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Zedler: Blutschande HIS-Data
5028-4-247-8
Titel: Blutschande
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 4 Sp. 247
Jahr: 1733
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 4 S. 139
Vorheriger Artikel: Blutsauger
Folgender Artikel: Blut. 1. Joh. 5, 8
Siehe auch:
Hinweise:

  Text Quellenangaben
  Blutschande, wird die Vermischung derer Personen genennet, welche das Geblüte unter einander gemein haben, als Vater und Tochter, Schwester und Bruder, Groß-Vater und Enckelin, Vaters Bruder und Bruders Tochter, Vaters Schwester und Bruders Sohn et vice versa, von welchen letztern absonderlich in dem Titel Respectus Parentelae soll gehandelt werden.  
  Gemeiniglich wird auch hierzu die allzunahe Schwägerschafft gerechnet, als des Mannes Schwester, der Frauen Bruder, und dergleichen. Es ist aber dieses erstens wider den Wort Verstand, hernachmahls sind auch noch besondere Dinge dabey zu betrachten, weswegen wir die Abhandlung von denen Heyrathen in die Schwägerschafft an einen andern Orte abhandeln werden.  
  Es hat von der Blutschande Schnaderbach Disput. I. de Respectu parentelae Halae 1723. am vollständigsten gehandelt, welche Schrifft wir, in so weit sie zu unsern Vorhabe dienet, zum Grunde unserer Betrachtung legen wollen.  
  Erstlich handelt er von der Betrachtung dieser Sache nach dem Jure Naturae. Er führet  
  {Sp. 248}  
  hierbey zuerst die Meynung derer Theologorum an,  
 
1) Ambrosii, welcher Tom. III. Lib. VIII. Epist. 66. von der verbotenen Heyrath zwischen dem Bruder und der Schwester Tochter diese Argumenta vorbringet.
 
 
 
α) Es wäre wider die Ehrfurcht, welche man denen Eltern, und die ihre statt vertreten, schuldig wäre: Die Gegner aber wenden dabey ein, es könne gar wohl die Ehrfurcht und die eheliche Liebe beysammen stehen, wie solches aus der Heyrath eines Königes mit einer geringen Person erhelle.
Siehe
 
 
β) Es wäre wider die Bluts Freundschafft. Hierbey wird gesagt, die Physicalische Ursache könne keine moralische Würckungen hervorbringen; Eva wäre des Adams Weib geworden, ungeachtet sie aus seiner Ribbe entstanden; Die eheliche Liebe würde durch eine solche doppelte Liebe um desto grösser.
 
 
 
γ) Es wäre wider die Ehrfurcht des Namens: Vaters Bruder. Diese sonderbare Betrachtung des Namens aber hat ihren Ursprung von denen Griechen, deren Sitten uns nicht zur Vorschrifft dienen.
 
 
 
δ) Die Namen würden hierdurch verwechselt. Diese Verwechselung derer Namen ist aber gleichwohl bey denen moralischen Umständen von keiner Wichtigkeit.
  • Rhodius de Incestu contra naturam.
  • Schnaderbach l.c.
 
2) Augustini, welcher de Civitate Dei … diese Ursachen wider solche Heyrathen anführet.
 
 
 
α) So würden die Freundschafften bey solchen verbotenen Heyrathen desto mehr erweitert. Solches ist bereits die Meynung des Plutarchi Quaest. Romanar. … gewesen. Dieser Satz wird als eine politische raison in dem Jure Naturae verworffen, da aber gleichwohl derselbe den Nutzen aller politischen Gesellschafften befördert, und man nach der obigen Meynung noch viel andere Dinge mehr aus dem Jure Naturae verbannen könte, so ist der Satz so einfältig nicht, als sich Walch in Lexic. Philos. … einbildet, ungeachtet dessen Worte mit des Thomasii Jurisprud. Divin. … genau übereinkommen.
 
 
 
β) Erfordere solches die natürliche Schamhafftigkeit. Wowider aber eingewendet wird, daß diese Schamhafftigkeit nicht von der Natur, sondern von der Gewohnheit herrühre, indem man jederzeit die Kinder in derselben unterrichtete,
wie solches
  • Plato VIII. de Legibus,
  • Simplicius ad Epictetum;
  • Seldenus de Jure Naturae et Gentium
anführen. Siehe Schnaderbach l.c. …
 
3) Chemnitius loco de Conjugio … hat folgende Argumenta.
 
 
 
α) Die Cananiter wären dieser Sünden wegen gestrafft worden.
Levit. 18.
 
