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Quellenangaben | 
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Anwendung und Application der erlerneten 
Wissenschafften.
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Hierbey sind folgende 
				Regeln zu mercken, als  | 
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I.) Bemühe dich, soviel als möglich, die erlerneten 
Wissenschafften zur Beförderung der Ehre GOttes anzuwenden.  | 
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Soli Deo gloria,
				 
				
				GOtt allein die
Ehre, ist 
diejenige Formul, so den meisten
					Schrifften 
am Beschluß angeführet wird. Es wäre aber zu wünschen, daß man solche nicht 
sowohl aus blosser 
			Gewohnheit,  | 
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{Sp. 1450} | 
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und einem Schlendrian hinsetzte, als daß man sich vielmehr angelegen seyn 
liesse, bey allen Schrifften und Wissenschafften die Ehre des grossen GOttes zu 
verherrlichen. Es könte solches am besten geschehen, wenn man allenthalben die 
Leute zur
				Erkänntniß 
der göttlichen Vollkommenheit, insonderheit seiner 
Liebe, seiner Weisheit und 
seiner Gerechtigkeit anführte, und sie hierdurch zur Liebe und zum Lobe des 
grossen GOttes ermunterte.  | 
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Man solte nicht allein die Kirchen-Historie, sondern auch die 
Politische und 
die Geschichte der 
			Gelehrten so vortragen, daß man in besondern Anmerckungen 
anwiese, wie der grosse Beherrscher Himmels und der
Erde, 
seine weise, liebreiche und gerechte
				Regierung 
auf dem 
Erdboden unter den 
Menschen-Kindern 
erwiese, wie er das Gute auch in Zeitlichen öffters belohne, daß
				Böse
bestraffe, den Leuten mit dem Maaße, damit sie andern gemessen, öffters 
wieder zumessen lasse, und wie die in
				heiliger Schrifft 
vorgetragene 
				
				Wahrheiten auch in der 
				Erfahrung 
bestätigt würden.  | 
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Wir 
			arme 
Menschen können zwar nicht allezeit mit dem schwachen Maaß-Stabe unserer 
				
				Vernunfft die göttliche Wege ausmessen, sondern müssen die Tieffe der göttlichen 
				Regierung 
bisweilen in Ehrerbietungs-voller Demuth bewundern, doch können wir 
aus dem Ausgange und bey den vergangenen Zeiten gar öffters den 
				Grund finden, 
warum 
				
				GOtt dieses oder jenes verhänget, oder zugelassen, und nicht selten 
				erkennen, daß aus manchem, so die Leute erstlich Creutz und Unglück genennet, 
Glückseeligkeit, und aus manchem, so erstlich vor Glück geachtet worden, Unglück 
erwachsen.  | 
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Bey der Natur-Wissenschafft, die ohnedem nichts anders als die 
				Wercke des 
grossen Schöpffers, denen er sein göttliches Siegel eingedrückt, vorstellet, kan 
schöne Gelegenheit gefunden werden, den Leser hierbey auf die Vollkommenheit des 
Schöpffers zu weisen, und ihn zu seinem Lobe hierdurch anzureitzen. 
Unterschiedene 
			Gelehrten sind den andern mit guten Exempeln vorgegangen. Zu 
einem Modell kan hierinne des 
				
				Herrn M. Funckens Tractat dienen, 
den er de coloribus coeli geschrieben, allwo er in besondern 
Anmerckungen seinen Leser 
			unterrichtet, wie er auch aus den Farben des Himmels 
die Eigenschafften GOttes 
			erkennen möge, und wie ihn solche zu manchem 
moralischen
				Guten anreitzen können und sollen.  | 
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Diese 
				Methode könnte sowohl bey der
Geographischen und Physicalischen Beschreibung gantzer 
Länder, bey der 
Vorstellung eines grossen 
Zusammenhanges der
				Wahrheiten der 
Natur-Wissenschafften, als auch bey den allerkleinsten und geringsten 
				
				Materien 
beobachtet werden. GOttes Weisheit ist so wunderbar bey dem Geschöpff eines 
Elephanten, als bey dem Geschöpff einer Mücke. Wenn man den 
				Grund 
				erkennt, warum
				
				GOtt diesem oder jenem Lande, dieser oder jener 
				Sache, 
manche Vollkommenheit mittheilet, damit das gantze Welt-Gebäude desto 
vollkommener sey, so würde man, da man den Fußstapffen dieses liebreichen und 
weisen Schöpffers nachfolgte, öffters seine Lust und Freude daran haben.  | 
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Nähmen die Mathematici bey den 
				
				Materien, so sie aus der Natur-Wissenschafft 
hergeholet, und besser auspolirt;  | 
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{Sp. 1451|S. 739} | 
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die Herren Mediciner bey der Anatomie der 
Menschen, 
Thiere und Kräuter, bey den Kranckheiten und 
			Sterben der Menschen; und die 
Hauswirthe bey ihren Hauswirthschaffts-Sachen dieses in acht, und zeigten, daß 
alles, was 
				
				GOtt in dem 
				Reiche der
Natur 
verordnet, das allerbeste sey; so würde auch die Natur-Wissenschafft ein 
Lehrmeister der 
Morale werden, Gleichwie das
natürliche Recht aus
				Erkenntniß 
der Vollkommenheiten GOttes herfliesset, und uns antreibet, daß wir unsere 
Handlungen dem 
göttlichen Willen gemäß einrichten sollen, so solten und könten auch die 
Moralisten ihren 
	Schülern mehr Anleitung geben, wie sie bey ihren Handlungen auf 
die Leitung und 
				Regierung GOttes mehr acht haben, und sich dieser Erkenntniß zu 
ihrem Trost und zu ihrer 
Hoffnung in Widerwärtigkeiten, zu ihrer Warnung bey 
			bösen Actionen und zur Freude und Vergnügen bey den tugendhafften Handlungen zu 
				Nutze machen solten. So könte man auch auf diese Art bey der Vernunfft-Lehre, 
bey der Rechtsgelahrheit, und mit einem 
				Worte bey allen Wissenschafften die 
Ehre 
GOttes befördern.  | 
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Man darff nicht glauben, als ob die 
				Weltweisheit 
und die Gottesgelehrsamkeit mit einander verwechselt würden. Nein im geringsten 
nicht, es würden deswegen doch beyde abgesondert bleiben. Es gehöret allerdings 
zur wahren Weltweisheit mit, daß man die Eigenschafften GOttes erkennen lernt; 
die
				Erkenntniß 
				
