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Zedler: Wolf, (Christian, Reichs- Frey- und Edler Herr von) [1] HIS-Data
5028-58-549-2-01
Titel: Wolf, (Christian, Reichs- Frey- und Edler Herr von) [1]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 58 Sp. 549
Jahr: 1748
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 58 S. 288
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  Lebensgeschichte
 
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Stichworte Text Quellenangaben
  Wolf, (Christian, Reichs- Frey- und Edler Herr von) Erb- Lehn- und Gerichts-Herr auf Klein-Döltzig, Sr. Königl. Majestät in Preussen und Churfürstl. Durchlauchtigkeit zu Brandenburg Geheimder Rath, beständiger Cantzler der Universität zu Halle, Professor des Rechts der Natur und Mathematick daselbst, ingleichen Professor Honorarius der Rußisch-Kayserl. Academie zu St. Petersburg, Mitglied der Königl. Academien der Wissenschafften zu Londen, Paris und Berlin, ward gebohren zu Breßlau in Schlesien den 24 Jenner 1679, woselbst sein Vater, Christoph Wolf, ein Bürger und Becker gewesen; die Mutter aber Anne Gillerin geheissen.  
  Gleich in den ersten Jahren seiner Jugend bemerckten seine Eltern an ihrem Sohne eine grosse Neigung zum Studiren, da er kaum die ersten Gründe der Muttersprache erlernet hatte. Da ihnen nun der Ruhm der damahligen Lehrer auf dem Breßlauischen Gymnasio zu Marien-Magdalenen bekannt war, übergaben sie ihn deren ihrem Unterrichte. Diese, vornehmlich Christian Gryphius, Kuppfender, und Titius, haben keinen Fleiß gesparet, ihren Lehrbegierigen Schüler so wohl in dem so genannten schönen Künsten und Wissenschafften als auch in der Scholastischen Philosophie und Mathematick zu unterrichten.  
  Allein dieses alles konnte die Begierde Herrn Wolfens zu den Wissenschafften noch lange nicht sättigen. Er war zu einem grossen Philosophen gebohren, und also empfand er schon in den ersten Jahren seines Lebens einen Trieb nach höhern Sachen. Da er nun gehöret hatte, daß Cartes die theoretischen Theile der Weltweißheit von ihren Grillen und Fehlern, nach dem damahligen Zustande aller Wissenschafften, nicht ohne sonderbaren Fortgang und zu seinem unsterblichen Ruhme gereiniget und ihnen eine weit schönere Gestalt in Ansehung der vorigen gegeben; ein gleiches aber nicht mit den practischen Theilen vorgenommen hätte: So munterte ihn dieses auf, in Beförderung der Aufnahme der Philosophischen Wissenschafften da, wo Cartes war stehen geblieben, fortzufahren.  
  Dieses war ein wichtiges, jedoch kein unmögliches Vorhaben. In der Welt kan man sonst unmöglich scheinende Dinge möglich machen, wenn man nur die dazu  
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  nöthigen Mittel so wohl zu erkennen als auch zu erlangen weiß. Hierzu wird Erkenntnis noch, mehr aber Verstand und Witz erfordert.  
  Wir wissen nicht, ob wir sagen sollen, daß alle diese Vortrefflichkeiten der menschlichen Seele sich vor den sonst gewöhnlichen Jahren bey Herrn Wolfen eingefunden haben; soviel aber wissen wir, daß er, da er vernommen hatte, daß die Meß-Kunst-Lehrer ihre Sätze besonders deutlich vortrügen und gründlich erwiesen, dieses vor ein seinen Absichten gemäßes Mittel gehalten habe, wenn er in der Weltweisheit den Lehrern der Meß-Kunst nachahmete. Dahero entstande bey ihm ein ungemeines Verlangen, die mathematischen Wissenschafften vor allen Dingen zu erlernen.  
  Dieweil aber auf gedachtem Gymnasio die Mathematick nur dergestalt getrieben wurde, daß man mehr mit Erklärung der darinnen vorkommenden Kunstwörter als der Sachen selbst beschäfftiget war; so sahe Herr Wolf sich genöthiget, einen ausfündig zu machen, der ihm allein die ersten Gründe der Mathematick beybrächte. Und da er auch hierinne nicht glücklich seyn konnte, nahm er nunmehro seine Zuflucht zu den stummen Lehrern. Er nahm so fort den Euclides und Clavius zur Hand, um den Hunger nach den mathematischen Lehrern und der mathematischen Lehr-Art nur einiger massen zu stillen.  
1696 Als sichs auch fügte, daß unser neuangehender Mathematicus des Heinrich Horchs Elementa arithmeticae vulgaris et litteralis, so zu Leipzig 1695 zum Vorschein kommen waren, gleich im darauf folgenden Jahre erhielte; gieng er solche mit aller Aufmercksamkeit durch, und vermehrte sie zu seinem eigenen Nutzen mit vielen Zusätzen. Dieses Buch mit den dabey geschriebenen Anmerckungen hebt der Herr Cantzler von Wolf auch noch gantz heilig auf.  
  Wie nun hieraus zur Gnüge erhellet, daß Herr Wolf schon auf Schulen in Erlernung der Wissenschafften viel weiter gegangen, als der meiste Hauffe der Schüler zu thun pfleget; so konnte es auch nicht anders kommen, als daß er den Nutzen von seinen Bemühungen schon auf der Schule gar deutlich merckte. Denn so offt er mit den Mönchen in seiner Vaterstadt, deren Bekanntschafft ersuchte und auch erhielte, in den Klöstern zu disputiren Gelegenheit hatte; so offte trug er auch ein ungemeines Lob wegen seiner Geschicklichkeit in der Disputirkunst davon. Das will in der That nicht wenig sagen, da bekannt ist, was die Mönche für Kräffte in der Disputirkunst besitzen. Und so konnte denn Herr Wolf nach diesem gut gelegten Grunde mit allem Rechte nunmehr darauf bedacht seyn, wie er das Schulleben mit dem Academischen Leben verwechseln möchte.  
