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Zedler: Wolf, (Christian, Reichs- Frey- und Edler Herr von) [3] HIS-Data
5028-58-549-2-03
Titel: Wolf, (Christian, Reichs- Frey- und Edler Herr von) [3]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 58 Sp. 574
Jahr: 1748
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 58 S. 300
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Übersicht
  Lebensgeschichte (Forts.)
 
  1721
  1722
  1723
  1724

  Text  
1721 Im 1721 Jahre wurde unser grosser Philosoph und Mathematicus der Königl. Gnade seines Landesherrn von neuem versichert, immassen ihm nach dem im vorigen Jahre erfolgten Ableben des berühmten Rechtsgelehrten, Herrn Heinrich Bodinus zu seiner Besoldung eine ansehnliche Zulage geschahe. Und ob er wohl damahls der Hällischen Academie als Prorector vorstande, so unterließ er doch nicht, seine untern Händen habende Schrifften zum Drucke zuzubereiten.  
  Wir rechnen hieher dessen andern Theil der practischen Philosophie, nemlich die Staats-Lehre und Haushaltungs-Kunst, welche er zu Ende des Aprils nur besagten Jahres unter der Aufschrifft: Vernünfftige Gedancken von dem gesellschafftlichen Leben der Menschen, und insonderheit dem gemeinen Wesen, dem Drucke übergab.  
  Auch sahe man bald darauf in den Buchläden des Herrn Johann Georg Leutmanns erste Continuation seiner vollständigen Nachricht von Uhren, ebenfalls wie den ersten Theil, mit einer schönen Vorrede unsers Philosophen begleitet, welche den Werth des Buchs nicht um ein geringes vergrössert hat.  
  Am 12 Julius 1721 gieng das bisanher von Herrn Wolfen rühmlichst verwaltete Prorectorat auf der Academie zu Ende, welches er seinem Nachfolger, Herrn Joachim Langen, nach der daselbst eingeführten Gewohnheit, in einer öffentlichen Rede übergab. Die Rede handelte von der practischen Weltweißheit der Chineser, welche hier allzu sehr herausgestrichen wurde, so, daß sie eine vollkommene Lobrede der alten Chinesischen Philosophen abgab. Ja Herr Wolf zeigete in selbiger annoch die vollkommene Übereinstimmung gerühmter Philosophie mit der seinigen.  
  Wir gehen ungern daran, daß wir einen so grossen Meister in der Weltweißheit, als Herr Wolf schon damahls war, meistern solten: gleichwohl aber will uns scheinen, als ob selbiger in diesem Stücke die einem Philosophen nöthige Behutsamkeit nicht so genau, wiewohl billig hätte geschehen sollen, angewendet hätte. Ein Heydnischer Philosoph und ein Christlicher Philosoph sind beydes Weltweisen, beyde bedienen sich auch bey ihren Lehren des Lichts der Vernunfft: allein wer wolte leugnen, daß nicht dieser vor jenem einen grossen Vorzug hätte, da ihm in seinen Lehren annoch das Licht der Offenbarung trefflich zu statten kommt.  
  Das Licht der Offenbarung und der Vernunfft kan mit dem Lichte der Sonne und des Mondes gar schön verglichen werden. Denn wie dem Monde das Licht nicht eigen ist, wohl aber der Sonne, und diese jenem ihr Licht mittheilet: so kan sich auch die verderbte Vernunfft keines Lichtes rühmen, wenn sie nicht von der Offenbarung erleuchtet wird. Ja, da der Mond daher, weil er von der Sonne sein Licht empfangen muß, alsdenn gantz finster ist, wenn ihn die Sonnenstrahlen nicht treffen können: so tappet auch der, wel-  
  {Sp. 575|S. 301}  
  cher bloß die Vernunfft zu seinem Leitstern hat, beständig im Finstern. Es wäre demnach dieses eine schlechte Philosophie eines Christlichen Weltweisen, wenn selbige sich weiter nichts rühmen könnte, als daß sie den Lehrsätzen eines Heydnischen Weltweisen vollkommen ähnlich sey, bevorab in practischen Materien, wo man wohl die Vernunfft und Offenbarung niemahls vermengen darff.  
  Wir wollen ein Gleichniß geben, welches die Sache hoffentlich deutlich machen wird. Man behauptet nicht ohne Grund, daß die Mathematick der Philosophie ungemeine Dienste leiste, man giebt ferner mit Wahrheit vor, daß derjenige Philosoph, der zugleich ein Mathematicus, dem, der in den mathematischen Wissenschafften unerfahren ist, bey weitem vorzuziehen sey, und daß der, so in Verfertigung seines philosophischen Lehrgebäudes beständig ein Auge auf die Mathematick richtet, dasselbe in gehöriger Vollkommenheit darstelle.  
  Dieses alles aber will nicht das sagen, als ob man unter die Philosophischen Lehrsätze mathematische mit untermengen solle, sondern nur, daß die Mathematick ein vortreffliches Mittel sey in der Weltweißheit glücklicher fortzukommen. So muß man auch unter die Lehren der Vernunfft nicht Glaubens-Artickel mengen, sondern sich der Offenbarung in philosophischen Sachen nur bedienen, um mehrere Wahrheiten zu entdecken; vornehmlich aber, die erfundenen nach den Gründen unsers christlichen Glaubens zu prüfen und aus beyder Übereinstimmung zu bekräfftigen.  
  Es werden sich ohne Zweiffel einige wundern, wie dieses hieher gehöre. Diesen sagen wir so viel, daß wie die Wolffische Haupt-Wissenschafft der Zunder: so diese Oration die Funcken zu denjenigen Hällischen Mißhelligkeiten abgegeben habe, welche endlich in die hefftigsten Flammen ausgebrochen sind, wie wir gleich berichten wollen.  