 
  Man saget aber hierauf, es wäre diese Straffe nicht von allen daselbst befindlichen Gesetzen zu verstehen. Denn die erstern hätten die Cananiter nicht erkannt, sondern wären erst von dem Mose gegeben worden, müste man also dieses nur von denenjenigen ausdeuten, welche in dem 19. und folgenden Versen enthalten sind, indem diese wider die Natur wären, welcher Auslegung auch die Juden beygepflichtet.
Seldenus de Jure N. et G. VII. 2.
 
 
β) GOtt hätte Levit. 18. 5. demjenigen, welcher diese Gebothe halten würde, eine Beloh-
 
  {Sp. 249|S. 140}  
 
 
  nung versprochen, woraus erhelle, daß dieses nicht Leges Forenses, sondern natürliche und moralische Gesetze wären. Man giebet aber erstlich nicht zu, daß die versprochene Belohnung ein moralisches Gesetz mache. GOtt will überhaupt seine Gesetze, es mögen natürliche oder positivae seyn, gehalten wissen. Dieses siehet man aus dem Exempel des Adams. Ezechiel XX. 11. 13. 16. 21. machet keinen Unterscheid zwischen denen natürlichen und andern Gesetzen, denn er stellet dem Volcke sowohl das Gesetz von dem Sabbath, welches kein natürliches Gesetze ist, als die übrigen vor.
 
 
 
  Daß bey denen natürlichen Gesetzen Matth. 19, 17. Luc. 10. 28. Galat. 3, 12. die Belohnung versprochen wird, beweiset keinesweges, daß auch nicht zu andern Gesetzen diese Clausul nicht könne hinzugesetzet werden. CHristus verspricht Marc. 16, 16. denenjenigen das ewige Leben, welche glauben und getaufft werden, und gleichwohl ist weder der Glaube, noch die Tauffe ein Werck der Natur.
 
 
 
γ.) So berufft er sich auf die Propheten. Ezechiel 22, thäte der natürlichen Gesetze Erwehnung. Es redet aber der Prophet nicht allein von diesem, sondern auch von denen positiv-Gesetzen, als dem Sabbath. Wenn Amos 2, 7. solche Sünden dem Volcke vorrücket, so straffet er zwar seine Untugend, erinnert aber nicht dabey, daß dieses natürliche Gesetze wären.
 
 
 
δ.) beruffet er sich auf die Exempel des Neuen Testaments, als
 
 
 
 
α.) auf das Weib Herodis, welchen Joannes deswegen schalte;
Marc. 6, 8.
 
 
 
  allein die Anzahl dererjenigen ist weit stärcker, welche behaupten, daß Joannes deswegen die Straff-Predigt gehalten hätte, weil Herodes die Frau seines Bruders annoch bey dessen Lebzeiten geheyrathet hätte.
  • Noldius Hist. Idumaea …
  • Cellarius Dissert. de Joannis Baptistae …
 
 
 
b) Daß Paulus einen straffe, der seines Vaters Weib habe.
1. Corinth. 5, 1.
 
 
 
  Es ist aber dieser Casus noch nicht so ausgemacht, als wie sich ihn Chemnitius vorgestellet, sonderlich da der Apostel überhaupt von der Hurerey redet.
 
 
 
ε) Daß dergleichen Gesetze bey denen Heyden im Gebrauche gewesen wären, wovon wir unten bey des Gerhardi 7. Argument mit mehrern handeln werden.
 
 
 
ζ) Daß GOtt ausserordentliche Straffen, welche sonst bey denen Levitischen Gesetzen nicht gewöhnlich wären, gesetzet hätte. Da aber die Straffen willkührlich sind, so ist daher noch kein Schluß auf die Natur des Gesetzes zu machen,
Schnaderbach l. c. §. 5.
 
4) Bey dem Gerhardo findet man nachfolgende Argumenta.
 
 
 
α) welches wir (sub a) bey dem Chemnitio angeführet: wobey er aber noch hinzu setzet, daß Levit. 20, 23. stünde: Denn solches alles haben die Heiden gethan: Könne man also nicht darwider einwenden, daß die Cananiter nur wegen etlicher Levit. 18, genannten Sünden wären gestrafft worden. Allein man findet mehr Stellen in der Schrifft , da alles soviel als der meiste Theil heisset. z.E. Exod. 32. 3. & 26. 1. Corinth. 10. 7. und Actor. 2. 5.
Noch mehrere hat Glassius in Philologia Sacra
 
 
β.) Die Matrimonial-Gesetze wären mit andern natürlichen Gesetzen in einer Reyhe von GOtt vorgebracht worden, deswegen gehörten sie zu dem moralischen Gesetze.
 
  {Sp. 250}  
 
 
  Er setzt aber selber die Limitation hinzu, wenn nicht die Umstände eine andere Auslegung an die Hand gäben. Wobey man noch dieses mercken kan, daß es dem allerhöchsten Gesetz-Geber frey gestanden, diese Gesetze mit einander zu verbinden.
 
