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Ehestand, Ehe, ist ein natürlicher Stand, in welchen zwey
Personen
von
unterschiedenem
Geschlechte
mit einander treten, und sich verbinden, ihre
Liebe zur Vermehrung des
menschlichen
Geschlechts
einander alleine zu wiedmen, damit sie die aus solcher Verbindung zu
hoffenden
Kinder,
gewiß
vor die ihrigen mögen
erkennen, und sie sodann zum
Nutzen
der menschlichen
Gesellschafft wohl
erziehen können. |
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Auf diese zum voraus gesetzte Beschreibung des Ehestandes wird sich unsere
folgende Betrachtung
gründen.
Wir werden vor allen
Dingen |
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{Sp. 361|S. 196} |
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demjenigen folgen, was uns die sich selbst gelassene
Vernunfft lehret. Da aber der Ehestand zugleich unter die
Mittel, wodurch unsere zeitliche
Glückseligkeit befördert wird, kan gerechnet
werden, so
wollen wir nicht nur, was in diesem Falle die
Gerechtigkeit, sondern
auch was die
Klugheit
erfordert, betrachten. |
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Erfordernisse der Gerechtigkeit |
Der Ehestand ist ein willkührlicher Stand. Ein jeder willkührlicher Stand
gründet sich darauf, daß die Anstallten derer
Menschen,
und deren
freyer
Wille etwas hierzu beyträget. Die
Natur
hat zwar überhaupt den Trieb, das
Geschlechte
fortzupflantzen, denen Menschen eingeprägt. Der Ehestand ist ein
Mittel, diesen
Entzweck
zu erlangen; gleichwohl ist diese
Würckung
der Natur
keines Weges so allgemein, daß alle Menschen derselben unterworffen seyn
solten,
sondern es ist vielmehr der
Willkühr dererselben, wie, wenn, wie offte, und von
welchen Personen
das Bündniß der Ehe
müsse eingegangen werden, annoch überlassen. |
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Verpflichtung zur Ehe |
Daher entstehet die
Frage: Ob diejenigen, welche denen
Kräfften
nach, die
Pflichten
des Ehestandes zu erfüllen, sich
geschickt befinden, schlechter Dings sich in
denselben zu begeben
verbunden sind? Oder ob sie eine blosse Befugnüß dazu haben,
nach ihrem eigenen Gutbefinden sich in denselben zu begeben? |
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Wir antworten also: Wenn wir das
gantze
menschliche
Geschlechte
überhaupt ansehen, so ist es desselben
Schuldigkeit, sich zulänglich
fortzupflantzen.
GOtt und die
Natur machen nichts umsonst. Da nun der weite
Erden-Creiß zu Erhaltung so vieler Menschen hinlänglich ist: der Mensch auch
hiernächst die
Krafft, sein Geschlechte zu vermehren, bey sich
empfindet; und
endlich eine solche Vermehrung, in Betrachtung, daß die Kräffte der grossen
Gesellschafft dadurch zunehmen, zugleich auch das
Werck der Zeugung mit einer
Annehmlichkeit verbunden ist, den letzten
Entzweck
derer Menschen, welcher ihr
wahres Wohlseyn und Vergnügen ist, keines Weges verhindert, sondern vielmehr
befördert: so ist diese Fortpflantzung des menschlichen Geschlechtes eine Folge
des Göttlichen Willens, und also eine denen Menschen obliegende Schuldigkeit. |
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Da aber die durch die
Natur
hiermit verknüpffte und alle hierbey sich befindende Beschwerlichkeiten
überwiegende Annehmlichkeit so einen starcken Eindruck in die
menschlichen
Gemüther hat, daß sich der wenigste
Theil dererselben dieser
Pflicht
entziehet: und die Menge dererjenigen, welche sich in diesem Falle bemühen, den
Mangel dererselben, denen es beschwerlich fället, gar leichtlich ersetzet: so
muß es dem
göttlichen Willen
einerley seyn, ob der
Entzweck,
daß die Erde
bevölckert werde, durch alle, oder durch die meisten, die noch dazu die
Versäumniß derer andern gar reichlich ersetzen, ausgeführet werde. |
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Bey dieser Bewandniß der
menschlichen
Natur
siehet man gantz deutlich, daß der Ehestand nur eine
Pflicht
der
Beqvemlichkeit, keines Weges aber der
Nothwendigkeit
sey. Da nun die oberste Grund-Pflicht der
Geselligkeit
von niemanden fordert, eine Pflicht der Beqvemlichkeit mit Hintansetzung seiner
eigenen, viel weniger, mit Hintansetzung vieler andern ihrer
Bequemlichkeit,
einem andern zu leisten: so kan auch von niemanden, der die Gabe der Enthaltung
hat, bey der jetzigen Beschaffenheit derer Menschen schlechter Dings diese
Pflicht nicht gefordert werden, sondern |
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{Sp. 352} |
