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Quellenangaben |
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Teutsche Staats-Gebrechen, siehe Teutsche Staats-Kranckheiten. |
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Teutsche Staats-Kranckheiten, oder |
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- Staats-Kranckheiten des Heil. Römischen Reichs Teutscher Nation,
- Lat.
Imperii Teutonici,
oder Imperii Romano-Germanici,
oder auch Sacri Imperii Romani Teutonicae Nationis,
Morbi, Naevi,
Defectus;
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Unter dieser
Benennung
verstehen wir nichts anders, als
entweder die dem Römisch-Teutschen
Reiche, in Ansehung seiner so innerlichen
als äusserlichen Staats-Verfassung, absonderlich von
unterschiedenen Ausländern
beygemessenen
Mängel und Gebrechen, oder auch die
daran sich
würcklich äussernde
Unbequemlichkeiten. Und ob zwar nicht zu
läugnen, daß solches allerdings eine
derer wichtigsten und delicatesten
Materien ist; so werden wir
uns doch alle
möglichste
Mühe geben, der
Sache weder zu wenig,
noch zu viel zu
thun, am allerwenigsten aber
etwas einfliessen zu lassen, was unserer so wohl dem Allerhöchsten Ober-Haupte, als auch denen
Würdigsten und Durchlauchtigsten Mitgliedern, oder andern desselben darzu gehörigen
Ständen, schuldigsten Ehrfurcht und
Dienst-Befliessenheit nur im geringsten entgegen zu seyn scheinen könnte, noch auch irgend etwas
davon zu
sagen, ausser was
bereits von andern in ihren
öffentlich
gedruckten
Schrifften vor uns
davon berühret worden, im übrigen aber uns vielmehr nur einer
Historischen Erzehlung, als selbst
angemaßten Beurtheilung, zu befleißigen. |
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Vorhero aber erachten wir nicht undienlich zu seyn, erst noch von der
Macht und dem
Ansehen des Teutschen
Reichs, als eines ohne Widerspruch derer grösten iund wichtigsten Staats-Cörper, eines und das andere
zu gedencken. |
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Die |
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{Sp. 185|S. 106} |
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Kräffte einer
Republick können entweder an sich, oder
in so ferne sie einer wohl übereinstimmenden Staats-Verfassung füglich anzuwenden, betrachtet
werden. An sich betrachtet, beruhen sie entweder auf
Personen, oder auf
Sachen. Was die Personen
anlanget; so hat sich
Teutschland weder über deren
Mangel, noch
Geschicklichkeit zu
beschweren. Der hohe
Adel ist darinne so zahlreich, und so
ansehnlich, als nirgends in der
gantzen
Welt. Der niedere Adel
aber wird weder durch die Enge der
Landschafft, noch durch die
allzugrosse Menge genöthigt, sich zu unanständigen Hanthierungen herunter zu lassen. |
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Dererjenigen, welche sich auf die
Wissenschafften
legen, ist vielleicht eine grössere Anzahl, als eben
nöthig wäre, ob wohl unter sovielen gar
wenige gefunden werden, welche des Phöbus Lorbern tragen. Derer
Kauff- und
Handwercks-Leute ist
ebenfalls eine ziemliche Menge. |
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Doch sind der
Bauersleute heut zu
Tage an manchen
Orten weniger, als es
die gar geraumen Felder erfordern. Welches entweder an theils Orten von denen von
Zeit zu Zeit entstandenen
Kriege, durch welche Teutschland mit
unter gar sehr verwüstet worden, oder auch wohl daher rühren mag, daß wenn die Bauersleute etwas zu
Vermögen
gekommen, sie also geartet sind, daß sie sich ein Vergnügen machen ihre
Söhne zu einer
Profeßion oder nach
Gelegenheit auch wohl gar zum
Studiren anzuhalten, indem
sie die, so in denen
Städten
wohnen, gegen sich vor viel
glücklicher schätzen. |
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Ob man wohl kaum
glauben
solte daß sich jemand gefunden, welcher
die
Zahl der Städte und
Dörffer
untersucht; so wird
doch derjenige von denen so die Landschafft kennen, nicht vor thöricht gehalten werden, welcher
behaupten
wollte, daß gar leicht eine
Armee von 200000
Mann zusammen gebracht werden
könnte, wenn gleich nur aus jeder Stadt fünff, und aus jedem Dorffe ein, oder zwey Soldaten genommen
würden. |
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Man kan damit eine Probe machen.
