gleichen Theilen gemischet sey.
 
 
Denn diese gleiche Mischung ist göttlich, und wer diese bey sich befindet, der kan und muß vergnüget seyn. Und ob zwar GOtt der HErr vermuthlich niemand leicht in einen solchen Stand setzet, da das Böse das Gute überwäget, so macht doch offt unsre, und andrer Menschen Thorheit und Boßheit, daß wir darein gerathen; aus welchen uns GOtt der Herr nicht sogleich durch Wunder-Thaten errettet, ob wir auch schon selbst uns zu helffen, nicht vermögend sind: Dieser Zustand, da wir aus besagter Gleichheit gesetzet werden, wird ein Unglück genennet.
 
 
Hier nun muß
 
 
4) die Hoffnung das Beste thun, welche, bey richtiger Betrachtung, gar leicht so starck wird, daß sie den Überfluß des Übels zu der von GOtt abgezielten Gleichheit bringet: Jedoch sind andre Mittel deswegen nicht auszuschliessen.
 
  Wir wollen kürtzlich, wie man sich in Unglück aufzuführen habe, erzehlen.  
  Erstlich, entziehe man seine Gedancken sogleich demjenigen, was vom Unglück gegenwärtig ist, und sehe den Augenblick, da uns das Unglück betrifft, auf das Zukünfftige, das ist auf die Würckung desselben: Zukünfftig aber ist nicht allein dasjenige, was in drey oder vier Tagen, sondern auch, was in einer Viertel-Stunde, ja in einem Augenblicke, erfolget.  
  Unter diesen Würckungen sehe man vors andere, sogleich auf diejenigen, so vermeidlich sind, und lasse diejenigen, so unvermeidlich scheinen, fahren, damit bey jenen kein Mittel versäumet werden.  
  Dann brauche man drittens, wider selbige die Mittel, so in nechst vorhergehenden drey Abschnitten sind abgehandelt worden.  
  Nachdem dieses geschehen, so sehe man vierdtens auch auf die unvermeidlichen Würckungen desselben, und hier suche man die Empfindung zu vermindern, und wohl gar zu vermeiden, welches geschehen kan,  
  1) wenn man die obigen drey Regeln  
 
a) Man suche die Verdrießlichkeiten nicht;
b) Man suche die Annehmlichkeiten des Übels etc. und
c) Man brauche erstlich diejenigen Annehmlichkeiten, die man findet, um einen, zwey und mehr Verdrießlichkeiten damit zu heben etc.
 
  beobachtet: Denn auch das Übel, so von Boßheit und Thorheit entstehet, hat ebenfalls zufälliger Weise, viel gutes bey sich;  
  2) Wenn man, wovon wir in der vierdten Regel Meldung gethan, der Hoffnung im Unglück sich wohl zu bedienen weiß: Denn dieses ist was anders, als was wir oben (in dem Abschnitte von dem rechten Gebrauche der Furcht und Hoffnung) abgehandelt, welches war der rechte Gebrauch der Hoffnung vor dem Unglück.  
  Der Gebrauch der Hoffnung in Unglück aber bestehet darinnen: Man bedencke, daß, gleich-  
  {Sp. 1148}  
  wie alle Lust, nachdem sie den höchsten Grad erreichet, so gleich wieder abnimmt, also auch aller Schmertz jeden Augenblick vermindert werde. Denn das ist eine Eigenschafft dieses Lebens, nach welcher es von Himmel und Hölle unterschieden ist, daß keine Empfindung dauret, sie mag gut oder böse seyn: Darum ist man in seinem Unglück gewiß versichert, daß, wenn schon die Noth bleibet, dennoch alle Augenblicke es besser mit uns werde, und daß in gewisser Zeit wir dieselbe entweder gar nicht mehr, oder doch nicht sonderlich, empfinden werden.  
  Wer nun fein glücklich auf gedachtes Abnehmen Achtung giebet, hat immer Ursache bey seiner Noth, sich in der Stille mit zu erfreuen, und GOtt vor die allweise Mischung des Guten und Bösen, in Zufriedenheit zu dancken. Man weiß wohl, daß manches Unglück jähling wieder verschwindet; solte dieses geschehen, so ist das Ende eben so frölich, als er Anfang betrübt, oder erschrecklich gewesen. Solte das Unglück bis in den Todt dauren, so wird uns allgemeine Todes-Noth zum Vergnügen, nicht allein wenn wir sterben, sondern auch so offt wir zuvor an diese Entbindung gedencken.  
  Es gehöret auch zu der Verminderung des empfundenen unvermeidlichen Schmertzens und der Vergleichung des Guten und Bösen, daß man betrachte, wie viel grösser das Unglück noch hätte seyn können. Diese so glücklich vermiedene Grade nehme man, wie sie es wahrhafftig sind, vor soviel Annehmlichkeiten an, so wird man nicht allein gar leicht die Verdrießlichkeit damit aufheben können, sondern auch noch über die Gelindigkeit seines Unglücks, sich zu erfreuen, Ursache haben.  