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es stehet einem iedweden annoch
frey, so wohl seine eigene, als die
Beqvemlichkeit vieler andern, hierbey in
Erwegung zu ziehen. |
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Unbequemlichkeiten |
Daß aber viele Unbequemlichkeiten aus dem Ehestand folgen, kan gar deutlich
dargethan werden. |
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für Verheiratete |
Denn was die
Personen,
die in den Ehestand treten, selbst betrifft, so können sich so wohl
physicalische, als
moralische
Umstände finden, welche den Ehestand höchst
verdrüßlich machen. |
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physikalische Umstände |
Was die physicalischen Umstände anbetrifft, so setzen wir zwar
überhaupt zum Voraus, daß keine als diejenigen, welche sich nach der
Beschaffenheit ihres
Leibes
und Gesundheit, zur Erzeugung derer
Kinder tüchtig befinden, in den Ehestand
treten können; dennoch aber können sich auch ausser diesen viele Umstände
ereignen, welche denselben höchst unannehmlich machen. |
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Die
Ordnung
eines wohleingerichteten Wesens erfordert die Beständigkeit im Ehestand. Nichts,
als eine augenscheinlich
dargethane Untreue des Ehe-Gattens, eine gäntzliche
Untüchtigkeit zum
Kinder-zeugen, eine dem andern unerträgliche und ansteckende
Kranckheit, und eine auf den höchsten Grad getriebene Feindschafft, können nach
denen bürgerlichen Gesetzen dieses feste
Band wieder auflösen. So
annehmlich
aber als die ersten
Jahre des Ehestandes verstreichen, so leichte kan eine
unglückliche
Geburt offtermahls, auch eine offt wiederhohlte Geburt und eine
unvermuthete Kranckheit dieses Vergnügen zu nichte machen. Hiewieder kan man
zwar wohl wieder einwenden, daß nicht nur die sinnliche Lust, sondern auch eine
Übereinstimmung der
Gemüther der
Grund
der Liebe seyn
müste. Allein man muß in diesem Falle wohl
erwägen,
nicht wie die Menschen
seyn
sollten, sondern wie sie selber sind. |
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Ferner so sind die
Naturen
derer sich
verheurathenden
Personen nicht gleich. Die Hitze und Kälte
dererselben, nebst andern
Umständen, die denen in diesem Stücke
erfahrenen gar
wohl bekannt sind, stimmen nicht überein, woraus denn sehr grosse, ja wohl gar
der Gesundheit und dem
Leben
nachtheilige Unbequemlichkeiten entstehen können.
Die wohl anständige Ehrbarkeit verbietet es in diesem Falle eine genaue
Untersuchung anzustellen, und eine von weiten her gehohlte Untersuchung ist
Theils
ungewiß Theils
unmöglich. Die äusserlichen Kennzeichen sind vielmehr
wollüstige
Einbildungen
unkeuscher
Gemüther, als sichere Merckmahle, und die
sich Theils auf einer aus der
Tugend entspringenden, Theils auf einer
eingebildeten Scham sich
gründende Verschwiegenheit derer
Menschen macht die
Erkenntniß solcher
Dinge unmöglich. Endlich so ist der Anfang eines solchen
Werckes
unterschiedenen Personen so fürchterlich, daß sie das dabey vorkommende
Übel vor unerträglich halten. |
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Wer nun die
Annehmlichkeit einiger
Jahre dem
Verdrusse vieler nachfolgenden
nicht vorzuziehen vermag; wer sich bey einem, wiewohl nur wegen der
Ungewißheit
wahrscheinlichen Übel, nichts zuwagen unterstehet, und wer endlich ein
zukünfftiges und seines
Ortes
sehr leicht entbehrliches Vergnügen durch eine ihm fast unerträgliche
Unlust zu
erlangen sich nicht entschlüssen kan, der stellet ein deutliches
Exempel dar,
daß der Ehestand mit vielen Unbequemlichkeiten
verknüpfft sey. |
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moralische Umstände |
Was die
moralischen
Umstände anbetrifft, so finden sich gleichfalls
unterschiedene Unbequemlichkeiten. Es sind nicht alle
Menschen
geschickt |
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{Sp. 363 |S. 197} |
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mit einer Person in einem genauern
Umgange beständig zu
leben. Wir billigen
keines Weges einen solchen Eigensinn, und wenn wir dasjenige ins
Werck
stellen könnten, was wir wünschten, so
sollten alle
Menschen
Meister über sich selbst, und
vollkommen seyn. Gleichwohl aber ist bey so viel
Leuten das
Übel soweit eingerissen, daß sie ihre Fehler zwar wohl unterdrücken,
nicht aber gäntzlich ablegen
wollen. Sie sind ruhig, wenn sie keinen Gegenwurff
ihres Eigensinnes finden, bey dessen daseyn aber können sie sich zwar wohl
zwingen, welches ihnen aber wegen des Zwanges eine unsägliche
Unlust erwecket.
