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Zedler: Wissenschafften [7] HIS-Data
5028-57-1399-1-07
Titel: Wissenschafften [7]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 57 Sp. 1449
Jahr: 1748
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 57 S. 738
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  Text   Quellenangaben
  Anwendung und Application der erlerneten Wissenschafften.  
  Hierbey sind folgende Regeln zu mercken, als  
  I.) Bemühe dich, soviel als möglich, die erlerneten Wissenschafften zur Beförderung der Ehre GOttes anzuwenden.  
  Soli Deo gloria, GOtt allein die Ehre, ist diejenige Formul, so den meisten Schrifften am Beschluß angeführet wird. Es wäre aber zu wünschen, daß man solche nicht sowohl aus blosser Gewohnheit,  
  {Sp. 1450}  
  und einem Schlendrian hinsetzte, als daß man sich vielmehr angelegen seyn liesse, bey allen Schrifften und Wissenschafften die Ehre des grossen GOttes zu verherrlichen. Es könte solches am besten geschehen, wenn man allenthalben die Leute zur Erkänntniß der göttlichen Vollkommenheit, insonderheit seiner Liebe, seiner Weisheit und seiner Gerechtigkeit anführte, und sie hierdurch zur Liebe und zum Lobe des grossen GOttes ermunterte.  
  Man solte nicht allein die Kirchen-Historie, sondern auch die Politische und die Geschichte der Gelehrten so vortragen, daß man in besondern Anmerckungen anwiese, wie der grosse Beherrscher Himmels und der Erde, seine weise, liebreiche und gerechte Regierung auf dem Erdboden unter den Menschen-Kindern erwiese, wie er das Gute auch in Zeitlichen öffters belohne, daß Böse bestraffe, den Leuten mit dem Maaße, damit sie andern gemessen, öffters wieder zumessen lasse, und wie die in heiliger Schrifft vorgetragene Wahrheiten auch in der Erfahrung bestätigt würden.  
  Wir arme Menschen können zwar nicht allezeit mit dem schwachen Maaß-Stabe unserer Vernunfft die göttliche Wege ausmessen, sondern müssen die Tieffe der göttlichen Regierung bisweilen in Ehrerbietungs-voller Demuth bewundern, doch können wir aus dem Ausgange und bey den vergangenen Zeiten gar öffters den Grund finden, warum GOtt dieses oder jenes verhänget, oder zugelassen, und nicht selten erkennen, daß aus manchem, so die Leute erstlich Creutz und Unglück genennet, Glückseeligkeit, und aus manchem, so erstlich vor Glück geachtet worden, Unglück erwachsen.  
  Bey der Natur-Wissenschafft, die ohnedem nichts anders als die Wercke des grossen Schöpffers, denen er sein göttliches Siegel eingedrückt, vorstellet, kan schöne Gelegenheit gefunden werden, den Leser hierbey auf die Vollkommenheit des Schöpffers zu weisen, und ihn zu seinem Lobe hierdurch anzureitzen. Unterschiedene Gelehrten sind den andern mit guten Exempeln vorgegangen. Zu einem Modell kan hierinne des Herrn M. Funckens Tractat dienen, den er de coloribus coeli geschrieben, allwo er in besondern Anmerckungen seinen Leser unterrichtet, wie er auch aus den Farben des Himmels die Eigenschafften GOttes erkennen möge, und wie ihn solche zu manchem moralischen Guten anreitzen können und sollen.  
  Diese Methode könnte sowohl bey der Geographischen und Physicalischen Beschreibung gantzer Länder, bey der Vorstellung eines grossen Zusammenhanges der Wahrheiten der Natur-Wissenschafften, als auch bey den allerkleinsten und geringsten Materien beobachtet werden. GOttes Weisheit ist so wunderbar bey dem Geschöpff eines Elephanten, als bey dem Geschöpff einer Mücke. Wenn man den Grund erkennt, warum GOtt diesem oder jenem Lande, dieser oder jener Sache, manche Vollkommenheit mittheilet, damit das gantze Welt-Gebäude desto vollkommener sey, so würde man, da man den Fußstapffen dieses liebreichen und weisen Schöpffers nachfolgte, öffters seine Lust und Freude daran haben.  
  Nähmen die Mathematici bey den Materien, so sie aus der Natur-Wissenschafft hergeholet, und besser auspolirt;  
  {Sp. 1451|S. 739}  
  die Herren Mediciner bey der Anatomie der Menschen, Thiere und Kräuter, bey den Kranckheiten und Sterben der Menschen; und die Hauswirthe bey ihren Hauswirthschaffts-Sachen dieses in acht, und zeigten, daß alles, was GOtt in dem Reiche der Natur verordnet, das allerbeste sey; so würde auch die Natur-Wissenschafft ein Lehrmeister der Morale werden, Gleichwie das natürliche Recht aus Erkenntniß der Vollkommenheiten GOttes herfliesset, und uns antreibet, daß wir unsere Handlungen dem göttlichen Willen gemäß einrichten sollen, so solten und könten auch die Moralisten ihren Schülern mehr Anleitung geben, wie sie bey ihren Handlungen auf die Leitung und Regierung GOttes mehr acht haben, und sich dieser Erkenntniß zu ihrem Trost und zu ihrer Hoffnung in Widerwärtigkeiten, zu ihrer Warnung bey bösen Actionen und zur Freude und Vergnügen bey den tugendhafften Handlungen zu Nutze machen solten. So könte man auch auf diese Art bey der Vernunfft-Lehre, bey der Rechtsgelahrheit, und mit einem Worte bey allen Wissenschafften die Ehre GOttes befördern.  
  Man darff nicht glauben, als ob die Weltweisheit und die Gottesgelehrsamkeit mit einander verwechselt würden. Nein im geringsten nicht, es würden deswegen doch beyde abgesondert bleiben. Es gehöret allerdings zur wahren Weltweisheit mit, daß man die Eigenschafften GOttes erkennen lernt; die Erkenntniß GOttes bahnet uns einen Weg zur bessern Erkenntniß der Natur, und die Erkenntniß der Natur muß uns auch zur Erkenntniß des Schöpfers anleiten. Es ist hier immer noch gar viel zu thun, und die wenigsten Bücher sind mit dergleichen Anmerckungen und Consectariis angefüllet. Man kan auch bey demjenigen, was unsere Vorgänger hierinnen geleistet, noch gar viel hinzu setzen. Der Nutzen dieser Lehrart ist sehr groß, immaßen die Gnade hernachmahls, die auf solche Art zur Liebe und zum Lobe GOttes schon zugerichtete Natur desto eher vollkommener machen kan. Wer dergleichen Arbeit über sich nehmen will, muß scharfsinnig seyn, um in die Verknüpffung und den Zusammenhang der Dinge recht einzudringen, und einen aus dem andern schlüssen zu können.  
     