Gewisse
Schrifftsteller
zählen in den zehn
Creyßen, 1957 Städte und Schlosser,
ohne das Königreich Böhmen, in welchem nach Hagecius Bericht, zu Zeiten Ferdinands I. 102 grosse
308 kleine Städte, 258 Schlößer, 171
Klöster und 30363 Dörffer,
gewesen. In Schlesien zählet man 411 grosse Städte, 863 kleinere, 51112 Dörffer. In Mähren 100
grosse, 410 kleine Städte, 30360 Dörffer. |
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Ehemahls sind auch der
Abteyen und Klöster, ehe sich ihrer
die
Protestanten so viele davon
zugeeignet, 11024 gezählet worden. Also schreibet man, daß durch den Eyfer Ferdinands II. 10000000
Menschen zur Catholischen Kirche zurück beruffen worden, wo nicht die Schmeicheley der Priester
diese Zahl ziemlich vermehret. |
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Die Nation selbst ist von ihrem ersten
Ursprunge an trefflich
kriegerisch, und hat aus
Begierde zu streiten, fast durch
gantz
Europam ihr Blut gleichsam feil
herumgetragen. Und gleichwie sie nicht so gar hitzig ist; also macht sie dieses sehr beständig, und zu
trefflichen Wissenschafften
geschickt, Nicht weniger
ist sie in allen
Arten der
Handwercker und
Künste unermüdet
fleißig; und welches gar viel zum Aufnehmen
derer
Städte beyträgt, im geringsten nicht
zu Neuerungen geneigt, und kan auch eine
Herrschafft , so nur nicht
allzu- |
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{Sp. 186} |
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strenge ist, gar wohl vertragen. |
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Unter denen
Sachen erhält den ersten Platz
die
Landschafft selbst. Wie
weitläufftig und groß dieselbe sey, wird derselbe leicht begreiffen, der von den Cassuben bis nach
Mümpelgard, oder von dem äussersten
Hollstein bis an die
Grentzen von Crayn, oder aus
dem Lütticher Lande bis an die äussersten Grentzen Schlesiens, eine
Reise gethan hat. In
einem so ungeheuren Umkreyße, wenn man die Gipffel der
Alpen ausnimmt, sind wenig Orte, welche
nichts hervorbringen solten, was dem
Menschen zu
Nutze kommen kan. |
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Ja es ist daselbst ein solcher Zuwachs von allen zum menschlichen Leben
nöthigen
Dingen, daß man etwas, ohne
was zur Schwelgerey und überflüßiger
Wollust
dienet, von anderswo herzuhohlen,
nicht nöthig hat. |
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Die Bergwercke und Flüße geben zwar weniges Gold, und die Edelgesteine, so Teutschland
hervorbringet, werden von geringerm Werthe gehalten. Dennoch werden an
unterschiedenen
Orten in grosser Menge
Silber, Kupffer, Zinn, Bley, Eisen, Quecksilber, und andere schlechtere Mineralien, gegraben. Die
Quellen geben Saltz genug, ob sich wohl die Örter, so an dem
Meere oder schiffbaren Flüßen liegen,
dessen, so aus Franckreich, Portugall, oder
Holland eingeführet wird, schon
mehr bedienen. Es findet sich darinne ein Überfluß an Korn, und allerhand
Arten von Früchten, an Holtz,
und an dem, was zur Kleidung gehöret, ingleichen eine grosse Menge Pferde, groß und klein Vieh, und
Wildpret. Auch leidet Teutschland an starcken Geträncken keinen
Mangel; also, daß Teutschland überhaupt
ein
reiches
Land
genennet werden kan. |
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Denn ausser dem, daß die
Materie des
Geldes selbst darinne
gezeuget wird; so bringet solches auch alles so reichlich hervor, was so wohl zur
Nothdurfft, als zur Ergötzlichkeit des
menschlichen
Lebens dienen kan, daß nicht nur
dessen
Einwohner damit hinlänglich
versehen, sondern auch Fremde damit bedienet werden können. Und das, so anders woher eingeführet
wird, ist entweder so beschaffen, daß es nicht mehr beträgt, als dasjenige so ausgeführet wird, oder daß
die
Teutschen dessen gar leicht
entbehren könnten, wenn sie ihre Schwelgerey mäßigen, und ihre zum Theil noch an sich habend
Faulheit und Thorheit ablegen
wolten. |
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Denn wie leicht könnte man nicht die Spanischen Weine entrathen, wenn man mit denen
innländischen Weinen oder Bieren, oder, so diese zur Trunckenheit noch nicht hinlänglich wären, mit
den abgezogenen Brannteweinen vergnügt seyn wolte? Wie leicht würde man denen Spaniern, Engel-
und Holländern ihre Tücher lassen, wenn man sich mit denen, aus innländischer Wolle gefertigten,
bekleiden wolte? Oder wenn ihnen derselben Güte so sehr gefällt, so solten die inländischen
Handwercksmeister solche
Kunst besser auslernen. |
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Es wäre auch unsern Teutschen nicht schwer, der seidenen Zeuge zu entbehren; oder, wenn es ja
seyn müste, sich etwas gläntzender zu kleiden, so trägt ja die
Gegend um den
Rhein Maulbeer-Bäume genug,
wenn nur die Einwohner derselben so viel von ihrer Nachläßigkeit erhalten könnten, daß sie ausser
denen Weinbergen etwas
bauen wolten. Da aber diese
Gegend denen Würmern Futter verschaffet; |
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{Sp. 187|S. 107} |
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so könnten sie ja von den Einwohnern jener Länder die Handgriffe, mit der Seide umzugehen,
füglich erlernen. |
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Es ist aber dieses der Einfalt des Volcks vielleicht zu verzeihen, welche, weil sie
glauben, viel artiger zu seyn, wenn sie die
Frantzösischen Moden nachahmen, auch die Thorheit darzu begehen, daß sie die leichten und geringen
Zeuge welche auch offt gar lächerlich heraus kommen, von ihnen hohlen. Denn die Verwunderung des
Frantzösischen
Nahmens leget offt den
nichtswürdigsten Dingen einen grossen Werth bey. Daß aber die Frantzösischen Künstler die Nahmen
