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| 1721 | 
Im 1721 
				Jahre wurde unser grosser 
				Philosoph und Mathematicus der 
Königl. 
Gnade 
seines 
				Landesherrn von neuem versichert, immassen ihm nach dem im vorigen Jahre erfolgten 
Ableben des 
				berühmten 
				Rechtsgelehrten, Herrn 
Heinrich Bodinus zu seiner 
				Besoldung eine  
				ansehnliche 
Zulage geschahe. Und ob er wohl damahls der Hällischen
			Academie als Prorector 
vorstande, so unterließ er 
doch nicht, seine untern Händen habende 
					Schrifften zum 
Drucke zuzubereiten. | 
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Wir rechnen hieher dessen andern 
				Theil der 
practischen Philosophie, nemlich die Staats-Lehre und 
Haushaltungs-Kunst, welche er zu 
Ende des Aprils nur besagten Jahres unter der 
Aufschrifft: Vernünfftige Gedancken von dem 
gesellschafftlichen Leben der Menschen, und 
insonderheit dem gemeinen Wesen, dem Drucke 
übergab. | 
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Auch sahe man bald darauf in den Buchläden 
des Herrn Johann Georg Leutmanns erste Continuation seiner 
vollständigen Nachricht von Uhren, ebenfalls wie 
den ersten Theil, mit einer schönen 				
				Vorrede 
unsers Philosophen begleitet, welche den Werth 
des 
				Buchs nicht um ein geringes vergrössert 
hat. | 
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Am 12 Julius 1721 gieng das bisanher von 
Herrn Wolfen
				rühmlichst				
				verwaltete Prorectorat auf 
der Academie zu Ende, welches er seinem 
Nachfolger, Herrn Joachim Langen, nach der 
daselbst eingeführten 
			Gewohnheit, in einer 
				öffentlichen Rede übergab. Die Rede handelte 
von der practischen Weltweißheit der Chineser, 
welche hier allzu sehr herausgestrichen wurde, 
so, daß sie eine 				
				vollkommene Lobrede der alten 
Chinesischen Philosophen abgab. Ja Herr Wolf 
zeigete in selbiger annoch die vollkommene 
					Übereinstimmung
				gerühmter
				
				Philosophie mit der 
seinigen. | 
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Wir gehen ungern daran, daß wir einen so 
grossen 
				Meister in der 				
				Weltweißheit, als Herr 
Wolf 
schon damahls war, meistern 
				solten: gleichwohl 
aber 				
				will uns scheinen, als ob selbiger in 
diesem Stücke die einem Philosophen 
				nöthige 
Behutsamkeit nicht so genau, wiewohl  
				billig hätte 
geschehen sollen, angewendet hätte. Ein 
				Heydnischer Philosoph und ein 
				
				Christlicher 
Philosoph sind beydes				
	Weltweisen, beyde 
bedienen sich auch bey ihren Lehren des 
				Lichts 
der				
				
				Vernunfft: allein wer wolte 
				leugnen, daß nicht 
dieser vor jenem einen grossen 				
				Vorzug hätte, da 
ihm in seinen Lehren annoch das Licht der 
Offenbarung trefflich zu statten kommt. | 
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Das Licht der Offenbarung und der Vernunfft 
kan mit dem Lichte der Sonne und des Mondes gar 
schön verglichen werden. Denn wie dem Monde 
das Licht nicht 
				eigen ist, wohl aber der Sonne, und 
diese jenem ihr Licht 
mittheilet: so kan sich auch 
die verderbte Vernunfft keines Lichtes 
				rühmen, 
wenn sie nicht von der Offenbarung erleuchtet 
wird. Ja, da der Mond daher, weil er von der 
Sonne sein Licht empfangen  
				muß, alsdenn gantz 
finster ist, wenn ihn die Sonnenstrahlen nicht 
treffen können: so tappet auch der, wel- | 
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{Sp. 575|S. 301} | 
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cher bloß die 				
				
				Vernunfft zu seinem Leitstern 
hat, beständig im Finstern. Es wäre demnach 
dieses eine schlechte Philosophie eines 
Christlichen Weltweisen, wenn selbige sich weiter 
nichts 
				rühmen könnte, als daß sie den Lehrsätzen 
eines Heydnischen Weltweisen vollkommen 
ähnlich sey, bevorab in 
practischen
				
				Materien, wo 
man wohl die Vernunfft und Offenbarung 
niemahls vermengen darff. | 
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Wir 				
				
				wollen ein Gleichniß geben, welches die
				Sache hoffentlich deutlich machen wird. Man 
behauptet nicht ohne 
				Grund, daß die Mathematick 
der Philosophie ungemeine 
Dienste leiste, man 
giebt ferner mit 				
				
				Wahrheit vor, daß derjenige 
Philosoph, der zugleich ein Mathematicus, dem, 
der in den mathematischen Wissenschafften 
unerfahren ist, bey weitem vorzuziehen sey, und 
daß der, so in Verfertigung seines 
philosophischen Lehrgebäudes beständig ein 
Auge auf die Mathematick richtet, dasselbe in 
gehöriger 				
				Vollkommenheit darstelle. | 
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Dieses alles aber will nicht das 
			sagen, als ob 
man unter die Philosophischen Lehrsätze 
mathematische mit untermengen 
				solle, sondern 
nur, daß die Mathematick ein vortreffliches 
Mittel 
sey in der 				
				Weltweißheit
glücklicher fortzukommen. 
So  
				muß man auch unter die Lehren der Vernunfft 
nicht Glaubens-Artickel mengen, sondern sich der 
Offenbarung in philosophischen Sachen nur 
bedienen, um mehrere Wahrheiten zu entdecken; 
				vornehmlich aber, die erfundenen nach den 
Gründen unsers christlichen
				Glaubens zu prüfen 
und aus beyder  
					Übereinstimmung
				zu 
bekräfftigen. | 
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Es werden sich ohne 				
				Zweiffel einige wundern, 
wie dieses hieher gehöre. Diesen sagen wir 
so viel, daß wie die Wolffische Haupt-Wissenschafft der Zunder: so diese Oration die 
Funcken zu denjenigen Hällischen Mißhelligkeiten abgegeben habe, 
welche endlich in die hefftigsten Flammen 
ausgebrochen sind, wie wir gleich berichten 
wollen. | 
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Nemlich diese von Herrn Wolfen gehaltener 
Rede erweckte bey den 
				Vätern der 
Hällischen
			