1699 Unter den hohen Schulen ersahe er sich Jena zu seinem künfftigen Aufenthalte. Dieses ist der Ort, welchen der grosse Leibnitz, obwohl nur auf ein Jahr, Studirens halber besuchet hat. So muste es sich denn fügen, daß Herr Wolf, dem der Leibnitzische Nahme damahlen noch unbekannt war, aus eigenem Triebe sich im 1669sten Jahre unter göttlichem Beystande eben dahin wandte, wo sein nachmahliger Vorgänger in  
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  der Philosophie die vortreflichsten Lehrer gehöret hatte.  
1700 Nicht weniger traf unser Philosoph in Jena die vortreflichsten Lehrer an. Unter diesen erwehlte er sich in der Weltweißheit dem berühmten Johann Philipp Treunern: Hingegen in der Naturlehre und Mathematick den Herrn Georg Albrecht Hambergern, welchen letztern er im 1700ten Jahre erstlich über Sturms Mathesin enucleatam und nachher über eben desselben Tabulas in universam Mathesin mit unbeschreiblicher Aufmercksamkeit lesen hörte. Hiervon zeuget zur Gnüge, daß unser Mathematicus bald nach geendigten Collegiis gedachte Bücher so fort andern guten Freunden zu erklären im Stande war.  
  Es bleibet das alte Sprüchwort wohl wahr, daß, indem man andere unterrichtet, man selbst dabey am meisten lerne. Vernünfftig und klug handelt derjenige, welcher, wenn er in einem Theile der Gelehrsamkeit aufhöret ein Schüler zu seyn, sich so fort in selbiger zum Lehrer aufwürffet. Alsdenn erkennet er erst, wo es ihm noch fehle, und worauf er annoch Fleiß zu verwenden habe.  
  Aus dem hat man Ursache zu glauben, daß Herr Wolf der Mathematick hauptsächlich obgelegen habe. Unterdessen ist doch auch gewiß, daß er nebst dem genossenen Unterricht in Philosophischen Wissenschafften auch zu Hause denselben ferner nachzudencken nichts unterlassen habe. Ein schöner Beweiß dessen ist, daß er des Herrn von Tschirnhaus Medicinam mentis, die er schon ehemahlen auf der Schule durchgelesen, aber wegen der darinnen vorkommenden Mathematischen Exempel nicht verstanden hatte, von neuem wieder zur Hand genommen, den dunckeln und schweren Stellen weit deutlichere Erklärungen an den Rand gesetzet und sie hin und wieder mit neuen Zusätzen vermehret hat.  
  Ausser der Philosophie und Mathematick hat sich auch unser Philosoph der Gottesgelahrheit gewiedmet, in welcher er sich der Anführung Philipp Müllers und Friedmann Bechmanns bedienete, deren lautere Lehren in den höhern Gründen des Christlichen Glaubens er sich auf alle mögliche Art bekannt machte, und in seinen Nutzen verwendet.  
1702 Als seine Academische Jahre bald zu Ende lauffen wolten, suchte er im Jahre 1702 Gelegenheit sich mit dem Herrn Ehrenfried Walther von Tschirnhaus wegen der von ihm über dessen Medicinam mentis gemachten Erklärungen und Anmerckungen zu besprechen, um zu erfahren, ob er in allen Stücken des berühmten Verfassers Sinn getroffen habe. Er war auch in seinem Suchen so glücklich, daß er nicht nur den Herrn von Tschirnhaus zu sprechen bekam, sondern dieser auch seine gemachte Erklärungen und Anmerckungen in allen gut hieß. Dieser Beyfall eines so grossen Gelehrten reitzte Herrn Wolffen an, daß er sofort die Tschirnhausische Methode, Wahrheiten zu erfinden, in einer besondern Schrifft zu Papier brachte.  
  Nunmehr befand sich Herr Wolf vollkommen im Stande, andere in der Mathematick und Philosophie zu unterrichten, und daher entschloß er sich auch zu Ende des gedachten Jahres auf die Universität nach Leipzig zu gehen, und daselbst haupt-  
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  sächlich über die Mathematischen Wissenschafften zu lesen.  
1703 Als er zu Leipzig angekommen war, ließ er sich zuförderst noch vor Ausgang des Jahres bey der Academie einschreiben. Nächstdem bewarb er sich bey E. Löbl. Philosophischen Facultät daselbst um die Magister-Würde. Wie nun die damahligen weisen Männer derselben in Ansehung der besondern Geschicklichkeit, welche sie an Herrn Wolffen gar bald bemerckten, um so viel weniger Bedencken trugen, ihm in seinem Suchen zu willfahren: also satzten sie ihm auch bald im Anfange des 1703ten Jahres den Magister-Hut mit vielen Freuden auf.  
  Noch eins war zu seiner Absicht nöthig, in welcher er nach Leipzig gegangen war, daß er nemlich durch die öffentliche Vertheidigung einer Schrifft die Freyheit philosophische und mathematische Stunden zu halten, sich zu wege brächte. Deswegen sahe man ihn am 13 Jenner eine Dissertation, deren Aufschrifft war: Philosophia Practica universalis, mathematica methodo conscripta, auf dem öffentlichen Lehrstuhl der Philosophen mit vielem Feuer und mit noch mehr Beyfall der Zuhörer vertheidigen. Der damahlige Dechant der Philosophischen Facultät, Gottfried Olearius, als er Herrn Wolffen in den öffentlichen Lehrsaal geführet und nach der bey der Universität zu Leipzig eingeführten Gewohnheit den Anfang zu opponiren gemachet hatte, hielte in der Opposition eine sehr schöne Lob-Rede auf unsern Philosophen, welche durch das Ansehen ihres Urhebers das gantze Auditorium gleichsam bezauberte. In der That verdiente auch diese Dissertation einen so grossen Lobredner, da sie unverbesserlich gerathen, und einen gantz neuen, jedoch höchst nützlichen, Theil der practischen Philosophie vorträget.  
