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Zedler: Tyrann HIS-Data
5028-45-2193-6
Titel: Tyrann
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 45 Sp. 2193
Jahr: 1745
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 45 S. 1110
Vorheriger Artikel: TYRANGITAE
Folgender Artikel: Tyranne
Siehe auch:
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen
  • Transkribierter griechischer Text der Vorlage
  • : Absatz in der Vorlage vorhanden

  Text Quellenangaben
  Tyrann, Lat. Tyrannus, oder das Griechische Wort Tyrannos, welches man am allerersten bey dem Archilochus und bey dem Aeschylus gebrauchet findet, hieß im Anfange so viel als ein König; hernach gab man demjenigen den Nahmen, welcher beständig Königliche Gewalt hatte; den Titel aber eines Königs nicht führte.  
  Als solche ihrer Gewalt mißbrauchten, so gab dieses Gelegenheit, daß man das Wort in schlimmen Ver-  
  {Sp. 2194}  
  stande zu brauchen anfieng. Man lese was Reinhard in theatro prudentiae elegantior … angemercket.
  Doch hat man dasselbige nach der bösen Bedeutung nicht auf einerley Art genommen. Denn man theilt die Tyrannen in Tyrannos titulo und exercitio tales ein. Ein Tyrannus titulo talis wird derjenige genennet, der unrechtmäßiger Weise in eines andern Rechte der Majestät Eingriff thut, den man auch sonst invasorem oder usurpatorem nennet, wovon Grotius de jure belli et pacis … und Hertius in elem. prudent. civil. … zu lesen.
  Durch einen Tyrannen exercitio oder administratione talem aber verstehet man einen solchen, der zwar rechtmäßig zum Reich kommen; aber eine solche Regierung führt, daß er zur Beförderung seines eigenen Interesse alles zum Verderben des Staats einrichtet. Dieses ist nunmehro die gewöhnliche Bedeutung, wenn man von einem Tyrannen redet.  
  Überhaupt also ist ein Tyrann ein Regent, welcher sich an die Fundamental-Gesetze des Landes durchaus nicht binden will, sondern sich seiner Unterthanen nicht anders gebraucht, als wenn sie seine Sclaven wären, und alles von ihm erdulten müsten, was die bösen Neigungen eines solchen Herrn fodern.  
  Dergleichen zu unternehmen, war, nach den Gesetzen Solons, ein Verbrechen, welches mit dem Tode gestrafft werden solte. Ja auch die Kinder solcher Leute pflegten in Griechenland auf gleiche Art, wie ihre Eltern, getödtet zu werden.  
  Hingegen erhub man solche, die ihr Vaterland von einer tyrannischen oder absoluten Ober-Herrschafft befreyeten, fast bis an dem Himmel. Wie denn z.E. die Athenienser dem Aristogiton und dem Harmodius, welche des Tyrannen Pisistratus Sohn, Hipparchus, als dieser seines Bruders des Hippiä dessen Parthey, welcher ihrer beyder Vater Pisistratus in dem tyrannischen Regiment gefolget war, mit grossem Eyffer hielt, todt geschlagen hatten, öffentliche Ehren-Säulen aufrichteten, ihren Ruhm durch Lob-Gesänge ausbreiteten, ihren Nahmen selbst vor so heilig hielten, daß sie dieselbige einigen Sclaven beyzulegen verboten, und was dergleichen mehr war.  
  Als die Lacedämonier in einem Kriege die Oberhand über die Athenienser behalten hatten, musten diese an statt der bis dahin üblich gewesenen freyen Regiments-Form 30 Obrigkeitliche Personen über sich setzen lassen, die dann ihre Gewalt bald mißbrauchten, und deswegen die 30 Tyrannen genennet worden; welche aber Trasybulus wieder verjagte.  
  Von den 30 Tyrannen, welche in dem Römischen Reiche um die Mitte des dritten Jahrhunderts entstanden, ist der Artickel: Triginta tyranni, nachzusehen.  