 
 
γ) Ist mit des Chemnitii (sub ζ)
 
 
 
δ.) ist mit des Chemnitii (sub β)
 
 
 
ε.) ist mit des Chemnitii (sub δ) einerley.
 
 
 
η.) führet dieses Argument des Chemnitii (sub ε) weiter aus. Er beruffet sich dißfalls auf die gegebene Gesetze derer Kaysers und Rescripta derer alten ICtorum, welches aber aus der Tradition kan hergeführet werden. Ferner führet er die Gesetze anderer Völcker an, wobey man aber eben dasselbige erinnern kan. Letztlich so beruffet er sich auf die Historie derer Thiere, welche in diesem Falle das Gesetze der Natur beobachten sollen. Welches letztere aber keinesweges zu billigen, indem die Gesetze derer Thiere nicht eine Vorschrifft derer Menschen sind.
Was sonst bey dieser Meynung könne erinnert werden, siehe Henrici Theophili Schellhafferi Disput. de jure, quod natura omnia animalia docuit. Lipsiae 1727. …
 
 
θ.) beruffet sich auf die Stellen derer Kirchen-Väter, welche wir oben angeführet.
 
 
 
ι.) gründet sich auf das Geständniß seiner Gegner, welches aber, weil er nur kat' anthropon disputiret, hier nicht in Betrachtung zu ziehen ist.
 
  Nach denen Theologis wollen wir nunmehro die Meinungen derer Juristen von dieser Sache erzehlen.  
 
1) Grotius de Jure Belli et Pacis … spricht also: Illum, qui caussas certas atque naturales prohibitorum matrimoniorum adsignare voluerit, experiendo discere, quam id sit difficile, immo praestari non possit. Gleichwohl nimmt er in dem folgenden §. die Ehen in Linea recta aus, als die, wegen derer Eltern schuldigen Ehrfurcht verboten wären. Man kan aber hierbey erinnern, es könten die Eltern ihrem Rechte absagen, und stünde es dahero der Mutter frey, ob sie dem Sohne, als ihrem Ehmanne, die Herrschafft einräumen wolle, oder nicht. Was Grotius sonst von der Natur derer Thiere beybringet, ist so beschaffen, daß er selbst nicht viel darauff bauet, und haben wir solches auch allbereit oben verworffen.
Siehe Schnaderbach loc. cit. …
 
2) Pufendorff de Jure Naturae et Gentium … erinnert, man könne diese Sache nicht aus dem Principio Socialitatis herführen, weswegen er auch um andere Gründe bemühet ist. Er verwirfft erstlich die Widerstrebung der Natur, welche er gemeiniglich anzuführen pfleget, indem dieselbe nicht ihren Ursprung aus der Natur, sondern aus der Gewohnheit habe. Hernachmahls verfähret er auf eben diese Weise mit der Meynung des Augustini, indem hier die Frage nicht sey, was nützlich, sondern was recht wäre; sein eigener Grund aber ist nachfolgender: Der Mensch strebe sehr nach der Ehre, dahero suche er dasjenige, was an ihm schändlich sey, auf alle Art und Weise zu verbergen, sonderlich vor denjenigen, gegen welche er die gröste Ehrfurcht hat.
 
 
Es ist aber hierbey zu gedencken, auf was die Meynung von der Schändlichkeit beruhe, da die natürlichen Dinge an und vor sich selbst nicht schändlich sind, und, wie er selbst gestehet, diese Schaam nicht von der Natur, sondern
 
  {Sp. 251|S. 141}  
 
aus der Gewohnheit herkomme. Diese Lehre ist hernachmahls von Lamperto a Velthuysen in Dissertatione Epistolica de Principiis Justi et Decori, ingleichen in Tractatu morali de Naturali pudore et dignitate hominis, weiter ausgeführet worden, welchem aber Thomasius in Disputatione de Fundamentorum definiendi causas matrimoniales … geantwortet.
Siehe Schnaderbach Loc. cit. …
 
3) Browerus de Iure Connubiorumtheilet das Ius Naturae in das Ius corporis et mentis ein, da Ius mentis theilet er wieder in Ius mentis simpliciter intelligentis, da die Vernunfft gleich in dem ersten Augenblicke siehet, was recht ist, et ratiocinantis, da die Vernunfft von einer anfangs zweiffelhafft scheinenden Sache nach gegen einander gehaltenen Gründen einen Schluß fasset. Den Grund von dieser Eintheilung möchte man vielleicht bey denen Juden antreffen.
Siehe Seldenum de Iure Naturae et Gentium
 