  Endlich erinnere man sich dessen, was bishero offt erwiesen worden, daß die Mischung der Lust und Unlust ein göttlicher Rath, Ordnung und Wille sey, und gleich durchgehe, den Fürsten so wenig verschone, als den Unterthan; so wird sich erstlich eine Betrübniß über eine falsch vermeynte Ungleichheit legen: Hernach bedencke man die Absicht Gottes, daß durch sothane Mischung uns der Todt versüsset und Lust zum Himmel soll erwecket werden, so wird die Empfindung der Liebe Gottes, und die Hoffnung der Seeligkeit, gar leicht in uns soviel Vergnügen rege machen, daß wir des Übels dabey vergessen werden.  
  Solte nun ja dann und wann, einem und dem andern, nach der Wahrheit, soviel Übels begegnen, als bey andern nicht zu finden wäre, so würde ihm die Hoffnung des Todes, und der darauf erfolgten Glückseeligkeit, in der Vorstellung seiner Gedancken, desto grössere Lust erwecken, und also auch die Ungleichheit selbst dißfalls wiederum zur Gleichheit dienen.  
  (α) Vergleichung der Lust und Unlust des unterschiedenen Standes.  
  Viele Unruhe derer Gemüther entstehet offt aus der Betrachtung des Standes eines Menschen, wenn er ihn gegen den viel höhern, und dem Ansehen nach, glückseligern Zustand eines andern hält: Aber bey genauerer Untersuchung findet es sich, daß die von denen Menschen eingeführte Ungleichheit, die von GOtt verordnete Gleichheit zu  
  {Sp. 1149|S. 588}  
  hindern, nicht vermag. Wir wollen demnach die vermeynte Noth derer Geringeren ein wenig betrachten, und mit der Herrlichkeit derer Vornehmen vergleichen:  
  Was hat denn nun der Geringe vor Noth, die der Vornehme nicht hat? Er muß saure Arbeit thun, die darff der Vornehme nicht thun. Dagegen schläffet er so gut, es schmecket ihm Essen und Trincken gut, er krieget weder Zipperlein noch Wassersucht, auch keinen dicken beschwerlichen Wanst, welches alles leicht denenjenigen geschicht, die nicht arbeiten.  
  (2) Er hat ferner nichts zu trincken als Wasser, nichts zu essen als Butter und Brod. Das schmecket ihm eben so gut, und ist vor die Gesundheit viel sichrer, als Wein, Chocolate, und Vogel-Nester.  
  (3) Er kan nicht schlaffen, wie lange er will. Davor schläffet er die gantze Nacht, und weckt ihn weder Liebe noch überflüßiges Fressen und Sauffen auf.  
  (4) Er hat nicht so viel Bediente, wie die Vornehmen. So hat er auch desto weniger Leute, die ihnen betrügen können.  
  (5) Er darff sich nicht Kutsche und Pferde halten, oder doch nicht mit vieren und sechsten fahren wie ein vornehmer Herr. Davor darf er sich auch in seinem Gewissen nicht bekümmern, ob er sich nicht vielleicht an GOtt versündige, daß er, vor die dicken Bäuche so vieler Pferde, könnte noch zweymahl so viel arme Menschen ernehren, und die Pferde denen Bauern, Soldaten, Fuhrleuten, zu nützlichern Gebrauch, überlassen.  
  (6) In die Versammlungen derer Vornehmen, darff er sich nicht einmahl wagen. So wird er gezwungen, von denenjenigen Orten wegzubleiben, an welche wenig gehen, die nicht mit gestöhrter Ruhe ihres Gemüthes zurücke kommen.  
  (7) Er muß immer unten an, und hinten nach, gehen. Das kan ihm nicht öffter schaden, als wenn zur lincken Hand es regnen solte, und zur rechten schön Wetter wäre.  
  (8) Ein Geringer muß immer denen Vornehmen gute Worte geben. Man verliert mehr Athem, Kräffte und Gesundheit, bey bösen und zornigen, als bey guten und glimpflichen Worten.  
  (9) Er muß immer lassen etwas über sich gehen, und gedultig seyn. So übt er sich in der Tugend (Gedult) die kein Mensch, auch die Mächtigsten, ohne ihren Schaden, nicht entbehren können.  
  (10) Er darf nicht so kostbare Kleidung tragen, wie die Vornehmen. So hat er die Bedeckung seiner Blösse um bessern Preiß, als andre, die eben dieselbe so theuer bezahlen müssen.  
  (11) Die Leute nehmen vor einen Geringen den Hut nicht so ab, wie vor einen Vornehmen: so darf er ihnen, nach dem bekannten Sprüchwort, nicht dancken.  
  (12) Er hat viel Freyheiten nicht, welche Vornehme haben. Davor hat er andre, welche jenen der Wohlstand verbietet.  
  (13) Grosse Herren sehen ihn nicht an. So sehen ihnen kleine Herren an: und deren sind mehr, als derer grossen.  