  Nemlich diese von Herrn Wolfen gehaltener Rede erweckte bey den Vätern der Hällischen Universität grosse Aufmercksamkeit, hauptsächlich waren in den Ohren der Gottesgelehrten jede Worte lauter Donnerschläge. Dem Ältesten der Theologischen Facultät Johann Just Breithaupt, thaten die Ohren noch den gleich darauf folgenden 13 Julius davon so weh, daß er sich nicht einmahl auf der Cantzel enthalten konnte, daß er nicht öffentlich wider Herrn Wolfen hätte predigen sollen.  
  Wenn der geneigte Leser beliebet diese historischen Umstände gegen unser gegebenes Gutachten von der Wolfischen Oration zu halten; so wird er von sich selbst beurtheilen können, inwieweit die Höllischen Gottesgelehrten zur Erregung einer so merckwürdigen Verfolgung Herrn Wolfens Bewegungs-Gründe gehabt haben, und in wie weit sie dabey über die gehörigen Schrancken gegangen sind.  
  Es war freylich von unserm Philosophen nicht wohl gethan, daß er den Werth seiner Philosophie durch die gezeigte Übereinstimmung derselben mit der Chinesischen Philosophie öffentlich anzupreisen sich bemühete. Allein, da unius positio non est alterius exclusio, das ist, da Herr Wolf, indem er die Ähnlichkeit seiner Lehren mit den Chinesischen Lehren darthate, daraus nicht das zu schliessen war, als ob die Wolfische Weltweis-  
  {Sp. 576}  
  heit nichts anders als die Chinesische Weltweisheit sey, indem einander ähnliche Sachen nur in einigen Stücken mit einander übereinkommen, sonst sie einerley wären: so war dieses ein viel zu kleines Versehen, als daß solches sofort auf der Cantzel muste vorgebracht werden. Und es ist kein Zweiffel, daß dieses nicht geschehen seyn würde, daferne nicht die Theologischen Facultät zuvor her schon wider unsern Philosophen mit einigem Haß wäre eingenommen gewesen, in welchem Falle man gar leicht eine Mücke vor einen Elephanten ansehen kan.  
  Wir hoffen dem Leser nicht verdrießlich zu fallen, wenn wir bey der Untersuchung der Ursachen dieses Hasses in etwas stehen bleiben. Lesen wir die wegen der Wolfischen Philosophie herausgekommenen Schrifften durch, so werden wir uns aus selbigen in diesem Stücke nicht belehren können, indem bey nahe ein jeder Verfasser derselben eine besondere und verschiedene Ursache anführet. Demnach wollen wir hier folgendergestalt verfahren, daß wir erst die vornehmsten Ursachen, welche man hin und wieder vorgebracht hat, erzehlen, und sodann unsere muthmaßliche Gedancken eröfnen, welche unter diesen die wahrscheinlichsten Ursachen sind; übrigens aber dem geneigten Leser anheimstellen, wie weit sich unsere Muthmassungen erstrecken.  
  Man sagt, der der Theologischen Facultät zu Halle eingewurtzelte Haß wider die Weltweißheit überhaupt habe bey derselben auch wider Herrn Wolfen, als den Lehrer derselben, einen Widerwillen erwecket.  
  Man giebt vor, Herr Wolf habe durch eine verdeckte Vorstellung wider viele Unordnungen im Waysenhause zu Halle sich selbst die Ruthe gebunden.  
  Man will behaupten, die Herrn Wolfen geschehene Zulage zu seiner Besoldung habe veranlasset, daß ihnen die öffentlichen Lehrer der Gottesgelahrheit mit neidischen Augen angesehen hätten.  
  Man will wissen, daß Herr Wolf dadurch, daß er in seiner Oration von der grossen Chinesischen Philosophie Herrn Langen einen Polygraphum genennet habe; diesen und durch selbigen sich die gantze Theologische Facultät auf den Hals gehetzet habe.  
  Man glaubt, die Ursache des Hasses sey, daß Herr Wolf seine Schrifften nicht dem Waysenhause in Verlag gegeben habe.  
  Man erzehlet, es habe Herr Wolf in seinen physicalischen Stunden die Lehre von der Erzeugung der Menschen allzuhandgreifflich und deutsch erkläret, daß die Anhänger der Hällischen Gottesgelehrten vor Schaam die Augen niedergeschlagen, und das bey ihnen dadurch erregte Ärgerniß den Gottesgelehrten mit Seuffzen und Thränen geklaget hätten.  
  Man zehlet unter die Ursachen den Königlichen Befehl, der wegen Herrn Strählern ergangen, und von dem wir bald reden werden.  
  Man muthmasset, daß, da Herr Lange wegen seines schlechten (wir reden hier, was wir gelesen haben) Vortrages von seinen Zuhörern nach und nach sey verlassen worden, und diese sich bloß lediglich an den Philosophischen Stunden Herrn Wolfens hätten genügen lassen; dieser grosse Gottesgelehrte einen Groll gegen Herrn  
  {Sp. 577|S. 302}  
  Wolfen in seinem Busem zu hegen angefangen hätte.  
  Man meynet, Herr Wolf habe in seinem Dociren durch ein allzufreches Bezeigen gegen die Gottesgelehrten, ihre Lehren und Lehrart, ein Feuer in Israel einen geblasen, dessen Flammen, wie billig, zurück auf ihn geschlagen.  
  Und wer wolte alle die Ursachen anzuführen sich die Mühe nehmen, welche in den Schrifften theils der Gegner, theils der Vertheydiger Herrn Wolfens vorkommen. Wir zweiffeln nicht, daß einige schlechterdings falsch, andere hingegen zwar Ursache mehrerer Erbitterungen; nicht aber des ersten Hasses seyn. Es fället uns schwer, aus diesem die wahrhaffte und allererste Ursache auszusuchen, da uns nicht allein die gewissen Nachrichten von einigen angegeben Umständen fehlen, sondern auch keine Hertzenskündiger sind, welches hier hauptsächlich erfordert wird, da niemand leicht die Ursachen seines gegen einen andern gefaßten Unwillens offenhertzig bekennen wird.  