  II. Bemühe dich, die Wissenschafften zu deiner Selbst-Erkenntniß, und zur Beförderung deiner Glückseeligkeit anzuwenden.  
  Der Grund hiervon ist, weil wir zu keinem andern Endzweck von dem grossen GOtt in die Welt gesetzet worden, als GOttes Ehre, unsere und unsers Nächsten Glückseeligkeit zu befördern. Es suchen auch alle vernünfftige und unvernünfftige Menschen die Glückseeligkeit, nur auf unterschiedene Weise; die unvernünfftigen suchen sie ausser sich, die vernünfftigen in sich, das ist, jene in solchen äusserlichen Dingen, dadurch ihre äusserlichen Sinnen und Paßionen ergötzet und gestillet werden, die vernünfftigen aber vornehmlich in der Gelassenheit und Vergnügung des Geistes, jedoch bemühen sie sich auch, die Stücke der äusserlichen Glückseeligkeit, so viel sie zu erreichen fähig und mit der Gemüths-Ruhe vereinbart werden können, zu erlangen; jene durch unzuläßliche, diese aber durch zuläßige Mittel;  
  {Sp. 1452}  
  jene suchen eine beständige Glückseligkeit bis an ihr Ende, und finden Sie niemahls, dieser aber eine Zeitlang, und finden und behalten solche.  
  Diese kleine Ausschweiffung, die eigentlich in die Moral läufft, wird dem Leser nicht entgegen seyn. Nun aber wieder auf den Weg zu kommen so ist gewiß, daß eine genauere Selbst-Erkenntniß ein grosses mit beyträgt zur Beförderung unserer Glückseeligkeit, und sind daher auch alle unsere Wissenschafften nach diesen beyden Stücken einzurichten. Bey der Vernunfft-Lehre muß man seine Gemüths-Kräffte, seine Kranckheiten und seine Gebrechen, auch überhaupt die Stärcke und Schwäche seines Verstandes kennen lernen. Man muß auch in Ansehung der Medicin dasjenige kennen lernen, was seinem Leibe und seiner Gesundheit zuträglich oder schädlich sey.  
  Vornehmlich muß man sich aus den allgemeinen Regeln der Moral und Politick nach seiner Selbst-Erkenntniß eigene moralische und politische Regeln aufsetzen, die nach seinen Umständen recht eingerichtet seyn. Eine Special-Moral und Politick wird einem bessere Dienste leisten, als wenn man hundert andere moralische Bücher durchstudiret. Man muß alle Tage eine eigene Zeit darauf wenden, da man seine begangene Fehler untersuchet, und zu deren künfftiger Abstellung neue Regeln und Maximen der Klugheit ausdencket.  
     