Nach diesen Sätzen nun sagt er, die Ehen in der nahen Anverwandtschafft wären nicht wider das Ius Naturae corporis, sondern wider das Ius mentis tam intelligentis, quam ratiocinantis, indem die Ehrfurcht gegen die Eltern mit der auf beyden Seiten gleicher Gewalt im Ehestande nicht bestehen könne. Es sind aber hierbey zwey falsche Sätze,
 
 
 
1) haben wir schon oben angeführet, daß sich die Ehrfurcht mit der ehelichen Liebe gantz wohl vertrage.
2) So ist es noch nicht ausgemacht, daß die gleiche Gewalt im Ehestande ein nothwendiges Stücke sey, er selbst berufft sich in diesem Falle in dem Beweise nicht auf die Vernunfft, sondern auf den L. 1. π. de ritu nuptiarum, hernachmahls bringt er aus dem Jure naturae intelligente diesen Satz vor: Die Natur gäbe nicht zu, daß sich einer mit sich selbst verbände, nun wäre Vater und Tochter gleichsam eine Person, könte also der Vater sich nicht mit sich selbst verheyrathen. Es erhellet aber aus dem Worte gleichsam gantz deutlich, daß dieses nur ein Schein-Grund sey.
Schnaderbach l.c. …
  Dieses sind nun die Meynungen dererjenigen gewesen, welche behaupten wollen, daß die Blut-Schande wider das Recht der Natur wäre, bey deren Gründen wir dennoch allemal viel Erinnerungen finden.  
  Diejenigen, welche behaupten, daß die Blut-Schande nach denen Rechten der Natur erlaubet wäre, gründen sich sonderlich darauf, daß dieses dem Principio Iuris Naturae nicht zuwider sey. Schnaderbach loc. cit. …
  Die vornehmsten Auctores sind  
 