  Wäre das gewiß, daß Herr Wolf bey Hofe wider das Waysenhaus Vorstellungen gethan hätte, so wäre kein Bedencken, dieses vor die wahre Ursache auszugeben. Auch kan vielleicht die Herrn Wolfen wegen Zulage der Besoldung wiederfahrne Königl. Gnade die ersten Verbitterungen verursachet haben. So wäre auch nicht gantz unwahrscheinlich, wenn man den Haß daher leiten wolte, daß Herr Wolf seine Schrifften einem andern Verleger als dem Waysenhause überlassen.  
  Alle die übrigen gemeldeten Ursachen sind erdichtet und die auch darunter noch wahr sind, haben sich nachher erst zugetragen, folglich sind sie als die ersten Quellen von dem Hasse der Theologischen Facultät zu Halle gegen unsern Philosophen nicht anzusehen. Doch wir müssen weiter gehen und sehen, was von dieser Oration sonst noch verdienet angemercket zu werden.  
  Es gieng gar bald die Rede, als wolte sie Herr Wolf drucken lassen. Die Gottesgelahrten zu Halle, denen sie eben am meisten mißfallen hatte, verlangten solche zuförderst zu sehen, ehe sie dem Drucke übergeben würde; mit welchem Ansuchen sie aber von Herrn Wolfen zurücke gewiesen worden. Und da dieselben ihr Verlangen wiederholeten, sahe sich Herr Wolf genöthiget, einem gewissen Minister am Königl. Preußische Hofe, nemlich dem damahligen Ober-Hof-Marschall Marquard Ludwigen, Freyherrn von Printz, welchen grossen Staats-Mann nebst andern auch die Direction der Universitäts-Sachen anvertrauet waren, davon Nachricht zu ertheilen, mit dem Vermelden, daß er zwar willens gewesen sey, gedachte Oration drucken zu lassen, und zwar in Rom, da sie von der Inquisition hätte sondern censiret werden; nunmehro aber hätte er sich eines andern besonnen, und wolle sie nicht der Presse unterwerffen lassen. Nichts destoweniger kam gedachte Oration im folgenden Jahre zu Rom cum censura et approbatione S. officii inquisitorii, wie auf den Titel fälschlich vorgegeben wird, ohne Vorbewust ihres Verfassers heraus.  
  Ehe aber die Oration zum Vorschein kam, übergab Herr Wolf im September 1721 den ersten Theil seiner Experimental-Physick den Drucke, mit der Aufschrifft: Allerhand nützliche Versuche, dadurch zu genauer Erkänntn-  
  {Sp. 578}  
  nis der Natur und Kunst der Weg gebahnet wird. In selbigem Theile sind diejenigen Versuche, so die Beschaffenheit der flüßigen Cörper, sonderlich die Lufft angehen, enthalten.  
  Hierauf machte er sich über seine Haupt-Wissenschafft, um solche von neuen in etwas verbessert der Presse zu unterwerffen, nachdem die Exemplarien der ersten Auflage völlig vergriffen waren. Es hatte zwar Herr Wolf viel wichtiges, daß er hätte können in dieser Auflage hineinbringen: Allein er trug deswegen Bedencken, solches hinzu zu thun, damit er nicht die §§. als worauf er sich in den übrigen Theilen der Weltweißheit beruffen hatte, verändern dürffte: zumahlen er damahls schon gesonnen war, die gantze Weltweisheit in Lateinischer Sprache weit ausführlicher und vollständiger herauszugeben.  
  Unterdessen ist diese Auflage um einige Bogen stärcker worden, und von der ersten verschieden. Denn nicht einmahl an die verbesserten Druck-Fehler und unrichtig angeführten §§. zu gedencken, so hat Herr Wolf einige schwere Stellen erläutert. Auch ist eine neue Vorrede hinzugekommen, in welcher unser Philosoph seine Freude darüber bezeiget, daß viele Gottesgelehrten von allen drey Religionen im Römischen Reiche seine Haupt-Wissenschafft wegen ihres unvergleichlichen Nutzens zu genauer Einsicht in die Gottesgelahrheit und Vertheidigung der Religion, gelobet hätten.  
  Das merckwürdigste, was sonst in dieser Vorrede vorkommet, ist, daß er eine neue Eintheilung der Weltweisen angiebet; daß er zeiget, wie die Hauptwissenschafft und Mathematick einander erläutern, und daß er endlich einer neuen Wissenschafft: Die Kunst in die Zusammensetzung die gröste Vollkommenheit zu bringen, gedencket. Diese neue Bemühungen erreichten im December ihr Ende.  
  Eben in diesem Monate am 12 Tage hielte sein getreuer ehemaliger Schüler, Herr Thümmig, eine Dissertation, in welcher er die Unsterblichkeit der Seelen aus ihrer innern Beschaffenheit erwiese. Der Respondente nahm sich die Freyheit, Herrn Wolfen um eine Epistel zu derselben anzusprechen. Diesem Ansuchen gab unser Philosoph auch Gehör, und satzte einen kleinen Glückwunsch auf, darinne er die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele zugleich nicht wenig, obwohl nur gantz kürtzlich, erläuterte.  
1722 Mit dem Anfang des 1722 Jahres war Herr Wolf mit der dritten Auflage seiner vernünfftigen Gedancken von den Kräfften des menschlichen Verstandes beschäfftiget, welche er nicht allein mit mehrern Beyspielen erläuterte, sondern auch in selbiger, welches das vornehmste war, hin und wieder Anweisung gab, wo man in seinen andern Schrifften mehr Exempel finden könnte. Diese Arbeit legte er im Februar besagten 1722 Jahres zurücke.  