  III. Applicire die Wissenschafften auf die Art, daß nicht allein dein Verstand unmittelbar dadurch geschärffet, oder dein Wille verbessert sondern auch andere Stücke der zeitlichen Glückseeligkeit dadurch erreichet werden; insonderheit applicire sie so, daß du mit den erkannten Wahrheiten auch etwas in der Welt erwerben mögest.  
  Unsere Intention gehet nicht dahin, daß man bey den Wissenschafften, die nöthigen Theorien, die Principia, Grund-Sätze, Lehr-Sätze und ihren Beweiß unterlassen, und nur auf solche Regeln sehen solte, dadurch man sich Geld verdienen könte. Dieses ist einem Gelehrten nicht anständig, immaßen alle gründliche Erkenntniß versäumt würde, und die Wissenschafften wie Handwercke tractiret würden. Es dürfften auch solche Handwercks-Gelehrte von andern gründlichen Gelehrten vor gar schlechte Leute gehalten werden. Sondern wir behaupten nur, daß ein Gelehrter bey den Wissenschafften, die er excoliret und die er gründlich studiret hat, auch solche Anwendungen vereinigen soll, mit denen er sich, wenn er sonst kein Vermögen dabey hat, etwas erwerben kan.  
  Es ist gewiß eine Schande, wenn mancher Meister der sieben freyen Künste bey seinem gantzen Kram der Wahrheiten betteln gehet, und sich damit nicht soviel verdienen kan, als ein Tagelöhner mit seiner Hand, oder ein Künstler mit einer eintzigen Kunst. Wir wissen wohl, daß man die Wissenschafften nicht deswegen in der Welt studiret, daß man reich werden will, und daß man die Wahrheit um ihrer selbst willen erkennen und studiren soll; wir wissen aber auch, daß man viel vernünfftiger handelt, wenn man zu einerley Zeit, und mit einerley Handlung viele Endzwecke zugleich erreichen kan, und daß es gar wohl angehet, daß  
  {Sp. 1453|S. 740}  
  man die Wissenschafften nach dem Zusammenhange ihrer Wahrheiten gründlich einsehen, und dennoch auch solche Ausübungen damit vereinigen kan, dadurch man sich zu seiner Zeit, wenn mans verlangt, Nutzen schaffen möge. Es ist dieses auch eine Ehre vor die Wissenschafften, und wird mancher dadurch desto eher zu ihnen angetrieben, wenn er siehet, daß ein Gelehrter sich und andern Leuten nützlich seyn kan.  
  Diesemnach müssen die Physici nicht bloß bey ihren Erklärungen, Regeln und Theorematibus bleiben, sondern sie müssen auch solche Experimente anzugeben wissen, dadurch in der Hauswirthschafft, in dem Commercien-Wesen, bey den Bergwercken, bey der Apothecker-Kunst, und bey andern Künsten manches nützliche zu Verbesserung der Privat-Einkünffte und der Landes-Öconomie an Tag gebracht werden kan. Die Experimenta lucifera müssen nach und nach zu experimentis lucriferis werden.  
  Die Mathematici müssen mit ihren Lehr-Sätzen, Demonstrationen, calculo und Praxibus auf dem Papiere auch die Praxes auf dem Felde zu vereinigen wissen, sie müssen geschickt seyn, Felder in Grund zu legen, Häuser, Schlösser, Lust-Gärten, Brücken, Wasser-Künste und Wasserleitungen, auch allerley nützliche Machinen anzugeben, sie müssen den Festung-Bau, die Disponirung der Feuerwercke, und die Verfertigung mancherley optischer Erfindungen verstehen, damit sie zu Kriegs- und Friedens-Zeiten gebraucht werden können.  
  Die Juristen müssen nicht bloß in den Römischen Antiquitäten bewandert seyn, und die Gesetze aus dem Corpore Juris verstehen und inne haben, sondern auch die Geschicklichkeit besitzen, in mancherley streitigen Fällen unter hohen Standes-Personen und Privat-Leuten Consilia und Deductiones aufzusetzen, Urtheile und Bescheide abzufassen, und mancherley Juristische Concepte von Contracten, Testamenten, Obligationen, Suppliquen, Instructionen u.s.w. zu verfertigen.  
  Die Medici müssen nebst der Erkenntniß der Kranckheiten und der Artzeney-Mittel, allerhand Chirurgische und Anatomische Handgriffe verstehen, und mancherley Medicamente an Tincturen, Extracten, Latwergen, ingleichen an Essentien, Balsamen, Aquaviten, und andern, was so wohl zur Gesundheit als auch zur Galanterie vor reiche und vornehme Leute gehöret, zu präpariren wissen.  
     