Ein solcher Mensch
thut besser, er
erwählt aus zweyen Übeln das kleineste, und
vermeidet lieber die
Gelegenheit sich zu zwingen, als daß er sich durch diesen
Zwang in die gröste Unruhe stürtzen
soll. |
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Nächst diesem sind die
Weiber
keine leblose Creaturen, von der blosen Lufft können sie sich nicht ernähren,
und so angenehm das Vergnügen des Ehestandes ist, so kan doch weder der Hunger
noch der Durst dadurch gestillet, noch der
Leib
dadurch vor der Kälte bewahret werden. Es müssen also andere
Mittel hergeschafft
werden, um alles dieses zu erhalten. Ein
tugendhaffter,
geschickter
und fleißiger Mensch,
hat zwar Mittel genug, sich vor sich selbst hinzubringen, ob aber sein Vorrath
hinlänglich sey, nicht nur eine
Frau,
sondern auch die aus der Verbindung mit derselben, richtig hervorkommende
Folgerungen zu ernähren, ist freylich eine
Frage, welche offtermahls mit nein
muß beantwortet werden. Daß es aber eine Unbeqvemlichkeit sey,
Personen,
die man liebet, oder die man doch lieben soll, ohne Versorgung zu sehen, wird
wohl niemand
leugnen können. |
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für andere |
Dieses sind die Unbeqvemlichkeiten auf Seiten derer
verheyratheten Personen
selber, auf Seiten anderer äussert sich nachfolgendes. |
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Alle Menschen sind zur
Kinderzucht nicht
geschickt. Ohne
Kinder aber in dem
Ehestande zu
leben, ist so wohl wieder den
Willen GOttes, als auch, so wenig in der
Willkühr derer
verheyratheten Personen stehet, daß viele
Eltern nicht pro caussa efficiente
libera, sondern nur pro caussa sine qua non ihrer Kinder angesehen
werden. |
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Diese
Kinder sollen nun
erzogen werden. Wird hierinnen etwas versäumet, so
werden nicht alleine die Kinder
unglücklich, sondern auch dem
gemeinen Wesen
zur Last. Alles dieses aber, daß man seine
Beqvemlichkeit der
Pflicht
sich zuvereheligen vorziehen könne, bestehet nur in so ferne, als das
verheyrathen keine Pflicht der
Nothwendigkeit
ist. Findet sich hingegen ein
Mangel an Leuten, so ist ein ieder
verbunden, diesen Mangel durch das Kinder-zeugen zu
ersetzen. |
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Adam, Cain und Abel haben ohne Verletzung ihres
Gewissens den Ehestand nicht
unterlassen können. Und von Diogene Laertio II.