  Zu welcher Zeit man eine Vorrede zu Johann Christoph Sturms andern Theile der Physicae electivae sive hypotheticae, von Herrn Wolfen verlangte. Diese beschloß er am 27 Mertz und er erinnerte in selbiger eines und das andere wegen der Lehr-Art in der Natur-Lehre. Nächstdem rühmete er  
  {Sp. 579|S. 303}  
  Sturms Verdienste so wohl um die Natur-Lehre als auch um die Mathematick, immassen er auf den Deutschen Academien die mathematischen Wissenschafften empor gebracht, und zuerst Stunden über die Versuche der Natur (collegia experimentalia) angestellet habe, welches sich zu damahligen Zeit niemand weder in noch ausser Deutschland unterstanden hätte. In den Versuchen sey er vorsichtig und genau, in Anzeige der Ursachen scharffsinnig und endlich in Lesung der Bücher fleißig gewesen, wie er denn auch selbst in vielen wohl ausgearbeiteten Schrifften die Natur-Lehre zu weit grösserer Vollkommenheit gebracht habe.  
  Wenige Tage hernach, am 30 Mertz 1722, ließ sich Herr Thümmig abermahls auf dem Philosophischen Catheder hören. Der Dissertation, so betittelt war: phoenomenon singulare solis coelo sereno pallescentis ad rationes revocatum, fügte Herr Wolf ein Glückwunschungs-Schreiben an den Respondenten bey, welche wegen eines gantz besondern Urtheils von seinen eigenen Verdiensten in Beförderung der metaphysischen Wahrheiten gar sehr merckwürdig ist.  
  In dem darauf folgenden Monat April 1722 satzte Herr Wolf in Verfertigung seines andern Theils der Experimental-Physick zum letztenmahle die Feder an, da kaum ein halbes Jahr verflossen war, als er den ersten Theil der gelehrten Welt mitgetheilet hatte, und am ersten September hatte er schon den dritten Theil, mithin also das gantze Werck, beschlossen. In allen drey Theilen findet man zwar viele Kleinigkeiten und Versuche, die schon bereits bekannt sind; es ist aber zu wissen, daß sie vor Anfänger geschrieben sind, und eine Probe seyn sollen, nach welcher man vor sich selbst Versuche anstelle, und sich eine Fertigkeit angewöhnen könne, wohl und vernünfftig bey Versuchen zu verfahren.  
  Gegen den Herbst dieses 1722sten Jahres wurde von der Theologischen Facultät zu Halle einhellig beschlossen, des Herrn Wolfens Schrifften, die er in den letztern Zeiten nach und nach herausgegeben hatte, selbst zu lesen und zu prüfen, um zu sehen, ob er daraus nicht könne von einigen unrichtigen und schädlichen Gründen überzeuget werden, welches Herr Lange im 8 §. seines historischen Vorberichts den man in seiner sogenannten bescheidenen und ausführlichen Entdeckung etc. antrifft, selbst gestehet. So gieng man denn mit dem Vorsatz über die Wolffischen Schrifften, in selbigen Irrthümer zu suchen. So war es auch leicht, sich welche darinnen vorzustellen.  
  Doch hätte dieses vielleicht alles nichts zu bedeuten gehabt, wenn nicht just Herr Lange sich dessen Hauptwissenschafft erwehlet hätte. Denn von den übrigen Mitgliedern der Theologischen Facultät hat man wenigstens nichts zu sehen bekommen, worinne sie einige gefundene Irrthümer angezeiget hätten, ausser was im Nahmen der gantzen Facultät durch ihr Triebwerck, Herrn Langen, ist vorgestellet worden. Herr Lange hatte schon ehedem durch andere Streitigkeiten Proben abgeleget, daß er zum Streiten sehr aufgeleget sey. Er laß also die Wolffische Haupt-Wissenschafft, allein es  
  {Sp. 530}  
  wolte ihm beym ersten Durchlesen nicht recht glücken, daß er Irrthümer gefunden hätte. So muste zum andern, dritten und noch mehrern mahlen durch die Hechel, bisßer endlich seine Absicht erreichet zu haben vermeinte.  
  Inzwischen arbeitete Herr Wolf, der von dem Vorhaben der Theologischen Facultät nichts wuste, an der andern Auflage seiner vernünfftigen Gedancken von der Menschen Thun und Lassen, die bald verbessert an das Licht treten solte. Er fügte in dem Buche hin und wieder noch eines und das andere hinzu, welches zu mehrerer Erläuterung dienete, und was sich als ein Zusatz aus den erwiesenen Gründen herleiten liesse; sonst aber sind alle Sätze stehen geblieben, wie sie in der ersten zu finden sind. Auch trifft man hier eine neue Vorrede an, die den 15 December datirt ist.  
1723 Das nunmehr kommende 1723 Jahr ist unserm Philosophen das fataleste Jahr seines Lebens gewesen. Glück und Unglück kämpffeten aufs hefftigste mit einander, und so sehr es das Ansehen hatte, als ob dieses über ienes den Meister spielen würde, so muste doch endlich auch dieses Beyspiel von neuen bestätiget werden, daß eine gerechte Sache nicht lange unterliegen könne, und daß einem Manne, der sich um die Welt verdient gemacht hat, die Verfolgungen zu Flügeln werden, durch welche er sich immer mehr und mehr empor schwinget.  
  Man warb durch viele Versprechungen heimlich einen Schüler Herrn Wolfens, welcher sich an die Spitze stellen und unseren Philosophen zuerst anfallen solte. Derselbe war Herr Daniel Strähler, dessen Geschicklichkeit und Gelehrsamkeit bekannt ist. Dieser Herr Strähler rückte im Frühjahr zuerst mit einer öffentlichen Schrifft hervor, welche zu Jena mit der Aufschrifft: Prüfung der vernünfftigen Gedancken des Herrn Hofraths Wolfs von GOtt, der Welt etc. war gedrucket worden. Dieses war das erste Stücke und solte die Fortsetzung in mehrern Stücken, nach und nach erfolgen.  