  (14) Aber diese können ihm nicht soviel helffen: so können sie ihm auch, wenn er ihre Gunst verschertzt, nicht so viel schaden.  
  (15) Man giebt einen Geringen keine grossen Titel. Davor kommen ihm diejenigen, welche man ihm giebt, auch wahrhafftig zu.  
  (16) Ein Geringer kan nicht alles, was er will. Dieses kan auch der mäch-  
  {Sp. 1150}  
  tigste König nicht.  
  Aber (17) ein Geringer kan doch bey weiten nicht so viel, als die Vornehmen. Davor hat er nicht so viel Gelegenheit, sich selbst Noth zu machen, und an GOtt zu versündigen: welches, wenn das Gemüthe nicht sehr wohl eingerichtet ist, leicht geschiehet, wenn man viel kan.  
  Nur scheinet das zu bedauren, daß er (18) auch gute Dinge, aus Mangel der Kräffte, nicht so einrichten kan. Einrichtung ist niemahls ohne Mühe: was Noth ists denn, daß er mit guten Gewissen Ruhe haben, und der Bemühung entbehren kan. Denn wenn er mehr könnte, so verpflichtet er ihn sein Gewissen mehr zu thun.  
  (19) Ein geringer Mensch muß sich befehlen lassen, und darf niemand befehlen. Davor wird er beschützet, und darf niemand beschützen.  
  (20) Vornehme Leute können doch durch ihre Gewalt, mehr Gutes stifften, als Geringe: wenn man die Geringen vornehme macht, so können sie es auch.  
  (21) Ein Vornehmer kan seinen Freunden helffen, das kan kein Geringer nicht. Es ist niemand zu geringe, daß er, wenn er es nur selbst verstehet, seine Freunde nicht zur Klugheit und Tugend, Zufriedenheit und Seeligkeit, anweisen könne, und damit nützt er ihnen weit mehr, als wenn er sie mit grosser Ehre und vielen Gelde, erfreuen könnte.  
  (22) Des Geringen wird vergessen, so bald er stirbet, dahingegen vornehme Leute in der Historie leben. Davor wird auch ein Geringer, nach seinem Tode, desto weniger gelästert, welches offt denen Vornehmen geschiehet: und es ist derer Vornehmen, die in der Historie leben, offt ihr grosses Unglück, daß ihre Thaten der Nachwelt erzehlet werden: überdiß, geniessen auch die Missethäter des historischen Lebens.  
  (23) Aber nichtsdestoweniger lebet doch der Geringe in schlechten Ehren. Davor hat er die Sicherheit zu geniessen, daß ihm niemand nach Ehre und Leben strebet.  
  (24) Ein Vornehmer gehet immer voran, wo es etwas zu geniessen giebet. Weil wir doch nicht alle können voran gehen, so gilt es mir gleich, ob in dem Genuß ein Geringer, oder Vornehmer, vor mir ist.  
  (25) Allein ein Geringer wird gar zu sehr zurück gesetzt. Man kan ihn doch nicht ausser der Welt setzen, und innerhalb derselben ist immer noch Zufriedenheit, und Hoffnung zur Seeligkeit: Wer aber diese zweye hat, ist niemahls gar zu sehr zurück gesetzt.  
  (26) Der Geringe wird von den Mächtigern gedrückt. Dieses ist eine allgemeine Noth, damit auch Fürsten nicht verschonet bleiben.  
  (27) Vor einen Geringen fürchtet sich niemand. Es ist eine schlechte Ehre gefürchtet zu werden: weil man auch die schlechtesten Thiere, als Kröten und Blindschleichen zu fürchten pfleget.  
  (28) Ein Geringer, wenn er auch gleich alle Geschicklichkeit, wie ein andrer hat, wird nicht so zu hohen Ehren-Ämtern gezogen. So sind diejenigen, mit welchen er ohnmittelbahr zu thun hat, nicht so fähig ihn zu stürtzen.  
  (29) Von Vornehmen schreibt man in Zeitungen, von Geringen nicht. Was thut das? Schreibet man doch auch in Zeitungen von Mißgebuhrten, und von recht gebohrnen Menschen nicht.  
  (30) Der Geringe ist manchmahl kranck, und kan, weil er arm und verachtet  
  {Sp. 1151|S. 589}  
  ist, sich nicht so leicht helffen lassen. Davor ist er auch seltener kranck, als diejenigen, die sich können helffen lassen: und seine Kranckheiten sind viel leichter zu heben, als dererjenigen, die in Überflusse leben.  
  (31) Er muß denen Vornehmen, wenn sie ihn auch schelten, dennoch glimpflich begegnen. So muß er ihnen dasjenige thun, was jene ihm thun würden, wenn sie Christlich und vernünfftig wären.  
  (32) Doch dieses dürffte vielleicht den Ausschlag des Vortheils derer Vornehmen machen, daß ihre Kinder immer besser erzogen werden, als derer Geringen. Von einigen Vornehmen und einigen Geringen, ist es allerdings wahr, hingegen von andern bemercket man das Gegentheil.  