26. wird erzehlet, daß man zu Athen, nachdem der gröste
Theil derer
Bürger
wäre aufgerieben worden, durch ein Plebiscitum habe
verordnen
müssen,
daß nicht allein ein jeder ein
Weib
zu nehmen
schuldig sey, sondern auch daneben mit andern
Frauens-Personen,
weil die Anzahl derer
Männer, gegen die Anzahl derer Weiber geringer gewesen,
Kinder zu zeugen befugt seyn soll, ob gleichwohl sonst bey denenselben die
Polygamie verboten gewesen. Durch die- |
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{Sp. 364} |
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sen
Umstand, hat auch Socrates seine beyden Weiber die Xantippe
und die Myrto bekommen. |
-
Pufendorf
de Off. Hom. et Ciuis …
- Thomasius Jurisp. Diu. …
- Müller im Rechte der Natur …
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Vertrag |
Da ein iedweder willkührlicher Stand der
Menschen
jederzeit einen Vertrag voraussetzet, der Ehestand aber ein solcher
willkührlicher Stand ist; so folget, daß der Ehestand sich allemahl auf einen
Vertrag gründe. Alles dasjenige nun, was zu einem
vollkommenen Vertrag gehöret,
dieses wird auch zu dem Ehestande erfordert. Weil aber derjenige Vertrag, auf
welchem sich der Ehestand gründet, die Sponsalia, oder das Verlöbniß,
genennet wird: so
wollen wir die dahin gehörigen
Fragen an ihrem
Orte erörtern. |
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Endzweck |
Der
Endzweck
der Ehe ist dieser, daß die
Eltern, die aus einer solchen Verbindung zu
hoffenden
Kinder
gewiß vor die ihrigen
erkennen, und sie sodann zum
Nutzen
der
menschlichen
Gesellschafft wohl
erziehen mögen. Die Erzeugung derer Kinder also überhaupt
ist nicht allein der Endzweck des Ehestandes, sondern es muß die
Gewißheit derer
Kinder, und die daher entstehende
Erziehung mit in Betrachtung gezogen werden. |
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Nächst diesem
Endzwecke
werden auch noch andere angeführet, so wohl die Stillungen derer
Begierden,
und das damit verbundene Vergnügen, als die gesellige Beyhülffe derer Ehe-Gatten
werden vor Endzwecke des Ehestandes angegeben. Das beydes keine eigentliche
Endzwecke des Ehestande sind, erhellet daher, weil dieselben auch ausser dem
Ehestande können erlanget werden. Das mutuum adjutorium oder die
gesellige Beyhülffe kan durch andere Verträge so wohl
Manns- als
Weibs-Personen
erhalten werden. |
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Die Stillung der
Begierde
ist vielmehr der Verbindung mit einer
Person
zuwieder. Und da man doch die Erzeugung derer
Kinder von dem Ehestande als einen
Endzweck
auszuschlüssen nicht vermag, so verträget sich die Stillung derer Begierden
keines Weges mit derselben, als welche ihr vielmehr verhinderlich ist. |
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Ob nun zwar alle beyde nicht vor
Endzwecke
des Ehestandes können gehalten werden, so haben doch dieselben mit ihm eine
genaue Verbindung, und können aus solchen hergeführet werden. In wie weit aber
solche Stat haben können, oder nicht, wollen wir bey einem jeden Stücke
insonderheit betrachten. |
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Lust des Mannes |
Es ist nemlich die
Frage, ob ein
Mann bloß seine
Lust zu büssen sich seines
Weibes bedienen könne? und ob es erlaubt sey, nach geschehener Schwängerung
ferner weit sich mit seinem
Ehe-Weibe einzulassen? Die
Lehrer des
Rechts der
Natur sind hierinnen nicht einig. Wir
wollen dahero die
Gründe dererjenigen
betrachten, welche mit ja antworten, und hierbey dasjenige, was dawieder kan
eingewendet werden, und uns der
Wahrheit gemäßer zu seyn scheinet, anführen. |
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Man muß zugeben, daß die
Annehmlichkeit, welche sich in diesem Falle
ereignet, natürlich sey, sie ist also keines Weges an und vor sich selbst denen
göttlichen
Endzwecken |
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{Sp. 365|S. 198} |
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zuwider.
Menschen
zu castriren, oder sich selbst castriren zu lassen, ohne
Ursache
sich der ehelichen Liebe bloß aus einer vermeynten und gezwungenen Heiligkeit
gantz und gar zu entziehen, heisset die
Natur
und den Schöpffer in seinen
Wercken
meistern. Der Mensch muß nur diese
Lüste durch die
Vernunfft auf ihre rechte Endzwecke richten, so sind sie
nicht nur höchst unschuldig, sondern gar geboten, nur setzet man dieser
vernünfftigen Richtung allzu weite
Grentzen.
