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Text |
Quellenangaben |
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Tyrann,
Lat. Tyrannus, oder das
Griechische
Wort
Tyrannos, welches man am allerersten bey
dem Archilochus und bey dem Aeschylus
gebrauchet findet, hieß im
Anfange so viel als ein
König; hernach gab man demjenigen den
Nahmen,
welcher beständig Königliche
Gewalt hatte; den
Titel aber eines Königs nicht führte. |
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Als solche ihrer Gewalt mißbrauchten, so gab
dieses
Gelegenheit, daß man das Wort in
schlimmen
Ver- |
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{Sp. 2194} |
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stande zu brauchen anfieng. |
Man lese was Reinhard in
theatro prudentiae elegantior …
angemercket. |
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Doch hat man dasselbige nach der
bösen
Bedeutung nicht auf einerley Art genommen. Denn
man theilt die Tyrannen in Tyrannos titulo und
exercitio tales ein. Ein Tyrannus titulo talis wird
derjenige
genennet, der
unrechtmäßiger Weise in
eines andern
Rechte der
Majestät Eingriff
thut, den
man auch sonst invasorem oder usurpatorem
nennet, |
wovon Grotius de jure belli et
pacis … und Hertius in elem. prudent. civil. … zu
lesen. |
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Durch einen Tyrannen exercitio oder
administratione talem aber
verstehet man einen
solchen, der zwar
rechtmäßig zum
Reich kommen;
aber eine solche
Regierung führt, daß er zur
Beförderung seines
eigenen Interesse alles zum
Verderben des
Staats einrichtet. Dieses ist
nunmehro die
gewöhnliche Bedeutung, wenn man
von einem Tyrannen
redet. |
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Überhaupt also ist ein Tyrann ein
Regent,
welcher sich an die Fundamental-Gesetze des
Landes durchaus nicht binden
will, sondern sich
seiner
Unterthanen nicht anders
gebraucht, als
wenn sie seine Sclaven wären, und alles von ihm
erdulten
müsten, was die bösen
Neigungen
eines
solchen
Herrn fodern. |
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Dergleichen zu unternehmen, war, nach den
Gesetzen Solons, ein Verbrechen, welches mit
dem Tode gestrafft werden solte. Ja auch die
Kinder
solcher Leute pflegten in Griechenland auf gleiche
Art, wie ihre
Eltern, getödtet zu werden. |
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Hingegen erhub man solche, die ihr Vaterland
von einer tyrannischen oder absoluten Ober-Herrschafft befreyeten, fast bis an dem Himmel. Wie
denn
z.E. die Athenienser dem Aristogiton und
dem Harmodius, welche des Tyrannen Pisistratus
Sohn, Hipparchus, als dieser seines Bruders des
Hippiä dessen Parthey, welcher ihrer beyder Vater
Pisistratus in dem tyrannischen
Regiment gefolget
war, mit grossem Eyffer hielt, todt geschlagen
hatten, öffentliche Ehren-Säulen aufrichteten, ihren
Ruhm durch Lob-Gesänge ausbreiteten, ihren
Nahmen selbst vor so heilig hielten, daß sie
dieselbige einigen Sclaven beyzulegen verboten,
und was dergleichen mehr war. |
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Als die Lacedämonier in einem
Kriege die
Oberhand über die Athenienser behalten hatten,
musten diese an statt der bis dahin üblich
gewesenen freyen
Regiments-Form 30
Obrigkeitliche Personen über sich setzen lassen,
die dann ihre Gewalt bald mißbrauchten, und
deswegen die 30 Tyrannen genennet worden;
welche aber Trasybulus wieder verjagte. |
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Von den 30 Tyrannen, welche in dem
Römischen Reiche um die Mitte des dritten
Jahrhunderts entstanden, ist der
Artickel: Triginta
tyranni, nachzusehen.¶ |
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Bey den
alten
Cimbern, wurden die Tyrannen von ehrlichen Begräbnissen ausgeschlossen, wie dem
Schleßwigischen
Hertzog Fenno wiederfahren,
weil er seinen Bruder Hervendil, den tapffern
Fürsten zu Schleßwig, ermordet, und ein
Tyrannisches Regiment geführet hatte. Von
desselben todten
Cörper hat Hertzog Amleth, des
Horvendillen
Sohn, der in der Regierung
nachgefolget, zu den Untersassen also
geredet: |
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„Kommt zusammen, bauet, bauet den Scheiter-
Hauffen |
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{Sp. 2195|S. 1111} |
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auf, verbrennet den gottlosen Leib, bratet die
bübische Glieder, zerstreuet die schädliche Asche,
zerwerffet die glünde Asche, kein Toden-Dopff, kein
Toden-Grab soll diese schädliche Toden-Gebeine
verwahren, kein Zeichen dieses Mörders soll bey
uns bleiben, kein Ort soll im Vaterlande für diese
befleckte Gebeine da seyn, keine Nachbarschafft
soll damit angesteckt werden, weder Wasser noch
Land soll durch die Herbergung dieses Aases
besudelt werden.„ |
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Und ferner: |
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„Ein solch Leichen-Begängniß soll ein Tyrann,
ein solch Begräbniß soll ein Mörder haben.„ |
Saxo Lib. IV. Histor. Dan.