1) Thomasius, in Iurisprudentia divina … wo er behauptet, diese Frage müsse nicht aus dem Iure Naturae, sondern aus dem Iure divino positivo entschieden werden, er ändert aber in denen Principiis Iuris Naturae et Gentium … seine Meynung, wo er saget: daß die Blutschanden zwar nicht wider die Regulas Iusti, wohl aber honesti et decori wären.
2) Griebner in Principiis Iurs Naturae
3) Rechenberg in Institutionibus jurisprudentiae Naturalis
4) Treuer ad Pufendorf. de Officio hominis et civis.
5) Musig. im Licht der Weisheit …
6) Georg Beyer in Delineatione Iuris divini Naturalis
7) Andreas Hojerus in Shediasmate de nuptiis propinquorum.
Siehe Schna-
  {Sp. 252}  
    derbach loc. cit. …
  Die andere Betrachtung, welche man von der Blut-Schande anstellet, geschiehet nach dem so genannten Jure Gentium, oder dem Gebrauche derer Völcker. Cain muß nothwendig seine Schwester zur Ehe gehabt haben, denn was die Rabbinen meynen, daß Adam vor der Eva eine Frau gehabt habe, ingleichen, was Peyrerius in Systemate Theologiae … gedencket, daß es eine Prae-Adamitin gewesen, ist augenscheinlich ohne Grund.  
  Gleichfalls ist dasjenige nicht zu glauben, was Augustinus de Natura et Gratia … vorbringet, daß Cain zugleich seine eigene Mutter zur Ehefrau gehabt habe. Muß also wol seine Schwester seine Frau gewesen seyn. Siehe hiervon Jo. Gottfr. Mayer in Prol. Dissertat. de Admirabili Iacobi
  Abraham hat gleichfalls seines Vaters Tochter Saram zum Weibe gehabt. Gen. 20, 12.
  Einige zwar wollen behaupten, sie wäre eine Enckelin seines Bruders gewesen, es sind aber dieselben von Baylen in Dictionario sub voce Sara wiederleget worden. Siehe hiervon Mayern loc. cit.
  2. Sam. 23. will Ammon bey seiner Schwester Thamar schlaffen, und sie antwortet v. 13. Rede aber mit dem Könige, der wird mich dir nicht versagen. Wobey die Ausleger allerhand Gedancken haben. Siehe Seldenum in Uxore Ebraica
  Von denen übrigen Völckern finden wir dißfalls Nachricht im Tiraquello de Legibus Connubialibus. Von denen Brittanniern berichtet er aus dem Iulio Caesare, daß bey denenselben die Blut-Schande üblich gewesen. Von den Arabern sagt er aus dem Strabone XVI. ein gleiches. Eben dieses war bey denen Persern gebräuchlich.
  • Plutarchus de Fortuna Alexandri.
  • Minucius Felix in Octavio
  • Brissonius de Regio Persarum principatu
  • Menagius ad Diogenis Laertii Prooemium
  • Freinshemius ad Curtium
  Bey denen Äthiopiern, Indianern und Scotis finden wir ein gleiches. Hieronymus adversus Iovinianum II.
  Bey denen Mauris und Babyloniern waren solche nahen Ehen in grossen Ehren.
  • Philo Judaeus de Specialibus Legibus.
  • Alexander ab Alexandris Dierum Genialium
  Von denen Griechen findet man nachfolgendes, daß nach denen gemeinen Gesetzen die Ehen zwischen denen leiblichen Schwestern und Brüdern verboten gewesen.
  • Artemidorus
  • Plato de Legibus
  Solon soll denen Atheniensern verstattet haben, die Schwester vom Vater, nicht aber von der Mutter zum Weibe zu haben.  
  Wir finden im Cornelio Nepote in Praef. et in Vita Cimonis I. an dem Cimone ein Exempel, daß er seine Schwester zur Ehe gehabt, welches ihm nicht übel wäre ausgeleget worden. Alleine Andocides in Oratione contra Alcibiadem sagt, die Ubertretung des Gesetzes in der Ehe mit seiner Schwester wäre dem Cimoni nicht wohl gesprochen worden; welchem Athenaeus … beystimmet. Plutarchus in Cimone läst die gantze Sache in der Ungewißheit. Conf. Meursium in Themide Attica
  Lycurgus gab denen Lacedämoniern ein Gesetze, daß man die Schwester von der Mutter, nicht aber von dem Vater heyrathen solte.
  • Philo Judaeus de Legibus Specialibus
  • Cragius de Republ. Laced. …
  Daß die  
  {Sp. 253|S. 142}  
  Ehen mit denen Schwestern bey denen Macedoniern verboten gewesen, beweiset Norisius in Epochis Syro-Macedonum ...  
  Die Egyptier hatten in Gewohnheit, ihre Schwestern zu heyrathen, weil dergleichen Ehen zwischen dem Osiride und der Iside glücklich gewesen seyn solte.
  • Diodorus Siculus
  • Witsius in Aegyptiacis ...
  Bey denen Römern waren dergleichen Heyrathen verboten. Siehe hiervon Schnaderbach in Dissert. II. de respectu Parentelae Lipsiae 1724.
  Doch alle diese Gewohnheiten derer Völcker können zu keiner Regel dienen, sondern dasjenige, welches wir bey denen Gesitteten antreffen, dienet nur zur einer Erläuterung, daß ein Satz nicht wider die Vernunfft sey. Da nun in der Vernunfft so mancher Widerspruch wider den Satz, daß die Blut-Schande nach denen Rechten der Natur verboten sey, gefunden wird, so berufft man sich in diesem Falle auf die göttlichen Gesetze Levit. 18. von welchen
  • Thomasius Jurisprudentia Divina
  • Schnaderbach Dissert. I. de Respectu Parentelae 3.
weitläufftig handelt.
  Die Frage: Ob diese Gesetze für die Juden allein, oder für das gantze menschliche Geschlechte geschrieben worden? wollen wir wegen ihrer Weitläufftigkeit bis unter den Titel: Göttliches Gesetze, versparen.  
  Wir wollen nur noch anietzo die Bewegungs-Gründe anführen: Warum die Blut-Schande mit Recht verboten werde? Es ist nöthig, dieses zum voraus zu setzen, daß, ob man zwar wider ieden Grund insonderheit etwas einwenden könne, wie solches von Schnaderbach Dissert. I. … geschehen,
  man doch diese Gründe alle zusammen nehmen müsse, da denn sich ihre Wichtigkeit zeiget.  
  Die Blut-Schande ist zwar also nicht wider die Natur, daß die menschliche Gesellschafft nicht bey derselben bestehen könne, der Anfange des menschlichen Geschlechtes so wohl als die angeführten Gewohnheiten derer Völcker bezeugen dieses, gleichwol aber muß man in dem Rechte der Natur nicht nur dahin sehen, wo die Gesellschafft bestehen könne, sondern auch, wodurch ihr Nutzen befördert wird.  
  Wir wollen uns keinesweges in Streit einlassen, wie weit dem Rechte der Natur, in Ansehung daß es eine Disciplin ist, die Grentzen zu setzen sind. Honestum, utile und justum sind keinesweges Opposita, sondern Species und Genus. Das Honestum und utile, wenn es wahrhafftig nützlich ist, ist zugleich Justum. Will man aber eine a parte Disciplin von dem honesto und utili machen, so kan es unsertwegen geschehen, wenn man uns nur zugiebt, daß dasjenige, was ehrlich und nützlich ist, auch recht sey. Wir streiten also keinesweges wider Thomasium, als welcher bey genauerer Betrachtung unsere Meynung nicht widerleget.  
  Wir setzen demnach diesen Satz zum Grunde: Wodurch der Nutzen der Gesellschafft befördert wird, dasselbe ist recht, nun wird durch Verbietung der Blut-Schande nachfolgender Nutzen geschafft:  
 
1) werden die Freundschafften vermehret.
 