der Zeuge und Tucher so öffters verändern, ist nicht so wohl eine Leichtsinnigkeit, als vielmehr eine
gefliessentliche List. Denn dadurch verhüten sie, daß die Teutschen, dergleichen Stücke bey sich nicht
nachmachen: Ob wohl die meisten von diesen so einfältig sind, daß sie glauben, es sey ihnen
unanständig, wenn sie von der einmahl angenommenen Art abgiengen, und dürfften sie daher nichts
feineres machen, weil ihre Vorfahren solches auch nicht gewust hätten. |
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Endlich könnten sich die Teutschen der Gewürtze, des
Zuckers, und was sonst aus beyderley
Indien gebracht wird, weit spahrsamer bedienen, wenn sie ihrer Schwelgerey Einhalt zu thun
wüsten. Aber es fehlet
Teutschland auch nicht an
Mitteln, dadurch es mit Hülffe der
Handlung die
Güter anderer
Landschafften an sich ziehen kan. Darzu wird, ausser dem
Fleiße der Einwohner erfordert, daß ein Land
also gelegen sey, daß man sowohl zu den Ausländern füglich kommen, und jene hinwiederum
aufnehmen, als auch von den Bedürffnissen der Einwohner etwas erübrigen und zu jenen ausführen
könne. Die Lage ist denenjenigen
Städten zu Treibung der Handlung
sehr bequem, welche an dem Oceanischen und
Baltischen Meere liegen;
denenjenigen aber, welche die schiffreichen Flüsse berühren, wegen der vielen und grossen Zölle schon
etwas unbequemer. Von
Waaren hingegen, so zu Lande
fortgebracht werden, hat man weniger
Vortheil. |
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Was man aus
Teutschland ausführet, ist meist
folgendes: Eisen und allerley aus solchem Metall gefertigte
Instrumente, Bley,
Quecksilber, Wein, Bier, Branntewein, Getreyde, Wolle, grobe Tücher, allerhand wollene und leinene
Zeuge, Pferde, Schaafe, und dergleichen mehr. Doch ist nicht zu
läugnen, daß in einigen
Ländern
Europens mehr
Geld gefunden werde, als in
Teutschland. |
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Dieses scheinet nicht von einer
Ursache
herzurühren. Denn was ist es Wunder, daß ein Land eines theils erschöpfft sey, in welchem Mars wohl
ehemahls gantzer 30
Jahr gehauset hat, der andern vor und nach
der
Zeit entstandenen
Kriege nicht zugedencken, wodurch
solches nicht nur dem innerlichen sondern auch auswärtigen Feinde, zum Raube offen gestanden? |
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So denn giebt es auch Länder, in Europa, welche weit gelegener sind,
Handlung zu treiben, als
Teutschland. Denn wenig
Städte von Teutschland haben die
Bequemlichkeit, am
Meere zu liegen; da hingegen Engelland,
Italien, Spanien, Portugall, Franckreich, und
Holland, darinnen einen grossen
Vorzug haben. Über dieses
finden sich Länder, denen wieder andere Landschafften unterworffen sind, und welche so gar alle
derselben Reichthümer gleichsam ins |
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{Sp. 188} |
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Enge gebracht, auf einmahl
vorstellen: Als da ist Spanien,
Portugall, Engelland und Holland. Teutschland besitzet ausser ihm nichts. |
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Es pfleget auch die Pracht und Größe derer
Haupt-Städte in einigen
Reichen denen Fremden
in die Augen zu fallen, in welchen die grösten
Schätze und Reichthümer zusammen
kommen. Also
urtheilen viele Unerfahrne ans dem
Ansehen der Stadt Paris von
gantz Franckreich, aus der Stadt Londen
und Lissabon von gantz Engelland und Portugall. Die Reichthümer von Teutschland aber, als welche in
einem so weiten Lande sehr zerstreuet sind, erscheinen weit geringer. |
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Es wird auch nicht eine schlechte Summe
Geldes aus
Unbedachtsamkeit der
Teutschen zu denen
Ausländern gebracht, indem sie von ihnen
Waaren hohlen, welche sie entweder
bey sich zeugen, oder deren sie wohl hätten entbehren können. Und haben vielleicht auch diejenigen
nicht
unrecht, welche
glauben, daß man auch dieses hieher zu
rechnen habe, daß durch das
Reisen Junger Teutschen
nicht wenig Geld aus ihrem
Vaterlande zu denen Ausländern
geschleppet werde. Denn ob es wohl vielleicht nicht undienlich seyn möchte, daß die
natürliche
Gemüths-Art derer Teutschen
durch den
Umgang mit Fremden Nationen noch
mehr ausgeputzet würde; so sind doch diejenigen
billig Auslachens oder,
Bedaurens werth, welche nach Gelegenheit
z.E. aus Italien nichts, als einige
denen disseits der
Alpen wohnenden
Völckern ungewöhnliche,
lasterhaffte Vergnügungen, oder nicht so
bekannte Flüche und Scheltworte, mit nach
Hause bringen. Nichtsweniger lässet auch
Franckreich die Reisenden mit andern
Wissenschafften von
sich, als mit diesen, daß sie hernachmahls desto ungezäumter zu leben und die
unterschiedenen Grade der
Venerischen Kranckheiten meist aus
eigener
Erfahrung zu erzehlen
wissen. |
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Einigen aber wird es doch helffen, daß sie Italien und Franckreich gesehen, nehmlich denenjenigen,
welchen es
verdrüßlich fällt, durch so viele
Umschweiffe zu denen auf höhern Schulen üblichen
Titeln zugelangen. Denn
bey denen Italienern ist es, wie bekannt, mit weniger Schaam und Aufwand erlaubt, den
Doctor-Titel und die Unwissenheit nach
Hause zubringen; Ob wohl auch bey denen Teutschen selbst zum öfftern aus einem gar rohen Holtze
ein dergleichen Mercurius gebildet wird. |
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Aber gleichwie man niemand vor starck oder schwach halten kann, wenn er nicht mit andern
verglichen wird; also hat man ferner Achtung zugeben, wie sich die
Macht Teutschlandes gegen
die benachbarten Länder, verhalte. Es berühret demnach Teutschland eines Theils das
Türckische Reich, wenn man Ungarn