  Noch mehr satzte die Lehr-Art die Gelehrten in Verwunderung, weil damahls es noch was sehr ungewöhnliches war, die practische Philosophie nach der mathematischen Lehr-Art abzuhandeln. Sie ist die erste Frucht von dem schon auf Schulen fest gefaßten Entschluß die practische Philosophie zu verbessern.  
  Wir könnten dem Hochberühmten Herrn Olearius noch drey der grösten Gelehrten ihrer Zeiten beysetzen, den Herrn Johann Burckhard Mencken, und den Herrn Baron von Leibnitz, auch Herrn Adam Rechenberg. Der erste erkannte die Dissertation für würdig, daß Herr Wolf sie dem Herrn Baron von Leibnitz zuschicken möchte. So bald dieser sie erhalten hatte, hat er dieselbe in dem desfalls an unsern Philosophen gegebenen Antwortsschreiben ungemein herausgestrichen.  
  Weil demnach das Meisterstücke unsers Philosophen von dem vortrefflichen Herrn Olearius an öffentlichem Orte so nachdrücklich war gelobet worden: erweckte dieses bey den damahls in Leipzig Studierenden ein besonders Vertrauen zu diesem neuen Lehrer. Daher er auch, als er bald darauf so wohl philosophische als mathematische Stunden angeschlagen hatte, zu Hause einen ziemlichen, obwohl nicht allzustarcken Zulauff hatte. Zum Grunde seiner philosophischen Lectionen legte er die angeführte und von ihm selbst verfertigte Tschirnhausische Methode Wahrheiten zu erfinden. In dem nun Herr  
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  Wolf sahe, daß die Anzahl seiner Zuhörer täglich grösser ward, entschloß er sich, durch die Assessur bey der löblichen Philosophischen Facultät, sich einen leichtern Weg zu einem öffentlichen Lehr-Amt hierzu zu bahnen.  
  Er ersuchte in dieser Absicht die gerühmte Facultät um die inspectionem schedularum und erhielt sie auch. Er bat sich in dem nächstfolgenden Convente am Tage Egidius die Erlaubniß aus, daß er die erste Dissertation pro Loco halten dürffte. Man verstattete ihm solche, und so gieng denn der Herr Wolf am 20 October ohne Respondenten auf den öffentlichen philosophischen Lehr-Stuhl, um seine erste Dissertation pro Loco, welche de rotis dentatis betittelt war, zu vertheidigen. Die Zueignungs-Schrifft ist an die sämmtliche Pohlnische Nation zu Leipzig, nahmentlich: Gottlob Friedrich Seeligmannen, Johann Cyprianen, Johann Schmiden, Christian Ludovici, und Johann Günthern, gerichtet. Man kan leichte die dabey geführte Absicht errathen, daß er sich nemlich habe vorgesetzet gehabt, bey ereigneter Gelegenheit um eine Collegiatur anzuhalten.  
  Kaum hatte er den Kampffplatz verlassen, so setzte er eine neue Dissertation, und zwar de loquela auf, welche er am 20 December den Gelehrten zur öffentlichen Untersuchung vorlegte, und trug auch da, wie er es schon gewohnt war, die Sieges-Crone davon. Aus dieser Dissertation ist offenbar, daß Herrn Wolffens damahlige Lehr-Sätze in den meisten Stücken mit den Cartesianischen einstimmig gewesen seyn. Auf diese Dissertation mag also ohnstreitig Christoph Martin Buchard in Meditationibus de principio movente primo in animatis etc. sein Absehen gerichtet haben, wenn er daselbst Herrn Wolfen unter die Cartesianer rechnet.  
  Es hat aber Herr Wolf gar bald die Cartesianische Philosophie verlassen. Denn als er eben diese Dissertation dem Herrn Baron, Gottfried Wilhelm von Leibnitz zuschickte; erhielte er darauf zur Antwort, daß er aus selbiger ersehen hätte, wie ihm sein willkührlicher Satz von Vereinigung des Leibeses mit der Seele noch unbekannt seyn müsse, und thäte man nicht wohl, wenn man etwas annehme, davon man keinen hinreichenden Grund anführen könnte. Dieses Schreiben veranlasste Herrn Wolfen, daß er den Leibnitzischen Erinnerungen folgete, seinen Sätzen weiter nachdachte, und nachher viele seiner Meynungen änderte.  
1704 Gegen Michael des 1704 Jahres suchte Herr Wolf bey einer löblichen Philosophischen Facultät, als sie gleichfalls am Tage Egidius der alten Gewohnheit nach beysammen war, und die Verstattung der andern Dissertation pro Loco an. Man fand kein Bedencken im solche zu willigen und Herr Wolf gieng mit selbiger am 20 December ohne Respondenten auf das philosophische Catheder. Sie handelte de algorithmo infinitesimali differentiali. Herr Johann Burckhard Mencke hatte gleich damahls, als er sie in den gedachten Convente gesehen und durchblättert hatte, unserm Philosophen den guten Rath ertheilet, sie wegen ihres Arguments und desselben gründlicher Ausführung dem Herrn Baron von Leibnitz zuzuschreiben. Da nun Herr Wolf den se-  
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  ligen Mencken ohnedem als seinen grossen Gönner verehrete, leistete er ihm in diesem Stücke um so viel lieber Gehorsam, ie genauer er mit dem Herrn von Leibnitz, dessen unsterbliche Verdienste um die Wissenschafften er hinlänglich eingesehen hatte, bekannt zu werden wünschete.  
  Zu Ende dieser Dissertation sind einige Zusätze, wie bey dergleichen Dissertationen erforderlich ist, angehänget, und stehet unter andern folgender Satz: Syllogismus non est medium inveniendi veritatem. Die Gelegenheit, diesen Satz zu behaupten, war diese: Es hatte Herr Wolf bereits auf der Schule der Scholastischen Philosophie, wie oben gedacht worden, obgelegen, und war ihm kein Exempel bekannt, da man von den schon vorher bekannten Förder-Sätzen auf einen unbekannten Hinter-Satz gekommen; daher hielte er die Schlüsse zwar vor ein Mittel die erfundenen Wahrheiten zu beurtheilen, nicht aber vor einen Wegweiser zur Erfindung der Wahrheiten.  