			Universität 
grosse Aufmercksamkeit, hauptsächlich waren in 
den Ohren der Gottesgelehrten jede 				
				Worte 
lauter Donnerschläge. Dem Ältesten der
Theologischen Facultät Johann Just Breithaupt, thaten die Ohren noch 
den gleich darauf folgenden 13 Julius davon 
so weh, daß er sich nicht einmahl auf der 
Cantzel 
enthalten konnte, daß er nicht öffentlich wider 
Herrn Wolfen hätte predigen sollen. | 
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Wenn der geneigte Leser beliebet diese
historischen
					Umstände gegen unser gegebenes 
Gutachten von der Wolfischen Oration zu halten; 
so wird er von sich selbst 
				beurtheilen können, 
inwieweit die Höllischen Gottesgelehrten zur Erregung einer 
so merckwürdigen Verfolgung Herrn Wolfens
			Bewegungs-Gründe gehabt haben, und in wie weit 
sie dabey über die gehörigen 
			Schrancken 
gegangen sind. | 
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Es war freylich von unserm 
				Philosophen 
nicht wohl 
				gethan, daß er den Werth seiner 
				
				Philosophie durch die gezeigte Übereinstimmung 
derselben mit der Chinesischen Philosophie 
				öffentlich anzupreisen sich bemühete. Allein, da
unius positio non est alterius exclusio, das 
ist, da Herr Wolf, indem er die Ähnlichkeit seiner 
Lehren mit den Chinesischen Lehren darthate, 
daraus nicht das zu
				schliessen war, als ob die 
Wolfische Weltweis- | 
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{Sp. 576} | 
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heit nichts anders als die Chinesische 
Weltweisheit sey, indem einander ähnliche 
Sachen nur in einigen Stücken mit einander 
übereinkommen, sonst sie einerley wären: so 
war dieses ein viel zu kleines Versehen, als daß 
solches sofort auf der Cantzel muste vorgebracht 
werden. Und es ist kein Zweiffel, daß dieses nicht 
geschehen seyn würde, daferne nicht die 
Theologischen Facultät zuvor her schon wider 
unsern Philosophen mit einigem Haß wäre 
eingenommen gewesen, in welchem Falle man 
gar leicht eine Mücke vor einen Elephanten 
ansehen kan.¶ | 
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Wir hoffen dem Leser nicht 
verdrießlich zu 
fallen, wenn wir bey der 
				Untersuchung der 
				Ursachen dieses Hasses in etwas stehen bleiben. 
Lesen wir die wegen der Wolfischen Philosophie 
herausgekommenen 
					Schrifften durch, so werden 
wir uns aus selbigen in diesem Stücke nicht 
belehren können, indem bey nahe ein jeder 
				Verfasser derselben eine besondere und 
				verschiedene Ursache anführet. Demnach 
wollen wir hier folgendergestalt verfahren, daß wir 
erst die 				
				vornehmsten Ursachen, welche man hin 
und wieder vorgebracht hat, erzehlen, und sodann 
unsere 
muthmaßliche
				Gedancken eröfnen, welche 
unter diesen die 				
				wahrscheinlichsten Ursachen 
sind; übrigens aber dem geneigten Leser 
anheimstellen, wie weit sich unsere 
Muthmassungen erstrecken. | 
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Man 
			sagt, der der Theologischen Facultät zu 
Halle eingewurtzelte Haß wider die 				
				Weltweißheit überhaupt 
habe bey derselben auch wider Herrn Wolfen, 
als den Lehrer derselben, einen 
Widerwillen 
erwecket.  | 
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Man giebt vor, Herr Wolf habe durch eine 
verdeckte 				
				Vorstellung wider viele 
Unordnungen 
im Waysenhause zu 
Halle sich selbst die Ruthe gebunden.  | 
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Man				
				will 
behaupten, die Herrn Wolfen geschehene Zulage zu seiner 
Besoldung habe veranlasset, daß ihnen die öffentlichen
				Lehrer 
der Gottesgelahrheit mit neidischen Augen angesehen hätten. | 
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Man will 				
				wissen, daß Herr 
Wolf dadurch, daß 
er in seiner Oration von der grossen Chinesischen 
Philosophie Herrn Langen einen Polygraphum 
				genennet 
habe; diesen und durch selbigen sich die 
				gantze 
Theologische Facultät auf den Hals gehetzet habe.  | 
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Man glaubt, 
die Ursache des Hasses sey, daß Herr Wolf seine Schrifften 
nicht dem Waysenhause in Verlag gegeben habe.  | 
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Man erzehlet, es habe Herr Wolf in seinen 
physicalischen Stunden die Lehre von der 
Erzeugung der 
Menschen allzuhandgreifflich und 
deutsch
				erkläret, daß die Anhänger der 
Hällischen Gottesgelehrten vor Schaam die Augen niedergeschlagen, und das bey 
ihnen dadurch erregte Ärgerniß den Gottesgelehrten mit 
Seuffzen und Thränen geklaget hätten. | 
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Man 				
				zehlet unter die Ursachen den 
Königlichen
			Befehl, der wegen Herrn 
Strählern ergangen, 
und von dem wir bald 
			reden werden. | 
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Man 
				muthmasset, 
daß, da Herr Lange wegen 
seines schlechten (wir reden hier, was wir gelesen 
haben) 				
				Vortrages von seinen Zuhörern nach und 
nach sey verlassen worden, und diese sich bloß 
lediglich an den Philosophischen Stunden Herrn 
Wolfens hätten genügen lassen; dieser grosse 
Gottesgelehrte einen Groll gegen Herrn | 
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{Sp. 577|S. 302} | 
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Wolfen in seinem Busem zu hegen 
angefangen hätte. | 
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Man 
				meynet, Herr 
Wolf habe in seinem 
Dociren durch ein allzufreches Bezeigen gegen die 
Gottesgelehrten, ihre Lehren und 
Lehrart, ein 
Feuer in Israel einen geblasen, dessen Flammen, 
wie  
				billig, zurück auf ihn geschlagen. | 
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Und wer wolte alle die Ursachen anzuführen 
sich die Mühe nehmen, welche in den Schrifften 
theils der Gegner, theils der Vertheydiger Herrn 
Wolfens vorkommen. Wir zweiffeln nicht, daß 
einige schlechterdings 
				falsch, andere hingegen 
zwar Ursache mehrerer Erbitterungen; nicht aber 
des ersten Hasses seyn. Es fället uns schwer, 
aus diesem die wahrhaffte und allererste Ursache 
auszusuchen, da uns nicht allein die 
				gewissen 
Nachrichten von einigen angegeben
					Umständen fehlen, sondern auch keine Hertzenskündiger sind, welches hier hauptsächlich 
erfordert wird, da niemand leicht die Ursachen 
seines gegen einen andern gefaßten 				
				Unwillens 
offenhertzig bekennen wird. | 
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Wäre das gewiß, daß Herr Wolf bey Hofe 
wider das Waysenhaus Vorstellungen gethan 
hätte, so wäre kein Bedencken, dieses vor die 
				
				wahre Ursache auszugeben. Auch kan vielleicht 
die Herrn Wolfen wegen Zulage der Besoldung 
wiederfahrne 
Königl. 
Gnade die ersten 
Verbitterungen verursachet haben. So wäre 
auch nicht 
				gantz				
				unwahrscheinlich, wenn man den 
Haß daher leiten wolte, daß Herr Wolf seine 
					Schrifften einem andern 				
				Verleger als dem 
Waysenhause überlassen. | 
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Alle die übrigen gemeldeten				
				Ursachen sind 
				erdichtet und die auch darunter noch wahr sind, 
haben sich nachher erst zugetragen, folglich sind 
sie als die ersten Quellen von dem Hasse der 
Theologischen Facultät zu 
Halle gegen unsern 
Philosophen nicht anzusehen. Doch wir müssen 
weiter gehen und sehen, was von dieser Oration 
sonst noch verdienet angemercket zu 
werden. | 
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Es gieng gar bald die 
				