… |
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Gleicherweise sind bey andern
Völckern die
Tyrannen nicht ehrlich begraben worden. Bey den
Persern hat man sie, wie überhaupt alle verdammte
Cörper, den Thieren vorgeworffen. |
Alexander ab Alexandro Lib.
VI … |
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Dieses Gesetze ist auch an den Königen selbst
ausgeübt worden, wie denn der König Artaxerxes
Ochus wegen seiner Tyranney ist erwürget, sein
Leichnam den Hunden und Katzen fürgeworffen,
und aus dessen Knochen allerhand Handhaben
gemacht worden. |
Cluver Lib. VI Histor.
… |
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Eben ein solches Gesetze haben die Egyptier
gehabt. Hiervon sind die Könige nicht
ausgenommen gewesen, denn diejenigen, so
übel
gelebet, und tyrannisch
regiert, sind nicht Königlich
begraben worden. Daher sind die Könige bewogen
worden, sich der
Gerechtigkeit zu
befleißigen, damit
ihr Cörper nach dem
Tode nicht
möchte übel
tractirt,
und ihrem Nahmen ein ewiger Schandfleck
angehängt werden. |
Diodorus Siculus … |
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Wenn ein König in Egypten
gestorben, ist sein
Lebenslauff von dem Hohen-Priester auf der
Cantzel hergelesen, und wenn er übel gelebt, und
ein tyrannisches Regiment geführet, ist er
unbegraben hingeworfen worden. |
Alexander ab Alexandro
… |
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Hierüber ist bey den Griechen am meisten
gehalten worden, daß nehmlich alle gottlosen Leute
unter ihnen nicht
solten ehrlich begraben werden.
Die Tyrannen hatten die
Ehre unter diesen oben an
zu stehen, |
welches Grotius Lib. II de jure
belli et pacis … angemercket. |
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Also ist ein Egisius als ein
Ehebrecher und
Tyranne von den Griechen den Hunden und Vögeln
zur Speise unbegraben hingeworffen worden. |
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Mit diesen Gesetzen der Griechen stimmen
auch die Gesetze der Römer überein. Es sind
dreyerley
Arten
von Leuten gewesen,
schreibt
Kirchmann, welche die Römer von ehrlichen
Begräbnissen ausgeschlossen, unter welche die
Feinde des Vaterlandes, die aufgehenckten
Personen, und andere Missethäter desgleichen die
sich selbst ermordet, zu rechnen. |
Kirchmann in Appendice de
Fun. Roman. … |
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Zu den Feinden des Vaterlandes gehöreten
sonderlich die Tyrannen, welche man unbegraben
hingeworffen hat. Also sind die Römischen Kayser
Vitellius, Heliogabalus und Maximinus,
Vater und
Sohn, als Tyrannen erwürget, und ihre
Leiber in den
Tyber-Strom geworffen worden. |
- Aurelius Victor Part. II
de Caesaribus …
- Cluver Lib. VIII Hist.