  Bey den alten Cimbern, wurden die Tyrannen von ehrlichen Begräbnissen ausgeschlossen, wie dem Schleßwigischen Hertzog Fenno wiederfahren, weil er seinen Bruder Hervendil, den tapffern Fürsten zu Schleßwig, ermordet, und ein Tyrannisches Regiment geführet hatte. Von desselben todten Cörper hat Hertzog Amleth, des Horvendillen Sohn, der in der Regierung nachgefolget, zu den Untersassen also geredet:  
  „Kommt zusammen, bauet, bauet den Scheiter- Hauffen  
  {Sp. 2195|S. 1111}  
  auf, verbrennet den gottlosen Leib, bratet die bübische Glieder, zerstreuet die schädliche Asche, zerwerffet die glünde Asche, kein Toden-Dopff, kein Toden-Grab soll diese schädliche Toden-Gebeine verwahren, kein Zeichen dieses Mörders soll bey uns bleiben, kein Ort soll im Vaterlande für diese befleckte Gebeine da seyn, keine Nachbarschafft soll damit angesteckt werden, weder Wasser noch Land soll durch die Herbergung dieses Aases besudelt werden.„  
  Und ferner:  
  „Ein solch Leichen-Begängniß soll ein Tyrann, ein solch Begräbniß soll ein Mörder haben.„ Saxo Lib. IV. Histor. Dan. …
  Gleicherweise sind bey andern Völckern die Tyrannen nicht ehrlich begraben worden. Bey den Persern hat man sie, wie überhaupt alle verdammte Cörper, den Thieren vorgeworffen. Alexander ab Alexandro Lib. VI
  Dieses Gesetze ist auch an den Königen selbst ausgeübt worden, wie denn der König Artaxerxes Ochus wegen seiner Tyranney ist erwürget, sein Leichnam den Hunden und Katzen fürgeworffen, und aus dessen Knochen allerhand Handhaben gemacht worden. Cluver Lib. VI Histor. …
  Eben ein solches Gesetze haben die Egyptier gehabt. Hiervon sind die Könige nicht ausgenommen gewesen, denn diejenigen, so übel gelebet, und tyrannisch regiert, sind nicht Königlich begraben worden. Daher sind die Könige bewogen worden, sich der Gerechtigkeit zu befleißigen, damit ihr Cörper nach dem Tode nicht möchte übel tractirt, und ihrem Nahmen ein ewiger Schandfleck angehängt werden. Diodorus Siculus
  Wenn ein König in Egypten gestorben, ist sein Lebenslauff von dem Hohen-Priester auf der Cantzel hergelesen, und wenn er übel gelebt, und ein tyrannisches Regiment geführet, ist er unbegraben hingeworfen worden. Alexander ab Alexandro
  Hierüber ist bey den Griechen am meisten gehalten worden, daß nehmlich alle gottlosen Leute unter ihnen nicht solten ehrlich begraben werden. Die Tyrannen hatten die Ehre unter diesen oben an zu stehen, welches Grotius Lib. II de jure belli et pacis … angemercket.
  Also ist ein Egisius als ein Ehebrecher und Tyranne von den Griechen den Hunden und Vögeln zur Speise unbegraben hingeworffen worden.  
  Mit diesen Gesetzen der Griechen stimmen auch die Gesetze der Römer überein. Es sind dreyerley Arten von Leuten gewesen, schreibt Kirchmann, welche die Römer von ehrlichen Begräbnissen ausgeschlossen, unter welche die Feinde des Vaterlandes, die aufgehenckten Personen, und andere Missethäter desgleichen die sich selbst ermordet, zu rechnen. Kirchmann in Appendice de Fun. Roman. …
  Zu den Feinden des Vaterlandes gehöreten sonderlich die Tyrannen, welche man unbegraben hingeworffen hat. Also sind die Römischen Kayser Vitellius, Heliogabalus und Maximinus, Vater und Sohn, als Tyrannen erwürget, und ihre Leiber in den Tyber-Strom geworffen worden.
  • Aurelius Victor Part. II de Caesaribus
  • Cluver Lib. VIII Hist.
  Wir müssen aber auch sehen,  
  {Sp. 2196}  
  was andere Philosophen vor einen Begriff mit dem Worte Tyrann verbinden. Nach einiger Philosophen Meynung muß durch einen Tyrannen, ein Regente verstanden werden, der durch niedrige Absichten sich aus dem Stande eines Regenten, in den Stand eines blossen Eigenthums-Herrn, und seine Unterthanen aus dem Stande der Menschen in einen Stand des Viehes herunter zu setzen bestrebt.  