				Rede, als 				
				
				wolte sie Herr 
Wolf
				drucken lassen. Die Gottesgelahrten zu 
Halle, denen sie eben am meisten mißfallen 
hatte, verlangten solche zuförderst zu sehen, ehe 
sie dem Drucke übergeben würde; mit welchem 
Ansuchen sie aber von Herrn Wolfen 
zurücke gewiesen worden. Und da dieselben ihr 
Verlangen wiederholeten, sahe sich Herr Wolf 
genöthiget, einem gewissen Minister am Königl. 
Preußische Hofe, nemlich dem damahligen 
Ober-Hof-Marschall Marquard Ludwigen,
				Freyherrn 
von Printz, welchen grossen Staats-Mann nebst 
andern auch die Direction der Universitäts-Sachen 
anvertrauet waren, davon Nachricht zu ertheilen, 
mit dem Vermelden, daß er zwar willens gewesen 
sey, gedachte Oration drucken zu lassen, und 
zwar in Rom, da sie von der Inquisition hätte 
sondern censiret werden; nunmehro aber hätte er 
sich eines andern besonnen, und wolle sie nicht 
der 
				Presse unterwerffen lassen. 
Nichts destoweniger kam gedachte Oration im 
folgenden 
				Jahre zu Rom
cum censura et approbatione S. officii inquisitorii, wie auf den 
				Titel 
fälschlich vorgegeben wird, ohne Vorbewust 
ihres Verfassers heraus. | 
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Ehe aber die Oration zum 				
				Vorschein kam, 
übergab Herr Wolf im September 1721 den ersten 
				Theil seiner Experimental-Physick den Drucke, mit 
der Aufschrifft: Allerhand nützliche Versuche, 
dadurch zu genauer Erkänntn- | 
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{Sp. 578} | 
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nis der Natur und Kunst der Weg gebahnet 
wird. In selbigem Theile sind diejenigen 
Versuche, so die Beschaffenheit der flüßigen 
Cörper, sonderlich die Lufft angehen, 
enthalten. | 
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Hierauf machte er sich über seine Haupt-Wissenschafft, um solche von neuen in etwas 
				verbessert der 
				Presse zu unterwerffen, nachdem 
die 
				Exemplarien der ersten 
				Auflage völlig 
vergriffen waren. Es hatte zwar Herr Wolf viel 
wichtiges, daß er hätte können in dieser Auflage 
hineinbringen: Allein er trug deswegen 
Bedencken, solches hinzu zu thun, damit er nicht 
die §§. als worauf er sich in den übrigen Theilen 
der Weltweißheit beruffen hatte, 				
				
				verändern dürffte: 
zumahlen er damahls schon gesonnen war, die 
gantze Weltweisheit in 
				Lateinischer Sprache weit 
ausführlicher und vollständiger 
				herauszugeben. | 
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Unterdessen ist diese Auflage um einige 
				Bogen stärcker worden, und von der ersten 
				verschieden. Denn nicht einmahl an die 
verbesserten Druck-Fehler und unrichtig 
angeführten §§. zu gedencken, so hat Herr Wolf 
einige schwere Stellen erläutert. Auch ist eine 
neue 				
				Vorrede hinzugekommen, in welcher unser 
Philosoph seine Freude darüber bezeiget, daß 
viele Gottesgelehrten von allen drey 
						Religionen im 
				Römischen Reiche seine Haupt-Wissenschafft 
wegen ihres unvergleichlichen 
				Nutzens zu genauer 
Einsicht in die Gottesgelahrheit und Vertheidigung 
der Religion, gelobet hätten. | 
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Das merckwürdigste, was sonst in dieser 
Vorrede vorkommet, ist, daß er eine neue 
				Eintheilung der 				
	Weltweisen angiebet; daß er 
zeiget, wie die Hauptwissenschafft und 
Mathematick einander erläutern, und daß er 
endlich einer neuen 				
				
				Wissenschafft: Die Kunst in 
die Zusammensetzung die gröste Vollkommenheit 
zu bringen, gedencket. Diese neue Bemühungen 
erreichten im December ihr Ende.  | 
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Eben in diesem Monate am 12 
				Tage 
hielte sein getreuer ehemaliger 
	Schüler, 
Herr Thümmig, eine 
				Dissertation, in welcher er die Unsterblichkeit der 
				Seelen aus ihrer innern Beschaffenheit erwiese. 
Der 
				Respondente nahm sich die 
Freyheit, Herrn 
Wolfen um eine Epistel zu derselben 
anzusprechen. Diesem Ansuchen gab unser 
Philosoph auch Gehör, und satzte einen kleinen 
Glückwunsch auf, darinne er die Lehre von der 
Unsterblichkeit der Seele zugleich nicht wenig, 
obwohl nur gantz kürtzlich, erläuterte.¶ | 
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| 1722 | 
Mit dem Anfang des 1722 Jahres war Herr 
Wolf mit der dritten Auflage seiner vernünfftigen 
Gedancken von den Kräfften des menschlichen 
Verstandes beschäfftiget, welche er nicht allein 
mit mehrern Beyspielen erläuterte, sondern auch 
in selbiger, welches das 				
				vornehmste war, hin und 
wieder Anweisung gab, wo man in seinen andern 
					Schrifften mehr 
				Exempel finden könnte. Diese 
				Arbeit legte er im Februar besagten 1722 Jahres 
zurücke. | 
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Zu welcher 				
				Zeit man eine 				
				Vorrede zu
Johann 
Christoph Sturms andern 
				Theile der 
Physicae electivae sive hypotheticae, von 
Herrn Wolfen verlangte. Diese beschloß er am 
27 Mertz und er 
				erinnerte in selbiger eines und 
das andere wegen der 
Lehr-Art in der Natur-Lehre. 
Nächstdem
				rühmete er | 
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{Sp. 579|S. 303} | 
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Sturms 
Verdienste so wohl um die Natur-Lehre als auch um die Mathematick, immassen 
er auf den 
Deutschen Academien die 
mathematischen Wissenschafften empor gebracht, 
und zuerst Stunden über die Versuche der Natur 
(collegia experimentalia) angestellet habe, welches sich zu damahligen Zeit 
niemand weder in noch ausser 
Deutschland 
unterstanden hätte. In den Versuchen sey er 
vorsichtig und genau, in Anzeige der 				
				Ursachen 
scharffsinnig und endlich in Lesung der 
				Bücher 				
fleißig gewesen, wie er denn auch selbst 
in vielen 
wohl ausgearbeiteten Schrifften die Natur-Lehre 
zu weit grösserer Vollkommenheit gebracht 
habe. | 
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|   | 
Wenige Tage hernach, am 30 Mertz 1722, ließ sich
				