…
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Wir
müssen aber auch sehen, |
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{Sp. 2196} |
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was andere
Philosophen vor einen
Begriff mit
dem
Worte Tyrann verbinden. Nach einiger
Philosophen
Meynung muß durch einen Tyrannen,
ein Regente
verstanden werden, der durch niedrige
Absichten sich aus dem
Stande eines Regenten, in
den Stand eines blossen Eigenthums-Herrn, und
seine Unterthanen aus dem Stande der
Menschen
in einen Stand des Viehes herunter zu setzen
bestrebt. |
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Nach dieser
Erklärung hat kein Regente und
Tyranne eine solche wiedernatürliche Absicht, eben
weil sie wiedernatürlich und also
ohnmöglich ist,
erreicht, und wird sie auch niemahls erreichen:
dieweil der Stand der natürlichen Gleichheit der
Menschen
unveränderlich ist. Eben durch diese
natürliche Gleichheit aller Menschen ist alle
Majestät der Unterthanen so wohl als des Fürsten
eine wahrhaffte Majestät; und die
wahre
Hoheit
eines
weltlichen Regenten, bestehet ihrem
Wesen
nach eigentlich darinne, daß er Menschen, das ist
seines Gleichen zu regieren, d.i. gleiches
Menschen-Recht unter ihnen zu erhalten hat,
welches denn freylich mit Gewalt, und also
vermittelst einer
nöthigen Ungleichheit geschehen
muß. |
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Ja wenn dieses nicht wäre, und dargegen ein
Regent auf andere von ihm selbst erdichtete
Zwecke sehen, seine Unterthanen aber, als blosse
Mittel solcher vermeynten Zwecken lediglich
aufopffern wolte: so würde ein Regent nicht ein
Regent, sondern etwas sehr geringes, nehmlich ein
Eigenthums-Herr, auch seine
Macht nicht eine
Majestät, sondern ein
Eigenthum seyn. Und also
würde die Majestät, die ein Regent über seine
Unterthanen übet, keine grössere
Herrlichkeit seyn,
als das Eigenthum, das ein
Haus-Vater über sein
Rind-Vieh übet. Und diese übeln Absichten, und von
ihm selbst
erdichteten Zwecke würden
nothwendig
einen Regenten zu einen Tyrannen machen. |
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Hier entstehet nun unter denen
Rechtsgelehrten so wohl als Staatskundigen die
wichtige
Frage: Ob die Heiligkeit der Majestät einen
Regenten von aller Wiedersetzlichkeit der
Unterthanen gäntzlich sicher stelle, daß er auch den
offenbarsten Misbrauch der
höchsten Gewalt zum
Ruin des
Reichs und Verderben der Unterthanen
aufs höchste treiben möge, und also ein Tyranne
seyn dürffe, ohne daß dem Volcke das geringste
Recht übrig bleibe, dem angedrohtem Verderben,
dem es auf andere Art nicht entgehen kan,
nothdürfftigen Wiederstand zu setzen? |
Von dieser Frage hat Grotius
… und
Pufendorf … ausführlich
gehandelt. |
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Die
Lehrer des
allgemeinen Staats-Rechts
hegen in Entscheidung derselben gar
unterschiedene Meynungen. Einige verfallen auf
einer Seite aufs äusserste, und
sprechen auch bey
der offenbaresten und härtesten Tyranney, dem
Volcke alles Recht des Wiederstandes
schlechterdings ab. Andere ergreiffen auf der
andern Seite das äusserste, und eignen dem Volcke
ein so unangemessenes Recht zu, den
Ungerechtigkeiten ihrer Regenten sich entgegen zu
setzen, daß von der Heiligkeit und Majestät fast
wenig oder nichts übrig bleibt. |
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Der ersten Meynung sind insgemein die
Machiavellisten, der andern die
Monarchomachi
zugethan. Die erstern betrachten die Unterthanen
fast nicht mehr als Menschen, sondern gleich als ob
nach der Un- |
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{Sp. 2197|S. 1112} |
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terwerffung gar keine Menschen-Rechte mehr
hätten, nicht viel besser als die Bestien, die sich
nach dem Belieben ihres Eigenthums-Herrn müssen
schlachten oder zu
Grunde richten lassen. |
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Die andern hingegen achten den Regenten, im
Fall daß er den Unterthanen in einem und dem
andern Stücke
Unrecht
thun solte, gar nicht mehr