  (33) Aber es werden doch aller vornehmen Leute Kinder wenigstens manirlicher erzogen. Es ist wahr, der Leib wird gelencke, sie lernen ihn nach den Regeln der Höflichkeit biegen, desto starrer aber bleibet immer der Wille, welcher bey denen Geringen, als welchen niemand schmeichelt, und einigen Fehler verhält, zu ihrem grossen Vortheil, bey Zeiten gebeiget wird.  
  (34) Etliche derer Vornehmsten regieren in der Welt, wie GOtt im Himmel. Wenn sie dieses thun, so ist ihr Stand so vortrefflich, daß er mit keinem andern zu vergleichen: unterdessen ists doch auch gut vor die andern, daß sie nicht wie jene, vor dem gerechten Richter Himmels und der Erden, von ihrer Statthalterschaft Rechnung ablegen dürffen.  
     
  (β) Vergleichung des Reichthums und des Armuths.  
  Armuth und geringer Stand haben immer einerley Noth. Denn wenn die Geringen reich werden, ists ihnen, nach unsern verderbten Sitten, sehr leicht, auch vornehme zu werden: da sonst Tugend und Verstand den Vorzug oder vornehmen Stand, zu ihrer eignen Belohnung haben solten. Dannenhero kan die vorige Abtheilung mit gehöriger Veränderung, auch von Armuth und Reichthum fast durchgängig hieher gezogen werden: darum wollen wir allhier nur das Armuth und Reichthum, nach gewissen Zustand derer Menschen, mit einander vergleichen:  
  (1) Ein armer Studiosus kan nicht so viel studiren als ein Reicher. So studiret er desto weniger.  
  (2) Aber wenn er weniger studiret, so kan er der Welt nicht so dienen. So dienet er ihr desto weniger: denn dienen ist eben keine grosse Herrlichkeit.  
  (3) Doch wir wollen nur reinen Wein einschencken, er kan auch nicht so viel Ehre und Geld erlangen, als wenn er mehr studiret hätte. Das folget nicht, weil offt die gelehrtesten und geschicktesten Leute, aus Mangel derer Kenner, weniger Ehre und Geld erlangen, als andere plumpe Köpffe, die nach dem gemeinen Dünckel, reden und handeln.  
  (4) Wenn er nun sein Studiren in Richtigkeit gebracht, und der Welt dienen könnte, so hat er kein Geld sich zu heben. Dieses wäre eine billige Bekümmerniß, wenn GOtt die vornehmen Stände von dergleichen Mischung des Guten und des Bösen befreyet, oder das letztere denselben sparsamer zugetheilet hätte.  
  (5) Es ist doch aber Schade, daß er der  
  {Sp. 1152}  
  Welt nicht in einem höhern Stande dienen soll. Wenn der höhere Stand mehr Geschicklichkeit brauchet, und es an Leuten fehlet, so ist es wahr; ihme aber kan es nicht schaden, wenn er der Welt nur dienet, ob er ein hoher oder niedriger Diener ist, wie die vorige Abtheilung zeiget.  
  (6) Auch die Ehren-Stellen, die er noch erhalten konnte, hindern seine Feinde, weil er ihnen mit Gelde nicht gewachsen ist. Wenn er mit Gelde kämpffen will, so ist es vielleicht gut vor ihm, daß er keines hat, er möchte sonst seiner Feinde Rachgier desto hefftiger wider sich reitzen.  
  (7) Er wolte noch eines und das andere versucht haben, wenn er Geld hätte. So hätte er sich auch wohl hier und dar dem Glücke so kühne geliefert, daß er dabey wäre verlohren gegangen, oder doch in Unruhe verfallen.  
  (8) Ein armes Frauenzimmer kan nicht eine so gute Heyrath treffen als eine Reiche. Das folget nicht allezeit: und wenns geschicht, so ist sie davor mehr versichert, daß sie aus Liebe gesucht wird, woran die Reichen immer einigermassen zu zweifeln Ursache haben.  
  (9) Wie aber wenn sie, Armuths wegen, gar nicht begehret wird? So ist sie sicher vor allem dem Ehestande eigenen vielfältigen Unglück: vor Zanck und Schlägen vom Manne: vor einer boßhafftigen Schwieger-Mutter: sie kan nicht in Kindes-Nöthen gebrechlich werden, oder sterben: ihre Tochter können sie nicht durch Hurerey, die Söhne nicht durch Verthulichkeit elend und verächtlich machen. Wenn sie im Ehestande 20 Kinder und Kindes-Kinder erlebet hätte, könnte sie das Unglück an zwantzig Seiten anfallen, da es sie, ausser der Ehe, nur an einer fassen kan.  
  (10) Ein armer Ehemann kan sein Weib und Kinder nicht so wohl versorgen, als einer der Mittel hat. Desto mehr werden sie angetrieben, sich selbst zu versorgen, und fahren offt dabey besser, als diejenigen, welche glauben, daß sie von Mann und Vater versorget sind.  