				Herr Thümmig abermahls auf dem 				
				Philosophischen 
Catheder hören. Der 
				Dissertation, so betittelt war: 
phoenomenon singulare solis coelo sereno pallescentis ad rationes revocatum,
fügte Herr Wolf ein Glückwunschungs-Schreiben an 
den 
				Respondenten bey, welche wegen eines 
gantz besondern 				
			
			Urtheils von seinen 
				eigenen 
Verdiensten in Beförderung der 
metaphysischen 
				
				Wahrheiten gar sehr merckwürdig ist. | 
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|   | 
In dem darauf folgenden Monat April 1722 
satzte Herr Wolf in Verfertigung seines andern 
Theils der Experimental-Physick zum letztenmahle 
die Feder an, da kaum ein halbes Jahr verflossen 
war, als er den ersten Theil der 
				gelehrten				
				Welt 
mitgetheilet 
hatte, und am ersten September hatte er 
schon den dritten Theil, mithin also das 
				gantze				
				Werck, beschlossen. In allen drey Theilen findet 
man zwar viele Kleinigkeiten und Versuche, die 
schon bereits bekannt sind; es ist aber zu 				
				wissen, 
daß sie vor Anfänger 
				geschrieben sind, und eine 
Probe seyn 
				sollen, nach welcher man vor sich 
selbst Versuche anstelle, und sich eine Fertigkeit 
angewöhnen könne, wohl und				
				vernünfftig bey 
Versuchen zu verfahren. | 
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|   | 
Gegen den Herbst dieses 1722sten
				Jahres 
wurde von der
Theologischen Facultät zu 
Halle einhellig 
beschlossen, des Herrn Wolfens
					Schrifften, die er 
in den letztern 				
				Zeiten 
nach und nach
				herausgegeben hatte, selbst zu lesen und zu prüfen, um 
zu sehen, ob er daraus nicht könne von einigen 
unrichtigen und schädlichen 
				Gründen überzeuget 
werden, welches Herr Lange im 8 §. seines 
historischen Vorberichts den man in seiner sogenannten bescheidenen und ausführlichen 
Entdeckung etc. antrifft, selbst gestehet. So gieng man 
denn mit dem Vorsatz über die Wolffischen 
Schrifften, in selbigen 
				Irrthümer zu suchen. So 
war es auch leicht, sich welche darinnen 
				vorzustellen. | 
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|   | 
Doch hätte dieses vielleicht alles nichts zu 
				bedeuten gehabt, wenn nicht just Herr 
Lange sich 
dessen Hauptwissenschafft 
				erwehlet hätte. 
Denn von den übrigen Mitgliedern der 
Theologischen Facultät hat man wenigstens nichts 
zu sehen bekommen, worinne sie einige 
gefundene Irrthümer angezeiget hätten, ausser 
was im 
				Nahmen der 
				gantzen Facultät durch ihr 
Triebwerck, Herrn Langen, ist 				
				vorgestellet worden. 
Herr Lange hatte schon ehedem durch andere 
Streitigkeiten Proben abgeleget, daß er zum 
Streiten sehr aufgeleget sey. Er laß also die 
Wolffische Haupt-Wissenschafft, allein es | 
  | 
|   | 
{Sp. 530} | 
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|   | 
				
				
				wolte ihm beym ersten Durchlesen nicht recht 
glücken, daß er Irrthümer gefunden hätte. So 
				muste zum andern, dritten und noch mehrern 
mahlen durch die Hechel, bisßer endlich seine 
Absicht erreichet zu haben vermeinte. | 
  | 
|   | 
Inzwischen arbeitete Herr 
Wolf, der von dem 
Vorhaben der Theologischen Facultät nichts 
				wuste, an der andern 
				Auflage seiner 
vernünfftigen 
Gedancken von der Menschen Thun und Lassen, 
die bald 				
				verbessert an das 
				Licht treten solte. Er 
fügte in dem 
				Buche hin und wieder noch eines 
und das andere hinzu, welches zu mehrerer 
Erläuterung dienete, und was sich als ein Zusatz 
aus den erwiesenen Gründen herleiten liesse; 
sonst aber sind alle  
				Sätze stehen geblieben, wie 
sie in der ersten zu finden sind. Auch trifft man 
hier eine neue 				
				Vorrede an, die den 15 December 
datirt ist.¶ | 
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| 1723 | 
Das nunmehr kommende 1723 Jahr ist 
unserm 
				Philosophen das fataleste Jahr seines 
				Lebens gewesen. 
				Glück und 
				Unglück kämpffeten 
aufs hefftigste mit einander, und so sehr es das 
Ansehen hatte, als ob dieses über ienes den
				Meister 
spielen würde, so muste doch endlich auch dieses 
Beyspiel von neuen bestätiget werden, daß eine 
gerechte Sache nicht lange unterliegen könne, 
und daß einem Manne, der sich um die 				
				Welt 
verdient gemacht hat, die Verfolgungen zu 
Flügeln werden, durch welche er sich immer mehr 
und mehr empor schwinget. | 
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|   | 
Man warb durch viele Versprechungen 
heimlich einen 
	Schüler Herrn 
Wolfens, welcher sich 
an die Spitze stellen und unseren Philosophen 
zuerst anfallen solte. Derselbe war Herr Daniel Strähler, 
dessen 
				Geschicklichkeit und 
				Gelehrsamkeit 
bekannt ist. Dieser Herr Strähler rückte im Frühjahr zuerst 
mit einer 
				öffentlichen
					Schrifft hervor, welche zu 
Jena mit der Aufschrifft: Prüfung der vernünfftigen 
Gedancken des Herrn Hofraths Wolfs von GOtt, 
der Welt etc. war 
				gedrucket worden. Dieses war das 
erste Stücke und solte die Fortsetzung in mehrern 
Stücken, nach und nach erfolgen. | 
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|   | 
Als nun dieses Herrn Wolfen zu Gesichet kam, 
war er über das Unternehmen seines Schülers 
über aus ungehalten, zumahl Herr Strähler aus dem 
			