				GOttes bahnet uns einen Weg zur bessern Erkenntniß der 
Natur, und die Erkenntniß der Natur muß uns auch zur Erkenntniß des Schöpfers 
anleiten. Es ist hier immer noch gar viel zu thun, und die wenigsten 
				Bücher sind 
mit dergleichen Anmerckungen und Consectariis angefüllet. Man kan auch 
bey demjenigen, was unsere Vorgänger hierinnen geleistet, noch gar viel hinzu 
setzen. Der 
				Nutzen dieser 
				Lehrart ist sehr groß, immaßen die 
Gnade hernachmahls, 
die auf solche Art zur Liebe und zum Lobe GOttes schon zugerichtete Natur desto 
eher vollkommener machen kan. Wer dergleichen 
				Arbeit über sich nehmen will, muß 
scharfsinnig seyn, um in die 
Verknüpffung und den 
Zusammenhang der Dinge recht 
einzudringen, und einen aus dem andern schlüssen zu können.¶ | 
 
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II. Bemühe dich, die Wissenschafften zu deiner 
Selbst-Erkenntniß, und zur Beförderung deiner Glückseeligkeit anzuwenden.
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Der 
				Grund hiervon ist, weil wir zu keinem andern 
Endzweck von dem grossen
				
				GOtt in die				
	Welt 
gesetzet worden, als GOttes 
Ehre, unsere und unsers Nächsten Glückseeligkeit zu 
befördern. Es suchen auch alle				
				vernünfftige 
und unvernünfftige 
Menschen die Glückseeligkeit, nur auf unterschiedene Weise; 
die unvernünfftigen suchen sie ausser sich, die vernünfftigen in sich, das ist, 
jene in solchen äusserlichen 
				Dingen, dadurch ihre äusserlichen 
				Sinnen und 
Paßionen ergötzet und gestillet werden, die vernünfftigen aber vornehmlich in 
der Gelassenheit und Vergnügung des 
				Geistes, jedoch bemühen sie sich auch, die 
Stücke der äusserlichen Glückseeligkeit, so viel sie zu erreichen fähig und mit 
der Gemüths-Ruhe vereinbart werden können, zu erlangen; jene durch unzuläßliche, 
diese aber durch zuläßige Mittel;  | 
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{Sp. 1452} | 
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jene suchen eine beständige Glückseligkeit bis an ihr Ende, und finden Sie 
niemahls, dieser aber eine Zeitlang, und finden und behalten solche.  | 
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Diese kleine Ausschweiffung, die eigentlich in die 
Moral läufft, wird dem 
Leser nicht entgegen seyn. Nun aber wieder auf den Weg zu kommen so ist gewiß, 
daß eine genauere Selbst-Erkenntniß ein grosses mit beyträgt zur Beförderung 
unserer Glückseeligkeit, und sind daher auch alle unsere Wissenschafften nach 
diesen beyden Stücken einzurichten. Bey der Vernunfft-Lehre muß man seine 
Gemüths-Kräffte, seine Kranckheiten und seine Gebrechen, auch überhaupt die 
Stärcke und Schwäche seines				
				Verstandes 
kennen lernen. Man muß auch in Ansehung der Medicin dasjenige kennen lernen, was 
seinem 
				Leibe und seiner Gesundheit zuträglich oder 
schädlich sey.  | 
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Vornehmlich muß man sich aus den allgemeinen 
				Regeln der Moral und 
Politick 
nach seiner Selbst-Erkenntniß eigene moralische und politische Regeln aufsetzen, 
die nach seinen Umständen recht eingerichtet seyn. Eine Special-Moral und 
Politick wird einem bessere 
Dienste leisten, als wenn man hundert andere 
moralische 
				Bücher durchstudiret. Man muß alle Tage eine eigene Zeit darauf 
wenden, da man seine begangene Fehler untersuchet, und zu deren künfftiger 
Abstellung neue Regeln und Maximen der 
				Klugheit ausdencket.  | 
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III. Applicire die Wissenschafften auf die Art, daß nicht 
allein dein 				
				Verstand unmittelbar dadurch geschärffet, oder dein 				
				
				Wille verbessert 
sondern auch andere Stücke der zeitlichen Glückseeligkeit dadurch erreichet 
werden; insonderheit applicire sie so, daß du mit den erkannten 
				
				Wahrheiten auch 
etwas in der 				
				Welt erwerben mögest.   | 
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Unsere Intention gehet nicht dahin, daß man bey den Wissenschafften, die 
nöthigen Theorien, die 
				
				Principia, Grund-Sätze, Lehr-Sätze und ihren 
				Beweiß 
unterlassen, und nur auf solche 
				Regeln sehen solte, dadurch man sich
Geld 
verdienen könte. Dieses ist einem 
			Gelehrten nicht anständig, immaßen alle 
gründliche
				Erkenntniß 
versäumt würde, und die Wissenschafften wie 
				Handwercke tractiret würden. Es 
dürfften auch solche Handwercks-Gelehrte von andern gründlichen Gelehrten vor 
gar schlechte Leute gehalten werden. Sondern wir behaupten nur, daß ein 
Gelehrter bey den Wissenschafften, die er excoliret und die er gründlich 
studiret hat, auch solche Anwendungen vereinigen soll, mit denen er sich, wenn 
er sonst kein				
				