  IV. Bemühe dich überhaupt alle Wissenschafften und alle Lehr-Sätze zur Ausübung anzuwenden.  
  Keine Theorie ist vor gut zu achten, die nicht auch in Praxin gesetzt werden kan. Was hilfts einem, wenn er noch so viel Lehr-Sätze im Kopffe hat, und weiß sie nicht zu gebrauchen und anzuwenden? Ein solcher Gelehrter verdient nicht viel mehr Ehre als ein Exercitien-Meister, der zwar die Grund-Regeln verstehet, solche aber nicht ausüben kan. Ein guter Theoreticus muß auch ein guter Practicus seyn, sonst verdient er nicht den Nahmen eines guten Theoretici, und seine Theorie ist unvollständig. Wenn ein Professor der Rechte nicht  
  {Sp. 1454}  
  weiß, wie er Acten referiren, oder eine Klage aufsetzen oder ein Testament machen soll, so ist seine Theorie in Ansehung dieser Stücke unvollkommen. Weiß ein Feldmesser oder Geometra nicht, wie er die Praxes auf dem Papiere, auf dem Felde wieder anbringen, oder seine Lehr-Sätze überhaupt zur Ausübung anwenden soll; so kan man nimmermehr über das Hertz bringen, daß wir einen solchen vor einen guten Theoreticum achten solten.  
  Bey einigen wenigen Fällen kommt eine Ausnahme vor, wenn nemlich der grosse GOtt manchem Menschen zu einer gewissen Praxi ein natürliches Unvermögen gegeben, und er die hierzu nöthige Geschicklichkeit durch allen angewandten Fleiß nicht erlangen können, als wie einige Theologen die Gabe nicht haben, eine Predigt zu halten, ob ihnen gleich alle Regeln bekannt sind, wie eine Predigt zu disponiren und auszuarbeiten ist.  
  Es ist eine sehr nützliche Arbeit, wenn man die Theorien in die Ausübung setzt. Denn da erkennet man allererst, wenn sie in Praxi zutreffen, die Richtigkeit der Regel. Und die Praxis ist die Probe gleichsam, die man auf die Regeln macht. Man bekommt hierdurch nicht allein eine Verbesserung mancher Theorematum, sondern man erfindet auch manche neue Regeln, darauf man sonst nimmermehr gefallen wäre. Wir müssen hierinnen den Mathematick-Verständigen ablernen, die bemühen sich alsobald die Lehr-Sätze, die sie gefunden, zu den Aufgaben anzuwenden.  
  Die Eintheilung der Wissenschafften in die Theoretischen und Practischen taugt wenig oder nichts. Alle Wissenschafften müssen practisch werden. Bey der Gottesgelahrheit muß man die Lehr-Sätze der thetischen Theologie sich im Glauben zuversichtlich zueignen. Bey der Moral-Theologie muß man die Pflichten ohnedem in seinem Leben ausüben und erweisen. Die Vernunfft-Lehre muß practisch werden, es ist nicht genung, daß wir den Ursprung der Ideen, ihre Klarheit und Dunckelheit, ihre Zusammensetzung, den Grund der Irrthümer und Vorurtheile, und die Beschaffenheit der Wahrheit wissen, sondern wir müssen auch aus dieser Erkenntniß Regeln formiren, nach denen wir in Erfindung und Beurtheilung der Wahrheiten würcken können.  
  Die Moral, Politick und Öconomie sind ohnedem practische Wissenschafften, die in lauter Thun bestehen. Wie die Natur-Wissenschafft, die Rechts-Lehre, die Medicin und die Mathematick zur Ausübung anzuwenden, ist im vorhergehenden gesaget worden, daß wir es also hier nicht wiederholen wollen. Das blosse Wissen vermehrt wohl die Erkenntniß, man nutzet aber weder sich noch seinem Nächsten damit. Man muß nicht allein in der Weisheit zunehmen, sondern auch in der Lehre von der Klugheit.  
     
  V. Bemühe dich die Wissenschafften zur Glückseligkeit des menschlichen Lebens anzuwenden, und deine Studia so einzurichten, daß du nicht sowohl nach der Schul-Weißheit, als vielmehr nach der Welt-Weis-  
  {Sp. 1455|S. 741}  
  heit trachtest.  
  Wir müssen nicht deswegen studiren, daß wir nur vor uns selbst Vergnügen daran haben, und weiser werden, sondern wir müssen auch durch unsere Wissenschafft die Glückseligkeit unsers Nächsten befördern, weil wir der Natur nach, dazu sowohl verbunden, als zu Beförderung unsers eigenen Wohls.  
  Einige Gelehrten haben sich in ihre Speculationen so vertiefft, daß sie an nichts weiter gedencken, als nur denenselben beständig nachzuhangen, ohne daß sie Sorge tragen, ob sie auch mit dieser Erkenntniß ihrem Nächsten dienen wollen, oder ob die von ihnen erkannten Wahrheiten von solchem Nutzen und Beschaffenheit seyn, daß dem Nächsten damit gedienet werden könne. In gewissem Verstande sind manche faule Bäuche, die in den Klöstern stecken und nichts thun, als essen, trincken, schlafen, Messe lesen und Horas singen, unnütze Werckzeuge der Erde zu nennen. Denn obgleich manche von ihnen speculiren und arbeiten; da sie aber mit ihren Speculationen der Welt keinen Nutzen schaffen, und also bey ihrer Arbeit wenig oder nichts verrichten, so sind sie fast den Müßiggängern gleich zu schätzen.  
  Bey der Erkenntniß, der Erfindung und dem Vortrage der Wahrheiten hat man vornehmlich auf solche zu sehen, dadurch dem menschlichen Leben genutzt wird. Diese muß man den andern allen vorziehen. Es verdienen auch diejenigen, die die von andern erfundenen Wahrheiten zur Glückseligkeit der Welt anwenden, nicht weniger Ruhm, als die ersten Erfinder dieser Wahrheiten. Wenn die Weltweisen anfangen die Welt-Klugheit mit der Weltweisheit mehr zu vereinigen, als bisher nicht geschehen, so werden auch die Welt-Klugen mehr anfangen sich um die Weltweisheit zu bekümmern.  
  Es ist von sehr großen Nutzen, wenn ein Gelehrter bey den Wissenschafften, die er aus Büchern oder von seinem Lehrmeister lernet, auch zugleich das große Buch der Welt mit aufschläget, und in demselben studiret. Denn  
 
1) kan er durch die Erkenntniß der Welt, und der Natur immer neue Lehr-Sätze, Regeln, Anmerckungen und eintzelne Begriffe lernen, die noch nicht bekannt sind.
 