  Nach dieser Erklärung hat kein Regente und Tyranne eine solche wiedernatürliche Absicht, eben weil sie wiedernatürlich und also ohnmöglich ist, erreicht, und wird sie auch niemahls erreichen: dieweil der Stand der natürlichen Gleichheit der Menschen unveränderlich ist. Eben durch diese natürliche Gleichheit aller Menschen ist alle Majestät der Unterthanen so wohl als des Fürsten eine wahrhaffte Majestät; und die wahre Hoheit eines weltlichen Regenten, bestehet ihrem Wesen nach eigentlich darinne, daß er Menschen, das ist seines Gleichen zu regieren, d.i. gleiches Menschen-Recht unter ihnen zu erhalten hat, welches denn freylich mit Gewalt, und also vermittelst einer nöthigen Ungleichheit geschehen muß.  
  Ja wenn dieses nicht wäre, und dargegen ein Regent auf andere von ihm selbst erdichtete Zwecke sehen, seine Unterthanen aber, als blosse Mittel solcher vermeynten Zwecken lediglich aufopffern wolte: so würde ein Regent nicht ein Regent, sondern etwas sehr geringes, nehmlich ein Eigenthums-Herr, auch seine Macht nicht eine Majestät, sondern ein Eigenthum seyn. Und also würde die Majestät, die ein Regent über seine Unterthanen übet, keine grössere Herrlichkeit seyn, als das Eigenthum, das ein Haus-Vater über sein Rind-Vieh übet. Und diese übeln Absichten, und von ihm selbst erdichteten Zwecke würden nothwendig einen Regenten zu einen Tyrannen machen.  
  Hier entstehet nun unter denen Rechtsgelehrten so wohl als Staatskundigen die wichtige Frage: Ob die Heiligkeit der Majestät einen Regenten von aller Wiedersetzlichkeit der Unterthanen gäntzlich sicher stelle, daß er auch den offenbarsten Misbrauch der höchsten Gewalt zum Ruin des Reichs und Verderben der Unterthanen aufs höchste treiben möge, und also ein Tyranne seyn dürffe, ohne daß dem Volcke das geringste Recht übrig bleibe, dem angedrohtem Verderben, dem es auf andere Art nicht entgehen kan, nothdürfftigen Wiederstand zu setzen? Von dieser Frage hat Grotius … und Pufendorf … ausführlich gehandelt.
  Die Lehrer des allgemeinen Staats-Rechts hegen in Entscheidung derselben gar unterschiedene Meynungen. Einige verfallen auf einer Seite aufs äusserste, und sprechen auch bey der offenbaresten und härtesten Tyranney, dem Volcke alles Recht des Wiederstandes schlechterdings ab. Andere ergreiffen auf der andern Seite das äusserste, und eignen dem Volcke ein so unangemessenes Recht zu, den Ungerechtigkeiten ihrer Regenten sich entgegen zu setzen, daß von der Heiligkeit und Majestät fast wenig oder nichts übrig bleibt.  
  Der ersten Meynung sind insgemein die Machiavellisten, der andern die Monarchomachi zugethan. Die erstern betrachten die Unterthanen fast nicht mehr als Menschen, sondern gleich als ob nach der Un-  
  {Sp. 2197|S. 1112}  
  terwerffung gar keine Menschen-Rechte mehr hätten, nicht viel besser als die Bestien, die sich nach dem Belieben ihres Eigenthums-Herrn müssen schlachten oder zu Grunde richten lassen.  
  Die andern hingegen achten den Regenten, im Fall daß er den Unterthanen in einem und dem andern Stücke Unrecht thun solte, gar nicht mehr als einen Regenten, sondern bey nahe nicht viel besser als einen Mitbürger seiner Unterthanen.  
  Auf die Meynung der erstern neiget sich unter andern Hobbes de Cive ... Da er behauptet:  
  "Daß diejenigen, welche die Oberherrschaft erlangt hätten, ihren Unterthanen Unrecht anthun könnten: weil sie durch keine Verträge jemanden verbunden wären, und das Unrecht nichts anders sey, als eine Verletzung der Verträge.„  
  Denn ausser den Pacten und deren Nichthaltung kan nach des Hobbes Meynung einem Menschen kein Unrecht geschehen, man mag ihm auch anthun, was man wolle, wenn es nur zum Nutzen desjenigen gereicht, der es dem andern anthut. Ebendas.