				Vermögen dabey hat, etwas erwerben kan.  | 
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Es ist gewiß eine 
Schande, wenn mancher Meister der sieben 
freyen Künste bey 
seinem gantzen Kram der 
				
				Wahrheiten betteln gehet, und sich damit nicht soviel 
verdienen kan, als ein Tagelöhner mit seiner Hand, oder ein Künstler mit einer 
eintzigen Kunst. Wir wissen wohl, daß man die Wissenschafften nicht deswegen in 
der 				
				Welt studiret, daß man 
				reich werden will, und daß man die 
Wahrheit um ihrer 
selbst willen 
				erkennen und 
				studiren soll; wir wissen aber auch, daß man viel				
				vernünfftiger 
handelt, wenn man zu einerley Zeit, und mit einerley Handlung viele 
				Endzwecke 
zugleich erreichen kan, und daß es gar wohl angehet, daß  | 
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{Sp. 1453|S. 740} | 
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man die Wissenschafften nach dem 
Zusammenhange ihrer Wahrheiten gründlich 
einsehen, und dennoch auch solche Ausübungen damit vereinigen kan, dadurch man 
sich zu seiner Zeit, wenn mans verlangt, 
				Nutzen schaffen möge. Es ist dieses 
auch eine Ehre 
vor die Wissenschafften, und wird mancher dadurch desto eher zu ihnen 
angetrieben, wenn er siehet, daß ein Gelehrter sich und andern Leuten nützlich 
seyn kan.  | 
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Diesemnach müssen die Physici nicht bloß bey ihren Erklärungen, 
				Regeln und 
Theorematibus bleiben, sondern sie müssen auch solche Experimente anzugeben 
wissen, dadurch in der Hauswirthschafft, in dem Commercien-Wesen, bey den 
Bergwercken, bey der Apothecker-Kunst, und bey andern 
				Künsten manches nützliche 
zu Verbesserung der Privat-Einkünffte und der Landes-Öconomie an Tag gebracht 
werden kan. Die Experimenta lucifera müssen nach und nach zu 
experimentis lucriferis werden.  | 
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Die Mathematici müssen mit ihren Lehr-Sätzen, Demonstrationen, calculo und Praxibus auf dem 
Papiere auch die Praxes auf dem Felde zu vereinigen wissen, sie müssen 
			geschickt 
seyn, Felder in 
				Grund zu legen, Häuser, Schlösser, Lust-Gärten, Brücken, 
Wasser-Künste und Wasserleitungen, auch allerley nützliche 
Machinen anzugeben, 
sie müssen den Festung-Bau, die Disponirung der Feuerwercke, und die 
Verfertigung mancherley optischer 
Erfindungen 
			verstehen, damit sie zu 
Kriegs- 
und 
Friedens-Zeiten gebraucht werden können.  | 
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Die Juristen müssen nicht bloß in den Römischen Antiquitäten bewandert seyn, 
und die
				Gesetze 
aus dem 
Corpore
				Juris 
			verstehen und inne haben, sondern auch die 
Geschicklichkeit besitzen, in mancherley streitigen Fällen unter hohen
				Standes-Personen 
und Privat-Leuten Consilia und Deductiones aufzusetzen, 
			Urtheile und Bescheide 
abzufassen, und mancherley Juristische Concepte von 
Contracten, Testamenten,
Obligationen, Suppliquen, Instructionen u.s.w. zu verfertigen.  | 
 
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Die Medici müssen nebst der
				Erkenntniß 
der Kranckheiten und der Artzeney-Mittel, allerhand Chirurgische und Anatomische 
Handgriffe verstehen, und mancherley Medicamente an Tincturen, Extracten, 
Latwergen, ingleichen an Essentien, Balsamen, Aquaviten, und andern, was so wohl 
zur Gesundheit als auch zur Galanterie vor reiche und vornehme Leute gehöret, zu 
präpariren wissen.¶ | 
 
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IV. Bemühe dich überhaupt alle Wissenschafften und alle 
Lehr-Sätze zur Ausübung anzuwenden.   | 
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Keine Theorie ist vor gut zu achten, die nicht auch in Praxin gesetzt werden 
kan. Was hilfts einem, wenn er noch so viel Lehr-Sätze im
Kopffe 
hat, und weiß sie nicht zu gebrauchen und anzuwenden? Ein solcher Gelehrter 
verdient nicht viel mehr
Ehre als 
ein Exercitien-Meister, der zwar die Grund-Regeln 
			verstehet, solche aber nicht 
ausüben kan. Ein guter Theoreticus muß auch ein guter Practicus seyn, sonst 
verdient er nicht den 
				Nahmen eines guten Theoretici, und seine Theorie ist 
unvollständig. Wenn ein Professor der Rechte nicht  | 
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{Sp. 1454} | 
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weiß, wie er Acten referiren, oder eine Klage aufsetzen oder ein Testament 
machen soll, so ist seine Theorie in Ansehung dieser Stücke unvollkommen. Weiß 
ein Feldmesser oder Geometra nicht, wie er die Praxes auf dem Papiere, auf dem 
Felde wieder anbringen, oder seine Lehr-Sätze überhaupt zur Ausübung anwenden 
soll; so kan man nimmermehr über das Hertz bringen, daß wir einen solchen vor 
einen guten Theoreticum achten solten.  | 
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Bey einigen wenigen Fällen kommt eine Ausnahme vor, wenn nemlich der grosse
				