und Croatien, welche vor dessen Vormauern gehalten werden können, hieher rechnet. Wie ihm denn
auch sehr viel daran gelegen, daß solche sicher bleiben. |
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Hieraus ist nun deutlich zuersehen, daß ob wohl die Türcken aus ihrem weitläufftigen
Gebiete eine grössere Last Goldes
ziehen, und auch einen weitgrössern Hauffen Völcker ins Feld führen können, sich doch Teutschland
wenig davor zu
fürchten zu haben scheine. Denn es
berühret der Türcke nur Teutschland mit der äussersten und geringsten
Grentze seines Reichs, wo es
gleichsam als ein Keil zugespitzt ist, und zwar sehr weit von |
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{Sp. 189|S. 108} |
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dem Haupt-Sitze des Reichs. Also, daß die Türcken nicht anders, als mit der größten
Beschwerlichkeit die
Kriege in Ungarn zu führen haben. |
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Denn zu geschweigen, daß ein Türckischer Soldat, wenn man das Janitscharen-Corps ausnimmt,
denen wohlgeübten Teutschen Soldaten, im geringsten nicht zu vergleichen; so müssen die Völcker so
des
Winters und der rauhen
Lufft wenig
gewohnt sind, mit großer
Beschwerlichkeit aus Asien übergeführet werden. Und wenn alle Mannschafft bis an die äussersten
Grentzen des Reichs zusammen gezogen worden; so pflegen gemeiniglich die nach Persien zu
gelegenen
Theile mit Rebellionen und Aufstande zu
drohen. |
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Und weil die benachtbarten Landschafften, als Servien, die Bulgarey und Ungarn selbst, der so
großen Türckischen Menge nicht lange Unterhalt verschaffen können; so muß die Zufuhre des
Proviants, von sehr weiten und durch die beschwerlichsten Wege zu
Lande besorget werden, indem zu einem
grossen
Vortheile vor Teutschland die
Donau gegen
Morgen zufließet. Teutschland hingegen
setzet schwerlich jemahls mehr, als den vierten
Theil seiner Macht dem Türcken entgegen,
und dennoch werden unter den Teutschen mehr Sieges-Zeichen über die Türcken, als von diesen über
jene, aufgesteckt. Es ist aber dennoch der
Nahme der Türcken zum
allgemeinen Schrecken geworden, so wohl wegen ihrer grausamen Sitten, als auch wegen vieler andern
hier nicht zu berührenden
Ursachen. |
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Italien ist an
Volck und
Geld weit geringer als
Teutschland, und fast ungeschickt, einem
andern
Gewalt zu
thun, wenn es zertheilet ist. Es
haben vielmehr die Italiener hohe Ursache, zufrieden zu seyn, daß die Teutschen
Kayser ihr
altes
Recht über Italien, nicht wieder
hervor zu suchen verlangen; besonders, da nunmehr durch die Beschaffenheit der
gegenwärtigen
Zeiten, die Ehrfurcht vor dem
Päbstlichen Banne, welcher ihnen ehemahls ein Schrecken eingejaget, gäntzlich in
Abfall gekommen zu seyn
scheinet. |
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Nichts ist ihm
beqvemer, als die
Schweitz, deren
Gesetze nur das ihrige zu
beschützen, nichts fremdes zu verlangen, und mehr zu
nutzen, als zu
schaden erfordern. |
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Auch darf Pohlen es nicht wagen, sich im geringsten Teutschland gleich zu achten. Und da die
Verfassung der Republick Pohlen erfordert, daß sie mehr auf die Erhaltung des ihrigen, als auf etwas
fremdes sehen, welche Bescheidenheit nach denen Teutschen der
Zustand ihrer
Republick anräth; so ist kaum zu
ersehen, wie diese beyden
Völcker in
Krieg gerathen sollten. |
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Dännemarck hat bis anher nicht einmahl genug
Vermögen
gehabt, sich nur das eintzige
Hamburg unterwürffig zu
machen; geschweige denn, daß es sich gegen
gantz Teutschland etwas zutrauen solle, da
es zumahl bey allen
Bewegungen der benachbarten
Schweden erzittert. |
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Wie weit Engelland in seinen Ocean gehe, macht denen Teutschen wenig Sorge. Und wie sich
jenes vergebens vornehmen würde, daß feste Land zu überfallen; also haben diese zu
Wasser so wenig
Kräffte, daß sie mit denen
Engelländern nicht in die geringste Vergleichung kommen können. |
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Die Vereinnigte Niederlande haben weder den
Willen noch das Vermögen, gegen
Teutschland et- |
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{Sp. 190} |
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was zu unternehmen. Denn diese Wasser-Männer sind zur Kriegs-Kunst zu Lande fast ungeschickt;
und wenn sie schon das Geld übrig hätten, würde es doch ihrer
Freyheit keinen Nutzen
schaffen, wenn sie eine Zahlreiche Armee zu Lande unterhielten. |
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Das weit entlegene und unvermögende Spanien selbst, ist zeither nicht vermögend gewesen, das
kleine Reich Portugall, sich unterwürffig zu machen. Ja Carl der V. als ein Regente des damahls gar
sehr blühenden Spaniens, hat niemahls im geringsten Mine gemacht, Teutschland zu unterdrücken, ob
er wohl durch die Kayserliche Macht und die Österreichischen Lande unterstützet war. |
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Schweden, ob man schon die erst im vorigen
Jahrhunderte erhaltenen teutschen
Provintzen darzu rechnet, ist an
Volck und Gelde in vielen Stücken geringer als Teutschland. Denn ob gleich einige Einfältige, theils
durch das abgekommene Sprüchwort, welches man ehemahls von Schweden gehabt, als ob es
gleichsam eine rechte Hecke von Menschen wäre, theils durch die in einigen Kriegen erhaltenen
Vorzüge, bewogen worden, daran zu
zweiffeln;
wissen Verständigere
schon besser, was dieses
bedeute. Massen innerhalb den 18.