			Unterricht auch sonst noch viele Wohlthaten von 
unseen Herrn Hofrath genossen hatte. Der 
				Unwille ward bey ihm endlich so, daß er diese 
Prüfung nicht allein sofort in seinen 
philosophischen Stunden widerlegte, sondern daß 
er auch bald darauf am 8 Mertz dem 
Academischen Rathe ein 
				Schreiben wegen Herrn 
Strählern übergab, in welchem er eines Theils über ihn 
Klage führete, daß dieser ihn in einer öffentlichen 
Schrifft mit Nennung seines 
				Nahmens angegriffen 
habe, da doch nach dem 
Königl. 
			Befehl kein 
öffentlicher 
				Lehrer zu 
Halle von einem andern 
daselbst, auch nicht einmahl ein College von dem 
andern, in Schrifften nahmentlich 
				solle angefochten 
werden; andern Theils forderte er die 
				Bestraffung Herrn 
Strählers dieserhalb so wohl als wegen 
der in der 				
				Vorrede eingestreuten Injurien, daß die 
Wolfischen Gedancken von GOtt, der Welt etc. ein 
Buch von übler Folge wären, daß die darinnen 
				vorgetra- | 
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 | 
{Sp. 581|S. 304} | 
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|   | 
genen Lehren 
wider die göttliche Vorsehung 
und 				
				Würcklichkeit 
lieffen, auch eine Fatalität in allen 
				Dingen einführeten 
u.s.w. und daß ihm zugleich 
mögte 
verboten werden, diese seine Schrifft 
fortzusetzen: allein es muste Herr Wolf
				
				erfahren, 
daß er hier kein Gehör fand. | 
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|   | 
Dahero er die 
				Sache nunmehro dem 
Königl. 
Fiscal übergab; in einem 
				Schreiben an den Herrn 
Johann Frantz 
Buddeus in Jena sich darüber beschwerete, 
daß man die Prüfung daselbst aber 
				drucken 
lassen; und wider seinen Gegner ein sicheres 
Mittel wider ungegründete Verleumdungen, wie 
denselben am besten abzuhelffen sey aufsetzete, 
daß er am 15 Mertz durch den Druck 
				öffentlich 
bekannt machte. | 
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|   | 
Unter diesen Verdrießlichkeiten hatte Herr Wolf 
nichts destoweniger den unter den Händen habenden ersten 
				Theil seiner Natur-Lehre so weit fertig 
gebracht, daß er ihn am 20 Mertz mit der 
Aufschrifft: Vernünfftige Gedancken von den 
Würckungen der Natur, dem 				
				Verleger 
aushändigen konnte. | 
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|   | 
Seine Streit-Sache mit Strählern schiene auch 
nunmehro abgethan zu seyn, ob dieser wohl 
nunmehr bereits das andere Stücke der Prüfung 
				herausgegeben hatte. Denn im Monat April kam 
bey der 
			Academie ein 
Königlicher
			Befehl an, 
Krafft 
dessen nach dem Wunsch und Verlangen des 
Herrn Hoff-Raths dem Herrn Strähler 
bey Verlust seiner 
				Magister-Würde und einer namhafften Geld-Straffe 
untersaget wurde, weiter nicht wider Herrn 
Wolffen zu schreiben: Zugleich wurde auch den 
				Professoren an befohlen, nichts von diesem 
Streit in ihren Stunden, weder directe noch 
indirecte, zu gedencken. Hierdurch war nur Öl ins 
Feuer gegossen worden, und an statt daß Herr 
Wolf nunmehr in Ruhe wäre gesetzet worden, 
gieng vielmehr der Lerm zu 
Halle allererst recht 
an. | 
  | 
|   | 
Das den Professorens aufgelegte Stillschweigen machte die
Theologischen Facultät
redend. Sie, oder vielmehr ihr damahliger 
Dechant, Herr Lange,
				meinete				
				
				verpflichtet zu seyn, 
bey Hofe von der Schädlichkeit der Wolffischen 
				Weltweißheit schrifftliche 				
				Vorstellung zu 
				thun, 
welches im Monat May besagten 1723sten
				Jahres 
geschahe. In dieser Vorstellung, bey deren 
Verfertigung Herr Lange die Feder geführet hat, 
bate gedachte 
				Facultät nicht allein um eine Königl. 
Commißion, welche die Schädlichkeit der 
Wolfischen Lehren 
				untersuchen
				solte, sondern 
auch um einen 
allergnädigsten Befehl, daß Herr 
Wolf führohin nicht mehr über die 
				
				Philosophie 
lesen solte. Damit die Facultät auch ihrer 
				Sache 
einen Nachdruck geben  
				möchte, legte sie ihrer 
Vorstellung eine gleiche Vorstellung einiger 
Glieder aus der Philosophischen Facultät mit 
bey. | 
  | 
|   | 
Der Hof erwies Herrn Wolfen die 
Gnade, daß er ihm die gedachte Vorstellung 
mittheilte, und 
Herr Wolf nahm sich die 
Freyheit, Anmerckungen 
darüber zu machen, welche er zwar nicht in 
Druck 
gehen ließ, wie hernach von andern geschehen 
ist, sondern sie nur im Manuscript eben dahin 
sendete, woher er die Vorstellung erhalten 
hatte. | 
  | 
|   | 
Nächst dem besorgete er auch die andere und 
				verbesserte
				Auflage seines 
Auszugs aus den 
Anfangsgründen aller ma- | 
  | 
|   | 
{Sp. 583} | 
  | 
|   | 
thematischen Wissenschafften, nachdem 
derselbe so viele Liebhaber gefunden hatte, daß 
man der starcken Auflage ohngeachtet bey dem 
				Verleger kein 
				Exemplar mehr bekommen konnte. 
Mit dem Monat Julius lebete Herr Wolf auch 
diese 
				Arbeit zurück. | 
  | 
|   | 
Herr Lange hatte bereits eine 
				geraume Zeit 
an einer 
					Schrifft gearbeitet, in welcher, ob er wohl 
dem Schein nach nur mit den 
				Atheisten zu 
				thun 
haben 				
				