 
Man siehet es gar deutlich, was die Zulassung der Ehe zwischen derer Geschwister Kinder vor Schaden bringet. Es herrschet zu unsern Zeiten die böse Gewohnheit, daß das Geld der erste Grund der Heyrathen ist, da suchet man nun in reichen Familien das Geld fein zusammen zu behalten, und verheyrathet die Freunde unter einander, damit ja kein armer fremder davon etwas bekommen
 
  {Sp. 254}  
 
möge. Was würde nun nicht erst der Geitz anfangen, wenn Schwestern und Brüder einander heyrathen könten?
 
 
2) So würde die Ehrfurcht zwischen Eltern und Kindern um ein grosses abnehmen, wenn die Heyrath unter ihnen freystünde.
 
 
Man muß hier nicht sowol auf die Heyrath selber, als auf die vorhergehenden Zeiten sehen; Ehrfurcht und Liebe stehen zwar wohl bey Eheleuten zusammen, aber die Ehrfurcht ist iedennoch gegen eine Person grösser, bey der durch ein Gesetze ein sonderbarer Vorzug vorhanden. Und es ist wegen der Auferziehung höchst nöthig, daß die Kinder ihre Eltern für etwas sonderbares halten.
 
 
3) So wird hierdurch in denen Familien, die beysammen leben müssen, manche unkeusche That verhindert.
 
 
Der vertrauliche Umgang zwischen Schwester und Bruder ist ohne dem schon offtmals der Zunder schändlicher Lüste, geschweige denn, wenn nicht noch darzu ein Verbot vorhanden wäre.
 
  Diese Gründe sind schon genug, daß die weisen Gesetze GOttes, die er seinem Volcke gegeben, auch von uns gehalten werden. Siehe ferner von dieser Materie
  • Titium in Diss. de Polygamia, incestu et divortio 2.
  • Kulpisium in Colleg. Grot. …
  • Hochstettern im Colleg. Pufendorff. …
  • Titium et Ottonem ad Pufend. de Off. Hom. et Civ. …
  • Müllern im Natur- und Völcker-Recht …
  Es ist aber dabey die Frage zu bedencken: Ob die Blut-Schande nur zwischen denen Levit. 18. genannten Personen begangen werde, oder ob auch diejenigen mit darunter begriffen sind, welche einem in eben dem Grade, als die daselbst befindlichen Personen verwandt sind. Einige wollen das erstere, daß nemlich nur die an gedachtem Orte namentlich zu heyrathen verbotene Personen verstanden würden.
  • Triglandius de secta Karaeorum
  • Seldenus in Uxore Ebr. …
  • Brückner Decis. Jur. matrimon. …
  Allein daraus folgte, daß einer seine Groß-Mutter oder derselben Schwester, ingleichen seine Stieff-Tochter etc. heyrathen könte, da an dem gedachten Orte nur der Casus vom Groß-Vater mit seiner Enckelin, von der Stieff-Mutter mit ihrem Sohne steht, gleichwol ist einerley Ursache und Grad der Verwandtschafft da.  
  Daher haben schon die Rabbinistischen und dem Talmud genau folgenden Jüden ausser denen in der Schrifft benannten noch andere mehr für verboten gehalten, weil sie gemeinet, der Text bringe solches mit sich. Ja damit das Gesetz destoweniger übertreten würde, haben sie auf Gutachten derer Rabbinen andere noch entferntere Grade verboten, auf daß dadurch, nach ihrer Art zu reden, dem Göttlichen Gesetze ein Zaun gemachet würde.
  • Pirke Avoth. … et ibid. Maimonides.
  • Carpzovius in Schikardi Ius Regium
  • Seldenus l.c.
  Die Karäer setzen gleiches Verbot, wo ein gleicher Grad der Blut-Freundschafft ist, ingleichen wo ein entfernterer Grad verboten, sey auch der nähere für verboten zu halten. Weil auch in der H. Schrifft Mann und Frau ein Fleisch genannt wird, schlüssen sie daraus
 