Jahren, so lange nehmlich die Crone
Schweden in den dreyßigjährigen Krieg verwickelt gewesen, aus Schweden selbst nicht über 70000
Mann geschickt worden, davon
gleichwohl viele wieder in ihr
Vaterland zurück gekehret; da doch
hingegen, so lange der Krieg gewähret, niemahls unter 100000. und öffters wohl mehr Teutsche in
denen Waffen gewesen. |
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Wegen des noch heut zu
Tage ziemlich blühenden Franckreichs
aber, könnte etwas
wahrscheinlicher gezweiffelt
werden. Wenn man jedoch die
Macht beyder
Reiche an sich betrachtet,
ohne Absicht auf die
Vortheile und Gebrechen, deren jene
Franckreich aus dessen unumschränckten
Monarchie zuwachsen,
diese aber Teutschland aus dessen, wie man sie nach denen
Regeln der fast durchgängig
angenommenen Staats Klugheit zu
nennen pflegt, etwas un- oder vielmehr
ausserordentlichen
Form einer
Republick entstehen; so wird man
allerdings vor Teutschland das
Urtheil fällen
müssen. |
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Denn Teutschland ist unstreitig viel größer und weitläufftiger als Franckreich; und ob sie mahl an
Fruchtbarkeit einander ziemlich gleich seyn
mögen, so übertreffen doch die
unterirdischen Schätze von Teutschland das letztere gar sehr. Franckreich hat auch an Mannschafft
keinen
Vorzug; und es haben viele
Proben zu Tage gelegt, daß die Teutschen Soldaten denen Frantzösischen nichts nachgeben. |
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In Ansehung der
Schätze dieses Reichs aber, kan man
keinen
gewissen
Schluß machen. Denn
man hat nicht ohne Verwunderung gehört, wie viele und große Summen
Geldes, so wohl der vorige,
als jetzige
König in wenig
Jahren zusammen gebracht, da sie besonders
die alten Schatz-Kammern eröffnet, und was vor unermeßliche
jährliche
Einkünffte der König von Franckreich
noch habe. |
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Doch muß man auch zugleich erwägen, daß das
Volck in Franckreich durch weit
höhere
Abgaben und Zölle
ausgezehret werde, als in Teutschland, und daß daselbst alles
Vermögen
des |
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{Sp. 191|S. 109} |
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Reichs gleich als in einen Canal zusammen fließe; welches jedoch einen mercklichen Abgang
spüren würde, wenn die Ausländer die Frantzösischen Waaren, deren sie leicht entbehren könnten,
abzuholen aufhöreten: Aber was Teutschland vor Einkünffte habe, kan man so gewiß nicht ersehen,
indem solche unter seine
Fürsten
getheilet sind. |
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Ob nun wohl Teutschland alle diese eintzelne Reiche übertrifft; so ist gegentheils dennoch die
Frage, wie es aussehen werde, wenn diese
mit vereinigten
Kräfften solches anfallen
solten? Hier muß man gleich anfangs
mercken, daß es die Verfassung einiger nicht zulasse, daß sie zugleich wieder Teutschland sich
verbinden; ferner, daß die Macht einiger nicht so groß sey, daß sie gegen dieses etwas zu
bedeuten habe; daß auch hernachmahls
die übrigen nicht zulassen werden, daß einer, oder der andere, mit Unterdrückung Teutschlandes so viel
Kräffte zusammen bringe, vermöge deren es ihm leichte seyn würde, dem
gantzen
Europa
Gesetze
fürzuschreiben. |
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Solchergestalt wird es auch niemahls an solchen
ermangeln, welche sich vor die Erhaltung
Teutschlandes bestreben werden. Es scheinen aber vornehmlich dergleichen Häupter zu seyn, welche
sich verbinden könnten, Teutschland anzugreiffen. AIs der Türcke, das
Hauß Österreich, und der
Frantzose. Daß einer von den
Christlichen Fürsten, auch nicht einmahl
der König von Franckreich, mit dem Türcken sich wieder Teutschland offenbahr einlassen werde, ist
nicht
wahrscheinlich. Denn das
Bündniß, welches die Crone Franckreich zu den
Zeiten
Kayser Carls des V mit dem
Türcken hatte, war nur hauptsächlich darauf abgesehen, daß die Macht Carls, welche damahls denen
Frantzosen gantz unerträglich war,durch diesen, wo nicht zertheilet, doch in etwas aufgehalten werden
mochte, daß heist vielmehr zu Franckreichs eigener Beschützung, als daß der Türcke einen Einfall in
Teutschland thun sollte. |
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Aber ein solches Bündniß, darinnen sich beide,
Teutschland mit vereinigten Kräfften
anzugreiffen, und unters Joch zu bringen, zusammen verbinden solten, wird so leicht nicht zu befürchten
seyn; indem es schon an und vor sich selbst etwas gottloses und thörichtes seyn würde, dem
Wachsthum eines solchen Barbaren, welcher die gantze Christenheit mit gleichem Haße verfolgt, so viel
zu
Liebe
thun
wollen. Ja es ist Franckreich
selbst daran gelegen, daß Teutschland im
gegenwärtigen
Zustande erhalten werde, und
nicht etwa ein
ansehnlicher
Theil desselben, in die Hände der Türcken
gerathe; wie hingegen auch diese letztern selbst wünschen, daß Teutschland vielmehr bey seiner
dermahligen Staats-Verfassung verharren, als mit Franckreich vereiniget, und nach den Regeln einer
unumschränckten Monarchie eingerichtet werde. Denn wenn diese beyden Reiche unter einem guten
Vernehmen solten vereinbaret werden; so hätte sich der Türcke
gewiß wegen seines Constantinopels
nicht wenig zu fürchten. |
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Kein eintziger Nachbar wird zu wünschen verlangen, daß das Hauß Österreich, das übrige
Teutschland mit Königlicher, oder unumschränckter
Gewalt beherrsche.