				GOtt manchem 
Menschen 
zu einer gewissen Praxi ein natürliches Unvermögen gegeben, und er die hierzu 
nöthige 
Geschicklichkeit durch allen angewandten Fleiß nicht erlangen können, 
als wie einige Theologen die Gabe nicht haben, eine Predigt zu halten, ob ihnen 
gleich alle 
				Regeln bekannt sind, wie eine Predigt zu disponiren und 
auszuarbeiten ist.  | 
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Es ist eine sehr nützliche
				Arbeit, wenn man die Theorien in die Ausübung setzt. Denn da 
erkennet man allererst, wenn sie in Praxi zutreffen, die Richtigkeit der 
				Regel. 
Und die Praxis ist die Probe gleichsam, die man auf die Regeln macht. Man 
bekommt hierdurch nicht allein eine Verbesserung mancher Theorematum, 
sondern man erfindet auch manche neue 
				Regeln, darauf man sonst nimmermehr 
gefallen wäre. Wir müssen hierinnen den Mathematick-Verständigen ablernen, die 
bemühen sich alsobald die Lehr-Sätze, die sie gefunden, zu den Aufgaben 
anzuwenden.  | 
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Die Eintheilung der Wissenschafften in die Theoretischen und Practischen 
taugt wenig oder nichts. Alle Wissenschafften müssen practisch werden. Bey der 
Gottesgelahrheit muß man die Lehr-Sätze der thetischen Theologie sich im Glauben 
zuversichtlich zueignen. Bey der Moral-Theologie muß man die 
				Pflichten ohnedem 
in seinem 
				Leben ausüben und erweisen. Die Vernunfft-Lehre muß practisch werden, 
es ist nicht genung, daß wir den 
				Ursprung der 
				Ideen, ihre Klarheit und 
Dunckelheit, ihre Zusammensetzung, den 
				Grund der Irrthümer und Vorurtheile, und 
die Beschaffenheit der 
Wahrheit wissen, sondern wir müssen auch aus dieser
				Erkenntniß 
				Regeln 
formiren, nach denen wir in 
Erfindung und Beurtheilung der Wahrheiten würcken 
können.  | 
 
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Die Moral, Politick und 
Öconomie sind ohnedem practische Wissenschafften, 
die in lauter 
				Thun bestehen. Wie die Natur-Wissenschafft, die 
Rechts-Lehre, die Medicin und die Mathematick zur Ausübung anzuwenden, ist im 
vorhergehenden 
			gesaget worden, daß wir es also hier nicht wiederholen wollen. 
Das blosse Wissen vermehrt wohl die 
				Erkenntniß, man nutzet aber weder sich noch 
seinem Nächsten damit. Man muß nicht allein in der 				
				
				Weisheit zunehmen, sondern 
auch in der Lehre von der 
				Klugheit.¶ | 
 
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V. Bemühe dich die Wissenschafften zur Glückseligkeit des 
				menschlichen
				Lebens anzuwenden, und deine 
			Studia so einzurichten, daß du nicht 
sowohl nach der Schul-Weißheit, als vielmehr nach der 				
				Welt-Weis-   | 
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{Sp. 1455|S. 741} | 
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heit trachtest.  | 
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Wir müssen nicht deswegen 
				studiren, daß wir nur vor uns selbst Vergnügen 
daran haben, und weiser werden, sondern wir müssen auch durch unsere 
Wissenschafft die Glückseligkeit unsers Nächsten befördern, weil wir der
Natur 
nach, dazu sowohl 				
				
				verbunden, als zu Beförderung unsers eigenen Wohls.  | 
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|   | 
Einige 
			Gelehrten haben sich in ihre Speculationen so vertiefft, daß sie an 
nichts weiter gedencken, als nur denenselben beständig nachzuhangen, ohne daß 
sie Sorge tragen, ob sie auch mit dieser
				Erkenntniß 
ihrem Nächsten dienen wollen, oder ob die von ihnen erkannten 
				
				Wahrheiten von 
solchem 
				Nutzen und Beschaffenheit seyn, daß dem Nächsten damit gedienet werden 
könne. In gewissem
Verstande sind manche faule Bäuche, die in den 
			Klöstern stecken und nichts 
thun, als essen, trincken, schlafen, Messe lesen und Horas singen, 
unnütze Werckzeuge der
Erde zu 
nennen. Denn obgleich manche von ihnen speculiren und arbeiten; da sie aber mit 
ihren Speculationen der				
	Welt 
keinen Nutzen schaffen, und also bey ihrer
				Arbeit wenig oder nichts verrichten, so sind sie fast den 
Müßiggängern gleich zu schätzen.  | 
  | 
|   | 
Bey der 
				Erkenntniß, 
der Erfindung und dem Vortrage der 
				Wahrheiten hat man vornehmlich auf solche zu 
sehen, dadurch dem 
				menschlichen 
				Leben genutzt wird. 
Diese muß man den andern allen vorziehen. Es 
verdienen auch diejenigen, die die 
von andern erfundenen 
				
				Wahrheiten zur Glückseligkeit der 				
				Welt anwenden, nicht 
weniger Ruhm, als die ersten Erfinder dieser Wahrheiten. Wenn die 
				Weltweisen 
anfangen die Welt-Klugheit mit der 
				Weltweisheit mehr zu vereinigen, als bisher 
nicht geschehen, so werden auch die Welt-Klugen mehr anfangen sich um die 
Weltweisheit zu bekümmern.  | 
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|   | 
Es ist von sehr großen 
				Nutzen, wenn ein Gelehrter bey den Wissenschafften, 
die er aus 
				Büchern oder von seinem Lehrmeister lernet, auch zugleich das große 
				Buch der 				
				Welt mit aufschläget, und in demselben studiret. Denn  | 
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|   | 
	
		| 1) | 
		kan er durch die 
				Erkenntniß 
		der Welt, und der
		Natur 
		immer neue Lehr-Sätze, 
				Regeln, Anmerckungen und eintzelne 
			Begriffe 
		lernen, die noch nicht bekannt sind.  | 
	 
 
			 | 
  | 
|   | 
	
		|   | 
		Es läst sich dieses weite Meer nicht so leicht 
		erschöpffen, und kan man täglich aus diesem großen 
				Buch viel neue 
				Sachen 
		fassen, und also nicht allein die Wissenschafften mit neuen Zusätzen und 
		