				wolte, er dennoch 				
				vornehmlich auf Herrn 
Leibnitzen und unseren 
				Philosophen loßgieng, um 
darzuthun, daß dieser beyden Philosophen 
Lehren der Atheisterey grossen Vorschub thäten, und mit des Spinoza 
				Sätzen eine grosse 
Ähnlichkeit hätten. Er beobachtete darbey die 
				Pflichten im Ermahnen, indem er Herrn 
Wolfen 
nicht sogleich, da das die erstere unter seinem 
				Nahmen wider 
Wolfen verfertigte öffentliche 
Schrifft war, mit Nahmen 
				nennete, 
welches wir ihm zum 
				Ruhme nachsagen müssen. Diese 
Schrifft war nunmehro unter dem 
				Titel:
Caussa Dei, an das 
				Licht getreten. | 
  | 
|   | 
Unser Herr Hof-Rath merckte 
vermögen 
seiner tieffen Einsicht gar wohl, daß er in selbiger 
angestochen sey, und deswegen ließ er eine 
Erinnerung wider diejenigen, die in seiner 
Metaphysick den Spinozismum entdecket zu haben vermeinen, in die
				Leipziger neuen Zeitungen von gelehrten 
Sachen alsbald einrücken. | 
  | 
|   | 
Auch vertheidigte er sich wider dieLangische Caussam Dei in einer 
besondern Schrifft, deren Titel war: Luculenta commentatio de differentia 
nexus rerum etc. und die er im 
Monat August vollendete. Er eignete sie dem 
Herrn Ober-Hof-Prediger Sr. 
Königlichen
Majestät in 
Preussen zu, durch dessen Vermittelung sie bey 
Hofe eingeschicket wurde. Aus der 
Zueignungs-Schrifft erhellet, daß diese Schrifft einer neuen 
Sorte der Anthropomorphiten entgegen gesetzet sey. Die meisten 
Einwürffe, so Herr Wolf hier beantwortet, sind fast 
von 				
				Wort zu Wort aus 
der Langischen Caussa Dei entlehnet, ohne 
jedoch sie anzuführen, da er sich einer gleichen 
Bescheidenheit mit seinem Gegner bedienen 
wolte. Übrigens zeiget er die 
					Übereinstimmung 
seiner Lehren mit den Lehr-Sätzen des Thomas von Aquino und der 
				Lutherischen Gottesgelehrten, 
des Schertzers, Musäus und Gerhards; zudem 
erweiset er auch noch, wie er dem Spinoza, so wohl 
was die 
				Gründe als auch die daher geleiteten 
Sätze betrifft, schnurstracks widerspreche. | 
  | 
|   | 
Um diese 				
				Zeit geschahe es, daß der 
				berühmte
				
				Herr Johann Gottlieb Heineccius nach 
Franecker beruffen 
wurde, und er seine zu 
Halle bisher
				rühmlichst				
				verwaltete ordentliche 
				Profeßion in der 
				Weltweißheit niederlegete. Herr 
Wolf wolte seinem 
geliebtesten 
	Schüler, dem Herrn 
Ludwig Philipp Thümmig, 
gerne die erledigte Profeßion zuweisen. Er 
brachte es auch durch gute Vorstellungen bey 
Hofe dahin, daß diesem die Profeßion 
würcklich 
von Hof aus angetragen wurde. Dieweil sich aber 
Herr Thümmig, (vermuthlich auf Anrathen seines Befördern, 
als der sich zu seinen Herren Collegen nicht viel 
Gutes versahe) nicht vorher | 
  | 
|   | 
{Sp. 583|S. 305} | 
  | 
|   | 
bey der Philosophischen Facultät gemeldet 
hatte, wie doch die Grundgesetze der 
			Academie 
erforderten: So verzögerte die Facultät nachmahls 
seiner Einführung, und that zuförderst Vorstellung 
bey Hofe. Allein Herr Hof-Rath Wolf brachte es 
bey Hofe dahin, daß wegen dieser Verzögerung 
ein scharffes 
				Rescript an die Academie 
erging. | 
  | 
|   | 
Den Sommer hindurch hatte Herr Wolf auf die 
Verfertigung des andern Theils seiner Natur-Lehre 
diejenigen 
				Stunden verwendet, welche ihm seine 
Verdrießlichkeiten und seine ordentliche 
Amts-Arbeit 
frey gelassen hatten. In der Michael-Messe sahe 
man sie schon in den Buchläden unter der 
Aufschrifft: Vernünfftige Gedancken von den 
Absichten der natürlichen Dinge. Dieses 
				Buch 
bestehet aus zwey 
				Theilen, davon der erste vom 
				Endzweck der 				
				Welt und der 
Welt-Cörper, der 
andere aber von dem Endzweck der besondern 
				Arten der 
				
				Cörper, handelt. | 
  | 
|   | 
Unterdessen war aus der flüchtigen Feder 
des Herrn Langens wider die Wolfische commentationem 
luculentam eine 
andere Schrifft: Modesta disquisitio novi philosophiae Systematis etc. geflossen, welche mit einer 
				Vorrede der 
Theologischen Facultät, so von der 
				nützlichen und 
				klugen 
Verknüpffung der 
				Weltweißheit und der Gottesgelahrheit handelte, 
begleitet wurde. Hier gab Herr Lange schon 
deutlich zu 				
			verstehen, wider wen er die Feder 
ergriffen habe. | 
  | 
|   | 
Herr Wolf konnte hierzu nicht stille 
schweigen, und gab zu Ende des Octobers 
heraus: Monitum ad commentationem etc. Einige wollen dieses, daß unser Philosoph 
nur ein monitum wieder die Langische Schrifften aufgesetzet habe, 
also auslegen, als ob es aus Verachtung gegen 
Herrn Langen geschehen sey, indem ihm 
damahls noch bey Hofe alles nach Wunsch gieng. 
Niemand kan dem andern ins Hertze sehen, und 
würden wir daher sehr 
unrecht
				thun, wenn wir 
solches als eine gewisse Nachricht erzehlen 
wolten. | 
  | 
|   | 
Was nun der Inhalt dieses Moniti betrifft, so läufft 
hauptsächlich alles dahin aus, daß Herr Wolf 
eines theils nochmahls zu behaupten suchet, es 
habe ihn sein Gegner nicht verstanden, und 
				verschiedene Stellen also verdrehet, daß er ihn 
nur verketzern und zum 
				Atheisten machen könne, und 
daß er andern theils verschiedene Lobsprüche 
anführet, die seiner 				
				
				Wissenschafft von andern, 
besonders von den Jesuiten, sind beygeleget 
worden. | 
  | 
|   | 
Herr Lange				
				