 
  Es läst sich dieses weite Meer nicht so leicht erschöpffen, und kan man täglich aus diesem großen Buch viel neue Sachen fassen, und also nicht allein die Wissenschafften mit neuen Zusätzen und Wahrheiten, sondern auch die Welt mit neuen Wissenschafften vermehren; indem sich die Umstände der Zeiten, Örter und der Sachen verändern, so ist es nicht möglich, daß andere alles solten bey ihrer Erfahrung haben aufzeichnen können, daß nicht andern Leuten auch manches neue übrig gelassen wäre;
 
 
2) Wird man in der Wissenschafft vielmehr befestiget, wenn man wahrnimmt, daß die Lehr-Sätze und Regeln, die man dabey den besondern Wissenschafften, z.E. bey der Natur-Wissenschafft, Hauswirthschaffts-Kunst, Moral, Politick, Kunst der Menschen Gemüther zu erforschen, u.s.w. gelernet, in der Erfahrung zutreffen, und ist einem hernachmahls die Theorie solcher Wissenschafften
 
  {Sp. 1456}  
 
  noch einmahl so angenehm. Dieses kan man aber nicht anders erfahren, als wenn man die Welt studiret.
 
 
3) Erlangen die Wissenschafften mehr Realität, Praxin, Nutzen und Application, und also auch bey allerhand Leuten, bey Hof- und Staats-Leuten und andern Welt-Klugen, die sich sonst bey der Philosophie, man weiß nicht was vor einen Concept machen, mehr Liebe und Hochachtung; und
 
 
4) nutzt die Erkenntniß der Welt den Herren Gelehrten bey ihren eignen Personen auf vielfältige Art.
 