Es ist auch |
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{Sp. 192} |
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nicht zu
glauben, daß jemand so leicht einem
dergleichen Unternehmen Hülffe leisten werde. |
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Wenn es aber endlich dem Frantzosen in den
Sinn kommen solte,
Teutschland zu überfallen, und
völlig zu unterdrücken, so würde er
nothwendig Spanien, Engelland,
Italien und
Holland zu offenbahren Feinden
bekommen, davon die letztern immer noch an das alte Sprüchwort gedencken: Mache dir den Francken
oder Frantzmann zum Freunde, aber nicht zum Nachbar. |
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Die Dänen würden sich vielleicht der Frantzösischen
Bothmäßigkeit zu unterwerffen nicht so
sehr scheuen, wenn sie nur vermittelst derselben sich der beständigen
Furcht von denen ihnen so sehr verhaßten
Schweden entledigen konnten. Auf die Verbindung mit denen Schweden scheinet gar viel anzukommen,
besonders, wenn sie einen kriegerischen König haben. Vernünfftigere haben zwar längst gemercket,
daß die Frantzosen sich zwar der Hülffe der Schweden gerne bedienen wolten, aber nicht umsonst,
sondern aiso, daß alles, was durch sie gewonnen würde, gantz allein Franckreich zuwüchse. |
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Aber dieses will denen Frantzosen nicht gefallen, daß die Schweden gegentheils durch das
Frantzösische Gold ihre
eigene
Macht gerne so weit
vermehren wolten, daß sie hernachmahls die Freundschafft der Frantzosen leicht entrathen könnten.
Wenigstens halten es die Schweden vor
ungereimt, mehr vor der Frantzosen,
als ihren eigenen
Nutzen zu streiten. Sie sind aber
auch nicht von so blödem Gesichte, daß sie nicht sehen solten, daß, wenn sich der Frantzose
Teutschlandes bemächtiget, er denen Schweden nicht weniger, als andern Nachbarn, würde Gesetze
geben wollen: Daher ist auch eine Zeitlang unter diesen Völckern die Freundschafft etwas laulichter
unterhalten worden; und es hat dem Frantzosen ein kürtzerer Weg zu seyn geschienen, einige,
besonders an dem
Rhein gelegene
Fürsten, sich durch
Bündnisse, und wie man
sagt, durch
jährliche Subsidien-Gelder sich zu
verbinden; sich überhaupt um
Teutschland sehr bekümmert zu bezeigen; sich zu Beylegung der zwischen denen Teutschen Fürsten
obwaltenden Mißhelligkeiten gebrauchen zu lassen; in Darleihung Geldes und Volckes sich sehr
dienstfertig zu
beweisen; und endlich darauf
bedacht zu seyn, daß diejenigen, welche einiger Hülffe benöthiget, mercken möchten, daß sie sich
sicherer auf die Freundschafft Franckreichs, als auf den Kayser und die
Reichs-Gesetze zu verlassen hätten. |
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Bey sehr gestalten Sachen müste nun jemand so einfältig seyn, welcher nicht wahrnehmen wolte,
daß denen Frantzosen auf diese Art ein sicherer Weg, die teutsche
Freyheit zu unterdrücken,
gebahnet werde; besonders, wenn es sich zutragen solte, daß der
Männliche Stamm des
Hauses Österreich
ausgienge, wie auch nunmehr,
würcklich erfolget, und
das daher entstandene Kriegs Feuer immer noch auf einem höchst
ungewissen Ausgange beruhet. |
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Aber dieses ausnehmende
Teutsche Reich, welches, wenn es in die
Form einen unumschränckten
Monarchie gebracht wäre,
gantz
Europa schrecklich seyn würde,
wird so |
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{Sp. 193|S. 110} |
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hefftig durch innerliche Kranckheiten und Erschütterungen geschwächt, daß es kaum Kräffte genug
hat, sich selbst zu vertheidigen. Die Haupt-Ursache dieses
Übels, wird von vielen der von ihnen so
genannten unförmlichen und übelgeordneen Zusammenfügung der Republick beygemessen. |
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Obschon eine grosse Menge
Menschen nicht stärcker ist,
als ein einiger
Mann, so lange ein jeder ihm alleine
zuwider ist; so entstehet doch alles
Vermögen aus
der
Verbindung.
Und in so ferne mehrere in einen
Leib nicht vereinigt werden können;
so treten doch ihre
Kräffte darinne zusammen, daß
sie durch eine
Meynung als durch eine
Seele,
regieret werden. Je genauer
und einstimmiger nun dieselbe Vereinigung ist, desto stärcker wird die
Gesellschafft; da hingegen
die Weite und unrechte Zusammenfügung der Glieder allezeit von Schwachheiten und Kranckheiten
begleitet ist. |
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Die
vollkommenste und allergenaueste
Einigkeit, siehet man in einem dergestalt eingerichteten
Reiche, als die
Monarchie ist. Denn die
Aristocratien sind, ausser dem, daß sie
kaum bestehen können, wo nicht die
vornehmsten Kräffte einer Republick in
eine Stadt zusammengebracht werden, viel hinfälliger, als die Monarchien. Und die Durchlauchtige
Republick Venedig ist nur wie ein Wunder anzusehen. Die Zusammenfügung mehrerer durch Bündnisse
vereinigter Staaten ist viel geraumer, und kan daher auch um soviel leichter beunruhiget und gar
zertrennet werden. |
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Daß aber die Festigkeit solcher Zusammenverbindungen, sie sey nun, wie sie wolle, bestehe, ist
vornehmlich
nöthig, daß die verbundenen
Staaten einerley Form der
Republick haben, und einander an Kräfften nicht sogar ungleich seyn, und daß aus solcher Verbindung
jedem
Theile gleicher
Nutzen zuwachse.