als einen Regenten, sondern bey nahe nicht viel
besser als einen Mitbürger seiner Unterthanen. |
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Auf die Meynung der erstern neiget sich unter
andern Hobbes de Cive ... Da er behauptet: |
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"Daß diejenigen, welche die Oberherrschaft
erlangt hätten, ihren Unterthanen Unrecht anthun
könnten: weil sie durch keine Verträge jemanden
verbunden wären, und das Unrecht nichts anders
sey, als eine Verletzung der Verträge.„ |
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Denn ausser den Pacten und deren
Nichthaltung kan nach des Hobbes Meynung einem
Menschen kein Unrecht geschehen, man mag ihm
auch anthun, was man wolle, wenn es nur zum
Nutzen desjenigen gereicht, der es dem andern
anthut. |
Ebendas. … |
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und kein Pact, durch welchen die höheste
Gewalt eines Regenten könnte eingeschränckt
werden, ist in Ansehung des Regenten
verbindlich. |
C. VII. … |
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Allein gleichwie diese
falschen Gründe des
Hobbesius von vielen gründlich widerlegt worden;
und vielmehr, wenn vor den Pacten kein Recht oder
Unrecht wäre, auch durch die Pacten von Seiten der
Unterthanen so wenig, als von Seiten des Regenten
ein Recht oder Unrecht hervor gebracht werden
könnte |
C. X. … |
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also hat Puffendorf … mit genugsamen
Grunde das Gegentheil erwiesen, daß nehmlich
auch ein Regente seinen Unterthanen allerdings
zum
Theil schweres und unerträgliches Unrecht
zufügen könne, wenn er entweder die
Pflichten
eines Regenten oder die
Pflichten eines Menschen
gegen sie übertrete. |
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Die Pflichten eines Regenten übertritt er, wenn
er entweder die Majestät gar nicht gebraucht, d.i.
der Regierungs
Geschäffte sich gar nicht weder
selbst, noch durch andere annimmt, oder wenn er
sie übel gebraucht, und entweder die ihm
würcklich
zukommende Macht durch offenbare Tyranney zum
Verderben seines Volcks mißbrauchet, mithin sich
als einen abgesagten Feind desselben bezeiget,
oder wenn er einer ihm nicht zukommenden Macht
sich anmasset und die Grundgesetze oder Pacte
des Reichs muthwillig unter die Füsse tritt. |
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Die Pflichten aber eines Menschen verletzet er,
wenn er die allgemeinen natürlichen Gesetze der
menschlichen
Gesellschafft übertritt,
z.E.
Mordthaten begehet, den Unterthanen ihre
Weiber
oder
Töchter
schändet, ihnen ihr
Vermögen raubt,
die bey ihnen gemachte
Schulden nicht bezahlt,
noch andere Pacte hält.¶ |
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Bey allen diesen
Arten des Unrechts ist |
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1) voraus zu setzen, daß, wo das Verfahren
eines Regenten, ob es Recht oder Unrecht sey,
zweiffelhafft ist, so, daß es allenfalls erst
untersuchet, und der Regent mit seiner
Verantwortung gehöret werden müste; das Volck
kein Recht haben könne, das geringste wieder den
Regenten zu beginnen. |
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Denn da die Majestät [ein Wort Griechisch],
oder |
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{Sp. 2198} |
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über alle menschliche
Gerichte erhoben ist: so
wäre es wieder die
Natur derselben, das Volck über
sie, als einen
Richter, dem sie von der Gerechtigkeit
ihres Thuns und Lassens Rechenschafft zu geben
schuldig wäre, zu erheben. Und noch ungerechter
würde es seyn, in solchen zweifelhafften Fällen, in
welchen, wie gedacht, das Volck kein Recht der
Untersuchung hat, aller
Gewißheit ohngeachtet,
etwas Gewalthätiges zu beginnen. |
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Gesetzt auch, daß unter solcher
Ungewißheit
würcklich einige Ungerechtigkeit von Seiten des
Regenten, mit unterlauffen solte: so gehöret das
daher entstehende
Übel, unter die
Unbequemlichkeiten, von welchen keine
menschliche
Ordnung gäntzlich befreyet seyn kan.