  (11) Aber ihr Stand lässet offt nicht zu, allerhand Mittel zu ergreiffen. Ihr Stand ist Armuth, und lässet zu, aller ehrlichen Mittel sich zu bedienen.  
  (12) Nicht doch! Was würden die Leute sagen, wenn eine ehrliche Frau Strümpffe besohlete, waschen und scheuren hülffe? Sie könnten nichts mehr sagen, als daß eine ehrliche arme Frau, auf eine ehrliche arme Art sich nehrete.  
  (13) Wenn sie aber dieses thut, hat sie keine Hoffnung ihres gleichen wieder zu erheyrathen. So hoffe sie auf einen geringern, und tröste sich, daß er ihr Armuth nicht so leicht vorwerffen werde.  
  (14) Ein mit Gelde nicht gnugsam versehener Kauffmann, kan seinen Handel nicht so hoch treiben, als ein Reicher. Davor wird er nicht veranlasset, so viel zu wagen, und auf einmahl arm zu werden.  
  (15) So kan er aber nicht reich und ein Capitalist werden. Daran wäre nun eben auch nicht viel gelegen, es würden schon andre Leute an seiner Statt reich und Capitalisten werden. Im übrigen ist es keine Folge: denn wenig Geld und viel Glück macht reicher, als viel Geld  
  {Sp. 1153|S. 590}  
  und wenig Glück; das Glück aber kan man nicht zwingen, sondern man muß es erwarten.  
  (16) Allein jemehr Capitalisten an einem Orte sind, je besser ist der Zustand der Handlung, je besser dieser ist, je mehr Nutzen hat der König und das Land darvon, und der arme Kauffmann ist doch sehr begierig, dem König und dem Lande, nach allen seinem Vermögen zu dienen. Das möchte nun wohl zwar nicht eben die Haupt-Absicht seyn, doch was der König und das Land von ihm nicht geniesset, das wird es schon von einem andern haben, der von ihm reich wird.  
  (17) Ein armer Cavalier wolte gerne honetement leben, hat aber kein Geld. Wenn er Adel und Tugend vereiniget, so wird sich schon Geld finden: der Adel bahnet ihm den Weg zum Glücke, die Tugend erhält ihn dabey.  
  (18) Aber Adel und Tugend machen es nicht aus, es gehöret auch noch Glück darzu, und wer das Glück nicht mit Geld wuchern kan, erlanget es selten. Wir haben noch immer mehr Exempel daß Adel und Tugend die Menschen höher gehoben, als bürgerlicher Stand, und eben so viel Tugend.  
  (19) Doch kan es einem und dem andern wohl fehlen. Das ist wahr: wer wolte aber begehren in einem Stande zu leben, mit dem das Glücke sich verehlichet hätte: indem wir wohl wissen, daß dasselbe noch unter die wenige Zahl derer Jungfrauen gehöret.  
  Weil aber viel Kummer der Menschen daher entstehet, daß sie immer glauben, sie haben nicht genung Vermögen, und die Zufriedenheit des Gemüths dadurch gar sehr kan befördert werden, wenn man weiß, man habe so viel, als man haben soll, so wollen wir eine kleine und höchst nützliche Ausschweiffung, von der Pflicht des Menschen, die er in Besitzung und Erwerbung des Vermögens zu beobachten hat, machen: Es ist aber das Vermögen eine Macht die Kräffte der Natur zu seiner Zufriedenheit zu geniessen.  
  Denn niemand kan mit Geld und Geldes werth, was anders machen, als daß er die Kräffte der Kunst und Natur dadurch an sich bringe. Gedachte Kräffte hat GOtt vor das gantze menschliche Geschlecht erschaffen, zu der Zeit, da noch kein Unterscheid unter denen Menschen war: folglich kan GOtt nicht gewollet haben, daß ein Mensch mehr davon geniessen solle, als der andere: also auch nicht, daß ein Mensch mehr Vermögen soll haben, als der andre, sondern eben so viel: jedoch nicht nach der Zahl sondern nach der vernünfftigen Vergleichung (proportionem non Arithmeticam, sed Geometricam) nehmlich jeder nach seiner Bedürffniß, so daß, wann einer zehen oder hundert mahl mehr brauchen solte, als der andre, ihm nach so viel zu trachten nicht verwehret wäre: denn zu dem Bedürffniß derer Menschen sind die Kräffte der Natur geschaffen.  
  Jedoch ist dabey ausgemachet, daß (wo diese Kräffte nicht etwa zum Überfluß vorhanden, als die Krafft des Wassers, den Durst zu Löschen und dergleichen) niemand solche Kräffte sich also zueignen könne, daß sein Neben-Mensch dadurch in Mangel gesetzet werde: folglich, darf auch niemand so viel Vermögen haben, daß dadurch dem andern der nöthige Gebrauch derer Kräffte der Natur ent-  
  {Sp. 1154}  
  zogen werde, und er doch so vieles Vermögen zu seiner und der Seinigen, Zufriedenheit nicht brauchen könne, sondern es als einen Überfluß besitze, das ist, niemand unter denen Menschen soll reich seyn.  