  Durch eine solche Veränderung, die sie sich nach ihren Meditationen und vielem Bücher-Lesen machen, da sie entweder die Gesellschafft der Leute suchen, oder sonst die Geschöpffe GOttes betrachten, werden die Lebens-Geister, die sonst allzu sehr entkräfftet waren, wieder erqvickt und gestärcket, das Gemüthe wird erfrischt, und der Leib durch die Bewegung, die sie sich machen, gesund, da sonst diejenigen Gelehrten, die stets wie die Dachse in den Hölen, in ihren Studier-Stuben stecken, und ihren Speculationen nachhängen, gantz ungesund und tiefsinnig werden, sie sind gantz Leutescheu, und in dem weltlichen Umgange untüchtig. Durch den Umgang der Welt lernen sie sich in äußerlichen indifferenten Handlungen andern vernünfftigen Leuten gleich stellen, da hingegen manche gelehrte Pedanten in ihrer Kleidung sehr unordentlich und garstig, und offt bey aller ihrer Weisheit einfältig sind, auch daher von Weltklugen Leuten nicht selten verspottet und verlacht werden.  
  Manche Politici, die von der Weisheit nicht so gar viel besitzen, wenn sie solche Pedanten erblicken, machen sich von der Gelehrsamkeit eine solche furchtsame Vorstellung und Abbildung, daß sie dencken, die Gelehrsamkeit müste mit solcher Unordnung vereiniget seyn, und wollen daher lieber Unwissende bleiben, als solche Gelehrten werden. So beqvemen sich auch diejenigen, die die Wissenschafft der Welt mit darbey studiren, viel eher zu allerhand Geschäfften und Handlungen, es kommt ihnen hernach nicht so fremde vor, weil sie schon gelernet, ihre Lehr-Sätze auf allerhand Geschäffte einzurichten und anzuwenden, da hingegen andere öffters bey den Verrichtungen gantz untüchtig sind, sie wissen sich aus nichts zu finden, und bey welchem Ende sie ein Ding angreiffen sollen.  
  Sind es Juristen, so schicken sich solche Leute weder zu Advocaten noch zu Richtern. Wenn sie den gegenwärtigen Fall nicht in terminis terminantibus in dem Corpore juris, oder in einem alten Commentario finden, den sie hoch achten, oder in den Landes-Gesetzen nicht deutlich entschieden ist, so sind sie in großer Ungewißheit, wo sie einen Ausspruch und Decision her bekommen wollen. Sind es Medici so können sie zwar einen Hauffen Zeuges von den Kranckheiten her erzehlen, aber keinem Bauer das Fieber vertreiben. Die Physici können ihre Theoremata weder zur Wirthschaffts-Kunst, noch zu andern Sachen des menschlichen Lebens anwenden, die bey ihrem Studio Physico nur lesen und speculiren, aber die Natur und die  
  {Sp. 1457|S. 742}  
  Welt selbst nicht betrachten, und so ist es auch mit den übrigen Gelehrten.  
  Endlich so nutzt auch der Umgang mit Leuten und die Erkenntniß der Welt den Gelehrten darinnen, daß sie andere hierdurch desto besser kennen lernen, und sie hernach zu allerhand Functionen und Verrichtungen gezogen werden, wenn andere ihre Meriten kennen lernen, von denen sie Nutzen und Ehre zu erwarten haben. Es wäre mancher Gelehrte eher befördert worden, wenn er sich der Welt eher gezeiget hätte.  
  Die Regeln, wie die Wissenschafften der Welt mit den Wissenschafften selbst zu vereinigen, müssen nach eines iedweden Umständen ausgefunden werden, und kan man keine besondere Regeln davon geben. Es muß ein Gelehrter die Welt auf die Art studiren, daß seiner Glückseligkeit hierdurch nicht präjudiciret werde. Wenn z.E. einer, der von schlechten Vermögen wäre, und sich doch vorgesetzt in der natürlichen Historie etwas rechts zu thun, soviel Länder durchreisen, und alle Gesund-Brunnen, warme Bäder, Bergwercke, Gärten, u.s.w. in Augenschein nehmen wolte, über solchen Reisen aber entweder gantz ruiniret würde, oder sich noch dazu in solche Schulden steckte, die er unmöglich wieder erstatten könte, so wäre dieses eine Thorheit. Es mag ein solcher die natürliche Historie seines Vaterlandes oder eines kleinen Districtes durchsuchen, wo es nicht solcher Unkosten bedarf, und sich bemühen die Geheimnisse der Natur aufzuschliessen, so wird er hierbey ebenfalls Gelegenheit haben, manche curiöse Anmerckungen zu machen, der Welt zu dienen, und seine Paßionen einigermaßen zu stillen.  
  Die Regeln des natürlichen Rechts und der Klugheit müssen hierbey, wie allenthalben in genauer Obacht genommen werden, und ist die Wissenschafft der Welt so einzurichten, daß man seiner Ehre, seiner Seele und seinem Leibe keinen Schaden dabey zufüge. Das vornehmste aber ist dieses, daß man die Wissenschafft der Welt zu seinem Nutzen studiret, und durch die Erkenntniß der Welt, das ist der Menschen, oder der Sachen, in der Weisheit und Klugheit zunimmt. Diesemnach muß einer nur solche Örter, wo er vermeynet, daß er etwas unbekanntes und nützliches lernen könne, solche Gesellschafften erwehlen, von denen er etwas, das zu seinem Zweck dienlich ist, profitiren kan, er muß dasjenige, was er gelernet, aufzeichnen, aus den besondern Erfahrungen allgemeine Regeln abstrahiren lernen, die Ausnahmen von den Regeln sich mercken, und von thörichten und klugen Leuten, von guten und bösen Sachen lernen, was er vermeiden oder nachahmen und beobachten kan.  
  Daß ein Gelehrter auch von denen Ungelehrten, das ist von denen, die in der Lateinischen Sprache entweder gar nicht, oder doch nicht sonderlich geübt sind, keine Collegia auf Universitäten gehalten, von dem Derapti Felapton nichts verstehen, sondern einen guten natürlichen Verstand besitzen, und die Erkenntniß von besondern Objecten erlanget; manches lernen könne, ist nicht zu leugnen, und also vor wahr anzunehmen. Wir wollen allhier nur durch einige Exempel erweisen, daß manche Gelehrte bey manchen Wissenschafften nur die Hül-  
  {Sp. 1458}  
  sen, hingegen einige Ungelehrte den Kern haben.  
  Bey der Moral haben einige die Hülsen, die nehmlich lange streiten, ob man von Verbesserung des Willens oder des Verstandes anfangen soll, ob es wahre Tugenden oder Schein-Tugenden giebt, worinnen doch das höchste Gut bestehe, ob die Tugenden des Verstandes den übrigen Tugenden beyzuzehlen, welches doch wohl der wahre und eintzige Grund-Satz des natürlichen Rechts sey; manche Ungelehrte aber den Kern, die ohne viel Studiren und Bücher-Lesen durch eigenes Nachsinnen und den Umgang der Welt gefunden, wie sie sich der Gemüths-Ruhe und der Tugenden befleißigen, auch ihre Handlungen nach dem Wohlstande anstellen sollen, solches alles auch in der That würcklich ausüben.  
  Bey der Politic und Öconomie haben einige Gelehrten die Hülsen, die nemlich über allerhand Arten der Regierungs-Formen Streitigkeiten erregen, welche die beste sey, und den andern vorzuziehen, und nichts als einige allgemeine und bekannte Regeln im Kopffe haben, wie Land und Leute zu regieren, und wie ein Haus-Vater sich gegen seine Frau, Kinder und Gesinde bey dem Haus-Wesen aufzuführen habe; andere Ungelehrte aber den Kern, die aus den Geschäfften und Umgang Staats-kundiger Leute gelernet, wie alles und jedes zu Vermehrung der Glückseligkeit des Landes und des Herrn einzurichten, wie die Haus-Wirthschafft, das Commercien-Wesen und die Geld-Wechselungen so anzustellen, daß man seine Einkünffte auf eine sichere und zuläßige Art ansehnlich vermehren kan, so daß offt Gelehrte zu solchen Ungelehrten hierinnen in die Schule gehen müssen.  
  Bey der Natur-Wissenschafft haben einige Gelehrte die Hülsen, die nehmlich die Natur nicht aus der Natur, sondern aus den Büchern und aus ihren Gehirne studiren, und von nichts als von ihren Atomis, Corpusculis, Vacuo, Sympathien, Antipathien und Occultis qualitatibus zu schwatzen wissen; andere Ungelehrte aber, als viele von Viehe, Ziegen, Schaafen, Bauen, u.s.w. den Kern, die nehmlich auf die Würckungen der Natur viel und lange Jahr fleißig acht gehabt, dabey alles accurat aufgezeichnet, und selbst nachgesonnen.  
  In der Botanick wissen manche nicht vielmehr, als was Dioscorides, Avicenna, Rajus oder Tournefort davon geschrieben. Sie streiten über die Wurtzeln, Stengel, Blüten, Früchte und Saamen, ob sie umbellifera, verticillata, u.s.w. seyn, ob sie zu diesem genere oder specie gehören; einige Ungelehrte hingegen wissen so viel Eigenschafften, Veränderungen und Würckungen bey manchen Pflantzen, die sie entweder aus der Erfahrung, oder da sie curiös gewesen, durch Versuche gelernet, die manchen Gelehrten und großen Botanico unbekannt sind.  
  Bey der Mathematick haben manche Gelehrten die Hülsen, die über gewisse Problemata, die  
  {Sp. 1459|S. 743}  
  doch vor blosse Subtilitäten anzusehen, sich viel Streitens und Schreibens machen; hingegen manche Ungelehrte, die ohne grosse Anleitung zur Mathesi durch natürliche Güte ihres Verstandes, die herrlichsten und nützlichsten Maschinen, dadurch die Beqvemlichkeit des menschlichen Lebens befördert wird, und die von gelehrten Mathematicis selbst admittiret werden, sich auszudencken wissen, den Kern.  
  Bey der Rechtslehre ist es eben so bewandt, manche Gelehrte haben die Hülsen, die nehmlich streiten, ob diejenige Verfassung, die wir in Deutschland haben, mit einem gewissen Angeordneten und Eingesetzten, davon in den Römischen Gesetzen geredet wird, in Vergleichung zu stellen, ob bey diesem Falle die Römische oder Päbstliche Verordnung vorzuziehen, ob die fremde Gesetze auf diese oder jene Art zu verstehen, ob dieses Wort nach der Meynung dieses oder jenen Holländischen Critici noch einzuschalten, oder auszulassen sey, ob die Verfassung in unserm Deutschland vor aristocratisch oder vor monarchisch und aristocratisch, oder vor ein Systema plurium Civitatum anzusehen sey; Manche Ungelehrte aber den Kern, sie wissen den Innhalt der allgemeinen Reichs-Grund-Gesetze, der Landes-Ordnungen, die Special-Verfassungen an diesem oder jenen Ort, die Observantzen und Gebräuche, die Compactata, Capitulationen und Reversalien der Landes-Herren, die Privilegia und Gerechtsame der Stände und Unterthanen und ihre Verträge, die sie unter sich aufgerichtet, u.s.w.  
     