				
				Wahrheiten, sondern auch die				
	Welt 
		mit neuen Wissenschafften vermehren; indem sich die Umstände der Zeiten,
				Örter 
		und der 
				Sachen verändern, so ist es nicht möglich, daß andere alles 
		solten bey ihrer
				Erfahrung 
		haben aufzeichnen können, daß nicht andern Leuten auch manches neue 
		übrig gelassen wäre;  | 
	 
 
			 | 
  | 
|   | 
	
		| 2) | 
		Wird man in der Wissenschafft vielmehr 
		befestiget, wenn man wahrnimmt, daß die Lehr-Sätze und 
				Regeln, die man 
		dabey den besondern Wissenschafften, z.E. bey der Natur-Wissenschafft, 
		Hauswirthschaffts-Kunst, Moral, 
		Politick, 
		Kunst der 
		Menschen
				
				Gemüther zu 
		erforschen, u.s.w. gelernet, in der Erfahrung 
		zutreffen, und ist einem hernachmahls die Theorie solcher 
		Wissenschafften  | 
	 
 
			 | 
  | 
|   | 
{Sp. 1456} | 
  | 
|   | 
	
		|   | 
		noch einmahl so 
		angenehm. Dieses kan man aber 
		nicht anders 
		
				erfahren, als wenn man die 				
	Welt 
		studiret.  | 
	 
 
			 | 
  | 
|   | 
	
		| 3) | 
		Erlangen die Wissenschafften mehr Realität, 
		Praxin, 
				Nutzen und Application, und also auch bey allerhand Leuten, bey 
		Hof- und Staats-Leuten und andern Welt-Klugen, die sich sonst bey der 
		
		Philosophie, man weiß nicht was vor einen Concept machen, mehr 
		Liebe und 
		Hochachtung; und  | 
	 
 
			 | 
  | 
|   | 
	
		| 4) | 
		nutzt die
				Erkenntniß 
		der				
	Welt 
		den
				
				Herren 
			Gelehrten bey ihren eignen 
		Personen 
		auf vielfältige Art.  | 
	 
 
			 | 
  | 
|   | 
Durch eine solche 
				Veränderung, die sie sich nach ihren Meditationen und 
vielem 
				Bücher-Lesen machen, da sie entweder die
Gesellschafft der Leute suchen, oder sonst die Geschöpffe GOttes betrachten, 
werden die Lebens-Geister, die sonst allzu sehr entkräfftet waren, wieder 
erqvickt und gestärcket, das
				
				Gemüthe wird erfrischt, und der
				Leib 
durch die 
	Bewegung, die sie sich machen, gesund, da sonst diejenigen 
			Gelehrten, 
die stets wie die Dachse in den Hölen, in ihren Studier-Stuben stecken, und 
ihren Speculationen nachhängen, gantz ungesund und tiefsinnig werden, sie sind 
gantz Leutescheu, und in dem weltlichen 
Umgange untüchtig. Durch den Umgang der 
	Welt 
		lernen sie sich in äußerlichen indifferenten Handlungen andern				
				vernünfftigen 
Leuten gleich stellen, da hingegen manche gelehrte Pedanten in ihrer Kleidung 
sehr unordentlich und garstig, und offt bey aller ihrer 				
				
				Weisheit einfältig sind, 
auch daher von Weltklugen Leuten nicht selten verspottet und verlacht werden.  | 
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|   | 
Manche Politici, die von der 				
				
				Weisheit nicht so gar viel besitzen, wenn sie 
solche Pedanten erblicken, machen sich von der
				Gelehrsamkeit 
eine solche furchtsame Vorstellung und Abbildung, daß sie dencken, die 
Gelehrsamkeit müste mit solcher Unordnung vereiniget seyn, und wollen daher 
lieber Unwissende bleiben, als solche 
			Gelehrten werden. So 
			beqvemen sich auch 
diejenigen, die die Wissenschafft der				
	Welt 
mit darbey 
				studiren, viel eher zu allerhand Geschäfften und Handlungen, es kommt 
ihnen hernach nicht so fremde vor, weil sie schon gelernet, ihre Lehr-Sätze auf 
allerhand Geschäffte einzurichten und anzuwenden, da hingegen andere öffters bey 
den Verrichtungen gantz untüchtig sind, sie wissen sich aus nichts zu finden, 
und bey welchem Ende sie ein 
				Ding angreiffen sollen.  | 
  | 
|   | 
Sind es Juristen, so schicken sich solche Leute weder zu Advocaten noch zu
						Richtern. 
Wenn sie den gegenwärtigen Fall nicht in terminis terminantibus in dem 
Corpore
juris, oder in einem alten Commentario finden, den sie hoch achten, oder in den 
Landes-Gesetzen nicht deutlich entschieden ist, so sind sie in großer 
Ungewißheit, wo sie einen Ausspruch und Decision her bekommen wollen. Sind es 
Medici so können sie zwar einen Hauffen Zeuges von den Kranckheiten her 
erzehlen, aber keinem 
Bauer das Fieber vertreiben. Die Physici können ihre 
Theoremata weder zur Wirthschaffts-Kunst, noch zu andern 
				Sachen 
des 
				menschlichen 
				Lebens anwenden, die bey ihrem Studio Physico nur lesen und speculiren, aber die 
Natur und die  | 
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|   | 
{Sp. 1457|S. 742} | 
  | 
|   | 
				