Hernachmahls, daß sie nach reiffer Überlegung, und wenn vorher die
Gesetze wohl abgefaßt
worden, in die Gesellschafft treten. Denn welche etwas unbedachtsam, und gleichsam in einer Hitze,
ohne ihren zukünfftigen Zustand wohl erwogen und überlegt zu haben, eine Gesellschafft eingehen, die
werden hernachmahls sehr schwer einen
ordentlichen
Cörper ausmachen und gar vieles
zugeben
müssen, welches ihnen vielleicht sonst
nicht angestanden haben
möchte. |
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Man hat auch schon längst angemercket, daß kaum jemahls Monarchien sich mit freyen Völckern
oder Städten in Bündnisse, ob wohl nur auf eine
Zeit lang, sicher einlassen,
geschweige denn, daß sie sich auch immer mit ihnen sollen verbinden können: Indem denen Fürsten
nothwendig die
Freyheit des Volcks zuwider
ist, das
Volck hingegen die
Hoheit der Fürsten
verabscheuet. |
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Ferner ist die verkehrte Zuneigung der Menschen von solcher Art, daß sie denjenigen kaum mit
gelassenem
Gemüthe als ihres gleichen
ansehen können, der ihnen am
Vermögen nicht
gleich kommt; und wer sich entweder gar keines, oder nur eines geringern allgemeinen
Vortheils zu erfreuen hat, wird sich auch
denen allgemeinen
Beschwerungen sehr ungerne unterwerffen. |
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Übrigens scheinet
Teutschland vielen um soviel kräncker zu
seyn, da sich die demselben von ihnen beygemessenen Kranckheiten bey ihm vereiniget finden, welche
so wohl aus einer so ungewöhnlichen Regierungs- |
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{Sp. 194} |
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Forme als aus dem ungleichen Zusammenhange der vereinigten Stände erwachsen. Ja es
wird von ihnen diese mit unter die vornehmsten Staats-Kranckheiten des Deutschen Reichs gerechnet,
daß sich desselben Staats-Verfassung zu keiner von ihnen eingebildeten
Regierungs-Art recht
genau schicken will. Denn sagen sie, die äusserliche
Gestalt und das
Ansehen derselben stelle zwar
ein Königreich vor; und es sey auch vor sehr
alten Zeiten ein
König dasjenige in der That
gewesen, was er geheissen. Nach der Zelt aber, als dessen Ansehen gefallen, das Vermögen und die
Freyheit der Stände hingegen gewachsen, sey kaum noch ein Schatten einer Königlichen Gewalt übrig
geblieben, dergleichen man doch sonst an denenjenigen wahrnimmt, weiche einem gesellschafftlichem
Cörper als Häupter und Anführer vorstehen. |
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Daher verziehe die schädlichste Erschütterung den Reichs-Cörper, da der Kayser hier, die Stände
aber dort hinaus wolten. Welches denn macht, daß ein im übrigen so starcken Cörper sich, auswärtige
zu überfallen, und etwas an sich zu bringen, fast gantz entkräfftet befindet; da die Stände dem Kayser
einen neuen Zuwachs nicht zugestehen wollen, solcher aber auch unter sie alle nicht gleich ausgetheilet
werden kan. |
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Weiter entstehen unter den
Ständen selbst mancherley
Mißhelligkeiten und Zerrüttungen, aus verschiedenen
Ursachen: welche
soviel zu Wege bringen, daß man Teutschland fast nicht einmahl vor einen ordentlichen Zusammenhang
von Bundes-Genossen ansehen will. Die Stände, so sich zuweilen nicht wohl mit einander verstehen,
bedienen sich einer ungleichen Form der Republick, indem sich hin und wieder freye Städte befinden, so
unter die Fürsten gemengt sind. Die
Städte, welche meistentheils durch
ihre
Handlung blühen, machen sich
durch ihre Reichthümer auch wohl einen oder den andern Fürsten ziemlich abgünstig, besonders darum,
weil sie dieselben aus ihrem
Gebiete zusammen ziehen. |
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Es kan auch nicht
geläugnet werden, daß einige
Städte, nachdem sie die Ländereyen benachbarter Fürsten gantz ausgezehret, hochmüthiger worden.
Auch ist dieses zum Theil eine höchstschädliche
Eigenschafft des
Adels, daß er die Bürgerlichen verachtet,
welche sich doch öffters bey ihrem Pfennigen so wohl befinden, als jene bey ihren Wappen und
erschöpfften
Herrschafften. |
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Endlich sehen einige diese Städte also an, als ob solche ihnen ihre Herrschafft verweisen wolten,
und befinden, daß die
Uterthanen ihren
Zustand, in Vergleichung der
Freyheit ihrer Nachbarn, unwilliger ertragen. Daher fehlt es nicht an Neid, Verachtung, Verfolgung,
Argwohn, und Bedrohungen. |
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Aber alles dieses findet sich noch mehr unter denen
Bischöffen, und denjenigen
Städten, in welchen Dieselben ihre Haupt-Kirchen haben. Und obgleich die Fürsten, selbst auf den
Reichs-Tägen bisweilen gegen das
Städtische
Collegium nicht eine geringe
Verachtung sehen lassen; so werden dieselben im Gegentheil von dem Käyser um so viel mehr
geschützet, je mehr derselbe mercket, daß bey diesen sein
Ansehen fast höher geachtet
werde, als es bey denen andern Ständen zugeschehen pfleget. |
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Aber auch auch die Geist- und
weltlichen Fürsten
selbst se- |
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{Sp. 195|S. 111} |
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hen sich unter einander nicht durchgehends mit günstigen Augen an. Jenen räumet ihr heiliges
Amt vor diesen, in eben der
Classe den
Vorzug ein: Daher auch
ehemahls zu denen barbarischen Zeiten ihr Ansehen in der Republick das höchste war. Denen
weltlichen aber ist es gemeiniglich nicht wenig zuwider, diejenigen, welche gar öffters nur aus dem
niedern Adel entsprossen, so jählings auf eine gleiche oder wohl noch höhere Stuffe gesetzt, und ihren
Titeln auch den: Von
Gottes Gnaden, vorschreiben sehen. |
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Besonders, da ihnen nicht erlaubt ist, ihre
Würde auf ihre Nachkommen
fortzupflantzen, und ihr
Geschlechte im vorigem