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Wenn |
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2) das Verfahren eines Regenten offenbarlich
ungerecht, und entweder den Pflichten eines
Regenten oder eines Menschen entgegen wäre,
ohne daß es erst einer nur im geringsten
zweifelhafften Untersuchung bedürffen solte: so ist
ferner gewiß, daß auch nicht einmahl bey allem
offenbaren Unrecht und Bedrückungen, die nur
noch erträglich sind, die Majestät aufhöre, heilig und
unverletzlich zu seyn. |
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Denn das Volck, indem es sich seinem
Regenten unterwirfft,
weiß daß es sich einem
Menschen unterwerffe; und daß ein Mensch von
allen Fehlern des
Verstandes und
Willens die hin
und wieder in offenbares Unrecht ausbrechen
unmöglich befreyet seyn könne. |
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Dannenhero hat das Volck, sich entweder gar
keinen Regenten unterwerffen können: oder es hat
sich einem solchem, der seine Fehler gewiß und
ohnfehlbar haben wird, und also auch allen nur
erträglichen
Effecten solcher Fehler zugleich mit
unterwerffen müssen; zumahl da alle Menschen
einander zur Sanfftmüthigkeit und
Gedult
verpflichtet sind, und also am allermeisten der
Majestät in Ansehung des vielen unschätzbaren
Guten, daß die menschliche Gesellschafft ihr, ihrer
Fehler ohngeachtet zu dancken hat, und des
unermeßlichen Übels, das eine jede Auflehnung
wider dieselbe, eine jede gewaltsame
Veränderung
des Regiments, unausbleiblich nach sich
ziehet. |
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Wir
nennen aber ein erträgliches Unrecht
dasjenige, dessen Erdultung, in Absicht auf die
darneben von dem weltlichem Regiment
abhängende
Vortheile leidlicher ist als der
Verlust
solcher Vortheile, als welcher unausbleiblich
erfolget, so bald die Majestät, als die Grundfeste
eines Reichs durch Verweigerung der
Unterwürffigkeit, nicht mehr vor heilig und
unverletzlich gehalten wird, und also zu wancken
anfängt.¶ |
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Doch kan auch |
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3) ein offenbarlich ungerechtes Verfahren eines Regenten unerträglich seyn,
und alle Gedult des Volcks übertreffen. Es ist nehmlich alsdenn unerträglich,
wenn es entweder den
wesentlichen
Endzweck, alles weltlichen Regiments nehmlich alle
Göttliche
natürliche Rechte und die auf diesen
beruhende Wohlfarth des Volcks offenbarlich und
gäntzlich unter die Füsse tritt, so daß alle aus der
Auflehnung erwachsende Übel offenbarlich weit
erträglicher sind, als die Erdultung der verübten
Tyranneyen: oder wenn es augenscheinlich, und
ohne den äussersten Nothfall, auf den Umsturtz der
theuer beschwornen Regiments-Verfassung und
Grundgesetze des Reichs abzielet, |
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{Sp. 2199|S. 1113} |
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und wieder beydes kein Bitten und Flehen des
Volcks etwas helffen will. |
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In diesem traurigem
Zustand eines Reichs ist
nicht zu begreiffen, wie die Majestät mit der
offenbaren gäntzlichen Darniederwerffung ihres
wesentlichen Zweckes, die Qualität eines Regenten,
mit der Qualität eines abgesagten Feindes seines
Volcks oder der Regimentsform ohne Wiederspruch
beysammen stehen könne. |
Grotius … |
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Bey solcher Bewantniß scheinet im angeführten
Falle die Majestät von sich selbst und
unmittelbar
durch das
Recht der Natur, aufzuhören und mit ihr
also auch alle ihre Rechte, folglich auch die
Heiligkeit und Unverletzlichkeit, welches über dieses
auch aus den Gesetzen der
Noth leicht zu erweisen
ist. |
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Barbeyrac mercket über den Grotius … an,
daß auch selbst die Widriggesinnten, die nehmlich
die Gedult der Unterthanen auf das äusserste, und
über alle
Vernunfft wollen getrieben haben, hernach
die ersten zu seyn pflegen, die wenn ein offenbarer
Tyranne gestürtzet worden, solche
That bis an den
Himmel erheben. |
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Es ist aber hierbey auch |
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4) gewiß, daß in dem Fall einer solchen
gerechten Nothwehre, durch das Volck, dem das
Recht solcher Nothwehre zukommt, nicht eine jede