  Als er nun nachhero auf der Universität über des Herrn von Tschirnhauß medicam mentis, (in welcher die Schlüsse nicht nur als ein Mittel die Wahrheiten zu erfinden, sondern auch sogar die erfundenen zu beurtheilen, verworffen werden) gekommen war, so wurde Herr Wolf durch das Ansehen und dem Beyfall dieses grossen Philosophen in seiner Meynung gestärcket, daß er sich also nicht scheuete, diesen Satz öffentlich zu vertheidigen. Wie nun Herr Wolf gedachte seine Dissertation selbst dem Herrn von Leibnitz übersendete; erhielte er diese Antwort: Syllogismum non esse medium inveniendi, ego non dixerim. Und das verursachte bey Herrn Wolfen, daß er diesen seinen Satz in reifere Überlegung zog, und endlich die Unrichtigkeit desselben einsahe.  
1705 Wie er denn alles, was ihm nur vorkam, auf das genaueste untersuchte; So untersuchte er annoch in diesem Jahre Z.B. den Copernicanischen Weltbau. Bey welcher Gelegenheit er auf die Frage geleitet wurde: Ob die Philosophischen, vornehmlich Physicalischen, Fragen aus der H. Schrifft könnten entschieden werden oder nicht? Bey dieser Frage angestellter Prüfung fiel er auf die Erklärung der Weltweißheit, daß sie sey eine Wissenschafft des möglichen, in so ferne es möglich ist. Gleich in dem folgenden 1705 Jahre theilte er solche Erklärung dem vortrefflichen Breßlauischen Gottesgelehrten, Caspar Neumann, in einem Privat-Schreiben mit. Dieser brachte zwar verschiedener Einwürffe wider selbige in seinem Antworts-Schreiben vor; da er aber von Herrn Wolf dieserwegen war deutlicher unterrichtet worden, hat er gar bald zugestanden, daß seine Einwürffe die Richtigkeit derselben nicht antasteten. Man findet dieses in Herrn Wolfens ratione praelectionum, im 8 Capitel des 2 Abschnitts,  
  Gegen den Monat Julius wurde Herr Wolf von den Sammlern der Lateinischen Actorum Eruditorum in Leipzig in ihre Gesellschafft an und aufgenommen. Damit er sich nun dieser Ehre würdig und um die so weltberühmte Gesellschafft verdient machen möchte, hat er zu keiner Zeit gleich von der Stunde an, da er war als ein Mitglied erenennet worden, bis noch jetzo keinen  
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  Fleiß und Mühe gespahret, sondern eines Theiles verschiedene besonders auserlesene und von ihm gründlich ausgearbeitete Materien, andern Theils gar viele mit reifer Überlegung aufgesetzte Auszüge und Beurtheilungen der wichtigsten Wercke aller Wissenschafften in die gerühmten Acten einverleiben lassen. Die allererste Recension stehet im Monat Julius des 1705 Jahres con den Actis Eruditorum.  
  Unterdessen hatte sich Herr Wolf auch auf den Cantzeln in Leipzig zum öfftern hören lassen. Dem Hochberühmten Herrn Doctor und Professor Christian Ludovici zu Leipzig war eben aufgetragen worden, an die Stelle des am 27 October 1705 verstorbenen M. Johann Christian Ittigs, als bisherigen treufleißigen Seelsorgers der Gemeine zu Glesin, einem Dorfe 2 Meilen von Leipzig, einen andern tüchtigen vorzuschlagen; als er Herrn Wolfen im November in einer der Leipziger Kirchen predigen zu hören das Vergnügen hatte. Diese Predigt erweckte bey wohlgedachten Herrn D. Christian Ludovici die Gedancken, daß er glaubte, es könnte eine Kirche mit keinem erbaulichern Prediger versehen werden als mit Herrn Wolfen. Weswegen er ihn sofort zu sich holen ließ, und von ihm selbst Erkundigung einzog, ob er wohl einen so einträglichen Pfarr-Dienst annehmen wolte. Dieser war auch solches zu thun willens; allein es fanden sich nachher andere Umstände ein, welche die guten Absichten des Herrn Ludovici hinderten, und so muste denn Herr Wolf aus den Wegen Gottes erkennen, daß er ihn zu einem anderweitigen Lehr-Amte gewiedmet hätte.  
1706 Zu diesem suchte er sich beständig durch Lesen und Disputiren geschickter zu machen, wie er denn am 23 December 1705 abermahls auf dem Philosophischen Lehrstuhle eine Dissertation de methodo serierum infinitarum vertheidigte. Diese Schrifft zeigte nicht weniger als die vorhergehenden von der tieffen Einsicht ihres Verfassers in mathematischen Materien. Als sich am 12 May des 1706 Jahres eine grosse Sonnenfinsternis zutrug, war unser Mathematicus beschäfftiget, alles hier zu Leipzig auf das genaueste zu beobachten. Die Beschreibung derselben entwarf er auf Papier, und ließ solche bald hernach in die Acta Eruditorum einrücken: Wobey er sich der besondern Bescheidenheit bedienete, daß er seinen Nahmen nicht darüber setzete. Nichts destoweniger erschall durch die andern so mannigfaltigen Proben der Ruff von Herrn Wolffens Geschicklichkeit in der Mathematick, auch ausser den Mauern der Stadt Leipzig.  
  Da man über der Wahl des dritten Schul-Collegen und Professors der Mathematick auf dem Elisabethanischen Gymnasio zu Breßlau beschäfftiget war, richtete man auf Herrn Wolfen nebst andern ein Auge. Der Herr von Wolfsburg bemühete sich mit allen Kräfften, daß niemand anders Herrn Wolfen möchte vorgezogen werden: allein er fand vielen Widerstand. Selbst die Collegen an besagtem Gymnasio hatten zwar wohl etwas in der Mathematick gethan, allein sie erkannten, daß sie gegen Herrn Wolfen allzuschwach wären, und befürchteten sich, er möchte ihnen ihren Harnisch nehmen, mit welchem sie sich bey ihren Untergebe-  
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  nen bishero in Ansehen gesetzet hatten. So muste denn vor diesesmahl unserm Philosophen seine bekannte allzugrosse Wissenschafft hinderlich seyn.  