	Welt 
selbst nicht betrachten, und so ist es auch mit den übrigen 
			Gelehrten.  | 
  | 
|   | 
Endlich so nutzt auch der 
Umgang mit Leuten und die
				Erkenntniß 
der				
	Welt 
den 
			Gelehrten darinnen, daß sie andere hierdurch desto besser kennen lernen, und 
sie hernach zu allerhand Functionen und Verrichtungen gezogen werden, wenn 
andere ihre Meriten kennen lernen, von denen sie 
				Nutzen und
Ehre zu 
erwarten haben. Es wäre mancher Gelehrte eher befördert worden, wenn er sich der 
Welt eher gezeiget hätte.  | 
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|   | 
Die 
				Regeln, wie die Wissenschafften der 				
	Welt 
mit den Wissenschafften selbst 
zu vereinigen, müssen nach eines iedweden Umständen ausgefunden werden, und kan 
man keine besondere Regeln davon geben. Es muß ein Gelehrter die Welt auf die 
Art 
				studiren, daß seiner Glückseligkeit hierdurch nicht präjudiciret werde. Wenn 
z.E. einer, der von schlechten				
				
				Vermögen wäre, und sich doch vorgesetzt in der natürlichen 
Historie etwas rechts zu thun, soviel 
Länder 
durchreisen, und alle Gesund-Brunnen, warme Bäder, Bergwercke, Gärten, u.s.w. in 
Augenschein nehmen wolte, über solchen Reisen aber entweder gantz ruiniret 
würde, oder sich noch dazu in solche Schulden steckte, die er unmöglich wieder 
erstatten könte, so wäre dieses eine Thorheit. Es mag ein solcher die natürliche 
Historie seines Vaterlandes oder eines kleinen
Districtes 
durchsuchen, wo es nicht solcher Unkosten bedarf, und sich bemühen die 
Geheimnisse der
Natur 
aufzuschliessen, so wird er hierbey ebenfalls Gelegenheit haben, manche curiöse 
Anmerckungen zu machen, der Welt zu dienen, und seine Paßionen einigermaßen zu 
stillen.  | 
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Die 
				Regeln des
natürlichen Rechts und der 
				Klugheit müssen hierbey, wie allenthalben in 
genauer Obacht genommen werden, und ist die Wissenschafft der				
	Welt 
so einzurichten, daß man seiner
Ehre, 
seiner
				Seele 
und seinem
				Leibe 
keinen Schaden dabey zufüge. Das vornehmste aber ist dieses, daß man die 
Wissenschafft der Welt zu seinem 
				Nutzen studiret, und durch die
				Erkenntniß 
der Welt, das ist der 
Menschen, 
oder der 
				Sachen, in der 				
				
				Weisheit und Klugheit zunimmt. Diesemnach muß einer nur 
solche
				Örter, 
wo er vermeynet, daß er etwas unbekanntes und nützliches lernen könne, solche
Gesellschafften erwehlen, von denen er etwas, das zu seinem 
				Zweck dienlich 
ist, profitiren kan, er muß dasjenige, was er gelernet, aufzeichnen, aus den 
besondern 
				Erfahrungen allgemeine 
				Regeln abstrahiren lernen, die Ausnahmen von 
den Regeln sich mercken, und von thörichten und klugen Leuten, von guten und 
			bösen Sachen lernen, was er vermeiden oder nachahmen und beobachten kan.  | 
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Daß ein Gelehrter auch von denen Ungelehrten, das ist von denen, die in der
Lateinischen Sprache entweder gar nicht, oder doch nicht sonderlich geübt 
sind, keine 
	Collegia auf 
			
			Universitäten gehalten, von dem Derapti Felapton
nichts 
			verstehen, sondern einen guten natürlichen Verstand besitzen, und 
die 
				Erkenntniß 
von besondern Objecten erlanget; manches lernen könne, ist nicht 
zu leugnen, und also vor wahr anzunehmen. Wir wollen allhier nur durch einige 
Exempel erweisen, daß manche Gelehrte bey manchen Wissenschafften nur die Hül-  | 
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{Sp. 1458} | 
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sen, hingegen einige Ungelehrte den Kern haben.  | 
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Bey der Moral haben einige die Hülsen, die nehmlich lange streiten, ob man 
von Verbesserung des
				
				Willens oder des				
				Verstandes 
anfangen soll, ob es wahre Tugenden oder Schein-Tugenden giebt, worinnen doch 
das höchste Gut bestehe, ob die Tugenden des Verstandes den übrigen Tugenden 
beyzuzehlen, welches doch wohl der wahre und eintzige Grund-Satz des 
natürlichen Rechts sey; manche Ungelehrte aber den Kern, die ohne viel Studiren und 
				Bücher-Lesen durch eigenes Nachsinnen und den 
Umgang der 				
	Welt gefunden, wie sie 
sich der Gemüths-Ruhe und der Tugenden befleißigen, auch ihre Handlungen nach 
dem Wohlstande anstellen sollen, solches alles auch in der 
	That würcklich 
ausüben.¶ | 
 
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Bey der Politic und 
Öconomie haben einige 
			Gelehrten die Hülsen, die nemlich 
über allerhand 
				Arten der
Regierungs-Formen Streitigkeiten erregen, welche die beste sey, und den 
andern vorzuziehen, und nichts als einige allgemeine und bekannte 
				Regeln im
				Kopffe haben, wie 
Land und Leute zu 
regieren, und wie ein 
Haus-Vater sich gegen seine 
				Frau, 
			Kinder und 
				Gesinde bey dem Haus-Wesen 
aufzuführen habe; andere Ungelehrte aber den Kern, die aus den Geschäfften und 
Umgang Staats-kundiger Leute gelernet, wie alles und jedes zu Vermehrung der 
Glückseligkeit des Landes und des 
Herrn einzurichten, wie die Haus-Wirthschafft, 
das Commercien-Wesen und die Geld-Wechselungen so anzustellen, daß man seine 
Einkünffte auf eine sichere und zuläßige Art 
ansehnlich vermehren kan, so daß 
offt 
Gelehrte zu solchen Ungelehrten hierinnen in die 
			