Müller in der
Lehre von dem Rechte der Natur 12. §. 11.
schlüsset daher, weil die
Keuschheit
nicht in gäntzlicher Unterdrückung, sondern in vernünfftiger Richtung oder Liebe
bestehe, so könnten sich Eheleute dieser
empfindlichen Lust zu Beförderung ihrer
Liebe bedienen, dahero es ihnen denn auch erlaubt sey, sich nach der
Schwängerung mit einander einzulassen. |
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Hierbey aber ist sehr wohl zu
erwägen, ob eine solche Beförderung der Liebe
einen
vernünfftigen
Grund
habe oder nicht. Wir unsers Orts wollen vielmehr das letztere als das erstere
behaupten. Was vor unbillige Anforderungen kan nicht ein
wollüstiger Ehe-Gatte
an dem andern machen, wenn man eine solche Beförderung der Liebe will zugeben.
Darzu, daß beyde
Theile zum Kinderzeugen angereitzet werden, ist, wenn die
Begierden
ordentlich eingerichtet sind, die eintzige
Handlung, wovon man die
Würckung
wahrscheinlich hoffen kan, schon genug, und gebrauchet es keiner fernern
Anlockungen. |
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Ob wir nun zwar dergleichen Unordnung im Ehestande nicht vor recht sprechen,
so ist es doch eine andere
Frage, ob dieselbe aus andern
Gründen
nicht könne hergeleitet werden, und ob man nicht der Verderbniß der
menschlichen
Natur
in diesem Stücke was nachzugeben habe? Auf eben diese
Gedancken
gründet sich der andere
Schluß,
welchen man zu Behauptung dieser
Meynung anzuführen pfleget. Man führet die Lehre des
Apostels Paulli 1.
Cor. 7, 2. seqq. an: Um der Hurerey willen habe ein
ieglicher Mann sein eigen Weib, und ein iegliches Weib ihren eigenen Mann. Das
Weib ist ihres Leibes nicht mächtig, sondern der Mann, desselben gleichen der
Mann ist seines Leibes nicht mächtig, sondern das Weib. Entziehe sich nicht
keines dem andern, es sey denn aus beyder Bewilligung eine Zeitlang, daß ihr zum
Fasten und Beten Muse habt, und kommt wiederum zusammen, auf daß euch der Satan
nicht versuche um eurer Unkeuschheit willen. Es ist besser freyen denn Brunst
leiden. |
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So wahrscheinlich als diese Lehre des heiligen Apostels angezogen zu werden
pfleget, so bestehet sie doch auf
gantz andern
Gründen,
als man vermeynet. Der Apostel
redet nicht ohne Bedingung, er richtet sich nur
nach der Verderbniß der Corinthier, und rathet ihnen ein kleineres
Übel an, um
ein grösseres zu vermeiden. Die erste Einschränckung, die er hinzu setzt, ist
diese: Um der Hurerey willen geschehe solches. Ferner sie
sollten zusammen
kommen, daß sie der Satan nicht versuche, nicht schlechterdings, sondern um
ihrer sonst so
gewöhnlichen
Unkeuschheit willen. |
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Und endlich
spricht er ausdrücklich: l.c. 6. seq.
Solches sage ich euch aber aus Vergunst, und nicht aus Gebot. Ich wollte aber
lieber, alle Menschen wären, wie ich bin. Man siehet hierbey
ausdrücklich, daß der heilige Mann in der gantzen Abhandlung |
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{Sp. 366} |
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die Verderbniß derer
Menschen
vor Augen gehabt habe, denn wäre dieses nicht, so wäre der
Satz gantz
falsch:
Es ist dem Menschen gut, daß er kein Weib berühre. |
vs. 1. |
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Und wenn er sich erkläret, daß er lieber
wollte, alle Menschen wären wie er,
so gehet seine
Meynung nicht dahin, daß kein Mensch solle
Kinder
zeugen,
denn sonst würde das
menschliche
Geschlechte
gar bald untergehen, sondern er zielet nur auf die hierbey vorkommende
Unkeuschheit, er saget gleichfalls nicht schlechterdings: ihr sollt der Brunst
wegen heurathen, sondern nur, es ist besser zu heurathen, als daß ihr in
grösserer und dem
gemeinen Wesen
schädlichere
Dinge