  Als nun dieses Herrn Wolfen zu Gesichet kam, war er über das Unternehmen seines Schülers über aus ungehalten, zumahl Herr Strähler aus dem Unterricht auch sonst noch viele Wohlthaten von unseen Herrn Hofrath genossen hatte. Der Unwille ward bey ihm endlich so, daß er diese Prüfung nicht allein sofort in seinen philosophischen Stunden widerlegte, sondern daß er auch bald darauf am 8 Mertz dem Academischen Rathe ein Schreiben wegen Herrn Strählern übergab, in welchem er eines Theils über ihn Klage führete, daß dieser ihn in einer öffentlichen Schrifft mit Nennung seines Nahmens angegriffen habe, da doch nach dem Königl. Befehl kein öffentlicher Lehrer zu Halle von einem andern daselbst, auch nicht einmahl ein College von dem andern, in Schrifften nahmentlich solle angefochten werden; andern Theils forderte er die Bestraffung Herrn Strählers dieserhalb so wohl als wegen der in der Vorrede eingestreuten Injurien, daß die Wolfischen Gedancken von GOtt, der Welt etc. ein Buch von übler Folge wären, daß die darinnen vorgetra-  
{Sp. 581|S. 304}
  genen Lehren wider die göttliche Vorsehung und Würcklichkeit lieffen, auch eine Fatalität in allen Dingen einführeten u.s.w. und daß ihm zugleich mögte verboten werden, diese seine Schrifft fortzusetzen: allein es muste Herr Wolf erfahren, daß er hier kein Gehör fand.  
  Dahero er die Sache nunmehro dem Königl. Fiscal übergab; in einem Schreiben an den Herrn Johann Frantz Buddeus in Jena sich darüber beschwerete, daß man die Prüfung daselbst aber drucken lassen; und wider seinen Gegner ein sicheres Mittel wider ungegründete Verleumdungen, wie denselben am besten abzuhelffen sey aufsetzete, daß er am 15 Mertz durch den Druck öffentlich bekannt machte.  
  Unter diesen Verdrießlichkeiten hatte Herr Wolf nichts destoweniger den unter den Händen habenden ersten Theil seiner Natur-Lehre so weit fertig gebracht, daß er ihn am 20 Mertz mit der Aufschrifft: Vernünfftige Gedancken von den Würckungen der Natur, dem Verleger aushändigen konnte.  
  Seine Streit-Sache mit Strählern schiene auch nunmehro abgethan zu seyn, ob dieser wohl nunmehr bereits das andere Stücke der Prüfung herausgegeben hatte. Denn im Monat April kam bey der Academie ein Königlicher Befehl an, Krafft dessen nach dem Wunsch und Verlangen des Herrn Hoff-Raths dem Herrn Strähler bey Verlust seiner Magister-Würde und einer namhafften Geld-Straffe untersaget wurde, weiter nicht wider Herrn Wolffen zu schreiben: Zugleich wurde auch den Professoren an befohlen, nichts von diesem Streit in ihren Stunden, weder directe noch indirecte, zu gedencken. Hierdurch war nur Öl ins Feuer gegossen worden, und an statt daß Herr Wolf nunmehr in Ruhe wäre gesetzet worden, gieng vielmehr der Lerm zu Halle allererst recht an.  
  Das den Professorens aufgelegte Stillschweigen machte die Theologischen Facultät redend. Sie, oder vielmehr ihr damahliger Dechant, Herr Lange, meinete verpflichtet zu seyn, bey Hofe von der Schädlichkeit der Wolffischen Weltweißheit schrifftliche Vorstellung zu thun, welches im Monat May besagten 1723sten Jahres geschahe. In dieser Vorstellung, bey deren Verfertigung Herr Lange die Feder geführet hat, bate gedachte Facultät nicht allein um eine Königl. Commißion, welche die Schädlichkeit der Wolfischen Lehren untersuchen solte, sondern auch um einen allergnädigsten Befehl, daß Herr Wolf führohin nicht mehr über die Philosophie lesen solte. Damit die Facultät auch ihrer Sache einen Nachdruck geben möchte, legte sie ihrer Vorstellung eine gleiche Vorstellung einiger Glieder aus der Philosophischen Facultät mit bey.  
  Der Hof erwies Herrn Wolfen die Gnade, daß er ihm die gedachte Vorstellung mittheilte, und Herr Wolf nahm sich die Freyheit, Anmerckungen darüber zu machen, welche er zwar nicht in Druck gehen ließ, wie hernach von andern geschehen ist, sondern sie nur im Manuscript eben dahin sendete, woher er die Vorstellung erhalten hatte.  
  Nächst dem besorgete er auch die andere und verbesserte Auflage seines Auszugs aus den Anfangsgründen aller ma-  
  {Sp. 583}  
  thematischen Wissenschafften, nachdem derselbe so viele Liebhaber gefunden hatte, daß man der starcken Auflage ohngeachtet bey dem Verleger kein Exemplar mehr bekommen konnte. Mit dem Monat Julius lebete Herr Wolf auch diese Arbeit zurück.  
  Herr Lange hatte bereits eine geraume Zeit an einer Schrifft gearbeitet, in welcher, ob er wohl dem Schein nach nur mit den Atheisten zu thun haben wolte, er dennoch vornehmlich auf Herrn Leibnitzen und unseren Philosophen loßgieng, um darzuthun, daß dieser beyden Philosophen Lehren der Atheisterey grossen Vorschub thäten, und mit des Spinoza Sätzen eine grosse Ähnlichkeit hätten. Er beobachtete darbey die Pflichten im Ermahnen, indem er Herrn Wolfen nicht sogleich, da das die erstere unter seinem Nahmen wider Wolfen verfertigte öffentliche Schrifft war, mit Nahmen nennete, welches wir ihm zum Ruhme nachsagen müssen. Diese Schrifft war nunmehro unter dem Titel: Caussa Dei, an das Licht getreten.  