1) daß, so weit als er seine Anverwandten nicht heyrathen könte, so weit dürffte er auch seiner Frauen ihre nicht zur Ehe nehmen;
2) daß wenn eine geschiedene Frau einen andern heyrathete, wären dieses andern Mannes Freunde dem ersten so nahe, als seine eigenen;
3) daß solches auch von dem Falle zu
  {Sp. 255|S. 143}  
  verstehen sey, wenn seine Frau an den dritten, vierten Mann käme, welches bey denen Jüdischen Ehe-Scheidungen gar wohl geschehen konte.  
  Auf solche Art suchten sie die Blut-Schande zu verhindern, wodurch es dahin kame, daß sie keine Weiber mehr bekommen konten, welche ihnen zu heyrathen erlaubt waren. Dieses bewog sie, der Sache weiter nachzudencken, und ihre allzugrosse Strengigkeit durch folgende Regeln zu mäßigen:  
 
1) Solte keinem Manne erlaubt seyn, seine nächste Anverwandtin, dergleichen Mutter, Schwester und Tochter ist, zu heyrathen, welches auch von einer Weibs-Person von derselben Vater, Bruder und Sohn zu verstehen.
2) Ist einer Manns- und Weibs-Person verboten, ihrer nächsten Anverwandten, nächsten Verwandten oder Verwandtin zu heyrathen, als die Groß-Mutter oder Vater, Vaters- oder Mutter-Schwester.
3) Soll keiner 2. Weibs-Personen, die mit einander am nächsten befreundet sind, heyrathen, eine Mutter nebst ihrer Tochter, zwey Schwestern.
4) Darff keiner eine Person und derselben ihrer nächsten Verwandtin nächste Verwandtin heyrathen, z.E. Groß-Mutter und Enckelin etc.
5) Sollen 2. nächste Anvervandten nicht 2. einander auch am nächsten verwandte Personen heyrathen, z.E. Vater und Sohn sollen nicht Mutter und Tochter, 2. Brüder nicht 2. Schwestern etc. heyrathen.
  • Triglandius in Notit. Karaeor. …
  • Seldenus de uxore Ebr.
  Alles dieses gieng nur auf die Jüden, und durfften die Heyden, wenn sie als Fremdlinge in Israels Thoren wohnten, heyrathen, wenn sie wollten, nur nicht ihre nächste Anverwandtin, Mutter, Stieff-Mutter und leibliche Schwester, und eine Weibs-Person nicht ihren Vater, Stieff-Vater und leiblichen Bruder. Hingegen musten sie, wenn sie als Heyden allzunahe in die Freundschafft geheyrathet hatten, sich wieder scheiden lassen. Wurde aber einer ein Jüde, und heyrathete erst nach seiner Bekehrung, so wurde dafür gehalten, als wenn gar keine Verwandtschafft mehr zwischen ihm und seinen Bluts-Freunden wäre, daher man ihm erlaubte, so gar seine leibliche Mutter oder Schwester zu heyrathen.
  • Seldenus de I.N. et G. …
  • Triglandius de Secta Karaeor. …
  Nach denen Römischen Rechten darff kein Bruder seines Bruders oder Schwester Tochter, Enckelin, ja keine Person aus derselben Nachkommenschafft heyrathen, ob parentelam respectum. Im Iure canonico wird darauf nicht gesehen, sondern wenn sie nur im gehörigen Grade von einander entfernet sind, können sie einander gar wohl heyrathen. Also kan einer seines Bruders oder seiner Schwester Enckelin heyrathen.  
  Es halten auch viele Civilisten den Respectum parentalem für eine Sache, auf die man in linea collaterali gar nicht zu sehen habe, wenn es weiter gieng, als es in der H. Schrifft ausdrücklich verboten wäre: Doch ist solches noch nicht ausgemacht, da GOtt in der Schwägerschafft nicht erlaubt, seiner Frauen Enckelin und Urenckelin, die von dem ersten Manne gezeugt worden, zu heyrathen. Brunnemann in I. Eccl. … et Stryck ad Brunn. l.c.
  Einige meynen auch mit denen Rabbinistischen Jüden, daß das Verbot, des Vaters Bruder, oder des Bruders Tochter nicht zur Ehe zu nehmen, nur von dem vollbürtigen Geschwister zu verstehen sey; käme aber  
  {Sp. 256}  
  die Brüderschafft nur von der Mutter her, so wäre das Verbot nur eine Tradition derer Ältesten, welcher Meynung die Helmstädtischen JCti gewesen. Stryck l.c.
  Hingegen haben die zu Franckfurt an der Oder gesprochen, es wäre beydes in denen göttlichen Rechten anbefohlen, wie denn auch bey andern Fälle nicht auf die voll- oder halbbürtige Brüderschafft gesehen würde. Stryck l.c.