				wolte alles dieses nicht 
glauben, 
noch sich mit diesem Monito abweisen lassen. Weshalb 
er diesem Monito entgegen setzte: Placidas vindicias etc. darinnen er sich 
bestrebete zu erweisen, daß ihm auf seine 
Einwürffe nicht 
				gründlich genung sey geantwortet 
worden, und setzete an Herrn Wolfen aus, daß er 
sich auf die 
					Übereinstimmung seiner  
				Sätze mit 
den Lehren des Thomas von Aquino so sehr beruffen habe. 
Diese vindiciae kamen am 12
				Tage des Novembers 
zum 				
				Vorschein. | 
  | 
|   | 
Eben an diesem Tage langete bey der 
Hällischen
			Academie ein unterm 8 November 1723 
ausgefertigtes 
Königliches
				Rescript bey der 
Academie an, des Inhalts, daß Wolf seines 
Amtes entsetzet | 
  | 
|   | 
{Sp. 584} | 
  | 
|   | 
seyn und sich binnen 24 
				Stunden aus 
Halle, 
binnen 48 Stunden aber aus allen Königlichen 
Preußischen Landen, bey harter 
Leib- und 
Lebens-Straffe entfernen 
				solle. Und weil in eben 
diesem 
			Befehle auch Herrn 
Thümmingen die 
				Profeßion wieder 
soll genommen worden seyn: So ist 
				wahrscheinlich, daß die Academie auf den 
erfolgten scharffen Verweiß wegen Verzögerung 
der Einführung Herrn Thümmings in das 
	Collegium
				Professorium 
abermahls den Hof angegangen sey und 
				vorgestellet habe, daß Herr 
Wolf alle 
				Ordnung bey 
der Academie über den Hauffen werffen wolle, so, 
daß endlich Sr. Königlichen Majestät in Preussen zu 
diesem Befehle sind bewogen worden: Zumahlen 
noch über dieß Herr Lange sich äusserst 
bemühete, die Wolffische Philosophie bey Hofe 
auch durch Privat-Briefe immer mit häßlichern 
Farben abzumahlen. | 
  | 
|   | 
So dauerte denn alles 
				Glück nur eine Weile, 
und Herr Wolf 
				muste
				
				erfahren, daß sein 
Ansehen 
bey Hofe sich binnen einem Monate in einen 
Abscheu vor seine 
Person verwandelt hatte. 
Gleich den Tag nach dem eingelauffenen 
Königlichen Befehle, am 13 November 1723, 
gieng also Herr Wolf von 
Halle weg.¶ | 
  | 
|   | 
Die Göttliche Vorsehung, welche Herr Wolf in 
vielen seiner 
					Schrifften bewundert hat, hatte ihm 
schon zum Voraus einen Aufenthalt ausersehen, 
indem sie den 
				Land-Grafen von Hessen-Cassel 
dahin gelencket hatte, daß von demselben unser 
				Philosoph noch vor dem Feste des Heiligen 
Johannes auf Dero Academie zu Marburg war 
beruffen worden. Es wande sich demnach Herr 
Wolf so fort gerades Weges nach Cassel, woselbst er von dem Land-Grafen mit gantz 
besonderer Gnade auf und angenommen 
wurde. | 
  | 
|   | 
Daselbst wurde er ohne Verzug als Hochfürstlicher Hessen-Casselischer Hof-Rath, wie nicht 
weniger als erster 
				Professor in der 
				Philosophischen
				Facultät und der Mathematick 
				öffentlicher
				Lehrer auf der 
			Academie zu Marburg 
bestätiget, ihm auch eine gar austrägliche Besoldung 
nebst freyer Wohnung auf dem neuen 
			
			Universitäts-Gebäude, wo ein vortrefliches 
Observatorium ist, ausgemachet.¶ | 
  | 
|   | 
Er verließ also voller Vergnügen Cassel, und 
gieng nach Marburg. Die 				
				vornehmsten sich 
damahls in Marburg aufhaltenden 
				
				Herren
			Studenten holten ihren künfftigen Lehrer ein, und 
am 
				Abend des 
				Tages nach seiner Ankunfft 
bewillkommete ihn die 
				gantze Universität mit einer sehr 
herrlichen Abend-Musick. Diese Freudens-Bezeigungen vermochten bey Herren 
Wolfen 
so viel, daß er ungesäumt alles dasjenige 
veranstaltete, was zum Antritt seines neuen 
Lehramts erforderlich war: wie er denn 
würcklich 
noch vor Ausgang des 1723 Jahres seine 
				Profeßion angetreten hat.¶ | 
  | 
|   | 
Nachdem sich Herr Wolf nunmehr zu 
Marburg eingerichtet hatte, satzte er sich über eine 
Vertheidigung wider eine Schrifft, welche als ein 
Anhang der Hällischen Streitigkeiten angesehen werden kan. 
Denn da bereits der wider Herrn Wolfen so 
nachtheilige Befehl | 
  | 
|   | 
{Sp. 585|S. 306} | 
  | 
| 1724 | 
vergangen war, hatten die Hällischen Gegner der 
Wolfischen Philosophie an den ehemahls hochberühmten Herrn Johann Frantz
Buddeus 
				geschrieben, und sich auch dessen Gutachten 
von der Weltweisheit unsers Philosophen ausgebeten, welches er auch unterm 23 
November 1723 aufgesetzet hatte, keinesweges 
aber in der Absicht, daß es solte gedrucket 
werden. Dessen ohngeachtet wurde es wider 
				Wissen und 				
				
				Willen seines 				
				Verfassers zugleich mit 
den ersten Tagen des 1724 Jahres in den 
Druck 
gegeben. | 
  | 
|   | 
So bald man diese Schrifft in Jena zu Gesicht 
bekam, ließ sie Herr Buddeus selbst confisciren: woraus 
dessen 				
				Unwille über den Druck sattsam erhellet. 
Herr Wolf erhielte auch ein 
				Exemplar, und weil der 
				Vater dieses Bedenckens ein bey der 
Evangelischen Kirche in grossen 
Ansehen stehender Gottesgelehrter war, von dessen 
				Erkenntniß 
auch in 
				philosophischen Sachen jedermann eine
gute 
				Meynung hatte, so vermeinte Herr Wolf, 
daß, wenn er sich darwider nicht regete, solches 
ihm und seinen neuen Amte sehr 
nachtheilig seyn 
könnte. Dahero er Anmerckungen über das 
Buddeische Bedencken unterm 7 Februar des 1724 Jahres 
zu Papiere brachte, die in etwas harten Worten 
abgefasset waren. | 
  | 
|   | 
Herr Wolf war des fernern Streitens überdrüßig und willens, sich von diesen
				
				Materien 
mit Niemanden ferner in einige Streitigkeiten 
einzulassen. Weil nun seine Widersacher theils 
einigen  
				Sätzen in den 
vernünfftigen Gedancken 
von GOtt, der Welt etc. einen 
				gantz
				falschen				
				
				Verstand 
beygeleget, theils einige 				
				Zweifel wider dieselben 
aufgeworffen hatten; so hielte er vor gut, sich in 
den etwan anstößigen Puncten etwas deutlicher 
zu erklären, um also der Paucke, wie man zu
			reden 
pfleget, auf einmahl ein Loch zu machen. | 
  | 
|   | 
So bald er nach Marburg gekommen war, 
hatte er gleich 
				Gelegenheit, dieses 
				Buch in einem 
	