verfallet, wenn ihr ja eure verkehrte Neigungen nicht bändigen könnet. |
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Der Satz, welcher von
Wolffen in denen vernünfftigeren
Gedancken von den gesellschaftlichen Leben derer Menschen 2. §. 23. angeführet
wird, daß der Beyschlaff nur ein
Mittel sey zur Erzeugung derer
Kinder, und daß
das Mittel nicht weiter als zur Erreichung des
End-Zwecks
müsse angewendet werden, ist von der grösten Wichtigkeit. Der
Mensch ist zwar
zur
Lust in diese
Welt
gebohren, er kan auch die gröste Lust, wenn er der
Ordnung der Natur nachlebet, erlangen; er muß aber die Lust, welche nur ein
Mittel ist, wohin die Lust des Beyschlaffes gleichfalls gehöret, nicht wieder
die Natur zu einem Endzwecke machen. |
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Der
Grund,
welchen man von denen Thieren hat, daß sie nach der geschehenen
Empfängniß sich
von einander enthalten, ist nicht gäntzlich zu verwerffen. Denn da wir den
Beyschlaff und die daraus entstehende
Annehmlichkeit mit denen Thieren gemein
haben, so kan man die Ordnung der Natur an denenselben wohl bemercken. Sollte
man auch gleich dieses an allen Thieren nicht mercken, so sehen wir doch, da es
bey den meisten eintrifft, die Spuren der
Natur. |
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Will man auch einwenden, der
Mensch
habe ein Vor-Recht vor denen Thieren, und könne mehr Lust als die Thiere
genüssen, so muß man doch das Vorrecht derer Menschen in gantz andern Stücken,
als in sinnlichen Lüsten, und mehr in der Beschaffenheit, als in derselben
Anzahl und Graden suchen. Wollte man auch diese
Meynung ausser dem, daß man der verderbten menschlichen
Natur
hierinnen nachsähe, zugeben, so würden die schrecklichsten Folgerungen daraus
flüssen, und die Sodomiterey, Knabenschänderey und andere stummen und
abscheulichen Sünden vor recht sprechen müssen, weil sie eben den
End-Zweck
der Lust haben. |
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Man berufft sich ferner auf den Überfluß des Saamens, welchen die
Natur
denen Manns-Personen
gegeben, und könne man sich also dieses Überflusses zu seiner Lust bedienen.
Hierbey muß aber annoch erstlich erwiesen werden, daß die Natur und nicht
vielmehr die Übermäßigkeit in Essen und Trincken und die verderbte
Begierde
des
Willens diesen Überfluß hervorbringe. Hiernächst wenn man
auch einen solchen Überfluß
wollte zugeben, so kan man doch nur eine öfftere
Erzeugung derer
Kinder, und also die Polygamie, nicht aber eine unumschränckte
Freyheit,
seine
Begierden
zu stillen, daraus
schlüssen. |
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Diejenigen
irren noch weit mehr, welche den Saamen des
Menschen
sogar unter die excrementa rechnen wollen. Sie suchen zwar hierbey |
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{Sp. 367|S. 199} |
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den Schöpffer zu erheben, welcher aus dem allergeringsten das alleredelste
zu bereiten fähig sey.
GOTT aber will nicht aus leerer
Einbildung, sondern aus
seinen
Wercken
erkannt werden, und wer den Wunder-Bau des
menschlichen
Cörpers
genauer betrachtet, wird durch die vielfältigen und wunderbaren Gänge, wodurch
der Saame bereitet wird, ingleichen durch die genaue
Verwahrung dieses
Theiles
gar leicht
erkennen, daß selbiger nicht ein schlechter Auswurff, sondern das
edelste des menschlichen Cörpers sey. Endlich so ist das Vorgeben von dem
Nutzen
der Superinfoetationis so unbegründet, daß wenn man sich nur nicht die
Wollust verblenden lässet, einen grössern
Schaden daher zu leiten vermögend ist. |
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Aus diesem allen erhellet zur Gnüge, daß die Restinctio Libidinis
in dem Ehestande zwar wohl vor ein zugelassenes
Mittel, um ein grösseres
Übel zu
vermeiden, keines Weges aber vor ein eigentliches und von der