  VI. Bemühe dich bey der Anwendung der Wahrheiten ihre Verknüpffung und Zusammenhang einzusehen, und zu finden.  
  Es connectirt alles zusammen. Die Wahrheiten in der heiligen Schrifft sind mit einander verknüpfft, und diese stimmen wiederum mit den natürlichen Wahrheiten, indem sie einerley Urheber haben. In der Welt ist alles dem Orte, der Zeit und Raum nach mit einander vereinigt. Die Gedancken in unserer Seele connectiren zusammen. Es haben auch so gar die zufälligen Dinge in dem Zusammenhange der Wahrheiten ihren Grund.  
  Wenn man nun nach gründlichen Sätzen den Zusammenhang dieser Dinge einmahl eingesehen, so kan man viel leichter einige Wissenschafften aus allgemeinen Principiis zugleich studiren, und bey dieser oder jenen Particulair-Wissenschafft viel eher besondere Conclusiones herausziehen, als der die Wissenschafft nicht nach dem Grunde studiret. Hierbey hat man sich vor einen Irrthum zu hüten, den einige Gelehrte begehen, die allerhand natürliche Wissenschafften, als die Natur-Wissenschafft, die Politick, u.s.w. aus der heiligen Schrifft studiren wollen. Denn ob es zwar an dem ist, daß die natürlichen Wahrheiten den geoffenbarten nicht zuwider sind, und auch nicht zuwider seyn können, so wissen wir doch wohl, daß es dem Zweck des heiligen Geistes zuwider ist, uns natürliche Wahrheiten und weltliche Wissenschafften in seinem Worte  
  {Sp. 1460}  
  vorzutragen. Denn diese offenbaret uns allen göttlichen Rath, so viel uns zu wissen nöthig ist, in Glaubens-Sachen, und scheinet uns als ein helles Licht auf unserm Wege zur Seligkeit. Sie ist uns zu nichts anders vorgeschrieben, als zu unserer Lehre, zur Vermahnung, zur Strafe, zur Warnung, und zur Züchtigung in der Gerechtigkeit, daß ein Mensch GOttes sey vollkommen zu allen guten Wercken geschickt.  
     