	Schule gehen müssen.  | 
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|   | 
Bey der Natur-Wissenschafft haben einige 
Gelehrte die Hülsen, die nehmlich 
die Natur 
nicht aus der Natur, sondern aus den 
				Büchern und aus ihren Gehirne 
				studiren, und 
von nichts als von ihren Atomis, Corpusculis, Vacuo, Sympathien, 
Antipathien und Occultis qualitatibus zu schwatzen wissen; andere 
Ungelehrte aber, als viele von Viehe, Ziegen, Schaafen, 
Bauen, u.s.w. den Kern, 
die nehmlich auf die 
				Würckungen der Natur viel und lange Jahr fleißig acht 
gehabt, dabey alles accurat aufgezeichnet, und selbst nachgesonnen.¶ | 
 
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|   | 
In der Botanick wissen manche nicht vielmehr, als was Dioscorides, 
Avicenna, Rajus oder Tournefort davon geschrieben. Sie 
streiten über die Wurtzeln, Stengel, Blüten, Früchte und Saamen, ob sie 
umbellifera, verticillata, u.s.w. seyn, ob sie zu diesem genere 
oder specie gehören; einige Ungelehrte hingegen wissen so viel 
				Eigenschafften, 
				Veränderungen und 
				Würckungen bey manchen Pflantzen, die sie 
entweder aus der
				Erfahrung, 
oder da sie curiös gewesen, durch Versuche gelernet, die manchen 
			Gelehrten und 
großen Botanico unbekannt sind.¶ | 
 
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Bey der Mathematick haben manche 
			Gelehrten die Hülsen, die über gewisse 
Problemata, die  | 
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{Sp. 1459|S. 743} | 
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doch vor blosse Subtilitäten anzusehen, sich viel Streitens und 
				Schreibens 
machen; hingegen manche Ungelehrte, die ohne grosse Anleitung zur Mathesi durch 
natürliche Güte ihres				
				Verstandes, 
die herrlichsten und nützlichsten 
Maschinen, dadurch die 
				Beqvemlichkeit des 
menschlichen 
				Lebens befördert wird, und die von gelehrten Mathematicis selbst 
admittiret werden, sich auszudencken wissen, den Kern.¶ | 
 
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|   | 
Bey der Rechtslehre ist es eben so bewandt, manche 
Gelehrte haben die 
Hülsen, die nehmlich streiten, ob diejenige Verfassung, die wir in
Deutschland 
haben, mit einem gewissen Angeordneten und Eingesetzten, davon in den
Römischen Gesetzen 
			geredet wird, in Vergleichung zu stellen, ob bey diesem 
Falle die Römische oder Päbstliche 
Verordnung vorzuziehen, ob die fremde
				Gesetze 
auf diese oder jene Art zu 
			verstehen, ob dieses 
				Wort nach der
				Meynung dieses oder jenen Holländischen Critici noch 
einzuschalten, oder auszulassen sey, ob die Verfassung in unserm Deutschland vor 
aristocratisch oder vor monarchisch und aristocratisch, oder vor ein Systema 
plurium Civitatum anzusehen sey; Manche Ungelehrte aber den Kern, sie 
wissen den Innhalt der allgemeinen
Reichs-Grund-Gesetze, 
der Landes-Ordnungen, 
die Special-Verfassungen an diesem oder jenen
				Ort, 
die Observantzen und Gebräuche, die Compactata,
Capitulationen und Reversalien der
Landes-Herren, die
Privilegia und Gerechtsame der
				Stände 
und 				
				
				Unterthanen und ihre Verträge, die sie unter sich aufgerichtet, u.s.w.¶ | 
 
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VI. Bemühe dich bey der Anwendung der 
				Wahrheiten ihre 
Verknüpffung und Zusammenhang einzusehen, und zu finden.   | 
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|   | 
Es connectirt alles zusammen. Die 
				
				Wahrheiten in der
				heiligen Schrifft 
sind mit einander 
verknüpfft, und diese stimmen wiederum mit den natürlichen 
Wahrheiten, indem sie einerley Urheber haben. In der 				
	Welt ist alles dem 
				Orte, 
der Zeit und Raum nach mit einander vereinigt. Die 
				Gedancken in unserer 
				Seele 
connectiren zusammen. Es haben auch so gar die zufälligen 
				Dinge in dem 
Zusammenhange der Wahrheiten ihren 
				Grund.  | 
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|   | 
Wenn man nun nach gründlichen Sätzen den 
Zusammenhang dieser Dinge einmahl 
eingesehen, so kan man viel leichter einige Wissenschafften aus allgemeinen 
				
				Principiis zugleich 
				studiren, und bey dieser oder jenen 
Particulair-Wissenschafft viel eher besondere Conclusiones herausziehen, als der 
die Wissenschafft nicht nach dem 
				Grunde studiret. Hierbey hat man sich vor einen 
Irrthum zu hüten, den einige 
Gelehrte begehen, die allerhand natürliche 
Wissenschafften, als die Natur-Wissenschafft, die 
Politick, u.s.w. aus der 
				heiligen Schrifft 
				studiren wollen. Denn ob es zwar an dem ist, daß die 
natürlichen 
				
				Wahrheiten den geoffenbarten nicht zuwider sind, und auch nicht 
zuwider seyn können, so wissen wir doch wohl, daß es dem 
				Zweck des
				heiligen 
				Geistes zuwider ist, uns natürliche Wahrheiten und 
weltliche 
Wissenschafften in seinem Worte  | 
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{Sp. 1460} | 
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vorzutragen. Denn diese offenbaret uns allen göttlichen Rath, so viel uns zu 
wissen nöthig ist, in Glaubens-Sachen, und scheinet uns als ein helles Licht auf 
unserm Wege zur Seligkeit. Sie ist uns zu nichts anders vorgeschrieben, als zu 
unserer Lehre, zur Vermahnung, zur
				Strafe, 
zur Warnung, und zur Züchtigung in der Gerechtigkeit, daß ein 
Mensch
				