  und kein Pact, durch welchen die höheste Gewalt eines Regenten könnte eingeschränckt werden, ist in Ansehung des Regenten verbindlich. C. VII. …
  Allein gleichwie diese falschen Gründe des Hobbesius von vielen gründlich widerlegt worden; und vielmehr, wenn vor den Pacten kein Recht oder Unrecht wäre, auch durch die Pacten von Seiten der Unterthanen so wenig, als von Seiten des Regenten ein Recht oder Unrecht hervor gebracht werden könnte C. X. …
  also hat Puffendorf … mit genugsamen Grunde das Gegentheil erwiesen, daß nehmlich auch ein Regente seinen Unterthanen allerdings zum Theil schweres und unerträgliches Unrecht zufügen könne, wenn er entweder die Pflichten eines Regenten oder die Pflichten eines Menschen gegen sie übertrete.  
  Die Pflichten eines Regenten übertritt er, wenn er entweder die Majestät gar nicht gebraucht, d.i. der Regierungs Geschäffte sich gar nicht weder selbst, noch durch andere annimmt, oder wenn er sie übel gebraucht, und entweder die ihm würcklich zukommende Macht durch offenbare Tyranney zum Verderben seines Volcks mißbrauchet, mithin sich als einen abgesagten Feind desselben bezeiget, oder wenn er einer ihm nicht zukommenden Macht sich anmasset und die Grundgesetze oder Pacte des Reichs muthwillig unter die Füsse tritt.  
  Die Pflichten aber eines Menschen verletzet er, wenn er die allgemeinen natürlichen Gesetze der menschlichen Gesellschafft übertritt, z.E. Mordthaten begehet, den Unterthanen ihre Weiber oder Töchter schändet, ihnen ihr Vermögen raubt, die bey ihnen gemachte Schulden nicht bezahlt, noch andere Pacte hält.  
  Bey allen diesen Arten des Unrechts ist  
  1) voraus zu setzen, daß, wo das Verfahren eines Regenten, ob es Recht oder Unrecht sey, zweiffelhafft ist, so, daß es allenfalls erst untersuchet, und der Regent mit seiner Verantwortung gehöret werden müste; das Volck kein Recht haben könne, das geringste wieder den Regenten zu beginnen.  
  Denn da die Majestät [ein Wort Griechisch], oder  
  {Sp. 2198}  
  über alle menschliche Gerichte erhoben ist: so wäre es wieder die Natur derselben, das Volck über sie, als einen Richter, dem sie von der Gerechtigkeit ihres Thuns und Lassens Rechenschafft zu geben schuldig wäre, zu erheben. Und noch ungerechter würde es seyn, in solchen zweifelhafften Fällen, in welchen, wie gedacht, das Volck kein Recht der Untersuchung hat, aller Gewißheit ohngeachtet, etwas Gewalthätiges zu beginnen.  
  Gesetzt auch, daß unter solcher Ungewißheit würcklich einige Ungerechtigkeit von Seiten des Regenten, mit unterlauffen solte: so gehöret das daher entstehende Übel, unter die Unbequemlichkeiten, von welchen keine menschliche Ordnung gäntzlich befreyet seyn kan.  
  Wenn  
  2) das Verfahren eines Regenten offenbarlich ungerecht, und entweder den Pflichten eines Regenten oder eines Menschen entgegen wäre, ohne daß es erst einer nur im geringsten zweifelhafften Untersuchung bedürffen solte: so ist ferner gewiß, daß auch nicht einmahl bey allem offenbaren Unrecht und Bedrückungen, die nur noch erträglich sind, die Majestät aufhöre, heilig und unverletzlich zu seyn.  
  Denn das Volck, indem es sich seinem Regenten unterwirfft, weiß daß es sich einem Menschen unterwerffe; und daß ein Mensch von allen Fehlern des Verstandes und Willens die hin und wieder in offenbares Unrecht ausbrechen unmöglich befreyet seyn könne.  