einzelne Person, die etwa, auch auf eine ihr
unerträglicher Art verletzet wird, noch etwa eine
Rotte etlicher aufrührerischer
Köpffe, oder eines
kleinen oder mäßigen Theils des ohne Vernunfft
zusammen lauffenden niedrigen Pöbels, sondern
die
gantze Nation und aller aus reiffer Überlegung
sich vereinigenden
Stände derselben, oder doch der
gröste und gesunde
Theil
verstanden werde: Deren
Vereinigung so dann vergeblich vor eine Meuterey
oder Rebellion gescholten wird; da, wie kurtz vorher
gedacht, die Majestät bey gäntzlicher Vernichtung
ihres
Zwecks nicht bestehen kan, sondern durch
unmenschliche zu Bodentretung aller Menschen-Rechte sich selbst und also auch alle ihr sonst
gebührende Rechte aufhebet. |
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Grotius wiederleget demnach … zwar mit
Recht diejenigen, die sich und andere überreden
wollten, ea, quae de sanctitate majestatis dicta sunt,
locum habere in privatis, non etiam in magistratibus
inferioribus, quibus jus esse putent resistendi injuriis
ejus cujus summum est imperium. Allein Barbeyrac
erinnert hierbey nicht ohne Grund, daß im mehr
gedachtem äusserstem Nothfalle, die obrigkeitlichen
Personen, und andere Grosse eines Reichs, die der
Reichsgeschäffte am besten kundig, und durch ihr
Ehr-Ansehen wieder das bevorstehende gäntzliche
Verderben die benöthigten Anstalten zu machen am
fähigsten sind, von solcher Sorge nicht etwa
ausgeschlossen, sondern diese vielmehr ihnen vor
allen andern obliege. |
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Der Einwurff, daß auf solche Art die
Unternehmungen des Regenten dem
Urtheile und
Ausspruche des Volcks unterworffen würden, fället
hinweg, wenn man die Bedingung unsers
Satzes
beständig vor Augen behält, daß nehmlich die
Tyranney so offenbar seyn müsse, daß man keines
allererst entscheidenden Urtheils bedürffe: dahero
ein Regent der gegen sein Volck nur noch einiger
massen wohl gesinnet, und nicht ein offenbarer
Feind derselben, dergleichen Zustand sehr leicht
vermeiden kan. Wenn |
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5) der Regent ein |
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{Sp. 2200} |
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offenbares unerträgliches Unrecht einem
eintzigen Unterthanen zufügen, z.E. ihn ohn alle
gegebene
Ursache ermorden wolte: so ist zwar
wahr, daß da der Regent, dergleichen zu thun kein
Recht hat, also auch er, bloß durch solche
ungerechte That, auf die Person, die er in einen so
Mitleidens-würdigen Zustand setzet, keine Pflicht,
die That an sich verüben zu lassen bringen
könne. |
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Allein weil doch der gemeinen Landes
Wohlfarth daran gelegen ist, daß die Heiligkeit der
Majestät, als die Grundfeste eines Reichs, nicht
durch blosse Privat-Übel wanckend gemacht
werden könne: und dahero, vermöge der andern
Regel, ein Volck auch den offenbaren
Ungerechtigkeiten seines Regenten, die nur ihm
nehmlich dem Volcke, oder gantzem
Lande, noch
erträglich sind, sich
billig mit Gedult unterwirfft: so
folget, daß dergleichen unglückselige Person, die
von ihrem
Fürsten an ihrem Leibe, Leben,
Religion
u.s.w. ungerechter Weise angetastet wird, sich
allenfalls mit der Flucht zu retten, ja wo dieses nicht
möglich, lieber den Tod unschuldig zu leiden
verbunden sey, als daß sie an der Majestät, als der
Grundfeste des gantzen Staats, sich im geringsten
vergreiffen solte; immassen solche Pflicht das Land
von einer jeden Privat Person auch mit Dransetzung
ihres Lebens zu fordern befugt ist, zur allgemeinen
innerlichen Sicherheit des Staats, an welcher ein
jeder Theil hat. |
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Und dieses ist es, worauf die
völlige
Entscheidung der schweren Frage beruhet: ob sich
ein Volck nicht widersetzen dürffe, wenn ein Regent
die höchste Gewalt zum Ruin seines Reichs
mißbraucht und ein Tyrann wird. |
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Sonst ist noch bey dieser
Materie zu
bemercken, daß der
berühmte Jesuit Johann
Mariana in seinem
Buche de Rege et Regis
institutione dem Volcke die Gewalt über einen
tyrannischen König eingeräumt habe. Moreri giebt
aber mit Unrecht vor, daß er dasselbe zur
Rechtfertigung des Meuchelmords an dem Könige
von Franckreich Heinrich III
herausgegeben habe.