  Derjenige aber wird reich genennet, der mehr besitzet, als er wahrscheinlich, zu seiner und der Seinigen vernünfftiger Zufriedenheit bedarff. Denn das Reichthum reist die Kräffte der Natur zu sich, und entziehet sie andern Menschen, daß sie z.E. der Kräffte guter Speise, gutes Tranckes, guter Artzeneyen, Kleidung, Wohnung, Ruhe u.d.g. welche alle ursprünglich von GOtt kommen, nicht geniessen können, sondern leben müssen, als wenn GOtt eine arme schwache Natur erschaffen hätte: da indessen ein eintziger Reicher so viel Kräffte der Natur in seinem Eigenthum hat, daß tausend Nothleidende davon können erhalten werden, und er und die Seinigen doch auch noch in gantz wahrscheinlicher Sicherheit ihres Auskommens, verbleiben.  
  Der Reiche indeß, wenn er will gesund und ruhig bleiben, darff besagte Kräffte, die er doch denen Armen, welchen sie GOtt mit gegeben, vorenthält, nicht gebrauchen, sonst müste er in einem Tage von besagten Kräfften bersten, wenn er z.E. so viel essen und trincken wolte, als er ohne Gefahr arm zu werden, bezahlen kan. Also wird solcher Reichthum, zu Ausheckung eines mehrern, oder zum Schaden des Besitzers, oder zur Eitelkeit gebraucht: Denen Armen indessen, welche sich von ihnen etwas ausbitten, soll GOtt helffen, welcher ihnen genung geholffen hätte, wenn die Reichen nur ihren Überfluß zum allgemeinen Gebrauch wolten hergeben.  
  Daß also da dieses die Vernunfft zeiget, man, wenn der Heyland Luc. VI. 24. spricht, wehe euch Reichen, ihr habt euren Trost dahin, u. Matth. am XIX 23. 24. es sey leichter, daß ein Cameel durch ein Nadel-Öhr gehe, als daß ein Reicher ins Reich GOttes komme, sich vielleicht mit allerhand erdichteten Erklärungen dieser Sprüche, vergebliche Polster unterzulegen scheinet.  
  Wenn wir hier von denen Kräfften der Natur reden, so meynen wir es nicht nur von Wiesen, Teichen, Äckern und dergleichen, worinne diese Kräffte vornehmlich zu finden, sondern auch vom Gelde. Denn das Geld ist wie ein Freyheits-Brieff (diploma) davor man alle Kräffte der Natur haben mag: so daß, wer dergleichen güldenes oder silbernes Diploma aufweisen kan, nachdem es hoch oder niedrig lautet, so gleich sich weniger oder mehrer Kräffte der Natur anmaßen darff.  
  Wenn wir ferner sagen, man müsse den Überfluß nach der Wahrscheinlichkeit schätzen, so muß man solche mit der Möglichkeit vermengen. Denn niemand ist jemahls so reich gewesen, daß er und die Seinigen nicht hätten können arm werden: auch hat diese Sammlung des Reichthums, nach Betrachtung der Möglichkeit, keine vernünfftige Würckung, wie die Wahrscheinlichkeit, indem nach dieser, wer eine Million besitzt, nicht so leicht kan arm werden, als wer nur eine Tonne Goldes hat; aber nach der Möglichkeit ists einerley, weil z.E. der Krieg, der eine Tonne Goldes raubt, auch eben so wohl eine Million hinnehmen kan. Wenn nun also vernünfftig Geld sammlen will, muß auf die Wahrscheinlichkeit  
  {Sp. 1155|S. 591}  
  sehen; wer es aber nach der Möglichkeit zusammen häuffet, handelt gantz vergeblich und unvernünfftig.  
  Damit man nun aber dieses, welches zum rechten Gebrauch des Geldes viel dienen kan, recht verstehen möge, so muß man die Gedancke vom Überfluß niemahls aus dem Sinne lassen. Denn der Überfluß, der keinen Nutzen hat, macht das Reichthum, und nicht die Summe. Darum kan man Tonnen Goldes und Millionen mit guten Gewissen besitzen, wenn man dadurch nicht reich wird.  
  Es sind dannenhero drey Arten von Menschen, welche ohne Bedencken Geld oder Vermögen haben können, soviel ihnen zu erhalten möglich, der König, oder alle hohe Obrigkeit im Nahmen des gemeinen Wesens, der Kauffmann, und Wohlthäter. Denn der König ist niemahls, der Kauffmann und der Wohlthäter selten reich.  