  Dannenhero hat das Volck, sich entweder gar keinen Regenten unterwerffen können: oder es hat sich einem solchem, der seine Fehler gewiß und ohnfehlbar haben wird, und also auch allen nur erträglichen Effecten solcher Fehler zugleich mit unterwerffen müssen; zumahl da alle Menschen einander zur Sanfftmüthigkeit und Gedult verpflichtet sind, und also am allermeisten der Majestät in Ansehung des vielen unschätzbaren Guten, daß die menschliche Gesellschafft ihr, ihrer Fehler ohngeachtet zu dancken hat, und des unermeßlichen Übels, das eine jede Auflehnung wider dieselbe, eine jede gewaltsame Veränderung des Regiments, unausbleiblich nach sich ziehet.  
  Wir nennen aber ein erträgliches Unrecht dasjenige, dessen Erdultung, in Absicht auf die darneben von dem weltlichem Regiment abhängende Vortheile leidlicher ist als der Verlust solcher Vortheile, als welcher unausbleiblich erfolget, so bald die Majestät, als die Grundfeste eines Reichs durch Verweigerung der Unterwürffigkeit, nicht mehr vor heilig und unverletzlich gehalten wird, und also zu wancken anfängt.  
  Doch kan auch  
  3) ein offenbarlich ungerechtes Verfahren eines Regenten unerträglich seyn, und alle Gedult des Volcks übertreffen. Es ist nehmlich alsdenn unerträglich, wenn es entweder den wesentlichen Endzweck, alles weltlichen Regiments nehmlich alle Göttliche natürliche Rechte und die auf diesen beruhende Wohlfarth des Volcks offenbarlich und gäntzlich unter die Füsse tritt, so daß alle aus der Auflehnung erwachsende Übel offenbarlich weit erträglicher sind, als die Erdultung der verübten Tyranneyen: oder wenn es augenscheinlich, und ohne den äussersten Nothfall, auf den Umsturtz der theuer beschwornen Regiments-Verfassung und Grundgesetze des Reichs abzielet,  
  {Sp. 2199|S. 1113}  
  und wieder beydes kein Bitten und Flehen des Volcks etwas helffen will.  
  In diesem traurigem Zustand eines Reichs ist nicht zu begreiffen, wie die Majestät mit der offenbaren gäntzlichen Darniederwerffung ihres wesentlichen Zweckes, die Qualität eines Regenten, mit der Qualität eines abgesagten Feindes seines Volcks oder der Regimentsform ohne Wiederspruch beysammen stehen könne. Grotius
  Bey solcher Bewantniß scheinet im angeführten Falle die Majestät von sich selbst und unmittelbar durch das Recht der Natur, aufzuhören und mit ihr also auch alle ihre Rechte, folglich auch die Heiligkeit und Unverletzlichkeit, welches über dieses auch aus den Gesetzen der Noth leicht zu erweisen ist.  
  Barbeyrac mercket über den Grotius … an, daß auch selbst die Widriggesinnten, die nehmlich die Gedult der Unterthanen auf das äusserste, und über alle Vernunfft wollen getrieben haben, hernach die ersten zu seyn pflegen, die wenn ein offenbarer Tyranne gestürtzet worden, solche That bis an den Himmel erheben.  
  Es ist aber hierbey auch  
  4) gewiß, daß in dem Fall einer solchen gerechten Nothwehre, durch das Volck, dem das Recht solcher Nothwehre zukommt, nicht eine jede einzelne Person, die etwa, auch auf eine ihr unerträglicher Art verletzet wird, noch etwa eine Rotte etlicher aufrührerischer Köpffe, oder eines kleinen oder mäßigen Theils des ohne Vernunfft zusammen lauffenden niedrigen Pöbels, sondern die gantze Nation und aller aus reiffer Überlegung sich vereinigenden Stände derselben, oder doch der gröste und gesunde Theil verstanden werde: Deren Vereinigung so dann vergeblich vor eine Meuterey oder Rebellion gescholten wird; da, wie kurtz vorher gedacht, die Majestät bey gäntzlicher Vernichtung ihres Zwecks nicht bestehen kan, sondern durch unmenschliche zu Bodentretung aller Menschen-Rechte sich selbst und also auch alle ihr sonst gebührende Rechte aufhebet.  