  Eine gründliche und weitläufftige Gelehrsamkeit kan zwar wohl gedrucket, nicht aber unterdrucket werden. Hiervon zeuget, daß, da Herr Wolf gegen das Ende des 1706ten Jahres im Begriff war nunmehro nach den zwey gehaltenen Dissertationen pro Loco, bey E. Löbl. Philosophischen Facultät um den Titel eines Assessors derselben anzusuchen: er als öffentlicher Lehrer der mathematischen Wissenschafften auf einmahl so wohl nach Halle als nach Giessen auf Recommendation des Barons von Leibnitz und des Geheimden Ratfs Hofmanns beruffen wurde. Wie er nun den Beruff nach Giessen ausschlug: also nahm er den nach Halle willig an.  
1707 Es gieng also Herr Wolf im 1707 Jahr, nachdem er vorher dem Februar der Actorum Eruditorum eine Lateinische Übersetzung des von Sebastian Clericus aufgesetzten neuen Welt-Gebäudes hatte einverleibet, alsbald nach Halle, um das angenommene Amt eines öffentlichen Lehrers der Mathematick und Naturlehre mit den gewöhnlichen Ceremonien anzutreten. Man nahm ihn mit vielen Freuden- und Ehren-Bezeigungen an. Man setzte ihm ungesäumt den Tag zu der Inaugural-Oration an. Und Herr Wolf, so der erste war, welcher unter den Schlesiern die Stelle eines Professors zu Halle begleitet hat, eröfnete sogleich nach gehaltener Oration der daselbst studirden Jugend in einer besondern Einladungs-Schrifft diejenigen Stunden, die er künfftighin so wohl öffentlich als zu Hause beydes über die Mathematick als über die Naturlehre halten würde.  
  Dieses war ihm nicht genung, daß er zu Halle den Lehrbegierigen Studenten durch seinen Unterricht dienete, sondern er wendete seine Kräffte auch dahin an, wie er sich überhaupt die gelehrte Welt verpflichten möchte. Er verfertigte eine Recension von des Herrn Johann Witty Schrifft: An essay towards a vindication of the vulgar exposition of the Mosaick History of the Creation of de World (Londen 1705 in 8) in die Acta Eruditorum. Dieses gab ihm Gelegenheit, seine Gedancken von der Art und Weise die Wahrheit der Christlichen Religion zu demonstriren, zu Papier zu bringen, welcher Aufsatz so wohl, als die gemeldete Recension sich im Monat April des 1707 Jahres von den Actis Eruditorum befinden. Diese Commentation ist das erste Stücke, welches von seiner Arbeit unter seinem Nahmen ausser seinen Recensionen in diese gelehrte Geschichte eingerucket ist.  
  Auf diesen folgeten gar bald mehrere. Wir übergehen das, was Herr Wolf aus den Transactionibus Anglicanis in den May der Actorum Eruditorum gesetzet, und gedencken nur an dessen im Monat Julius befindlichen Schediasma de inveniendo sinu anguli multipli ex dato sinu simpli, zu dessen Verfertigung ihn der Herr von Lagny veranlasset hat, als welcher in den Commentariis Academiae Regiae Scientiarum des 1705ten Jahres gezeiget hatte, wie man aus dem gegebenen Tangente eines jeden Winckels den Tangentem eines anguli multipli finden sollen.  
  Ehe wir noch den letzten Aufsatz in  
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  die Acta Eruditorum dieses Jahres anführen können, müssen wir eine besonders nützliche Entdeckung unsers Philosophen in den Natur-Geschichten rühmen. Durch Veranlassung des Oculirens betrachtete Herr Wolf im August 1707 die Augen der Bäume genauer, und beschauete alle Theile, die er von einander trennen konnte, durch gute Ferngläser. In dem er dieses thate, nahm er whar, daß ein jedes Auge seine Würtzelgen habe, dadurch es den Nahrungs-Safft an sich ziehet. Hieraus erkannte er, daß, wenn das Auge im Oculiren fortkommen soll, das Würtzelgen unversehrt bleiben müsse. Dieses ist ein nicht zu verwerffender Nutzen von seiner neuen Entdeckung, dergleichen eben so ersprießliche Anmerckungen mehr könnten wir hier nahmhafft machen, wenn es uns der Platz verstattete weitläufftig zu seyn.  
  Der gerühmte letzte Aufsatz unsers Philosophen in den November der Actor. Eruditorum ist Solutio nonnullarum difficultatum circa mentem humanam etc. Zu dessen Ausarbeitung bewegten ihn die in den Actis Eruditor. dieses Jahres befindlichen Abhandlungen von der Seele, besonders des Herrn Dodwells auf der 207 Seite recensirter Brief, darinnen erwiesen wird, daß die Seele natürlicher Weise sterblich sey, die man aber doch unsterblich machen könne.  
1708 Das Andencken der Actorum Eruditor. war Herrn Wolfen viel zu angenehm, als daß solches nicht auch in dem 1708 Jahre durch manche eingeschickte schöne Aufsätze hätte sollen verneuert werden. Bey denen zuerst übermachten Grund-Gesetzen der Erfahrung, oder wie der Titel im Lateinischen lautet: Leges experientiarum fundamentales, haben wir nichts ins besondere anzumercken. Deswegen wollen wir hier nur erinnern daß der Herr Graf Ferdinand Ernst von Herberstein, ein dubium geometricum circa tetragonismum circuli, almae Geometriae acutissimis Cultoribus propositum, an den nunmehr verstorbenen Herrn Hofrath Johann Burckhard Mencken im Monath May eingesendet habe, um solches in die Acta Eruditorum einzurücken. Herr Mencke, ein guter Freund von unserm Philosophen, wolte die Ehre der Auflösung dieses Zweiffels niemand andern als ihm gönnen. Dahero er, ehe er solches noch in den Acten durch den Druck zu jedermanns Wissenschafft gelangen ließ, des Grafens Schrifft an Herrn Wolfen übersendete, welcher sie auch bald nebst seiner Auflösung zurücke sendete. Beyde wurden sogleich dem Junius der Actorum Eruditorum einverleibet.  