Collegim zu 
				erklären. Hier zeigte er nicht allein 
den richtigen Verstand der 				
				Worte aus den 
Erklärungen und gantzen 
Zusammenhange, 
sondern wieß auch die Absicht, so er bey jedem 
Satze gehabt, auf diese Weise wurden die 
Verdrehungen seiner Widersacher handgreiflich, 
und er gab dieser wegen solcher Erläuterungen 
unter dem 
				Titel: 
Anmerckungen über die 
vernünfftigen Gedancken von GOtt, der Welt etc. heraus. Sie sind demnach nicht so wohl eine 
Fortsetzung, als vielmehr eine Erläuterung dieser 
vernünfftigen Gedancken. | 
  | 
|   | 
Dieses Buch, so Herr Wolf als eine Schutz-Schrifft wider alle Gegner ansiehet, brachte er 
mit dem Mertz zu Ende. In der 
	That
stellet es auch 
das, was es seyn
				soll, 
vor. Denn in selbigem 
zeiget Herr Wolf, | 
  | 
|   | 
| 1) | 
daß er in vielen Stücken 
nur den Worten nach von den gemeinen Lehren 
abzugehen scheine, welches bloß lediglich von 
der Lehrart, der er sich bedienet habe, 
herrühre; |  
| 
2) | 
erkläret er viele Stellen 
weit deutlicher, welche nur den mindesten Schein 
einiger Dunckelheit haben konnten; |  
| 
3) | 
an den Orten, wo ihm 
andere 
				Meynungen, als er 
würcklich 				
				vorgetragen 
hatte, von seinen Gegnern aus einer 
verkehrten |   
 | 
  | 
|   | 
{Sp. 586} | 
  | 
|   | 
|   | 
Auslegung waren 
angedichtet worden, leitet er den eigentlichen 
				Sinn 
seiner Lehren aus seinen Erklärungen und dem 
Zusammenhange des gantzen Buches her; |  
| 
4) | 
vergißt er dabey nicht, 
die Zweifel, so bey einem jeden Satze sind 
erreget worden, oder doch entstehen könnten, 
aufzulösen; |  
| 
5) | 
deutet er jedesmahl an, 
was seine Lehren in Bestätigung der natürlichen 
Religion und Moral vor 
				Nutzen haben, weil ihm 
hauptsächlich war vorgeworffen worden, daß 
seine Hauptwissenschafft alle 
						Religion und 
Moralität über den Hauffen stosse; und |  
| 
6) | 
bemercket er zum öfftern, 
was noch in der Hauptwissenschafft zu 
erfinden 
sey. |   
 | 
  | 
|   | 
Am 28 Tage des Monats Aprils 1724 
vertheidigte er 
				öffentlich eine 
				Dissertation, 
darinnen er den Weltbau der halben Sonnen 
				untersuchete. Wir 				
zweifeln nicht, daß dieses das 
erstemahl sey, da er zu Marburg auch seine 
besondern Kräffte im 
Disputiren gezeiget habe. 
Zum wenigsten ist uns keine ältere Marpurgische 
Dissertation von ihm zu Gesichte kommen. | 
  | 
|   | 
Wir haben oben 
				erinnert, daß unser Herr 
Hofrath über das Bedencken, welches der Herr 
Buddeus seiner 
				
				Philosophie wegen aufgesetzet 
hatte Anmerckungen in etwas harter Schreibart 
abgefasset und durch den Druck gemein 
gemachet habe. Herr Buddeus hatte nicht 
				Lust, 
sich dagegen selbst zu vertheidigen, indem er mit 
unserm Philosophen sich in keinen Streit 
mengen 				
				
				wolte, auch das Bedencken in der 
Absicht nicht entworffen hatte: gleichwohl schien 
es 
				nöthig zu seyn, daß die 
Ehre des Herrn 
Buddeus gerettet würde. Weswegen dessen 
Schwieger-Sohn, der Hochberühmte Herr Johann 
Georg Walch, eine 
bescheidene Antwort auf Herrn Christian Wolfens Anmerckungen etc.
jedoch ohne 
				Benennung seines 
				Nahmens
				
herausgab. Der Herr 
Hofrath Wolf stand in den 
				Gedancken, daß diese 
Vertheidigung von niemand andern, als von dem 
Herrn Buddeus selbsten herkommen, und satzte ihr 
im Monat August entgegen nöthige Zugabe zu 
den Anmerckungen über etc. in welchen dargethan 
werden solte, daß | 
  | 
|   | 
| 1) | 
Herr Buddeus diejenigen 
Puncte, welche er bey Herrn Wolfen angefochten, 
in seinen 
					Schrifften selbst vertheidige, |  
| 
2) | 
eben derselbe darneben 
vieles noch behaupte, welches als höchst 
gefährlich zu widerrathen sey, und |  
| 
3) | 
die Antwort auf die 
Wolfische Anmerckungen über das Buddeische 
Bedencken blosse Sophistereyen in sich 
fassen. |   
 | 
  | 
|   | 
Die Verdienste unsers Philosophen um die 
				
				Wissenschafften waren so gar bis nach Moscau 
erschollen. Der grosse Peter Alexowitz, dessen 
Thaten die 
Nachwelt immer und ewig bewundern wird, war im 
Begriff, die Barbarey seiner 				
				
				Unterthanen durch Einführung
guter
Künste und Wissenschafften 
zu vertreiben. Er 				
				
				wolte nicht nur, sondern 
				
that es 
auch würcklich. Wie er denn zu St. Petersburg 
eine 
Academie der Wissenschafften 
aufrichtete. | 
  | 
|   | 
Er war ein grosser Kenner der vortreflichsten 
			Gelehrten. Wir 
hoffen dieses am besten dadurch 
zu bestätigen, daß er die so 
				gründliche als 
weitläufftige 
				Gelehrsamkeit des Herrn 
				Baron von 
Leibnitz 
				erkannt, und diesem deswegen nicht nur 
den 
					Titel seines Geheimden | 
  | 
|   | 
{Sp. 587|S. 307} | 
  | 
|   | 
Justitz-Raths beygeleget, sondern auch 
ausgemachet hat. Eine gleiche Probe legte er auch 
in diesem 1724ten Jahre an den Tag, indem er 
keinen vor würdiger hielte, die Stelle eines 
Vice-Präsidenten auf der neu gestiffteten Academie der 
Wissenschafften zu St. Petersburg zu bekleiden, 
als den Marburgischen Philosophen, den Herrn Wolfen, 
und ihn auch in der That unter einer grossen 
Besoldung dahin beruffete. | 
  | 
|   | 
				
	Weltweise sind versichert, daß sie 
				
				GOtt und 
ihrem Nächsten aller 
				Orten 
				dienen können, und 
ändern ohne dringende 
				Noth nicht leicht ihren 
Sitz. Wie nun Herr Wolf nicht nach Marburg 
gegangen seyn würde, daferne man ihn nicht aus 
	Halle verjaget hätte: so wolte er auch nicht Marburg 
verlassen, wo man ihn lieb und werth hielte. Dahero er die so  
				ansehnliche, für ihn und die 
Seinen so vortheilhaffte Vice-Präsidenten-Stelle, 
ausschlug.¶ | 
  | 
|   | 
  | 
  |