  Grotius wiederleget demnach … zwar mit Recht diejenigen, die sich und andere überreden wollten, ea, quae de sanctitate majestatis dicta sunt, locum habere in privatis, non etiam in magistratibus inferioribus, quibus jus esse putent resistendi injuriis ejus cujus summum est imperium. Allein Barbeyrac erinnert hierbey nicht ohne Grund, daß im mehr gedachtem äusserstem Nothfalle, die obrigkeitlichen Personen, und andere Grosse eines Reichs, die der Reichsgeschäffte am besten kundig, und durch ihr Ehr-Ansehen wieder das bevorstehende gäntzliche Verderben die benöthigten Anstalten zu machen am fähigsten sind, von solcher Sorge nicht etwa ausgeschlossen, sondern diese vielmehr ihnen vor allen andern obliege.  
  Der Einwurff, daß auf solche Art die Unternehmungen des Regenten dem Urtheile und Ausspruche des Volcks unterworffen würden, fället hinweg, wenn man die Bedingung unsers Satzes beständig vor Augen behält, daß nehmlich die Tyranney so offenbar seyn müsse, daß man keines allererst entscheidenden Urtheils bedürffe: dahero ein Regent der gegen sein Volck nur noch einiger massen wohl gesinnet, und nicht ein offenbarer Feind derselben, dergleichen Zustand sehr leicht vermeiden kan. Wenn  
  5) der Regent ein  
  {Sp. 2200}  
  offenbares unerträgliches Unrecht einem eintzigen Unterthanen zufügen, z.E. ihn ohn alle gegebene Ursache ermorden wolte: so ist zwar wahr, daß da der Regent, dergleichen zu thun kein Recht hat, also auch er, bloß durch solche ungerechte That, auf die Person, die er in einen so Mitleidens-würdigen Zustand setzet, keine Pflicht, die That an sich verüben zu lassen bringen könne.  
  Allein weil doch der gemeinen Landes Wohlfarth daran gelegen ist, daß die Heiligkeit der Majestät, als die Grundfeste eines Reichs, nicht durch blosse Privat-Übel wanckend gemacht werden könne: und dahero, vermöge der andern Regel, ein Volck auch den offenbaren Ungerechtigkeiten seines Regenten, die nur ihm nehmlich dem Volcke, oder gantzem Lande, noch erträglich sind, sich billig mit Gedult unterwirfft: so folget, daß dergleichen unglückselige Person, die von ihrem Fürsten an ihrem Leibe, Leben, Religion u.s.w. ungerechter Weise angetastet wird, sich allenfalls mit der Flucht zu retten, ja wo dieses nicht möglich, lieber den Tod unschuldig zu leiden verbunden sey, als daß sie an der Majestät, als der Grundfeste des gantzen Staats, sich im geringsten vergreiffen solte; immassen solche Pflicht das Land von einer jeden Privat Person auch mit Dransetzung ihres Lebens zu fordern befugt ist, zur allgemeinen innerlichen Sicherheit des Staats, an welcher ein jeder Theil hat.  
  Und dieses ist es, worauf die völlige Entscheidung der schweren Frage beruhet: ob sich ein Volck nicht widersetzen dürffe, wenn ein Regent die höchste Gewalt zum Ruin seines Reichs mißbraucht und ein Tyrann wird.  
  Sonst ist noch bey dieser Materie zu bemercken, daß der berühmte Jesuit Johann Mariana in seinem Buche de Rege et Regis institutione dem Volcke die Gewalt über einen tyrannischen König eingeräumt habe. Moreri giebt aber mit Unrecht vor, daß er dasselbe zur Rechtfertigung des Meuchelmords an dem Könige von Franckreich Heinrich III herausgegeben habe. Denn dieses ist nur ein sehr kleiner Theil von seinem Buche, und er führet Heinrichen III nur bey Gelegenheit und mit wenig Worten dabey an.  
  Also hat auch Milton ebenfalls gelehret, daß das Volck über die Tyrannen ein Recht habe. Er hat überhaupt von dem Rechte des Volcks wider die Tyrannen, nach dem Todes-Urtheile, welches wider König Carln den I gesprochen worden, geschrieben, und eine Sammlung, von den Aussprüchen verschiedener angesehenen Gottesgelehrten über diesen Satz gemacht: um denjenigen den Mund zu stopffen, welche vorgaben, daß die Lehre der Protestanten dem zuwieder lieffe, was damahls zu London seit kurtzem erfolget war. Dieses ist vielleicht das Buch, dessen er in seiner zweyten Schutzschrifft … gedencket, wenn er also schreibt: Id fusius docui in eo libro, qui nostro idiomate Tenor, sive tenura Regum et Magistratum inscriptus est.  