  Ja es haben unterschiedene, so wohl Theologi als ICti, gemeynt, man könte seiner Schwester Tochter heyrathen, weil nur die Ehe mit des Bruders Tochter verbothen wäre, allein keiner unter denen Jüden hält solches vor erlaubt. Hingegen halten sie das vor zuläßlich, daß einer nach seiner Frauen Tode derselben Schwester zur Ehe nimmt, welches auch unterschiedene Christen nicht vor verboten halten.
  • Stryck ad Brunnem. …
  • Leuholtz in Resp. pro matrimonio
  Insgemein ist unter denen Christen die Ehe in linea collaterali biß auf den 5. und 4. Grad verboten, um dadurch nach Art derer Jüden einen Zaun um das Göttliche Gesetz zumachen, wie man denn in der Römischen Kirche ehemahls biß in den 7. Grad die Ehe verboten hat, und drey Arten der Schwägerschafften gemacht, in welchen keiner diejenige heyrathen solte, welche in der Bluts- Freundschafft ihm zu heyrathen verbothen ist.  
  Doch geht solches heut zu Tage nur auf die erste Art, ausser, daß, wenn in der andern ein respectus parentalis mit vorkömmt, die Heyrath auch nicht zugelassen wird, z.E. es kan keiner seines Stieff-Vaters hinterlassene Wittwe, die derselbe nach seiner Mutter Tode genommen, heyrathen, wiewohl unterschiedene meynen, daß die Dispensation statt habe.
  • Lancellotus in Institt. Jur. Can. …
  • Zieglerus in Annot. ad Lancell. l.c.
  Wenn die Juristen von dem Incestu oder der Blut-Schande reden, so verstehen sie darunter omnem coitum inter consanguineos et affines matrimonium inire prohibitos. Berger in Oeconomia Juris
  Wir wollen aber der Deutlichkeit wegen bey der zu Anfange dieses Titels gesetzten Determination verbleiben, und das übrige ins besondere an denen gehörigen Orten anführen.  
  Die Straffe, welche in denen Römischen Rechten auf den Incestum gesetzt ist, ist nicht sattsam ausgemacht, indem die LL. nicht von dem Incestu alleine reden, sondern denselben in der Verbindung mit andern Umständen betrachten. Ubrigens handelt von derselben Meier in Collegio Juridico Argentoratensi … et Henricus Brouwerus de Jure Connubiorum apud Batauos
  Die Constitutio criminalis Art. 117 determiniret keine gewisse Straffe, sondern beziehet sich auf die vorhergehenden Rechte.  
  Nach dem Sächsischen Rechte wird der Incestus in linea adscendenti et descendenti mit dem Leben bestraffet; die übrigen gradus Jure divino prohibite in linea collaterali werden mit der Fustigation und Relegation angesehen; bey den übrigen findet die poena arbitraria statt: Siehe
  • Constit. Saxon. Part. IV. …
  • Beyer in Positionibus ad Pandectas
  Wobey denn keinesweges darauf zu sehen, ob die cognatio legitima, oder tantummodo naturalis ist.
  • Carpzovii praxis Criminalis
  • Stryck. in usu moderno
  {Sp. 257|S. 144}  
  ...
  Hingegen findet die poena capitalis bey der fleischlichen Vermischung mit der Nutrice aut susceptore nicht statt, ungeachtet dieselbe ernstlicher pfleget gestraffet zu werden.
  • Berlich. IV. …
  • Boehmer. π. ad L. Jul. …
  Wer unwissend Blutschande begehet, machet sich solches Lasters nicht theilhafftig, auch sind die aus solchen Ehen erzeugten Kinder pro illegitimis nicht zu achten. I.P.S. III. Art. 27.
  bey dem Adulterio cum incestu inter adscendentes et descendentes hat die remissio conjugis wegen der Lebens-Straffe nicht statt: Carpzovius
  wohl aber bey dem incestu inter collaterales commisso. Idem ibid. …
  und wird der adulter incestuosus facta remissione conjugis vor der Landes-Verweisung in dem Gefängniß mit Ruthen gestrichen. Idem ibid. …
  Die aus solchen Ehen erzeugten Kinder werden nicht nur von der väterl. Erbschafft ausgeschlossen, sondern die Brüder sind auch nicht einmal gehalten, ihnen die alimenta zu geben. Nov. LXXXIX. cap. ultim. et Authent. ex complexu Cod. de Jure Nupt.
  Gleichwohl ist es billig, daß sie ex bonis a parentibus postea adquisitis, vel ex fisco den nöthigen Unterhalt empfangen. Nam misericordia non indignis sunt, qui alieno vitio laborant, non suo; l. 7. C. de nat. lib.
  et necare videtur, qui alimonia denegat, inquit Paullus IV. π. de adgnoscendis liberis. vid. Eberhart. Ottonem ad Lib. III. Institut. …
     

HIS-Data 5028-4-247-8: Zedler: Blutschande HIS-Data Home
Stand: 9. November 2022 © Hans-Walter Pries