Natur
verordnetes Mittel kan gehalten werden. Und ist also die
Unkeuschheit im
Ehestande ebenso wohl
Sünde als ausser demselben. |
Heegen
Dissert. de Gamomoechia, vulgo
Eheliche Buhlschafft. |
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Deswegen die Enthaltung vom
Beyschlaffe nach geschehener Schwängerung die
Menschen
zum
Lobe gerechnet, wie aus dem
Exempel der Kayserin Zenobiae beym
Trebellio, Pollione und des
Kaysers
Pescennii Nigri beym Spartiano in eius Vita 6. zu ersehen. |
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Was das andre anbelangt, nemlich das mutuum adjutorium, so ist
dasselbe gleichfalls kein
wesentliches Stücke des Ehestandes, sondern es wird
dasselbe nur unter
gewisser Bedingung, die aus der Beschaffenheit derer Eheleute
entstehet,
nothwendig. Man
muß in diesem Falle seine
Gedancken
auf die Erziehung ihrer
Kinder richten. Da es nun Eheleute geben kan,
dergleichen die Hohen dieser
Welt
sind, die wegen ihrer weitläufftigen
Umstände eine
gantz andere Einrichtung in
ihrem
Hauß-Wesen, als im gemeinen
Leben
gewöhnlich ist, haben: so ist unter selbigen das mutuum adjutorium
nicht nothwendig; hingegen da in dem gemeinen Leben die Erziehung und der
Unterhalt derer
Kinder auf keine andere Art und Weise als durch ein
wohleingerichtetes Hauß-Wesen kan erhalten werden: so ist bey solchen Umständen
die gesellige Bey-Hülffe vor eine
Nothwendigkeit
zu achten. Dahero denn Grotius de Jure Belli et
Pacis … gar recht
saget: Conjugium naturaliter esse existimamus talem
cohabitationem maris cum femina, quae feminam constituat quasi sub oculis et
custodia maris. Ungeachtet dieses, weil es allzu weitläufftige
Begriffe
giebet, vor keine
Definition des Ehestandes zu halten, und deswegen in dieser
Betrachtung von |
|
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- Kulpisio in Collegio Grotiano …
- Zieglern in Not. ad Grotium
…
- Böclern …
- Henninges …
- Hochstättern in Colleg.
Pufendorf
…
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mit
Recht
verworffen worden. |
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Herrschaft des Mannes |
Eben aus dieser Betrachtung des Hauß-Wesens[1] und nicht der eigentlichen
Beschaffenheit des Ehestandes flüsset, daß der
Mann des
Weibes
Herr
sey, welches aber annoch so zu
verstehen, daß der Mann gnugsamen
Verstand,
seinem Hauß-Wesen vorzustehen, besitze: Anderweitig die
Herrschafft
dem
klügsten
Theilen
müsse einge- |
[1] |
HIS-Data: vergl.
Haus-Wirth |
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{Sp. 368} |
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|
räumet werden. Und ist also eine solche Herrschafft mehr eine mit
Liebe und
Freundschafft geführte Lenckung als eine unumschränckte
Gewalt
über den Ehe-Gatten zu
nennen. |
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Daß aber die bürgerlichen Gesetze dem
Manne die
Herrschafft
schlechterdings zuschreiben können, rühret daher, weil solche
Gesetze
dasjenige, was gemeiniglich zu geschehen pfleget,
verordnen, damit dieselben, in
so ferne als es
möglich ist, gemeine
Regeln,,
nicht aber
Sätze von sonderbaren Zufällen seyn
mögen, und muß man dieses
jederzeit in der Zusammenhaltung derer natürlichen und bürgerlichen Gesetze wohl
bemercken. |
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Doch sind in diesem Stücke viele mit uns nicht einig. Etliche beruffen sich
auf den natürlichen
Vorzug
derer
Männer,
und führen dißfalls den Aristotelem ad Nicomachum
VIII. 13. an. Alleine dieser natürliche Vorzug findet in der
Erfahrung
so vielen
Widerspruch, daß dessen nichtiger
Grund
sattsam deutlich ist. Andere hingegen beruffen sich auf die
Heilige Schrifft,
und führen das Gebot
GOttes
Gen. 3, 16. an,
dein Wille soll deinem Manne unterworffen seyn. |
-
Hornius
in politic. I. 1.