  Übrigens müssen wir noch von der Gefahr etwas gedencken, deren sich diejenigen Tyrannen unterwerffen, welche abdancken. Hiervon schreibt Balzac im 45 C. des Printzen … dieses:  
  „Die Gefahr ist nicht geringer, wenn man die  
  {Sp. 2201|S. 1114}  
  Tyranney niederlegt, als wenn man sich derselben bemächtiget. Phalaris stund im Begriffe dieselben zu verlassen; Allein er verlangte einen Gott zum Bürgen, der ihm für sein Leben stünde, wenn er seine Gewalt niederlegen solte; und es ist allezeit eine durchgängige Meynung gewesen, daß diejenigen, welche die Waffen wider ihr Vaterland, oder wider ihren Fürsten ergriffen haben, einigermassen zu der Nothwendigkeit gebracht sind, Böses zu thun, weil sie so wenig Sicherheit finden, wenn sie Gutes thun. Sie getrauen sich nicht, unschuldig zu werden, aus Furcht, sich den Gesetzen zu unterwerffen, die sie beleidiget haben, und sie fahren in ihren Fehlern fort, weil sie nicht dencken, daß man mit ihrer Reue vergnügt seyn werde."  
  Dies ist eine von den Maximen gewesen, deren sich Mecänas bedienet, als August mit ihm und mit dem Agrippa berathschlagte, ob er dem Römischen Volcke die Freyheit wieder geben solte. Agrippa hat ihm gerathen es zu thun, und Mecänas hingegen, es nicht zu thun.  
  Man kan diesen eine Antwort des Solons beyfügen. Seine Freunde haben sich verwundert, daß er sich vor dem Nahmen Monarchie gefürchtet, und sich nicht erkühnet, sich der Umstände zu bedienen, um die höchste Gewalt zu erlangen. Er hat ihnen geantwortet:  
  Die Herrschafft und die Tyranney ist zwar ein schöner Ort, aber er hat keinen Ausgang, wieder heraus zu gehen, wenn man einmahl hineingegangen ist.  
  Niemanden ist es unserm Bedüncken nach, in diesen Gedancken besser gelungen, als dem Xenophon. Er führet einen Tyrannen ein, welcher eine sehr lebhaffte Beschreibung seines Zustandes machet, worauf ihn Simonides fraget: Warum bleibst du darinnen? Warum verläst du ihn nicht? Hierauf antwortete er: Dies ist das aller gröste Unglück der Tyranney, daß es kein Mittel giebt derselben abzusagen. Wollet ihr denn, daß ein Tyrann, welcher abgedanckt hat, die Summen wieder gebe, die er geraubt hat; diejenigen schadloß halte, die er ins Gefängniß gesetzet hat; die Leute wieder lebendig mache, die er getödtet hat? Wenn man jemahls eine gerechte Ursache hat, sich zu hencken, so ist es alsdenn, wenn man die Tyranney ausgeübet hat.  
  Und eben dieses bekräfftiget auch Cicero Tuscul. … indem er anführt, wie der Tyrann Dionysius seinem Stande und seinem bösen Leben nicht anders als mit seinem Untergange habe absagen können.  
  Endlich kömmt auch das Wort Tyrann in der Schrifft vor, welches wir noch zuletzt anmercken müssen. Es werden darunter diejenigen Regenten verstanden, welche ihrer höchsten Gewalt mißbrauchen. Dergleichen Tyrannen kamen aus den Kindern GOttes und der Menschen her, das ist aus den Gliedmassen der wahren und falschen Kirche 1 B. Mosis VI, 1.
  Diese Tyrannen  
  sind GOttes Ruthen, und Werckzeuge zur Straffe auch seiner Kirche Jes. I, 24. X, 5.
  werden den brüllenden Löwen und Bären verglichen, Sprüchw. XXVIII, 15.
  Ihr Lohn wird beschrieben Jes. XXXIII, 1.
  sie sollen keine Tyranney ausüben, B. Weißh. VI, 22.
  doch darf man derselben entwei-  
  {Sp. 2202}  
  chen, 2 B. Mos. I, 25.
  Die H. Schrifft thut unterschiedener Tyrannen Erwehnung, als  
 