Zustande verbleibet; ausgenommen, daß viele Bischöffe, nach dem
Exempel des Allerheiligsten Vaters, ihre
Verwandten mit geistlichen Pfründen und
Geschencken mehr als zu reichlich zu versehen pflegen. Im Gegentheil,
meynen auch die
Geistlichen viele
Ursache zu
haben, sich über jene zuerzürnen, als durch welche vielen die
Einkünffte nicht wenig geschmälert
werden. |
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Nicht weniger träget dieses zur Trennung der Stände bey, daß unter ihnen eine grosse Ungleichheit
der
Güter ist. Denn daher
entstehet bey einem stärckern gar leicht die Verachtung gegen die Schwächern, und eine
Begierde, dieselben zu
unterdrücken; da diese hingegen zu Argwohn und Klagen geneigt sind, und die gleichwohl beyden
gleiche
Freyheit bisweilen gar sehr zur
Unzeit
rühmen. |
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Es ist aber auch der Vorzug der
Churfürsten vor denen übrigen
Fürsten nicht eine geringe Ursache der Uneinigkeit, da diesen solche Würde sehr mißfällt, und
behaupten, daß man sich vieles wiederrechtlich anmasse, jene hingegen vor das
Recht und ihr wohl hergebrachtes
Ansehen tapffer fechten. |
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Dieses aber sind noch nicht so genannte Staats-Kranckheiten genug; es muß über dieses noch die
Religion, als sonst das kräfftigste
Band der
Gemüther, das so schon
ziemlich zertheilte Teutschland vollends recht zerstossen helssen. Jedoch entstehet auch der Haß nicht
allein aus der Mannigfaltigkeit der
Meynungen, und weil die
Priester insgemein denen, so ein anders
glauben und lehren, den Himmel
zuverschliessen pflegen; sondern weil durch die
Protestanten die
Catholische
Geistlichkeit von einem grossen
Theile ihrer Güter vertrieben worden, welche
von dem Verlangen, solche wieder zuerhalten,
Tag und
Nacht gereitzet werden, jene hingegen es
vor eine grosse Nachläßigkeit achten würden, dasjenige wieder fahren zu lassen, was sie einmahl
eingenommen gehabt. |
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Ja es sind einige, welche dafür halten, daß das allzugrosse
Vermögen der
Geistlichkeit einer
Republick überhaupt
schädlich sey, besonders da die
Priester und Mönche von einem andern ausser Teutschland sich befindenden Oberhaupte abhangen,
welches niemahls gegen Teutschland eine aufrichtige
Liebe heget, und wohl lieber wünschen
solte, daß alle Weltliche untergehen
möchten, wenn nur dessen Zugehörige in einem geseegneten Zustande lebten. |
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Denn daß auf diese Art gleichsam ein besonderer
Staat mitten in der Republick
gegründet, und solche dadurch zweyköpffig werden würde, ist offenbahr, und daß alsdenn solches zum
grösten allgemeinen
Übel aus- |
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{Sp. 196} |
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schlagen würde,
urtheilen die meisten, welche grössere
Liebe zu ihrem
Vaterlande, als zur Römischen Kirche
tragen. |
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Nicht weniger hält man auch dieses vor etwas schädliches, daß einige der Teutschen Stände, nicht
nur unter sich, sondern auch mit Auswärtigen, besondere Bündnisse zu machen pflegen; und dieses um
so viel sicherer, da ihnen solches nach dem
Osnabrückischen Frieden
ausdrücklich erlaubet ist. Welches jedoch nicht nur die Teutschen Fürsten zertheilet, sondern auch
denen auswärtigen Bundesgenossen die
Macht giebt, Teutschland nach
Gefallen zu
regieren, und, so zu
sagen, die Hände zu
binden, auch bey vorfallender
Gelegenheit, mit Hülffe der
Bundesgenossen, über alle den
Meister zu spielen; besonders, da
dergleichen Bündnisse sowohl gegen andere Auswärtige (welches noch einigermassen zu dulden wäre)
als auch wieder die Glieder eben desselben Reichs selbst gesucht werden. |
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Es sind aber auch, wie man ferner vorgeben will, die Fußtapffen Astreens in Teutschland bey nahe
verschwunden. Denn wo sich unter den Ständen etwa eine Streit-Sache entspinnet, (welches bey ihrer
so grossen Anzahl, und da sich ihre Gebiethe fast zum öfftern durchschneiden, nicht selten
zugeschehen pfleget) und man vor die
Cammer gehet, so hat man sich gar
offt fast nach Verlauff eines
Jahrhunderts, den Ausgang
zuversprechen. |
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Endlich siehet man auch dieses als ein Merckmahl einer sehr krafftlosen
Gesellschafft an, daß
Teutschland weder allgemeine
Schatz-Cammern, noch allgemeine
Soldaten duldet, dadurch man derer Auswärtigen Anfälle zurücktreiben, oder etwa eine oder die andere
Provintz anschaffen, und aus
ihren
Einkünfften die aligemeinen Kosten der
Republick bestreiten könnte. Und wie weit
nützlicher würde es nicht seyn, die des
Friedens ungewohnte
Völcker, welche fast durch
gantz
Europa ihr Blut feil herumtragen,
zum eigenen Besten anzuwenden. |
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Übrigens fallen auch sonst noch bey denen Ständen insbesondere so viel Mißhelligkeiten vor, daß
solche die Kräffte des gantzen Cörpers nicht wenig darnieder schlagen. Wovon uns aber so wenig, als
von andern dem Teutschen Reiche sonst noch zur Last gelegten
Umständen, ein mehrers beyzubringen
geziemen will. |
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Indessen kan hierbey noch der Artickel Teutsche Staats Verfassung nachgelesen werden, als aus
dessen Zusammenhange einem jeden
vernünfftigen und
unpartheyischen Leser gar leicht seyn wird, so wohl den Ungrund derer von einigen allzu
hochgetriebenen Vorwürffe, als auch die eigentliche Beschaffenheit derer irgend noch daran zu
bemerckenden Unbequemlichkeiten, zu beurtheilen, und woselbst wir auch eine und andere derer hieher
gehörigen
Schrifften nahmhafft
machen werden. |
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Teutsche Staats-Mängel, siehe Teutsche Staats-Kranckheiten. |
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