  Einige Monate darauf ließ sich zu Halle, gleichwie auch an andern Orten, am 11 Tage des Herbstmonates gegen 10 Uhr des Abends nach einigen vorher geschehenen Blitzen ein sehr heller Feuer-Ball in der Lufft sehen, welcher sich bald hernach in einen breiten Streifen verwandelte. Diese Lufft-Erscheinung satzte viele in Verwunderung, noch mehrere aber in Schrecken. Man ertheilte sofort dem Herrn Wolfen Nachricht hiervon. Nichts konnte unserm Natur-Forscher erwünschters zu Ohren kommen als dieses. Er begab sich in aller Eile an denjenigen Ort, wo er alles aufs genaueste bemercken konnte, und setz-  
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  te sodann die Beschreibung sowohl als Erklärung dieser Lufft-Erscheinung auf. Solche Schrifft ließ er nachher in die Acta Eruditor. einrücken.  
  Mit dem Ende des 1708ten Jahres kam Herr Wolf auch mit einer Schrifft zu Ende, welche gleich mit dem Anfange des darauf folgenden 1709 Jahres unter dem Tittel: Elementa aërometria, in den Buchläden zu haben war. In diesem kleinen Büchelgen trug er einen noch so sehr nicht bekannten mathematischen Theil zuerst nach geometrischer Lehr-Art vor, und erwieß in selbigem einige Kräffte und Eigenschafften der Lufft.  
  Von seiner 1708 Jahre erfundenen Wind-Waage (anemometrum) findet man in Ludovici Ausführlichem Entwurffe einer vollständigen Historie der Wolffischen Philosophie, Th. II ... mehrere Nachricht, wo sie auch im Kupffer-Stiche vorgestellet wird. Diese ist eine Maschine, dadurch man die Gewalt des Windes abmessen kan.  
1709 In dem nur gedachten 1709 Jahre entschloß sich unser Philosoph, der Academischen Jugend führohin auch über die Philosophischen Wissenschafften einige Stunden zu halten, da er vorhero in Halle, Krafft seines Amtes nur bloß lediglich die Mathematick und Natur-Lehre erkläret hatte. Zu dem Ende verfertigte er in Lateinischer Sprache eine kurtze Vernunfft-Lehre, die er aber nicht der Presse unterwarff.  
  Daß Herr Wolf hiernächst sowohl den Mertz als auch den May der Actor. Eruditorum mit einigen Lateinischen Übersetzungen aus den Transactionibus Anglicanis ausgezieret habe, ist eine Kleinigkeit, die wir übergehen, da wir zumahl etwas wichtigers beyzubringen haben.  
  Es hielte nehmlich unser Philosoph vor nicht undienlich zu seyn, wenn er in einer Academischen Schrifft den vergangenen Winter, der überaus hart gewesen war, beschriebe, und über die Ursachen beydes der so gar ausserordentlichen Kälte als auch der daher erfolgten seltsamen Würckungen seine Gedancken der gelehrten Welt mittheilete. Mit dieser Arbeit kam er im Monat Junius zu Stande, so daß er sie am 13 Tage gedachten Monats auf dem Philosophischen Lehrstuhl öffentlich vertheidigen konnte.  
  Zu gleicher Zeit machte Herr Wolf eben diejenigen Versuche nach, welche Robert Boyle in seiner Schrifft de coloribus und Mariotte am Ende seines tentaminis de coloribus aufgezeichnet haben, und welche die Hervorbringung der Farben durch Vermischung verschiedener flüßiger Cörper betreffen. Indem er dieses mit aller zu Anstellungen der Versuche erforderlicher Behutsamkeit thate, war darbey das Glücke so günstig, daß er selbst verschiedenes entdeckte, welches von jenen grossen Männern nicht war bemercket worden. Diese Entdeckung wolte unser Naturkündiger den Gelehrten nicht länger vorenthalten, weßhalben er solche in dem Monat Juni der Actorum Eruditor. bekannt machte.  
  Einen andern Versuch zu erfahren, ob in guter Garten-Erde mehr als eine Ähre aus einem einigen Körngen Getraydes wachsen würde, stellete Herr Wolf gleichfalls um diese Zeit an, nachdem er durch des Frantzösischen Abts von Vallemont im 1708 Jahre zu Paris her-  
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  ausgekommene Curiositez de la natur de l'art sur la vegetation, ou l'agriculture et le jardinage dans leur perfection, hierzu war aufgemuntert worden. Dieses Buch hatte unser Philosoph gegen das Ende desselben Jahres in dem Buchladen angetroffen. Die prächtige Aufschrifft erweckte bey ihm eine Begierde, zu sehen, worinnen die versprochenen Geheimnisse bestünden.  
  Das erste war die Vermehrung des Getraydes. Hier wurden einige Nachrichten von vielen Ähren gegeben, die aus einem einigen Körnlein solten gewachsen seyn. Da aber von diesen beygebrachten Beyspielen einige gezweifelt und gemuthmasset hatten, daß diese vielen Ähren nicht so wohl aus einem Korne als vielmehr aus vielen zusammen gefallenen Körnern herausgewachsen wären; so stellete Herr Wolf in den darauf folgenden Sommer des 1709 Jahres einen Versuch mit zwey Körnern Habers in einem Garten an. Nachdem nun also unser Philosoph von der Möglichkeit durch die Erfahrung war versichert worden, wolte er auch durch Proben hinter die Ursachen kommen. Diesen Vorsatz fassete er, da es auf den Winter los gieng, und keine Zeit war, das Vorhaben zu bewerckstelligen. Ehe nun der Frühling des 1710 Jahres herbey kam, hatten andere Gedancken seinen Kopf eingenommen, daß er nicht eher daran dachte, als bis es abermahls zu späte war, die Probe anzustellen, und also dieser fernere Versuch unterlassen wurde.  