  Unser Herr Hof-Rath merckte vermögen seiner tieffen Einsicht gar wohl, daß er in selbiger angestochen sey, und deswegen ließ er eine Erinnerung wider diejenigen, die in seiner Metaphysick den Spinozismum entdecket zu haben vermeinen, in die Leipziger neuen Zeitungen von gelehrten Sachen alsbald einrücken.  
  Auch vertheidigte er sich wider dieLangische Caussam Dei in einer besondern Schrifft, deren Titel war: Luculenta commentatio de differentia nexus rerum etc. und die er im Monat August vollendete. Er eignete sie dem Herrn Ober-Hof-Prediger Sr. Königlichen Majestät in Preussen zu, durch dessen Vermittelung sie bey Hofe eingeschicket wurde. Aus der Zueignungs-Schrifft erhellet, daß diese Schrifft einer neuen Sorte der Anthropomorphiten entgegen gesetzet sey. Die meisten Einwürffe, so Herr Wolf hier beantwortet, sind fast von Wort zu Wort aus der Langischen Caussa Dei entlehnet, ohne jedoch sie anzuführen, da er sich einer gleichen Bescheidenheit mit seinem Gegner bedienen wolte. Übrigens zeiget er die Übereinstimmung seiner Lehren mit den Lehr-Sätzen des Thomas von Aquino und der Lutherischen Gottesgelehrten, des Schertzers, Musäus und Gerhards; zudem erweiset er auch noch, wie er dem Spinoza, so wohl was die Gründe als auch die daher geleiteten Sätze betrifft, schnurstracks widerspreche.  
  Um diese Zeit geschahe es, daß der berühmte Herr Johann Gottlieb Heineccius nach Franecker beruffen wurde, und er seine zu Halle bisher rühmlichst verwaltete ordentliche Profeßion in der Weltweißheit niederlegete. Herr Wolf wolte seinem geliebtesten Schüler, dem Herrn Ludwig Philipp Thümmig, gerne die erledigte Profeßion zuweisen. Er brachte es auch durch gute Vorstellungen bey Hofe dahin, daß diesem die Profeßion würcklich von Hof aus angetragen wurde. Dieweil sich aber Herr Thümmig, (vermuthlich auf Anrathen seines Befördern, als der sich zu seinen Herren Collegen nicht viel Gutes versahe) nicht vorher  
  {Sp. 583|S. 305}  
  bey der Philosophischen Facultät gemeldet hatte, wie doch die Grundgesetze der Academie erforderten: So verzögerte die Facultät nachmahls seiner Einführung, und that zuförderst Vorstellung bey Hofe. Allein Herr Hof-Rath Wolf brachte es bey Hofe dahin, daß wegen dieser Verzögerung ein scharffes Rescript an die Academie erging.  
  Den Sommer hindurch hatte Herr Wolf auf die Verfertigung des andern Theils seiner Natur-Lehre diejenigen Stunden verwendet, welche ihm seine Verdrießlichkeiten und seine ordentliche Amts-Arbeit frey gelassen hatten. In der Michael-Messe sahe man sie schon in den Buchläden unter der Aufschrifft: Vernünfftige Gedancken von den Absichten der natürlichen Dinge. Dieses Buch bestehet aus zwey Theilen, davon der erste vom Endzweck der Welt und der Welt-Cörper, der andere aber von dem Endzweck der besondern Arten der Cörper, handelt.  
  Unterdessen war aus der flüchtigen Feder des Herrn Langens wider die Wolfische commentationem luculentam eine andere Schrifft: Modesta disquisitio novi philosophiae Systematis etc. geflossen, welche mit einer Vorrede der Theologischen Facultät, so von der nützlichen und klugen Verknüpffung der Weltweißheit und der Gottesgelahrheit handelte, begleitet wurde. Hier gab Herr Lange schon deutlich zu verstehen, wider wen er die Feder ergriffen habe.  
  Herr Wolf konnte hierzu nicht stille schweigen, und gab zu Ende des Octobers heraus: Monitum ad commentationem etc. Einige wollen dieses, daß unser Philosoph nur ein monitum wieder die Langische Schrifften aufgesetzet habe, also auslegen, als ob es aus Verachtung gegen Herrn Langen geschehen sey, indem ihm damahls noch bey Hofe alles nach Wunsch gieng. Niemand kan dem andern ins Hertze sehen, und würden wir daher sehr unrecht thun, wenn wir solches als eine gewisse Nachricht erzehlen wolten.  
  Was nun der Inhalt dieses Moniti betrifft, so läufft hauptsächlich alles dahin aus, daß Herr Wolf eines theils nochmahls zu behaupten suchet, es habe ihn sein Gegner nicht verstanden, und verschiedene Stellen also verdrehet, daß er ihn nur verketzern und zum Atheisten machen könne, und daß er andern theils verschiedene Lobsprüche anführet, die seiner Wissenschafft von andern, besonders von den Jesuiten, sind beygeleget worden.  
  Herr Lange wolte alles dieses nicht glauben, noch sich mit diesem Monito abweisen lassen. Weshalb er diesem Monito entgegen setzte: Placidas vindicias etc. darinnen er sich bestrebete zu erweisen, daß ihm auf seine Einwürffe nicht gründlich genung sey geantwortet worden, und setzete an Herrn Wolfen aus, daß er sich auf die Übereinstimmung seiner Sätze mit den Lehren des Thomas von Aquino so sehr beruffen habe. Diese vindiciae kamen am 12 Tage des Novembers zum Vorschein.  