Denn dieses ist nur ein sehr kleiner Theil von
seinem Buche, und er führet Heinrichen III nur bey
Gelegenheit und mit wenig Worten dabey an. |
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Also hat auch Milton ebenfalls gelehret, daß
das Volck über die Tyrannen ein Recht habe. Er hat
überhaupt von dem Rechte des Volcks wider die
Tyrannen, nach dem Todes-Urtheile, welches wider
König Carln den I
gesprochen worden,
geschrieben, und eine Sammlung, von den
Aussprüchen
verschiedener angesehenen
Gottesgelehrten über diesen Satz gemacht: um
denjenigen den Mund zu stopffen, welche vorgaben,
daß die Lehre der
Protestanten dem zuwieder lieffe,
was damahls zu London seit kurtzem erfolget war.
Dieses ist vielleicht das Buch, dessen er in seiner
zweyten Schutzschrifft … gedencket, wenn er also
schreibt: Id fusius docui in eo libro, qui nostro
idiomate Tenor, sive tenura Regum et Magistratum
inscriptus est.¶ |
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Übrigens müssen wir noch von der Gefahr
etwas gedencken, deren sich diejenigen Tyrannen
unterwerffen, welche abdancken. Hiervon schreibt
Balzac im 45 C. des Printzen … dieses: |
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„Die Gefahr ist nicht geringer, wenn man
die |
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{Sp. 2201|S. 1114} |
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Tyranney niederlegt, als wenn man sich
derselben bemächtiget. Phalaris stund im Begriffe
dieselben zu verlassen; Allein er verlangte einen
Gott zum Bürgen, der ihm für sein Leben stünde,
wenn er seine Gewalt niederlegen solte; und es ist
allezeit eine durchgängige Meynung gewesen, daß
diejenigen, welche die Waffen wider ihr Vaterland,
oder wider ihren Fürsten ergriffen haben,
einigermassen zu der Nothwendigkeit gebracht
sind, Böses zu thun, weil sie so wenig Sicherheit
finden, wenn sie Gutes thun. Sie getrauen sich
nicht, unschuldig zu werden, aus Furcht, sich den
Gesetzen zu unterwerffen, die sie beleidiget haben,
und sie fahren in ihren Fehlern fort, weil sie nicht
dencken, daß man mit ihrer Reue vergnügt seyn
werde." |
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Dies ist eine von den Maximen gewesen, deren
sich Mecänas bedienet, als August mit ihm und mit
dem Agrippa berathschlagte, ob er dem Römischen
Volcke die
Freyheit
wieder geben solte. Agrippa hat
ihm gerathen es zu thun, und Mecänas hingegen,
es nicht zu thun. |
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Man kan diesen eine Antwort des Solons
beyfügen. Seine Freunde haben sich verwundert,
daß er sich vor dem Nahmen Monarchie gefürchtet,
und sich nicht erkühnet, sich der
Umstände zu
bedienen, um die höchste Gewalt zu erlangen. Er
hat ihnen geantwortet: |
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Die Herrschafft und die Tyranney ist zwar
ein schöner Ort, aber er hat keinen Ausgang,
wieder heraus zu gehen, wenn man einmahl
hineingegangen ist. |
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Niemanden ist es unserm Bedüncken nach, in
diesen
Gedancken besser gelungen, als dem
Xenophon. Er führet einen Tyrannen ein, welcher
eine sehr lebhaffte Beschreibung seines Zustandes
machet, worauf ihn Simonides fraget: Warum
bleibst du darinnen? Warum verläst du ihn nicht?