1710 Nemlich mit dem Anfange des 1710 Jahres gerieth Herr Wolf mit einem Engelländer in einen gelehrten Streit, wozu jener die Gelegenheit selbst gegeben hatte. Herr Wolf hatte in seinen Elementis aërometriae Johann Keilen vorgeworffen, daß er in seiner introductione ad veram physicam bey Erweisung des leeren Raums einen Fehler im Schlüssen begangen habe. Herr Keil  suchte in einem sehr höflichen Schreiben an Wolfen diese Beschuldigung von sich abzulehnen. Diesem Schreiben wurde, nachdem es an die Sammler der Actorum Eruditor. eingesendet worden war, von selbigen ein Platz in dem Jenner des 1710 Jahres angewiesen. Weil nun dieser gelehrte Engelländer in dem gedachten Schreiben seinen Beweiß weiter bestärcket hatte, so schiene Herrn Wolfen nöthig zu seyn, daß er auch seine Meynung vollständiger erklärte.  
  Er setzte daher ein Antworts-Schreiben auf, daß er sofort ebenfalls an die gerühmten Sammler übersendete, welche es in den Februar ihrer gelehrten Geschichte setzeten. Bey dieser Gelegenheit gefiel es unsern Philosophen in die Acta Eruditor. eine Erinnerung wegen eines Versuchs von dem Umlauff der Lufft durch die Luftlöcher des Holtzes zugleich zu übermachen. Er hatte in den Zusatz zum 79ten Satze seiner Elementorum Aërometriae angeführet, daß er bey offt angestellten Versuche es auf keine Weise habe bewerckstelligen können, daß eine höltzerne Glocke auch nur ein klein wenig an den Teller, der an die Lufft-Pumpe festgemachet war, sich angehänget hätte.  
  In dieser Erinnerung also, die man gleich nach dem Antworts-Schreiben an Herrn Keilen in den Actis Eruditor. antrifft, berichtet er, daß er  
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  damahls die Lufft mit einer nicht gar zu weiten Lufft-Pumpe ausgeleeret und den Stempel herausgezogen habe, wenn der Hahn gegen die Glocke zu offen gewesen: als er sich aber hernach eine weit grössere Lufft-Pumpe angeschaffet, und mit selbiger diesen Versuch zum öfftern wiederholet, jedesmahl aber den Haaren nicht eher eröffnet habe, bis der Stempel herausgezogen gewesen sey: habe er wahrgenommen, daß eine Glocke aus Fichtenholtz bey nahe von 4 Zoll im Durchmesser, ohngefehr 5 Zoll hoch und 1 Viertel Zoll dicke, sich sodann an den Teller angehänget hätte, wenn der Hahn aufgemachet worden war. Wiewohl auch dieses von keinem Bestand gewesen sey. Denn so bald das Geräusche aufgehöret, welches dem, so von siedenden Wasser zu entstehen pfleget, gegleichet hat, und daß man gar eigen hätte hören können, wenn man das Ohr nah hinzu gehalten, habe auch die Glocke aufgehöret feste zu hängen.  
  Mit dem Anfange des Augusts brachte Herr Wolf seine Anfangs-Gründe aller Mathematischen Wissenschafften, die er zum Gebrauch seiner Zuhörer in Deutscher Sprache herausgehen lassen wolte, zu Ende. Sie verliessen noch in diesem Jahre in zweyen besondern Theilen die Presse. Jeder Theil war mit einer besondern Abhandlung ausgezieret. Vor dem ersten fand man eine kurtze Nachricht von der mathematischen Lehrart, und nach dem letzten Theile sahe man einen kurtzen Unterricht von den vornehmsten mathematischen Schrifften.  
1711 Wie nun Herr Wolf durch diese Abhandlung aller mathematischen Wissenschafften den Liebhabern derselben ein nicht geringes Vergnügen erwecket hatte: so sehr, wo nicht noch angenehmer war derjenige Aufsatz den Verständigen der Hydraulicke, welchen er ihnen gleichsam als ein Neujahrs Geschencke, obwohl ohne Benennung seines Nahmens, unter der Aufschrifft, Phoenomenon diabetes antea non observatum, im Jenner des 1711 Jahres von den Actis Eruditorum mittheilte.  
  Diesem fügen wir bey diejenige Vertheidigungs-Schrifft Herrn Wolfens, welche bald nach jener in eben dem Monate der Actorum Eruditorum stehet, und zu Rettung der Elementorum Aerometriae wider einige Einwürffe ist aufgesetzet worden. Es hatte ein gewisser Gelehrter, der in dem Journal de Trevoux aus den Wolffischen nur gedachten Elementis einen Auszug verfertiget hatte, dabey zugleich wider selbige drey Zweiffel erreget. Um nun diesen Ungenannten seinen Zweiffel aufzulösen, ließ sich Herr Wolf umso viel williger finden: je wichtiger manchen Leser dieses Auszugs die vorgebrachten Zweiffel hätten scheinen mögen.  
  Ebenso willig war Herr Wolf in dem gedachten 1711 Jahre dem Verlangen eines guten Freundes, welcher ihn damahls um eine bequeme Einrichtung einer Lampe ersuchte, eine Gnüge zu leisten. Er fand gar bald eine, welche solche Vollkommenheiten an sich hatte, als sich dafür schicketen. Damit aber diese Erfindung zum gemeinen Nutzen gereichen möchte, hat er eine Beschreibung dieser Lampe in den Februar der Actorum Eruditorum mitgetheilet.  