				GOttes sey 
vollkommen zu allen guten Wercken 
			geschickt.¶ | 
 
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|   | 
VII. Bemühe dich die Wahrheiten einer Wissenschafft auf 
andere zu appliciren.   | 
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Also haben die Mathematici die Anzahl der Wissenschafften vermehrt, da sie 
die Arithmetick, Geometrie und Analysin auf andere applicirt, und dadurch viel 
neue und unbekannte 
				
				Wahrheiten entdeckt, und auf richtigen 
				Grund gesetzt. Durch 
Application der Geometrie auf die Strahlen des Lichts ist die Optick entstanden. 
Nachdem die 
				Regeln der Bewegung auf einen Mathematischen Fuß gesetzt, ist die 
Mechanick in 
				Ordnung gebracht worden. 
				Andere haben sich bemühet, die 
Mathematischen Wissenschafften auf eine andere Art zum 
				Nutzen und zur 
				Beqvemlichkeit des menschlichen Lebens 
				zu appliciren, als die Sätze und Anfangs-Gründe der Hydraulic und der 
Mechanic bey der Medicin auf den  
				menschlichen
				Cörper.  | 
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Es ist auch kein Zweifel, daß die Mathematischen Wissenschafften, nachdem 
der allweise Schöpffer alles in Maaß, Zahl und Gewichte eingetheilet, noch auf 
gar viel andere und bisher unbekannte 
				
				Wahrheiten mehr applicirt werden können; 
Es haben alsdenn die Wissenschafften, wenn sie ad calculum gebracht worden, ihre Vollkommenheit 
erreicht. Doch ist auch gewiß, daß man die Mathematic bey einer Wissenschafft 
immer besser anbringen kan, als bey der andern, und hat man sich auch zu hüten, 
daß man nicht eine solche Application mache, die gleichsam mit den Haaren herbey 
gezogen werde.  | 
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Die Anwendung und Application der Wissenschafften auf andere Wissenschafften 
hat ihren guten 
				Nutzen, sintemahl hierdurch zuwege gebracht wird, daß manche 
Gelehrte und Ungelehrte sie höher zu schätzen anfangen. Es gedenckt mancher, was 
ist dir diese Wissenschafft nütze, sie hilfft dir nichts bey deinem Vorhaben, 
und bekümmert sich also nicht um sie; wenn er aber 
				erkannt, wie er sie auch bey 
seinem Vorhaben gebrauchen kan, so bekommt er eher Lust, sie zu treiben. Es wird 
einer dadurch viel scharffsinniger, und im Nachdencken geübter, iemehr er 
			geschickt ist eine 
Wahrheit auf unterschiedener Art anzuwenden; So kan er sich 
auch vielmehr Nutzen zuwege bringen, mit seiner
				Erkenntniß, 
als wenn er dieselbe nur auf eine einfache Art zu nutzen weiß. Es ist hierinnen 
gewiß noch gar viel zu thun.  | 
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|   | 
Damit wir aber nur von einer eintzigen Wissenschafft Exempelweise 
			reden, so 
ist bekannt, wie das Kräuter-Studiren oder die Botanick bisher ziemlich hoch 
getrieben worden. Wenn man aber die meisten Kräuter-Bücher ansieht, die wir 
haben, so sind sie fast alle nach einem Leisten gemacht, das ist, man hat die 
Kräffte und 
				Würckungen der Kräuter in so weit als sie zu  | 
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{Sp. 1461|S. 744} | 
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der Medicin und Chirurgie nützlich sind, vorgestellt, da man doch den 
Theologischen Gebrauch, wie man aus den Kräutern die 
				Eigenschafften von der 
göttlichen Vollkommenheit 
			erkennen könnte, eben so gut als den 
Politischen und 
Öconomischen Gebrauch, in der Application dabey vorstellig machen könnte, als 
bey einer andern 
				Sache.  | 
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|   | 
Wenn man auf die Application auf andere Wissenschafften dencken will, so 
gehört großer Fleiß und Mühe dazu, welches der wenigsten ihr 
				Werck ist. Denn 
erstlich muß man in den Wissenschafften, die man appliciren will, fester 
gegründet seyn, hernach muß man auch eine ziemliche vollständige
				Erkenntniß 
der andern Wissenschafft besitzen, auf welche die 
				
				Wahrheiten dieser 
Wissenschafft gerichtet und angewendet werden sollen. Die Wohlhabenden suchen 
insgemein, wie sie auf eine 
			beqveme und leichte Art das nützlichste aus den 
Wissenschafften begreiffen mögen, und die 
			Armen sind öffters froh, wenn sie nur 
soviel erschnappet, daß sie sich einiger maßen damit fortbringen.  | 
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VIII. Bemühe dich auch solche 
				Sachen, die dem Schein nach 
unnütze sind, auf etwas gutes zu appliciren, und einigen 
				Nutzen daraus zu 
ziehen.   | 
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Wir müssen uns bemühen, der göttlichen Weisheit hierinnen nachzuahmen, die 
alle Sachen auf einem guten 
Endzweck einzurichten weiß. Die meisten werden die 
gewöhnliche Spiele in der Charte und im Brete vor Bemühungen müßiger und offt 
wollüstiger Leute achten, und dennoch haben große 
			Gelehrten gezeiget, daß aus 
denselben vortreffliche Marqven der 
				Klugheit herzuleiten seyn, und daher haben 
auch berühmte Mathematici die Spiele vor 
würdig geachtet, den Mathematischen 
Calculum auf sie mit zu appliciren. So ist auch eine nöthige Application in 
dem menschlichen 
				Leben, 
				Nutzen und Vergnügen mit einander zu vereinigen, und von 
aller seiner Vergnügung einigen Nutzen mit zu ziehen, auch alles, was man seiner 
ordentlichen Beruffs-Arbeit nach verrichten muß, so zu tractiren, daß es 
angenehm werde.  | 
von Rohr Vernunfft-Lehre p. 328. u.ff.¶ | 
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