  • des Nimrods,
1 B. Mos. X, 8.9;
 
  • des Pharaos,
2 B. Mos. I, 10. V, 2. 5;
 
  • Adonibesecks,
B. Richter I, 7;
 
  • Abimelechs,
IX, 5;
 
  • Sauls,
1 Sam. XXII, 17;
 
  • Jerobeams
1 B. Kon. XIII, 4;
 
  • Jesabels,
XIX, 2;
 
  • Ahabs,
XXII, 26;
 
  • Manasses,
2 B. Kön. XXI, 16;
 
  • Sennacherib,
Tob. I, 21;
 
  • Nebucadnezars,
Dan. II, 11. III, 19;
 
  • Holofernes,
B. Judith III, 8;
 
  • Antiochus,
  • 1 Macc. I, 25,
  • 2 Macc VI, 29;
 
  • Demetrius,
1 Macc. VII, 1;
 
  • Tryphons,
XIII, 15 u.f.
  Matth. II, 16;
 
  • Antipas,
  • XIV, 9 u.f.
  • Luc. XXIII, 8.
 
  • Pilatus,
Matth. XXVII, 18;
 
  • Herodes Agryppa,
Apost. Gesch. XII, 1.
 
  • Aeschylus in Prometh. vincto, ibique Scholiastes ejus.
  • Servius ad Virgilium Aeneid. …
  • Cornelius Nepos in Miltiade Cap. ult. Ebendas. in Thrasybulo.
  • Plutarch.
  • Cicero pro Milone
  • Aulus Gellius
  • Brut. Epistol. ad Ciceron.
  • Baylens Historisches und Critisches Wörterbuch- Buch, III Th. ...
  • Arnkiels Mitternächtischer Völcker und Thaten III Th. ...
  • Müllers Philosophische Wissenschafften III Th. ...
  Siehe übrigens auch den Artickel: Tyranney.  
     

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Stand: 23. August 2016 © Hans-Walter Pries