  Nicht lange nach fand man von Herr  
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  Wolfen dessen Tabulas sinuum atque tangentium in den Buchläden, wodurch er sich die Liebhaber der Mathematick von neuen verpflichtete. Denn ob man wohl solche heute zu Tage, nachdem man die Logarithmos erfunden hat, in der Trigonometrie gantz entrathen kan; so haben sie doch noch in andern Theilen der Mathematick ihren Nutzen, welcher unsern Mathematick-Lehrer bewog, die erwehnten Tabellen aufzusetzen. Sie sind so accurat als nirgends andere seyn mögen. Ja Herr Wolf hat bey Verfertigung derselben noch diese Behutsamkeit gebrauchet, daß er ihre Logarithmos von ihnen abgesondert, damit sich nicht leicht Anfänger im Aufsuchen irreten.  
  Währender solcher Arbeit hatte Herr Wolf des Hrn. Wyer Wilhelm Muys Elementa physices methodo mathematica demonstrata erhalten, die in mehr gedachten 1711ten Jahre zu Amsterdam in 4 an das Licht getreten waren. Er machte aus selbigen einen Auszug in die Acta Eruditorum. Weil nun Herr Muys in seinen Elementis zugleich wider das, was Herr Leibnitz im September des 1698 Jahres von den Actis Eruditorum und Herr Major im darauf folgenden Jahre von der vi motrice creata vorgebracht hatte, einige Einwürffe erreget hatte, um darzuthun, daß dergleichen Krafft nirgends in der Welt anzutreffen sey; so brachte Herr Wolf eine defensionem virium in corporibus existentium contra nuperas objectiones zu Papiere, welche man ohne Benennung ihres Verfassers dem September des 1711 Jahres von den Actis Eruditorum gleich nach dem Auszuge der Muysischen Elementorum einverleibet hat.  
  Hierauf erblickte Herr Wolf in dem Journal des Scavans, daß ein gewisser gelehrter Mann zu Marseille im May Monate dieses Jahres eine neue Erklärung von der Bewegung vorgebracht hatte, weil diesem die bißher gegebenen noch kein Gnüge gethan hatten. Er erkläret die Bewegung durch eine Würckung des Cörpers oder einen Eindruck, welchen der Cörper angenommen hat, vermöge deren er einem andern würcklichen Cörper oder vor sich bestehendem Dinge, welches von keinem andern unterhalten wird, sich nähern oder von ihm entfernen kan. Der Urheber dieser Erklärung forderte zugleich die Weltweisen zu deren Untersuchung auf, und versprach auf die Einwendungen zu antworten. Dieses reitzete Herrn Wolfen an, seine Einwürffe wider diese neue Erklärung in einer besondern Schrifft der gelehrten Welt kundbar zu machen, welche dieserwegen in den November der Actorum Eruditorum eingerücket wurde.  
1712 Nicht wenigere Früchte seines Fleisses und unermüdeten Beytrages Herrn Wolfens zu den Actis Eruditorum findet man in dem 1712 Jahre. Wir wollen nicht hier an die Considerationem Wenceslai Josephi Pelicani super specimine Trigonometriae Analyticae gedencken, noch wollen wir uns bey der Observatione eclipsis lunaris d. 23. Januar. 1712. vesperi facta etc. lange aufhalten, da ohne Zweiffel Herr Wolf diese beyde Stücke nicht selbst entworffen, sondern nur an die Sammler der Actorum Eruditorum übersendet hat; dieses aber müssen wir anführen, daß Herr  
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  Wolf im Junius dieses Jahres der gerühmten Acten, gleichwie auch im Augusto zwey Gattungen von Machinis anamorphoticis beschrieben habe, die der ehemahls berühmte Herr Leupold ausgesonnen hatte.  
  Durch Machinas anamorphoticas werden solche Maschinen verstanden, durch deren Hülffe man die Bilder dergestalt verziehen kan, daß sie sich in einem Spiegel recht darstellen. Die erstere der Leupoldischen dienet die Bilder zu verziehen, die von einem Cylindrischen Spiegel reflectiret werden. Die letztere gehöret zur Zeichnung der verzogenen Bilder für den Conischen Spiegel. Daß diese beyde Maschinen zwar nach der Geometrischen Schärffe nicht richtig sind, wie solches Herr Wolf in dem 288 § seiner Elementorum Catoptr. erinnert hat; nichts destoweniger aber gar wohl gebrauchet werden können, ohne daß man einen mercklichen Fehler besorgen darff: ist unseres Thuns nicht hier auszuführen.  
  Vielmehr wenden wir uns zu einer Schrifft, die unser Philosoph im October eben dieses 1712 Jahres vollendete. Wir haben bereits oben bey dem 1709 Jahre bemercket, daß Herr Wolf zum Gebrauch seiner Zuhörer eine kleine Vernunfft-Lehre in Lateinischer Sprache zwar habe aufgesetzet, nicht aber drucken lassen. Er wurde nachher des Dictirens satt, und entschloß sich deswegen sein Buch der Presse zu unterwerffen.  
  Es waren viele Bewegungs-Gründe vorhanden, eine Schrifft, wie diese war, lieber in Deutscher als in Lateinischer Sprache hervortreten zu lassen. Zwey der Haupt-Gründe waren eines Theils der Gebrauch der Lehrer auf den Academien Deutschlandes die Philosophischen Theile in ihrer Mutter-Sprache zu erklären, andern Theils der allgemeine Nutzen, daß auch ungelehrte Deutsche aus solcher Schrifft ihren Verstand zu bessern Gelegenheit bekommen möchten. Dahero Herr Wolf jene Lateinische erste Gründe der Vernunfft Lehre nicht allein in die Deutsche Sprache übersetzte, sondern sie auch hin und wieder verbesserte und vermehrte. Sie verliessen demnach gegen das Ende des 1712 Jahres die Presse mit der Aufschrifft: Vernünfftige Gedancken von den Kräfften des menschlichen Verstandes und ihrem richtigen Gebrauche in Erkenntniß der Wahrheit.  
     

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HIS-Data 5028-58-549-2-01: Zedler: Wolf, (Christian, Reichs- Frey- und Edler Herr von) [1] HIS-Data Home
Stand: 8. April 2013 © Hans-Walter Pries