  Eben an diesem Tage langete bey der Hällischen Academie ein unterm 8 November 1723 ausgefertigtes Königliches Rescript bey der Academie an, des Inhalts, daß Wolf seines Amtes entsetzet  
  {Sp. 584}  
  seyn und sich binnen 24 Stunden aus Halle, binnen 48 Stunden aber aus allen Königlichen Preußischen Landen, bey harter Leib- und Lebens-Straffe entfernen solle. Und weil in eben diesem Befehle auch Herrn Thümmingen die Profeßion wieder soll genommen worden seyn: So ist wahrscheinlich, daß die Academie auf den erfolgten scharffen Verweiß wegen Verzögerung der Einführung Herrn Thümmings in das Collegium Professorium abermahls den Hof angegangen sey und vorgestellet habe, daß Herr Wolf alle Ordnung bey der Academie über den Hauffen werffen wolle, so, daß endlich Sr. Königlichen Majestät in Preussen zu diesem Befehle sind bewogen worden: Zumahlen noch über dieß Herr Lange sich äusserst bemühete, die Wolffische Philosophie bey Hofe auch durch Privat-Briefe immer mit häßlichern Farben abzumahlen.  
  So dauerte denn alles Glück nur eine Weile, und Herr Wolf muste erfahren, daß sein Ansehen bey Hofe sich binnen einem Monate in einen Abscheu vor seine Person verwandelt hatte. Gleich den Tag nach dem eingelauffenen Königlichen Befehle, am 13 November 1723, gieng also Herr Wolf von Halle weg.  
  Die Göttliche Vorsehung, welche Herr Wolf in vielen seiner Schrifften bewundert hat, hatte ihm schon zum Voraus einen Aufenthalt ausersehen, indem sie den Land-Grafen von Hessen-Cassel dahin gelencket hatte, daß von demselben unser Philosoph noch vor dem Feste des Heiligen Johannes auf Dero Academie zu Marburg war beruffen worden. Es wande sich demnach Herr Wolf so fort gerades Weges nach Cassel, woselbst er von dem Land-Grafen mit gantz besonderer Gnade auf und angenommen wurde.  
  Daselbst wurde er ohne Verzug als Hochfürstlicher Hessen-Casselischer Hof-Rath, wie nicht weniger als erster Professor in der Philosophischen Facultät und der Mathematick öffentlicher Lehrer auf der Academie zu Marburg bestätiget, ihm auch eine gar austrägliche Besoldung nebst freyer Wohnung auf dem neuen Universitäts-Gebäude, wo ein vortrefliches Observatorium ist, ausgemachet.  
  Er verließ also voller Vergnügen Cassel, und gieng nach Marburg. Die vornehmsten sich damahls in Marburg aufhaltenden Herren Studenten holten ihren künfftigen Lehrer ein, und am Abend des Tages nach seiner Ankunfft bewillkommete ihn die gantze Universität mit einer sehr herrlichen Abend-Musick. Diese Freudens-Bezeigungen vermochten bey Herren Wolfen so viel, daß er ungesäumt alles dasjenige veranstaltete, was zum Antritt seines neuen Lehramts erforderlich war: wie er denn würcklich noch vor Ausgang des 1723 Jahres seine Profeßion angetreten hat.  
  Nachdem sich Herr Wolf nunmehr zu Marburg eingerichtet hatte, satzte er sich über eine Vertheidigung wider eine Schrifft, welche als ein Anhang der Hällischen Streitigkeiten angesehen werden kan. Denn da bereits der wider Herrn Wolfen so nachtheilige Befehl  
  {Sp. 585|S. 306}  
1724 vergangen war, hatten die Hällischen Gegner der Wolfischen Philosophie an den ehemahls hochberühmten Herrn Johann Frantz Buddeus geschrieben, und sich auch dessen Gutachten von der Weltweisheit unsers Philosophen ausgebeten, welches er auch unterm 23 November 1723 aufgesetzet hatte, keinesweges aber in der Absicht, daß es solte gedrucket werden. Dessen ohngeachtet wurde es wider Wissen und Willen seines Verfassers zugleich mit den ersten Tagen des 1724 Jahres in den Druck gegeben.  
  So bald man diese Schrifft in Jena zu Gesicht bekam, ließ sie Herr Buddeus selbst confisciren: woraus dessen Unwille über den Druck sattsam erhellet. Herr Wolf erhielte auch ein Exemplar, und weil der Vater dieses Bedenckens ein bey der Evangelischen Kirche in grossen Ansehen stehender Gottesgelehrter war, von dessen Erkenntniß auch in philosophischen Sachen jedermann eine gute Meynung hatte, so vermeinte Herr Wolf, daß, wenn er sich darwider nicht regete, solches ihm und seinen neuen Amte sehr nachtheilig seyn könnte. Dahero er Anmerckungen über das Buddeische Bedencken unterm 7 Februar des 1724 Jahres zu Papiere brachte, die in etwas harten Worten abgefasset waren.  
  Herr Wolf war des fernern Streitens überdrüßig und willens, sich von diesen Materien mit Niemanden ferner in einige Streitigkeiten einzulassen. Weil nun seine Widersacher theils einigen Sätzen in den vernünfftigen Gedancken von GOtt, der Welt etc. einen gantz falschen Verstand beygeleget, theils einige Zweifel wider dieselben aufgeworffen hatten; so hielte er vor gut, sich in den etwan anstößigen Puncten etwas deutlicher zu erklären, um also der Paucke, wie man zu reden pfleget, auf einmahl ein Loch zu machen.  
  So bald er nach Marburg gekommen war, hatte er gleich Gelegenheit, dieses Buch in einem Collegim zu erklären. Hier zeigte er nicht allein den richtigen Verstand der Worte aus den Erklärungen und gantzen Zusammenhange, sondern wieß auch die Absicht, so er bey jedem Satze gehabt, auf diese Weise wurden die Verdrehungen seiner Widersacher handgreiflich, und er gab dieser wegen solcher Erläuterungen unter dem Titel: Anmerckungen über die vernünfftigen Gedancken von GOtt, der Welt etc. heraus. Sie sind demnach nicht so wohl eine Fortsetzung, als vielmehr eine Erläuterung dieser vernünfftigen Gedancken.  