  VII. Bemühe dich die Wahrheiten einer Wissenschafft auf andere zu appliciren.  
  Also haben die Mathematici die Anzahl der Wissenschafften vermehrt, da sie die Arithmetick, Geometrie und Analysin auf andere applicirt, und dadurch viel neue und unbekannte Wahrheiten entdeckt, und auf richtigen Grund gesetzt. Durch Application der Geometrie auf die Strahlen des Lichts ist die Optick entstanden. Nachdem die Regeln der Bewegung auf einen Mathematischen Fuß gesetzt, ist die Mechanick in Ordnung gebracht worden. Andere haben sich bemühet, die Mathematischen Wissenschafften auf eine andere Art zum Nutzen und zur Beqvemlichkeit des menschlichen Lebens zu appliciren, als die Sätze und Anfangs-Gründe der Hydraulic und der Mechanic bey der Medicin auf den menschlichen Cörper.  
  Es ist auch kein Zweifel, daß die Mathematischen Wissenschafften, nachdem der allweise Schöpffer alles in Maaß, Zahl und Gewichte eingetheilet, noch auf gar viel andere und bisher unbekannte Wahrheiten mehr applicirt werden können; Es haben alsdenn die Wissenschafften, wenn sie ad calculum gebracht worden, ihre Vollkommenheit erreicht. Doch ist auch gewiß, daß man die Mathematic bey einer Wissenschafft immer besser anbringen kan, als bey der andern, und hat man sich auch zu hüten, daß man nicht eine solche Application mache, die gleichsam mit den Haaren herbey gezogen werde.  
  Die Anwendung und Application der Wissenschafften auf andere Wissenschafften hat ihren guten Nutzen, sintemahl hierdurch zuwege gebracht wird, daß manche Gelehrte und Ungelehrte sie höher zu schätzen anfangen. Es gedenckt mancher, was ist dir diese Wissenschafft nütze, sie hilfft dir nichts bey deinem Vorhaben, und bekümmert sich also nicht um sie; wenn er aber erkannt, wie er sie auch bey seinem Vorhaben gebrauchen kan, so bekommt er eher Lust, sie zu treiben. Es wird einer dadurch viel scharffsinniger, und im Nachdencken geübter, iemehr er geschickt ist eine Wahrheit auf unterschiedener Art anzuwenden; So kan er sich auch vielmehr Nutzen zuwege bringen, mit seiner Erkenntniß, als wenn er dieselbe nur auf eine einfache Art zu nutzen weiß. Es ist hierinnen gewiß noch gar viel zu thun.  
  Damit wir aber nur von einer eintzigen Wissenschafft Exempelweise reden, so ist bekannt, wie das Kräuter-Studiren oder die Botanick bisher ziemlich hoch getrieben worden. Wenn man aber die meisten Kräuter-Bücher ansieht, die wir haben, so sind sie fast alle nach einem Leisten gemacht, das ist, man hat die Kräffte und Würckungen der Kräuter in so weit als sie zu  
  {Sp. 1461|S. 744}  
  der Medicin und Chirurgie nützlich sind, vorgestellt, da man doch den Theologischen Gebrauch, wie man aus den Kräutern die Eigenschafften von der göttlichen Vollkommenheit erkennen könnte, eben so gut als den Politischen und Öconomischen Gebrauch, in der Application dabey vorstellig machen könnte, als bey einer andern Sache.  
  Wenn man auf die Application auf andere Wissenschafften dencken will, so gehört großer Fleiß und Mühe dazu, welches der wenigsten ihr Werck ist. Denn erstlich muß man in den Wissenschafften, die man appliciren will, fester gegründet seyn, hernach muß man auch eine ziemliche vollständige Erkenntniß der andern Wissenschafft besitzen, auf welche die Wahrheiten dieser Wissenschafft gerichtet und angewendet werden sollen. Die Wohlhabenden suchen insgemein, wie sie auf eine beqveme und leichte Art das nützlichste aus den Wissenschafften begreiffen mögen, und die Armen sind öffters froh, wenn sie nur soviel erschnappet, daß sie sich einiger maßen damit fortbringen.  
     
  VIII. Bemühe dich auch solche Sachen, die dem Schein nach unnütze sind, auf etwas gutes zu appliciren, und einigen Nutzen daraus zu ziehen.  
  Wir müssen uns bemühen, der göttlichen Weisheit hierinnen nachzuahmen, die alle Sachen auf einem guten Endzweck einzurichten weiß. Die meisten werden die gewöhnliche Spiele in der Charte und im Brete vor Bemühungen müßiger und offt wollüstiger Leute achten, und dennoch haben große Gelehrten gezeiget, daß aus denselben vortreffliche Marqven der Klugheit herzuleiten seyn, und daher haben auch berühmte Mathematici die Spiele vor würdig geachtet, den Mathematischen Calculum auf sie mit zu appliciren. So ist auch eine nöthige Application in dem menschlichen Leben, Nutzen und Vergnügen mit einander zu vereinigen, und von aller seiner Vergnügung einigen Nutzen mit zu ziehen, auch alles, was man seiner ordentlichen Beruffs-Arbeit nach verrichten muß, so zu tractiren, daß es angenehm werde. von Rohr Vernunfft-Lehre p. 328. u.ff.
     

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Stand: 12. Juli 2013 © Hans-Walter Pries