Hierauf antwortete er: Dies ist das aller gröste
Unglück der Tyranney, daß es kein
Mittel giebt
derselben abzusagen. Wollet ihr denn, daß ein
Tyrann, welcher abgedanckt hat, die Summen
wieder gebe, die er geraubt hat; diejenigen
schadloß halte, die er ins Gefängniß gesetzet hat;
die Leute wieder lebendig mache, die er getödtet
hat? Wenn man jemahls eine gerechte Ursache hat,
sich zu hencken, so ist es alsdenn, wenn man die
Tyranney ausgeübet hat. |
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Und eben dieses bekräfftiget auch Cicero
Tuscul. … indem er anführt, wie der Tyrann
Dionysius seinem Stande und seinem bösen
Leben nicht anders als mit seinem Untergange habe
absagen können.¶ |
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Endlich kömmt auch das Wort Tyrann in der
Schrifft vor, welches wir noch zuletzt anmercken
müssen. Es werden darunter diejenigen Regenten
verstanden, welche ihrer höchsten Gewalt
mißbrauchen. Dergleichen Tyrannen kamen aus
den Kindern GOttes und der Menschen her, das ist
aus den Gliedmassen der wahren und falschen
Kirche |
1 B. Mosis VI, 1. |
|
Diese Tyrannen |
|
|
sind GOttes Ruthen, und
Werckzeuge zur
Straffe auch seiner Kirche |
Jes. I, 24. X, 5. |
|
werden den brüllenden Löwen und Bären
verglichen, |
Sprüchw. XXVIII, 15. |
|
Ihr
Lohn wird beschrieben |
Jes. XXXIII, 1. |
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sie sollen keine Tyranney ausüben, |
B. Weißh. VI, 22. |
|
doch darf man derselben entwei- |
|
|
{Sp. 2202} |
|
|
chen, |
2 B. Mos. I, 25. |
|
Die H. Schrifft thut
unterschiedener Tyrannen
Erwehnung, als |
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|
1 B. Mos. X, 8.9; |
|
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2 B. Mos. I, 10. V, 2.
5; |
|
|
B. Richter I, 7; |
|
|
IX, 5; |
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|
1 Sam. XXII, 17; |
|
|
1 B. Kon. XIII, 4; |
|
|
XIX, 2; |
|
|
XXII, 26; |
|
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2 B. Kön. XXI, 16; |
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Tob. I, 21; |
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Dan. II, 11. III, 19; |
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B. Judith III, 8; |
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- 1 Macc. I, 25,
- 2 Macc VI,
29;
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1 Macc. VII, 1; |
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XIII, 15 u.f. |
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- Des
Königs Herodes Ascalonita,
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Matth. II, 16; |
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- XIV, 9 u.f.
- Luc. XXIII,
8.
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Matth. XXVII, 18; |
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Apost. Gesch. XII, 1. |
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- Aeschylus in Prometh.
vincto, ibique Scholiastes ejus.
- Servius ad Virgilium
Aeneid. …
- Cornelius Nepos in Miltiade Cap. ult.
Ebendas. in Thrasybulo.
- Plutarch.
- Cicero pro Milone
…
- Aulus Gellius …
- Brut. Epistol. ad Ciceron.
-
Baylens Historisches und Critisches Wörterbuch-
Buch, III Th. ...
- Arnkiels Mitternächtischer Völcker
und Thaten III Th. ...
- Müllers Philosophische
Wissenschafften III Th. ...
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Siehe übrigens auch den Artickel:
Tyranney. |
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