- Henninges in Not. ad Grotium
…
|
|
Alleine dieses ist mehr vor eine Special-Straffe
des
Weibes, als vor ein allgemeines natürliches Gesetz zu halten und in dem
Paradiese würde die
Herrschafft
nicht Stat gehabt haben. |
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Es will zwar
Kulpisius
in Collegio Grotiano … behaupten, es würde auch diese Herrschafft im Stande
der Unschuld geblieben seyn. Er beziehet sich dißfalls auf die Worte Paulli
1. Cor. 11.
7. das Weib sey des Mannes Ehre. und der Mann sey nicht vom Weibe, sondern
das Weib sey vom Manne, er sey nicht geschaffen um des Weibes Willen, sondern
das Weib um des Mannes willen. Doch diese
Worte
sind so deutlich nicht, daß man eine Herrschafft des
Mannes über
das
Weib
führen könne, da hingegen Theils der
Satz
gewiß ist, daß wir dem
Stande
unserer Natur
nach, und wie dieselbe ohne Verderbniß zu betrachten ist, einander alle gleich
sind, und die Unterwerfflichkeit erstlich von unserer Verderbniß herrühret, daß
also auch im Stande der Unschuld keine
Herrschafft
zu finden gewesen wäre. |
|
|
- Grotius de Jure Belli et Pacis …
- Boecler in Notis ad hunc locum …
- Velthusius de Pudore Nat. …
-
Kulpisius
in Colleg. Grot. …
-
Pufendorf
de Jure Nat. et Gent. …
|
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wollen zwar eine solche Herrschafft des Mannes über sein Weib dahin leiten,
daß der Mann den Anfang zu der ehelichen
Gesellschafft mache, und sich die
Frau
der Herrschafft des Mannes freywillig unterwürffe; alleine dieses kan vor keinen
Grund
einer solchen Herrschafft gehalten werden, indem derjenige
Theil, welcher bey
einem Bündnisse den Anfang machet, keines Weges einiges Vorrecht erhält, wie
denn auch, daß der Mann den Anfang machet, mehr aus einem
Gebrauche als aus der
Natur
entspringet; daß sich aber die Frau freywillig unter die Herrschafft des Mannes
begeben
soll, ist eben dieses, was annoch soll
bewiesen werden, und kan |
|
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{Sp. 369|S. 200} |
|
|
man ohne Voraussetzung eines ausdrücklich geschlossenen Bündnisses dieses
nicht so schlechterdings behaupten. |
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Proeleus in Grund-Sätzen des natürlichen
Rechts … nebst
Ridigern in Inst. Eruditionis … wollen
zwar demjenigen Theile, welcher den meisten
Verstand
habe, in dem Ehestande die
Herrschafft
beylegen. Alleine so schlechterdings nur auf den Verstand zu sehen, ist nicht
genug, indem dadurch nur ein
unvollkommenes
Recht
entstehet, welches nichts anders anzeige, als daß iemand zur Herrschafft
geschickt sey, nicht aber, daß er dieselbe
würcklich erlangt habe. Denn wenn
dieses
Principium angenommen werden
solte, so würden in denen andern
Gesellschafften, als zwischen
Regenten
und
Unterthanen daher die grösten Zwistigkeiten entstehen, |
Treuer in Obseru. ad
Pufendorfium
de Officio Homin. et Ciu. … |
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Es bleibt also dabey, was wir oben gesetzet, daß eine sich auf Freundschafft
und
Verstand
gründende Lenckung in Ansehung des Haus-Wesens dem
Manne übrig
bleibe. |
Müller im Rechte der Natur … |
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Die
vornehmste
Pflichten
im Ehestande bestehen in Erweisung einer dem
End-Zwecke
des Ehestandes gemässen
Liebe, die
Zeugung derer
Kinder ermahnet einen ieden
insonderheit an dasjenige zu dencken, was wir die eheliche Pflicht zu
nennen
pflegen. Kein
Theil darff den andern, der den
gerechten
End-Zweck hat, hierinnen
zu wider seyn. Leute, die theils durch ihr
Alter, theils durch die Natur,,
theils durch andere Zufälle in die
Umstände versetzet worden sind, daß sie sich
zu Erfüllung dieser Pflichten nicht mehr tüchtig befinden, sind
gantz und gar
von dem Ehestande abzuhalten, damit nicht dieser heilige
Stand
zum Deck-Mantel der
Bosheit werde. Die
Auferziehung der Kinder erfordert die
allergenaueste Freundschafft derer
Eltern; dahero dieses das allerheiligste
Bündniß ist, welches die
Menschen
mit einander
schlüssen können. Vermischt sich ein Ehe-Mann mit einer
Person, so
beleidigt er dadurch die Pflicht einer seinem
Ehe-Weibe zugesagten Treue,
welches Verbrechen der Ehebruch
genennet wird. |
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Ob eine Ehe nach dem
Rechte
der Natur unauflößlich sey, ist unter dem
Titel,
Ehe-Scheidung betrachtet worden. |
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