  Nehmlich ein König ist nicht eher vor reich (nach dem angenommenen Verstande dieses Worts) zu schätzen, biß er von allen Vermögen, das auf Erden ist, ein ansehnliches über die Helffte hat. Denn wenn er nur so viel hätte, so könnten ihn die andere Helffte der Könige bekriegen, auch wäre es wahrscheinlich, daß sie es thun würden, und er wäre nicht sicher, sie zu überwinden: es hat aber niemahls kein König die Helffte der Erde besessen. Weil nun dißfalls alles was ein König haben kan, zum Nutzen des gemeinen Wesens dienlich ist, so darff kein König, oder hohe Obrigkeit, sich ein Gewissen machen, Geld beyzulegen, so viel dessen zu haben ist: jedoch soll er wegen des Gebrauchs, als ein Statthalter GOttes sich aufführen.  
  Um von dem Kauffmanne auch, was wir gesagt, zu erweisen, nehmen wir an: daß Kauffmannschafft einem Lande nützlich sey, welches zum wenigsten von einem und dem andern wahr ist. Also jemehr der Kauffmann hat, jemehr kan er die Handlung der Stadt, worinnen er lebet, befördern; thut er dieses, so hat das Geld, welches er besitzet, ob es auch schon sehr groß wäre, seinen öffentlichen Nutzen, folglich macht es keinen Überfluß. So ist er denn auch, so lange er handelt, und dadurch das gemeine Beste befördert, nicht reich, und darff sich eben auch keine Gedancken machen so viel Geld zu besitzen, als er haben kan. Wenn er aber nicht mehr handelt, so muß er die Gebote Christi, und der Vernunfft vom Reichthum hören, sie mögen in seinen Ohren gleich noch so harte klingen. Matth. XIX, 21.
  Ein Wohlthäter, weil er allezeit bereit ist andern Leuten, so es verdienen, von dem, was er vor sich und die Seinigen nicht braucht, beyzustehen, so hat sein Vermögen einen GOtt wohlgefälligen Nutzen, und also ist er nicht leicht reich, wenn er auch gleich eine ziemliche Summe besitzen solte. Denn wäre gleich vor ihm, die Seinigen, und alle würdige Armen, so er kennet, vor jetzo zu viel Vermögen da, so kan er doch nicht wissen, wie viel nothdürfftige sich zu andern Zeiten finden möchten. Denn weil viel Menschen sind, die die Kräffte der Natur, wenn sie solche in ihrer Gewalt hätten, mißbrauchen wolten, als Schwelger, Müßiggänger, Zäncker u.d.g. auch andere sind, die zwar gehöriger maßen dieselben anwenden wolten, durch den um sich fressenden Krebs des Reichthums aber, von deren ver-  
  {Sp. 1156}  
  nünfftigen Gebrauch abgehalten werden, und also jenen wenig oder nichts zu besitzen zukommet, diese durch die verderbten Sitten derer Menschen, nicht haben, was sie sollen, und dennoch beyde von denen Kräfften der Natur müssen erhalten werden, so nehmen vernünfftige Menschen deren beyden Gelder gleichsam zu sich, um diesen das Capital, und jenen die Interesse zu zahlen.  
  Hieraus folget ferner dieser höchst nützliche Schluß, daß, was ein jeder von Überfluß hat, nicht sein ist, sondern des andern: welches er zwar haben mag als ein Vormund derer Armen, die entweder, wegen der Macht derer Reichen, zu nichts kommen können, oder wegen ihres liederlichen und boßhafftigen Wesens, nichts eigenthümlich haben sollen: damit, wenn es nöthig befunden wird, er beyden, wenig oder viel, nachdem es der Zustand erfordert, dabey auch hundert und tausend Thaler nicht müssen vor zu viel erachtet werden, zahlen möge.  
  Es müssen aber die Armen von denen Wohltätern, biß zu ihrer vernünfftigen Zufriedenheit, versorget werden. Denn GOtt hat die Kräffte der Natur zu aller Menschen Zufriedenheit, erschaffen: nehmlich denen Armen muß so viel gegeben werden, daß ihnen der Mangel des Vermögens kein Gutes nehme, daß sie nach GOttes Willen haben sollen.  
  Eitelkeiten sollen sie nach GOttes Willen nicht haben, so ist ihnen dann der Wohlthäter auch nicht darzu verpflichtet. Einem von starcker Leibes-Beschaffenheit soll er weniger geben, als einem Schwächlichen und Krancken: einem Boßhafftigen weniger, als einem Frommen, doch auch diesem nichts, was seine Eitelkeit reitzen kan: einem geschickten Menschen, der wahrscheinlich das gemeine Beste befördern kan, soll er mehr, und nach Gelegenheit der Umstände vielmehr geben, als einem andern (weil solches ein Mittel ist die allgemeine Zufriedenheit zu befördern.)  
  Deswegen soll auch der Stand der Armen in Betrachtung gezogen werden, wenn es ein Stand ist, damit man der Welt dienen kan: weil der Pöbel gleich pfleget denenjenigen, der nach seinem Stande nicht leben kan, zu verachten und sein Gutes nicht anzunehmen.  