  Dieses Buch, so Herr Wolf als eine Schutz-Schrifft wider alle Gegner ansiehet, brachte er mit dem Mertz zu Ende. In der That stellet es auch das, was es seyn soll, vor. Denn in selbigem zeiget Herr Wolf,  
 
1) daß er in vielen Stücken nur den Worten nach von den gemeinen Lehren abzugehen scheine, welches bloß lediglich von der Lehrart, der er sich bedienet habe, herrühre;
2) erkläret er viele Stellen weit deutlicher, welche nur den mindesten Schein einiger Dunckelheit haben konnten;
3) an den Orten, wo ihm andere Meynungen, als er würcklich vorgetragen hatte, von seinen Gegnern aus einer verkehrten
 
  {Sp. 586}  
 
  Auslegung waren angedichtet worden, leitet er den eigentlichen Sinn seiner Lehren aus seinen Erklärungen und dem Zusammenhange des gantzen Buches her;
4) vergißt er dabey nicht, die Zweifel, so bey einem jeden Satze sind erreget worden, oder doch entstehen könnten, aufzulösen;
5) deutet er jedesmahl an, was seine Lehren in Bestätigung der natürlichen Religion und Moral vor Nutzen haben, weil ihm hauptsächlich war vorgeworffen worden, daß seine Hauptwissenschafft alle Religion und Moralität über den Hauffen stosse; und
6) bemercket er zum öfftern, was noch in der Hauptwissenschafft zu erfinden sey.
 
  Am 28 Tage des Monats Aprils 1724 vertheidigte er öffentlich eine Dissertation, darinnen er den Weltbau der halben Sonnen untersuchete. Wir zweifeln nicht, daß dieses das erstemahl sey, da er zu Marburg auch seine besondern Kräffte im Disputiren gezeiget habe. Zum wenigsten ist uns keine ältere Marpurgische Dissertation von ihm zu Gesichte kommen.  
  Wir haben oben erinnert, daß unser Herr Hofrath über das Bedencken, welches der Herr Buddeus seiner Philosophie wegen aufgesetzet hatte Anmerckungen in etwas harter Schreibart abgefasset und durch den Druck gemein gemachet habe. Herr Buddeus hatte nicht Lust, sich dagegen selbst zu vertheidigen, indem er mit unserm Philosophen sich in keinen Streit mengen wolte, auch das Bedencken in der Absicht nicht entworffen hatte: gleichwohl schien es nöthig zu seyn, daß die Ehre des Herrn Buddeus gerettet würde. Weswegen dessen Schwieger-Sohn, der Hochberühmte Herr Johann Georg Walch, eine bescheidene Antwort auf Herrn Christian Wolfens Anmerckungen etc. jedoch ohne Benennung seines Nahmens herausgab. Der Herr Hofrath Wolf stand in den Gedancken, daß diese Vertheidigung von niemand andern, als von dem Herrn Buddeus selbsten herkommen, und satzte ihr im Monat August entgegen nöthige Zugabe zu den Anmerckungen über etc. in welchen dargethan werden solte, daß  
 
1) Herr Buddeus diejenigen Puncte, welche er bey Herrn Wolfen angefochten, in seinen Schrifften selbst vertheidige,
2) eben derselbe darneben vieles noch behaupte, welches als höchst gefährlich zu widerrathen sey, und
3) die Antwort auf die Wolfische Anmerckungen über das Buddeische Bedencken blosse Sophistereyen in sich fassen.
 
  Die Verdienste unsers Philosophen um die Wissenschafften waren so gar bis nach Moscau erschollen. Der grosse Peter Alexowitz, dessen Thaten die Nachwelt immer und ewig bewundern wird, war im Begriff, die Barbarey seiner Unterthanen durch Einführung guter Künste und Wissenschafften zu vertreiben. Er wolte nicht nur, sondern that es auch würcklich. Wie er denn zu St. Petersburg eine Academie der Wissenschafften aufrichtete.  
  Er war ein grosser Kenner der vortreflichsten Gelehrten. Wir hoffen dieses am besten dadurch zu bestätigen, daß er die so gründliche als weitläufftige Gelehrsamkeit des Herrn Baron von Leibnitz erkannt, und diesem deswegen nicht nur den Titel seines Geheimden  
  {Sp. 587|S. 307}  
  Justitz-Raths beygeleget, sondern auch ausgemachet hat. Eine gleiche Probe legte er auch in diesem 1724ten Jahre an den Tag, indem er keinen vor würdiger hielte, die Stelle eines Vice-Präsidenten auf der neu gestiffteten Academie der Wissenschafften zu St. Petersburg zu bekleiden, als den Marburgischen Philosophen, den Herrn Wolfen, und ihn auch in der That unter einer grossen Besoldung dahin beruffete.  
  Weltweise sind versichert, daß sie GOtt und ihrem Nächsten aller Orten dienen können, und ändern ohne dringende Noth nicht leicht ihren Sitz. Wie nun Herr Wolf nicht nach Marburg gegangen seyn würde, daferne man ihn nicht aus Halle verjaget hätte: so wolte er auch nicht Marburg verlassen, wo man ihn lieb und werth hielte. Dahero er die so ansehnliche, für ihn und die Seinen so vortheilhaffte Vice-Präsidenten-Stelle, ausschlug.  
     

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HIS-Data 5028-58-549-2-02: Zedler: Wolf, (Christian, Reichs- Frey- und Edler Herr von) [3] HIS-Data Home
Stand: 8. April 2013 © Hans-Walter Pries