  Diese drey Arten von Menschen, der König oder die Obrigkeit, der Kauffmann, und der Wohlthäter, mögen also sich Vermögen anschaffen, soviel sie ohne Unrecht können, doch dürffen es die letztern zwey nicht so stets behalten: und diese sind, wie wir gewiesen haben nicht reich.  
  Nun wollen wir aber auch beweisen,  
  (1) daß einige mögen sehr viel Geld haben, ohne daß sie sündigen, doch nicht allezeit soviel, als sie haben können: daß ist, sie mögen Tonnen Goldes und Millionen besitzen, doch ist ihnen nicht vergönnet, reich zu seyn,  
  (2) ferner, daß einige auch reich seyn mögen, jedoch nur auf eine gewisse Zeit. Nehmlich die ersten sind, die zu ihrem hohen Stande viel gebrauchen, um das Ansehen desselben zu behaupten, und der Welt dadurch zu dienen, als hohe Ministri u.d.g. Denn daß man nach Unterschied des Standes mehr aufgehen muß lassen weil es ein Mittel ist, sich vor Verachtung derer Unwissenden zu bewahren, bey welcher man ihnen nicht dienen kan, dieses ist, ob es wohl scheinet, besagter Ursachen wegen mit nichten unter die Eitelkeit zu zählen.  
  Dar-  
  {Sp. 1157|S. 592}  
  um mögen auch andere, jedweder nach seinem Stande, wenn er mit demselben der Welt dienen kan, so viel haben als sie gebrauchen: denn so lange das Vermögen seinen vernünfftigen Nutzen hat, ist es kein Reichthum.  
  Zu der andern Art derjenigen, die eine Zeitlang reich seyn können, gehören  
  (1) alle unverheyrathete, so lange sie Lust zu heyrathen haben. Denn weil diese nicht wissen, wie starck die Familie werden, und wie vermögend die geheyrathete Person seyn möchte, so haben sie das Recht, so viel Überfluß, als sie wahrscheinlich vor die Ihrigen brauchen könnten, zu behalten bis sie sehen, was sich mit der Zeit hervor thue.  
  (2) Auch diejenigen verheyratheten, welche noch, und so lange sie noch im Stande sind Kinder zu zeugen, wegen nur angeführter Ursache.  
  (3) Alle diejenigen, welche gedencken in einem höhern Stande, bey dem man mehr muß aufgehen lassen, der Welt besser zu dienen, als in dem vorigen. Diese mögen so lange, bis sie gedachten höhern Stand erlanget, in dem vorigen, Überfluß und Reichthum haben.  
  Wie aufrichtig ein jeder, der sich dieser Rechte bedienet, besagte Absichten heget, und wie viel er also vom Reichthum eine Zeitlang zu haben berechtiget sey, das müssen wir eines jeden eigenem Gewissen überlassen. Es muß sich aber hier niemand, nach Betrachtung blosser Möglichkeit, des Rechts, Reichthum zu besitzen, anmassen, sondern es muß die Vermehrung der Familie, und der Nutzen, welchen man der Welt gedencket in einem höhern Stande zu leisten, wahrscheinlich seyn: weil blosse Möglichkeit niemahls kein Recht giebt.  
  So kan man demnach, bey einerley Summe, reich und nicht reich seyn. Also ein Mann, der weder Weib noch Kind hat, kan bey einem gewissen Vermögen reich seyn, bey welcher er nicht reich wäre, wenn er Weib und Kinder hätte; ingleichen, wer nur ein Kind hat, kan reich seyn, und eben bey der Summe arm, wenn er deren drey, oder noch mehr, hätte.  
  Wer einfältige und tumme Kinder hat, wird nicht so bald reich, als einer dem GOtt kluge und muntere gegeben. Wer boshafftige Kinder hat, wird eher reich, als wer fromme hat: denn jenen dienet der Mangel zum Zügel. Es ist vernünfftiger Geld und Reichthum, das man hat, zu behalten, als zu suchen. Denn man muß solche Behutsamkeit brauchen, dasselbe GOtt gefällig auszutheilen, daß man es gar leicht etliche Jahre behalten muß.  
  Ob wir nun zwar eben nicht glauben, daß sich viele Reiche, nach diesen jetzt bewiesenen Regeln von Reichthum, richten werden, so haben wir sie doch nicht weglassen wollen: so wohl, weil sie der Vernunfft, und wie uns bedünckt, auch dem Sinn der Heiligen Schrifft gemäß sind, als vornehmlich, weil sie zu der Zufriedenheit vieler, die sich über ihrem vermeynten Mangel, und andrer Überfluß betrüben, ein merckliches beytragen können. Denn wenn sie dißfalls sehen, daß sie, nach Gottes Willen, kein Reichthum, das ist, Überfluß, haben sollen, so werden sie vielleicht befinden, daß sie schon gnug haben, oder doch nur noch ein weniges bedürffen, worzu ihnen gute Hoffnung vorstehet.  
     

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Stand: 31. März 2013 © Hans-Walter Pries